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DER GRAF VON BRAGELONNE Ludwig XIV. ist weit über das Alter hinaus, in dem er regieren sollte, aber der kränkelnde Kardinal Mazarin weigert sich, die Zügel der Macht abzugeben. In der Zwischenzeit reist Karl II., ein König ohne Land, durch Europa und bittet seine Mitmonarchen um Hilfe. “Der Graf von Bragelonne” umfasst den Zeitraum von 1660 bis 1673. Die Reihe beginnt mit der Ankunft der Prinzessin Henrietta im Jahr 1660, schildert das Drama der eifersüchtigen, lüsternen und skandalträchtigen Mitglieder des französischen Hofes und das Liebesdreieck zwischen Louis, Louise und Raoul, dem Sohn von Athos. D’Artagnan, noch immer Leutnant bei den Musketieren, sieht für sich kein Fortkommen mehr im Dienste des Königs und bittet daher um seinen Abschied. Sein Ziel ist es, in England Karl II. zum Thron zu verhelfen. Auch Athos macht sich auf den Weg nach England, weil er Karl I. kurz vor dessen Tod seine Ergebenheit gegenüber Karl II. geschworen hatte. Währenddessen arbeiten Aramis und Porthos am Sturz Ludwigs XIV. Sie wollen an seiner Statt seinen inhaftierten Zwillingsbruder, den “Mann in der eisernen Maske”, auf den Thron setzen… Dieses ist der vierte von zehn Bänden. Der Umfang des vierten Bandes entspricht ca. 370 Buchseiten. Die Reihe IM ZEICHEN DER MUSKETIERE Die zehnbändige Reihe DER GRAF VON BRAGELONNE ist die dritte eigenständige Sequenz der übergeordneten und insgesamt 18 Teile umfassenden Reihe IM ZEICHEN DER MUSKETIERE, die insgesamt aus drei solchen eigenständigen Sequenzen besteht: DIE DREI MUSKETIERE (4 Teile), ZWANZIG JAHRE NACHHER (4 Teile) und DER GRAF VON BRAGELONNE (10 Teile). Die Geschichte um die drei Musketiere wurde häufig verfilmt. Bekannt ist auch die Verfilmung eines Handlungsstrangs aus dem GRAF VON BRAGELONNE unter dem Titel »Der Mann mit der eisernen Maske«. Die Geschichte rankt um einen möglichen Zwillingsbruder des Königs Ludwig XIV., der in der Bastille gefangen gehalten wurde und eine eiserne Maske tragen musste, um seine wahre Identität zu verbergen. Insgesamt umfasst die komplette Reihe etwa 5.500 Seiten voller Abenteuer, Liebe und Heldenmut. Diese Reihe präsentiert die ungekürzte Übersetzung aus dem Französischen von August Zoller in einer sprachlich überarbeiteten und modernisierten Neuausgabe.
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ALEXANDRE DUMAS
DER GRAF VON BRAGELONNE
HISTORISCHER ROMAN
IN ZEHN BÄNDEN
BAND IV
Ungekürzte, sprachlich überarbeitete und modernisierte Neuausgabe
auf Grundlage der Übertragung aus dem Französischen von August Zoller
DER GRAF VON BRAGELONNE wurde zuerst veröffentlicht in der Zeitung Le Siècle, Paris 1847.
Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von: apebook
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
1. Auflage 2020
Sprachlich überarbeitete und modernisierte Neuausgabe der ungekürzten Übertragung
aus dem Französischen von August Zoller.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
Dieses Buch ist Teil der ApeBook Classics (Nr. 76): Klassische Meisterwerke der Literatur als Paperback und eBook.
Weitere Informationen am Ende des Buches und unter:
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ISBN 978-3-96130-309-0
Buchgestaltung: SKRIPTART
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Alle verwendeten Bilder und Illustrationen sind – sofern nicht anders ausgewiesen – nach bestem Wissen und Gewissen frei von Rechten Dritter, bearbeitet von SKRIPTART.
Alle Rechte vorbehalten.
© apebook 2020
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DIE DREI MUSKETIERE
Band I
Band II
Band III
Band IV
ZWANZIG JAHRE NACHHER
Band I
Band II
Band III
Band IV
DER GRAF VON BRAGELONNE
Band I
Band II
Band III
Band IV
Band V
Band VI
Band VII
Band VIII
Band IX
Band X
KARTE
von
FRANKREICH IM 17. JAHRHUNDERT
Inhaltsverzeichnis
DER GRAF VON BRAGELONNE. Band IV
Frontispiz
Impressum
Karte
Vierter Band
I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
XXIII.
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Zu guter Letzt
Worin sich die Anfangs sehr trüben Gedanken von d'Artagnan aufzuklären anfangen.
D'Artagnan ergriff sogleich die Offensive.
»Nun, da ich Euch Alles gesagt habe, lieber Freund, oder da Ihr vielmehr Alles erraten habt, sagt mir, was Ihr, mit Staub und Koth bedeckt, hier macht?«
Porthos wischte sich die Stirne ab, schaute stolz umher und erwiderte:
»Mir scheint, Ihr könnt sehen, was ich hier mache!«
«Gewiß! gewiß! Ihr hebt Steine auf.«
»Oh! um diesen Faulenzern zu zeigen, was ein Mann ist!« sagte Porthos mit Verachtung, »doch Ihr begreift…«
»Ja! es ist nicht Euer Gewerbe, Steine aufzuheben, obgleich es Viele gibt, die ihr Gewerbe daraus machen und sie nicht aufheben, wie Ihr. Dies bewog mich, Tuch so eben zu fragen: Was macht Ihr hier, Baron?«
»Ich studire die Topographie, Chevalier.«
»Ihr studiert die Topographie?«
»Ja; doch Ihr, was macht Ihr unter dieser bürgerlichen Kleidung hier?«
D'Artagnan erkannte, es sei ein Fehler von ihm gewesen, daß er sich zu einem Erstaunen habe hinreißen lassen. Porthos hatte dies benützt, um einen Gegenschlag durch eine Frage zu tun.
Zum Glück war d'Artagnan auf diese Frage gefaßt, und er erwiderte: , »Ihr wißt wohl, daß ich ein Bürger bin, und man darf sich also nicht über den Anzug wundern, da er mit der Eigenschaft im Einklang steht.«
»Geht doch, Ihr, ein Musketier!«
»Ihr habt nicht Recht, mein Freund, ich habe meinen Abschied genommen.«
»Bah!«
»Ah! mein Gott, ja!«
»Und Ihr habt den Dienst verlassen?«
»Ich habe quittiert.«
»Ihr habt den König verlassen?«
»Ganz und gar.«
Porthos streckte die Arme zum Himmel empor, wie ein Mensch, der eine unerhörte Neuigkeit erfährt.
»Oh! das bringt mich ganz in Verwirrung,« sagte er.
»Es ist dennoch so.«
»Und was vermochte Euch hierzu zu bestimmen?«
»Der König hat mir mißfallen, Mazarin war mir schon seit langer Zeit widerwärtig»und so warf ich meine Kasake in die Nesseln.«
»Aber Mazarin ist tot.«
»Ich weiß es, bei Gott! wohl, nur war zur Zeit seines Todes die Entlassung schon seit zwei Monaten erbeten und angenommen. Da ich sodann meine Freiheit hatte, eilte ich nach Pierrefonds, um meinen lieben Porthos zu sehen. Ich hörte von der glücklichen Einteilung sprechen, die Ihr mit Eurer Zeit getroffen habt, und wollte auf vierzehn Tage die meinige nach der Eurigen einteilen.«
»Mein Freund, Ihr wißt, daß Euch das Haus nicht nur für vierzehn Tage geöffnet ist, sondern für ein Jahr, für zehn Jahre, für das Leben.«
»Ich danke, Porthos.«
»Ah! sprecht, braucht Ihr nicht Geld?« fragte Porthos, indem er etliche und fünfzig Louis d'or klingen ließ, die seine Hosentasche enthielt. »Ihr wißt, daß ich bereit bin?«
»Nein, ich brauche nichts: ich habe meine Ersparnisse bei Planchet angelegt, der mir den Zins darauf bezahlt.«
»Eure Ersparnisse?«
«Allerdings; warum wollt Ihr, daß ich nicht Ersparnisse gemacht habe, wie ein Anderer, Porthos?«
»Ich! ich will das nicht; im Gegenteil, ich hegte immer den Verdacht, das heißt, Aramis hegte immer den Verdacht, Ihr habet Ersparnisse. Doch seht, ich' mische mich nicht in häusliche Angelegenheiten; aber ich denke, Ersparnisse eines Musketiers, das kann nicht schwer in die Wage fallen?«
»Ihr habt Recht, im Verhältnis zu Euch, der Ihr ein Millionär seid, Porthos; aber ich will Euch selbst zum Richter machen. Ich hatte einmal fünfundzwanzig tausend Livres …«
»Das ist hübsch,« sagte Porthos mit leutseliger Miene.
»Und,« fuhr d'Artagnan fort, »und ich fügte am 25, des vergangenen Monats zweimal hundert tausend Livres bei.«
Porthos riß die Augen so ungeheuer weit auf, daß diese den Musketier zu fragen schienen: »Wo des Teufels habt Ihr eine solche Summe gestohlen, teurer Freund?«
»Zweimal hunderttausend Livres!« rief er endlich.
»Ja, die mir mit fünfundzwanzigtausend, die ich hatte, und mit zwanzigtausend, die ich bei mir trage, eine Summe von zweimal hundert und fünfzig tausend Livres voll machen.«
»Aber sagt, sagt, woher kommt dieses Vermögen?«
»Ah! ich werde Euch das später erzählen, teurer Freund; doch da Ihr mir zuvor selbst viele Dinge mitzuteilen habt, stellen wir meine Erzählung in die ihr gebührende Reihenfolge zurück.«
»Bravo!« rief Porthos, »wir sind also nun Alle reich; doch was hatte ich Euch denn zu erzählen?«
»Ihr habt mir zu erzählen, wie Aramis ernannt worden ist…«
»Ah! zum Bischof von Vannes.«
»So ist es, zum Bischof von Vannes. Wißt Ihr, daß dieser liebe Aramis sein Glück macht?«
»Ja, ja, abgesehen davon, daß es nicht dabei bleiben wird.«
»Wie! glaubt Ihr, er werde sich nicht mit den veilchenblauen Strümpfen begnügen, und er müsse den roten Hut bekommen?«
»St! das ist ihm versprochen.«
»Bah! vom König?«
»Von Einem, der noch mächtiger ist, als der König.«
»Ah, Teufel! was für unglaubliche Dinge sagt Ihr mir da, mein Freund!«
»Warum unglaublich? Hat es in Frankreich nicht immer Einen gegeben, der mächtiger war, als der König?«
»Oh! doch, zur Zeit von König Ludwig XIII. war es der Herzog von Richelieu; zur Zeit der Regentschaft war es der Kardinal Mazarin; zur Zeit von Ludwig XIV. ist es M …«
«Geht doch!«
»Es ist Herr Fouquet.«
»Gut! Ihr habt ihn mit dem ersten Schlag genannt.«
»Herr Fouquet hat also Aramis den Hut versprochen?«
Porthos nahm eine zurückhaltende Miene an und erwiderte:
»Teurer Freund, Gott behüte mich, daß ich mich mit den Angelegenheiten Anderer beschäftige, und besonders, daß ich Geheimnisse offenbare, welche zu bewahren in ihrem Interesse liegen mag. Wenn Ihr Aramis seht, wird er Euch sagen, was er Euch sagen zu müssen glaubt.«
»Ihr habt Recht, Porthos, und Ihr seid ein wahres Sicherheitsschloß. Kommen wir also auf Euch zurück.«
»Ja,« sprach Porthos.
»Ihr habt mir gesagt, Ihr wäret hier, um die Topographie zu studieren.«
»Richtig.«
»Alle Teufel! mein Freund, was für schöne Dinge werdet Ihr machen!«
»Wie so?«
»Diese Festungswerke sind bewunderungswürdig.«
»Ist das Eure Ansicht?«
»Gewiß. Wahrhaftig, wenn nicht eine ganz regelmäßige Belagerung stattfindet, ist Belle-Isle uneinnehmbar.«
Porthos rieb sich die Hände, und sprach:
»Das ist auch meine Meinung.«
»Aber wer Teufels hat dieses Nest so befestigt?«
Porthos warf sich in die Brust.
»Habe ich es Euch nicht gesagt?«
»Nein.«
»Ihr vermutet es nicht?«
»Nein: ich kann Euch nur sagen, daß es ein Mensch ist, der alle Systeme studiert hat und bei dem besten stehen geblieben zu sein scheint.«
»Stille!« sagte Porthos, »schont meine Bescheidenheit, lieber d'Artagnan.«
»Wahrhaftig! solltet Ihr es sein … der … oh!«
»Ich bitte, mein Freund.«
»Habt Ihr sie ersonnen, entworfen und mit einander verbunden, diese Basteien, diese Sägewerke, diese Mittelwälle, diese Halbmonde, und bereitet Ihr diesen bedeckten Weg?«
»Ich bitte Euch.«
»Habt Ihr diese Lunette mit ihren einwärts gehenden und vorspringenden Winkeln erbaut?«
»Stille!«
»Mein Freund, habt Ihr diese Neigung den Wänden Eurer Schießscharten gegeben, durch die Ihr die Leute, die Eure Kanonen bedienen, so wirksam beschützt?«
»Ei, mein Gott, ja.«
»Oh! Porthos, Porthos, man muß sich vor Euch verbeugen, man muß Euch bewundern; doch Ihr habt uns stets dieses herrliche Genie verborgen. Ich hoffe, mein Freund, Ihr werdet mir dies Alles im Einzelnen zeigen.«
»Nichts kann leichter sein. Hier ist mein Plan.«
»Zeigt.«
Porthos führte d'Artagnan zu dem Stein, der ihm als Tisch diente und auf dem der Plan ausgebreitet war.
Unten an diesem Plan stand mit jener furchtbaren Handschrift von Porthos, von der wir schon zu sprechen Gelegenheit gehabt haben, geschrieben:
»Statt Euch des Vierecks oder des Rechtecks zu bedienen, wie man es bis heute gemacht hat, betrachtet Eueren Platz als von einem regelmäßigen Sechseck umschlossen; denn dieses Vieleck hat den Vorteil, daß es eine größere Anzahl Winkel bietet, als das Viereck. Jede Seite Eures Sechsecks, deren Länge Ihr nach dem Verhältnis der auf dem Platze aufgenommenen Messungen bestimmt, wird in zwei Teile geteilt, und in dem Halbirungspunkt errichtet Ihr ein Perpendikel gegen den Mittelpunkt des Vielecks, welches in der Länge dem sechsten Teil einer Seite gleichkommen soll. Von den äußersten Punkten jeder Seiten zieht Ihr Linien, die das Perpendikel schneiden. Solche zwei Geraden bilden die Vertheidungslinien.«
»Teufel!« sagte d'Artagnan, bei diesem Punkte der Auseinandersetzung anhaltend, »das ist ein völliges System, Porthos.«
»Ein völliges System,« sprach Porthos. »Wollt Ihr fortfahren«
»Nein, ich habe genug gelesen; doch wenn Ihr es seid, mein lieber Porthos, der die Arbeiten leitet, warum braucht Ihr Euer System so schriftlich aufzusetzen?«
»Oh! mein Lieber, der Tod!«
»Wie! der Tod?«
»Ja, wir sind alle sterblich!«
«Es ist wahr … Ihr habt auf Alles eine Antwort, mein Freund,« sagte d'Artagnan,
Und er legte den Plan auf den Stein nieder.
Doch so kurze Zeit er auch diesen Plan in seinen Händen gehabt, so war d'Artagnan doch im Stande gewesen , unter der ungeheuren Handschrift von Porthos eine viel feinere Schrift zu unterscheiden, welche ihn an gewisse Briefe an Marie Michon erinnerten, die ihm in seiner Jugend bekannt geworden. Nur war über diese Schrift, die einem minder scharfen Auge als dem des Musketiers entgangen sein dürste, der Gummi hin und hergefahren.
»Bravo, mein Freund, bravo!« sagte d'Artagnan.
»Und nun wißt Ihr Alles, was Ihr wissen wollt, nicht wahr?« fragte Porthos, sich aufblähend.
»Oh! mein Gott, ja; tut mir jedoch nur noch einen Gefallen, lieber Freund.«
»Sprecht; ich bin hier der Herr.«
«Macht mir das Vergnügen und nennt mir den Herrn, der dort spazieren geht.«
»Wo, dort?«
»Hinter den Soldaten.«
»Gefolgt von einem Lakai?«
»Ganz richtig'«
»In Gesellschaft eines schwarz gekleideten Burschen?«
»Vortrefflich!«
»Das ist Herr Gétard.«
»Wer ist Herr Gétard, mein Freund?«
»Es ist der Architekt des Hauses.«
»Welches Hauses?«
»Des Hauses von Herrn Fouquet.«
»Ah! ah!« rief d'Artagnan, »Ihr gehört also zum Hause von Herrn Fouquet, Porthos?«
»Ich, und warum dies?« versetzte der Topograph, bis zum obersten Ende der Ohren errötend.
»Ihr sagt das Haus, indem Ihr von Belle-Isle sprecht, als ob Ihr vom Schloß Pierrefonds sprächet.«
Porthos biß sich aus die Lippen und erwiderte:
»Mein Lieber, nicht wahr, Belle-Isle gehört Herrn Fouquet?«
»Ja.«
»Wie Pierrefonds mir gehört?«
»Gewiß.«
»Ihr seid in Pierrefonds gewesen?«
»Ich sagte Euch , daß ich erst vor zwei Monaten dort war.«
»Habt Ihr einen Herrn gesehen, der dort, ein Richtscheit in der Hand, spazieren zu gehen pflegt?«
»Nein, doch ich hätte ihn sehen können, wenn er wirklich spazieren gegangen wäre.«
»Nun! dieser Herr ist Herr Boulingrin.«
»Wer ist Herr Boulingrin?«
»Das ist es gerade. Geht dieser Herr, ein Richtscheit in der Hand , spazieren, und man fragt mich: Wer ist Herr Boulingrin? so antworte ich: Es ist der Architekt des Hauses … Nun! Herr Gétard ist der Boulingrin von Herrn Fouquet, doch er hat nichts mit der Befestigung zu schaffen, das geht mich allein an, hört Ihr wohl? gar nichts.«
»Ah! Porthos,« rief d'Artagnan wie ein Besiegter, der seinen Degen übergibt; »ah! mein Freund, Ihr seid nicht nur ein herkulischer Topograph, sondern auch ein Dialektiker erster Stärke.«
«Nicht wahr,« erwiderte Porthos, »das ist mächtig geschlossen?«
Und er schnaufte wie der Meeraal, den d'Artagnan am Morgen hatte entschlüpfen lassen.
»Und nun sagt mir,« fuhr d'Artagnan fort, »gehört der Bursche, der Herrn Gétard begleitet, auch zum Hause von Herrn Fouquet?«
»Oh!« erwiderte Porthos mit Verachtung, »das ist ein Herr Jupenet oder Juporet, eine Art von Dichter.«
»Der sich hier niedergelassen hat?«
»Ich glaube, ja.«
»Ich dachte Herr Fouquet hätte dort Dichter genug, Scudéry, Loret, Pelisson, La Fontaine. Wenn ich Euch die Wahrheit sagen soll, Porthos, dieser Dichter macht Euch Schande.«
»Ei1 mein Freund, davor bewahrt uns der Umstand, daß er nicht als Dichter hier ist.«
»Als was ist er denn hier?«
»Als Drucker, und dabei fällt mir ein, daß ich diesem Schulfuchs ein Wort zu sagen habe.«
»Sagt es ihm.«
Porthos machte Jupenet ein Zeichen; dieser hatte d'Artagnan erkannt und offenbarte keine Lust, sich zu nähern.
Hierdurch wurde ein zweites Zeichen von Porthos veranlaßt.
Dieses Zeichen war so gebieterisch, daß er nun gehorchen mußte.
Er näherte sich also.
»Ah!« sagte Porthos, »Ihr habt Euch gestern ausgeschifft, und seid schon beider Arbeit!«
»Wie so, Herr Baron?« fragte Jupenet ganz zitternd.
»Eure Presse hat die ganze Nacht geseufzt, mein Herr,« sagte Porthos, »und Ihr habt mich zu schlafen verhindert, alle Wetter!«
»Gnädiger Herr … wollte Jupenet schüchtern einwenden.
»Ihr habt noch nichts zu drucken, und dürft also Eure Presse noch nicht gehen lassen. Was habt Ihr denn heute Nacht gedruckt?«
»Gnädiger Herr, ein leichtes Gedicht von meiner Composition.«
»Leicht! geht doch, mein Herr! die Presse ächzte zum Erbarmen … Das darf nicht mehr geschehen, hört Ihr!«
»Nein, gnädiger Herr.«
»Ihr versprecht es mir?«
»Ich verspreche es.«
»Es ist für diesmal gut, ich will es Euch verzeihen. Geht.«
Der Dichter entfernte sich mit derselben Demut, von der er beim Kommen eine Probe abgelegt hatte.
»Und nun, da wir diesem Burschen den Kopf gewaschen, laßt uns frühstücken,« sagte Porthos.
»Ja, frühstücken wir.«
»Nur muß ich Euch bemerken, daß wir nicht über zwei Stunden zu unserem Mahl haben.«
»Was wollt Ihr! wir werden besorgt sein, daß dies genug ist. Doch warum haben wir nur zwei Stunden?«
»Weil die Fluth um ein Uhr steigt, und weil ich mit der Fluth nach Vannes abgehe. Doch da ich morgen zurückkomme, lieber Freund, bleibt in meiner Wohnung, Ihr werdet dort Herr sein. Ich habe gute Küche, guten Keller.« …
»Nein, ich weiß etwas Besseres,« unterbrach ihn d'Artagnan.
»Was?«
»Ihr geht nach Vannes, sagt Ihr?«
»Allerdings.«
»Um Aramis zu sehen?«
»Ja.«
»Nun, ich kam ausdrücklich von Paris, um Aramis zu sehen!«
»Es ist wahr.«
»Ich werde mit Euch abreisen.«
»Gut.«
»Nur sollte ich mit Arnims anfangen und Euch hernach sehen. Doch der Mensch denkt, Gott lenkt. Ich werde mit Euch angefangen haben und mit Aramis endigen.«
»Sehr gut!«
»Und wie viel Stunden braucht Ihr von hier nach Vannes?«
»O mein Gott! sechs Stunden, drei Stunden zur See von hier nach Sarzeau, drei Stunden zu Land von Sarzeau nach Vannes.«
»Wie das bequem ist! Und Ihr geht oft nach Vannes, da Ihr so nahe beim Bistum seid?«
»Ja, einmal in der Woche. Doch wartet, daß ich meinen Plan mitnehme.«
Porthos hob seinen Plan auf, legte ihn sorgfältig zusammen und steckte ihn in seine weite Tasche.
»Gut,« sagte d'Artagnan beiseit, »ich glaube, ich weiß nun, wer der wahre Ingenieur ist, der Belle-Isle befestigt.«
Zwei Stunden nachher, zur Fluthzeit, gingen Porthos und d'Artagnan nach Sarzeau ab.
Eine Prozession in Vannes.
Die Überfahrt von Belle-Isle nach Sarzeau ging ziemlich rasch vor sich; man benützte eines von den kleinen Freibeuterschiffen, von denen d'Artagnan auf seiner Reise gehört hatte; für die Caperei gebaut und für die Jagd bestimmt, lagen diese Schiffe auf der Rhede von Locmaria, wo eines derselben mit dem vierten Teil seiner Kriegsmannschaft den Dienst zwischen Belle-Isle und dem Festland versah.
D'Artagnan hatte Gelegenheit, sich auch diesmal zu überzeugen, daß Porthos, obgleich Ingenieur und Topograph, in die Staatsgeheimnisse nicht tief eingeweiht war.
Seine vollkommene Unwissenheit hätte übrigens bei jedem Andern für eine gescheite Verstellung gegolten. Aber d'Artagnan kannte zu genau alle Winkel im Innern von Porthos, um nicht ein Geheimnis zu finden, wenn eines darin gewesen wäre, wie jene ängstlich geordneten alten Junggesellen mit geschlossenen Augen dieses oder jenes Buch in den Fächern ihrer Bibliothek, dieses oder jenes Stück Wäsche in einer Schublade ihrer Commode zu finden wissen.
Wenn der listige d'Artagnan, seinen Porthos auf- und abrollend, nichts gefunden hatte, so war dies der Fall, weil er in der Tat nichts enthielt.
»Es sei,« sagte d'Artagnan; »ich werde in einer halben Stunde mehr wissen, als Porthos in zwei Monaten in Belle-Isle erfahren hat. Nur, damit ich etwas erfahre, ist es wichtig, daß Porthos nicht die einzige Kriegslist benützt, über die ich ihn verfügen lasse. Er darf Aramis nicht von meiner Ankunft benachrichtigen.«
Alle Sorgen des Musketiers beschränkten sich also für den Augenblick auf die Überwachung von Porthos.
Hierbei müssen wir schleunig bemerken: Porthos verdiente gar nicht dieses Übermaß von Mißtrauen, denn Porthos dachte durchaus nicht an etwas Böses. Beim ersten Anblick hatte ihm d'Artagnan vielleicht ein wenig Mißtrauen eingeflößt, sogleich aber hatte der Musketier wieder in diesem guten, redlichen Herzen den Platz eingenommen, den er immer darin inne gehabt, und keine Wolke verdüsterte das große Auge von Porthos, das dieser von Zeit zu Zeit voll Zärtlichkeit auf seinen Freund heftete.
Als sie landeten, fragte Porthos, ob ihn seine Pferde erwarteten, und er erblickte sie wirklich am Kreuze des Wegs, der sich um Sarzeau wendet und, ohne durch das Städtchen zu laufen, gegen Vannes ausmündet.
Diese Pferde waren zwei der Zahl nach, eines für Herrn du Vallon, das andere für seinen Stallmeister.
Denn Porthos hatte einen Stallmeister, seitdem sich Mousqueton nur noch des Karrens als eines Fortbewegungsmittels bediente.
D'Artagnan erwartete, Porthos würde seinen Stallmeister auf einem Pferde wegschicken wollen, um ein anderes holen zu lassen, und gedachte dieses Vorhaben zu bekämpfen. Doch nichts von dem, was d'Artagnan vorher annahm, trat ein. Porthos befahl ganz einfach dem Stallmeister, abzusteigen und seine Rückkehr in Sarzeau abzuwarten, während d'Artagnan sein Pferd reiten würde.
Was auch geschah.
»Ei! Ihr seid ein vorsichtiger Mann, mein lieber Porthos,« sagte d'Artagnan zu seinem Freund, als er auf dem Pferd des Stallmeisters im Sattel saß.
»Ja, aber das ist eine Artigkeit von Aramis. Ich habe meine Equipagen nicht hier, und Aramis hat daher seinen Stall zur meiner Verfügung gestellt.«
»Mordioux! gute Pferde für Pferde eines Bischofs!« rief d'Artagnan. »Es ist wahr, Aramis ist ein ganz absonderer Bischof!«
»Er ist ein heiliger Mann,« sprach Porthos mit einem beinahe näselnden Ton, während er die Augen zum Himmel aufschlug.
»Er hat sich also sehr verändert! denn wir kannten ihn als ziemlich weltlich.«
»Die Gnade hat ihn berührt,« sprach Porthos.
»Bravo!« rief d'Artagnan, »das verdoppelt mein Verlangen, ihn zu sehen, diesen lieben Aramis.«
Und er spornte sein Pferd, das ihn mit neuer Geschwindigkeit forttrug.
»Teufel!« sagte Porthos, »wenn wir so reiten, brauchen wir nur eine Stunde statt zwei.«
»Um wie viel zu machen, sagt Ihr?«
»Vier und eine halbe Meile.«
»Das ginge gut.«
«Ich hätte Euch können auf dem Kanal einschiffen lassen; doch zum Teufel mit den Ruderern und den Zugpferden! Die ersten fahren wie die Schildkröten, die zweiten gehen wie die Schnecken, und wenn man sich einen guten Renner zwischen die Beine nehmen kann, so ist das besser, als Ruderer oder jedes andere Mittel.«
»Ihr habt Recht, Ihr, Porthos, besonders, da Ihr immer herrlich zu Pferde sitzt.«
»Etwas schwer, mein Freund, ich habe mich kürzlich gewogen.«
»Und wie viel wägt Ihr?«
»Drei hundert,« antwortete Porthos stolz.
»Bravo!«
»Ihr begreift somit, daß man für mich Pferde aussuchen muß, deren Kreuz gerade und breit ist, sonst reite ich sie in zwei Stunden zu Tode.«
Ja! nicht wahr, Riesenpferde.«
»Ihr seid sehr gut, mein Freund,« erwiderte der Ingenieur mit liebevoller Majestät.
»In der Tat, mein Freund.« sagte d'Artagnan, »mir scheint, Euer Pferd schwitzt schon.«
»Verdammt! es ist heiß. Ah! ah! seht Ihr nun Vannes?«
»Ja, ganz genau! Es ist eine schöne Stadt, wie es scheint?«
»Reizend! wenigstens nach der Anficht von Aramis: ich, ich finde sie schwarz; doch es scheint das Schwarze ist für den Künstler schön. Das ärgert mich!«
»Warum?»
»Weil ich mein Schloß Pierrefonds, das vom Alter grau war, gerade habe weiß übertünchen lassen.«
»Hm!« machte d'Artagnan, »weiß ist heiterer.«
»Ja, aber es ist weniger erhaben, wie mir Aramis gesagt hat. Zum Glück gibt es Leute, die mit Schwarz handeln, und ich werde Pierrefonds schwarz anstreichen lassen. Wenn grau schön ist, mein Freund, so begreift Ihr, daß Schwarz herrlich sein muß.«
»Das dünkt mir äußerst logisch!« rief d'Artagnan,
»Seid Ihr nie in Vannes gewesen, d'Artagnan?«
»Nie.«
«Ihr kennt also die Stadt nicht.«
»Nein.«
»Nun denn sprach Porthos, indem er sich auf seinen Steigbügeln erhob, eine Bewegung, die das Vorderteil seines Pferdes sich biegen machte, »seht Ihr in der Sonne dort die Turmspitze?«
»Gewiß sehe ich sie.«
»Das ist die Kathedrale.«
»Sie heißt?«
»Saint-Pierre. Seht Ihr nun dort in der Vorstadt ein anderes Kreuz?«
»Ja wohl.«
»Das ist Saint-Paterne, die Lieblingskirche von Aramis.«
»Ah!«
»Gewiß; man nimmt an, Saint-Paterne sei der erste Bischof von Vannes gewesen. Allerdings behauptet Aramis, es sei dies nicht der Fall, und er ist so gelehrt, daß das wohl ein Para ... ein Para …«
»Ein Paradoxon.«
»Ein Paradoxon sein könnte, ganz richtig. Ich danke, ich habe mich versprochen, es ist so heiß.«
»Mein Freund,« sprach d'Artagnan, »ich bitte Euch, fahrt in Eurer anziehenden Demonstration fort. Was ist das große weiße Gebäude mit den vielen Fenstern?«
«Ah! das ist das Jesuiten-Kollegium. Ihr habt, bei Gott! eine glückliche Hand. Seht Ihr in der Nähe des Kollegiums, ein großes Haus mit Glockentürmchen und von einem schönen gothischen Styl, wie der alberne Herr Gétard sagt?«
»Ja, ich sehe es. Nun?«
»Dort wohnt Aramis.«
»Wie! er wohnt nicht im bischöflichen Palast?«
»Nein, der bischöfliche Palast ist völlig unbewohnbar. Er liegt überdies in der Stadt und Aramis zieht die Vorstadt vor. Deshalb ist er auch, wie ich Euch sagte, Saint-Paterne so sehr zugetan, weil es in der Vorstadt liegt. Sodann finden sich in derselben Vorstadt ein Mail, ein Ballspiel und ein Dominicanerhaus … seht dort, sein Glockenturm erhebt sich bis zum Himmel.«
»Sehr gut.«
»Dann müßt Ihr wissen, die Vorstadt ist wie eine abgesonderte Stadt. Sie hat ihre Mauern, ihre Türme, ihre Gräben, Das Quai mündet dahin aus, und die Schiffe legen am Quai an. Wenn unser Corsar nicht zehn Fuß Tiefgang hätte, so wären wir mit vollen Segeln bis unter die Fenster von Aramis gekommen.«
»Porthos, Porthos, mein Freund,« rief d'Artagnan, »Ihr seid ein Brunnen des Wissens, eine Quelle tiefer, geistreicher Betrachtungen. Porthos, Ihr setzt mich in Erstaunen, Ihr bringt mich in Verwirrung.«
»Wir sind an Ort und Stelle,« sagte Porthos, das Gespräch mit seiner gewöhnlichen Bescheidenheit ablenkend.
»Und es war Zeit,« dachte d'Artagnan, »denn das Pferd von Porthos zerschmilzt wie ein Pferd von Eis.«
Sie ritten beinahe in demselben Augenblick in die Vorstadt ein; doch kaum hatten sie hundert Schritte gemacht, als sie die Straßen zu ihrem Erstaunen mit Blumen und Blätterwerk bestreut sahen. Von den Balcons fielen lange weiße, mit Sträußen geschmückte Tücher herab.
Die Straßen waren verlassen, man fühlte, daß sich die Bevölkerung auf einem Punkt versammelt hatte.
Die Jalousien waren geschlossen und die Kühle drang in die Häuser unter dem Obdach von Tapeten, welche lange schwarze Schatten zwischen ihren Vorsprüngen und den Mauern bildeten.
Plötzlich bei der Biegung einer Straße trafen Gesänge an die Ohren der Ankömmlinge. Eine sonntäglich gekleidete Menge erschien durch die Dämpfe des Weihrauchs, der in bläulichen Flocken zum Himmel emporstieg, und Wolken von Rosenblättern flatterten bis zu den ersten Stockwerken hinauf.
Über allen Köpfen erblickte man das Kreuz und die Paniere, die geheiligten Zeichen der Religion.
Unter den Kreuzen und den Panieren und wie von diesen beschützt sah man eine ganze Welt von weiß gekleideten, mit Kornblumen bekränzten Mädchen.
Auf den beiden Seiten der Straße und den Zug einschließend gingen die Soldaten der Garnison, Sträuße in ihren Flintenläufen und auf der Spitze ihrer Lanzen.
Das war eine Prozession.
Während d'Artagnan und Porthos mit einer äußerst anständigen Inbrunst, welche eine große Ungeduld, weiter zu kommen, verbarg, zuschauten, näherte sich ein prachtvoller Traghimmel, hundert Jesuiten und hundert Dominicaner voran und geleitet von zwei Archidiakonen, einem Säckelmeister, einem Pönitentiarius und zwölf Stiftsherren.
Ein Cantor mit donnernder Stimme, ein Cantor, sicherlich aus allen Stimmen Frankreichs ausgelesen, wie man den Tambourmajor der kaiserlichen Garde aus allen Riesen des Reiches auslas, ein Cantor und vier andere Cantoren, die nur da zu sein schienen, um ihm als Accompagnement zu dienen, ließen Melodien erschallen und machten die Scheiben aller Häuser vibrieren.
Unter dem Traghimmel erschien ein bleiches, edles Gesicht mit schwarzen Augen, schwarzen Haaren, von silbernen Fäden durchmischt, mit seinem, bedachtsamem Mund und vorstehendem, eckigem Kinn. Dieser Kopf voll anmutreicher Majestät war mit der Bischofsmütze geschmückt, die ihm außer dem Charakter der Souverainetät den strenger Andachtsübung und evangelischer Betrachtung verlieh.
»Aramis!« rief unwillkührlich der Musketier, als dieses stolze Gesicht an ihm vorüberkam.
Der Prälat bebte. Er schien diese Stimme gehört zu haben, wie ein wieder erwachender toter die Stimme des Erlösers hört.
Er schlug seine großen schwarzen Augen auf und richtete sie, ohne zu zögern, nach dem Ort, von dem der Ausruf gekommen war.
Mit einem einzigen Blick sah er Porthos und d'Artagnan in seiner Nähe.
D'Artagnan hatte seinerseits mit seiner Schärfe Alles gesehen, Alles aufgefaßt. Das lebensgroße Portrait des Prälaten prägte sich in seinem Gedächtnis ein, um nie mehr daraus zu verschwinden.
Eines besonders war d'Artagnan aufgefallen.
Als Aramis ihn erblickte, errötete er und drängte dann in derselben Secunde unter seinem Augenlid das Feuer des Blickes des Gebieters und die unmerkliche Herzlichkeit des Blickes des Freundes zusammen.
Aramis richtete offenbar ganz leise die Frage an sich:
»Warum ist d'Artagnan bei Porthos und was will er in Vannes?«
Aramis begriff Alles, was im Geiste von d'Artagnan vorging, als er seinen Blick wieder auf ihn richtete und sah, daß er die Augen nicht niedergeschlagen hatte.
Er kannte die Feinheit seines Freundes und seinen Verstand und befürchtete, das Geheimnis seiner Röte und seines Erstaunens erraten zu lassen. Es war immer noch derselbe Aramis, der beständig ein Geheimnis zu verbergen hatte.
Um mit dem forschenden Blick zu endigen, den man um jeden Preis sich senken machen mußte, wie ein General um jeden Preis das Feuer einer Batterie, die ihn belästigt, zum Schweigen bringt, streckte auch Aramis seine schöne weiße Hand aus, an der der Amethist seines Hiertenringes funkelte, durchschnitt die Luft mit dem Zeichen des Kreuzes und schmetterte so seine zwei Freunde durch den Segen nieder.
Träumerisch und zerstreut, unwillkührlich gottlos, hätte sich d'Artagnan vielleicht nicht unter diesem frommen Segen gebückt, aber Porthos, als er diese Zerstreuung wahrnahm, legte seinem Gefährten freundschaftlich die Hand auf den Rücken und drückte ihn gegen den Boden.
D'Artagnan beugte sich und wäre beinahe auf den platten Bauch gefallen.
Mittlerweile war Aramis vorübergezogen.
D'Artagnan berührte die Erde nur wie Anteus und wandte sich dann um, nicht weit vom Ärger entfernt.
Doch er konnte sich in der Absicht des braven Hercules nicht täuschen. Es hatte ihn ein Gefühl religiösen Wohlanstands angetrieben.
Überdies vervollständigte bei Porthos stets das Wort den Gedanken, statt ihn zu verkleiden.
»Ah!« sagte er,«es ist sehr artig von ihm, daß er uns ganz allein einen Segen gegeben hat. Er ist entschieden ein frommer und wackerer Mann.«
Weniger überzeugt als Porthos, erwiderte d'Artagnan kein Wort.
»Lieber Freund,« fuhr Porthos fort,«er hat uns erblickt, und statt im einfachen Schritt der Prozession, wie vorhin, weiter zu gehen, sputet er sich. Schaut, wie der Zug seine Geschwindigkeit verdoppelt. Es drängt diesen lieben Aramis, uns zu sehen und zu umarmen.«
»Es ist wahr,« antwortete d'Artagnan laut.
Dann leise:
»Immerhin hat mich der Fuchs wahrgenommen, und er wird nun Zeit haben, sich vorzubereiten, wie er mich empfangen soll.«
Doch die Prozession war vorübergezogen und der Weg frei, D'Artagnan und Porthos marschierten gerade nach dem bischöflichen Palast, den eine zahlreiche Menge umgab, um den Prälaten zurückkehren zu sehen.
D'Artagnan bemerkte, daß diese Menge hauptsächlich aus Bürgern und Militären bestand.
Er erkannte an der Natur seiner Anhänger die Gewandtheit seines Freundes.
Aramis war in der Tat nicht der Mann, der eine unnötige Popularität suchte. Es lag ihm wenig daran, ob ihn die Leute liebten, die ihm zu nichts dienten.
Weiber, Kinder, Greise, das gewöhnliche Gefolge der geistlichen Hierten, waren nicht sein Gefolge.
Zehn Minuten, nachdem die zwei Freunde die Schwelle des bischöflichen Palastes überschritten hatten, kehrte Aramis wie ein Triumphator nach Hause; die Soldaten präsentierten vor ihm das Gewehr, wie vor einem Oberen; die Bürger begrüßten ihn mehr wie einen Freund, wie einen Patron, als wie ein religiöses Haupt.
Es fand sich in Aramis etwas von jenen römischen Senatoren, deren Türen immer von Klienten belagert waren.
Unten an der Freitreppe hatte er eine Besprechung von einer halben Minute mit einem Jesuiten, der, um leise mit ihm zu reden, seinen Kopf unter den Traghimmel streckte.
Dann trat er in seine Wohnung ein; die Türen schloßen sich langsam und die Menge verlief sich, während die Gesänge und Gebete noch erschollen.
Es war ein herrlicher Tag, ein Tag voll irdischer Wohlgerüche, vermischt mit den Wohlgerüchen des Meeres und der Luft. Die Stadt atmete Glück, Freude und Kraft.
D'Artagnan fühlte gleichsam die Gegenwart einer unsichtbaren Hand, welche allmächtig diese Kraft, diese Freude, dieses Glück geschaffen und überall diese Wohlgerüche verbreitet hatte.
»Oh! oh!« sagte er zu sich selbst. »Porthos ist fett, Aramis aber ist groß geworden.«