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Jedes Jahr am 6. November schlägt er wieder zu. Er gräbt sich durch die Erde in die Keller seiner Opfer, zieht sie mit sich hinab in die Tiefe und verschwindet ohne jede Spur. Zufällig bekommt die Lektorin Annika Granlund ein Manuskript in die Hände, dessen Inhalt ihr das Blut in den Adern gefrieren lässt. Es ist die morbide Autobiografie eines Serienkillers, der unter der Erde lebt. Annika entscheidet, den Text zu veröffentlichen. Doch sie ahnt nicht, welche düsteren Geheimnisse dadurch noch an die Oberfläche geraten und in welche Gefahr sie sich bringt. Denn jedes Wort in dem Text ist wahr. Und nun hat der Killer sie im Visier. »Unheimlich und spannend – die Jagd nach dem Mörder ist fesselnd.« Radio Euroherz
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Seitenzahl: 474
Zum Buch
Du bildest dir ein, in deinem Haus sicher zu sein. Dass niemand an deiner abgeschlossenen Tür, deiner Alarmanlage vorbeikommt. Aber ich komme von unten, durch den Fußboden. Ein grausamer Serienmörder fordert ein Opfer im Jahr. Man nennt ihn den Gräber, und niemand, der in einem Haus mit Keller lebt, ist vor ihm sicher. Am Tatort findet die Polizei nichts außer Blut, ein Loch im Boden und eine Spur ins Ungewisse. Kommissarin Cecilia Wreede versucht mit allen Mitteln, den Täter zu fassen. Vergeblich. Bis ein Buch veröffentlicht wird, das ihr das Blut in den Adern gefrieren lässt. Es handelt von einem Killer, der unter der Erde lebt. Der Titel lautet: Ich bin der Gräber. Und jedes Wort darin stimmt mit der Wahrheit überein.
Zum Autor
Fredrik P. Winter wurde in Trollhättan geboren und lebt nun in Göteborg, Schweden. Er ist Anwalt bei Tag und Autor bei Nacht. Wenn er nicht als Teilhaber seiner Anwaltskanzlei tätig ist, verbringt er seine Freizeit mit Freunden und Familie, Filmen, Reisen, Lesen und dem außergewöhnlichen Hobby Segelfliegen.
Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem TitelGrävlingen bei Louise Bäckelin Förlag, Stockholm.
© by Fredrik P. Winter Deutsche Erstausgabe © 2021 für die deutschsprachige Ausgabe by HarperCollins in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg Covergestaltung von von Hauptmann & Kompanie, Zürich Coverabbildung von Dollatum Hanrud, nito / Shutterstock E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck ISBN E-Book 9783749951062www.harpercollins.de
Samstag,6. November
KRIMINALKOMMISSARINCECILIAWREEDE achtete darauf, keine Beweise zu zerstören, während sie sich umsah. Putz war von Decke und Wänden gefallen und puderte die Fliesen mit feinem Steinstaub. Gelbe Nummerntafeln standen wie Miniaturwerbeaufsteller zwischen lehmigen Erdbrocken.
Es war noch immer zu erkennen, dass der Kellerraum ursprünglich ein gemütliches Souterrainzimmer gewesen war. Doch jetzt hing modriger Schimmelgeruch in der Luft, ins Mauerwerk war Feuchtigkeit eingedrungen, und sich von den Wänden lösende Tapeten gaben den Blick auf nackten, von Rissen und Löchern durchzogenen Beton frei.
Die Couch war der einzige Gegenstand, der nicht umgeworfen worden war, aber auch sie war zerstört. Aus den Lederpolstern quoll die Füllung, als ob sie jemand mit einem Messer aufgeschlitzt hätte. Couchtisch, Fernseher und der Sessel vor dem Kaminofen waren zertrümmert. Die Sicherheitsglasscheibe des Kaminofens war geborsten. Unter aufgebrochenen Bodenfliesen kam mit Asche und Holzkohle übersäter Estrich zum Vorschein. Zwischen Ruß und Erde schimmerten zu Bruch gegangene grüne Weinflaschen und Splitter der Ofenscheibe.
Inmitten dieses Chaos aus Lehm und Dreck verlief eine blutige Schleifspur, die in den Kellerflur hinausführte.
»Wo ist es?« Cecilia presste die Zähne aufeinander und folgte der Spur mit dem Blick. Es war lange her, dass der Anblick von Blut sie betroffen gemacht hatte. Aber diese rotbraune Spur verursachte ihr Unbehagen. Sie wusste, was sie ankündigte.
»Wo es immer ist«, antwortete Kriminalkommissar Jonas Andrén, ihr engster Kollege, dessen Brille unter der Kapuze des Schutzanzugs hervorlugte, die er über den Kopf gezogen hatte. Raschelnd deutete er den Kellerflur hinunter. Cecilia konnte sich den Gedanken nicht verkneifen, dass er in dem weißen Ganzkörperoverall Ähnlichkeit mit einem Riesenbaby hatte. Aber vermutlich sah sie genauso albern aus. »Im Abstellraum. Komm mit.«
Cecilia nickte und folgte Jonas am Heizungskeller vorbei, sorgsam darauf bedacht, nicht in die Schleifspur zu treten. Vor einer geöffneten Tür, durch die greller Lichtschein fiel, lag noch mehr Erde. Gelbe Nummerntafeln markierten lehmige Schuhabdrücke.
»Sei vorsichtig da drin«, sagte Jonas. »Die Kollegen haben noch keine Proben vom Blut genommen. Wobei wir ziemlich sicher sind, dass es sich bei dem Opfer um Linda Sandström handelt. Geschieden, zweifache Mutter. Sie hat das Haus vor ein paar Jahren gekauft und gerade eine neue Drainage verlegen lassen.«
Cecilia nickte. »Wie alle Opfer bisher. Ich musste quasi ins Haus klettern. Ringsum verläuft ein Graben.«
Die Arbeitsstrahler der Spurensicherung tauchten den Abstellraum in gleißendes Licht, das von Jonas’ Schutzanzug reflektiert wurde. Cecilia blinzelte geblendet, während sie sich innerlich auf den Anblick vorbereitete. Sie hatte Situationen wie diese so oft erlebt, dass sie spielend damit fertigwerden sollte. Trotzdem schnellte ihr Puls in die Höhe, und Magensäure stieg ihre Kehle hinauf. Sie hatte so viele Leichen gesehen, in so vielen grotesken Positionen, dass sie kaum noch etwas erschütterte. Aber an die Szene, die sie hier vorfand, würde sie sich nie gewöhnen, egal wie oft sie damit konfrontiert wurde. Es gab keine Leiche. Und das Fehlen eines verstümmelten Leichnams war schlimmer als die Alternative.
In der Mitte des Raums klaffte ein Loch im Boden. Ringsum türmten sich Erde, Beton und zerbrochene Fliesen. Dazwischen wimmelten Regenwürmer und schwarze Insekten. Die Blutspur endete am Loch. Cecilia ging in die Hocke und blickte hinab. Die Öffnung war groß genug, dass ein Mensch hindurchkriechen konnte. Sie spürte, wie die Dunkelheit aus dem engen Tunnel zurückstarrte. Schwindel überfiel sie. Hastig stützte sie sich mit der Hand auf dem Fußboden ab, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Sie hasste das. Hasste, dass es keine Leiche gab. Hasste, dass sie keinen Anhaltspunkt hatte, auch diesmal nicht. Als laste auf der gesamten Ermittlung ein Fluch.
Unwillig schüttelte sie den Kopf. »Scheiße.«
»Hast du was anderes erwartet?«
»Nein.« Cecilia stand auf. »Aber gehofft.«
»Was?«
»Keine Ahnung. Einen normalen Mord, vielleicht?«
Jonas lachte. »Heute ist der 6. November, Cissi. Du weißt, was an dem Tag passiert.«
Cecilia nickte. »Ich weiß. Alle wissen es. Ich bin es nur so verdammt leid.« Resigniert blickte sie sich um. An den Wänden stapelten sich Umzugskartons. In einem Regal standen reihenweise originalverpackte Barbiepuppen.
»Früher oder später kriegen wir ihn«, sagte Jonas.
»Das hoffe ich.« Cecilia schauderte. Könnte man die Puppen doch nur als Zeugen befragen, dachte sie. Die Plastikaugen der Barbies starrten sie vorwurfsvoll an. Cecilia sah ein letztes Mal in das Loch im Boden, dann drehte sie sich kopfschüttelnd um und verließ den Raum. »Ihr kommt hier ja ohne mich klar.«
»Wo willst du hin?«, fragte Jonas.
»Wohin wohl? Ins Präsidium. Irgendjemand muss die Presse ja informieren, dass der Gräber wieder zugeschlagen hat.«
TEIL 1
Das Manuskript
Ich bin der Gräber. Dies ist meine Geschichte. Wenn du sie kennst, wirst du mich vielleicht in einem anderen Licht sehen. Doch das ändert nichts.
Sonntag,7. November
»HIERWILLICH nicht wohnen.«
Annika Granlund strahlte über das ganze Gesicht, als sie ihrem Mann ihre Entscheidung ins Ohr flüsterte.
Martin Granlund zuckte zusammen. »Warum nicht?« Rasch blickte er sich um, ob die anderen Hausinteressenten ihre Unterhaltung verfolgten.
Annikas hellbraune Augen leuchteten, als wäre sie außer sich vor Glück. »Du weißt, warum.« Aber ihre Freude war nur gespielt, die anderen Besichtigungsteilnehmer sollten nicht merken, dass etwas nicht stimmte.
»Nein, sag es mir.« Draußen fegte der Wind durch die Birke vor dem Wohnzimmerfenster und wirbelte gelbes Laub über den hochgewachsenen Rasen. »Sind es die Badezimmerkacheln? Wir können das Bad renovieren lassen. Dafür reicht das Geld.«
»Es sind nicht die Kacheln.« Annika kicherte.
Sie legte Martin den Arm um die Hüfte und lotste ihn aus dem Wohnzimmer, das aussah wie alle anderen Wohnzimmer, die sie seit Monaten besichtigten. Sie stand nicht in einem Zuhause, sie stand in einer Makleranzeige. Allenfalls in der wahr gewordenen Wunschvorstellung anderer Leute von einem Zuhause. Frisch gestrichene weiße Wände. Cremeweiß natürlich, nicht kreideweiß. Trendige Möbel, ein Kissenmeer auf dem Sofa, geschmackvolle, aber sinnentleerte Accessoires. Annika hätte schwören können, dieselben Drucke bei anderen Besichtigungen an den Wänden gesehen zu haben. Sie erkannte den Riss in einer der Scheiben wieder.
»Was stört dich diesmal?« In Martins Stimme schwang Irritation mit. »Ich meine, die Lage ist gut. Der Garten macht nicht viel Arbeit, so wie wir es uns gewünscht haben. Wir können uns das Haus leisten, solange der Kaufpreis bei einem Bietergefecht nicht in absurde Höhen steigt.«
Annika deutete mit dem Kopf zur Kellertreppe, von wo die gedämpften Stimmen eines Paares heraufdrangen, das im Untergeschoss miteinander diskutierte. Das dumpfe Gemurmel jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
Martin legte den Kopf auf die Seite. »Du nimmst mich auf den Arm.«
Annika lächelte mit aufeinandergepressten Lippen und schüttelte den Kopf.
»Nein. Ich will nicht in einem Haus mit Keller wohnen. Das habe ich dir gesagt.«
Martin seufzte. »Ich hatte gehofft, dieses Haus würde dir trotzdem gefallen. Du kannst doch nicht jedes unterkellerte Haus kategorisch ablehnen.«
»Und ob ich das kann, Liebling. Es gibt haufenweise Häuser ohne Keller. Warum konzentrieren wir uns nicht einfach auf solche Objekte?«
Martin zuckte die Schultern. »Okay. Ich hab’s verstanden. Keller oder nicht, wenn du nicht hier wohnen willst, will ich es auch nicht.«
Annika blickte in seine hellblauen Augen und legte eine Hand auf seine Wange. Ihr Ehering schimmerte auf seinem rötlichen Bart. »Danke, Liebling. Sollen wir gehen?«
Martin lächelte, aber Annika sah ihm seine Enttäuschung an. »Klar.«
Der gekieste Gartenweg knirschte unter ihren Füßen, als sie zum Auto gingen.
»Tut mir leid, wenn ich dich damit nerve«, sagte Annika und stieß mit dem Fuß einen Zapfen zur Seite, der von einer Tanne des Nachbargrundstücks gefallen war. »Aber ich denke nur praktisch. Weißt du, wie viele Probleme ein Keller machen kann?«
»Ja, das hast du mir erklärt. Feuchtigkeitsschäden, Drainagen, die neu verlegt werden müssen. Schimmel. Aber weißt du was? Keller haben auch Vorteile.«
»Ach ja?« Annika warf Martin einen Seitenblick zu. »Nenn mir einen.«
»Zum Beispiel ein Hobbyraum.«
»Für welches Hobby? Du sitzt doch nur am Computer.«
»Ein Fitnessraum?«
Annika lachte. Martin stimmte ein. Er schloss das Auto auf.
»Ein eigener Spa-Bereich?«
»Langsam kommen wir der Sache näher.«
»Siehst du?«
»Ich bin noch nicht überzeugt.«
»Ein Spielzimmer für die Kinder?«
Annika spürte einen Stich in der Brust. Sie wandte den Blick ab und starrte aus dem Seitenfenster auf das Haus. Ein rechteckiger rotbrauner Backsteinklotz aus den Siebzigern, der Garten wurde von Birken und einer niedrigen Tanne gesäumt. Hinter einer Ecke schimmerte die graue Eternitfassade eines Bungalows. Kahle Sträucher schirmten das Nachbargrundstück vor neugierigen Blicken ab.
Martin beugte sich zu ihr. »Und wenn sie älter sind, können sie da unten Filme gucken, während wir mit Freunden gemütlich im Wohnzimmer sitzen.«
Annika schluckte. »Ja.«
Eines der anderen Paare, die das Haus besichtigt hatten, trat in den Garten hinaus. Die Frau streichelte ihren Babybauch. Ihr Mann deutete eifrig auf ein Bild in der Maklerbroschüre. Unbewusst imitierte Annika die Geste der Frau und strich durch ihren roten Mantel hindurch über ihren flachen Bauch. Ihr Körper schmerzte vor Sehnsucht. Sie versuchten es schon so lange.
»Eins steht jedenfalls fest.« Annika wandte sich Martin zu. »Wenn wir Kinder haben, ist eine Wohnung zu klein.«
»Hier könnten wir drei Kinder haben.«
Annika schüttelte den Kopf und sah Martin fest in die Augen.
»Zwei. In einem anderen Haus. Ohne Keller. Fährst du los, oder sollen wir hier Wurzeln schlagen?«
Du bildest dir ein, in deinem Haus sicher zu sein. Dass niemand an deiner abgeschlossenen Tür, deiner Alarmanlage vorbeikommt. Aber ich komme von unten, durch den Fußboden.
Montag,8. November
ANNIKASTIEGAM Järntorget aus der Straßenbahn und kämpfte in strömendem Regen und starkem Wind mit ihrem Regenschirm. Es war Montagmorgen, und in Göteborg zeigte sich der Herbst von seiner hässlichsten Seite. Einen Fuß vor die Tür zu setzen kostete genauso viel Willenskraft, wie es nun Muskelkraft brauchte, um den Schirm zu bändigen. Entnervt gab sie auf und tat ihr Bestes, den Pfützen auf dem Bürgersteig auszuweichen, während die kalten Tropfen auf sie niederprasselten. Auf Höhe des Kinos Draken und des Folkets Hus war sie vor den ärgsten Böen geschützt, doch als sie den Parkplatz vor dem gelben ehemaligen Lagergebäude überquerte, in dem die Büroräume des Eklund-Verlags untergebracht waren, zerrte der Wind an ihren Haaren. Hinter dem Lagerhaus ragte die hellblaue Fassade des Rosenlundwerks empor. Die blinkenden roten Scheinwerfer auf dem Dach waren durch den dichten Regenschleier nur schemenhaft zu erkennen. Das Geprassel der Tropfen auf nassem Asphalt vermischte sich mit dem monotonen Verkehrsrauschen der Autos, die durch den Götatunnel fuhren. Weiße Scheinwerferlichter in der einen Richtung, rote in der anderen. Die einzige Helligkeit, die dieser Tage entfernt an Tageslicht erinnerte, war ein grauer Dunst um die Mittagszeit. Doch trotz Herbstdunkelheit und einschläferndem Regengetrommel auf dem Fensterblech kämpfte Annika jede Nacht darum, in mehr als einen unruhigen Dämmerschlaf zu fallen. Kaffee und Kälte hielten sie wach und am Laufen.
Rasch überquerte sie den Parkplatz und riss die Eingangstür zum Treppenaufgang des Verlags auf, die wie immer unverschlossen war. Das Schloss war defekt, und es kam vor, dass Obdachlose im Treppenhaus übernachteten. Wenn Annika zur Arbeit kam, waren sie in der Regel verschwunden, nur leere Flaschen zeugten davon, dass sie hier ihr Nachtlager aufgeschlagen hatten. Als hätten sie mit den Mietern des Hauses die stillschweigende Übereinkunft getroffen, dass man ihnen Unterschlupf gewährte, solange sie niemanden störten.
Vor der Eingangstür lag feuchte Erde, als ob jemand einen Blumentopf fallen gelassen und die Erde nicht weggefegt hätte. Annika machte einen Schritt darüber hinweg und rutschte mit ihren Lederstiefeln auf noch mehr Erde aus.
Kopfschüttelnd ging sie die Treppe hinauf. Der Tag fängt ja gut an. Sie tippte den Türcode in die Schließanlage und betrat den Eingangsbereich des Verlags, einen geräumigen Flur, dessen Wände mit Buchcovern dekoriert waren. Lächelnd fiel ihr Blick auf die beiden Cover der Turwall-Reihe Der Pfingstmann und Die Mittsommerfrau. Die Spitzentitel des Eklund-Verlags und ihre wichtigste Akquise.
Sie hängte ihren durchnässten Mantel an die Garderobe und holte Papierhandtücher aus dem WC. Als sie ihre Stiefel vom gröbsten Dreck säuberte, kam Katrin Falk, eine der Verlagslektorinnen, mit einem großen Becher Tee aus dem Pausenraum.
»Guten Morgen, Frau Kollegin«, begrüßte sie Annika. »Das reinste Mistwetter da draußen.«
»Das kannst du laut sagen.« Annika warf die schmutzigen Papierhandtücher in den Mülleimer neben der Tür. »Habt ihr schon angefangen? Die Straßenbahn hatte Verspätung.« Eine Lüge. Sie war heute Morgen wie immer nicht aus dem Bett gekommen.
»Nein, noch nicht. Aber die anderen sind alle schon da.«
»Alle?« Annika hob die Augenbrauen. »Habe ich noch Zeit, mir einen Kaffee zu holen?«
Katrin nickte. »Ich denke, den wirst du brauchen.«
Annika warf Katrin einen fragenden Blick zu, doch die wandte sich ab und eilte in Richtung Besprechungsraum. Annika spürte ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Sie ging in ihr Büro, stellte ihre Handtasche ab, nahm ihre Lunchbox heraus und brachte sie in den Pausenraum. Es war kurz vor neun. Die Arbeit rief.
Montags begannen sie immer mit einem Lektoratsmeeting, bei dem sie gemeinsam den Berg durchgingen, wie sie die in der Vorwoche unaufgefordert eingeschickten Manuskripte liebevoll nannten. Es war lange her, dass sie eines dieser Initiativmanuskripte veröffentlicht hatten, aber das gesamte Team war sich einig, dass jedes eingesandte Manuskript ernst genommen werden musste.
Immerhin war Jan Apelgrens erster Turwall-Band ein Initiativmanuskript gewesen. Und obwohl seit dem Erscheinen der beiden Titel inzwischen einige Jahre vergangen waren, generierten Apelgrens Bücher noch immer ein Viertel des Gesamtumsatzes des Eklund-Verlags. Sogar eine Verfilmung hatte im Raum gestanden. Doch das spurlose Verschwinden des Autors und seiner Frau vor fast sechs Jahren hatte diesen Plänen einen Riegel vorgeschoben. Alle Versuche, das Ehepaar zu finden, waren vergebens gewesen, und am Ende hatte die Polizei die Suche eingestellt. Das Turwall-Filmprojekt verschwand mit dem Autor. Es gab niemanden, mit dem sie einen Vertrag über die Filmrechte hätten abschließen können.
Annika goss sich eine dampfende Tasse Kaffee ein und ging in den Besprechungsraum. Wie gewöhnlich stapelten sich auf dem Tisch zahlreiche Neueinsendungen, ungewöhnlich war jedoch, dass die gesamte Belegschaft versammelt war, vom Lektorat bis hin zu Buchhaltung und Marketingabteilung. Die vorwurfsvollen Blicke ihrer Kollegen verrieten, dass sie auf Annika gewartet hatten.
Fredrik Ask, der Geschäftsführer des Eklund-Verlags, saß am Kopfende des Tisches. Hinter seiner schmalen Brille ließ er Annika nicht aus den Augen. Das dunkle Gestell kontrastierte mit seinem von grauen Strähnen durchsetzten Haar und betonte seine markanten Wangenknochen.
Annika wurde zusehends mulmiger. Fredriks Anwesenheit verhieß nichts Gutes. Er nahm nie an Manuskriptbesprechungen teil. Er führte den Verlag wie ein produzierendes Gewerbe, was bedeutete, dass er keinen Fuß in die Werkshallen setzte, wenn er nicht dazu gezwungen war. Und Annika schätzte ihn dafür. Er mischte sich nicht in das Programm ein, solange die Bücher Gewinn abwarfen. Was sie seit geraumer Zeit nicht mehr taten, wie sie sich in Erinnerung rief.
Annika steuerte den freien Stuhl neben Katrin an. »Ist irgendwas passiert?«, flüsterte sie.
Katrin zuckte mit den Schultern. Fredrik wartete geduldig, bis Annika sich gesetzt hatte. Als er das Wort ergriff, war seine Stimme in der Stille deutlich zu hören.
»Schön, jetzt sind wir vollzählig. Ich fasse mich kurz.« Fredrik räusperte sich und faltete wie zum Gebet die Hände auf dem Tisch. »Wie ihr wisst, steckt die Verlagsbranche seit geraumer Zeit in der Krise. Bisher hatten wir kaum Einbußen zu verzeichnen, vor allem dank unserer Krimispitzentitel: Jan Apelgrens Turwall-Reihe und Stina von Grynings Wolfsmorde. Aber jetzt hat uns die Wirklichkeit leider eingeholt. Unsere Verkaufszahlen sind in allen Genres dramatisch eingebrochen. Der Vorstand hat mich Ende letzter Woche gebeten, eine Liquiditätsprognose zu erstellen und euch über die finanzielle Lage zu informieren.«
»Was soll das heißen?«, fragte Tobias Rönn, ein weiterer Lektor des Eklund-Verlags, und beugte sich mit verschränkten Armen über den Tisch. Seine hochgekrempelten Hemdsärmel entblößten stark behaarte Unterarme.
Fredrik sah ihn betrübt an. »Einfach ausgedrückt: Uns geht das Geld aus.«
Gedämpftes Raunen setzte ein, beunruhigtes Gemurmel. Annika suchte Katrins Blick, deren Augen noch runder waren als gewöhnlich. Sie saß mit offenem Mund da, als wollte sie etwas sagen, konnte aber keinen Ton herausbringen.
»Wie bitte?«, rief Rebecka Collin, deren üppiger Schmuck leise klirrte, als sie sich bewegte. Die vierte Lektorin des Eklund-Verlags war das Gegenteil von Annika: stets perfekt geschminkt und mit zahlreichen Ringen, Armbändern und Ketten ebenso perfekt gestylt.
»Der Vorstand hat mich gebeten, euch, so gut es geht, zu beruhigen«, fuhr Fredrik fort. »Die Eigentümer sind bereit, noch eine Weile Geld zuzuschießen, aber ich will euch nichts vormachen. Wenn die Verkaufszahlen nicht steigen, dann … ja.«
»Was dann?«, fragte Annika.
Fredrik hob resigniert die Arme. »Dann müssen wir Konkurs anmelden, Punkt.«
Das Gemurmel verstummte. Annika stellte ihre Kaffeetasse auf dem vor ihr liegenden Manuskript ab. Die Luft war zum Schneiden. Katrin schüttelte den Kopf, blieb aber weiter stumm. Annika fühlte sich innerlich hohl. Das Wort Konkurs schwebte im Raum wie ein böser Geist.
Jesper Olsson, einer der Lektoren, beendete schließlich die Stille. Er beugte sich vor und sah Fredrik durchdringend an.
»Was zum Teufel faselst du da? Kündigst du uns etwa? Verlieren wir alle unsere Jobs?«
»Das kann ich gegenwärtig nicht beantworten«, erwiderte Fredrik. Annika hörte die Resignation in seiner Stimme.
»Aber du musst doch Genaueres wissen«, beharrte Jesper, dessen Wangen rot anliefen.
Tobias hob beschwichtigend die Hand. »Beruhige dich. Fredrik sagt doch, dass er das jetzt noch nicht sagen kann.«
Jesper fiel auf seinen Stuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Aufgebracht schüttelte er den Kopf.
»Ich will nicht lügen«, sagte Fredrik. »Es sieht nicht gut aus. Aber noch sind wir nicht am Ende.« Er deutete auf die Manuskriptstapel auf dem Tisch. »Wer weiß, vielleicht liegt die Lösung schon vor uns. Ihr wisst, wie das läuft. Ein einziger Bestseller, und wir könnten wieder schwarze Zahlen schreiben.«
Annika betrachtete das Manuskript, auf dem ihr Kaffee stand. Die Revansche des Journalisten. Das rettet uns jedenfalls nicht, dachte sie grimmig.
Katrin hielt eine dicke blaue Mappe hoch. »Diesen Text habe ich am Wochenende gelesen. Er ist wirklich gut.« Nervös strich sie sich eine schwarze Strähne ihres kurzen Bobs hinters Ohr, die jedoch sofort wieder nach vorne fiel.
Fredriks Gesicht leuchtete auf. »Na bitte! Welches Genre?«
»Also …« Katrin errötete und senkte den Blick. Annika fühlte mit ihr. Sie hatte diesen Blick schon häufiger gesehen, wenn Katrin etwas gefiel, von dem sie wusste, dass sie bei den anderen damit auf taube Ohren stoßen würde. »Auf Netflix und im Kino sind die Leute verrückt danach.«
»Bist du etwa wieder auf der Fantasy-Schiene?«, fragte Tobias und funkelte Katrin wütend an. Diese warf einen flehenden Blick Richtung Annika, auf der Suche nach Unterstützung. »Science-Fiction«, murmelte sie. »Der Arbeitstitel lautet Aus der Asche der Erde.«
Annika hätte Katrin am liebsten wie ein kleines Kind umarmt. Den Impuls verspürte sie jedes Mal, wenn Katrin mit ihren kontroversen Vorschlägen kam. Aber sie begnügte sich mit einem liebevollen Lächeln. Sie hatten einmal versucht, eine Fantasy-Reihe herauszugeben. Aber obwohl sich der erste Band besser als erwartet verkauft hatte, war den Eigentümern das Genre nicht geheuer gewesen, und sie hatten eine Fortsetzung abgelehnt.
»Tut mir leid«, sagte Fredrik. »Da muss ich von vornherein mein Veto einlegen. Wir brauchen einen Bestseller. Auch wenn mir persönlich abseitige Projekte gefallen, ist dafür nicht der geeignete Zeitpunkt.«
Katrin nickte und legte die Mappe auf den Tisch zurück. Ihr Blick verharrte einen Moment auf dem Titel, als würde sie sich verabschieden.
»Wir brauchen einen Text, der sich verkauft«, wiederholte Fredrik. »Haben wir denn kein einziges geeignetes Manuskript in Arbeit?«
Mord, dachte Annika, während sie darauf wartete, dass die anderen etwas sagten. Mord verkauft sich immer. Sex and Crime. Ihr Körper kribbelte, als sie den Gedanken weiterspann. In der Unterhaltungsliteratur wimmelte es von Morden. Die Bestsellerlisten waren voll von psychisch kaputten Polizeibeamten und bestialischen Serienkillern. Annikas Hirn arbeitete fieberhaft. Es musste doch etwas geben, das aus der Krimischwemme herausstach, ein Alleinstellungsmerkmal. Aber was?
»Doch. Bald kommt ein neuer Wolfsmord«, sagte Tobias. »Stina ist nur ein bisschen in Verzug. Sie hat mir letzte Woche eine E-Mail geschickt und sich entschuldigt.«
Annika kramte in ihrem Gedächtnis, ob sie in den vergangenen Monaten ein Manuskript gelesen hatte, das in der Einsendungsflut untergegangen war, aber einen zweiten Blick wert sein könnte.
»Das ist bedauerlich«, erwiderte Fredrik. »Versuch, sie zur Abgabe zu drängen, Tobias. Und bis dahin erkläre ich unser Manuskriptteam zum Krisenteam. Findet irgendeinen Text, das Genre spielt keine Rolle, Hauptsache, er verkauft sich.« Fredrik warf Katrin einen Blick zu. »Das Genre spielt fast keine Rolle.«
Tobias setzte sich aufrechter hin. »Okay, dann schlage ich vor, dass wir mit den Manuskripten anfangen, die vor uns auf dem Tisch liegen, und die erste richtige Krisensitzung morgen abhalten. Einverstanden?«
Niemand antwortete. Das Schweigen war Antwort genug. Fredrik entschuldigte sich und verließ das Meeting mit der Aufforderung, den nächsten Bestseller noch vor Weihnachten aufzutreiben. Die restliche Belegschaft verschwand einer nach dem anderen an ihre Arbeitsplätze, bis nur noch das Manuskriptteam am Tisch saß.
Nachdem sie ein paar resignierte Blicke gewechselt hatten, taten sie ihr Möglichstes, zur Normalität zurückzukehren, und teilten die eingegangenen Manuskripte untereinander auf. Aber sie verrichteten ihre Arbeit wie auf Autopilot geschaltet. Alle standen unter Schock. Keiner konnte an etwas anderes denken, als dass sie möglicherweise bald auf der Straße standen. Annika sah, dass Katrin sich verstohlen eine Träne von der Wange wischte.
Sie verstand Katrin nur zu gut. Sie alle liebten ihre Arbeit. Dass die Verlagsbranche mit großen Problemen kämpfte, war allgemein bekannt, aber mit dieser Entwicklung hatte niemand von ihnen gerechnet. Keiner hatte geglaubt, dass der Eklund-Verlag von der Krise betroffen sein könnte. Er war länger eine solide Größe auf dem Buchmarkt, als Annika zurückdenken konnte.
Sie sortierten mehr Einsendungen aus als gewöhnlich. Keiner schaffte es, sich in die Lektüre zu vertiefen. Wenn der Titel kein unmittelbarer Eyecatcher war, landete das Manuskript unbarmherzig auf dem Absagestapel. Ebenso wie Texte, die mit einer Einleitung über das Wetter begannen. Danach erklärten sie das Meeting für beendet und kehrten in ihre Büros zurück, um E-Mails zu beantworten.
Annikas Blick wanderte zwischen ihrem Monitor und weiteren Einsendungen auf ihrem Schreibtisch hin und her. Es kam ihr vor, als hätte jemand der Wirklichkeit einen Schleier übergeworfen. Widerwillig griff sie nach dem obersten Manuskript. Es interessierte sie nicht. Sie war nicht mit dem Herzen bei der Sache. Das Einzige, woran sie dachte, während sie die Debüts hoffnungsvoller Jungautoren durchblätterte, war, was jetzt aus ihrem Traum von Haus und Familie werden würde. Konnten Martin und sie ein Haus kaufen, wenn sie ihren Job verlor?
Darum hast du Angst vor mir, und so habe ich meinen Namen bekommen. Du hast dieses Buch gekauft, weil du mehr über mich erfahren willst, oder etwa nicht? Was willst du wissen?
Montag,8. November
CECILIAWREEDEUND Jonas Andrén waren im Polizeipräsidium allein am Konferenztisch zurückgeblieben. Bis vor einigen Minuten hatte hier die mit zusätzlichen Beamten aufgestockte Sonderkommission »Gräber« getagt. Sie waren den aktuellen Ermittlungsstand durchgegangen und hatten ein Briefing abgehalten. Abschließend hatte Cecilia als leitende Ermittlerin nach vorheriger Abstimmung mit Moa Lindgren, der für den Fall zuständigen Staatsanwältin, die anfallenden Aufgaben verteilt.
Die Lüftung rauschte, der Timer für den Ventilator tickte leise. Jetzt, wo sie nur noch zu zweit waren, kühlte der kahle Raum rasch aus. Aber Cecilia genoss die Kälte. Sie gab ihr Energie, mit der Arbeit weiterzumachen. Im Kopf spielte sie den heutigen Ablauf durch.
Sie würden das Gleiche tun, was sie letztes Jahr an diesem Tag getan hatten. Cecilia fühlte sich wie Miss Sophie aus »Dinner for One«. Same procedure as every year, James. Uniformierte Beamte würden von Tür zu Tür gehen und Anwohner befragen, die Spurensicherung würde verwertbares Material sicherstellen und es zur Analyse ins NFC, das Nationale Forensische Centrum, schicken. Hauptsächlich Blutproben und Haare. Wie jedes Jahr waren sie sicher, dass sie diesmal – endlich – auf einen Hinweis stoßen würden. Aber Cecilia teilte den Optimismus ihrer Kollegen nicht. Sie erkannte das Muster wieder, und ihr genereller Zynismus war im Laufe der Jahre nicht abgeklungen. Bisher hatte es nie Zeugen gegeben, warum sollte diesmal jemand etwas gesehen haben? Und an den Tatorten hatten sie ausnahmslos DNA der Opfer sichergestellt. Bestenfalls würden sie Spuren von Freunden oder Angehörigen finden. Vielleicht von einem Liebhaber.
Ihr Blick wanderte zu den Tatortfotos, die vor ihr auf dem Tisch lagen. Während sie die Aufnahmen studierte, band sie ihre blonden Haare mit einem grünen Haarband zurück. Das Grundstück war fast ebenso verwüstet wie der Keller, auch wenn das Chaos im Garten eine gewisse Systematik aufwies. Auf dem Rasen türmten sich Erdhügel. Vor dem Kellereingang war das Fundament freigelegt. Ringsum verlief ein lehmiger Schacht mit einem Drainagerohr. An der erdverschmierten Hauswand hatten Baggerschaufeln und die Spaten der Bauarbeiter lange Kerben hinterlassen.
Ein Tatortfoto vom Flur zeigte einen Garderobenständer mit Mänteln. Die müssen eine Stange Geld gekostet haben, dachte Cecilia. Dafür sprach auch die übrige Einrichtung. Auf dem Fußboden lagen dunkelrote Perserteppiche, an den Wänden hingen zahlreiche Kunstwerke. Das Mobiliar war stilvoll, wenn auch in die Jahre gekommen. Nur eine Vitrine, in der Barbiepuppen wie in einem Museumsschaukasten ausgestellt waren, passte nicht ins Bild. Cecilia fiel das Kellerregal ein, in dem weitere Exemplare dieser schlanken Plastikpüppchen gestanden hatten. Linda Sandström musste sie sammeln. Hatte sie gesammelt, korrigierte sie sich.
Cecilia schob die Tatortfotos zur Seite und sah Jonas, der gegenüber von ihr an seinem Laptop arbeitete, über den Tisch hinweg an. Der Monitor spiegelte sich in seinen Brillengläsern.
»Wie sieht es mit DNA-Proben im Obergeschoss aus?«, fragte sie.
Jonas hörte auf zu tippen und schob seine Brille auf die Nase zurück. »Ich glaube, da wurden keine Spuren gesichert. Warum auch? Die Tat wurde offensichtlich im Keller verübt.«
»Wir müssen gründlich sein, Jonas.«
»Natürlich. Und deshalb werden wir unsere Pappenheimer zum Verhör laden. Du weißt, von wem ich spreche.«
Cecilia funkelte Jonas an. »Die Bauarbeiter? Die haben uns noch nie weitergebracht.«
»Hast du nicht gerade gesagt, wir müssen gründlich sein?« Jonas grinste so breit, dass man die Lücke zwischen seinen Vorderzähnen sah.
»Ja.« Seufzend starrte Cecilia wieder auf die Tatortfotos. »Linda Sandström, wer warst du?«
»Von Beruf war sie Wirtschaftsprüferin.« Jonas drehte seinen Laptop in Cecilias Richtung. »Bei Ernst & Young.« Vom Bildschirm lächelte Cecilia eine Frau mittleren Alters an. Sie trug ein Kostüm und saß mit übereinandergelegten Händen an einem weißen Tisch. Cecilia registrierte die sorgfältig manikürten Fingernägel und einen breiten Ring am rechten Ringfinger.
»Keine schlechte Karriere«, sagte sie, als sie den Lebenslauf neben Linda Sandströms Foto überflog. »Sie war sogar Partnerin.«
»Das erklärt jedenfalls, wie sie sich als Alleinstehende ein Haus in dieser Lage leisten konnte«, kommentierte Jonas trocken.
»Ja, aber das ist kein verwertbarer Hinweis«, erwiderte Cecilia. »Der Gräber hat es auf gut situierte Opfer abgesehen. Sonst hätten sie kaum die finanziellen Mittel für Häuser in dieser Preisklasse, noch dazu als Alleinverdiener.«
»Sein Beuteschema scheinen Personen zwischen vierzig und fünfzig mit gehobenem Einkommen zu sein.« Jonas zuckte die Schultern. »Die außerdem Singles sind.«
»Und die Nacht auf den 6. November allein zu Hause verbringen«, ergänzte Cecilia und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Wissen wir, ob Linda Sandström einen Freund hatte, mit dem wir reden sollten?«
»Auf ihrem Handy ist Tinder installiert«, sagte Jonas. »Ich nehme also an, dass es aktuell keinen festen Mann in ihrem Leben gab. Aber Andersson und Ulvstål wollten mit ihren Arbeitskollegen sprechen. Ich schicke ihnen eine SMS, dass sie nachhaken sollen, ob jemand etwas von einer Beziehung weiß.«
»Gut.« Cecilia wickelte sich ihren Pferdeschwanz um den Finger. Sie nutzte Tinder ebenfalls. Was sagt das über mich aus, dachte sie. Laut erklärte sie: »Alles wäre einfacher, wenn zwischen den Opfern eine Verbindung existieren würde.«
»Aber ein gewisses Muster ist doch vorhanden«, wandte Jonas ein.
Cecilia zuckte die Schultern. »Der Umfang ihres Bankkontos? Diesmal hat er sich eine Wirtschaftsprüferin ausgesucht. Was war das letzte Opfer von Beruf?«
»Der Mann hatte eine Cateringfirma. Das erste Opfer, bevor du den Fall übernommen hast, war Arzt.«
»Und das zweite Finanzmanager, oder?«
»Richtig. Danach kam dieser Schlagerproduzent, der zig Charthits gelandet hat.«
»Ach ja, erinnerst du dich noch an die Instrumente in seinem Keller? Ich habe noch nie so viele Gitarren an einem Ort gesehen.«
»Zertrümmerte Gitarren«, spezifizierte Jonas. »Der Raum sah aus, als ob da eine Metalband ihre After-Show-Party gefeiert hätte.«
Cecilia hob resigniert die Arme. »Gut, die Opfer sind beruflich erfolgreich, aber davon abgesehen kann ich keinen Zusammenhang erkennen. Sie haben nicht mal gemeinsame Facebook-Freunde.«
Jonas klappte seinen Laptop zu. »Was hältst du von einem Kaffee?«
Sie verließen den Konferenzraum und gingen die Treppe hoch. Cecilia warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Ein Fitnesstracker von Garmin mit GPS und Pulsmesser. Die Uhrzeit hatte sie im gleichen Augenblick wieder vergessen, aber das spielte keine Rolle. Das große Ziffernblatt schürte ihre Vorfreude auf ihre allabendliche Joggingrunde.
In der Teeküche des Präsidiums türmten sich schmutzige Tassen im Spülbecken, auf der Anrichte stand ein Holzkasten mit diversen Teesorten. Jonas kippte den letzten Rest Kaffee aus seinem Becher und schob ihn unter die Kaffeemaschine.
»Wie hat eigentlich die Presse reagiert?«, fragte er, während er auf den Strahl starrte, der aus der Maschine in seinen Becher rann. Aromatischer Kaffeeduft erfüllte die kleine Küche.
Cecilia schüttelte den Kopf. »Wie üblich«, sagte sie und ließ ihre Nackenwirbel knacken. Ihre Beine begannen zu kribbeln, wie immer, wenn die Sprache auf Interviews und Pressekonferenzen kam. Jedes Mal, wenn sie sich den Fragen der Journalisten stellte, fühlte sie sich wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Die grellen Lampen und das Blitzlichtgewitter blendeten sie, was jedoch den Vorteil hatte, dass sie keine Gesichter erkannte und sich ausnahmslos auf die Fragen konzentrierte, bis sie den Pressezirkus für beendet erklären konnte. »Ich möchte eigentlich nicht darüber reden«, fügte sie hinzu.
»Ich bin beeindruckt, dass du das schaffst. Ich könnte dem Druck nicht standhalten.« Jonas zog seinen Becher unter der Kaffeemaschine hervor.
»Ich würde alles dafür geben, nicht noch einmal dasitzen und die Öffentlichkeit informieren zu müssen, dass der Gräber ein weiteres Opfer gefordert hat. Das allein wäre Motivation genug, diesen Psychopathen zu schnappen.«
»Du hast recht. Aber kannst du der Presse bis dahin nicht ein paar Brocken zuwerfen? Schockier sie, erzähl ihnen, dass die Gerüchte über die Tunnel wahr sind.«
»Spinnst du?« Aus Cecilias Augen schossen kalte Blitze. »Dann lassen diese Geier mich nie aus ihren Fängen.«
Jonas nippte an seinem Kaffee. »Stimmt, daran habe ich nicht gedacht.«
»Aber es gibt eine Pressekonferenz, die ich herbeisehne.« Cecilia neigte den Kopf zur Seite. »Die, auf der ich verkünden kann, dass wir diesen Irren endlich gefasst haben. Aber das wird ein Wunschtraum bleiben, wenn wir jetzt nicht wieder an unsere Arbeit gehen. Und sie verdammt gründlich machen.«
»Ich bitte die Spurensicherung, auch das Obergeschoss unter die Lupe zu nehmen«, sagte Jonas.
»Und ich bestelle die Bauarbeiter ins Präsidium.«
Fragst du dich, wie ich meine Opfer auswähle? Wie ich mich in ihre Keller grabe, wie ich durch die dicke Betonschicht des Fundaments komme? Was ich mit ihnen mache, wenn ich sie in mein unterirdisches Reich geschleppt habe?
Dienstag,9. November
DERDIENSTAGBEGANN wie der Montag. Regen fiel unerbittlich aus tief hängenden Wolken, die die Dächer der Klinkerhäuser der Linnégatan zu streicheln schienen. Der starke Wind verjagte die diffuse Erinnerung eines unheimlichen Traums, der Annika wachgehalten hatte. Eine Sturmböe stülpte ihren Schirm so heftig um, dass der Stoff zerriss. Wütend presste sie die Überreste in den Mülleimer vor dem Kiosk am Järntorget und hastete mit gesenktem Kopf durch den strömenden Regen zum Verlag.
Das Schloss der Eingangstür war nach wie vor defekt. Im Haus roch es nach Bier und Zigarettenrauch. Naserümpfend warf Annika einen Blick in die Nische unter dem Treppenabsatz. Sie war leer. Abgesehen von einer verschütteten Bierdose und einigen Zigarettenkippen in der Lache. Die Filter waren in der schalen Pfütze zu kleinen gelben Schnecken aufgequollen. Auf der Treppe fielen Annika frische Erdbrocken auf, die mit jedem Schritt zahlreicher wurden. Aus einem von ihnen ragte eine halb verrottete Wurzel. Jemand muss die Hausverwaltung bitten, das Schloss zu reparieren, dachte sie. Das ist kein Zustand. Doch als sie die Verlagsräume betrat, schob sie ihren Ärger beiseite. Sie musste sich auf wichtigere Dinge konzentrieren. Das Meeting des Krisenteams fing gleich an, und wie durch ein Wunder kam sie heute sogar pünktlich.
Tobias und Katrin saßen schon im Besprechungsraum. Rebecka erschien direkt hinter ihr. Schweigend nickten sie sich zu. Niemandem behagte die Situation. Alle taten so, als würde alles gut, solange sie das Problem nicht beim Namen nannten.
»Wo ist Jesper?«, fragte Katrin.
»Ich habe ihn gerade in der Küche gesehen«, antwortete Tobias. »Er kommt bestimmt gleich.« Er warf Annika einen bekümmerten Blick zu. Sie verstand.
Jesper konnte launisch sein. In der letzten Zeit war er bei jeder Kleinigkeit aus der Haut gefahren und hatte sich häufig krankgemeldet, auch wenn er nach ein, zwei Tagen wieder zur Arbeit gekommen war. Doch jetzt war nicht der Zeitpunkt, um die Konzentration zu verlieren.
»Sollen wir schon mal loslegen?« Rebecka warf einen Blick auf ihre schmale Armbanduhr.
Tobias zuckte mit den Schultern. »Klar. Lasst uns doch mit einer Bestandsaufnahme anfangen. Welche Titel sind momentan in Arbeit?«
»Gute Idee«, stimmte Annika zu. »Also, was haben wir?«
Am Tisch wurde es still. Besorgte Blicke und unbehagliches Stühlerücken waren die Antwort. In diesem Moment kam Jesper, an einem Kaffee nippend, in den Besprechungsraum und ließ sich wortlos auf einen Stuhl fallen.
»Kommt schon«, forderte Tobias sie auf. »Ich habe zumindest den Nächsten von Gryning, auch wenn Stina um mehr Zeit gebeten hat. Ihre Bücher verkaufen sich gut. Das ist immerhin ein Anfang. Hat denn keiner von euch einen brauchbaren Titel?«
»Ich arbeite an einem Gedichtband und zwei neuen Kinderbüchern«, sagte Rebecka. Der Eichenblatt-Anhänger ihrer langen Kette klirrte auf die Tischplatte, als sie sich vorbeugte und Jesper auffordernd ansah.
Dieser stellte seinen Kaffeebecher ab. »Ich bin mit Olaussons Buch über Wildschweinjagd so gut wie durch. Aber davon abgesehen fällt mir auch nichts Zündendes ein.«
»Klingt nicht gerade nach Bestsellerpotenzial.« Tobias kratzte sich stirnrunzelnd mit einem Stift im Haar.
»Wir brauchen einen neuen Turwall«, sagte Katrin. »Annika, hast du nicht den dritten Band gelesen, bevor Apelgren verschwunden ist?«
»Ja.« Annika trank einen Schluck Kaffee. »Der Ostermann. Aber das Manuskript war enttäuschend. Apelgren war seine Figuren leid. Er wollte unbedingt einen Horrorroman schreiben. Ich habe versucht, ihn zu überzeugen, Kommissar Turwall noch eine Chance zu geben, aber er wollte sich nicht recht darauf einlassen. Ich glaube, er hat den dritten Band nur seiner Frau zuliebe geschrieben.«
Ihre Gedanken schweiften zu Martin. Sie hatten sich heute Morgen nicht voneinander verabschiedet. Annika spürte ein flaues Gefühl im Magen. Mit jedem weiteren Monat ohne Schwangerschaft kühlte sich ihre Beziehung ab. Mechanisch hüllte sie sich fester in ihre dunkelgrüne Strickjacke, als würde das Martins und ihre Gefühle füreinander wieder erwärmen.
»Können wir diesen Entwurf irgendwie retten?«, fragte Katrin. »Vielleicht durch einen Ghostwriter, der den Text überarbeitet?«
Annika registrierte, dass sich Jespers Miene verfinsterte, ehe er sein Gesicht rasch hinter seinem Kaffeebecher verbarg. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und wartete auf einen säuerlichen Kommentar von ihm. Doch er schwieg.
»Mit wem sollten wir den Vertrag abschließen?«, gab sie zu bedenken. »Nein, da ist es klüger, wir machen es wie Norstedts bei Millennium und beauftragen einen bekannten Autor, der ganz von vorne anfängt.«
»Klar, ich hole Lagercrantz sofort an die Strippe. Wie hoch ist unser Budget, sagtest du?« Tobias lachte, doch als niemand mitlachte, verstummte er.
»Ich glaube, auch ein guter Ghostwriter hätte es schwer«, fuhr Annika fort. »Man kann über Apelgren sagen, was man will, aber an seinen Stil kommen nicht viele ran.« Ihre Kollegen nickten zustimmend, nur Jesper schaute weiter verbissen drein.
»Wir müssen eine andere Lösung finden«, ergriff Tobias wieder das Wort. »War bei den gestrigen Manuskripten irgendwas Brauchbares dabei?«
Einvernehmliches Kopfschütteln. Rebecka reckte einen Zeigefinger in die Höhe. »Ich habe eine Idee. Wir alle hier wissen doch ziemlich genau, was es braucht, damit ein Titel funktioniert. Kann nicht einer von uns unter Pseudonym schreiben?«
»Ja.« Katrins Gesicht leuchtete auf. »Ich habe schon immer davon geträumt, ein Buch zu schreiben.«
»Sorry, aber ein unbekanntes Pseudonym auf dem Markt zu etablieren dauert zu lange«, wandte Tobias ein.
»Und wie willst du es schaffen, in dieser kurzen Zeit einen kompletten Roman zu schreiben?«, mischte sich Jesper ein. »Dazu braucht es schon etwas mehr als die Schreibübungen aus meinem Kurs an der Volkshochschule.«
Katrin sackte auf ihrem Stuhl zusammen. »Du hast recht«, erwiderte sie. »Aber es würde Spaß machen.«
Jesper funkelte Katrin zornig an. Annika beschloss, ihn zu ignorieren, solange er in dieser Stimmung war. Sie lächelte Katrin aufmunternd an. »Du kannst trotzdem schreiben, Katrin«, sagte sie. »Aber Tobias hat recht. Pseudonyme sind immer heikel. Vor allem wenn sie sich schnell etablieren müssen. Wir brauchen ein Zugpferd, einen bekannten Namen. Was haltet ihr von einer Biografie?«
Rebeckas Miene leuchtete auf, ihre Augen funkelten hinter ihrer etwas zu großen Brille. »Ausgezeichnete Idee!«, rief sie. »Dafür reicht die Zeit. Alles, was wir brauchen, ist ein Promi mit einem bewegten Leben, das wir noch ein bisschen ausschmücken können.«
»Das ist doch was.« Tobias nickte beifällig. »Wie wär’s mit einem Fußballer?«
»Nein, die Sparte ist abgegrast«, widersprach Rebecka. »Und in dem Bereich ist die Konkurrenz ohnehin zu groß. Aber ich habe vor Kurzem einen Artikel über Niklas Granath gelesen.«
»Entschuldige, wer ist das?«, fragte Katrin.
»Er war mit Jaqueline Fransson verheiratet. Ihr wisst schon, dieses Model, das in allen möglichen Dokusoaps mitspielt. Bis Granath und sie ein Paar wurden, war er ein erfolgreicher Bodybuilder und hat selbst gemodelt. Er behauptet, dass sie ihn bei der Scheidung bis aufs letzte Hemd ausgenommen und ihn um sein ganzes Geld gebracht hat. Also versucht er, wieder auf die Beine zu kommen, indem er selbst durch sämtliche Soaps tingelt.«
Katrin schüttelte den Kopf. »Glaubst du, dass die Leute das lesen wollen?«
Insgeheim stimmte Annika Katrin zu. Das klang wirklich nicht sonderlich spannend. Aber Biografien waren zurzeit populär. Die Leser schienen vom Leben geschriebene Geschichten zu mögen, und wenn das, was Rebecka über diesen Granath sagte, stimmte, konnte es möglicherweise funktionieren.
»Einen Versuch ist es wert«, sagte Tobias. »Annika, du hast doch vor zwei Jahren die Autobiografie dieses Fernsehkochs betreut, oder? Übernimmst du das?«
Annika seufzte. »Sicher, auch wenn ich auf etwas Besseres gehofft hatte als einen Soap-Star.«
Rebecka hob ihre tiefschwarz getuschten Augenbrauen. »Immerhin ist er ein bekanntes Fernsehgesicht.«
»Das schon.« Tobias sah Rebecka an. »Aber ich stimme Annika zu. Eigentlich bräuchten wir einen Prominenten mit größerer Publicity. Nur fehlt uns für so jemanden leider das Geld. Den Ghostwriter müssen wir schließlich auch noch bezahlen.«
»Darum kümmere ich mich«, sagte Rebecka. »Annika, wenn du Granath ins Boot holst, habe ich schon jemanden im Kopf, der die Biografie für ein geringes Honorar schreibt.«
»Klar, kein Problem. Aber wir brauchen mehr als das«, gab Annika zu bedenken. »Ich übernehme die Biografie, was macht ihr?«
»Ich muss mich auf Stina von Gryning konzentrieren«, sagte Tobias. »Vor ihrer Schreibblockade hat sie mir ein halb fertiges Manuskript geschickt. Ich werde sie nach Kräften unterstützen, damit sie vielleicht doch früher abgibt.«
»Und ich kümmere mich darum, dass die Titel fertig werden, die wir trotz allem in der Pipeline haben«, versprach Rebecka.
Stuhlbeine scharrten über den Boden, und Papier raschelte, als sie ihre Sachen zusammensammelten und das Meeting beendeten.
»Na, wenn das kein Silberstreif am Horizont ist«, bemerkte Katrin ironisch und rückte ihre runde Brille zurecht.
»Den Mut zu verlieren hilft uns nicht weiter«, erwiderte Annika. »Und wer weiß, die Arbeit an einer Biografie kann doch richtig Spaß machen.«
»Du meinst, wir sollen gemeinsam daran arbeiten – du und ich?« Katrins düstere Miene hellte sich auf.
»Ja.« Annika griff nach ihrem Notizblock. »Bisher waren wir doch immer ein gutes Team. Übrigens, ist dir die Erde aufgefallen, die gestern und heute unten im Eingangsbereich und auf der Treppe gelegen hat?«
Katrin schüttelte den Kopf. »Nein, nicht dass ich wüsste. Warum?«
»Ach, nur so.«
Aber vor allem fragst du dich bestimmt, wer ich bin. Lies weiter. Vielleicht erfährst du es.
Sonntag,14. November
Martin hielt an. Die Handbremse knackte, als er sie ein bisschen zu heftig anzog. Im Auto war es kühl, obwohl sie bis zu der Immobilie fast durch die halbe Stadt gefahren waren. Unterwegs hatten sie kaum ein Wort gewechselt. Annika war nicht nach einer Unterhaltung zumute. Sie machte sich Sorgen um ihren Job, war aber trotzdem fest entschlossen, an ihrem Traum vom Eigenheim festzuhalten.
»Ist es das?« Sie deutete mit dem Kopf auf das Haus, vor dem Martin geparkt hatte.
»Nein«, erwiderte Martin. »Das gelbe Holzhaus da drüben.«
Annika zuckte zusammen. Von so einem Haus hatte sie geträumt. Ein gelbes Holzhaus mit weißen Giebeln. Sie lächelte. Die Sonne schien hinter den Wolken hervorzukommen und ihre Strahlen exklusiv auf das kleine Häuschen zu richten. Doch im nächsten Moment wurde ihre Freude von aufkeimenden Ängsten überschattet. Wenn der Verlag in ein paar Monaten in Konkurs ging, wäre sie arbeitslos.
»Wie schön«, sagte sie gepresst. Was, wenn ihr Traumhaus vor ihr lag und sie es sich nicht leisten konnten?
»Ich dachte mir, dass es dir gefällt.«
Sie stiegen aus dem Auto. Fröstelnd knöpfte Annika ihren Mantel zu. Es wurde Zeit, die Wintersachen vom Dachboden zu holen.
Von der E 20 drangen Verkehrsgeräusche zu ihnen herüber, aber nicht so laut, dass es störte. Hinter dem Gartentor wuchsen ein paar stachelige Dornenbüsche. Annika bedachte die verhassten Sträucher mit einem finsteren Blick. »Die reißen wir auf jeden Fall raus«, sagte sie.
»Wie du willst«, stimmte Martin zu. »Aber guck dir das Haus bitte völlig unvoreingenommen an.«
»Warum sagst du das? Ich bin doch immer unvoreingenommen?«
»Ich bitte dich nur, es diesmal zu sein«, sagte Martin.
Sie gingen die Holzstufen zur Veranda hinauf und zogen die Eingangstür auf. Gedämpftes Stimmengewirr schlug ihnen entgegen. Im Flur türmte sich ein Schuhberg. Ein älterer Herr zwängte seine bestrumpften Füße gerade in ein Paar Stiefel. Martin und Annika warteten auf der Veranda, bis er fertig war.
Eine Frau in einem grauen Kostüm und mit einem Loopschal um den Hals empfing sie mit neugierig funkelnden Augen. »Willkommen«, sagte sie und gab ihnen die Hand. »Mein Name ist Louise. Ich komme vom Maklerbüro in Partille. Lassen Sie mich nur rasch Ihre Namen auf der Liste abhaken, dann können Sie sich ganz in Ruhe umschauen.«
Annika schüttelte Louises Hand und bemühte sich, sie nicht zu offensichtlich zu mustern. Die Maklerin erinnerte sie an sich selbst, als sie Martin getroffen hatte. Anders als Annika, die ihre Haare am liebsten mit einer Spange hochsteckte, trug Louise ihre Haare offen, aber ihre Haarfarbe war fast identisch. Ein sattes Rotbraun, das mit Louises lebhaften blauen Augen kontrastierte. Durchschimmernde Sommersprossen akzentuierten ihre Wangenknochen wie eine zarte Schicht Rouge. Sie hätte Annikas jüngere Schwester sein können, allerdings ohne die unnötigen Beziehungspfunde, wie Annika mit einem Blick auf Louises schmale Taille feststellte.
Martin begrüßte Louise übertrieben enthusiastisch und ließ sich von ihr eine Broschüre aushändigen. Annika versuchte, sein Verhalten zu ignorieren. Es gab keinen sichereren Beziehungskiller als Eifersucht. Eifersucht war schlimmer als Kinderlosigkeit, um die ihre Gedanken wie in einem Hamsterrad unablässig kreisten. Trotzdem verfinsterte sich ihr Blick, bis Martin ihr eine Hand auf den Rücken legte und sie sanft in die Küche schob. Augenblicklich fühlte sie sich besser, auch wenn sie sich vornahm, ab sofort wieder mehr Sport zu treiben.
»Groß ist sie ja nicht«, flüsterte sie Martin ins Ohr.
Martin kicherte und deutete auf ein Foto in der Maklerbroschüre. »Nein, aber geräumig. Siehst du?«
Für die Aufnahme hatte der Fotograf den Küchentisch samt Stühlen so dicht an die Wand geschoben, dass man weder daran sitzen noch einen Stuhl darunter hervorziehen konnte. Auf der anderen Seite schloss der Tisch bündig mit der Arbeitsplatte ab und ließ keinen Durchgang frei.
Annika lachte. »Wie gut, dass sie für die Besichtigung einen kleineren Tisch besorgt haben. Aber uns würde ein kleiner Küchentisch reichen. Es gibt ja ein Esszimmer.«
»Wie man’s nimmt. Ess- und Wohnzimmer in einem. Aber klar, wir können unseren Esstisch da aufstellen.«
Annika nickte. Sie gingen weiter. Das Wohnzimmer war L-förmig geschnitten und verlief um eine Kaminecke und den schmalen Treppenaufgang ins Obergeschoss, wo sich ein Schlafzimmer und ein kleines Bad befanden.
»Ist das nicht sehr beengt?«, fragte Annika. »Ich meine, hier unten gibt es nur den Flur, die winzige Küche und das Wohnzimmer. Wo willst du dein Büro einrichten? Platz für ein Kinderzimmer ist hier auch nicht.«
»Du hast recht«, antwortete Martin. »Aber die Lage ist unbezahlbar. Und wir haben genug Geld für einen Anbau.« Nach kurzem Zögern deutete er mit dem Kopf auf eine Tür, die Annika bisher übersehen hatte. Sie war so schmal, dass man sie mit einem Einbauschrank verwechseln konnte. »Außerdem gibt es noch ein winziges Detail, das ich dir verschwiegen habe.«
»Verschwiegen? Was meinst du?«
»Du hast versprochen, unvoreingenommen zu sein.« Martin lächelte geheimnisvoll und öffnete die Tür. Dahinter lag eine noch schmalere Treppe. Die in einen Keller führte. Ein Schwall modriger Luft drang zu ihnen herauf.
Annikas Puls schlug schneller. Der Anblick der nach unten führenden Stufen traf sie völlig unvorbereitet. Eine eisige Hand umklammerte ihr Herz. Sie könnte schwören, vom Fuß der Treppe ein anhaltendes Kratzen zu hören. Sie schloss die Augen und schluckte. Wut stieg in ihr auf. Sie öffnete die Augen, funkelte Martin zornig an und deutete die Treppe hinunter.
»Was haben wir über Keller gesagt?«, fragte sie ruhig, doch ihre zusammengepressten Lippen verrieten, dass sie innerlich kochte.
»Warte, lass es mich erklären.«
»Wozu? Ich will nicht in einem Haus mit Keller wohnen.«
Über Martins Schulter hinweg sah sie, dass Louise ihre Unterhaltung interessiert verfolgte. Die anderen Interessenten blätterten in ihren Broschüren und taten so, als ob sie ihre Auseinandersetzung nicht mitbekämen.
»Ich weiß«, erwiderte Martin. »Aber es ist schwierig, ein Haus in unserer Preislage zu finden, das alle Kriterien erfüllt. Dieses Haus sieht von außen so gemütlich aus. Ich dachte, die Optik würde den Keller aufwiegen.«
Annika wurde rot. Martin hatte recht. Aber er konnte es nicht verstehen. Er wusste nichts von den Dingen in der Erde, die … Sie zwang sich, an etwas anderes zu denken.
»Da unten gibt es nur einen Raum und einen Heizungskeller«, fuhr Martin fort. »Ich kann da meine Männerhöhle einrichten. Du musst keinen Fuß in den Keller setzen. Wir bauen das Haus aus und richten das Kinderzimmer im Erdgeschoss ein. Das wird urgemütlich.«
»Wir gehen.« Annika rauschte in den Flur, ohne auf Martin zu warten. Sie musste hier raus. Die Luft im Haus war bleischwer geworden, der erdige Geruch aus dem Keller wurde mit jeder Sekunde intensiver. Sie hatte das Gefühl zu ersticken.
Annika hörte, wie Martin sich hastig von Louise verabschiedete. Sie verzichtete darauf und stürmte aus dem Haus. Auf dem Gartenweg holte Martin sie ein.
»Annika«, sagte er. Seine Stimme klang liebevoll, aber das kümmerte sie herzlich wenig. »Es tut mir leid, Liebling. Ich wusste nicht, dass es dir so wichtig ist.«
»Nein, du hattest nur deine verdammte Männerhöhle im Kopf«, erwiderte Annika, ohne sich umzudrehen. »Und genau das ist das Problem. Du hörst nicht zu, wenn ich dir sage, was mir wichtig ist.«
»Doch, das tue ich. Ehrlich. Entschuldige, das war dumm von mir. Ich verstehe es nur nicht.«
»Du musst auch nicht alles verstehen.«
»Nein. Es tut mir leid. Okay. Keine Keller mehr, versprochen.« Martin sah sie mit seinen großen blauen Welpenaugen an, die er immer bekam, wenn er etwas aufrichtig bereute. Sein Blick ließ die eisige Klammer um ihr Herz schmelzen.
Sie atmete tief durch. »Gut. Keine Keller mehr. Von jetzt an will ich jedes Objekt sehen, bevor du eine Besichtigung vereinbarst.«
»Einverstanden.«
Annika drehte sich um und betrachtete über Martins Schulter hinweg die Holzfassade des Hauses. Von außen sah es aus wie ihr Traum von einem gemütlichen Heim mit Garten, in dem sie sich verwirklichen konnte. In dem Kinder herumtoben und spielen konnten. Auf dem Grundstück wuchsen sogar Apfelbäume, an denen sie eine Schaukel aufhängen konnten. Hätten sie das Haus einige Monate früher besichtigt, hätte sie einen Apfel pflücken und ihn einem strahlenden Kind in die Hand drücken können. Wie ihre Großmutter früher, wenn sie sie in ihrem gelben Häuschen auf dem Land besucht hatten.
Martin lag nicht falsch. Gäbe es den Keller nicht, wäre dies das Haus, von dem sie geträumt hatte. Annika bekam ein schlechtes Gewissen und lächelte Martin an. Sie hatte ihn genug gestraft.
»Schade, dass das Haus einen Keller hat«, sagte sie. »Denn es ist schön.«
Martin nickte und starrte auf seine Füße. »Ja, ich dachte mir, dass es dir gefallen würde. Ich möchte mich nicht mit dir streiten, aber meinst du nicht, dass wir reden sollten?«
Annika sah ihn an. »Worüber? Wir haben keinen Streit, ich bin nur gestresst wegen der Situation im Verlag.«
»Das verstehe ich. Aber mit meinem Gehalt würden wir eine ganze Weile über die Runden kommen. Bis du etwas anderes gefunden hast. Aber das meine ich nicht.«
»Was meinst du dann?«
»Wir sollten über uns reden, Annika. Wie es wirklich zwischen uns steht. Ich weiß, der Zeitpunkt ist ungünstig, aber wir sollten vielleicht ausführlicher darüber reden, als wir es tun.«
»Ich weiß nicht, was du meinst. Es kommt alles wieder in Ordnung. Bald haben wir unser Haus und unsere Kinder, und dann ist alles wieder so, wie es sein soll.«
Martin sah sie lange an. »Versteh mich nicht falsch. Ich liebe dich. Aber es gibt Dinge, die sich nicht lösen lassen, indem man Kinder bekommt. Wir versuchen es schon so lange. Was ist, wenn es nicht klappt? Was machen wir dann?«
Annika ging einen Schritt auf Martin zu und nahm seine Hand. Er sah sie an und rang sich ein Lächeln ab.
»Komm«, sagte sie. »Lass uns jetzt nicht weiter darüber reden.«
Ehe ich der Gräber wurde, war ich wie alle anderen. Wärst du mir auf der Straße begegnet, hättest du nie vermutet, dass etwas nicht stimmte, aber so war es. Ich trug, genau wie du, die Saat des Bösen in mir, die darauf wartete, Wurzeln zu schlagen.
Sonntag,14. November
Cecilia setzte sich im Bett auf und zog die Decke an ihre Brust. Das Licht, das durch die Jalousien sickerte, verriet, dass es bereits Nachmittag sein musste. Sie atmete tief ein, füllte die Leere in ihrem Inneren mit Luft und suchte nach ihrem BH, der am Fußende unter der Matratze gelandet war.
Der Mann, der neben ihr lag, bewegte sich. Sein Name war Marcus. Ein tätowierter Arm kam unter der Bettdecke hervor und strich ihre Wirbelsäule entlang. Sie entzog sich der Berührung, stand auf und schlüpfte in ihren Morgenmantel. Er war nicht besonders warm, schützte ihren Körper aber vor den neugierigen Blicken der Nachbarn in ihre Wohnung.
»Ich koche Kaffee«, sagte sie und verließ das Schlafzimmer. Marcus drehte sich mit einem Stöhnen auf den Rücken.
Die Küche war in kaltes Sonnenlicht getaucht. Der Himmel war wolkenlos und von einem eisigen Blau, wie es nur im Herbst vorkam. In dem grellen Licht traten alle Fehler und Mängel in ihrem Zuhause erbarmungslos zutage. Auf der Anrichte hatten sich Brotkrümel und Kaffeeflecken angesammelt. Wollmäuse in den Ecken verrieten, dass sie seit Wochen nicht geputzt hatte. Auf dem Sofa lagen noch die zerwühlten Decken vom Vorabend, und auf dem Couchtisch standen zwei leere Weingläser. An ihrem klebte Lippenstift, in beiden haftete ein kristalliner Bodensatz aus eingetrocknetem Rotwein.
Ihre Gesichtshaut spannte sich unangenehm unter einer Schicht Make-up. Ihr Herz und ihr Verstand kämpften miteinander, während sie Kaffeepulver in den Filter füllte. Die Hälfte des Pulvers landete daneben. Cecilia machte sich nicht die Mühe, es wegzuwischen. Sie legte die Hand auf den Deckel des Wasserbehälters, drückte den Startknopf und schloss die Augen.
Sie war ihr Single-Dasein leid. Es kam ihr vor wie eine endlose Folge sinnloser Dates. Aber was blieb ihr anderes übrig? Sie musste der Sache eine Chance geben, wenn sie nicht den Rest ihres Lebens allein verbringen wollte. Als sie Marcus aus dem Schlafzimmer kommen hörte, spannte sich ihr Körper an, und sie bekam Atemnot. Er hatte seine Jeans übergezogen, aber sein Oberkörper war nackt. Lächelnd fuhr er sich durch seine zerwühlten schwarzen Haare, die er normalerweise zu einem straffen Dutt hochband.
»Guten Morgen, Schönheit«, sagte er.
»Guten Morgen«, antwortete sie, ohne sein Lächeln zu erwidern. »Du, ich möchte, dass du jetzt gehst.«
Marcus hielt mitten in der Bewegung inne. »Wie bitte?«
»Du hast mich verstanden.«
Er ließ die Hand sinken und blickte sich schlaftrunken und verwirrt um. »Ich verstehe nicht. Gestern …«
»Gestern war gestern.« Cecilia seufzte und legte den Kopf schief. »Ich kann das nicht weiter durchziehen. Es tut mir leid, aber es geht nicht.«
»Warum nicht? Ich meine, wir gehen seit über einem Monat miteinander aus.«
»Ich weiß. Aber es wäre dir gegenüber nicht fair, wenn wir weitermachen würden. Ich bin nicht gut für dich, für niemanden. Am Ende würde ich dich nur enttäuschen.«
Marcus schüttelte den Kopf. Ein Ausdruck von Enttäuschung, möglicherweise Schmerz, trat in seine Augen. »Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich dachte, das mit uns wäre was Ernstes.«
»Ist es aber nicht, okay? Lass uns das Ganze beenden.«
Cecilia schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter und kämpfte gegen die Tränen an. Sie hatte gewusst, dass es ein Fehler war, Marcus nach den ersten wunderbaren Dates weiter zu treffen. Wenn er sie berührte, ihr in die Augen sah, wurde ihr ganz warm ums Herz, und ihre Haut fing an zu kribbeln. Doch sobald der Rausch verflog, fiel ihr wieder ein, wie es enden würde. Wie sie ihn enttäuschen würde. Es war besser, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Sie hatten heute ihre letzte gemeinsame Nacht verbracht. Es war Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen, bevor mehr daraus wurde als nur eine weitere flüchtige Affäre.
Marcus schloss die Augen und kniff sich in die Nasenwurzel. Cecilia sah, wie es in seinem durchtrainierten Körper zuckte. Hastig sog er Luft durch die Nase. »Wo ist mein T-Shirt?«, fragte er und verschwand im Schlafzimmer. Kurz darauf kam er vollständig angezogen zurück.
»Scheiße, Cecilia«, sagte er kopfschüttelnd. »Aus uns hätte was werden können.«
Cecilia verschränkte die Arme vor der Brust, damit Marcus nicht merkte, wie angespannt ihr Körper war.
»Du bist eine tolle Frau«, fuhr er fort und strich ihr über die Wange. Seine Hand war warm und rau. »Warum bist du so hart gegen dich selbst?«
Cecilia nahm seine Hand von ihrer Wange und sah ihn an. »Ich tue das, was für uns beide das Beste ist.«
»Okay, wenn das deine Meinung ist.« Marcus wischte sich mit dem Handrücken eine Träne aus dem Gesicht und ging in den Flur hinaus. Cecilia hörte, wie er Schuhe und Jacke anzog. Einen Augenblick später fiel die Wohnungstür hinter ihm zu.
Sie sank auf einen Küchenstuhl und konzentrierte sich auf ihre Atmung. Abgesehen vom Gurgeln der Kaffeemaschine war es vollkommen still in der Wohnung. In ihrem Inneren schwirrten die Emotionen wie Bienen in einem Bienenstock. Selbstverachtung. Überzeugung, richtig gehandelt zu haben. Angst, einen Riesenfehler gemacht zu haben. Resignation, wieder allein zu sein. Und: Geborgenheit. Geborgenheit, die vom Alleinsein ausging und sich schützend um ihr Herz legte.
An diesem Punkt hatte sie schon oft gestanden, viele Male. Es tat weh, war aber besser als die Alternative: die Männer in ihrem Leben zu einem späteren Zeitpunkt noch mehr zu verletzen, nämlich dann, wenn sie sich Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft mit Cecilia Wreede machten.
Cecilia goss sich einen Becher Kaffee ein und holte ihr Handy vom Nachttisch im Schlafzimmer. Sie bemerkte, dass ihr Morgenmantel aufgeglitten war, aber die frische Luft kühlte ihre Haut. Nach der gestrigen Nacht fühlte sie sich ungepflegt, und ihre Achseln klebten vom Stressschweiß, den die Trennung von Marcus ausgelöst hatte. Während sie ihre Hände am Kaffeebecher wärmte, trat sie ans Fenster und sah auf den Hof hinaus.
Einmal in ihrem Leben hatte sie sich von der Liebe mitreißen lassen. Hatte jemanden so sehr geliebt, dass es körperlich wehgetan hatte. Trotzdem hatte sie denjenigen enttäuscht und ihn verlassen. Ohne recht zu wissen, warum. Damals. Heute wusste sie, dass es in ihrer Natur lag. Sich etwas anderes vorzumachen war zwecklos.
Diesmal nicht, aber vielleicht beim nächsten Mal?