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Dieses eBook: "Zehn Jahre später" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Ludwig XIV. hat den Thron bestiegen. D'Artagnan als sein Hauptmann langweilt sich in Versailles, wo sein Gebieter ein Fest nach dem anderen feiert. Aramis spinnt inzwischen im Hintergrund eine Intrige: In seiner neuen Funktion als Generaloberer der Jesuiten will er den verantwortungslosen König durch seinen Zwillingsbruder austauschen. Hierzu sichert er sich die Mithilfe Porthos' und des Finanzministers Fouquet, der jedoch im entscheidenden Moment versagt und den Plan zunichtemacht. Letztlich kostet ihn dies sein Amt und seine Freiheit; sein Nachfolger wird der intrigante Colbert.
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Seitenzahl: 3308
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Gegen die Mitte des Monats Mai im Jahr 1660, um neun Uhr Morgens, als die schon warme Sonne den Thau auf den Violen des alten Schlosses von Blois trocknete, kehrte eine kleine Cavalcade, bestehend aus drei Männern und zwei Pagen, über die Brücke der Stadt zurück, ohne eine andere Wirkung auf die Spaziergänger am Quai hervorzubringen, als eine erste Bewegung mit der Hand an den Kopf, um zu grüßen, und eine zweite Bewegung der Zunge, um im reinsten Französisch, das in Frankreich gesprochen wird, den Gedanken auszudrücken:
»Monsieur kehrt von der Jagd zurück.«
Während aber die Pferde den steilen Abhang hinaufkletterten, der vom Fluß nach dem Schlosse führte, näherten sich mehrere Ladenbursche dem letzten Pferd, das, am Sattelbogen hängend, verschiedene am Schnabel angebundene Vögel trug.
Bei diesem Anblick gaben die Neugierigen mit einer ganz ländlichen Offenherzigkeit ihre Verachtung gegen einen so magern Fang kund und kehrten dann, nachdem sie sich über die Nachtheile der Beize besprochen hatten, zu ihren Geschäften zurück. Nur einer von den Neugierigen, ein dicker, bausbackiger Bursche von heiterer Laune, fragte, warum sich Monsieur, der sich bei seinen großen Einkünften so gut belustigen könne, mit einer so kläglichen Unterhaltung begnüge.
»Weißt Du nicht,« antwortete man ihm, »das, es die Hauptbelustigung des Prinzen ist, sich zu langweilen?«
Der lustige Bursche zuckte die Achseln mit einer Geberde, welche klar wie der Tag bedeutete: »Dann will ich lieber der dicke Jean als der Prinz sein.« Und Jeder ging wieder an seine Arbeit.
Monsieur ritt indessen seines Wegs mit einer so schwermüthigen und zugleich so majestätischen Miene, daß er sicherlich die Bewunderung der Zuschauer erregt haben würde, wenn er Zuschauer gehabt hätte; doch die Bürger von Blois verziehen Monsieur nicht, daß er diese so heitere Stadt gewählt hatte, um sich nach Belieben zu langweilen, und so oft sie den erhabenen Gelangweilten erblickten, machten sie sich gähnend davon, oder kehrten den Kopf in das Innere ihrer Zimmer, als wollten sie sich dem einschläfernden Einfluß dieses langen, bleichen Gesichtes, dieser schwimmenden Augen und dieser lahmen Haltung entziehen, so daß der würdige Prinz beinahe sicher war, die Straßen öde und verlassen zu finden, so oft er sich darein wagte.
Dies war nun von Seiten, der Einwohner von Blois eine sehr strafbare Unehrerbietigkeit, denn Monsieur war nach dem König, und selbst vielleicht vor dem König, der vornehmste Herr des Reiches. Gott, der dem damals regierenden Ludwig XIV. das Glück gewährt hatte, der Sohn von Ludwig XIII. zu sein, hatte Monsieur die Ehre gewährt, der Sohn von Heinrich IV. zu sein. Es hätte also kein geringer Gegenstand des Stolzes für die Stadt Blois sein sollen, dieser Vorzug, den Gaston von Orleans, der seinen Hof im alten Schlosse der Stände hielt, der Stadt Blois gönnte.
Doch es lag in dem Geschick dieses großen Fürsten, daß er überall, wo er sich zeigte, in einem nur geringen Grade die Aufmerksamkeit und die Bewunderung des Publikums erregte. Monsieur hatte sich mit der Gewohnheit vertraut gemacht und sich darein ergeben.
Dies war es vielleicht, was ihm die Miene ruhiger Langweile gab. Monsieur war in seinem Leben sehr beschäftigt gewesen. Man läßt nicht einem Dutzend seiner besten Freunde die Köpfe abschlagen, ohne daß dies ein wenig Lärm verursacht. Da man aber nun, seit Mazarin an das Ruder gekommen, Niemand mehr den Kopf abgeschlagen, so hatte Monsieur keine Beschäftigung mehr, und dies machte sich an seinem ganzen Wesen fühlbar.
Das Leben des armen Prinzen war ein trauriges. Nach seiner kleinen Jagd am Ufer des Beuvron oder in den Wäldern von Chiverny, setzte Monsieur über die Loire und frühstückte in Chambord, mit oder ohne Appetit, und die Stadt Blois hörte bis zu der nächsten Jagd nicht mehr von ihrem allerhöchsten Herrn sprechen.
So viel von der Langweile extra muros: was die Langweile im Innern betrifft, so werden wir dem Leser einen Begriff davon geben, wenn er mit uns der Cavalcade folgen und bis zu der majestätischen Halle des Schlosses der Stände hinaufsteigen will.
Monsieur ritt auf einem kleinen Pferde von sanftem Gang, das mit einem breiten Sattel von rothem flandrischem Sammet und mit Steigbügeln in Form von Pantoffeln versehen war; dieses Pferd war salb seiner Farbe nach; das Wamms von Monsieur vermengte sich, von carmoisinrothem Sammet gemacht, unter dem gleichfarbigen Mantel, mit der Equipirung des Pferdes, und nur an dieser röthlichen Gesammtheit konnte man den Prinzen unter seinen Gefährten erkennen, von denen der eine links, violett gekleidet, der Stallmeister, und der andere rechts, grün gekleidet, der Oberjägermeister waren.
Einer von den Pagen trug zwei Edelfalken auf einer Aufsitzstange, der andere ein Jagdhorn, in das er, zwanzig Schritte vom Schloß, nachlässig blies. Alles, was diesen nachlässigen Prinzen umgab, that, was es zu thun hatte, mit Nachlässigkeit.
Auf dieses Signal liefen acht Wachen, welche in dem viereckigen Hof in der Sonne spazieren gingen, herbei, nahmen ihre Hellebarden, und Monsieur hielt seinen feierlichen Einzug im Schloß.
Als er unter der tiefen Vorhalle verschwunden war, zerstreuten sich ein paar Taugenichtse, welche hinter der Cavalcade vom Mail zum Schloß hinaufgestiegen waren und dabei fortwährend einander die hängenden Vögel gezeigt hatten, indem sie ihre Commentare über das machten, was sie gesehen; sobald sich diese Taugenichtse entfernt hatten, blieben die Straße, der Platz und der Hof wieder öde.
Monsieur stieg vom Pferde, ohne ein Wort zu sagen, ging in sein Zimmer, wo sein Kammerdiener ihm seine Kleider wechselte, streckte sich, da Madame noch nicht nach seinen Befehlen für das Frühstück hatte fragen lassen, auf einer Ottomanne aus, und entschlief so gutwillig, als ob es Abends elf Uhr gewesen wäre.
Die acht Wachen, welche einsahen, daß ihr Dienst für den Rest des Tages beendigt war, legten sich in der Sonne auf die steinernen Bänke; die Stallknechte verschwanden mit ihren Pferden in den Ställen und, abgesehen von einigen munteren Vögeln, die sich einander durch scharfes Gezwitscher in den Büschen der Mauernelken scheu machten, hätte man glauben sollen, das ganze Schloß schlafe mit Monsieur.
Plötzlich erscholl mitten unter diesem sanften Schweigen ein nerviges, lautes Gelächter, das einen von den Hellebardieren, die in ihre Siesta versunken waren, ein Auge zu öffnen bewog.
Dieses Gelächter kam aus einem Fenster des Schlosses, das in diesem Augenblick von der Sonne besucht wurde. Der kleine eiserne Balcon, der an diesem Fenster hervorragte, war von einem Topf mit rothen Nelken, einem andern Topf mit Primeln und mit einem Frührosenstock besetzt, dessen herrlich grünes Blätterwerk durch mehrere rothe Punkte das baldige Erscheinen der Rosen ankündigte.
In dem Zimmer, das dieses Fenster erhellte, sah man einen viereckigen Tisch mit einem alten, großblumigen Harlemer Teppich bedeckt, mitten auf diesem Tisch eine steinerne Phiole mit langem Hals, in der Maiblumen und Irisblüthen staken, an jedem von den Enden dieses Tisches ein junges Mädchen.
Die Haltung dieser zwei Kinder war sonderbar: man hätte sie für zwei dem Kloster entwichene Kostschülerinnen halten können. Das eine zeichnete, die beiden Ellenbogen auf den Tisch gestützt, eine Feder in der Hand, Charactere auf ein Blatt schönes, holländisches Papier; das andere kniete auf einem Stuhl, was ihm den Kopf und die Büste über die Lehne und bis mitten auf den Tisch zu strecken erlaubte, und sah zu, wie seine Gefährtin schrieb, oder vielmehr zu schreiben zögerte. Daher tausendfaches Geschrei, Gespötte, Gelächter, wobei das eine immer geräuschvoller war als das andere, und die Vögel in den Mauernelken erschreckt und die Wache von Monsieur im Schlafe gestört hatte.
Wir sind an den Portraits, und man wird hoffentlich die zwei letzten dieses Kapitels hinnehmen. Diejenige, welche sich auf den Stuhl stützte, nämlich die geräuschvolle, die lachende, war ein hübsches Mädchen von neunzehn bis zwanzig Jahren, braun von Haut, braun von Haaren, glänzend durch seine Augen und besonders durch seine Zähne, welche wie Perlen unter den blutrothen Korallen ihrer Lippen funkelten.
Jede von den Bewegungen dieses Mädchens schien das Resultat des Spiels einer Mine zu sein; es lebte nicht, es sprang.
Die Andere, diejenige, welche schrieb, schaute ihre stürmische Gefährtin mit einem Auge so blau, so durchsichtig und rein an, wie es der Himmel an diesem Tage war. Ihre aschblonden, mit ausgezeichnetem Geschmack gerollten Haare fielen in seidenen Büscheln auf ihre perlmutterartigen Wangen herab; sie ließ über das Papier eine seine Hand hingehen, deren Magerkeit jedoch ihre außerordentliche Jugend bezeichnete. So oft ihre Freundin in ein Gelächter ausbrach, hob sie, wie geärgert, ihre poetisch und sanft geformten Schultern empor, denen aber jener Luxus an Stärke und Rundung fehlte, welchen man auch an ihren Armen und Händen zu sehen gewünscht hätte.
»Montalais! Montalais!« sagte sie endlich mit einer Stimme so sanft und liebkosend wie ein Gesang. »Ihr lacht zu stark, Ihr lacht wie ein Mann; Ihr werdet Euch dadurch nicht nur den Herren Garden bemerkbar machen, sondern auch die Glocke von Madame nicht hören, wenn Madame ruft.«
Das Mädchen, das man Montalais nannte, hörte bei dieser Ermahnung weder auf zu lachen, noch zu gesticuliren; es antwortete nur:
»Louise, Ihr sprecht nicht, was Ihr denkt, meine Liebe; Ihr wißt, daß die Herren Garden, wie Ihr sie nennt, ihren Schlaf beginnen, und daß sie dann Kanonen nicht aufzuwecken vermöchten; Ihr wißt, daß man die Glocke von Madame auf der Brücke von Blois hören würde, und daß ich sie folglich auch hören werde, wenn mich mein Dienst zu Madame beruft. Es ärgert Euch nur, mein Kind, daß ich lache, wenn Ihr schreibt; Ihr befürchtet, Frau von Saint-Remy, Eure Mutter, komme herauf, wie sie es zuweilen thut, wenn wir zu viel lachen . . . sie überrasche uns und sehe das ungeheure Blatt Papier, auf das Ihr seit einer Viertelstunde nichts geschrieben habt, als die Worte: »»Herr Raoul!«« Das ist übrigens vernünftig von Euch, denn den Worten »»Herr Raoul«« kann man so viele andere, so bezeichnende, so entzündende beifügen, daß Frau von Remy, Eure theure Mutter, Recht hätte, wenn sie Feuer und Flammen freien würde. Sprecht, ist es nicht so?«
Und Montalais verdoppelte ihr Gelächter und ihre stürmischen Herausforderungen.
Die Blonde erzürnte sich wirklich; sie zerriß das Blatt, auf das in der That die Worte »Herr Raoul« mit einer schönen Handschrift geschrieben standen, zerknitterte das Papier in ihren zitternden Fingern und warf es zum Fenster hinaus.
»Nun! nun!« sagte Fräulein von Montalais, »unser kleines Lamm, unser Jesuskind, unsere Taube ärgert sich! . . . Habt doch keine Furcht, Louise! Frau von Saint-Remy wird nicht kommen, und wenn sie käme . . . Ihr wißt, daß ich ein feines Ohr habe. Was kann übrigens mehr erlaubt sein, als an einen alten Freund von zwölf Jahren her zu schreiben, besonders wenn der Brief mit den Worten: »»Herr Raoul!«« beginnt?«
»Es ist gut, ich werde ihm nicht schreiben,« entgegnete das Mädchen.
»Oh! wahrhaftig, Montalais ist nun gehörig bestraft!« rief immer lachend die braune Spötterin. »Vorwärts, nehmt ein anderes Blatt Papier und beendigen wir rasch unsere Botschaft. Gut, nun wird die Glocke geläutet! Ah! meiner Treue, das ist schlimm. Madame wird warten, oder diesen Morgen ihres ersten Ehrenfräuleins entbehren müssen.«
Es erklang wirklich eine Glocke; man meldete, Madame habe ihre Toilette beendigt und erwarte Monsieur, der ihr die Hand im Salon gebe, um sie ins Speisezimmer zu führen.
Sobald diese Förmlichkeit erfüllt war, frühstückten die beiden Gatten und trennten sich dann bis zum Mittagessen, das unabänderlich auf zwei Uhr bestimmt war.
Beim Klange der Glocke öffnete sich in den Officen, welche rechts im Hofe lagen, eine Thüre, durch die zwei Haushofmeister, gefolgt von acht Köchen, welche eine Tragbahre beladen mit Schüsseln, worauf silberne Glocken, schleppten, heraustraten.
Einer von diesen Haushofmeistern, der der erste dem Range nach zu sein schien, berührte sachte mit seinem Stäbchen eine von den Wachen, welche auf ihrer Bank schnarchte; er trieb seine Güte sogar so weit, daß er in die Hände dieses schlaftrunkenen Menschen seine Hellebarde steckte, welche neben ihm an der Wand angelehnt war, wonach der Soldat, ohne sich irgendwie zu erkundigen, bis zum Speisezimmer dasFleisch von Monsieur geleitete, dem ein Page voranging.
Wo das Fleisch vorüberkam, schulterten die Soldaten das Gewehr.
Fräulein von Montalais und ihre Gefährtin folgten von ihrem Fenster aus den Einzelheiten dieses Ceremoniels, an das sie übrigens gewöhnt sein mußten. Sie schauten indessen nur mit so großer Neugierde, um sicher zu sein, daß man sie nicht stören würde. Sobald Köche, Wachen, Pagen und Haushofmeister vorbei waren, kehrten sie auch wieder zu ihrem Tisch zurück, und die Sonne, die im Fensterrahmen einen Augenblick diese zwei reizenden Gesichter beleuchtet hatte, beschien nur noch die Nelken, die Primeln und den Rosenstock.
»Bah!« sagte Montalais, während sie ihren Platz wieder einnahm, »Madame wird wohl ohne mich frühstücken.«
»Oh! Montalais, Ihr werdet gestraft werden,« rief das andere Mädchen, indem es sich sachte wieder an den seinigen setzte.
»Gestraft? ah! ja, nämlich der Spazierfahrt beraubt werden; es ist mir ganz lieb, wenn man mich straft, ich will nichts Anderes. In der großen Kutsche, auf einem Schlage hockend, ausfahren, rechts drehen, links steuern, auf Straßen voll von Fahrgeleisen, wo man in zwei Stunden höchstens eine Meile macht; dann gerade gegen den Flügel des Schlosses zurückkehren, wo sich das Fenster von Frau von Medicis findet, so daß Madame unfehlbar jedes Mal also zu mir spricht: »»Sollte man glauben, daß Königin Maria hier herab entflohen ist! sieben und vierzig Fuß hoch! die Mütter von zwei Prinzen und drei Prinzessinnen!«« Ist das ein Vergnügen, Louise, so wünsche ich alle Tage gestraft zu werden, besonders wenn meine Strafe darin besteht, daß ich bei Euch bleibe und so interessante Briefe schreibe, wie wir sie schreiben.«
»Montalais! Montalais! man hat Pflichten zu erfüllen!«
»Ihr sprecht ganz nach Eurem Gefallen, mein Herz, Ihr, die man inmitten dieses Hofes frei läßt. Ihr seid die Einzige, welche die Vortheile davon erntet, ohne die Lasten tragen zu müssen, Ihr, mehr Ehrenfräulein von Madame als ich, weil Madame ihre Zuneigung zu Eurem Stiefvater auf Euch zurückfallen läßt; und so kommt Ihr in dieses traurige Haus, wie die Vögel in den Hof . . . die Luft einschlürfend, die Blumen beschnäbelnd, am Korn pickend . . . ohne daß Ihr den geringsten Dienst zu thun, die mindeste Langweile zu ertragen habt! Ihr sprecht mir von Pflichterfüllung! In der That, meine schöne Müßiggängerin, was sind denn Eure Pflichten, wenn nicht, an den hübschen Raoul zu schreiben? Dabei sehen wir, daß Ihr ihm nicht einmal schreibt, wodurch Ihr, wie mir scheint, auch ein wenig Eure Pflichten vernachlässigt.«
Louise nahm ihre ernste Miene an, stützte ihr Kinn auf ihre Hand und sprach mit einem unschuldsvollen Tone:
»Macht mir doch mein Wohlergehen zum Vorwurf! Werdet Ihr das Herz dazu haben? Ihr habt eine Zukunft; Ihr seid vom Hofe; der König, wenn er sich verheirathet, wird Monsieur zu sich berufen; Ihr werdet glänzende Feste, Ihr werdet den König sehen, der so schön, so reizend sein soll!«
»Mehr noch, ich werde Raoul sehen, der bei dem Herrn Prinzen ist,« fügte Montalais bei.
»Armer Raoul!« seufzte Louise.
»Das ist der Augenblick, um ihm zu schreiben theure Schöne; auf! beginnen wir wieder das ausgezeichnete »»Herr Raoul««, das am Kopfe des zerrissenen Blattes glänzte.«
Sie reichte ihr die Feder und ermuthigte mit einem reizenden Lächeln ihre Hand, welche rasch die bezeichneten Worte schrieb.
»Und nun?» fragte das jüngere von den beiden Mädchen.
»Nun schreibt, was Ihr denkt, Louise,« antwortete Montalais.
»Seid Ihr sicher, daß ich irgend etwas denke?«
»Ihr denkt an irgend Jemand, was am Ende auf dasselbe herauskommt, oder vielmehr sehr schlimm ist.«
»Ihr glaubt, Montalais?«
»Louise! Louise! Eure blauen Augen sind tief wie das Meer, das ich im vorigen Jahr in Boulogne gesehen. Nein, ich täusche mich, das Meer ist treulos, Eure Augen sind tief wie das Azur da oben über unsern Köpfen.«
»Wohl! da Ihr so gut in meinen Augen lest, sagt mir, was ich denke, Montalais.«
»Vor Allem denkt Ihr nicht »»Herr Raoul««; Ihr denkt »»Mein lieber Raoul.««
»Oh!«
»Erröthet nicht über so wenig. »»Mein lieber Raoul,«« sagen wir, »Ihr bittet mich. Euch nach Paris zu schreiben, wo Euch der Dienst des Herrn Prinzen zurückhält. Da Ihr Euch dort langweilen müßt, um Zerstreuung in der Erinnerung an ein Provinzmädchen zu suchen . . . «
Louise stand plötzlich auf.
»Nein, Montalais,« sagte sie lächelnd, »ich denke nicht ein Wort von diesem. Hört, was ich denke.«
Und sie nahm kühn die Feder und schrieb mit fester Hand folgende Worte:
»Ich hätte mich sehr unglücklich gefühlt, wenn Eure Bitten, um von mir ein Andenken zu erhalten, minder lebhaft, minder dringend gewesen wären; Alles spricht mir hier von unseren ersten Jahren, welche so rasch abgelaufen, so sanft entflohen sind, daß nie andere ihren Zauber in meinem Herzen ersetzen werden.«
Montalais, welche zuschaute, wie die Feder lief, und verkehrt las, während ihre Freundin schrieb, unterbrach sie, klatschte in die Hände und rief:
»Das gefällt mir! das ist treuherzig, das ist Gemüth, das ist Styl! Zeigt diesen Parisern, meine Liebe, daß Alois die Stadt der schönen Sprache ist.«
»Er weiß, daß für mich Blois das Paradies gewesen ist.« erwiederte das junge Mädchen.
»Das wollte ich sagen, und Ihr sprecht wie ein Engel.«
»Ich endige, Montalais.«
Und sie fuhr in der That fort:
»Ihr denkt an mich, sagt Ihr, Herr Raoul; ich danke Euch, doch dies kann mich nicht in Erstaunen setzen, da ich weiß, wie oft unsere Herzen bei einander geschlagen haben.«
»Oh! oh!« rief Montalais, »nehmt Euch in Acht, mein Lamm, Ihr streut Eure Wolle aus und es gibt dort Wolfe!«
Louise wollte antworten, als der Galopp eines Pferdes unter der Vorhalle des Schlosses erscholl.
»Was ist das?« sagte Montalais, ans Fenster tretend: »meiner Treue! ein schöner Cavalier.«
»Oh! Raoul!« rief Louise, welche dieselbe Bewegung gemacht hatte, wie ihre Freundin, und zitternd, erbleichend, bei ihrem unvollendeten Brief niedersank.
»Bei meinem Wort, das ist ein geschickter Liebhaber!« rief Montalais, »der kommt zu gelegener Zeit!«
»Zieht Euch zurück, zieht Euch zurück! ich bitte Euch,« flüsterte Louise.
»Bah! er kennt mich nicht; laßt mich sehen, was er hier machen will.«
Fräulein von Montalais hatte Recht, der junge Reiter sah gut aus.
Es war ein junger Mann von vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahren, groß, schlank gewachsen; er trug anmuthig aus seinen Schultern die reizende militärische Kleidung jener Zeit. Seine trichterförmigen Reiterstiefel enthielten einen Fuß, den Fräulein von Montalais nicht verleugnet hätte, wenn sie in einen Mann verwandelt worden wäre. Mit einer seiner seinen, nervigen Hände hielt er sein Pferd mitten im Hose an und mit der andern lüpfte er seinen Hut mit der langen Feder, welche sein zugleich ernstes und naives Gesicht beschattete.
Bei dem Geräusch seines Pferdes erhoben sich die Wachen und waren rasch auf den Beinen.
Der junge Mann ließ einen von diesen Leuten an seinen Sattel treten, neigte sich zu ihm herab und sprach mit einer klaren Stimme, welche vollkommen an dem Fenster gehört wurde, wo sich die zwei Mädchen verborgen hielten:
»Ein Bote für Seine königliche Hoheit.«
»Ah! ah!« rief der Mann von der Wache; »Officier, ein Bote!«
Doch dieser brave Mann wußte wohl, daß kein Officier erscheinen würde, in Betracht, daß der einzige, welcher hätte erscheinen können, hinten im Schloß in einem kleinen Zimmer wohnte, das die Aussicht nach dem Garten hatte. Er fügte auch eiligst bei:
»Mein Herr, der Officier ist auf der Runde, doch in seiner Abwesenheit wird man Herrn von Saint-Remy, den Oberhofmeister, benachrichtigen.«
»Herr von Saint-Remy,« wiederholte der Cavalier, ein wenig erröthend.
»Ihr kennt ihn?«
»Ja . . . ich bitte, benachrichtigt ihn, damit mein Besuch sobald als möglich Seiner Hoheit gemeldet wird.«
»Es scheint, das hat Eile,« sagte der Soldat, als ob er mit sich selbst spräche, jedoch in der Hoffnung, eine Antwort zu erhalten.
Der Bote machte mit dem Kopf ein bejahendes Zeichen.
»Dann will ich selbst den Oberhofmeister aufsuchen,« sprach der Soldat.
Der junge Mann stieg indessen ab, und während die andern Soldaten neugierig jede Bewegung des schönen Pferdes, das ihn gebracht hatte, betrachteten, kehrte der Soldat wieder um und sagte:
»Verzeiht, mein edler Herr, Euren Namen, wenn’s beliebt?«
»Der Vicomte von Bragelonne, im Auftrage Seiner Hoheit des Prinzen von Condé.«
Der Soldat machte eine tiefe Verbeugung und stieg, als hätte ihm der Name des Siegers von Rocroy und Sens Flügel gegeben, leicht die Freitreppe hinauf, um sich in die Vorzimmer zu begeben.
Herr von Bragelonne hatte nicht Zeit gehabt, sein Pferd an die eisernen Stangen dieser Freitreppe anzubinden, als Herr von Saint-Remy schon athemlos herbeilief, wobei er mit einer Hand seinen dicken Bauch hielt, während er mit der andern die Luft durchschnitt, wie ein Fischer mit einem Ruder die Wellen durchschneidet.
»Ah! Herr Vicomte, Ihr in Blois?« rief er; »das ist ein Wunder! Guten Morgen, Herr Raoul, guten Morgen!«
»Ich begrüße Euch ehrfurchtsvoll, Herr von Saint-Remy.«
»Wie wird Fräulein von Lavall . . . ich will sagen wie wird Frau von Saint-Remy glücklich sein, Euch wiederzusehen! Doch kommt, Seine königliche Hoheit frühstückt; soll ich sie unterbrechen? Ist die Sache wichtig?«
»Ja und nein, Herr von Saint-Remy. Jedenfalls könnte ein Augenblick Verzug Seiner königlichen Hoheit einige Unannehmlichkeiten bereiten.«
»Wenn dem so ist, so wollen wir dem Verbot zuwider handeln, Herr Vicomte. Ueberdies ist Monsieur heute von einer reizenden Laune. Und dann bringt Ihr Neuigkeiten, nicht wahr?«
»Große, Herr von Saint-Remy.«
»Und gute, denke ich?«
»Vortreffliche.«
»Dann kommt geschwinde,« rief der gute Mann, der sich, während er ging, wieder zurecht richtete.
Raoul folgte ihm, seinen Hut in der Hand und ein wenig erschrocken über den Lärmen, den seine Sporen auf den Böden dieser ungeheuren Säle machten.
Sobald er im Innern des Palastes verschwunden war, bevölkerte sich das Fenster des Hofes wieder und ein lebhaftes Geflüster verrieth die Gemüthsbewegung der zwei jungen Mädchen; bald hatten sie ohne Zweifel einen Entschluß gefaßt, denn eines von den zwei Gesichtern verschwand vom Fenster: es war der braune Kopf; das andere blieb hinter dem Balcon, unter den Blumen verborgen, und schaute aufmerksam durch die Oeffnungen der Zweige nach der Freitreppe, auf der Herr von Bragelonne in den Palast eingetreten war.
Der Gegenstand so großer Neugierde setzte indessen, den Spuren des Oberhofmeisters folgend, seine Wanderung fort. Das Geräusch von eiligen Tritten, der Geruch und der Dampf von Weinen und Fleischspeisen, das Klirren von Krystallgefäßen und Silbergeschirr belehrten ihn. daß er dem Ziele seines Ganges nahe war.
Die Pagen, die Bedienten und die Officianten, welche in der dem Speisezimmer vorhergehenden Office versammelt waren, empfingen den Ankömmling mit einer für diese Gegend sprichwörtlichen Höflichkeit. Einige kannten Raoul, beinahe Alle wußten, daß er von Paris kam. Man könnte sagen, seine Ankunft habe einen Augenblick den Dienst unterbrochen.
Soviel ist gewiß, daß ein Page, der Seiner Hoheit zu trinken einschenkte, als er die Sporen im anstoßenden Zimmer hörte, sich umwandte wie ein Kind, ohne zu bemerken, daß er fortwährend goß, doch nicht mehr in das Glas des Prinzen, sondern auf das Tischtuch.
Madame, welche nicht so sehr in Anspruch genommen war, wie ihr glorreicher Gemahl, bemerkte die Zerstreuung des Pagen und rief: »Nun! nun!«
»Nun!« wiederholte Monsieur, »was geht denn vor?«
Herr von Saint-Remy, der seinen Kopf durch die Thüre streckte, benutzte diesen Augenblick und sprach:
»Gnädigster Herr, man wagt es, Eure Hoheit zu stören.«
»Warum sollte man mich stören?« erwiederte Gaston, indem er eine dicke Schnitte von einem der größten Salme an sich zog, welcher je die Loire hinaufschwommen war, um sich zwischen Painboeuf und Saint-Nazaire fangen zu lassen.
»Es ist ein Bote von Paris eingetroffen. Oh! doch wir haben nach dem Frühstück von Monseigneur Zeit.«
»Von Paris?« rief der Prinz, während er seine Gabel fallen ließ; »ein Bote von Paris, sagt Ihr? Und in wessen Auftrag kommt dieser Bote?«
»Im Auftrag des Herrn Prinzen,« erwiederte eiligst der Oberhofmeister.
Es ist bekannt, daß man so Herrn von Condé nannte.
»Ein Bote vom Herrn Prinzen?« sprach Gaston mit einer Unruhe, welche keinem der Anwesenden entging und folglich die allgemeine Neugierde, verdoppelte.
Monsieur glaubte sich vielleicht in die Zeit jener herrlichen Verschwörungen zurückversetzt, wo ihn das Geräusch der Thüren erschütterte, wo jeder Brief ein Staatsgeheimniß enthalten konnte, wo jede Botschaft einer finsteren und sehr verwickelten Intrigue diente. Vielleicht entfaltete sich auch der Name des Herrn Prinzen unter den Gewölben von Blois in den Verhältnissen eines Gespenstes.
Monsieur stieß seinen Teller zurück.
»Soll ich den Gesandten warten lassen?« fragte Herr von Saint-Remy.
Ein Blick von Madame ermuthigte Gaston, und er erwiederte:
»Nein, im Gegentheil, laßt ihn auf der Stelle eintreten. Doch sagt, wer ist es?«
»Ein Edelmann aus dieser Gegend, der Herr Vicomte von Bragelonne.«
»Ah! ja, sehr gut! . . . Führt ihn ein, Saint-Remy, führt ihn ein.«
Und als er diese Worte mit seinem gewöhnlichen Ernste hatte fallen lassen, schaute er auf eine gewisse Weise die Leute seines Dienstes an, welche sämmtlich, Pagen, Officianten und Stallmeister, die Serviette, das Messer, den Becher niedersetzten und einen ebenso raschen, als unordentlichen Rückzug nach dem zweiten Zimmer nahmen.
Diese kleine Armee entfernte sich in zwei Reihen, als Raoul von Bragelonne, dem Herr von Saint-Remy voranschritt, in das Speisezimmer eintrat.
Der kurze Augenblick der Einsamkeit, in der ihn dieser Rückzug gelassen hatte, erlaubte Monsieur, ein diplomatisches Gesicht anzunehmen. Er wandte sich nicht um und wartete, bis der Oberhofmeister den Boten ihm vor’s Gesicht geführt hatte.
Raoul blieb am untern Ende der Tafel stehen, so , daß er sich zwischen Monsieur und Madame befand. Er machte von diesem Platze aus eine sehr tiefe Verbeugung vor Monsieur, eine äußerst ehrfurchtsvolle vor Madame, richtete sich dann auf und wartete, bis Monsieur ihn anreden würde.
Der Prinz wartete seinerseits, bis die Thüren hermetisch verschlossen waren; er wollte sich nicht umwenden, um sich hierüber zu versichern, was nicht würdig genug gewesen wäre; doch er horchte mit allen seinen Ohren auf das Geräusch des Schlosses, was ihm wenigstens einen Anschein von Geheimniß gab.
Als die Thüre geschlossen war, schlug Monsieur die Augen zum Vicomte von Bragelonne auf und sagte:
»Es scheint, Ihr kommt von Paris, mein Herr?«
»In diesem Augenblick, Monseigneur.«
»Wie befindet sich der König?«
»Seine Majestät ist vollkommen gesund, Monseigneur.«
»Und meine Schwägerin?«
»Ihre Majestät die Königin Mutter leidet immer noch auf der Brust. Seit einem Monat geht es indessen besser.«
»Sagte man mir nicht, Ihr kämet von Seiten des Herrn Prinzen? Man täuschte sich sicherlich.«
»Nein, Monseigneur, Der Herr Prinz hat mich beauftragt, Eurer königlichen Hoheit diesen Brief zu übergeben, und ich erwarte eine Antwort darauf.«
Raoul war etwas aufgeregt durch diesen kalten, ängstlichen Empfang; seine Stimme sank unmerklich zu dem unruhigen Tone der Stimme des Prinzen herab, so daß Beide beinahe leise sprachen. Der Prinz vergaß, daß er die Ursache dieses Geheimnisses war, und die Furcht erfaßte ihn wieder. Er empfing mit scheuem Auge den Brief des Prinzen von Condé, entsiegelte ihn, als ob er ein verdächtiges Paquet entsiegeln würde, und wandte sich, um ihn zu lesen, um, damit Niemand die Wirkung auf seinem Gesichte bemerken könnte.
Madame beobachtete mit einer Aengstlichkeit, welche beinahe der des Prinzen gleichkam, jedes der Manoeuvres ihres erhabenen Gemahls.
Unempfindlich und durch die Aufmerksamkeit seiner Wirthe etwas vom Zwang befreit, schaute Raoul von seinem Platze aus durch das vor ihm offene Fenster nach den Gärten und den Statuen, welche dieselben bevölkerten.
»Ah!« rief plötzlich Monsieur mit einem strahlenden Lächeln, »das ist eine angenehme Ueberraschung und ein reizender Brief vom Herrn Prinzen! Seht, Madame.«
Der Tisch war zu breit, als daß der Arm des Prinzen die Hand der Prinzessin erreichen konnte; Raoul beeilte sich, ihr Vermittler zu sein; er that dies mit einer Anmuth, welche die Prinzessin entzückte und dem Vicomte einen schmeichelhaften Dank eintrug.
»Ihr kennt ohne Zweifel den Inhalt dieses Briefes?« sagte Gaston zu Raoul.
»Ja, gnädigster Herr, der Herr Prinz übergab mir Anfangs die Sendung mündlich; doch Seine Hoheit bedachte und nahm die Feder.«
»Es ist eine schöne Handschrift,« sprach Madame, »doch ich kann nicht lesen.«
»Wollt Ihr Madame vorlesen, Herr von Bragelonne?« sagte der Herzog.
»Ja, lest, ich bitte Euch, mein Herr,« fügte Madame bei.
Raoul begann die Lesung, der Monsieur abermals seine volle Aufmerksamkeit schenkte.
Der Brief war in folgenden Worten abgefaßt:
»Monseigneur,
»Der König reist nach der Grenze ab: Ihr werdet erfahren haben, daß die HeirathSeiner Majestät demnächst geschlossen wird; der König hat mir die Ehre erwiesen,mich für diese Reise zu seinem Quartiermeister zu ernennen, und da ich weiß, welche große Freude es Seiner Majestät gewähren würde, einen Tag in Blois zuzubringen, so wage ich es, Eure königliche Hoheit um die Erlaubniß zu bitten, mit meiner Kreide das Schloß, das sie bewohnt, bezeichnen zu dürfen. Sollte jedoch dasUnvorhergesehene dieser Bitte Eurer königlichen Hoheit eine Beschwerlichkeit bereiten, so ersuche ich sie, es mir durch den Boten, den ich ihr schicke, einen in meinem Dienste stehenden Edelmann, den Herrn Vicomte von Bragelonne, zu wissenzu thun. Mein Reiseplan hängt von dem Entschluß Eurer königlichen Hoheit ab, und statt Blois zu wählen, werde ich Vendome oder Romorantin bezeichnen. Ich hoffe. Eure königliche Hoheit wird meine Bitte gut aufnehmen, denn es ist der Ausdruck meiner grenzenlosen Ergebenheit und meines Wunsches, ihr angenehm zu sein.«
»Das ist äußerst huldvoll gegen uns,« sprach Madame, die sich mehr als einmal während dieses Lesens mit den Blicken ihres Gemahls berathen hatte. »Der König!« rief sie etwas lauter, als vielleicht, wenn man das Geheimnis bewahren wollte, nöthig gewesen wäre.
»Mein Herr,« sagte Seine Hoheit, welche nun das Wort nahm, »ich werde dem Herrn Prinzen von Condé danken und ihm meine ganze Erkenntlichkeit für das Vergnügen ausdrücken, das er mir bereitet.«
Raoul verbeugte sich.
»An welchem Tag kommt Seine Majestät?« fuhr der Prinz fort.
»Der König, Monseigneur, wird aller Wahrscheinlichkeit nach schon diesen Abend ankommen.«
»Aber wie hätte man dann meine Antwort erfahren, falls sie verneinend gewesen wäre?«
»Monseigneur, ich hatte den Auftrag, in aller Eile nach Beaugency zurückzukehren, um dem Courier Gegenbefehl zu geben, der selbst wieder zurückgekehrt wäre, um dem Herrn Prinzen den Gegenbefehl zu überbringen.«
»Seine Majestät ist also in Orleans?«
»Noch näher, Monseigneur; Seine Majestät muß in diesem Augenblick in Meung angekommen sein.«
»Der Hof begleitet sie?«
»Ja, Monseigneur.«
»Ah! ich vergaß, mich bei Euch nach dem Herrn Cardinal zu erkundigen.«
»Seine Eminenz scheint sich einer guten Gesundheit zu erfreuen, Monseigneur.«
»Ohne Zweifel begleiten den Herrn Cardinal seine Nichten?«
»Nein, Monseigneur, Seine Eminenz hat den Fräulein von Mancini befohlen, nach Brouage abzureisen; sie folgen dem linken User der Loire, während der Hof auf dem rechten kommt.«
»Wie? Fräulein Marie von Mancini verläßt auch den Hof?« fragte Monsieur, dessen Zurückhaltung nach und nach schwächer wurde.
»Fräulein Marie von Mancini besonders,« antwortete Raoul discreter Weise.
Ein flüchtiges Lächeln, die unmerkliche Spur seines alten Intriguengeistes, erhellte die bleichen Wangen des Prinzen.
»Ich danke, Herr von Bragelonne,« sagte nun Monsieur; »Ihr werdet vielleicht den Auftrag an den Herrn Prinzen, den ich Euch gern übergeben möchte, nicht ausrichten und ihm nicht sagen wollen, sein Bote sei mir sehr angenehm gewesen, doch ich werde es ihm selbst sagen.«
Raoul verbeugte sich, um Monsieur für die Ehre zu danken, die er ihm erwies.
Monsieur machte Madame ein Zeichen, und diese schlug auf ein Glöckchen zu ihrer Rechten.
Sogleich trat Herr von Saint-Remy ein und das Zimmer füllte sich mit Menschen.
»Meine Herren,« sprach der Prinz, »Seine Majestät erfreut mich mit der Ehre, einen Tag in Blois zuzubringen; ich rechne darauf, daß der König, mein Neffe, die Gunst, die er meinem Hause gewährt, nicht zu bereuen haben wird.«
»Es lebe der König!« riefen mit wüthender Begeisterung alle Leute vom Dienst und Herr von Saint-Remy vor Allen.
Gaston neigte das Haupt mit einer finsteren Traurigkeit; sein ganzes Leben hatte er das Geschrei: Es lebe der König! das über ihn hinging, anhören oder vielmehr aushalten müssen. Da er es lange Zeit nicht mehr gehört, so hatte sein Ohr ausgeruht; nun erhob sich vor ihm ein jüngeres, lebhafteres, glänzenderes Königthum wie eine neue, eine schmerzliche Herausforderung.
Madame begriff die Leiden dieses scheuen, argwöhnischen Herzens und stand von der Tafel auf. Monsieur ahmte sie maschinenmäßig nach, und mit einem Gesumme, dem der Bienenschwärme ähnlich, umgaben alle Diener des Hauses Raoul, um ihn zu befragen.
Madame sah diese Bewegung und rief Herrn von Saint-Remy.
»Das ist nicht der Augenblick zum Plaudern, sondern zum Arbeiten,« sagte sie mit dem Tone einer Hausfrau, die sich ärgert.
Herr von Saint-Remy beeilte sich, den von den Officianten um Raoul gebildeten Kreis zu durchbrechen, so daß dieser das Vorzimmer erreichen konnte.
»Man wird hoffentlich für diesen Edelmann sorgen,« fügte Madame, sich an Herrn von Saint-Remy wendend, bei.
Der gute Mann lief sogleich Raoul nach.
»Madame beauftragt uns, Euch Erfrischungen zu reichen,« sagte er; »es ist auch eine Wohnung für Euch im Schlosse bereit.«
»Ich danke, Herr von Saint-Remy,« erwiederte Bragelonne; »Ihr wißt, wie sehr es mich drängt, dem Herrn Grafen, meinem Vater, meine Achtung zu bezeigen.«
»Es ist wahr, es ist wahr, Herr Raoul, ich bitte Euch, drückt ihm zugleich auch meine Ehrfurcht aus.«
Raoul machte sich von dem alten Edelmann los und ging weiter.
Als er, sein Pferd am Zügel führend, unter dem Thorgewölbe durchkam, rief ihm eine kleine Stimme aus dem Hintergrunde einer dunkeln Allee.
»Herr Raoul!« sagte die Stimme.
Der junge Mann wandte sich erstaunt um und sah ein braunes Mädchen, das einen Finger auf seine Lippen legte und die Hand gegen ihn ausstreckte. Dieses Mädchen war ihm unbekannt.
Raoul machte einen Schritt gegen das Mädchen, das ihm zurief.
»Aber mein Pferd, Madame,« sagte er.
»Ihr scheint sehr verlegen zu sein! geht; es ist ein Schoppen im ersten Hof, bindet Euer Pferd dort an und kommt rasch.«
»Ich gehorche, Madame.«
Raoul brauchte nicht vier Minuten, um zu thun, was man ihm empfohlen hatte; er kam zu der kleinen Pforte, wo er in der Dunkelheit seine geheimnißvolle Führerin wiedersah, die ihn auf den Stufen einer Wendeltreppe erwartete.
»Seid Ihr muthig genug, um mir zu folgen, mein Herr Ritter?« fragte das Mädchen, lachend über das kurze Zögern, das Raoul einen Augenblick kundgegeben.
Dieser antwortete dadurch, daß er ihr auf der düsteren Treppe nacheilte. So erstiegen sie drei Stockwerke, er hinter ihr und mit seinen Händen, wenn er das Geländer suchte, ein seidenes Kleid berührend, das an den beiden Wänden der Treppe hinstreifte. Bei jedem falschen Tritt von Raoul rief ihm seine Führerin ein strenges: Stille! zu, und reichte ihm eine sanfte, duftende Hand.
»Man würde so bis oben in den Thurm des Schlosses hinaufsteigen, ohne eine Müdigkeit zu bemerken,« sagte Raoul.
»Dies beweist, daß Ihr sehr neugierig und sehr unruhig seid, mein Herr; doch beruhigt Euch: wir sind an Ort und Stelle.«
Das Mädchen stieß eine Thüre auf, welche auf der Stelle, ohne irgend einen Uebergang, mit einer Lichtwoge den Ruheplatz der Treppe füllte, auf dem Raoul, das Geländer haltend, erschien.
Seine Führerin ging immer weiter; er folgte ihr; sie trat in ein Zimmer; Raoul trat wie sie ein.
Sobald er in der Falle war, hörte er einen Schrei, wandte sich um und sah zwei Schritte von sich, die Hände gefaltet, die Augen geschlossen, das schöne blonde Mädchen mit den blauen Augen und den weißen Schultern, das ihn, als es ihn erkannte, Raoul genannt hatte.
Er sah das Mädchen und errieth so viel Liebe, so viel Glück in dem Ausdruck seiner Augen, daß er mitten im Zimmer auf die Kniee sank und seinerseits den Namen Louise flüsterte.
»Ah! Montalais! Montalais!« seufzte diese, »es ist eine große Sünde, so zu täuschen.«
»Ich! ich habe Euch getäuscht?«
»Ja, Ihr sagt mir, Ihr gehet hinab, um Erkundigung einzuziehen, und nun laßt Ihr diesen Herrn heraufkommen!«
»Dies mußte wohl sein. Wie hätte er sonst den Brief bekommen, den Ihr ihm schriebet?«
Und sie deutete mit dem Finger auf diesen Brief, der noch auf dem Tisch lag; rascher, obgleich sie mit einem merkwürdigen körperlichen Zögern sich bewegte, streckte Louise die Hand aus, um ihn festzuhalten. Raoul begegnete dieser ganz warmen, ganz zitternden Hand; er nahm sie in seine Hände und zog sie so ehrfurchtsvoll an seine Lippen, daß er mehr einen Hauch, als einen Kuß darauf niederlegte.
Mittlerweile hatte Fräulein von Montalais den Brief genommen, sorgfältig, wie es die Frauen thun, dreieckig zusammengelegt und in ihre Brust gesteckt.
»Seid unbesorgt, Louise,« sagte sie, »dieser Herr wird den Brief ebenso wenig hier nehmen, als der selige Ludwig XIII. die Billets aus dem Schnürleibe von Fräulein von Hautefort nahm.«
Raoul erröthete, als er das Lächeln der beiden Mädchen wahrnahm, und bemerkte nicht, daß die Hand von Louise in der seinigen geblieben war.
»Nun!« sagte Montalais, »Ihr verzeiht mir, Louise, daß ich Euch den Herrn gebracht habe, und Ihr, mein Herr, Ihr grollt mir nicht, daß Ihr mir gefolgt seid, um das Fräulein zu sehen. Und da der Friede geschlossen ist, stellt mich Herrn von Bragelonne vor, Louise.«
»Herr Vicomte,« sprach Louise mit ihrer ernsten Anmuth und ihrem unschuldsvollen Lächeln, »ich habe die Ehre, Euch Fräulein Aure von Montalais, Ehrendame Ihrer königlichen Hoheit Madame und zugleich meine Freundin, meine vortreffliche Freundin, vorzustellen.«
Raoul grüßte auf eine ceremoniöse Weise.
»Und mich, Louise,« sagte er, »stellt Ihr mich nicht auch dem Fräulein vor?«
»Oh! sie kennt Euch! sie kennt Euch ganz und gar!«
Dieses naive Wort machte Montalais lachen und Raoul vor Glück seufzen, denn er deutete es: sie kennt unsere ganze Liebe.
»Die Höflichkeiten sind abgemacht, Herr Vicomte,« sagte Montalais; »hier ist ein Stuhl, setzt Euch und sagt uns geschwinde die Neuigkeit, die Ihr so in aller Eile überbringt.«
»Mein Fräulein, das ist kein Geheimniß mehr. Der König hält auf seiner Reise nach Poitiers in Blois an, um Seine königliche Hoheit zu besuchen.«
»Der König! hier!« rief Montalais, ihre Hände an einander schlagend; »wir sollen den Hof sehen! Faßt Ihr das, Louise? Den wahren Hof von Paris? Oh! mein Gott! aber wann dies, mein Herr?«
»Vielleicht diesen Abend, mein Fräulein; sicherlich morgen.«
Montalais machte eine Geberde des Aergers,
»Da hat man nicht einmal Zeit, sich vorzubereiten, ein Kleid zurechtzurichten! Wir sind hier zurück wie die Polinnen! wir werden Portraits aus der Zeit von Heinrich IV. gleichen! . . . Ah! mein Herr, was für eine abscheuliche Neuigkeit bringt Ihr uns da!«
»Meine Fräulein, Ihr werdet immer schön sein.«
»Das ist abgeschmackt! . . . Wir werden immer schön sein, ja, weil die Natur uns leidlich gemacht hat, aber wir werden lächerlich sein, weil uns die Mode vergessen hat . . . Ach! lächerlich! man wird mich lächerlich sehen, mich!«
»Wer dies?« fragte Louise naiv.
»Wer dies? Ihr seid seltsam, meine Liebe! . . . Ist dies eine Frage, die man an mich richten kann? Man will sagen alle Welt; man will sagen die Höflinge, die vornehmen Herren; man will sagen der König.«
»Verzeiht, meine Freundin, aber da Jedermann hier gewohnt ist, uns so zu sehen, wie wir sind . . . «
»Einverstanden, doch das ändert sich, und wir werden sogar für Blois lächerlich sein; denn neben uns wird man die Moden von Paris sehen und begreifen, daß wir nach der Mode von Blois gekleidet sind! . . . Das ist zum Verzweifeln!«
»Tröstet Euch, mein Fräulein.«
»Ah! basta! im Ganzen ist das nur schlimm für diejenigen, welche mich nicht nach ihrem Geschmack finden werden!« sagte Montalais philosophisch.
»Diese wären sehr schwierig,« versetzte Raoul, getreu seinem System regelmäßiger Galanterie.
»Ich danke, Herr Vicomte. Wir sagten also, der König komme nach Blois?«
»Mit dem ganzen Hof.«
»Die Fräulein Mancini werden dabei sein?«
»Nein, gerade sie nicht.«
»Doch da der König, wie man hört, nicht ohne Fräulein Marie sein kann?«
»Mein Fräulein, er wird wohl ohne sie sein müssen. Der Herr Cardinal will es; er verbannt seine Nichten nach Brouage.«
»Er! der Heuchler!«
»Stille!« sagte Louise, indem sie ihren Finger auf ihre rosigen Lippen drückte.
»Bah! Niemand kann mich hören. Ich sage, der alte Mazarino Mazarini ist ein Heuchler und brennt vor Begierde, seine Nichte zur Königin von Frankreich zu machen.«
»Nein, mein Fräulein, der Herr Cardinal läßt im Gegentheil Seine Majestät die Infantin Maria Theresia heirathen.«
Montalais schaute Raoul ins Gesicht und rief:
»Ihr glaubt an diese Mährchen, Ihr Pariser? Ah! wir in Blois sind stärker als Ihr.«
»Mein Fräulein, da der König Poitiers hinter sich läßt und nach Spanien reist, da die Artikel des Heirathsvertrages zwischen Don Luis de Haro und Seiner Eminenz festgestellt sind, so seht Ihr wohl ein, daß es sich nicht mehr um Kinderspiele handelt.«
»Ah! ich denke, der König ist der König.«
»Allerdings, mein Fräulein, doch der Cardinal ist der Cardinal.«
»Er ist also kein Mensch, der König? Er liebt also Marie Mancini nicht?«
»Er betet sie an.«
»Nun wohl, so wird er sie heirathen; wir bekommen Krieg mit Spanien; Herr von Mazarin gibt einige von den Millionen aus, die er bei Seite gelegt hat, unsere Edelleute verrichten Heldenthaten, wenn sie mit den stolzen Castilianern zusammentreffen, und viele von ihnen kehren mit Lorbeeren bekränzt zu uns zurück, und wir bekränzen sie dann mit Myrthen. So verstehe ich die Politik.«
»Montalais, Ihr seid toll,« sagte Louise, »jede Uebertreibung zieht Euch an, wie das Feuer die Schmetterlinge anzieht.«
»Louise, Ihr seid so vernünftig, daß Ihr nie lieben werdet.«
»Oh!« machte Louise mit einem zärtlichen Vorwurf, »begreift doch, Montalais! Die Königin Mutter wünscht ihren Sohn mit der Infantin zu verheirathen; soll der König seiner Mutter ungehorsam sein? Ist es die Sache eines königlichen Herzens wie das seine, ein schlimmes Beispiel zu geben? Wenn die Eltern die Liebe verbieten, verjagen wir die Liebe!«
Und Louise seufzte.
Raoul schlug mit einer gezwungenen Miene die Augen nieder; Montalais brach in ein Gelächter aus,
»Ich habe keine Eltern,« sagte sie.
»Ihr habt ohne Zweifel Nachrichten von der Gesundheit des Herrn Grafen de la Fère?« sagte Louise mit einem Seufzer, der in seinem beredten Ausdruck viel Schmerz enthüllte.
»Nein, mein Fräulein,« erwiederte Raoul, »ich habe meinem Vater noch keinen Besuch gemacht, doch ich war im Begriff, mich nach seinem Hause zu begeben, als Fräulein von Montalais die Güte hatte, mich zurückzuhalten; ich hoffe, der Herr Graf befindet sich wohl. Nicht wahr, Ihr habt nichts Unangenehmes sagen hören?«
»Nichts, Herr Raoul, nichts, Gott sei Dank!«
Hier trat ein Stillschweigen ein, während dessen sich zwei Seelen, welche denselben Gedanken verfolgten, vollkommen verstanden, selbst ohne den Beistand eines einzigen Blickes.
»Ah! mein Gott!« rief plötzlich Montalais, »man kommt herauf.«
»Wer kann das sein?« sagte Louise, unruhig aufstehend.
»Meine Fräulein, ich belästige Euch vielleicht, ich bin ohne Zweifel unbescheiden gewesen,« stammelte Raoul, der sich sehr unbehaglich fühlte.
»Es ist ein schwerer Tritt,« sagte Louise.
»Ah! wenn es nicht Herr Malicorne ist, so wollen wir uns nicht dadurch stören lassen,« versetzte Montalais.
Louise und Raoul schauten sich an, um sich zu fragen, wer dieser Herr Malicorne wäre.
»Seid unbesorgt,« fuhr Montalais fort, »er ist nicht eifersüchtig.«
»Aber, mein Fräulein,« sagte Raoul.
»Ich verstehe . . . Nun, er ist so verschwiegen, als ich bin.«
»Mein Gott!« rief Louise, welche ihr Ohr an die Thüre gehalten hatte, »ich erkenne den Gang meiner Mutter.«
»Frau von Saint-Remy! wo mich verbergen?« sagte Raoul, indem er bittend Montalais anschaute, welche ein wenig den Kopf verloren zu haben schien.
»Ja,« sagte diese, »ich erkenne auch die klappernden Stelzschuhe. Es ist unsere vortreffliche Mutter! Herr Vicomte, es ist sehr Schade, daß das Fenster auf ein Pflaster geht und fünfzig Fuß über der Erde liegt.«
Raoul schaute mit verwirrtem Wesen nach dem Bakum, Louise faßte ihn am Arm und hielt ihn zurück.
»Ah! bin ich denn toll!« sagte Montalais, »habe ich denn nicht den Schrank für die Ceremonienkleider! er sieht wahrhaftig aus, als wäre er dazu gemacht.«
Es war die höchste Zeit, Frau von Saint-Remy stieg rascher als gewöhnlich herauf; sie kam auf den Ruheplatz in dem Augenblick, wo Montalais wie in den Ueberraschungsscenen den Schrank schloß, indem sie ihren Leib an die Thüre drückte.
»Ah!« rief Frau von Saint-Remy, »Ihr seid hier, Louise?«
»Ja, Madame,« erwiederte sie, bleicher, als wenn sie eines Verbrechens überwiesen worden wäre. »Gut! gut!«
»Setzt Euch, Madame,« sagte Montalais und bot Frau von Saint-Remy einen Stuhl an, den sie so stellte, daß sie dem Schrank den Rücken zuwandte.
»Ich danke, Fräulein Aure, ich danke; kommt geschwinde, meine Tochter, wir wollen gehen.«
»Wohin soll ich denn gehen, Madame?«
»Nach Hause; müßt Ihr nicht Eure Toilette vorbereiten?«
»Wie beliebt?« fragte Montalais, die schleunigst die Erstaunte spielte, so sehr befürchtete sie, Louise könnte eine Unvorsichtigkeit begehen.
»Ihr wißt also die Neuigkeit nicht?« fragte Frau von Saint-Remy.
»Welche Neuigkeit sollen zwei Mädchen in diesem Taubenschlag erfahren, Madame?«
»Wie! . . . Ihr habt Niemand gesehen?«
»Madame, Ihr sprecht in Räthseln, und Ihr laßt uns am kleinen Feuer sterben!« rief Montalais, die, als sie Louise immer bleicher sah, nicht mehr wußte, welchem Heiligen sie sich weihen sollte.
Endlich gewahrte sie bei ihrer Freundin einen sprechenden Blick, einen von jenen Blicken, welche eine Mauer verstehen würde. Louise bezeichnete ihrer Freundin den Hut, den unglücklichen Hut von Raoul, der sich auf dem Tisch breit machte.
Montalais warf sich davor, ergriff ihn mit ihrer linken Hand, schob ihn hinter sich und verbarg ihn gänzlich, während sie sprach.
»Nun,« sagte Frau von Saint-Remy, »es ist ein Courier eingetroffen, der die nahe bevorstehende Ankunft des Königs meldet. Da, meine Fräulein, handelt es sich darum, schön zu sein!«
»Geschwinde, geschwinde!« rief Montalais, »folgt, Eurer Frau Mutter, Louise, und laßt mich mein Ceremonienkleid zurecht richten.«
Louise stand auf; ihre Mutter nahm sie bei der Hand und führte sie auf den Ruheplatz.?
»Kommt,« sagte sie.
Und ganz leise:
»Wenn ich Euch verbiete, zu Montalais zu gehen, warum geht Ihr doch zu ihr?«
»Madame, es ist meine Freundin. Uebrigens kam ich so eben.«
»Hat man Niemand in Eurer Gegenwart sich verbergen lassen?« »Madame!«
»Ich habe einen Männerhut gesehen, den von dem Burschen, von dem Taugenichts!« »Madame!« rief Louise.
»Von dem nichtsthuerischen Malicorne! Ein Ehrenfräulein so besuchen . . . pfui!«
Und die Stimmen verloren sich in den Tiefen der kleinen Treppe.
Montalais hatte nicht das Geringste von diesen . Worten verloren, die ihr das Echo wie durch einen Trichter zusandte.
Sie zuckte die Achseln und sagte, als sie Raoul sah, der, aus seinem Versteck hervortretend, ebenfalls gehört hatte: ’’
»Arme Montalais! Opfer der Freundschaft! . . . Armer Malicorne! . . . Opfer der Liebe!«
Sie schwieg, als sie die tragikomische Miene von Raoul gewahrte, der ärgerlich über sich selbst war, daß er an einem Tage so viele Geheimnisse erlauert hatte.
»Oh l mein Fräulein,« sagte er, »wie soll ich Euch für Eure Güte erkenntlich sein?«
»Wir werden unsere Rechnung eines Tags ordnen,« erwiederte sie; »für den Augenblick macht Euch aus dem Staub, Herr von Bragelonne, denn Frau von Saint-Remy ist durchaus nicht nachsichtig, und irgend eine Indiscretion von ihrer Seite könnte hier eine für uns Alle sehr ärgerliche Haussuchung herbeiführen. Gott befohlen!«
»Aber Louise . . . wie erfahren? . . .
»Geht! geht! König Ludwig XI, wußte sehr wohl, was er that, als er die Post erfand.«
»Ach!« seufzte Raoul.
»Und bin ich nicht da, ich, die ich so viel werth bin, als alle Posten des Königreichs? Geschwinde! zu Pferde! Wenn Frau von Saint-Remy wieder heraufkommt, um mir Moral zu lesen, so soll sie Euch nicht mehr hier finden.«
»Sie würde es meinem Vater sagen, nicht wahr?« murmelte Raoul.
»Und Ihr würdet gezankt werden! Ah! Vicomte, man sieht wohl, daß Ihr vom Hofe kommt: Ihr seid furchtsam wie der König. Bei Gott! wir in Blois wissen uns besser der Erlaubniß von Papa zu überheben! Fragt Malicorne.«
Nach diesen Worten schob das Mädchen Raoul an den Schultern vor die Thüre; er schlüpfte am Thorweg hin, fand sein Pferd, schwang sich darauf und sprengte fort, als ob er die acht Leibwachen von Monsieur auf den Fersen hätte.
Raoul folgte der wohlbekannten, seinem Gedächtniß so theuren Straße, welche von Blois nach dem Hause des Grafen de la Fère führte.
Der Leser wird uns einer neuen Beschreibung dieses Gebäudes überheben. Er ist in anderen Zeiten mit uns dahin gekommen. Er kennt es. Nur hatten seit der letzten Reise, die wir dahin gemacht, die Mauern eine grauere Farbe und der Backstein harmonischere Kupfertöne angenommen; die Bäume waren größer geworden, und der Baum, der früher seine mageren Arme über die Hecken ausstreckte, warf nun gerundet, buschig, üppig, unter seinen von Saft angeschwollenen Aesten fernhin den dichten Schatten mit Blüthen oder Früchten für den Wanderer aus.
Raoul erblickte in der Ferne das spitzige Dach, die zwei kleinen Thürmchen, den Taubenschlag in den Ulmen und die Tauben, welche sich beständig im Fluge, ohne ihn je verlassen zu können, um den Backsteinkegel drehten, den süßen Erinnerungen ähnlich, die um eine heitere, reine Seele flattern.
Als er sich näherte, vernahm er das Geräusch der Kloben, welche unter dem Gewicht schwerer Eimer knarrten; es kam ihm auch vor, als hörte er das schwermüthige Seufzen des Wassers, das in den Brunnen zurückfällt, ein trauriges, unheimliches, feierliches Geräusch, welches das Ohr des Kindes oder des Träumers so trifft, daß es weder das eine, noch der andere mehr vergißt; ein Geräusch, das die englischen Dichter Splass, die arabischen Poeten Gasgachau nennen, und das wir Franzosen, die wir auch gern Dichter sein möchten, nur durch die Umschreibung: Das Geräusch des Wassers, das ins Wasser fällt, bezeichnen können.
Es war mehr als ein Jahr, daß Raoul seinen Vater zum letzten Mal besucht hatte. Er hatte diese ganze Zeit bei dem Herrn Prinzen zugebracht.