Der Geisterseher - Friedrich Schiller - E-Book

Der Geisterseher E-Book

Friedrich Schiller

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Beschreibung

Wenn der Glaube an Gott vom Teufel infrage gestellt wird... Der Prinz bekommt Besuch von seinem guten Freund aus Kriegszeiten, dem Graf von O. Sie begegnen einem Armenier, der ihnen Glück verspricht. Kurz darauf erhalten sie die Nachricht, dass der Cousin des Prinzen gestorben ist und dieser damit als Erbprinz aufgestiegen ist. Erneut nähert sich der Armenier. Bei einer Totenbeschwörung wird dem Prinzen gesagt, dass er seine Antworten in Rom finden wird. Nachdem der Geisterbeschwörer verhaftet wurde, kommen immer mehr Intrigen ans Licht und der protestantische Prinz beginnt an seinem Glauben zu zweifeln. Geheimgesellschaften, Machtspiele und Geister beschwörte Schiller in seinem größten Publikumserfolg herauf.-

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Seitenzahl: 194

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Friedrich Schiller

Der Geisterseher

 

Saga

Der Geisterseher

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1789, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788726945232

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

Erstes Buch

Ich erzähle eine Begebenheit, die vielen unglaublich erscheinen wird, und von der ich grossenteils selbst Augenzeuge war. Den Wenigen, welche von einem gewissen politischen Vorfalle unterrichtet sind, wird sie — wenn anders diese Blätter sie noch am Leben finden — einen willkommenen Aufschluss darüber geben; und auch ohne diesen Schlüssel wird sie den Übrigen, als ein Beitrag zur Geschichte des Betrugs und der Verirrungen des menschlichen Geistes, vielleicht wichtig sein. Man wird über die Kühnheit des Zwecks erstaunen, den die Bosheit zu entwerfen und zu verfolgen imstande ist; man wird über die Seltsamkeit der Mittel erstaunen, die sie aufzubieten vermag, um sich dieses Zwecks zu versichern. Reine, strenge Wahrheit wird meine Feder leiten; denn wenn diese Blätter in die Welt treten, bin ich nicht mehr und werde durch den Bericht, den ich abstatte, weder zu gewinnen noch zu verlieren haben.

Es war auf meiner Zurückkreise nach Kurland im Jahre 17** um die Karnevalszeit, als ich den Prinzen von ** in Venedig besuchte. Wir hatten uns in ** schen Kriegsdiensten kennenlernen und erneuerten hier eine Bekanntschaft, die der Friede unterbrochen hatte. Weil ich ohnedies wünschte, das Merkwürdige dieser Stadt zu sehen, und der Prinz nur noch Wechsel erwartete, um nach ** zurückzureisen, so beredete er mich leicht, ihm Gesellschaft zu leisten und meine Abreise so lange zu verschieben. Wir kamen überein, uns nicht voneinander zu trennen, solange unser Aufenthalt in Venedig dauern würde, und der Prinz war so gefällig, mit seine eigene Wohnung im „Mohren” anzubieten.

Er lebte hier unter dem strengsten Inkognito, weil er sich selbst leben wollte und seine geringe Apanage ihm auch nicht verstattet hätte, die Hoheit seines Rangs zu behaupten. Zwei Kavaliere, auf deren Verschwiegenheit er sich vollkommen verlassen konnte, waren nebst einigen treuen Bedienten sein ganzes Gefolge. Den Aufwand vermied er, mehr aus Temperament als aus Sparsamkeit. Er floh die Vergnügungen; in einem Alter von fünfunddreissig Jahren hatte er allen Reizungen dieser wollüstigen Stadt widerstanden. Das schöne Geschlecht war ihm bis jetzt gleichgültig gewesen. Tiefer Ernst und eine schwärmerische Melancholie herrschten in seiner Gemütsart. Seine Neigungen waren still, aber hartnäckig bis zum Übermass, seine Wahl langsam und schüchtern, seine Anhänglichkeit warm und ewig. Mitten in einem geräuschvollen Gewühle von Menschen ging er einsam; in seine eigene Phantasiewelt verschlossen, war er sehr oft ein Fremdling in der wirklichen. Niemand war mehr dazu geboren, sich beherrschen zu lassen, ohne schwach zu sein. Dabei war er unerschrocken und zuverlässig, sobald er einmal gewonnen war, und belass gleich grossen Mut, ein erkanntes Vorurteil zu bekämpfen und für ein anderes zu sterben.

Als der dritte Prinz seines Hauses hatte er keine wahrscheinliche Aussicht zur Regierung. Sein Ehrgeiz war nie erwacht. Seine Leidenschaften hatten eine andere Richtung genommen. Zufrieden, von keinem fremden Willen abzuhängen, fühlte er keine Versuchung, über andere zu herrschen; die ruhige Freiheit des Privatlebens und der Genuss eines geistreichen Umgangs begrenzten alle seine Wünsche. Er las viel, doch ohne Wahl. Eine vernachlässigte Erziehung und frühe Kriegsdienste hatten seinen Geist nicht zur Reife kommen lassen. Alle Kenntnisse, die er nachher schöpfte, vermehrten nur die Verwirrung seiner Begriffe; weil sie auf keinen festen Grund gebaut waren.

Er war Protestant, wie seine ganze Familie — durch Geburt, nicht nach Untersuchung, die er nie angestellt hatte, ob er gleich in einer Epoche seines Lebens religiöser Schwärmer gewesen war. Freimaurer ist er, so viel ich weiss, nie geworden.

Eines Abends, als wir nach Gewohnheit in tiefer Maske und abgesondert auf dem St. Marcusplatz spazierengingen — es fing an, spät zu werden, und das Gedränge hatte sich verloren — bemerkte der Prinz, dass eine Maske uns überall folgte. Die Maske war ein Armenier und ging allein. Wir beschleunigten unsere Schritte und suchten sie durch öftere Veränderung unseres Weges irre zu machen — umsonst, die Maske blieb immer dicht hinter uns. „Sie haben doch keine Intrige hier gehabt?” sagte endlich der Prinz zu mir. „Die Ehemänner in Venedig sind gefährlich.” — „Ich stehe mit keiner einzigen Dame in Verbindung”, gab ich zur Antwort. — „Wir wollen uns hier niedersetzen und deutsch sprechen”, fuhr er fort. „Ich bilde mir ein, man verkennt uns.” Wir setzten uns auf eine steinerne Bank und erwarteten, dass die Maske vorübergehen sollte. Sie kam gerade auf uns zu und nahm ihren Platz dicht an der Seite des Prinzen. Er zog die Uhr heraus und sagte mir laut auf französisch, indem er aufstand: „Neun Uhr vorbei. Kommen Sie. Wir vergessen, dass man uns im Louvre erwartet.” Dies sagte er nur, um die Maske von unserer Spur zu entfernen. „Neun Uhr”, wiederholte sie in eben der Sprache nachdrücklich und langsam. „Wünschen Sie sich Glück, Prinz (indem sie ihn bei seinem wahren Namen nannte). Um neun Uhr ist er gestorben.” — Damit stand sie auf und ging.

Wir sahen uns bestürzt an. — „Wer ist gestorben?” sagte endlich der Prinz nach einer langen Stille. „Lassen Sie uns ihr nachgehen”, sagte ich, „und eine Erklärung fordern.” Wir durchkrochen alle Winkel des Marcusplatzes — die Maske war nicht mehr zu finden. Unbefriedigt kehrten wir nach unserem Gasthof zurück. Der Prinz sagte mir unterwegs nicht ein Wort, sondern ging seitwärts und allein und schien einen gewaltsamen Kampf zu kämpfen, wie er mir auch nachher gestanden hat.

Als wir zu Hause waren, öffnete er zum erstenmal wieder den Mund. „Es ist doch lächerlich”, sagte er, „dass ein Wahnsinniger die Ruhe eines Mannes mit zwei Worten so erschüttern soll.” Wir wünschten uns eine gute Nacht, und sobald ich auf meinem Zimmer war, merkte ich mir in meiner Schreibtafel den Tag und die Stunde, wo es geschehen war. Es war ein Donnerstag.

Am folgenden Abend sagte mir der Prinz: „Wollen wir nicht einen Gang über den Marcusplatz machen und unsern geheimnisvollen Armenier aufsuchen? Mich verlangt doch nach der Entwicklung dieser Komödie.” Ich war’s zufrieden. Wir blieben bis elf Uhr auf dem Platze. Der Armenier war nirgends zu sehen. Das Nämliche wiederholten wir die vier folgenden Abende, und mit keinem bessern Erfolge.

Als wir am sechsten Abend unser Hotel verliessen, — hatte ich den Einfall — ob unwillkürlich oder aus Absicht, besinne ich mich nicht mehr — den Bedienten zu hinterlassen, wo wir zu finden sein würden, wenn nach uns gefragt werden sollte. Der Prinz bemerkte meine Vorsicht und lobte sie mit einer lächelnden Miene. Es war ein grosses Gedränge auf dem Marcusplatz, als wir da ankamen. Wir hatten kaum dreissig Schritte gemacht, so bemerkte ich den Armenier wieder, der sich mit schnellen Schritten durch die Menge arbeitete und mit den Augen jemand zu suchen schien. Eben waren wir im Begriff, ihn zu erreichen, als der Baron von F** aus der Suite des Prinzen atemlos auf uns zu kam und dem Prinzen einen Brief überbrachte. „Er ist schwarz gesiegelt”, setzte er hinzu. „Wir vermuteten, dass es Eile hätte.” Das fiel auf mich wie ein Donnerschlag. Der Prinz war zu einer Laterne getreten und fing an zu lesen. „Mein Cousin ist gestorben!” rief er „Wann?” fiel ich ihm heftig ins Wort. Er sah noch einmal in den Brief. „Vorigen Donnerstag, abends um neun Uhr.”

Wir hatten nicht Zeit, von unserm Erstaunen zurückzukommen, so stand der Armenier unter uns. „Sie sind hier erkannt, gnädigster Herr”, sagte er zu dem Prinzen. „Eilen Sie nach dem Mohren. Sie werden die Abgeordneten des Senats dort finden. Tragen Sie kein Bedenken, die Ehre anzunehmen, die man Ihnen erweisen will. Der Baron von F** vergass Ihnen zu sagen, dass Ihre Wechsel angekommen sind.” Er verlor sich in dem Gedränge.

Wir eilten nach unserm Hotel. Alles fand sich, wie der Armenier es verkündet hatte. Drei Nobili der Republik standen bereit, den Prinzer zu bewillkommnen und ihn mit Pracht nach der Assemblee zu begleiten, wo der hohe Adel der Stadt ihn erwartete. Er hatte kaum so viel Zeit, mir durch einen flüchtigen Wink zu verstehen zu geben, dass ich für ihn wach bleiben möchte.

Nachts gegen elf kam er wieder. Ernst und gedankenvoll trat er ins Zimmer und ergriff meine Hand, nachdem er die Bedienten entlassen hatte. „Graf”, sagte er mit den Worten Hamlets zu mir, „es gibt mehr Dinge im Himmel und auf Erden, als wir in unsern Philosophien träumen.”

„Gnädigster Herr”, antwortete ich. „Sie scheinen zu vergessen, dass Sie um eine grosse Hoffnung reicher zu Bette gehen.” (Der Verstorbene war der Erbprinz; der einzige Sohn des regierenden ***, der, alt und kränklich, ohne Hoffnung eigner Sukzession war. Ein Oheim unseres Prinzen, gleichfalls ohne Erben und ohne Aussicht, welche zu bekommen, stand jetzt allein noch zwischen diesem und dem Throne. Ich erwähne dieses Umstandes, weil in der Folge davon die Rede sein wird.)

„Erinnern Sie mich nicht daran”, sagte der Prinz. „Und wenn eine Krone für mich wäre gewonnen worden, ich hätte jetzt mehr zu tun, als dieser Kleinigkeit nachzudenken. — — Wenn dieser Armenier nicht bloss erraten hat” — —

„Wie ist das möglich, Prinz?” fiel ich ein. —

„So will ich Ihnen alle meine fürstlichen Höffnungen für eine Mönchskutte abtreten.”

Den folgenden Abend fanden wir uns zeitiger, als gewöhnlich, auf dem Marcusplatz ein. Ein plötzlicher. Regenguss nötigte uns, in ein Kaffeehaus einzutreten, wo gespielt wurde. Der Prinz stellte sich hinter den Stuhl eines Spaniers und beobachtete das Spiel. Ich war in ein anstossendes Zimmer gegangen, wo ich Zeitungen las. Eine Weile darauf hörte ich Lärmen. Vor der Ankunft des Prinzen war der Spanier unaufhörlich im Verluste gewesen, jetzt gewann er auf alle Karten. Das ganze Spiel ward auffallend verändert, und die Bank war in Gefahr, von dem Pointeur, den diese glückliche Wendung kühner gemacht hatte, aufgefordert zu werden. Ein Venetianer, der sie hielt, sagte dem Prinzen mit beleidigendem Ton — er störe das Glück, und er solle den Tisch verlassen. Dieser sah ihn kalt an und blieb; dieselbe Fassung behielt er, als der Venetianer seine Beleidigung französisch wiederholte. Der letztere glaubte, dass der Prinz beide Sprachen nicht verstehe, und wandte sich mit verachtungsvollem Lachen zu den übrigen: „Sagen Sie mir doch, meine Herren, wie ich mich diesem Balordo verständlich machen soll?” Zugleich stand er auf und wollte den Prinzen beim Arm ergreifen; diesen verliess hier die Geduld, er packte den Venetianer mit starker Hand und warf ihn unsanft zu Boden. Das ganze Haus kam in Bewegung. Auf das Geräusch stürzte ich herein, unwillkürlich rief ich ihn bei seinem Namen. „Nehmen Sie sich in acht, Prinz”, setzte ich mit Unbesonnenheit hinzu, „wir sind in Venedig.” Der Name des Prinzen gebot eine allgemeine Stille, woraus bald ein Gemurmel wurde, das mir gefährlich schien. Alle anwesenden Italiener rotteten sich zu Haufen und traten bei Seite. Einer um den andern verliess den Saal, bis wir uns beide mit dem Spanier und einigen Franzosen allein fanden. „Sie sind verloren, gnädigster Herr”, sagten diese, „wenn Sie nicht sogleich die Stadt verlassen. Der Venetianer, den Sie so übel behandelt haben, ist reich und von Ansehen — es kostet ihm nur fünfzig Zechinen, Sie aus der Welt zu schaffen.” Der Spanier bot sich an, zur Sicherheit des Prinzen Wache zu holen und uns selbst nach Hause zu begleiten. Dasselbe wollten auch die Franzosen. Wir standen noch und überlegten, was zu tun wäre, als die Türe sich öffnete und einige Bedienten der Staatsinquisition hereintraten. Sie zeigten uns eine Order der Regierung, worin uns beiden befohlen ward, ihnen schleunig zu folgen. Unter einer starken Bedeckung führte man uns bis zum Kanal. Hier erwartete uns eine Gondel, in die wir uns setzen mussten. Ehe wir ausstiegen, wurden uns die Augen verbunden. Man führte uns eine grosse steinerne Treppe hinauf und dann durch einen langen gewundenen Gang über Gewölbe, wie ich aus dem vielfachen Echo schloss, das unter unsern Füssen hallte. Endlich gelangten wir vor eine andere Treppe, welche uns sechsundzwanzig Stufen in die Tiefe hinunter führte. Hier öffnete sich ein Saal, wo man uns die Binde wieder von den Augen nahm. Wir befanden uns in einem Kreise ehrwürdiger alter Männer, alle schwarz gekleidet, der ganze Saal mit schwarzen Tüchern behangen und sparsam erleuchtet, eine Totenstille in der ganzen Versammlung, welches einen schreckhaften Eindruck machte. Einer von diesen Greisen, vermutlich der oberste Staatsinquisitor, näherte sich dem Prinzen und fragte ihn mit einer feierlichen Miene, während man ihm den Venetianer Vorführte:

„Erkennen Sie diesen Menschen für den nämlichen, der Sie auf dem Kaffeehause beleidigt hat?”

„Ja”, antwortete der Prinz.

Darauf wandte jener sich zu dem Gefangenen: „Ist das dieselbe Person, die Sie heute Abend wollten ermorden lassen?”

Der Gefangene, antwortete mit Ja.

Sogleich öffnete sich der Kreis, und mit Entsetzen sahen wir den Kopf des Venetianers vom Rumpfe trennen. „Sind Sie mit dieser Genugtuung zufrieden?” fragte der Staatsinquisitor. — Der Prinz lag ohnmächtig in den Armen seiner Begleiter. — „Gehen Sie nun”, fuhr jener mit einer schrecklichen Stimme fort, indem er sich gegen mich wandte, „und urteilen Sie künftig weniger vorschnell von der Gerechtigkeit in Venedig.”

Wer der verborgene Freund gewesen, der uns durch den schnellen Arm der Justiz von einem gewissen Tode errettet hatte, konnten wir nicht erraten. Starr vor Schrecken erreichten wir unsere Wohnung. Es war nach Mitternacht. Der Kammerjunker von Z** erwartete uns mit Ungeduld an der Treppe.

„Wie gut war es, dass Sie geschickt haben!” sagte er zum Prinzen, indem er uns leuchtete. — „Eine Nachricht, die der Baron von F** gleich nachher vom Marcusplatz nach Hause brachte, hätte uns wegen Ihrer in die tödlichste Angst gesetzt.”

„Geschickt hätte ich? Wann? Ich weiss nichts davon!”

„Diesen Abend nach acht Uhr. Sie liessen uns sagen, dass wir ganz ausser Sorgen sein dürften, wenn Sie heute etwas später nach Hause kämen.”

Hier sah der Prinz mich an. „Haben Sie vielleicht ohne mein Wissen diese Sorgfalt gebraucht?”

Ich wusste von gar nichts.

„Es muss doch wohl so sein, Ihro Durchlaucht”, sagte der Kammerjunker — „denn hier ist ja Ihre Repetieruhr, die Sie zur Sicherheit mit schickten.” Der Prinz griff nach der Uhrtasche. Die Uhr war wirklich fort, und er erkannte jene für die seinige. „Wer brachte sie?” fragte er mit Bestürzung.

„Eine unbekannte Maske, in armenischer Kleidung, die sich sogleich wieder entfernte.”

Wir standen und sahen uns an. — „Was halten Sie davon?” sagte endlich der Prinz nach einem langen Stillschweigen. „Ich habe hier einen verborgenen Aufseher in Venedig.”

Der schreckliche Auftritt dieser Nacht hatte dem Prinzen ein Fieber zugezogen, das ihn acht Tage nötigte, das Zimmer zu hüten. In dieser Zeit wimmelte unser Hotel von Einheimischen und Fremden, die der entdeckte Stand des Prinzen herbeigelockt hatte. Man wetteiferte unter einander, ihm Dienste anzubieten, jeder suchte nach seiner Art sich geltend zu machen. Des ganzen Vorgangs in der Staatsinquisition wurde nicht mehr erwähnt. Weil der Hof zu ** die Abreise des Prinzen noch aufgeschoben wünschte, so erhielten einige Wechsler in Venedig Anweisung, ihm beträchtliche Summen auszuzahlen. So ward er wider Willen in den Stand gesetzt, seinen Aufenthalt in Italien zu verlängern, und auf sein Bitten entschloss ich mich auch, meine Abreise noch zu verschieben.

Sobald er soweit genesen war, um das Zimmer wieder verlassen zu können, beredete ihn der Arzt, eine Spazierfahrt auf der Brenta zu machen, um die Luft zu verändern. Das Wetter war hell, und die Partie ward angenommen. Als wir eben im Begriff waren, in die Gondel zu steigen, vermisste der Prinz den Schlüssel zu einer kleinen Schatulle, die sehr wichtige Papiere enthielt. Sogleich kehrten wir um, ihn zu suchen. Er besann sich auf das genaueste, die Schatulle noch den vorigen Tag verschlossen zu haben, und seit dieser Zeit war er nicht aus dem Zimmer gekommen. Aber alles Suchen war umsonst, wir mussten davon abstehen, um die Zeit nicht zu verlieren. Der Prinz, dessen Seele über jeden Argwohn erhaben war, erklärte ihn für verloren, und bat uns, nicht weiter davon zu sprechen.

Die Fahrt war die angenehmste. Eine malerische Landschaft, die mit jeder Krümmung des Flusses sich an Reichtum und Schönheit zu übertreffen schien — der heiterste Himmel, der mitten im Hornung einen Maientag bildete — reizende Gärten und geschmackvolle Landhäuser ohne Zahl, welche beide Ufer der Brenta schmücken — hinter uns das majestätische Venedig, mit hundert aus dem Wasser springenden Türmen und Masten, alles dies gab uns das herrlichste Schauspiel von der Welt. Wir überliessen uns ganz dem wohltätigen Zauber dieser schönen Natur, unsere Laune war die heiterste, der Prinz selbst verlor seinen Ernst und wetteiferte mit uns in fröhlichen Scherzen. Eine lustige Musik schallte uns entgegen, als wir einige italienische Meilen von der Stadt ans Land stiegen. Sie kam aus einem kleinen Dorfe, wo eben Jahrmarkt gehalten wurde; hier wimmelte es von Gesellschaft aller Art. Ein Trupp junger Mädchen und Knaben, alle theatralisch gekleidet, bewillkommte uns mit einem pantomimischen Tanz. Die Erfindung war neu, Leichtigkeit und Grazie beseelten jede Bewegung. Ehe der Tanz noch völlig zu Ende war, schien die Anführerin desselben, welche eine Königin vorstellte, plötzlich wie von einem unsichtbaren Arme gehalten. Leblos stand sie und alles. Die Musik schwieg. Kein Odem war zu hören in der ganzen Versammlung, und sie stand da, den Blick auf die Erde geheftet, in einer tiefen Erstarrung. Auf einmal fuhr sie mit der Wut der Begeisterung in die Höhe, blickte wild um sich her. — „Ein König ist unter uns”, rief sie, riss ihre Krone vom Haupt und legte sie — zu den Füssen des Prinzen. Alles, was da war, richtete hier die Augen auf ihn, lange Zeit ungewiss, ob Bedeutung in diesem Gaukelspiel wäre, so sehr hatte der affektvolle Ernst dieser Spielerin getäuscht. — Ein allgemeines Händeklatschen des Beifalls unterbrach endlich diese Stille. Meine Augen suchten den Prinzen. Ich bemerkte, dass er nicht wenig betroffen war und sich Mühe gab, den forschenden Blicken der Zuschauer auszuweichen. Er warf Geld unter diese Kinder und eilte, aus dem Gewühle zu kommen.

Wir hatten nur wenige Schritte gemacht, als ein ehrwürdiger Barfüsser sich durch das Volk arbeitete und dem Prinzen in den Weg trat. „Herr”, sagte der Mönch, „gib der Madonna von deinem Reichtum, du wirst ihr Gebet brauchen.” Er sprach dies mit einem Tone, der uns betreten machte. Das Gedränge riss ihn weg.

Unser Gefolge war unterdessen gewachsen. Ein englischer Lord, den der Prinz schon in Nizza gesehen hatte, einige Kaufleute aus Livorno, ein deutscher Domherr, ein französischer Abbé mit einigen Damen, und ein russischer Offizier gesellten sich zu uns. Die Physiognomie des letzteren hatte etwas ganz Ungewöhnliches, das unsere Aufmerksamkeit auf sich zog. Nie in meinem Leben sah ich so viele Züge und so wenig Charakter, so viel anlockendes Wohlwollen mit so viel zurückstossendem Frost in einem Menschengesichte beisammen wohnen. Alle Leidenschaften schienen darin gewühlt und es wieder verlassen zu haben. Nichts war übrig als der stille, durchdringende Blick eines vollendeten Menschenkenners, der jedes Auge verscheuchte, worauf er traf. Dieser seltsame Mensch folgte uns von weitem, schien aber an allem, was vorging, nur einen nachlässigen Anteil zu nehmen.

Wir kamen vor einer Bude zu stehen, wo Lotterie gezogen wurde. Die Damen setzten ein, wir andern folgten ihrem Beispiel; auch der Prinz forderte ein Los. Es gewann eine Tabatiere. Als er sie aufmachte, sah ich ihn blass zurückfahren. — Der Schlüssel lag darin.

„Was ist das?” sagte der Prinz zu mir, als wir einen Augenblick allein waren. „Eine höhere Gewalt verfolgt mich. Allwissenheit schwebt um mich. Ein unsichtbares Wesen, dem ich nicht entfliehen kann, bewacht alle meine Schritte. Ich muss den Armenier aufsuchen und muss Licht von ihm haben.”

Die Sonne neigte sich zum Untergang, als wir vor dem Lusthause ankamen, wo das Abendessen serviert war. Der Name des Prinzen hatte unsere Gesellschaft bis zu sechzehn Personen vergrössert. Ausser den oben erwähnten war noch ein Virtuose aus Rom, einige Schweizer und ein Aventurier aus Palermo, der Uniform trug und sich für einen Kapitän ausgab, zu uns gestossen. Es ward beschlossen, den ganzen Abend hier zuzubringen und mit Fackeln nach Hause zu fahren. Die Unterhaltung bei Tische war sehr lebhaft, und der Prinz konnte nicht umhin, die Begebenheit mit dem Schlüssel zu erzählen, welche eine allgemeine Verwunderung erregte. Es wurde heftig über diese Materie gestritten. Die meisten aus der Gesellschaft behaupteten dreist weg, dass alle diese geheimen Künste auf eine Taschenspielerei hinausliefen; der Abbé, der schon viel Wein bei sich hatte, forderte das ganze Geisterreich in die Schranken heraus; der Engländer sagte Blasphemien; der Musikus machte das Kreuz vor dem Teufel. Wenige, worunter der Prinz war, hielten dafür, dass man sein Urteil über diese Dinge zurückhalten müsse; währenddessen unterhielt sich der russische Offizier mit den Frauenzimmern und schien das ganze Gespräch nicht zu achten. In der Hitze des Streits hatte man nicht bemerkt, dass der Sizilianer hinausgegangen war. Nach Verfluss einer kleinen halben Stunde kam er wieder, in einen Mantel gehüllt, und stellte sich hinter den Stuhl des Franzosen. „Sie haben vorhin die Bravoure geäussert, es mit allen Geistern aufzunehmen — wollen Sie es mit einem versuchen?”

„Topp!” sagte der Abbé — „wenn Sie es auf sich nehmen wollen, mir einen herbeizuschaffen.”

„Das will ich”, antwortete der Sizilianer (indem er sich gegen uns kehrte), „wenn diese Herren und Damen uns werden verlassen haben.”

„Warum das?” rief der Engländer. „Ein herzhafter Geist fürchtet sich vor keiner lustigen Gesellschaft.”

„Ich stehe nicht für den Ausgang”, sagte der Sizilianer.

„Um des Himmels willen! Nein!” schrien die Frauenzimmer an dem Tische, und fuhren erschrocken von ihren Stühlen.

„Lassen Sie Ihren Geist kommen”, sagte der Abbé trotzig; „aber warnen Sie ihn vorher, dass es hier spitzige Klingen gibt” (indem er einen von den Gästen um seinen Degen bat).

„Das mögen Sie alsdann halten, wie Sie wollen”, antwortete der Sizilianer kalt, „wenn Sie nachher noch Lust dazu haben.” Hier kehrte er sich zum Prinzen. „Gnädigster Herr”, sagte er zu diesem, „Sie behaupten, dass Ihr Schlüssel in fremden Händen gewesen. — Können Sie vermuten, in welchen?”

„Nein.”

„Raten Sie auch auf niemand?”

„Ich hatte freilich einen Gedanken” —

„Würden Sie die Person erkennen, wenn Sie sie vor sich sähen?”

„Ohne Zweifel.”

Hier schlug der Sizilianer seinen Mantel zurück und zog einen Spiegel hervor, den er dem Prinzen vor die Augen hielt.

„Ist es diese?”

Der Prinz trat mit Schrecken zurück.

„Was haben Sie gesehen?” fragte ich.

„Den Armenier.”

Der Sizilianer verbarg seinen Spiegel wieder unter dem Mantel. „War es dieselbe Person, die Sie meinen?” fragte die ganze Gesellschaft den Prinzen.

„Die nämliche.”

Hier veränderte sich jedes Gesicht, man hörte auf zu lachen. Alle Augen hingen neugierig an dem Sizilianer.

„Monsieur l’Abbé, das Ding wird ernsthaft”, sagte der Engländer; „ich riet’ Ihnen, auf den Rückzug zu denken.”

„Der Kerl hat den Teufel im Leibe”, schrie der Franzose, und lief aus dem Hause, die Frauenzimmer stürzten mit Geschrei aus dem Saal, der Virtuose folgte ihnen, der deutsche Domherr schnarchte in einem Sessel, der Russe blieb wie bisher gleichgültig sitzen.

„Sie wollten vielleicht nur einen Grosssprecher zum Gelächter machen”, fing der Prinz wieder an, nachdem jene hinaus waren — „oder hätten Sie wohl Lust, uns Wort zu halten?”