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Die Geschichte spielt im Jahr 1482. In den gewölbten gotischen Türmen der Kathedrale Notre-Dame lebt Quasimodo, der bucklige Glöckner. Wegen seines Aussehens verspottet und gemieden, wird er nur von Esmeralda bemitleidet, einer schönen Zigeunertänzerin, der er völlig verfallen ist. Esmeralda hat jedoch auch die Aufmerksamkeit des finsteren Erzdiakons Claude Frollo, Quasimodos Ziehvater, auf sich gezogen, und als sie seine lüsternen Annäherungsversuche zurückweist, schmiedet Frollo einen Plan, um sie zu vernichten. Aber nicht nur Quasimodo und sein düsterer Herr sind in hoffnungsloser Liebe zu der Tänzerin entbrannt – auch der tapfere Soldat Phoebus und der Dichter Gringoire verfallen Esmeralda… Ein verrückter Priester, ein vagabundierender Dramatiker, ein aufstrebender Soldat und ein missgestalteter Glöckner – sie alle sind von der Schönheit und dem Charme eines Zigeunermädchens fasziniert und gefesselt. Wer wird sie verraten und wer wird ihr treu bleiben, selbst im Schatten des Galgens? Diese bunt zusammengewürfelte Gruppe von Geächteten findet Zuflucht in den Mauern des größten Monuments des mittelalterlichen Paris, der großen Kathedrale Notre Dame. Im Laufe der Geschichte wird den Leserinnen und Lesern klar, dass nicht nur die menschlichen Charaktere, sondern auch die große Kathedrale selbst im Mittelpunkt der Geschichte steht. Victor Hugos sensationeller, stimmungsvoller Roman über dunkle Leidenschaften und unerwiderte Liebe erweckt das mittelalterliche Paris zum Leben und betrauert sein Vergehen in einem der größten historischen Romane des neunzehnten Jahrhunderts. Dieses ist der dritte von insgesamt drei Bänden.
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VICTOR HUGO
ROMAN
in drei Bänden
Band Drei
Der Glöckner von Notre Dame wurde im französischen Original (Notre-Dame de Paris. 1482) zuerst veröffentlicht von Gosselin, Paris 1831.
Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
1. Auflage 2022
V 1.0
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
Band Drei (eBook)
ISBN 978-3-96130-464-6
Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de
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Der Glöckner von Notre Dame
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Die Geheimnisse von Paris. Band 1
Mit Feuer und Schwert. Band 1: Der Aufstand
Quo Vadis? Band 1
Bleak House. Band 1
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Verstand und Gefühl
Stolz und Vorurteil
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Inhaltsverzeichnis
Der Glöckner von Notre Dame. Band Drei
Frontispiz
Impressum
Band Drei
Einleitung
ACHTES BUCH
1. Der in ein dürres Blatt verwandelte Taler
2. Fortsetzung der Geschichte vom Taler
3. Ende der Geschichte vom Taler
4. Lasciate ogni speranza
5. Die Mutter
6. Drei verschieden gebildete Menschenherzen
NEUNTES BUCH
1. Fieber
2. Bucklig, einäugig, lahm
3. Taub
4. Steingut und Kristall
5. Der Schlüssel zur Roten Pforte
6. Fortsetzung der Geschichte vom Schlüssel zur Roten Pforte
ZEHNTES BUCH
1. Gringoire hat mancherlei gute Gedanken
2. Werdet ein Landstreicher!
3. Es lebe die Fröhlichkeit!
4. Der ungeschickte Freund
5. Die Einsamkeit
6. »Messer in der Tasche«
7. »Châteaupers zu Hülfe!«
ELFTES BUCH
1. Der kleine Schuh
2. La creatura bella bianco vestita
3. Heirat des Phöbus
4. Heirat des Quasimodo
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Zu guter Letzt
Vor einigen Jahren fand der Verfasser dieses Buches beim Besuche, oder besser gesagt, beim Durchsuchen von Notre-Dame, in einem versteckten Winkel des einen der Türme das Wort:
ΑΝΑΓΚΗ
mit der Hand in die Mauer eingegraben.
Diese großen griechischen Buchstaben, die vor Alter schwarz geworden und ziemlich tief in den Stein eingekratzt waren, hatten in ihren Formen und Stellungen so eigentümliche, an die gotische Schreibkunst erinnernde Züge, dass man in ihnen die mittelalterliche Hand erriet, welche sie da angeschrieben hatte. Überdies ergriff der düstere und unheimliche Sinn, den sie enthielten, den Autor in lebhafter Weise.
Er fragte sich, er suchte zu erraten, wer wohl die bedrängte Seele sein konnte, welche diese Welt nicht hatte verlassen wollen, ohne dieses Denkzeichen eines Verbrechens oder Unglücks an der Front der alten Kirche zu hinterlassen.
Seitdem hat man die Mauer mit Mörtel übertüncht, oder irgendjemand sie abgekratzt, und die Inschrift ist verschwunden. Denn so verfährt man seit bald zweihundert Jahren mit den wundervollen Kirchen des Mittelalters. Verstümmelungen erleiden sie von allen Seiten, von innen so wie von außen. Der Priester übertüncht sie, der Baumeister kratzt sie ab; schließlich kommt das Volk darüber und demoliert sie.
Daher ist außer dem schwachen Andenken, welches der Autor dieses Buches ihm hier widmet, heute nichts mehr von dem geheimnisvollen, im düstern Turme von Notre-Dame eingegrabenen Worte übrig; nichts mehr von dem unbekannten Schicksale, welches es in so schwermütiger Weise zum Ausdruck bringt. Der Mensch, welcher das Wort auf die Mauer geschrieben hat, ist vor mehreren Jahrhunderten aus der Mitte der Geschlechter verschwunden, das Wort gleichfalls von der Mauer verwischt, und die Kirche wird vielleicht selbst bald von der Erde verschwinden.
Gerade über dieses Wort ist vorliegendes Buch geschrieben worden.
März 1831.
*
Gringoire und der ganze Wunderhof befanden sich in einer entsetzlichen Unruhe. Seit einem ganzen Monate wußte man nicht, was aus der Esmeralda geworden war: was den Herzog von Ägypten und seine Freunde, die Bettler, aufs höchste betrübte; ebenso wenig wußte man, was mit ihrer Ziege geworden war: was namentlich den Schmerz Gringoire's verdoppelte. Eines Abends war die Zigeunerin verschwunden und hatte seitdem kein Lebenszeichen mehr von sich gegeben. Alle Nachforschungen waren fruchtlos geblieben. Einige neckische Landstreicher teilten Gringoire mit, dass sie ihr an jenem Abende in der Gegend der Sanct-Michaelsbrücke begegnet wären, wie sie mit einem Offiziere davon gegangen sei; aber dieser Ehemann nach Zigeunerbrauch war ein ungläubiger Philosoph; und überdies wußte er besser, als irgend jemand, wie sehr seine Frau noch Jungfrau war. Er hatte sich ein Urteil bilden können, welche unbezwingliche Schamhaftigkeit sich aus der Kraft des Amuletes und der Tugendhaftigkeit der Zigeunerin – beides vereinigt – ergaben; und er hatte mathematisch genau die Widerstandskraft dieser Keuschheit gegen die zweite Möglichkeit berechnet. Er war also nach dieser Seite hin beruhigt.
Demnach konnte er sich dieses Verschwinden nicht zusammenreimen. Das war sein tiefer Kummer. Er wäre noch magerer darüber geworden, wenn das ein Ding der Möglichkeit gewesen wäre. Er hatte darüber alles vergessen, sogar seine literarischen Neigungen, selbst sein großes Werk: »De figuris regularibus et irregularibus,« welches er mit dem ersten Gelde, das er bekommen würde, drucken zu lassen ausgerechnet hatte (denn er faselte vom Drucke, seitdem dass er das »Didascalon« des Hugo von Sanct-Victor, welches mit den berühmten Typen des Wendelin von Spira gedruckt ist, gesehen hatte.)
Eines Tages, als er trübselig vor dem Criminalgefängnisse vorbeiging, bemerkte er eine ziemliche Menschenmenge an einer der Türen des Justizpalastes.
»Was gibt's da?« fragte er einen jungen Mann, welcher herauskam.
»Ich weiß nicht, mein Herr,« antwortete der junge Mann. »Man sagt, dass eine Frau abgeurteilt wird, welche einen Offizier erdolcht hat. Wie es scheint, steckt Hexerei dahinter; der Bischof und der Official haben sich in die Sache gemengt, und mein Bruder, welcher Archidiaconus von Josas ist, haftet mit seinem Leben dafür. Nun wollte ich mit ihm sprechen, aber ich habe nicht an ihn kommen können wegen des Gedränges, was mir sehr unangenehm ist, denn ich brauche Geld.«
»O weh, mein Herr!« sagte Gringoire, »ich wollte, ich könnte Euch welches leihen; aber wenn meine Hosentaschen durchlöchert sind, so sind die Taler nicht schuld daran.«
Er wagte nicht, dem jungen Manne zu sagen, dass er seinen Bruder, den Archidiaconus, kenne, zu welchem er seit der Scene in der Kirche nicht hingegangen war: eine Nachlässigkeit, die ihn in Verlegenheit setzte.
Der Student setzte seinen Weg fort, und Gringoire schickte sich an, der Menge zu folgen, welche die Treppe zum großen Verhandlungssaale hinaufdrängte. Er hielt dafür, dass es nichts Besseres gäbe, die Melancholie zu verjagen, als einen Criminalproceß, bei dem die Richter gewöhnlich so viel lächerliche Albernheiten zum besten geben. Das Volk, unter das er sich gemischt hatte, ging vorwärts und drängte sich schweigend weiter. Nach einem langsamen und langweiligen Trippeln unter einem langen Gange hin, der sich im Palaste, wie der Grundkanal des alten Bauwerkes, hinschlängelte, gelangte er an eine niedrige Türe, die in einen Saal führte, welchen, über die Köpfe der wogenden Menge hinweg, seine Körperlänge gestattete mit dem Auge zu prüfen.
Der Saal war groß und düster, was ihn noch größer erscheinen ließ. Der Tag ging zur Neige; die hohen Spitzbogenfenster ließen nur einen blassen Lichtstrahl hereindringen, der halb erlosch, ehe er bis zur Wölbung, einem ungeheuern Gitterwerk aus Steingebälk, vordrang, dessen zahllose Figuren in der Dunkelheit bunt durcheinander zu laufen schienen. Hier und da standen schon mehrere angezündete Kerzen auf Tischen und warfen ihre Strahlen auf die Köpfe der Schreiber, welche auf Aktenbündel geneigt waren. Der vordere Teil des Saales war vom Volke besetzt; zur Rechten und Linken saßen Männer in Amtskleidern an Tischen; im Hintergrunde, auf einer Erhöhung, zahlreiche Richter, deren letzte Reihen sich in der Dunkelheit verloren, mit starren und finstern Gesichtern. Die Mauern waren mit zahllosen Lilien besäet. Man unterschied undeutlich ein großes Kruzifix über den Richtern, und überall Piken und Hellebarden, von deren Spitzen das Licht der Kerzen strahlend zurückfiel.
»Herr,« fragte Gringoire einen seiner Nachbarn, »was stellen diese Personen vor, die da unten wie Prälaten auf dem Concile Platz genommen haben?«
»Mein Herr,« sprach der Nachbar, »zur Rechten, das sind die Oberkammerräte, und zur Linken die Untersuchungsrichter: die Meister in schwarzer Tracht und die Herren in roter Tracht.«
»Da über ihnen,« fuhr Gringoire fort, »wer ist denn der dicke Rote, der schwitzt?«
»Das ist der Herr Präsident.«
»Und jene Hammel hinter ihm?« bemerkte Gringoire, welcher, wie wir schon gesagt haben, dem Beamtenstande nicht gewogen war, was vielleicht mit dem alten Grolle zusammenhing, welchen er seit seinem dramatischen Mißgeschicke dem Justizpalaste nachtrug.
»Das sind die Herren Richter der Cassationskanzlei des königlichen Palastes.«
»Und vor ihm das Wildschwein?«
»Das ist der Herr Gerichtschreiber des Parlamentsgerichtshofes.«
»Und zur Rechten das Krokodil?«
»Meister Philipp Lheulier, der peinliche Anwalt des Königs.«
»Und zur Linken jener große schwarze Kater?«
»Meister Jacob Charmolue, der Procurator des Königs beim Kirchengerichtshofe, mit den Herren vom geistlichen Gericht.«
»Nun denn, Herr,« sagte Gringoire, »was tun denn alle diese braven Leute da?«
»Sie richten.«
»Wen richten sie? Ich sehe den Angeklagten ja nicht.«
»Es ist ein Frauenzimmer, Herr. Ihr könnt sie nicht sehen; sie dreht Euch den Rücken zu und wird uns von der Menge verborgen. Halt! Da ist sie, wo Ihr eine Anzahl Partisanen seht.«
»Was ist das für ein Weib?« fragte Gringoire. »Wißt Ihr ihren Namen?«
»Nein, Herr; ich bin eben erst hereingekommen. Ich nehme nur an, dass es sich um Zauberei handelt, weil der Official dem Processe beiwohnt.«
»Nur zu!« sagte unser Philosoph, »wir werden sehen, wie alle diese Leute im Amtskleide Menschenfleisch essen. Es ist ein Schauspiel, wie alle andern.«
»Herr,« bemerkte ein Nachbar, »findet Ihr nicht auch, dass Meister Jacob Charmolue eine sehr sanfte Miene macht?«
»Herr!« antwortete Gringoire. »Ich traue keiner Sanftmut, welche scharfgeschnittene Nasenflügel und dünne Lippen hat.«
Hier geboten die Nachbarn den zwei Plauderern Ruhe. Man nahm eine wichtige Zeugenaussage entgegen.
»Gnädige Herren,« sagte mitten im Saale ein altes Weib, deren Gesicht dermaßen unter ihren Kleidungsstücken versteckt war, dass man sie einen wandelnden Lumpenhaufen hätte nennen mögen, »gnädige Herren, die Sache ist ebenso wahr, als es wahr ist, dass ich, die ich hier stehe, die Falourdel bin, die seit vierzig Jahren auf der Sanct-Michaelsbrücke wohnt, und pünktlich Abgaben, Schoß und Grundzins zahlt; es ist die Tür gegenüber vom Hause Tassin-Caillarts, des Färbers, welches auf der Seite stromaufwärts steht. Jetzt eine arme Alte, war ich einstmals ein schönes Mädchen, gnädige Herren! Seit einigen Tagen sagte man zu mir: ›Frau Falourdel, laßt Euer Spinnrad nicht zu sehr des Abends schnurren; der Teufel hechelt gern mit seinen Hörnern den Rocken alter Weiber. Es ist gewiß, dass der gespenstige Mönch, welcher vergangenes Jahr sein Wesen in der Nähe des Tempelherrenhauses trieb, jetzt in der Altstadt herumschweift. Frau Falourdel paßt auf, dass er nicht an Eure Türe klopft.‹« Eines Abends, ich spann mein Rad, klopft man an meine Türe. Ich frage, wer da ist. Es flucht jemand. Ich öffne. Zwei Männer treten ein. Ein Schwarzer mit einem schönen Offiziere. Man sah nur die zwei Augen des Schwarzen, zwei glühende Kohlen. Alles übrige war Hut und Mantel. Da sagen sie zu mir: »Die Stube zur heiligen Martha.« Das ist meine Oberstube, gnädige Herren, mein reinlichstes Zimmer. Sie geben mir einen Taler. Ich stecke den Taler in meine Schublade und sage bei mir: »Das ist dazu bestimmt, morgen Kaldaunen in der Schlächterei La Gloriette zu kaufen.« Wir steigen hinauf. Als wir in der Oberstube angekommen sind, und während dass ich den Rücken drehte, verschwand der schwarze Mann. Das setzte mich ein wenig in Erstaunen. Der Offizier, welcher schön wie ein vornehmer Herr war, steigt wieder mit mir herab. Er geht weg. Die Zeit ein Viertel Strähne zu spinnen war um, als er mit einem schönen jungen Mädchen zurückkommt, einer Puppe, die wie eine Sonne geglänzt hätte, wenn sie geputzt gewesen wäre. Sie hatte einen Bock, einen großen Bock, schwarz oder weiß, ich kann mich nicht mehr erinnern, bei sich. Das machte mich nachdenklich. Das Mädchen geht mich nichts an, aber der Bock! ... Ich habe diese Tiere nicht gern, sie haben einen Bart und Hörner. Das sieht einem Manne ähnlich. Und dann riecht es nach dem Hexensabbath. Jedoch, ich sage nichts. Ich hatte den Taler. Das ist recht, nicht wahr, Herr Richter? Ich lasse das Mädchen und den Offizier in die Oberstube hinaufsteigen, und ich lasse sie allein, das heißt mit dem Bocke. Ich steige wieder herab und setze mich wieder zum Spinnen nieder ... Ich muß Euch sagen, dass mein Haus ein Erdgeschoß und ein erstes Stockwerk hat; es geht von hinten auf den Fluss, wie die andern Häuser der Brücke auch, und das Fenster des Erdgeschosses und das Fenster des Oberstockes öffnen sich nach dem Wasser zu ... Ich war also im besten Spinnen. Ich weiß nicht, warum ich an jenen gespenstigen Mönch dachte, den der Bock mir in den Kopf gesetzt hatte, und dann war das hübsche Mädchen ein wenig wild aufgeputzt. Plötzlich höre ich einen Schrei oben, und etwas auf den Boden fallen, und wie das Fenster sich öffnet. Ich laufe zu dem meinigen, welches darunter ist, und ich sehe vor meinen Augen eine schwarze Masse vorbeischießen, die ins Wasser stürzt. Es war ein als Priester gekleidetes Gespenst. Es war heller Mondenschein. Ich habe es sehr gut gesehen. Es schwamm nach der Altstadt zu. Am ganzen Leibe zitternd rufe ich dann die Nachtwache. Die Herren von den Zwölfern treten ein, und im ersten Augenblicke sogar, da sie nicht wußten, worum es sich handelte, und weil sie vergnügt waren, haben sie mich geschlagen. Ich habe es ihnen auseinandergesetzt. Wir steigen hinauf, und was finden wir da? Meine arme Stube ganz in Blut schwimmend, den Hauptmann der Länge nach hingestreckt mit einem Dolche im Nacken, das Mädchen sich todt stellend, und den Bock ganz wütend. »Gut,« sage ich, »ich werde mehr als vierzehn Tage lang den Fußboden zu waschen haben. Ich werde ihn abkratzen müssen, das wird schrecklich werden. Man trug den Offizier davon, den armen jungen Mann! und das ganz entblößte Mädchen ... Halt! das Schlimmste ist, dass am andern Morgen, als ich den Taler nehmen wollte, um Kaldaunen zu kaufen, ich ein dürres Blatt an seiner Stelle gefunden habe.«
Die Alte schwieg. Ein Gemurmel des Entsetzens lief durch den Zuhörerraum. »Dieses Gespenst, dieser Bock, alles das riecht nach Hexerei,« sagte ein Nachbar Gringoire's. – »Und dieses dürre Blatt!« fügte ein anderer hinzu. – »Kein Zweifel,« fuhr ein dritter fort, »das ist eine Hexe, die im Verkehre mit dem gespenstigen Mönche steht, um die Offiziere auszuplündern.« Gringoire selbst war nicht abgeneigt, dieses alles entsetzlich und wahrscheinlich zu finden.
»Weib Falourdel,« sagte der Herr Präsident mit Würde, »habt Ihr dem Gerichtshofe nichts weiter zu sagen?«
»Nein, gnädiger Herr,« antwortete die Alte, »außer, dass man in dem Berichte mein Haus als ein schiefes und stinkendes Loch bezeichnet hat; was doch beschimpfend sich ausdrücken heißt. Die Häuser auf der Brücke haben kein vornehmes Aussehen, weil dort Menschen im Überflusse wohnen; aber nichts desto weniger wohnen dennoch Fleischer dort, welche reiche Leute und mit schönen, sehr reinlichen Frauen verheiratet sind.«
Der Beamte, welcher auf Gringoire den Eindruck eines Krokodils gemacht hatte, erhob sich.
»Stille!« sagte er. »Ich bitte, meine Herren, nicht aus dem Auge zu verlieren, dass man einen Dolch bei der Angeklagten gefunden hat. Weib Falourdel, habt Ihr jenes Blatt mitgebracht, in welches sich der Taler verwandelt hat, den Euch der Teufel gegeben hatte?«
»Ja, gnädiger Herr,« antwortete sie; »ich habe es wiedergefunden. Hier ist es.«
Ein Gerichtsdiener überreichte das todte Blatt dem Krokodile, welches traurig den Kopf schüttelte, und händigte es dem Präsidenten ein, welcher es dem Procurator des Königs beim Kirchengerichtshofe zustellte, so dass es die Runde im Saale machte.
»Das ist ein Birkenblatt,« sagte Meister Jacob Charmolue; »ein neuer Beweis von der Zauberei.«
Ein Rat nahm das Wort.
»Zeugin, zwei Männer sind zu gleicher Zeit bei Euch eingetreten. Der schwarze Mann, den Ihr zuerst verschwinden, nachher in Priesterkleidern in der Seine habt schwimmen gesehen, und der Offizier. Welcher von beiden hat Euch den Taler gegeben?«
Die Alte überlegte einen Augenblick und sagte:
»Es war der Offizier.«
Ein Murmeln durchlief den Saal.
»Ah,« dachte Gringoire, »das ist eine Tatsache, die meine Überzeugung schwankend macht.«
Währenddem schlug sich Philipp Lheulier, der peinliche Anwalt des Königs, von neuem ins Mittel.
»Ich erinnere die Herren daran, dass der gemeuchelte Offizier in der auf seinem Krankenbette geschriebenen Zeugenaussage erklärt, dass in dem Augenblicke, wo der schwarze Mann sich ihm zugesellt habe, der Gedanke dunkel in ihm aufgestiegen sei, dass dies sehr möglich der gespenstige Mönch sein könnte, und hinzufügte, dass das Gespenst lebhaft in ihn gedrungen sei, der Angeklagten das verabredete Stelldichein zu geben, und auf seine, des Hauptmanns, Bemerkung hin, dass er ohne Geld wäre, ihm den Taler gegeben hätte, mit dem der genannte Offizier die Falourdel bezahlt hat. Folglich ist der Taler eine Münze aus der Hölle ...«
Diese folgerichtige Bemerkung schien bei Gringoire und den andern Skeptikern des Zuschauerraumes alle Zweifel zu zerstreuen.
»Die Herren haben die Aktenstücke in Händen,« fügte der Anwalt des Königs hinzu, während er sich niedersetzte; »sie können die Aussage des Phöbus von Châteaupers zu Rate ziehen.«
Bei diesem Namen erhob sich die Angeklagte; ihr Kopf überragte die Menge, Gringoire erkannte entsetzt die Esmeralda. Sie war blaß, ihre Haare, die früher so zierlich geflochten und mit Zechinen beflittert waren, fielen wirr hernieder; ihre Lippen waren bleich, ihre hohlen Augen flößten Schrecken ein. Ach, leider!
»Phöbus!« sprach sie in Geistesverwirrung, »wo ist er? Ach, gnädige Herren, ehe ihr mich tödtet, Erbarmen, sagt mir, ob er noch lebt?«
»Schweiget, Weib,« antwortete der Präsident, »das ist jetzt nicht unsere Angelegenheit.«
»Oh! aus Mitleiden sagt mir, ob er am Leben ist!« wiederholte sie, indem sie ihre schönen abgemagerten Hände faltete; und man hörte ihre Ketten an ihrem Gewande hinunterklirren.
»Nun denn!« sagte trocken der Anwalt des Königs, »er liegt im Sterben. Seid Ihr zufrieden?«
Die Unglückliche fiel auf ihren Schemel zurück, stumm, ohne Tränen, bleich wie ein Wachsbild.
Der Präsident neigte sich nach einem Manne hin, der vor seinen Füßen saß, eine goldene Mütze und ein schwarzes Gewand trug, eine Kette um den Hals und einen Stab in der Hand hatte.
»Türhüter, führet die zweite Angeklagte herein.«
Aller Augen wandten sich nach einer kleinen Türe hin, welche sich öffnete und zum größten Schrecken Gringoire's eine hübsche Ziege mit vergoldeten Hörnern und Füßen hereinließ. Das zierliche Tier blieb einen Augenblick auf der Schwelle stehen, streckte den Hals vor, als ob sie auf einer Felsspitze stehend, einen ungeheuern Gesichtskreis unter ihren Augen gehabt hätte. Plötzlich bemerkte sie die Zigeunerin, sprang über den Tisch und den Kopf eines Schreibers hinweg, und war in zwei Sprüngen vor ihren Knien; dann rollte sie sich zierlich zu den Füßen ihrer Herrin nieder und bettelte um ein Wort oder eine Liebkosung; aber die Angeklagte blieb unbeweglich, und selbst die arme Djali erhielt keinen Blick.
»Ach ja ... es ist mein abscheuliches Tier,« sagte die alte Falourdel, »und ich erkenne sie gemach alle beide!«
Jacob Charmolue schlug sich jetzt ins Mittel.
»Wenn es den Herren recht ist, wollen wir zum Verhöre der Ziege schreiten.«
Diese war in Wahrheit die zweite Angeklagte. Es gab zu damaliger Zeit nichts Einfacheres, als einen Proceß wegen Zauberei, der gegen ein Tier angestrengt wurde. Man findet unter anderem in den Rechnungen des Amtsbezirkes für das Jahr 1466 eine merkwürdige Kostenspecification im Processe Gillet Soulards und seiner Sau, welche »für ihre Verschuldungen in Corbeil hingerichtet wurden«. Das Wichtigste dabei ist: die Kosten für die Löcher, um das Schwein hineinzustecken, die fünfhundert Reisigbündel, die am Hafen von Morsant verwendet wurden, die drei Maß Wein und das Brot, als Henkermahl des armen Sünders, das brüderlich vom Henker mit ihm geteilt wurde, sogar die elf Tage Bewachung und Fütterung des Schweines, jeder mit acht Pariser Hellern berechnet. Manchmal ging man sogar weiter, als nur Tiere zu prozessieren. Die Capitularien Karls des Großen und Ludwigs des Frommen verhängen schwere Strafen über die feurigen Erscheinungen, welche in der Luft zu erscheinen sich unterstehen sollten.
Der Procurator beim Kirchengerichte hatte inzwischen ausgerufen:
»Wenn der Teufel, welcher in diese Ziege gefahren ist, und welcher allen Beschwörungen Widerstand geleistet hat, bei seinen Behexungen beharrt, und wenn er den Gerichtshof in Schrecken versetzt, so kündigen wir ihm an, dass wir gezwungen sein werden, gegen ihn den Galgen oder den Scheiterhaufen in Anwendung zu bringen.«
Gringoire trat der kalte Schweiß vor die Stirn. Charmolue nahm die baskische Trommel der Zigeunerin von einem Tische, und während er sie der Ziege mit einer gewissen Förmlichkeit hinhielt, fragte er sie: »Wie viel Uhr ist es?«
Die Ziege sah ihn mit einem klugen Blicke an, hob ihren vergoldeten Fuß auf und machte sieben Schläge. Es war in der Tat sieben Uhr. Eine Bewegung des Entsetzens ging durch die Menge. Gringoire konnte nicht mehr an sich halten.
»Sie macht sich unglücklich!« schrie er ganz laut; »ihr sehet doch, dass sie nicht weiß, was sie tut.«
»Stille, ihr Zuhörer da unten im Saale!« rief der Türhüter heftig.
Jacob Charmolue ließ unter Anwendung der nämlichen Kunstgriffe, wie bei dem Tamburin, die Ziege mehrere andere Gaukeleien über das Datum des Tages, den Monat des Jahres u.s.w. ausführen, bei denen der Leser schon Zeuge gewesen ist. Und infolge einer optischen Täuschung, die den Gerichtsverhandlungen eigentümlich ist, waren dieselben Zuschauer, die vielleicht mehr als einmal an der Straßenecke bei den unschuldigen Schelmereien Djali's Beifall geklatscht hatten, unter den Wölbungen des Justizpalastes darüber entsetzt. Die Ziege war offenkundig der Teufel. Das wurde noch viel schlimmer, als der Procurator des Königs eine Art Ledersack voll beweglicher Buchstaben, die Djali am Halse trug, auf den Boden ausgeschüttet hatte, und man die Ziege nun mit ihrem Fuße aus dem hingestreuten Alphabete den verhängnisvollen Namen »Phöbus« heraussuchen sah. Die Zaubereien, deren Opfer der Hauptmann geworden war, schienen unwidersprechlich erwiesen, und in aller Augen war die Zigeunerin, diese bezaubernde Tänzerin, die so oft die Straßenpassanten mit ihrer Anmut geblendet hatte, nichts weiter, als eine fürchterliche Hexe.
Sie gab übrigens kein Lebenszeichen von sich; weder die zierlichen Bewegungen Djali's, noch die Drohungen der Untersuchungsrichter, noch die dumpfen Verwünschungen der Zuhörer, – nichts bewegte mehr ihr Denken. Um sie aufzuwecken, mußte ein Gerichtsdiener sie mitleidslos rütteln, worauf der Präsident mit feierlicher Stimme also anhob:
»Mädchen, Ihr seid vom Stamme der Zigeuner und den Hexereien ergeben. Ihr habt in Gemeinschaft mit der behexten Ziege, welche mit in den Proceß verwickelt ist, in der Nacht des letzten neunundzwanzigsten März, im Einverständnis mit den Mächten der Hölle, unter Beihilfe Eurer Reize und Ränke, einen Hauptmann vom Commando der Königsschützen, Phöbus von Châteaupers, ermordet und erdolcht. Beharrt Ihr beim Leugnen?«
»Entsetzen!« schrie das junge Mädchen, und verbarg ihr Antlitz in ihren Händen. »Mein Phöbus! ach! das ist die Hölle!«
»Beharrt Ihr beim Leugnen?« fragte der Präsident kalt.
»Ja, ich leugne es!« sagte sie mit schrecklichem Tone, und sie hatte sich erhoben, und ihr Auge flammte.
Der Präsident fuhr entschieden fort: »Wie erklärt Ihr dann die Euch zur Last gelegten Taten?«
Sie antwortete mit stockender Stimme:
»Ich habe es schon gesagt. Ich weiß es nicht. Ein Priester ist's, ein Priester, den ich nicht kenne; ein höllischer Priester, der mich verfolgt!«
»Das ist es gerade,« versetzte der Richter, »der gespenstige Mönch.«
»O gnädige Herren! habt Mitleid! ich bin nur ein armes Mädchen ...«
»Aus Ägypten,« sagte der Richter.
Meister Jacob Charmolue nahm das Wort und sprach mit sanftem Tone:
»In Anbetracht der betrübenden Hartnäckigkeit der Angeklagten trage ich auf Anwendung der Folter an.«
»Zugestanden!« sagte der Präsident.
Die Unglückliche zitterte am ganzen Körper. Sie erhob sich jedoch auf das Geheiß der Partisanenträger und schritt, unter Vortritt Charmolue's und der Priester des geistlichen Gerichtes, ziemlich festen Schrittes zwischen zwei Reihen Hellebarden auf eine Nebentüre zu, welche sich plötzlich öffnete und hinter ihr wieder schloß, was auf den betrübten Gringoire den Eindruck machte, als habe sie ein fürchterlicher Rachen eben verschlungen.
Als sie verschwand, hörte man ein klägliches Blöken. Die kleine Ziege war es, die hinter ihr her schrie.
Die Sitzung war aufgehoben. Als ein Rat darauf aufmerksam gemacht hatte, dass die Herren ermüdet wären, und dass es doch wohl sehr lange dauern würde, bis zum Ende der Folterung zu warten, so entgegnete der Präsident, dass ein Gerichtsbeamter wissen müsse, sich für seine Pflicht zu opfern.
»Die widerwärtige und unangenehme Vettel,« sagte ein alter Richter, »die sich die Folter geben läßt, wenn man noch nicht zu Abend gespeist hat!«
Nachdem man mehrere Treppen in so dunkeln Gängen hinauf- und hinuntergestiegen, dass sie am hellen Tage mit Lampen erleuchtet waren, wurde die Esmeralda, die immer von ihrem traurigen Gefolge umringt war, von den Dienern des Justizpalastes in ein unheimlich finsteres Zimmer hineingestoßen. Dieses Zimmer, von runder Gestalt, nahm das Erdgeschoß eines jener dicken Türme ein, welche noch in unserem Jahrhunderte durch die moderne Gebäudeschicht dringen, mit welcher das neue Paris das alte zugedeckt hat. Kein Fenster war in diesem Keller, keine andere Öffnung, als der niedrige und von einer ungeheuern eisernen Türe verschlossene Eingang. An Helligkeit fehlte es hier jedoch nicht: ein Ofen war in der dicken Mauer angebracht, ein großes Feuer darin angezündet, welches den Keller mit seinem roten Wiederscheine füllte und ein elendes Licht, welches in der Ecke stand, alles seines Schimmers beraubte. Das eiserne Fallgitter, welches dazu diente, den Ofen zu verschließen und in diesem Augenblicke in die Höhe gezogen war, ließ in der Öffnung des Feuerloches, das über der Untermauer flammte, nur die untern Spitzen seiner Stäbe wie eine Reihe schwarzer, scharfer, einzeln stehender Zähne sehen, was dem Ofen das Aussehen eines jener Drachenrachen gab, die in den Sagen Flammen speien. Bei dem Lichte, welches aus seiner Öffnung strahlte, sah die Gefangene ringsherum im Zimmer schreckliche Instrumente, deren Gebrauch sie nicht kannte. In der Mitte lag eine lederne Matratze fast auf der Erde aufgeschlagen über welcher ein Riemen mit einer Schleife hing, der in einem kupfernen Ringe lief, welchen ein im Schlußsteine der Wölbung ausgehauenes, stumpfnasiges Ungeheuer im Maule hielt. Zangen, Scheeren, große Pflugeisen versperrten das Innere des Ofens und glühten durcheinander auf der Kohle. Der blutige Wiederschein des Ofens beleuchtete im ganzen Zimmer nur einen Wirrwarr schrecklicher Gegenstände.
Dieser Tartarus hieß einfach »die Folterkammer«.
Auf dem Bette hatte sich Pierrat Torterue, der beeidigte Foltermeister, behaglich niedergelassen. Seine Knechte, zwei Gnomen mit vierschrötigen Gesichtern, in Lederschürzen und leinenen Hosen, wendeten das Eisengerät auf den Kohlen um. Das arme Mädchen hatte vergebens ihren Mut zusammengenommen; als sie in dieses Zimmer eintrat, packte sie das Entsetzen.
Die Schergen des Gerichtsvogtes stellten sich auf einer Seite, die Priester des geistlichen Gerichtes auf der andern Seite auf. Ein Schreiber, ein Tintenfaß und ein Tisch befanden sich in einem Winkel. Meister Jacob Charmolue näherte sich der Zigeunerin mit einem sehr sanften Lächeln.
»Mein liebes Kind,« sagte er, »Ihr beharrt also beim Leugnen?«
»Ja,« antwortete sie mit schon erloschener Stimme.
»In diesem Falle,« fuhr Charmolue fort, »wird es sehr schmerzlich für uns sein, Euch mit mehr Nachdruck zu befragen, als wir wünschen ... Wollet so gut sein und Euch auf dieses Bett setzen ... Meister Pierrat, macht der Jungfer Platz und schließet die Türe zu.«
Pierrat erhob sich murrend.
»Wenn ich die Türe schließe,« brummte er, »so wird mein Feuer verlöschen.«
»Nun gut, mein Lieber,« entgegnete Charmolue, »so lasset sie offen.«
Währenddem blieb die Esmeralda stehen. Das lederne Bett, auf dem sich so viele Unglückliche gekrümmt hatten, flößte ihr Entsetzen ein.
Der Schrecken erstarrte ihr das Mark in den Knochen; sie stand bestürzt und außer sich da. Auf ein Zeichen Charmolue's ergriffen sie die beiden Knechte und setzten sie aufrecht auf das Bett. Sie taten ihr nicht das Geringste zu leide; aber als diese Menschen sie angriffen, als das Leder sie berührte, fühlte sie all ihr Blut zum Herzen zurückströmen. Sie warf einen verstörten Blick rings im Gemache herum. Es schien ihr, als ob sie sähe, wie alle diese gräßlichen Folterinstrumente sich bewegten und auf sie losmarschierten, um ihr am Leibe in die Höhe zu kriechen, sie zu beißen und zu zwicken, – jene Marterinstrumente, die unter den Werkzeugen aller Art, welche sie bisher gesehen, das waren, was die Fledermäuse, die Tausendfüße und die Spinnen unter den Insekten und Vögeln sind.
»Wo ist der Arzt?« fragte Charmolue.
»Hier!« antwortete ein schwarzes Gewand, welches sie noch nicht bemerkt hatte.
Sie schauderte.
»Jungfer,« fuhr die schmeichelnde Stimme des Procurators beim Kirchengerichtshofe fort, »zum dritten Male: beharret Ihr dabei, die Taten zu leugnen, deren Ihr angeklagt seid?«
Dieses Mal vermochte sie nur mit dem Kopfe ein Zeichen zu geben. Die Stimme versagte ihr.
»Ihr beharret dabei?« sagte Jacob Charmolue. »Dann muß ich aber, so unendlich leid es mir tut, die Pflicht meines Amtes erfüllen.«
»Herr Procurator Seiner Majestät,« sagte Pierrat barsch, »womit sollen wir anfangen?«
Charmolue bedachte sich einen Augenblick mit der zweideutigen Grimasse jemandes, der einen Reim sucht.
»Mit dem spanischen Stiefel,« sagte er endlich.
Die Unglückliche fühlte sich so vollkommen von Gott und den Menschen verlassen, dass ihr Haupt, wie ein lebloses Etwas, das keine Kraft in sich hat, auf die Brust herabsank.
Der Foltermeister und der Arzt näherten sich ihr zugleich. Gleichzeitig begannen die zwei Knechte in ihrer gräßlichen Rüstkammer herumzuwühlen. Beim Gerassel dieses fürchterlichen Eisengerätes zitterte das unglückliche Mädchen, wie ein todter Frosch, der galvanisiert wird.
»Ach!« murmelte sie, und so leise, dass niemand es hörte, »ach mein Phöbus!« Dann versank sie wieder in ihr Schweigen und ihre marmorgleiche Unbeweglichkeit. Dieses Schauspiel hätte jedes andere Herz, als das der Richter zerrissen. Man hätte sie mit einer armen sündigen Seele vergleichen mögen, die vom Satan an der Pforte der flammenden Hölle befragt wird. Der elende Leib, welchen die fürchterliche Menge Sägen, Räder und Folterwerkzeuge zu umklammern sich anschickte, das Wesen, welches die gierigen Krallen der Henker und Zangen packen sollten, – es war ja doch jenes süße, reine und schwache Geschöpf, das arme Hirsenkorn, welches die menschliche Gerechtigkeit den gräßlichen Mühlsteinen der Folter zur Zermalmung überlieferte!
Inzwischen hatten die schwieligen Fäuste der Knechte Pierrat Torterue's in roher Weise dieses reizende Bein, diese Füßchen entblößt, welche die Straßenpassanten so viele Male wegen ihrer Anmut und Schönheit an den Straßenecken von Paris bewundert hatten.
»Wie schade!« murmelte der Foltermeister, als er diese zarten und feinen Formen betrachtete.
Wenn der Archidiaconus zugegen gewesen wäre: fürwahr, er würde sich in diesem Augenblicke seines Gleichnisses von der Spinne und der Fliege erinnert haben. Bald sah die Unglückliche durch einen Schatten hindurch, welcher sich auf ihre Augen lagerte, den »spanischen Stiefel« herbeibringen; bald sah sie ihren Fuß, der zwischen die eisenbeschlagenen Bretter geschnürt worden, unter der fürchterlichen Vorrichtung verschwinden. Da gab ihr der Schrecken die Kraft wieder.
»Nehmt mir das weg!« schrie sie mit Ungestüm; und indem sie sich ganz wild in die Höhe richtete: »Gnade!«
Sie sprang vom Bette in die Höhe, um sich dem Procurator des Königs vor die Füße zu werfen, aber ihr Bein wurde in dem plumpen, eisenbeschlagenen Eichenklotze festgehalten, und sie sank matter auf das Foltergerät hin, als eine Biene, die eine Bleikugel am Flügel haben würde.
Auf ein Zeichen Charmolue's legte man sie wieder auf das Bett, und zwei rohe Fäuste befestigten an ihrem zarten Leibe den Riemen, der von der Decke herabhing.
»Zum letzten Male frage ich: Gesteht Ihr die Tatsachen des Processes ein?« sprach Charmolue mit unerschütterlicher Leutseligkeit.
»Ich bin unschuldig.«
»Nun, Jungfer, wie erklärt Ihr die Euch zur Last gelegten Umstände?«
»Ach! gnädiger Herr! ich weiß es nicht.«
»Ihr leugnet also?«
»Alles!«
»Tut, was Eures Amtes,« sprach Charmolue zu Pierrat.
Pierrat drehte den Griff der Schraubenwinde an, der spanische Stiefel zog sich fester zusammen, und die Unglückliche stieß einen jener fürchterlichen Schreie aus, die in keiner menschlichen Sprache beschrieben werden können.
»Haltet ein,« sagte Charmolue zu Pierrat. »Gesteht Ihr?« fragte er die Zigeunerin.
»Alles!« rief das elende Mädchen. »Ich gestehe! ich gestehe! Gnade!«
Sie hatte ihre Kräfte nicht berechnet, als sie der Folter Trotz bot. – Armes Kind, dessen Leben bis hierher so freudig, so sanft, so angenehm gewesen war: der erste Schmerz hatte dich überwältigt!
»Die Menschlichkeit verpflichtet mich, Euch zu sagen,« bemerkte der Procurator des Königs, »dass, wenn Ihr ein Geständnis ablegt, Ihr den Tod erwarten dürfet.«
»Ich hoffe wohl darauf,« sagte sie. Dem Tode nahe, am ganzen Leibe gebrochen und in dem um ihre Brust geschlungenen Riemen hängend, fiel sie wieder auf das Lederbett zurück.
»Frisch, meine Schöne, haltet Euch ein wenig aufrecht,« sagte Meister Pierrat, während er sie aufrichtete: »Ihr seht ja wie der goldene Schöps aus, den der Herr von Burgund um den Hals trägt.«
Jacob Charmolue erhob seine Stimme.
»Gerichtsschreiber, schreibt ... Junges Zigeunermädchen, Ihr gestehet Eure Teilnahme an den Liebesmahlen, Sabbathen und Zaubereien der Hölle, mit den Gespenstern, Hexen und Nachtgeistern ein? Antwortet.«
»Ja,« sagte sie so leise, dass sich ihr Wort in einem Hauche verlor.
»Ihr gestehet, den Bock gesehen zu haben, welchen Beelzebub in den Wolken erscheinen läßt, um die Hexenversammlung zusammenzurufen, und der nur von Hexen gesehen wird?«
»Ja.«
»Ihr bekennet die Baphometsköpfe, diese abscheulichen Götzenbilder der Templer, angebetet zu haben?«
»Ja.«
»Fleischlichen Umgang mit dem Teufel unter der Gestalt einer Lieblingsziege, welche in den Proceß mit verwickelt ist, gepflogen zu haben?«
»Ja.«
»Endlich gestehet und bekennt Ihr, mit Hilfe des Teufels und des Gespenstes, welches vom Volke ›der gespenstige Mönch‹ genannt wird, in der Nacht des letzten neunundzwanzigsten März einen Hauptmann, Phöbus von Châteaupers mit Namen, erdolcht und ermordet zu haben?«
Sie erhob ihre großen starren Augen auf den Beamten und antwortete wie mechanisch, ohne Zuckung und ohne Zittern: »Ja.« – Es war offenbar, dass ihr ganzes Innere gebrochen war.
»Schreibt, Gerichtsschreiber,« sagte Charmolue. Und während er sich an die Henker wendete: »Man mache die Gefangene los und führe sie in den Gerichtssaal zurück.« Als die Gefangene vom »spanischen Stiefel« befreit worden war, untersuchte der Procurator beim Kirchengerichtshofe ihren vom Schmerze noch steifen Fuß: »Sehet da!« sagte er, »der Schaden ist nicht groß. Ihr habt zur rechten Zeit geschrien. Ihr werdet noch tanzen können, meine Schöne!« Dann wandte er sich zu seinen Begleitern vom geistlichen Gerichte: »Sehet, endlich ist die Gerechtigkeit an den Tag gekommen! Das ist ein Trost, ihr Herren! Die Jungfer wird uns das Zeugnis geben, dass wir mit aller möglichen Milde verfahren sind.«
Als sie blaß und hinkend in den Gerichtssaal zurückkehrte, empfing sie ein allgemeines Freudengemurmel. Von Seiten der Zuhörerschaft war es die Empfindung befriedigter Ungeduld, welche man im Theater erleidet, wenn der letzte Zwischenakt des Lustspieles vorüber ist, der Vorhang sich hebt und das Ende herannaht. Von Seiten der Richter war es die Hoffnung, bald zum Abendessen kommen zu können. Selbst die kleine Ziege meckerte vor Freude. Sie wollte auf ihre Herrin loseilen, aber man hatte sie an die Bank festgebunden.
Die Nacht war völlig hereingebrochen. Die Kerzen, deren Zahl man nicht vermehrt hatte, verbreiteten so wenig Licht, dass man die Mauern des Verhandlungssaales nicht sehen konnte. Die Finsternis verhüllte alle Gegenstände darin mit einer Art Nebel. Einige gefühllose Richtergesichter traten zur Not daraus hervor. Ihnen gegenüber, am Ende des langen Saales, konnte man einen verschwimmenden weißen Punkt vom dunkeln Hintergrunde sich abheben sehen. Es war die Angeklagte. Sie hatte sich zu ihrem Platze hingeschleppt. Als Charmolue mit herrischer Geberde den seinigen wieder eingenommen hatte, setzte er sich nieder; dann erhob er sich wieder und sprach, ohne gerade allzuviel Eitelkeit über seinen Erfolg durchblicken zu lassen: »Die Angeklagte hat alles gestanden.«
»Zigeunermädchen,« nahm der Präsident jetzt das Wort, »Ihr habt alle Eure Taten der Zauberei, der Unzucht und des an Phöbus von Châteaupers begangenen Meuchelmordes eingestanden?«