Der Geschmack von Gold und Eisen - Alexandra Rowland - E-Book

Der Geschmack von Gold und Eisen E-Book

Alexandra Rowland

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Beschreibung

Kadou Mahisti, der schüchterne Prinz von Arașt, ist überfordert, als seine Schwester eine Tochter zur Welt bringt. Noch in derselben Nacht wird in eine der Gilden des Königreichs eingebrochen. Kadou muss sich mit einem mächtigen Botschafter anlegen, der zugleich der Vater der neugeborenen Prinzessin ist. Die Auseinandersetzung endet für Kadou mit einer Demütigung. Um seine Loyalität gegenüber der Sultanin zu beweisen, erklärt sich Kadou bereit, den Einbruch aufzuklären. Ihm zur Seite steht sein neu ernannter Leibwächter, der gutaussehende Evemer. Doch der begegnet Kadou nur mit kalter Feindseligkeit. Während die beiden einer Verschwörung auf die Spur kommen, die nicht nur das Königshaus, sondern die Stabilität des gesamten Reiches gefährdet, kommen sie sich langsam näher. Beide müssen lernen, über sich hinauszuwachsen, um ihr Zuhause zu schützen und ihrer neuen Liebe eine Chance zu geben.

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Seitenzahl: 918

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Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Copyright © 2024 by Alexandra Rowland. All rights reserved.

Titel der Englischen Originalausgabe: »A Taste of Gold and Iron« A Tordotcom Book by Alexandra Rowland, published 2022 in the United States by Tom Doherty Associates LLC/Tor Publishing Group, New York, USA

Deutsche Ausgabe 2024 Panini Verlags GmbH, Schloßstr. 76, 70176 Stuttgart.

Alle Rechte vorbehalten.

Geschäftsführer: Hermann Paul

Head of Editorial: Jo Löffler

Head of Marketing: Holger Wiest (E-Mail: [email protected])

Presse & PR: Steffen Volkmer

Übersetzung: Michaela Link

Lektorat: Bettina Scharp

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Cover-Illustration: Martina Fackova

Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

YDROWL001E

ISBN 978-3-7569-9973-6

Gedruckte Ausgabe:

1. Auflage, Februar2024,ISBN 978-3-8332-4482-7

Findet uns im Netz:

www.paninicomics.de

PaniniComicsDE

Für die Verfasser von Fan-Fiction, die mir alles beigebracht haben, was ich weiß – ganz besonders das Streben nach Glück.

1

Mit fünfundzwanzig Jahren wurde Prinz Kadou zu seiner großen Erleichterung Onkel.

Die Zeit, in der seine Schwester schwanger war, hatte er in größter Angst und Sorge verbracht. Am Ende verlief das Ganze jedoch so alltäglich wie nur möglich, von der erfreulichen Tatsache mal abgesehen, dass die fragliche Nichte ihn in der Thronfolge eine Stufe weiter nach unten beförderte.

In der Nacht von Zelihas Niederkunft betete Kadou stundenlang inbrünstig im Tempel, bis die gute Nachricht endlich mit dem Krachen von Feuerwerkskörpern verkündet wurde – ein Schauer farbiger Pracht –, und Kadou das Gefühl hatte, zum ersten Mal seit Monaten wieder durchatmen zu können. Vielleicht sogar seit Jahren … als würde er nach einer stürmischen Nacht auf See das Licht eines Leuchtturms erspähen.

Frieden und Erleichterung zu empfinden war allerdings ein Luxus, den sich auch Prinzen nicht länger als ein paar Augenblicke leisten konnten: Auf Prinzessin Eynes Geburt folgten tagelange Festlichkeiten – für den Hof, für die Bewohner der Hauptstadt, den Rest des Königreichs und für die vielen Hundert Kahyalar, die dem Palast und der Regierung treu und hingebungsvoll dienten. Da Kadous Schwester, die Sultanin, indisponiert war und ihre eigene Chance auf etwas Frieden genüsslich ausnutzte, fiel ihm die Aufgabe, das Haus Mahisti gegenüber der Bevölkerung zu vertreten, ebenso zu wie ein größerer Teil der täglichen Regierungsgeschäfte. Darunter fiel auch ein äußerst alarmierender Einbruch in der Schiffsbauergilde in der Nacht der Geburt selbst. Außerdem wurde ein paar Tage später eine wohlhabende Händlerin aus Oissos dabei erwischt, wie sie eines der blasphemischsten Verbrechen beging, die Kadou sich vorstellen konnte. Zu guter Letzt waren da noch die verstörenden Wutausbrüche von Siranos gewesen, dem leiblichen Vater der Prinzessin. Diese Ausbrüche beunruhigten Kadou mit seinen ohnehin schon angeschlagenen Nerven auf einer persönlichen Ebene genauso, wie es die beiden ersten Katastrophen auf größerer Ebene taten.

All das ergab in der Summe eine so turbulente Woche, dass Kadou kaum eine Atempause bekam und seine neue Nichte seit ihrer Geburt kaum länger als ein paar Minuten im Arm halten konnte.

Wenn eine Flut ihren Höhepunkt erreichte, bedeutete das jedoch auch, dass sie unweigerlich wieder abebben würde. Ihre Majestät schien der gleichen Meinung zu sein. Sie beschloss außerdem, dass es ihre Aufgabe sei, die Dinge zu beschleunigen.

»Du siehst dünn aus«, sagte Zeliha mit der herrischen Stimme einer großen Schwester, als sie nach Kadous gehetzten Berichten endlich einen Moment Zeit zum Reden fanden. Zeliha hatte darauf verzichtet, sich weiter auszuruhen und von der Geburt zu erholen, als sie hörte, weswegen die oissische Händlerin verhaftet worden war. Daraufhin erklärte sie, sich selbst um die Angelegenheit zu kümmern, damit Kadou der Schiffsbauergilde seine ungeteilte Aufmerksamkeit schenken konnte. Ihnen war zu Ohren gekommen, dass ein Satyota aus Inacha in der Stadt war – einer der Wahrheitshexer, wie sie umgangssprachlich auf der Straße genannt wurden. Sie hatten ihn angeheuert, denn sie konnten ihn gut gebrauchen, um Azuta Melachrinos tou Thorikou zu befragen, woher sie die gewaltige Menge Falschgeld bekommen hatte, mit der sie eine Spielschuld zu begleichen versuchte.

Das Verhör war nicht gut gelaufen. Azuta war zu schlau, um zu antworten, wenn sie stattdessen mit einer Gegenfrage oder einer Halbwahrheit antworten konnte. Als man sie zurück in ihre Zelle zerrte, blieben Zeliha und Kadou einen Moment allein, ungesehen von all jenen, vor denen sie Förmlichkeit heucheln mussten.

»Du siehst aus wie ein ausgewrungener Spüllappen. Isst du genug? Schläfst du genug?«

Beides hatte er kaum getan. Er machte sich zu viele Gedanken über die ausbleibenden Fortschritte bei den Ermittlungen in der Schiffsbauergilde, über die Arroganz von Siranos, der sich in Gespräche einmischte, die ihn nichts angingen, und dabei leidenschaftlich erklärte, dass seine Landsmännin Azuta Melachrinos einen fairen Prozess und eine Vertretung vor Gericht verdiene …

Nein, natürlich hatte Kadou kaum geschlafen und auch nicht mehr gegessen als gelegentlich ein paar Bissen. Er machte sich zu große Sorgen darüber, dass er einige seiner Probleme den falschen Leuten anvertraut hatte.

Bevor er ihr antworten konnte, erklärte Zeliha, es sei höchste Zeit, dass sie alle für einen Tag aus dem Palast herauskämen und über alles nachdächten, nur nicht über das Regieren des Königreichs. Eine Jagd, sagte sie, sei genau das Richtige.

Man erzählte sich, dass in längst vergangenen Zeiten die große Eroberin Asanbughaa an dieser Küste landete. Sie habe erklärt, dies sei der Ort, an dem sie die Hauptstadt ihres neuen Königreichs erbauen werde. So erschuf einer ihrer Zauberer das große Plateau, auf dem heute der Palast stand. Die umliegende Landschaft bestand größtenteils aus ebenen Wäldern oder freiem Ackerland, das im Landesinneren zu sanften Hügeln und im Osten und Norden zu einem Gebirge anstieg.

Auf der landeinwärts gelegenen Seite des Plateaus führte ein Pfad abwärts. Ihm gegenüber lagen die Serpentinen der Palaststraße, von denen aus man einen freien Blick auf die Stadt hatte. Der kleine Weg war sogar noch steiler und wurde absichtlich in einem leicht verwahrlosten Zustand belassen. Nackte Erde, Bäume und Sträucher, die an den Rändern und in den Kurven wild wucherten, verbargen den Weg vor Beobachtern. Er war gerade breit genug, dass zwei Pferde aneinander vorbeikommen konnten, und an manchen Stellen mussten die Reiter sogar absteigen, um das zu bewerkstelligen.

Unten im Wald befand sich eine Lichtung – der übliche Sammelplatz zu Beginn der herrschaftlichen Jagden. Die Diener waren schon vor Stunden eingetroffen – oder vielleicht sogar schon am Tag zuvor –, um luftige, farbenfrohe Zelte und Pavillons aufzubauen, die mit Teppichen und Kissen ausstaffiert waren. Der prächtigste Pavillon gehörte natürlich der Sultanin. Kadou war überrascht, dass sie bereits auf ihn wartete, als er mit den wenigen Höflingen eintraf, die nach den Feierlichkeiten der vergangenen Woche noch nicht aufs Land zurückgekehrt waren.

Zeliha hatte es sich, umgeben von Ministern, auf einem niedrigen Diwan bequem gemacht und hielt Prinzessin Eyne in den Armen. Ihr Pavillon aus schwerer blauer, mit silbernen Ornamenten bestickter Seide, an dessen Dach eine Fontäne aus weißen Federn prangte, warf ein kühles Licht auf sie. Als sie Hufgetrappel hörte, schaute sie auf. »Kadou!«, rief sie. »Komm her, kleiner Bruder.«

»Majestät«, antwortete er, stieg vom Pferd ab und verbeugte sich. »Ich habe nicht damit gerechnet, dass du hier sein würdest.«

»Ich habe die Jagd schließlich organisiert, oder etwa nicht?«, antwortete sie trocken und rückte Eyne ein wenig zurecht, um eine Hand freizubekommen und Kadou zu sich zu winken. »Komm her, habe ich gesagt. Alle anderen können gehen, vielen Dank.«

»Ich hätte nicht gedacht, dass du dich schon genug erholt hast, um auf die Jagd zu gehen.« Kadou reichte einem seiner Kahyalar Wings Zügel und zog den Kopf ein, um unter den zurückgeschlagenen Stoffbahnen des Pavillons hindurchzugehen. Jemand hatte sie an den Eckpfählen hochgebunden, damit eine frische Brise hindurchwehen konnte. Die Minister, die sich wie befohlen zurückzogen, verbeugten sich im Vorbeigehen vor ihm.

»Oh, ich habe mich definitiv noch nicht ganz erholt«, antwortete sie und deutete auf einen Stuhl neben sich, auf dem Kadou Platz nahm.

»Die Kahyalar haben mich ganz stilvoll in einer Sänfte hergeschafft, als wäre ich schon Witwe. Es werden noch einige Wochen vergehen, bevor ich es ertragen kann, wieder auf einem Pferd zu sitzen. Bediene dich doch bitte«, forderte sie ihn auf und wies mit dem Kopf auf ein Tablett mit geschnittenem Obst, das in Reichweite stand. Sie selbst nahm sich ein Stück Melone. »Ich kann das Gebären nicht empfehlen, Kadou«, bemerkte sie ernsthaft. »Du solltest dich bemühen, es zu vermeiden.«

Er verdrehte demonstrativ die Augen und sie grinste. Hier draußen war alles besser, außerhalb des Palastes und weit weg vom Hof. Es war einfacher, so zu tun, als wären sie beide noch Kinder oder Jugendliche, nur der Prinz und die Kronprinzessin, die kaum Sorgen hatten. Vielleicht einmal davon abgesehen, dass Hauslehrer und Gelehrte sie ununterbrochen bedrängt hatten und die Kahyalar nervös um sie herumgeschwirrt waren, während Zeliha irgendein neues Abenteuer ausrief und Kadou hinter sich herschleifte.

»Ehrlich gesagt«, fuhr sie fort, »ich kann mir gar nicht vorstellen, ein Baby zu haben, ohne dass sechs Kahyalar bereitstehen, um zu helfen. Und selbst dann verschwinden sie immer im falschen Moment. Kannst du sie mal nehmen? Mir fallen gleich die Arme ab. Sie ist schwerer, als sie aussieht.«

Kadou zog den Stuhl näher heran, und zu zweit schafften sie es, ihm Eyne in die Arme zu legen, wobei das Kind nur ein paar Mal vor sich hin brummelte, jedoch nicht aufwachte. Sie war schon merklich größer und pummeliger als noch in der Woche zuvor. Kadou hatte keine Ahnung gehabt, dass Babys so schnell wuchsen. »Wenn du die Jagd selbst nicht genießen kannst, warum hast du uns dann alle hier rausgeschleppt?«

Zeliha stieß einen tiefen Seufzer aus und streckte und lockerte die steifen Arme. »Ich bin es furchtbar leid, dauernd von Azuta Melachrinos zu hören. Ich habe so viel Falschgeld angestarrt, dass mir schon die Augen wehtun.«

»Sind es wenigstens … schlechte Fälschungen?«, fragte Kadou ohne große Hoffnung.

»Sieh selbst.« Zeliha nahm zwei Münzen aus ihrer Tasche und hielt sie ihm hin. Einen goldenen Altın und eine silberne Yira. Er ließ Eyne mit einer Hand los und berührte vorsichtig und mit einem Gefühl, als würde er sich womöglich selbst Unglück bringen, den Altın.

Als das Metall seine Haut berührte, zuckte er zusammen. Seine Gabe, durch Berührung etwas schmecken zu können – der Sinn der Araşti für Metall –, zeigte sich schwach, nur in Form eines Hauchs von sensorischer Erinnerung. Das Gefühl an den Fingerspitzen, als er das Falschgeld berührte, war wie das dumpfe, hohle Schepperneines leeren Eimers, der auf eine Steinplatte fiel. Es fühlte sich so erschreckend falsch an, dass er die Hand wegriss und die Finger krümmte, bevor er es erneut versuchte.

Er versank in einer seiner beiden frühesten Erinnerungen aus Kindheitstagen. Er reichte den Erwachsenen damals gerade bis zum Knie, hatte sich an den Rock des Seidenkaftans seiner Mutter geklammert und vor lauter Schüchternheit sein Gesicht darin vergraben, wenn Fremde ihn ansahen. Und es waren so viele Fremde, die ihn angesehen hatten, ihn anlächelten und sich vor ihm und Mama verbeugten. Um sie herum war viel los gewesen, ein lautes Durcheinander von Geräuschen und Gesprächen, und die Luft roch rußig und schmutzig. Es war sehr warm gewesen, und Mama unterhielt sich mit einer der Fremden und streichelte ihm nur abwesend über das Haar, während er sein Gesicht an ihr Bein gedrückt hatte.

Mama hatte sich gebückt, ihn aufgehoben und ihn sich auf die Hüfte gesetzt. Er vergrub sein Gesicht in ihren Haaren und an ihrem Hals, um sich zu verstecken, aber sie sagte: »Sieh nur, Schätzchen, das ist dein Großvater.« Als er hinschaute, hatte sie eine Münze hochgehalten – perfekt, rund und glänzend wie die Sonne, mit einem kleinen Bild vom Profil seines Großvaters, der seine Krone trug.

»Schau mal, wie die nette Dame sie herstellt.« Und die lächelnde Fremde, die vor Mama am Amboss gesessen hatte, nahm mit einer Zange eine flache, glatte Goldscheibe von einer Platte neben dem Feuer, legte sie zwischen zwei geheimnisvolle Eisenstücke auf den Amboss und schlug mit einem Hammer darauf. Ein lautes, klares Dröhnen erklang, bei dem er zusammengezuckt war. Dann hatte sie den Hammer beiseitegelegt, den oberen Teil von dem Ding abgenommen, auf das sie geschlagen hatte, und – da war wieder, wie von Zauberhand, Großvaters Bild entstanden.

Die Fremde hatte die Münze herausgenommen und sie seiner Mama gereicht, die sie ihm in die Hand drückte. Sie war noch ein wenig warm vom Feuer gewesen, als hätte sie in der Sonne gelegen. »Weißt du, wie viel Gold in einem Altın steckt, Schätzchen?«, hatte seine Mama gefragt.

Er antwortete mit einem kleinen Flüstern, damit die Fremden ihn nicht hören konnten: »Neun, acht, sechs.« Sie hatte so strahlend gelächelt wie die frisch geprägte Münze, ihn auf die Wange geküsst und ermahnt, auf seinen Altın gut aufzupassen und ihn nicht in den Mund zu nehmen.

Neun, acht, sechs. Neunhundertsechsundachtzig Teile puren Goldes von jeweils tausend, das wusste er jetzt. Das entsprach einem Feingehalt, der Jahrhunderte zuvor festgelegt und über Generationen und Dynastien hinweg nie verändert worden war. Er besaß diesen Altın immer noch. Und selbst jetzt schmeckte er noch einen Teil der Signatur des Münzgoldes – also von richtigen, echten Münzen – als klaren, glockenähnlichen Schlag eines Hammers auf einen Stempel. Diese Fälschung musste zum größten Teil aus Gold bestehen, denn der Rest der Signatur erschien ihm fast genauso wie immer – wie das geschmeidige Fließen von warmer, dicker Sahne, die aus einem Krug gegossen wurde, oder das Aufblitzen der Sonne auf einer stillen Wasseroberfläche. Als er die Münze von Zelihas Handfläche nahm und sie zwischen den Fingerspitzen rieb, um das Metall so gründlich wie möglich zu kosten, konnte er noch weitere Unterschiede erkennen. Das funkelnde Wasser schmeckte leicht rötlich, wie vom Licht des Sonnenuntergangs beschienen oder als wäre es vom Rauch eines Waldbrands gefärbt.

Er untersuchte die Münze jetzt mit geübten Blicken, statt nur mit den Sinnen der Fingerspitzen, und konnte erkennen, dass es eine hervorragend gefertigte Fälschung war. Hätte sie auf einem Tisch gelegen, vielleicht zwischen echten Altınlar, hätte er ihr keine Beachtung geschenkt. Ihm war ein wenig übel und er legte die Münze in Zelihas Hand zurück.

Seine Schwester steckte die Münzen mit einem Schnauben wieder ein und murmelte: »Ja, so ein Gesicht haben auch alle anderen Tastschmecker gemacht.«

Kadou überraschte das nicht. Die Beständigkeit des Wertes ihrer Münzen war das Fundament, auf dem ihre Nation aufgebaut war. Das Handelsimperium der Araşti war so gewaltig und robust, dass ihre Währung rund um das Meer der Schlangen und an vielen Orten darüber hinaus verwendet werden konnte. Jeder wusste, dass man einer Münze der Araşti vertrauen konnte. Wenn ein Kaufmann in Imakami, Map Sut, Oissos, Aswijan, Mangar-Khagra, Kaskinen oder N’gaka einen Altın angeboten bekam, konnte er genau einschätzen, wie hoch der relative Wert der Münze war.

Die Macht des Landes stammte nicht von einer Schwertklinge, nicht von riesigen eroberten Gebieten und auch nicht von der Marine, obwohl Araşt über die schnellsten Schiffe der Welt verfügte. Ihre Macht beruhte vielmehr auf dem Klirren von Münzen, einer geöffneten Hand und einem Lächeln. Ihr Reich war vor allem auf dem Fundament seines guten Rufs erbaut.

»Die Botschafterin von Oissos zeigt nicht den geringsten Sinn für Anstand«, fuhr Zeliha fort. »Sie folgt mir auf Schritt und Tritt und deklamiert, als stünde sie mitten in ihrem Senat. Ich weiß nicht, wer auf den Gedanken gekommen ist, ein Senat wäre eine gute Idee. Er scheint nur einen Haufen nerviger, machtgieriger Bürokraten hervorzubringen.«

Kadou drückte Eyne ein wenig fester an sich und schüttelte die Hand, um die Sinneserinnerung der verunreinigten Münze loszuwerden. »Ich weiß nicht«, sagte er leise. »Irgendwem muss es einmal vernünftig erschienen sein.« Manchmal dachte er, dass es vielleicht schöner wäre, Macht zu wählen, statt mit ihr geschlagen zu sein. Für ihn fühlte sich das Leben eines Prinzen oft so an, als säße er auf dem Rücken eines gefährlichen Wildpferdes, das jeden um sich herum beißen oder zertrampeln konnte, der nicht selbst auf einem Pferd saß. Er musste sich ständig vor dem Pferd in Acht nehmen, damit es ihm nicht die Zügel aus der Hand riss und ihn aus dem Sattel katapultierte. Und wer konnte schon wissen, ob er der beste Reiter war, um dieses spezielle Pferd zu zähmen, nur weil er in die Rolle hineingeboren worden war?

Andererseits hatte Zeliha schon recht – der oissische Senat schien tatsächlich vorwiegend machthungrige Bürokraten anzuziehen.

»Wie dem auch sei«, fuhr seine Schwester fort. »Es ist ein schöner Tag, und die Ermittlungen gegen Azuta Melachrinos werden nicht schneller gehen, ob ich nun um sie herumwusele oder nicht. Ich brauchte eine Pause und etwas frische Luft und Unterhaltung. Es gibt wirklich nichts Unterhaltsameres, als einem Haufen pingeliger Leute dabei zuzusehen, wie sie auf ihren Ponys durch die Gegend trotten und versuchen, etwas zu töten, ohne sich die Hände oder den Saum schmutzig zu machen.« Sie begutachtete das Tablett mit den Früchten genaustens, ohne Kadou anzusehen. »Und ich habe dich vermisst«, fügte sie hinzu. »Du nennst mich in letzter Zeit meistens Majestät, und das vermittelt mir das Gefühl, sehr weit von dir entfernt zu sein.« Sie zuckte mit den Schultern und vermied es weiterhin, ihn anzusehen.

»Ich vermisse dich auch«, antwortete er leise. Dann biss er sich auf die Unterlippe und beschäftigte sich eingehend damit, die Falten von Eynes Wickeldecke zu glätten. Die Kleine war mittlerweile wach und sah ihn ernst an, während er das tat. Ihre Augen waren riesig und nahmen bereits ein dunkles Grau an, ein Versprechen darauf, dass sie eines Tages das klassische, bläuliche Schwarz der Familie Mahisti haben würden, genau wie seine Augen und die von Zeliha.

»Und«, sagte Zeliha mit verändertem Tonfall, »ich muss noch mit dir darüber reden, was auf dem Fest der Kahyalar passiert ist, als du deinen Höflichkeitsbesuch dort gemacht hast. Wie ich hörte, warst du sehr unartig.«

Er verschluckte sich beinahe, und nur weil er Angst hatte, Eyne fallen zu lassen, unterdrückte er eine Woge der Panik.

Irgendjemand musste ihn bei dem Besuch dabei beobachtet haben, wie er mit Tadek gesprochen hatte.

Götter, begriff er jäh, natürlich hatte man es beobachtet. Tadek und er waren ganz offen miteinander umgegangen und nicht im Mindesten subtil …

Es gab Zeiten, da handelte Kadou einfach und begriff erst später, in einem Anflug niederschmetternder Demütigung wie jetzt gerade, wie sein Verhalten auf andere wirken musste. In letzter Zeit war dieses Thema vor allem wegen der Probleme mit Eynes leiblichem Vater sehr präsent. Er schlich um Kadou herum, funkelte ihn an, beäugte ihn eingehend und machte mit jedem Blick deutlich, dass er glaubte, Kadou würde etwas im Schilde führen.

Doch wer konnte ihm das zum Vorwurf machen? Siranos’ Familie war vor zwei Generationen durch die Machenschaften eines eifersüchtigen zweiten Sohnes zugrunde gerichtet worden. Er hatte keinen Grund zu glauben, dass Kadou sich anders verhalten würde. Die meisten Menschen in seiner Position, vermutete Kadou, wären nicht überglücklich darüber, sich einen Schritt weiter vom Thron entfernen zu können. Aber es machte ihn nervös, die Zielscheibe eines solchen Verdachts zu sein. Er zweifelte ständig an sich selbst, war besorgt und verwirrt über die eigenen Beweggründe. Nachts lag er wach und fragte sich, ob er seiner Schwester und seiner Nichte in dieser Angelegenheit unausweichlich Schaden zufügen würde, auch wenn ihm diese Möglichkeit unvorstellbar erschien.

Jemand hatte ihn bei dem Höflichkeitsbesuch mit Tadek reden sehen. Wie sollte er das erklären? Gab es dazu irgendeine Geschichte, die akzeptabel gewesen wäre?

In der Nacht von Eynes Geburt war Kommandantin Eozena in den Tempel gekommen, in dem Kadou gebetet hatte, um ihn über den Einbruch in der Schiffsbauergilde zu informieren. Sie hatte ihn gebeten, sich um die Angelegenheit zu kümmern, da Ihre Majestät im Wochenbett läge und indisponiert sei. Dann hatte sie ihn in die herrschaftlichen Verwaltungsräume begleitet, damit sie in aller Eile Befehle zur Sicherung der Gilde und zum Verbot, die Stadt zu verlassen, verfassen konnten. Sie wollten sich Zeit verschaffen, bis sichergestellt sein würde, dass sich das wichtigste Geheimnis, das in der Gilde gehütet wurde, in Sicherheit befand und nicht … gestohlen worden war.

Es war nach Mitternacht gewesen, als Eozena gegangen war, um die Ausführung der Befehle zu überwachen. Kadou und Melek, einer der ihm persönlich zugewiesenen Kahyalar, waren zurückgeblieben, um die Akten zu durchforsten und herauszufinden, ob die Gilde in letzter Zeit irgendwelche anderen Zwischenfälle oder Befürchtungen gemeldet hatte.

Sie hatten bis zu den Ellbogen in Dokumenten gestanden, als Siranos hereingekommen war und zu erfahren verlangt hatte, was Kadou da tue. Er hatte ihn mehr oder weniger bezichtigt, einen Angriff auf Ihre Majestät und seine neugeborene Tochter zu planen. Kadou hatte dem widersprochen – natürlich hatte er widersprochen, der Gedanke war ihm unerträglich –, aber Siranos war außer sich geraten und hatte Kadou so fest am Arm gepackt, dass er blaue Flecke bekam … Nur Melek, so entschlossen und ruhig, dass çe nicht einmal çire Stimme zu erheben brauchte, hatte Siranos schließlich davon überzeugt, von Kadou abzulassen und zu gehen.

Es spielte keine Rolle, dass Zeliha am nächsten Morgen, als Kadou ihr Bericht erstattete, all diese Vorfälle vom Tisch wischte – alle, von denen er ihr berichtet hatte, jedenfalls, natürlich mit Ausnahme der Einzelheiten dessen, was Siranos gesagt und getan hatte, denn ihr davon zu erzählen, hätte sich wie Vergeltung angefühlt, als würde er einen großen Wirbel um nichts machen. Wie eine erneute Eskalation des Konflikts, nachdem Melek sich solche Mühe gegeben hatte, ihn zu entschärfen. Schließlich war es kein Verbrechen, dass Siranos in der Nacht der Geburt seines leiblichen Kindes ein wenig durcheinander gewesen war. Aber im Stillen glaubte Kadou nicht, dass sein Entschluss, den Frieden zu wahren, eine Rolle spielen würde. Genauso wenig wie die Tatsache, dass Zeliha Eozenas Entscheidung, die Verantwortung an ihn zu delegieren, freudig zugestimmt hatte. Kadou tat, was er bei solchen Vorfällen immer tat – er biss sich daran fest, untersuchte die Begebenheit aus jedem Blickwinkel, zerbrach sich darüber den Kopf und verzehrte sich vor Angst, bis er nur noch ein zitterndes Nervenbündel war. Er konnte auch in der darauffolgenden Woche nicht aufhören, darüber nachzudenken … warum war Siranos ihm gegenüber so argwöhnisch? Sah er etwas in Kadou, was Kadou selbst noch nicht wahrnahm?

All das wäre aber noch in Ordnung gewesen, doch dann …

Dann hatte er Tadek seine Ängste anvertraut – einem weiteren Kahya, den er schon seit einiger Zeit kannte und dem er einmal … nah gewesen war. Tadek, mit dem zu reden ihm so leichtfiel, selbst über Dinge, die Kadou anderen gegenüber nicht auszusprechen wagte.

Tadek hatte ihn getröstet und beruhigt, ihm die Hände geküsst, ihn angelächelt und angeboten, sich umzuhören, ob irgendjemand etwas darüber gehört haben könnte, was Siranos so wütend und misstrauisch machte. Das war der Punkt, an dem die Dinge heikel geworden waren. Sogar schon vor diesem Moment, bemerkte er jetzt, als sich seine Perspektive änderte und er in der Lage war, die Dinge aus der Sicht eines Außenstehenden zu betrachten: Einen Kahya auf Siranos anzusetzen, war gleichbedeutend damit, ihn beschatten zu lassen. Jeder andere würde leicht zu diesem Schluss kommen.

Zeliha verfügte über ein ganzes Ministerium voller professioneller Spione. Deren Aufgabe bestand einzig darin, all das zu wissen, was in den Winkeln des Palastes, in jeder Gasse der Hauptstadt und in jedem Dorf auf dem Land vor sich ging.

Natürlich hatte sie davon erfahren. Irgendjemand würde ihr berichtet haben, dass Tadek, der Kadou im letzten Jahr als Bediensteter zugeteilt gewesen war, sich plötzlich nach Siranos, dessen Motiven und nach jedem Gerücht über ihn erkundigte. Auch das wäre noch verzeihlich gewesen. Aber Tadek war ein Kahya der Kernwache, und das bedeutete Loyalität und Hingabe und eine gewisse Neigung dazu, weit mehr zu tun als nur seine Pflicht.

Tadek – der schlaue Tadek, der gewitzter war, als ihm guttat, und in dessen Haselnussaugen immer ein schalkhafter Ausdruck funkelte – hatte genau das getan. Er hatte seinen Kahyalar-Kameraden noch weitere Fragen gestellt. Fragen, die Kadou ihm ganz bestimmt nicht mit auf den Weg gegeben hatte und die er selbst niemals stellen würde.

Als Kadou der riesigen Feier der Kahyalar zu Ehren der Geburt der Prinzessin einen offiziellen Besuch abgestattet hatte, war Tadek durch die Menge zu Kadou gekommen und brachte ihm Neuigkeiten, Geheimnisse und Geflüster wie Gastgeschenke. Sie hatten den Hof der Garnison kurz für einen diskreten Spaziergang verlassen. »Ich kenne ein Dutzend Kahyalar, die glücklich für Euch sterben würden«, hatte Tadek gemurmelt, als wäre das etwas gewesen, was Kadou wollen würde. Über ihnen hatte das Feuerwerk geknistert und gezischt und sich hell auf der Oberfläche des Wäscheteichs der Garnison gespiegelt, während sie um dieses kleine Gewässer geschlendert waren und Tadek ihm im Flüsterton von all seinen Entdeckungen berichtet hatte. »Ich selbst, Hoheit, würde natürlich mein Leben geben, um Euch zu beschützen, und das ohne jedes Zögern, vor allem gegen einen … Nun, wir dürfen ihn noch nicht als Schurken bezeichnen, oder?«

Bei den Göttern, was hatte er nur getan? Er hatte seine eigenen Spione angeheuert.

»Ich bin … ich habe nicht … ich kann nicht …« Er zitterte leicht und Eyne gab einen kleinen Laut von sich. »Es ist kompliziert. Ich schwöre, es ist nicht so, wie es aussieht. Ich habe mir nichts dabei gedacht und …«

»Meine Güte, hol mal Luft, Kadou!« Zeliha starrte ihn an. »Was um alles in der Welt ist los mit dir?«

»Es tut mir wirklich leid«, sagte er. In seinen Augen brannten Tränen.

Zeliha richtete sich auf. »Kadou, bei den Göttern, beruhige dich. Ich wollte doch nur … oh.« Sie lächelte und drohte ihm spielerisch mit dem Zeigefinger. »Kluger Junge. Du ziehst mich auf, nicht wahr?« Zufrieden lehnte sie sich wieder zurück. »Es ist Verschwendung, dass du nur Herzog der Häfen bist, weißt du. Vielleicht sind General Mirizes Lektionen über Kriegstaktiken bei dir doch nicht ganz auf taube Ohren gestoßen.«

Er atmete tief durch, wie seine Herrscherin es befohlen hatte. »Ich ziehe dich nicht auf. Ich meine es ernst. Ich … Du hast recht, mir sind einige Irrtümer unterlaufen, und ich habe es nicht böse gemeint. Ich hätte mehr darüber nachdenken sollen, wie es auf andere Menschen wirken könnte …« Er ertappte sich dabei, dass er Eyne fester an sich drückte. Es war tröstlich, sie in den Armen zu halten.

»Götter! Du ziehst mich also nicht auf, hm? Meine Güte, du hast doch nur mit ihm geschäkert, oder?«

Moment … »Was?«

»Na gut, Alkohol war auch im Spiel. Und scheinbar eine sehr amüsante Ansprache? Gut gemacht! Nach allem, was man hört, war es eine der besten Reden, die wir je auf einer Feier der Kahyalar gehalten haben, jedenfalls erzählen mir das alle so. Den Rest hat scheinbar niemand weiter beachtet. Warum regst du dich deswegen so auf?«

Sie sprach gar nicht von Siranos? Das Atmen fiel ihm jetzt wieder leichter. »Ich … Ich dachte, du hättest vielleicht, ähm, das Gefühl gehabt, mein Benehmen wäre schändlich gewesen.«

Wieder zuckte sie mit den Schultern. »Es gibt Zeiten für schickliches Benehmen, und es gibt Zeiten, da muss man, nun, seine Schärpen lockern … sozusagen.« Sie warf ihm einen schiefen Blick von der Seite zu, und er spürte, wie er dunkelrot anlief, sodass er wünschte, die Hände frei zu haben, um das Gesicht zu verbergen. Plötzlich hatte er den Verdacht, dass Zeliha ihm den Säugling aus genau diesem Grund in die Arme gelegt hatte.

»Es ist nichts an einem Spaziergang bei Mondschein auszusetzen, an einem so romantischen Ort wie einem Wäscheteich. Es war doch ein Wäscheteich, oder?«

Der diskrete Spaziergang hatte sie tatsächlich zu einer Art Teich geführt, doch Kadou hatte kaum etwas davon mitbekommen.

»Aber ich sollte besser aufhören, dich zu necken, sonst errötest du noch so heftig, dass dir ein Blutgefäß platzt.« Sie senkte die Stimme. »Doch ganz im Ernst … Tadek Hasira? Wirklich?«

Er fand einen losen Faden, mit dem er am spitzenbesetzten Saum von Eynes Wickeldecke herumspielen konnte. »Was soll mit ihm sein?«

»Du siehst ihn in der letzten Zeit wieder häufiger. Und nicht nur bei Spaziergängen im Mondschein, wie ich höre.«

»So ist das nicht.«

»Er scheint aber zu denken, dass es so ist. Hör mal, ich habe kein Problem damit, dass du dir theoretisch einen Liebhaber nimmst. Und wenn dein Herz gerufen wird – oder welcher Körperteil auch immer … Vielleicht geht es ja gar nicht um Herzen …«

»Zeliha!«

»Tut mir leid, schön, tut mir leid. Wenn einer unserer Kahyalar dein Herz berührt, dann vertraue ich darauf, dass du deine Sorgfaltspflicht erfüllst und vernünftige, ehrliche Gespräche mit ihm über die komplexen Probleme führst, die auftreten könnten. Erwartungen und so weiter. Meine Bedenken haben allerdings nichts damit zu tun. Ich hinterfrage nur deinen Geschmack, was diese … besondere Person betrifft.«

Die leise Furcht, die er jedes Mal beim Gedanken an Tadek verspürte – zu viel Initiative, zu gerissen, zumindest mehr, als ihm guttat, und er stellte Fragen, auf die Kadou die Antworten gar nicht kennen wollte –, verhinderte zumindest, dass er errötete. »So ist es nicht mehr. Es war einmal so und dann haben wir … es beendet. Er ist versetzt worden.

Jetzt …«, er machte eine unbestimmte Handbewegung, »reden wir nur noch … manchmal.«

Zeliha schaute noch skeptischer drein. »Du schläfst also nicht mit ihm?«

Ihre Beziehung, wenn man es denn so nennen konnte, war kurz gewesen. Als Zeliha ihre Schwangerschaft bekannt gab, war Kadou bei dem Gedanken, sie zu verlieren, außer sich vor Angst gewesen. Tadek, der vor der Tür von Kadous Gemächern postiert gewesen war, hatte einige Male miterlebt, wie er einem Nervenzusammenbruch nah gewesen war. Der Kahya war so freundlich und warmherzig gewesen. Er hatte sich bemüht, die Situation aufzulockern, Kadou ein Lächeln zu entlocken, hatte ihm die Hand gehalten und ihn getröstet, und dann … war es passiert. Sie wussten beide, dass nichts daraus werden konnte – sie hatten sogar darüber geredet, immer noch nackt und klebrig von Schweiß. Doch Tadek hatte Kadous Sorgen und ethische Bedenken lachend abgetan, ihn auf die Augenlider geküsst und ihm gesagt, dass er Seiner Hoheit zu Diensten sei, solange Seine Hoheit es verlange und in welcher Funktion auch immer er es wünsche. Letzteres murmelte er, während er Kadous Hals und Nacken mit sinnlichen Küssen bedeckte. Dass Tadek dies als Teil seiner Aufgaben oder seiner Pflicht betrachtete, machte die Sache für Kadous moralisches Empfinden nicht besser. Aber er hatte solche Angst gehabt und sich so allein gefühlt, und er hatte tief im Herzen gespürt, dass er keinem anderen Menschen ein Wort von seiner Feigheit und dem eingebildeten Schrecken erzählen konnte. Tadek war alles gewesen, was er hatte, sein einziger Vertrauter, und Kadou hatte sich zu sehr nach Trost gesehnt, um dessen Offerten abzulehnen, so, wie er es hätte tun sollen. So vergingen die Monate, und irgendwann war es an der Zeit gewesen, die Posten in der Kernwache neu zu verteilen. Da Kadou Tadek nicht um dessen weitere Anwesenheit gebeten hatte, waren ihre Intimitäten zu einem natürlichen Ende gekommen – bis Tadek ihm während eines erneuten Panikanfalls wieder über den Weg lief und Kadou in einem weiteren Moment der Schwäche nachgegeben und sich ihm wegen Siranos anvertraut hatte.

»Ich schlafe nicht mehr mit ihm!«, sagte Kadou nun nachdrücklich. »Wirklich nicht. Es ist nur … Er ist nett.« Manchmal. Irgendwie. Er war außerdem hinterlistig und eine leidenschaftliche Tratschtante. Tadek nahm nichts wirklich ernst, was manchmal … frustrierend war, obwohl Kadou schreckliche Schuldgefühle hatte, dass er so etwas auch nur dachte.

»Nett«, überlegte Zeliha laut. »Er ist nett. Die jungen Männer müssen ja angesichts solch poetischer Worte ins Schwärmen geraten. Oder?« Sie warf einen Blick auf ihn und stieß ein Schnauben aus. »Der Gewitterblick steht dir besser als das Erröten. Aber ernsthaft – nett? Das ist das Beste, was du über ihn sagen kannst?«

»Nun …« Er wurde unruhig und rückte Eyne in eine bequemere Position. Wie sollte er das erklären? Es war schwierig, Tadeks Worte zu gewichten. Worte waren günstig zu haben, und Tadek verfügte über so viele, dass er sie hierhin und dorthin schleuderte, als würde er Hühner füttern. Trotzdem mochte er ihn, denn er war im Grunde ein guter Mensch, und Kadou war gern in seiner Gesellschaft. Er mochte es, wenn Tadek ihn zum Lachen brachte oder ihn von dem ablenkte, was ihm gerade zu schaffen machte.

Aber es war schwierig, irgendeine Art von intimer Beziehung zu ihm aufrechtzuerhalten, nicht nur wegen ihrer jeweiligen Stellung, sondern auch, weil der Versuch frustrierend war, herauszufinden, was Tadek von ihm wollte, außer das Bett mit ihm zu teilen. Vielleicht wollte er auch gar nichts anderes als Kadous Wertschätzung, die er sowieso bekam.

Vielleicht ähnelte es sogar dem, was Zeliha in Siranos sah, was immer es auch sein mochte. Sowohl in ihrer als auch in Kadous Position war es gleichermaßen kompliziert, einen Partner oder Geliebten zu haben, daher nahmen sie, was sie bekommen konnten, und baten nicht um mehr als das, was die betreffende Person zu geben bereit war. Und wenn sie jemanden fanden, der sie als Menschen wahrnahm und auch so behandelte, wussten sie es zu schätzen und hielten daran fest.

Zeliha stieß einen tiefen Seufzer aus. »Du brauchst höhere Standards. Sicherlich gibt es irgendjemanden im Palast, von dem du eine höhere Meinung hast als nur nett.«

»Nicht wirklich. Nicht so.«

Zeliha richtete sich höher auf und schaute an Kadou vorbei. »Da wir gerade von Geliebten sprechen – Wir werden das Gespräch später fortsetzen«, entschied sie energisch und fügte überraschend hinzu: »Siranos, willkommen. Willst du dich nicht zu uns gesellen?«

Kadou erstarrte.

Zeliha, die vielleicht etwas von der Spannung spürte, die in dem Moment, in dem Siranos Eyne in Kadous Armen entdeckte, exponentiell anstieg, schob sie aus dem Pavillon bis zu den Pferden. Als die Jagdmeisterin ihr Horn ertönen ließ, sagte sie: »Also, passt aufeinander auf und kommt bald zurück.«

Das durchkreuzte Kadous zuvor sorgfältig durchdachte Pläne, still und leise im hinteren Teil des Jagdtrupps zu verschwinden und die Landschaft und die relative Abgeschiedenheit zu genießen. Stattdessen war er nun verpflichtet, neben Siranos zu reiten, umringt von dessen Wachen und Kadous eigenen Kahyalar – zu denen, mochten die Götter ihm beistehen, auch Tadek gehörte. Schon machte dieser eine respektvolle Verbeugung und zwinkerte ihm frech zu, als würden ihre Blicke sich zum ersten Mal treffen. Dann schlenderte er auf Kadou zu, um Wings Zügel zu halten, während der Prinz aufstieg.

»Eure Hoheit«, murmelte er. »Seid Ihr wohlauf?«

»Einigermaßen«, antwortete Kadou leise.

Tadeks leuchtende Augen fanden erneut seinen Blick. Kadou erwartete ein schiefes Grinsen oder eine kokette Bemerkung, aber Tadeks Blick huschte zu Siranos hinüber. »Soll ich neben Euch reiten?«, fragte Tadek jetzt wieder völlig unbeschwert. »Ich habe jede Menge albernen Tratsch, den ich zum Besten geben kann.«

Und da war es wieder – ein hervorragendes Beispiel dafür, warum Kadou sich jedes Mal einen Tritt verpasste, wenn er versucht war, sich über Tadek zu ärgern. Die gleichen Dinge, die er häufig so ermüdend fand, konnten unter anderen Umständen erstaunlich nützlich sein.

Aber er konnte sich nicht uneingeschränkt auf Tadek verlassen, und nach dem Gespräch mit Zeliha … Er unterdrückte den Impuls nachzugeben. »Nicht heute«, flüsterte er. »Ich sollte mich zumindest etwas bemühen.«

Tadek warf Siranos einen weiteren scharfen und abschätzenden Blick zu. Das machte Kadou noch nervöser, als es Tadeks schamloses Schäkern bereits getan hatte. »Wie Ihr wünscht, Hoheit. Gebt mir ein Zeichen, falls Ihr Eure Meinung ändert. Heute besteht Eure Garde aus Gülpaşa, Balaban, Yulad, Selçuk und mir. Wir haben eigens darum gebeten, Euch zugewiesen zu werden.«

Einfach wunderbar. Die Person, bei der er am vorsichtigsten sein musste, und die vier treuesten von Kadous Anhängern, wie Tadek behauptete. Was für eine schlechte Idee es gewesen war, ihn um Hilfe bei etwas zu bitten, das geheim bleiben sollte. Mehrmals hatte Kadou jetzt schon versucht, Tadek zu erklären, dass dieser auf der falschen Fährte sei, dass er missverstanden hatte, worum es Kadou gegangen war. Doch Tadeks einzige Antwort hatte wieder und wieder darin bestanden, Kadous Handflächen zu küssen und ihm zu versichern, dass er, Tadek, alles unter Kontrolle habe.

Siranos ritt einen Wallach mit glänzend schwarzem Fell, der etwas schwerer war, als Kadou es bei Jagdpferden bevorzugte – seine Stute Wing entstammte einer zierlich gebauten Rasse aus dem südlichen Qeteren, die für Distanzritte durch die Gebirgsausläufer am Rande der Wüste gezüchtet wurde. Sie trug die Farbe des Sandes, eine Schattierung, die vintische Pferdemeister Isabellin nannten, eine Mischung aus Honig und Sahne, die schimmerte wie blasses Gold.

Siranos hatte nicht mit ihm gesprochen, als er in Zelihas Pavillon erschienen war, und nun redete er ebenfalls kein Wort mit ihm. Kadou sehnte sich danach, sich umzudrehen und Tadeks Blick zu suchen, ihm zu erlauben, etwas zum Besten zu geben, wie er es angeboten hatte. Bestimmt würde er harmlosen Klatsch über die Ergebnisse der jüngsten Prüfungen verbreiten. Darüber, wer von den Kahyalar es verdient hatte, von der Randwache in die Kernwache befördert zu werden, wer in den engeren Regierungsdienst versetzt werden würde und so weiter. Doch Kadou widerstand dem Drang, also hielt das frostige Schweigen an, unterbrochen nur vom Klirren des Zaumzeugs, vom Knirschen alten Laubes unter den Hufen der Pferde, vom Hecheln der Hunde, die neben ihnen herliefen, und von den Stimmen anderer Menschen, die redeten, lachten oder in der Ferne sangen.

Es lag in der Natur der Sache, dass Jagden häufig aus langen ruhigen (oder sogar langweiligen) Perioden bestanden, gefolgt von plötzlichen und hektischen Aktivitäten. Hier war es nicht anders. Nachdem sie etwa eine Stunde geritten waren, sah Kadou aus dem Augenwinkel etwas aufblitzen und riss Wing im nächsten Augenblick auch schon herum. Er rief den anderen einige Worte zu und trat der Stute in die Flanken. Sie preschte durch das Unterholz, und Kadou erhaschte einen Blick auf die Beute – es war eine kleine graue Hirschkuh. Wing holte bereits auf.

Mit einer Hand löste er den Kurzbogen vom Sattel und zog einen Pfeil aus dem Köcher, den er an der Hüfte trug. Das Unterholz war hier dünner und vor ihm lag eine lange, ebene Fläche. Er hatte ein freies Schussfeld.

Die Hunde kamen hinter ihm kläffend aus dem Wald geschossen, und er schlang Wings Zügel um den Sattelknauf, duckte sich auf dem Pferd, legte den Pfeil an, hakte die Sehne mit dem Daumenring ein und zog sie bis an sein Ohr …

Etwas krachte von der Seite in ihn hinein. Der Pfeil rutschte ab und flog ins Leere. Dann kippte die Welt. Kadou griff noch hektisch nach dem Sattelknauf, nach den Zügeln, nach Wings Mähne … bevor er mit voller Wucht auf dem Waldboden aufschlug. Nur der Gnade der Götter war es zu verdanken, dass er sich nicht mit den Füßen in den Steigbügeln verheddert hatte. Benommen und atemlos lag er da, bis ins Mark erschüttert. Einige Schritte von ihm entfernt lag sein Bogen. Die Hunde, die weiterhin die Beute verfolgten, wuselten um ihn herum und sprangen über ihn hinweg.

In seinen Ohren rauschte es und er hörte jemanden wie in weiter Ferne brüllen. Er konnte sich nicht dazu überwinden, sich zu bewegen, alles tat ihm weh; so beobachtete er nur, wie Wing langsamer wurde und nach vier Schritten stehen blieb, genau wie sie es gelernt hatte …

Hufe donnerten um ihn herum. Er hörte das Sirren von Bogensehnen, das schleifende Geräusch von Klingen, die aus ihren Scheiden gezogen wurden, Rufe …

»Hochverrat! Heimtücke!«

Er blinzelte und rollte sich auf den Rücken. Sein rechter Arm und seine Seite pochten vor Schmerz.

»Waffen niederlegen!«, hörte er Tadek rufen.

Scheiße, dachte Kadou. Er richtete sich auf und sah gerade noch, wie seine Kahyalar auf ihren Pferden herumwirbelten und sich mit gezückten Waffen auf Siranos und dessen Wachen stürzten. Im nächsten Moment, und noch bevor er ihnen etwas zurufen konnte, ertönten die markerschütternden Schreie verletzter Pferde und Soldaten. »Hochverrat!«, brüllte jemand. »Schafft ihn hier weg!« Die Worte wurden auf Oissisch gerufen – es war eine von Siranos’ Leibwachen.

Kadou rappelte sich hektisch auf. »HALT!«, schrie er, »Aufhören!«

Zwei Pferde strauchelten bereits, fielen auf die Knie und starben, während das Blut aus den großen Säbelwunden in ihren Hälsen auf die Blätter am Boden spritzte. Drei Menschen fielen ebenfalls direkt vor seinen Augen – er konnte nicht erkennen, wer es war, nur die Farben ihrer Uniformen machte er aus: zwei in dem Blau-Weiß des Hauses Mahisti, einer ohne Uniform – aus Siranos’ persönlichem Gefolge. Alle drei wiesen Säbelverletzungen auf, und auf einen der Männer waren vier Pfeile abgefeuert worden – einer traf ihn ins Auge, die anderen in Schulter, Brust und Seite.

Kadou wurde übel. Die Zeit schien sehr langsam zu vergehen. »Aufhören!«, schrie er noch einmal. »So wahr Ihr mich liebt, lasst Eure Waffen fallen!«

Es war reiner Zufall, dass Tadek das Pferd wendete und Kadou erblickte. »Hoheit!« Der Ausdruck aufrichtiger Erleichterung und Furcht auf seinem Gesicht konnte keine Heuchelei sein.

Kadou tat einen Satz vorwärts, packte die Zügel von Tadeks Pferd, zerrte es aus dem Getümmel und brüllte noch einmal: »AUFHÖREN!«

Nun stimmte Tadek mit ein, wodurch sie die Lautstärke verdoppelten.

Der Kampf geriet ins Stocken und Siranos’ verbliebene Garde floh zurück in Richtung Lager – Siranos selbst war nirgendwo zu sehen.

Kadou spürte den qualvollen Schmerz jetzt bei jedem Atemzug und presste sich die Hand auf die verletzte Seite.

Tadek sprang vom Pferd und fing ihn mit beiden Armen auf. Kadou stöhnte. Ich bin angeschlagen, aber nicht ernsthaft verletzt, dachte er. Tadek lehnte sich etwas zurück, und tastete Kadous Gesicht, seine Schulter und seine Seite ab. Tadeks Augen füllten sich mit Tränen, wie Kadou vage bemerkte. »Er zog einen Pfeil, und dann … ist etwas mit seinem Pferd passiert, und er ist mit Euch zusammengeprallt. Ich dachte, es wäre Absicht gewesen. Ich habe Euch fallen sehen – ich dachte, Ihr wärt … Ich schwöre, er hatte ein Messer in der Hand, ich schwöre es …«

Wahrscheinlich nur ein Glitzern der Sonne auf der Pfeilspitze. »Es geht mir gut«, stieß Kadou zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Kümmert Euch um die anderen – die Toten.«

»Wir müssen Euch von ihnen wegschaffen!«, sagte Tadek kopfschüttelnd. »Nehmt Euer Pferd, reitet zum Lager, reitet um Euer Leben …«

»TADEK!«, brüllte er. Tadek schrak zusammen und hielt inne. »Niemand hat versucht, mich zu töten!«

»Ich weiß, was ich gesehen habe!«

Doch selbst Kadous Verfolgungswahn konnte daran nichts ändern, dass es ein Unfall gewesen war, da war er sich sicher. Tadek hatte so viel Zeit mit Klatsch und Tratsch verbracht, dass er Gespenster sah, wo keine waren.

Er stieß Tadek ohne einen weiteren Blick beiseite und humpelte zu den beiden gefallenen Kahyalar. Wieder drehte sich ihm der Magen um. Er presste sich eine Hand auf den Mund und ließ sich langsam auf die Knie sinken. Dann berührte er zuerst Gülpaşas Gesicht und anschließend das von Balaban.

Tot. Eindeutig tot – sie hatte eine lange Schnittwunde am Hals. Er war von Pfeilen durchbohrt worden. Kadou betrachtete auch Siranos’ Leibwache: ein junger Mann, jünger noch als Kadou selbst. Er kannte seinen Namen nicht. Er schluckte hörbar und schaute auf. Die anderen Kahyalar waren blutverschmiert. »Es tut mir leid«, sagte er und seine Stimme brach. »Es war nicht … Ich habe im Sattel den Halt verloren, das ist alles. Ich habe nicht …«

Er konnte Tadek nicht einmal einen Vorwurf daraus machen, dass er die Kahyalar in Alarmbereitschaft versetzt hatte.

Er hatte nur getan, was Kadou ihm aufgetragen hatte. Kadou hatte ihm die Idee in den Kopf gesetzt, dass Siranos vielleicht versuchen würde, ihm etwas anzutun. Daher sah Tadek in diesem banalen Missgeschick sofort etwas viel Schlimmeres. Dumm von Tadek, aber noch dümmer von ihm selbst.

Mit zitternden Händen hievte er sich hoch und wischte sich mit den Ärmeln seines Kaftans die Blätter und den Dreck vom Gesicht.

Sie schwiegen, bis Zelihas Kahyalar eintrafen, ein Ansturm aus Pferden und Rüstungen. Von ihnen flankiert ritten Kadou und seine Männer zurück zum Palast. Als sie durch das Jagdlager kamen, sah Kadou nur bleiche und verstörte Gesichter unter den Kadetten und Dienern. Sie bauten bereits die Zelte ab und luden die Vorräte auf die Wagen.

Zelihas Kahyalar führten ihn in den Thronsaal, ein großer Raum mit einem Boden aus schwarzem Marmor. Eine der Längsseiten war offen und wurde von einer Reihe von Bogen gesäumt, die auf einen überdachten Balkon führten. Von dort aus konnte man weit über die Stadt und das Meer dahinter blicken. Der Thron, ein imposanter Diwan, der breit genug war, dass drei Personen bequem nebeneinander darauf sitzen konnten, stand am gegenüberliegenden Ende des Saals. Strahlendes Gold und Weiß auf einem Podest, überspannt mit einem Baldachin aus reich besticktem blauem Samt, der wie eine prunkvollere Version des Zeltes im Jagdlager aussah.

Zeliha schritt vor dem Podest auf und ab und fuhr abrupt zu ihm herum, als ihr Kahya ihn vorwärts stieß – ihn stieß! Ein einziger Blick von ihr genügte und er machte sich klein.

»Was. Ist. Passiert.«

»Sie dachten«, begann er, aber ihm versagte die Stimme und er musste sich räuspern. »Sie dachten, ich sei verletzt worden. Tot.«

»Wer dachte das?«

»Meine Kahyalar.« Er biss sich auf die Lippe. »Es ging einfach … so schnell. Es ist innerhalb … innerhalb von Sekunden passiert.«

Sie antwortete nicht, sondern sah ihn nur streng an, wie Granit, wie Feuer.

»Es war nicht Siranos’ Schuld, du darfst ihn nicht dafür verantwortlich machen. Ich habe eine Hirschkuh gesehen und sie verfolgt, und Siranos war in meiner Nähe, und sein Pferd … irgendetwas ist passiert. Ich weiß nicht, vielleicht hat er das Gleichgewicht verloren, jedenfalls bin ich von Wing heruntergefallen.« Er deutete auf seine Kleidung, den Dreck am Stoff, auf die Blätter und Grasflecken. »Meine Kahyalar waren etwas weiter weg. Sie haben nur den Zusammenstoß und meinen Sturz gesehen und sind vom Schlimmsten ausgegangen. Aber es war nur ein Unfall.«

»Das scheint mir furchtbar praktisch zu sein«, entgegnete sie leise, obwohl ihre Stimme deswegen nicht weniger scharf klang. »Nein – das scheint mir unlogisch zu sein. Beide Seiten der Geschichte!«

»Ich weiß nicht, was ich dir sonst sagen soll. Tadek …«

»Ah«, unterbrach sie ihn, »ja, Tadek. Tadek, dem du so nah bist. Lass uns über Tadek reden, ja?« Sie stieg auf das Podest, setzte sich langsam auf den Thron, zog einen Fuß hoch und stützte einen Arm auf dem Knie ab. »Du hast gesagt, ihr wärt kein Liebespaar mehr. Wann seid ihr euch denn wieder nähergekommen?«

»Wir … wir sind nur auf dem Fest der Kahyalar am Teich entlangspaziert und davon weißt du bereits«, antwortete er. Wie viel wusste sie darüber hinaus? Er sollte ihr besser noch den Rest gestehen, doch seine Zunge fühlte sich wie ein Holzklotz an.

»Und was ist dort noch passiert?«

»Wir haben geredet. Er hat mir angeboten, mich zurück zu meinen Gemächern zu begleiten. Ich habe abgelehnt.«

»Du lässt etwas aus!«, knurrte sie. »Zwischen der Absage an Tadek an jenem Abend und dem Umstand, dass Tadek sich auf meinen Geliebten und den leiblichen Vater meines Kindes stürzt und was von Verrätern schreit, liegt eine Kluft so breit wie das Meer.« Sie kniff die Augen zusammen. »Und ich weiß zufällig, dass er dich vor eurem Gespräch in deinen Gemächern besucht hat, ohne dass du ihm eine Nachricht geschickt hättest. Zumindest nicht über irgendwelche offiziellen Kanäle. Es war sein freier Tag, und er hat sich dafür entschieden, einen Teil davon in deinen Gemächern zu verbringen. Also seid ihr euch scheinbar nicht erst auf dem Fest der Kahyalar nähergekommen. Weißt du, als du sagtest, du würdest nicht mehr mit ihm schlafen, hab ich mir schon gedacht, du würdest vielleicht … lass uns nicht das Wort lügen benutzen. Sagen wir stattdessen, du wärest diskret gewesen.«

»Es … es war die Nacht von Eynes Geburt. Er hat das Feuerwerk gesehen und ist gekommen, um mir zu gratulieren. Das ist alles.« Und statt Kadou in einem Zustand der Freude vorzufinden, hatte er ihn mitten in einem Anfall angetroffen, einem von der schlimmeren Art. Einem Anfall, bei dem die Furcht mit solcher Wucht über ihn gekommen war, dass er sich nur noch zu einem Ball hatte zusammenzurollen und zittern können, bis ihm die Knochen klapperten. Vielleicht hatte Tadek die Dinge ernster genommen, als Kadou bewusst gewesen war. Tadek hatte ihn beruhigt und alle Sorgen Kadous für nichtig erklärt. Doch Kadou hatte alles ausgeplappert, nur damit Tadek es verstand – alles über Siranos’ Anschuldigungen früher am Abend, wie er ihn des Verrats bezichtigte, und darüber, wie Siranos handgreiflich geworden war …

»Sag es mir«, verlangte Zeliha. »Hasst Tadek Siranos oder hasst du ihn?«

»Weder noch«, stieß Kadou mit erstickter Stimme hervor. »Weder noch! Tadek trifft keine Schuld!«

»Wenn ihn keine Schuld trifft, dann trifft sie dich. Er ist Teil deiner Garde. Er steht unter deinem Kommando, und jetzt sind drei Menschen tot und zwei weitere verletzt. Zwei Pferde sind im Getümmel umgekommen und zwei weitere mussten anschließend von ihrem Elend erlöst werden. Also, was ist passiert?«

»Siranos«, murmelte er mit belegter Stimme, die Kehle wie zugeschnürt. Ihm zitterten die Hände heftiger denn je. »Es war in der Nacht, als Eozena zu mir in den Tempel kam, wie ich es dir erzählt habe, in der Nacht des Einbruchs in der Schiffsbauergilde, in der Nacht, als Eyne geboren wurde. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also gingen Eozena und ich in deine Arbeitsräume – das habe ich dir ebenfalls erzählt, und auch, dass Siranos mich dort gesehen und zur Rede gestellt hat.«

»Ja, ich entsinne mich«, antwortete sie frostig. »Was hast du ausgelassen?«

»Er hat alles Mögliche von sich gegeben. Er dachte, ich würde mich in irgendetwas einmischen. Er beschuldigte mich, aus illoyalen Motiven heraus Ränke zu schmieden. Er hatte Angst«, fügte Kadou schnell hinzu. »Das ist alles. Er wusste nicht, warum die Kahyalar meine Befehle befolgten. Er ist ein Oissika. Er wusste nichts von …«

»Er ist kein Idiot«, zischte Zeliha. »Warum hast du niemandem von Siranos’ Anschuldigungen erzählt? Warum hast du mir nichts davon erzählt? Warum hast du Melek schwören lassen, kein Wort darüber zu verlieren?«

Nach einem langen Moment des Schweigens antwortete er: »Ich habe es Tadek erzählt. Ich hatte Angst. Einfach nur Angst, das ist alles. Ich bin zu meinen Gemächern zurückgekehrt, und Tadek ist unerwartet aufgetaucht, um mir zu gratulieren. Und er hatte es geschafft, dass es mir besser ging, und … und ich bat ihn … Er hat nur versucht, mich zu beschützen.«

»Also hasst Tadek Siranos sehr wohl.«

»Nein!«

»Was immer du zu ihm sagtest«, erwiderte sie langsam und leise, »was immer du über Siranos gesagt hast, hat Tadek dazu getrieben, ihn für dich töten zu wollen. Er wollte es nicht nur, er war bereit dafür. Vorbereitet. Er war in Alarmbereitschaft, und das wegen etwas, das du gesagt hast.«

»Es ist meine Schuld«, brachte Kadou schließlich mit trockenem Mund hervor. »Ist es das, was du von mir hören willst? Es stimmt. Ich weiß, dass es so ist. Ich habe es in dem Moment gewusst, in dem es geschah. Dennoch war es ein Unfall, ich schwöre es. Schwester … Schwester, ich schwöre es dir, ich wollte nie, dass jemand verletzt wird. Beim Himmel und bei den Meeren, ich schwöre es.«

»Und doch hattest du Geheimnisse vor mir. Du hast mir nicht vertraut.«

»Es tut mir leid.« Er wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Ich hätte es dir erzählen sollen. Es ist nicht so, dass ich dir nicht vertraut habe, aber …«

»Aber was?«

»Ich dachte, es würde dich belasten«, flüsterte er. »Du bist sehr beschäftigt, erst recht jetzt, mit Eyne, und ich wollte keinen Unfrieden stiften … Und ich habe befürchtet, er könne recht haben, ich wäre zu weit gegangen, hätte vielleicht etwas getan, was dir schadet. Aber das will ich nicht. Ich würde das niemals wollen. Du bist meine Schwester.«

Sie seufzte, stand auf und ging auf den Balkon hinaus, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. »Ich habe Siranos schon zuvor erklärt, dass ich seine Meinung in Bezug auf dich nicht teile. Er hat mir seine Bedenken dich und deine Position betreffend mehrmals vorgetragen. Ich dachte, es würde reichen, das alles zu ignorieren. Jetzt erkenne ich, dass dem nicht so war. Das ist wohl nie eine Lösung.« Sie ging auf dem Balkon auf und ab.

Kadou war sich nicht sicher, ob er ihr folgen oder stehen bleiben sollte. Er blieb stehen. »Er fand dein Verhalten anrüchig und verdächtig. Er dachte, du würdest herumschleichen. Das war das Wort, das er benutzte, und ich habe erwidert, dass du lediglich deine Pflicht tätest.

Ihr beide habt mich in eine unangenehme und unglückliche Lage gebracht. Wenn ich diese Probleme nicht angehe, werden sie wachsen. Du und ich, wir wissen beide, dass sie das tun werden. Unsere Lehrer haben dafür gesorgt, dass wir es wissen. Du hast Macht aufgrund deiner Geburt, er hat ein wenig Macht aufgrund von Eynes Geburt, im Guten wie im Schlechten, unabhängig davon, ob ich ihm einen Anspruch auf sie zugestehe.« Sie presste die Lippen aufeinander, doch dann seufzte sie. »Wenn ich die Zeit um zehn Monate zurückdrehen könnte, würde ich mir selbst raten, mich nicht zu sehr auf eine Person zu … fixieren. Ich würde mir selbst raten, mich mit einem weiteren Geliebten zu treffen oder mit zweien, um Verwirrung zu stiften. Das wäre besser gewesen, sauberer. Aber ich habe leichtfertig hingenommen, dass Siranos der leibliche Vater ist, und jetzt hat er einen gewissen naturgegebenen Anspruch auf Eyne, selbst wenn nichts davon vor den Augen des Gesetzes Anerkennung findet.« Sie machte auf dem Absatz kehrt. Der Rock ihres kurzen Kaftans wirbelte ihr um die Knie herum, und die Ledersohlen ihrer bestickten Pantoffeln quietschten auf dem Boden. »Also, es muss etwas getan werden, solange das Problem noch klein und leicht zu handhaben ist, bevor es noch schlimmer wird, als es ohnehin schon der Fall ist.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Bevor es noch mehr Ähnlichkeit mit dem bekommt, was in Siranos’ Familie passierte, als sein Großvater noch jung war.«

Kadou senkte den Blick. Ein eifersüchtiger jüngerer Bruder war passiert. Kein Wunder, dass Siranos ihn hasste.

»Ich werde nicht dulden, dass kindische Streitereien an meinem Hof zu einer blutigen Angelegenheit werden, bei der Stahl zum Einsatz kommt. Ich werde nicht dulden, dass vor meinen Augen so schwerwiegende Auseinandersetzungen stattfinden. Aber wie löse ich das Problem, ohne meine Beziehungen zu meinem Bruder oder dem leiblichen Vater meiner Thronfolgerin zu zerstören?« Sie schien nicht auf eine Antwort aus zu sein; sie erweckte nicht einmal den Eindruck, als würde sie noch mit ihm reden.

»Die Lösung liegt, denke ich, darin, Zurückhaltung zu üben, welche weder du noch Siranos bisher habt walten lassen. Vielleicht ist es verständlich, dass solche Unannehmlichkeiten, um eine poetische Untertreibung zu benutzen, entstehen können. Die Anspannung war groß. Die Dinge sind für uns alle neu und anders – ich bin erst seit nicht einmal zwei Jahren Sultanin. Und jetzt Eyne. Also sollte ich vielleicht, bevor ich irgendwelche drastischen Maßnahmen ergreife, der Wurzel des Problems zu Leibe rücken: der Anspannung. Dem Chaos.« Sie drehte sich um und sah Kadou an. »Du brauchst ein wenig Zeit. Du hast dich bei Hofe nie wohlgefühlt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass all diese neuen Positionen und Verpflichtungen leicht für dich gewesen sind. Also! Ich rate dir dringend, eine Pause zu machen. Vielleicht verbringst du den Sommer in der Jagdhütte in den Bergen. Lass alles hinter dir, genieße ein wenig Frieden und Ruhe und frische Luft. Ich werde dafür sorgen, dass andere all deine Angelegenheiten in der Stadt erledigen.«

»Du schickst mich fort«, sagte Kadou. Er fühlte sich … leer. Leer, bis auf einen Schmerz dort, wo sein Herz hätte sein sollen. »Du schickst mich ins … Exil?«

»Exil ist ein sehr starkes Wort«, sagte Zeliha und hob den Zeigefinger. »Und das ist definitiv nicht das, was ich tue. Aber du bist für den Tod von drei Menschen verantwortlich, Kadou«, fügte sie hinzu. »Diese Entscheidung ist meinem Egoismus geschuldet. Wenn ich eine bessere Herrscherin wäre, würde ich dich härter bestrafen.« Sie starrte ihn finster an.

»Ich wollte nicht, dass jemand verletzt wird. Ich hatte nur Angst.«

»Wenn du solche Angst vor Siranos hast, dass du auf Schatten losgehst und mir nicht mal zutraust, dich zu beschützen, dann brauchst du etwas anderes, etwas, das deine Aufmerksamkeit auf andere Dinge lenkt.«

»Ich bin aber noch für die Untersuchung des Vorfalls in der Schiffsbauergilde verantwortlich.«

»Leutnant Armagan hat diese Angelegenheit bestens unter Kontrolle«, fuhr sie ihn an. »Und ich bin mir sicher, dass wir auch ohne deine Beaufsichtigung zurechtkommen. Also, sag mir bitte, warum du im Palast sein solltest?«

Einen Vorteil hatte chronische Feigheit, nämlich den, dass er ein enges Verhältnis zur Angst hatte. Weil seine Nerven ihn immer wieder panisch auf eine bevorstehende Katastrophe hingewiesen hatten, konnte er jetzt, in einem echten verhängnisvollen Moment, nach einem Ort der inneren Ruhe suchen und ihn auch finden. Allein die Tatsache, dass er sich diese schreckliche Sache nicht nur, wie sonst, einbildete, war ein Trost und eine Erleichterung.

»Das wird nicht gut aussehen«, wandte er ein. »Wenn irgendjemand herausfindet, dass ich fort bin … Die Leute werden nicht wissen, was du in diesem Raum gesagt hast.« Ihm zitterte die Stimme ein kleines bisschen, aber nicht annähernd so stark, wie er es erwartet hatte. Den Göttern sei Dank, dies war real, etwas Konkretes, gegen das er kämpfen konnte. Nicht nur ein erdrückendes Gefühl von vagem Grauen, dem er hilflos ausgeliefert war. »Wenn es so aussieht, als hättest du deinen kleinen Bruder ins Exil geschickt, und genauso klingt es … ist die Wirkung die Gleiche …«

Ihr funkelnder Blick wurde noch stechender. »Das ist nicht das, was ich tue.«

»Wie viele Kahyalar wissen Bescheid über das, was heute passiert ist? Alle werden es erfahren, wenn sie es nicht schon längst wissen – dir ist doch klar, wie gern sie tratschen. Eintausenddreihundertundsieben allein im Palast und dabei zähle ich nicht mal die Kadetten mit. Ihre Familien werden bis zum Abendessen davon erfahren haben, ihre Nachbarn werden es morgen bis zum Mittagessen hören und der Rest der Stadt wird übermorgen beim Frühstück davon wissen. Es ist eine schlimme Situation, für die ich die Verantwortung trage. Aber wenn du mich fortschickst, wird es noch viel schlimmer werden. Es wird aussehen, als ob …«

»Als ob wir schwach wären?«, blaffte sie. »Als ob mein Bruder und der leibliche Vater der Thronfolgerin sich direkt vor meiner Nase bekriegen?«

»Zeliha«, wisperte er. Er wünschte sich so sehr, dass sie jetzt seine Schwester wäre statt seine Sultanin. »Die erste Lektion.«

Drei Worte, die sie innehalten ließen.

»Erinnerst du dich daran, wie alt wir waren?«, fragte er. »Mir selbst ist nicht viel davon im Gedächtnis geblieben.«

»Ich war neun, du warst fünf«, antwortete sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Du warst zu jung für diese Lektion, aber du hast gebettelt und gebettelt und wolltest unbedingt mitkommen. Ich konnte dich nicht abschütteln. Und anschließend hast du es bereut, nicht wahr? Du hast tagelang geweint.«

»Die erste Lektion: Benutze Macht nicht impulsiv oder im Zorn«, sagte Kadou. »Das wäre, als würdest du die Hand in ein Feuer halten, aber die Menschen, die kleiner und schwächer sind als du, sind diejenigen, die sich verbrennen.«

»Du bist nicht so viel kleiner und schwächer«, versetzte sie schroff.

»Aber die Kahyalar sind es. Ihre Familien sind es.« Ihr Blick verlor kurz an Härte. »Wenn du mich wegschickst, hast du mich bestraft und deinen Zorn befriedigt, und ich werde todunglücklich sein. Aber du weißt genauso gut wie ich, dass wir nicht die Leidtragenden sein werden, wenn das Konsequenzen nach sich zieht. Was ist, wenn … Was ist, wenn N’gaka denkt, wir seien schwach und abgelenkt, sodass es den Entschluss fasst, unser Bündnis zu brechen und einzumarschieren? In einem Krieg würden Tausende sterben, ehe wir es täten.«

Sie lachte spöttisch. »Ein unwahrscheinliches Szenario.«

»Vielleicht, aber nicht unmöglich. Wir haben keine Ahnung, wie sich diese Sache auf irgendetwas auswirken wird. Wir haben keine Möglichkeit, es vorherzusagen, und auf dem Schachbrett stehen viel zu viele Figuren, um den Preis einschätzen zu können. Wir sind die Nachfahren von Kaufleuten – bist du bereit, etwas zu kaufen, ohne den Preis zu kennen?« Hatte er sie überzeugt? Funktionierte diese Art der Argumentation überhaupt? Wäre es besser gewesen, sich an ihren Ärmel zu klammern und zu weinen und zu betteln, als wäre er wieder fünf Jahre alt? Das war in ihrer Kindheit immer recht nützlich gewesen. Vielleicht würde es auch jetzt seinen Zweck erfüllen. »Bitte«, sagte er, weil er der Versuchung nicht widerstehen konnte, es zu probieren. »Bitte. Du kannst mir jede Strafe auferlegen, die du willst. Aber behandele es so weit wie irgend möglich wie eine Familienangelegenheit.«

»Eine Familienangelegenheit?«, wiederholte sie ungläubig. »Mit zwei toten Kahyalar, einem toten Oissika und mehreren Verletzten? Du weißt doch, dass die oissische Botschafterin wegen Azuta Melachrinos und ihrem Falschgeld ohnehin schon wütend auf mich ist.«

»Ein Grund mehr, daraus keinen nationalen Zwischenfall zu machen«, sagte er schnell. »Mit dem Falschgeld und der Schiffsbauergilde gibt es schon zu viele Brände, die gelöscht werden müssen. Sag der Botschafterin, es sei ein Jagdunfall gewesen und dass wir um ihren toten Landsmann trauern und … und dass wir seiner Familie Geld schicken und ihn ebenso ehren werden wie unsere gefallenen Kahyalar.«

»Und Siranos?«, fragte sie. »Was für einen großartigen Plan hast du für ihn?«

Oh, schick ihn bloß weg,