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DER GRAF VON BRAGELONNE Ludwig XIV. ist weit über das Alter hinaus, in dem er regieren sollte, aber der kränkelnde Kardinal Mazarin weigert sich, die Zügel der Macht abzugeben. In der Zwischenzeit reist Karl II., ein König ohne Land, durch Europa und bittet seine Mitmonarchen um Hilfe. “Der Graf von Bragelonne” umfasst den Zeitraum von 1660 bis 1673. Die Reihe beginnt mit der Ankunft der Prinzessin Henrietta im Jahr 1660, schildert das Drama der eifersüchtigen, lüsternen und skandalträchtigen Mitglieder des französischen Hofes und das Liebesdreieck zwischen Louis, Louise und Raoul, dem Sohn von Athos. D’Artagnan, noch immer Leutnant bei den Musketieren, sieht für sich kein Fortkommen mehr im Dienste des Königs und bittet daher um seinen Abschied. Sein Ziel ist es, in England Karl II. zum Thron zu verhelfen. Auch Athos macht sich auf den Weg nach England, weil er Karl I. kurz vor dessen Tod seine Ergebenheit gegenüber Karl II. geschworen hatte. Währenddessen arbeiten Aramis und Porthos am Sturz Ludwigs XIV. Sie wollen an seiner Statt seinen inhaftierten Zwillingsbruder, den “Mann in der eisernen Maske”, auf den Thron setzen… Dieses ist der neunte von zehn Bänden. Der Umfang des neunten Bandes entspricht ca. 330 Buchseiten. Die Reihe IM ZEICHEN DER MUSKETIERE Die zehnbändige Reihe DER GRAF VON BRAGELONNE ist die dritte eigenständige Sequenz der übergeordneten und insgesamt 18 Teile umfassenden Reihe IM ZEICHEN DER MUSKETIERE, die insgesamt aus drei solchen eigenständigen Sequenzen besteht: DIE DREI MUSKETIERE (4 Teile), ZWANZIG JAHRE NACHHER (4 Teile) und DER GRAF VON BRAGELONNE (10 Teile). Die Geschichte um die drei Musketiere wurde häufig verfilmt. Bekannt ist auch die Verfilmung eines Handlungsstrangs aus dem GRAF VON BRAGELONNE unter dem Titel »Der Mann mit der eisernen Maske«. Die Geschichte rankt um einen möglichen Zwillingsbruder des Königs Ludwig XIV., der in der Bastille gefangen gehalten wurde und eine eiserne Maske tragen musste, um seine wahre Identität zu verbergen. Insgesamt umfasst die komplette Reihe etwa 5.500 Seiten voller Abenteuer, Liebe und Heldenmut. Diese Reihe präsentiert die ungekürzte Übersetzung aus dem Französischen von August Zoller in einer sprachlich überarbeiteten und modernisierten Neuausgabe.
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ALEXANDRE DUMAS
DER GRAF VON BRAGELONNE
HISTORISCHER ROMAN
IN ZEHN BÄNDEN
BAND IX
Ungekürzte, sprachlich überarbeitete und modernisierte Neuausgabe
auf Grundlage der Übertragung aus dem Französischen von August Zoller
DER GRAF VON BRAGELONNE wurde zuerst veröffentlicht in der Zeitung Le Siècle, Paris 1847.
Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von: apebook
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
1. Auflage 2020
Sprachlich überarbeitete und modernisierte Neuausgabe der ungekürzten Übertragung
aus dem Französischen von August Zoller.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
Dieses Buch ist Teil der ApeBook Classics (Nr. 76): Klassische Meisterwerke der Literatur als Paperback und eBook.
Weitere Informationen am Ende des Buches und unter:
www.apebook.de
ISBN 978-3-96130-314-4
Buchgestaltung: SKRIPTART
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Alle verwendeten Bilder und Illustrationen sind – sofern nicht anders ausgewiesen – nach bestem Wissen und Gewissen frei von Rechten Dritter, bearbeitet von SKRIPTART.
Alle Rechte vorbehalten.
© apebook 2020
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DIE DREI MUSKETIERE
Band I
Band II
Band III
Band IV
ZWANZIG JAHRE NACHHER
Band I
Band II
Band III
Band IV
DER GRAF VON BRAGELONNE
Band I
Band II
Band III
Band IV
Band V
Band VI
Band VII
Band VIII
Band IX
Band X
KARTE
von
FRANKREICH IM 17. JAHRHUNDERT
Inhaltsverzeichnis
DER GRAF VON BRAGELONNE. Band IX
Frontispiz
Impressum
Karte
Neunter Band
I.
II.
III.
VI.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.
XX.
XXI.
XXII.
XXIII.
XXIV.
XXV.
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Zu guter Letzt
Heu! miser!
Der Leser erinnert sich vielleicht, oder erinnert sich nicht, daß wir in einem früheren Kapitel die Worte geschrieben: Nach dem Abgang von Louise, auf deren Erscheinung wir später zurückkommen werden, bezähmte Raoul seinen Schmerz u.s.w. Er gürtete sein Schwert um, traf mit Grimaud zusammen und eilte mit diesem zu den Minimes von Vincennes, wo Porthos auf ihn wartete.
Kehren wir also wirklich zu der Erscheinung von Louise de la Vallière zurück.
Armer Raoul! hatte Athos mit einem Seufzer gesagt. Armer Raoul! hatte d'Artagnan gesagt. Als Raoul weggegangen war, nachdem ihm d'Artagnan den Rat erteilt, sich nach allen den Strapazen, die er durchgemacht, nach allen Gemütsbewegungen, denen er unterworfen gewesen, sich einem Schlafe von zwölf Stunden hinzugeben.
Von diesen zwei so starken Männern beklagt, mußte Raoul wirklich ein sehr unglücklicher Mensch sein.
Als er sich allein nur sich gegenüber fand, als er den unerschrockenen Freund und den zärtlichen Vater hinter sich gelassen hatte, als er sich des Geständnisses erinnerte, das der König von der Zärtlichkeit gemacht, die ihm seine Geliebte, Louise de la Vallière, raubte, da fühlte er sein Herz brechen, wie es Jeder von uns bei der ersten zerstörten Illusion, bei der ersten getäuschten Liebe brechen gefühlt hat.
»Oh!« murmelte er, »es ist also vorbei! Nichts mehr im Leben! Nichts mehr zu erwarten, nichts mehr zu hoffen! Guiche hat es mir gesagt, mein Vater hat es mir gesagt, Herr d'Artagnan hat es mir gesagt. Es ist also Alles ein Traum aus dieser Welt l Sie war ein Traum, diese seit zehn Jahren verfolgte Zukunft! Diese Verbindung unserer Herzen war ein Traum! Dieses Leben voll Liebe und Glück war ein Traum!
»Ich armer Narr, der ich so ganz laut und öffentlich in Gegenwart meiner Freunde und Feinde träumte, damit sich meine Freunde über meine Leiden betrüben und meine Feinde über meine Schmerzen lachen.
»Also wird mein Unglück eine Geschrei machende Ungnade, ein öffentlicher Scandal sein! Morgen wird man schmählich mit dem Finger aus mich deuten!«
Und trotz der Ruhe, die er seinem Vater und d'Artagnan gelobt, ließ Raoul einige Worte dumpfer Drohung vernehmen.
»Und dennoch,« fuhr er fort, »wenn ich Wardes hieße, wenn ich zugleich die Geschmeidigkeit und die Stärke von d'Artagnan besäße, lachte ich mit den Lippen und würde die Frauen überzeugen, diese Treulose, die ich mit meiner Liebe beehrt, lasse nur ein Bedauern bei mir zurück: das, daß ich durch ihren Anschein von Redlichkeit hintergangen worden sei; einige Spötter würden dem König auf meine Kosten fuchsschwänzen; ich würde am Wege aus die Spötter lauern und einige davon züchtigen. Die Männer würden mich fürchten, und bei dem Dritten, den ich zu meinen Füßen niedergestreckt hätte, wäre ich von den Frauen angebetet.
»Ja, das ist ein Entschluß, den ich zu fassen habe, und dem Gras de la Fère selbst wird nicht widerstreben. Ist er nicht in der Mitte seiner Jugend geprüft worden, wie ich geprüft worden bin? Hat er nicht die Liebe durch die Trunkenheit ersetzt? Er hat es mir oft gesagt. Warum sollte ich nicht die Liebe durch das Vergnügen ersetzen?
»Er hatte so viel gelitten, als ich leide, mehr vielleicht noch! Die Geschichte eines Menschen ist also die Geschichte aller Menschen: eine mehr oder minder lange, mehr oder minder schmerzliche Prüfung! Die Geschichte der ganzen Menschheit ist also nur ein langer Schrei!
»Was liegt aber dem, der leidet, an den Schmerzen anderer Menschen? Mildert die offene Wunde in einer andern Brust die gähnende Wunde in der unserigen? Stillt das Blut, das an unserer Seite fließt, unser Blut? Vermindert die allgemeine Herzensangst die Bangigkeit der Einzelnen? Nein, Jeder leidet für sich, Jeder kämpft mit seinem Schmerz, Jeder weint seine eigenen Tränen.
»Und überdies, was ist bis jetzt das Leben für mich gewesen? Eine kalte, unfruchtbare Arena, aus der ich immer für die Anderen und nie für mich gekämpft habe.
»Bald für einen König, bald für ein Weib.
»Der König hat mich verraten, das Weib hat mich verachtet.
»Oh! Unglücklicher!… Die Weiber! Könnte ich nicht alle das Verbrechen von einem derselben büßen lassen?
»Was ist hierzu erforderlich? Kein Herz mehr haben, oder vergessen, daß man eines gehabt hat; stark sein selbst gegen die Schwäche; immer daraufdrücken, selbst wenn man es brechen fühlt.
»Was ist erforderlich, um hierzu zu gelangen? Jung, schön, stark, mutig, reich sein. Ich bin oder werde dies Alles sein.
«Aber die Ehre? … Was ist die Ehre? Eine Theorie, die Jeder aus seine Weise versteht. Mein Vater würde mir sagen: ›Die Ehre ist die Achtung vor dem, was man den Anderen, und besonders vor dem, was man sich selbst schuldig ist.‹ Guiche jedoch, Manicamp, Saint-Aignan besonders würden mir sagen: ›Die Ehre? die Ehre besteht darin, daß man den Leidenschaften und Vergnügungen seines Königs dient.‹ Diese Ehre ist leicht und fruchtbar. Mit dieser Ehre kann ich mir meinen Posten bei Hofe erhalten, Kammerherr, werden, ein schönes und gutes Regiment für mich haben. Mit dieser Ehre kann ich Herzog und Pair werden.
»Der Flecken, den mir diese Frau ausgedrückt, der Schmerz, durch den sie mein, Raouls, ihres Freundes aus der Kindheit, Herz gebrochen hat, berührt in keiner Beziehung Herrn von Bragelonne, einen guten Offizier, einen braven Kapitän, der sich beim ersten Treffen mit Ruhm bedecken und hundertmal mehr werden wird, als heute de la Vallière, die Geliebte des Königs ist, denn der König wird Fräulein de la Vallière nicht heiraten, und je mehr er sie öffentlich für seine Geliebte erklärt, desto mehr wird er das Band der Schmach verdicken, das er ihr in der Gestalt einer Krone um die Stirne wirst, und in demselben Maße, in dem man sie verachten wird, wie ich sie verachte, werde ich mich verklären.
»Ach! wir gingen mit einander während des ersten, während des schönsten Drittels unseres Lebens; wir hielten uns an der Hand den reizenden, blumenreichen Pfad der Jugend entlang, und nun kommen wir zu dem Scheideweg, wo sie sich von mir trennt, wo wir eine verschiedene Straße verfolgen werden, die uns immer mehr von einander entfernt, und um das Ende dieses Weges zu erreichen, o Herr! bin ich allein, bin ich verzweiflungsvoll, bin ich vernichtet!
»Oh! Unglücklicher! …«
Raoul war so weit in seinen düsteren Betrachtungen, als sich sein Fuß maschinenmäßig auf die Schwelle seines Hauses setzte. Er war hierher gekommen, ohne die Straßen zu sehen, durch die er ging, ohne zu wissen, wie er gekommen; er stieß die Tür aus, schritt weiter und stieg die Treppe hinauf.
Wie bei den meisten Häusern jener Zeit, war die Treppe finster, waren die Ruheplätze dunkel. Raoul wohnte im ersten Stock; er blieb stehen, um zu läuten. Olivain erschien und nahm ihm Degen und Mantel ab. Raoul öffnete selbst die Tür, welche von einem Vorzimmer in einen für einen jungen Mann ziemlich reich meublierten Salon führte; dieser Salon war von Olivain ganz mit Blumen ausgeschmückt: der Diener kannte den Geschmack seines Herrn und hatte sich beeifert, ihn zu befriedigen, ohne sich darum zu bekümmern, ob er diese Aufmerksamkeit wahrnähme oder nicht wahrnähme.
Es war in dem Salon ein Portrait von la Vallière, das la Vallière selbst gezeichnet und Raoul geschenkt hatte. Dieses Portrait, das über einer großen mit dunkelfarbigem Damast überzogenen Chaiselongue hing, war der erste Punkt, gegen den sich Raoul wandte, der erste Gegenstand, aus den er die Augen heftete. Raoul gab übrigens seiner Gewohnheit nach; es war bei ihm dieses Portrait, was vor Allem seine Augen aus sich zog. Diesmal, wie immer, ging er gerade aus das Portrait zu, stützte seine Kniee aus die Chaiselongue und schaute es traurig an.
Er hatte die Arme über der Brust gekreuzt, den Kopf sachte emporgehoben, das Auge ruhig und verschleiert und den Mund durch ein bitteres Lächeln zusammengezogen.
Er betrachtete das angebetete Bild; dann durchzog Alles, was er gesagt, seinen Geist, dann bestürmte Alles, was er gelitten, sein Herz; und nach einem langen Stillschweigen sprach er zum dritten Mal:
»Oh! Unglücklicher!«
Kaum hatte er diese zwei Worte gesprochen, als sich ein Seufzer und eine Klage hinter ihm hörbar machten.
Er drehte sich rasch um und sah in der Ecke des Zimmers, stehend, gebückt, verschleiert, eine Frau, die er bei seinem Eintritt durch die Ausbreitung der Tür bedeckt und seitdem, weil er sich nicht umgedreht, nicht gesehen hatte.
Er ging aus die Frau zu, deren Gegenwart ihm Niemand gemeldet hatte, grüßte und erkundigte sich zugleich, als sich plötzlich der gesenkte Kopf erhob, der aus die Seite geschobene Schleier das Gesicht sehen ließ und eine weiße, traurige Gestalt vor ihm erschien.
Raoul wich zurück, als hätte er ein Gespenst vor sich.
»Louise!« rief er mit einem so verzweifelten Ausdruck, daß man nicht hätte glauben sollen, die menschliche Stimme könnte einen solchen Schrei ausstoßen, ohne daß alle Fibern des Herzens zerreißen würden.
Wunden auf Wunden.
Fräulein de la Vallière, denn sie war es, machte einen Schritt vorwärts.
»Ja, Louise,« murmelte sie.
Doch in diesem Zwischenraum, so kurz er war, hatte Raoul Zeit gehabt, sich zu erholen.
»Ihr, mein Fräulein,« sagte er. Dann fügte er mit einem unbeschreiblichen Tone bei: »Ihr hier?«
»Ja, Raoul,« erwiderte das Mädchen, »ich, die ich aus Euch wartete.«
»Verzeiht, als ich nach Hause kam, erfuhr ich nicht …«
»Ja, ich hatte Olivain empfohlen, Euch in Unwissenheit zu lassen …«
Sie zögerte; und da sich Raoul nicht beeilte, ihr zu antworten, so trat einen Augenblick Stillschweigen ein, ein Stillschweigen, bei dem man das Geräusch von zwei Herzen, welche, nicht mehr im Einklang, sondern eines so heftig als das andere schlugen, hören konnte.
Es war an Louise, zu sprechen. Sie strengte sich an und sagte:
»Ich hatte mit Euch zu reden; ich mußte Euch notwendig sehen … ich selbst … allein. Ich bin nicht vor einem Schritte zurückgewichen, der geheim bleiben muß, denn Niemand außer Euch, Herr von Bragelonne, würde ihn begreifen.«
»In der Tat, mein Fräulein,« stammelte Raoul bestürzt, keuchend, »und ich selbst, trotz der guten Meinung, die Ihr von mir habt, muß gestehen …«
»Wollt die Güte haben, Euch zu setzen und mich anzuhören,« unterbrach ihn Louise mit ihrem weichsten Tone.
Bragelonne schaute sie einen Augenblick an, schüttelte dann traurig den Kopf, setzte sich oder sank vielmehr aus einen Stuhl, und sagte:
»Sprecht.«
Sie warf einen verstohlenen Blick umher: dieser Blick war eine Bitte und forderte viel besser Geheimhaltung, als es eine Minute früher ihre Worte getan hatten. Raoul stand aus, ging nach der Tür, öffnete sie und rief:
»Olivain, ich bin für Niemand zu Hause.«
Dann sich gegen la Vallière umwendend, fragte er:
»Ist es das, was Ihr wünschtet?«
Nichts kann den Eindruck schildern, den auf Louise dieses Wort hervorbrachte, welches bezeichnete: Ihr seht, ich verstelle Euch noch.
Sie fuhr mit ihrem Sacktuch über ihre Augen, um eine widerspänstige Träne zu trocknen; dann, nachdem sie sich ein wenig gesammelt hatte, sprach sie:
»Raoul, wendet Euren so guten und treuherzigen Blick nicht von mir ab; Ihr seid keiner von den Männern, die eine Frau verachten, weil sie ihr Herz verschenkt hat, und sollte ihnen diese Liebe auch zum Unglück gereichen oder ihren Stolz verletzen.«
Raoul antwortete nicht.
»Ach!« fuhr la Vallière fort, »es ist nur zu wahr, meine Sache ist schlimm, und ich weiß nicht, wie ich anfangen soll. Höret, ich glaube, ich werde am Besten daran tun, wenn ich Euch ganz einfach erzähle, was mir begegnet. Da ich die Wahrheit sagen werde, so werde ich immer meinen rechten Weg in der Finsternis, in der Stockung, in den Hindernissen finden, die ich zu überwinden habe, um mein Herz zu erleichtern, das überströmt und sich zu Euren Füßen ergießen will.«
Raoul schwieg fortwährend.
La Vallière schaute ihn mit einer Miene an, welche besagen wollte:
»Ermutigt mich! habt Mitleid! nur ein Wort!«
Aber Raoul schwieg und das Mädchen mußte fortfahren:
»So eben ist Herr von Saint-Aignan im Auftrage des Königs bei mir gewesen,« sagte, sie.
Und sie schlug die Augen nieder.
Raoul wandte die seinigen ab, um nichts zu sehen.
»Herr von Saint-Aignan ist im Auftrage des Königs bei mir gewesen,« wiederholte sie, »und hat mir gesagt, Ihr wüßtet Alles.«
Und sie suchte demjenigen, welcher diese Wunde nach so vielen Wunden empfing, ins Gesicht zu schauen; aber es war ihr unmöglich, den Augen von Raoul zu begegnen.
»Er sagt mir, Ihr habet einen gerechten Zorn gegen mich gefaßt.«
Diesmal schaute Raoul das Mädchen an, und ein verächtliches Lächeln hob seine Lippen in die Höhe.
»Ob!« fuhr sie fort, »ich flehe Euch an, behauptet nicht, Ihr habet gegen mich etwas Anderes, als Zorn empfunden. Raoul wartet, bis ich Euch Alles gesagt, bis ich ausgesprochen habe.«
Die Stirne von Raoul klärte sich durch die Macht seines Willens aus; die Falte seines Mundes verschwand.
»Und vor Allem,« sagte la Vallière, die Hände gefaltet, die Stirne gesenkt, »vor Allem bitte ich Euch, als den großmütiqsten, als den edelherzigsten Menschen, um Verzeihung. Wenn ich Euch unbekannt mit dem ließ, was in meinem Innern vorging, so hätte ich doch nie eingewilligt. Euch zu hintergehen! Ah! ich flehe Euch an, Raoul, ich bitte Euch kniefällig, antwortet mir, und wäre es auch mit einer Beleidigung. Eine Beleidigung Eurer Lippen ist mir lieber, als ein Verdacht Eures Herzens.«
»Ich bewundere Eure Feinheit, mein Fräulein,« sprach Raoul, der sich anstrengte, um ruhig zu bleiben, »nicht wissen lassen, daß man hintergeht, ist redlich; aber hintergehen, es scheint, das wäre schlimm, und Ihr würdet das nicht tun.«
»Mein Herr, lange glaubte ich, ich liebe Euch mehr, als Alles, und so lange ich an meine Liebe für Euch glaubte, sagte ich Euch, daß ich Euch liebte. In Blois liebte ich Euch. Der König kam nach Blois. Ich glaubte Euch noch zu lieben. Ich hätte es auf einen Altar geschworen; doch es kam ein Tag, der mich enttäuschte.«
»Wohl! an diesem Tag, mein Fräulein, da Ihr sahet, ich liebe Euch fortwährend, mußte Euch die Redlichkeit gebieten, mir zu sagen, Ihr liebet mich nicht mehr.«
»An diesem Tage, Raoul, an dem Tag, wo ich bis im Grunde meines Herzens las, wo ich mir selbst gestand, Ihr erfüllet nicht meinen ganzen Geist, an diesem Tag, wo ich eine andere Zukunft erblickte, als die, Eure Freundin, Eure Geliebte, Eure Gattin zu sein, an diesem Tag, Raoul, waret Ihr leider nicht bei mir.«
»Ihr wußtet, wo ich war, mein Fräulein, Ihr mußtet mir schreiben.«
»Raoul, ich habe das nicht gewagt, Raoul, ich bin feige gewesen! Was wollt Ihr, Raoul, ich kannte Euch so gut, ich wußte so wohl, daß Ihr mich liebtet, daß ich schon bei dem Gedanken an den Schmerz, den ich Euch machen sollte, zitterte; und das ist so wahr, Raoul, daß in diesem Augenblick, wo ich, vor Euch gebeugt, das Herz gepreßt, die Stimme voll Seufzer, die Augen voll Tränen, mit Euch spreche, so wahr, daß ich wie ich keine andere Verteidigung habe, als meine Offenherzigkeit, auch keinen andern Schmerz habe, als den, welchen ich in Euren Augen lese.«
Raoul suchte zu lächeln.
»Nein,« sagte das Mädchen mit einer tiefen Überzeugung, »nein, Ihr werdet mir die Beleidigung nicht antun, daß Ihr Euch vor mir verstellt. Ihr liebtet mich, Ihr waret sicher, daß Ihr mich liebtet, Ihr täuschtet Euch nicht über Euch selbst, Ihr beloget nicht Euer eigenes Herz, während ich …«
Und ganz bleich, die Arme über ihrem Kopfe ausgestreckt, sank sie aus ihre Kniee.
»Während Ihr mir sagtet, Ihr liebet mich, und einen Andern liebtet,« sprach Raoul.
»Ach! ja,« rief das arme Kind; »ach! ja, ich liebe einen Andern, und dieser Andere… mein Gott! laßt es mich Euch sagen, denn das ist meine einzige Entschuldigung, Raoul… . Diesen Andern liebe ich mehr, als ich mein Leben liebe, mehr, als ich Gott liebe! Verzeiht mir meinen Fehler, oder strafet meinen Verrat, Raoul. Ich bin hierher gekommen, nicht, um mich zu verteidigen, sondern um Euch zu sagen: Ihr wißt, was lieben heißt? wohl! ich liebe! ich liebe, um mein Leben, um meine Seele demjenigen zu geben, welchen ich liebe! Hört er je aus, mich zu lieben, so werde ich vor Schmerz sterben, wenn Gott mich nicht unterstützt, wenn sich der Herr nicht meiner erbarmt! Raoul, ich bin hier, um mich Eurem Willen zu unterwerfen, welcher es auch sein mag, um zu sterben, wenn Ihr wollt, daß ich sterbe! Tötet mich also, Raoul, wenn Ihr glaubt, ich verdiene den Tod!«
»Nehmt Euch in Acht, mein Fräulein,« erwiderte Raoul, »die Frau, welche den Tod verlangt, ist diejenige, welche dem verratenen Liebhaber nur noch ihr Blut geben kann.«
»Ihr habt Recht,« sagte sie. Raoul stieß einen tiefen Seufzer aus. »Und Ihr liebet, ohne vergessen zu können!« rief Raoul.
»Ich liebe, ohne vergessen zu wollen, ohne den Wunsch, je anderswo zu lieben,« antwortete la Vallière.
»Gut,« sprach Raoul, »Ihr habt mir in der Tat Alles gesagt, was Ihr mir zu sagen hattet, Alles, was ich zu wissen wünschen konnte. Und nun, mein Fräulein, bin ich es, der Euch um Verzeihung bittet, ich, der ein Hindernis in Eurem Leben gewesen, ich, der Unrecht gehabt hat, ich, der ich, indem ich mich täuschte, Euch Euch selbst täuschen half.»
»Oh!« rief la Vallière, »ich verlange nicht so viel von Euch, Raoul.«
»Dies Alles ist mein Fehler, mein Fräulein,« fuhr Raoul fort.. »In den Schwierigkeiten des Lebens mehr unterrichtet, als Ihr, hatte ich die Aufgabe, Euch aufzuklären. Ich mußte mich nicht aus das Ungewisse verlassen, ich mußte Euer Herz sprechen machen, während ich kaum Euren Mund sprechen gemacht habe. Ich wiederhole Euch, mein Fräulein, ich bitte um Verzeihung.«
»Das ist unmöglich! das ist unmöglich! Ihr spottet meiner!« rief sie.
»Wie, unmöglich?«
»Ja, es ist unmöglich, in diesem Grade gut, vortrefflich, vollkommen zu sein!«
»Nehmt Euch in Acht,« entgegnete Raoul mit einem bitteren Lächeln, »denn Ihr werdet vielleicht sogleich sagen, ich liebe Euch nicht.«
»Oh! Ihr liebet mich wie ein zärtlicher Bruder, laßt mich das hoffen, Raoul.«
»Wie ein zärtlicher Bruder? Ihr täuscht Euch, Louise. Ich liebte Euch wie ein Liebhaber, wie ein Gatte, wie der Zärtlichste der Menschen, welche lieben.«
»Raoul! Raoul!«
»Wie ein Bruder! Oh! Louise, ich liebte Euch, um für Euch all mein Blut Tropfen für Tropfen, all mein Fleisch Fetzen um Fetzen, meine ganze Ewigkeit Stunde für Stunde hinzugeben!«
»Raoul, Raoul, habet Mitleid!»
»Ich liebte Euch so sehr, Louise, daß Mein Herz tot ist, daß mein Glaube wankt, daß meine Augen erlöschen; ich liebte Euch so sehr, daß ich weder aus Erden, noch im Himmel mehr etwas sehe.«
»Raoul, Raoul, mein Freund, ich beschwöre Euch, schonet meiner!« rief la Vallière. »Oh! wenn ich gewußt hätte…«
»Es ist zu spät, Louise, Ihr liebet, Ihr seid glücklich; ich lese diese Freude durch Eure Tränen; hinter den Tränen, welche Eure Redlichkeit vergießt, fühle ich die Seufzer, die Eure Liebe aushaucht. Louise, Louise, Ihr habt aus mir den Letzten der Menschen gemacht. Geht, ich beschwöre Euch. Gott befohlen!«
»Verzeiht mir, Raoul, verzeiht mir, ich flehe Euch an.«
»Ei! habe ich nicht mehr getan? Habe ich Euch nicht gesagt, ich liebe Euch immer noch?«
Sie verbarg ihr Gesicht in ihren Händen.
»Und Euch dies sagen, begreift Ihr, Louise? Euch es sagen in einem solchen Augenblick, Euch es sagen, wie ich es sage, heißt Euch mein Todesurteil aussprechen. Gott befohlen!«
La Vallière wollte ihre beiden Hände gegen ihn ausstrecken.
»Wir dürfen uns in dieser Welt nie mehr sehen,« sprach er.
Sie wollte aufschreien: er verschloß ihr den Mund mit der Hand. Sie küßte diese Hand und wurde ohnmächtig.
»Olivain,« sagte Raoul, »nehmt diese junge Dame und tragt sie in ihre Sänfte, die vor der Tür ihrer harrt.«
Olivain hob sie auf, Raoul machte eine Bewegung, um sich auf la Vallière zu stürzen, um ihr den ersten und den letzten Kuß zu geben; doch er hielt plötzlich inne und sprach:
»Nein, dieses Gut gehört nicht mir. Ich bin nicht der König von Frankreich, um zu stehlen.«
Und er kehrte in sein Zimmer zurück, während der Lakai la Vallière, welche immer noch ohnmächtig, forttrug.
***
Was nach dieser Szene mit Raoul geschah, wie er seinen Vater suchte und fand, und mit diesem nach Blois zurückkehrte, weiß der Leser. Er weiß auch, was in der Bastille zwischen dem Gefangenen und Aramis vorfiel. Und so fahren wir fort.
Wie Mouston fett geworden, ohne daß er Porthoszuvor davon in Kenntnis gesetzt hatte, undvon den Unannehmlichkeiten, welche hierausentsprungen waren.
Seit der Abreise von Athos nach Blois, hatten sich Porthos und d'Artagnan selten zusammengefunden. Der Eine hatte einen anstrengenden Dienst beim König gehabt, der Andere hatte viele Meubles eingekauft, die er aus seine Güter mitzunehmen beabsichtigte, und mit deren Hilfe er in seinen Residenzen ein wenig von jenem Hofluxus zu gründen hoffte, dessen glänzende Helle er in der Gesellschaft Seiner Majestät erschaut.
Immer getreu, dachte d'Artagnan eines Morgens, als ihm sein Dienst einige Freiheit ließ, an Porthos, und besorgt, weil er seit mehr als vierzehn Tagen nicht mehr von ihm hatte sprechen hören, wanderte er nach seinem Hotel, wo er ihn traf, als er eben vom Bette ausstand.
Der würdige Baron sah nachdenkend aus, mehr als nachdenkend, schwermütig. Er saß aus seinem Bett, halb nackt, die Beine hängend, und betrachtete eine Menge von Kleidern, die mit ihren Fransen, mit Ihren Galonen, mit ihren Stickereien und mit ihrem Klingklang unharmonischer Farben zerstreut aus dem Boden umherlagen.
Traurig und träumerisch, wie der Hase von La Fontaine, sah Porthos d'Artagnan nicht eintreten, den ihm überdies auch im Augenblick Mouston verbarg, dessen persönliche Beleibtheit, in jedem Fall sehr genügend, um einen Menschen vor einem andern zu verbergen, momentan dadurch verdoppelt wurde, daß er vor seinem Herrn an den Aermeln einen scharlachroten Rock ausgebreitet hielt, um ihn von allen Seiten anschaulicher zu machen.
D'Artagnan blieb aus der Schwelle stehen und betrachtete den nachdenkenden Porthos; dann, da der Anblick dieser zahllosen, zerstreut aus dem Boden umherliegenden Kleider der Brust des würdigen Edelmanns tiefe Seufzer entwand, dachte d'Artagnan, es sei Zeit, ihn dieser schmerzlichen Beschauung zu entreißen, und hustete, um sich anzukündigen.
»Ah!« rief Porthos, dessen Gesicht sich vor Freude erleuchtete, »ah! ah! hier kommt d'Artagnan! Endlich werde ich einen Gedanken haben.«
Bei diesen Worten vermutete Mouston, was hinter ihm vorging; er trat aus die Seite und lächelte dabei dem Freunde seines Herrn zu, der nun von dem materiellen Hindernis befreit war, das ihn bis zu d'Artagnan zu gelangen abhielt.
Porthos ließ, indem er sich ausrichtete, seine mächtigen Kniee krachen, durchmaß mit zwei Schritten das Zimmer, stand vor d'Artagnan und preßte diesen mit einer Zärtlichkeit ans Herz, die von Tag zu Tag eine neue Stärke zu gewinnen schien.
»Ah!« wiederholte er, »Ihr seid stets willkommen, teurer Freund, doch heute seid Ihr es mehr, als je.«
»Oho! man ist traurig bei Euch?« sagte d'Artagnan.
Porthos antwortete durch einen Blick, der Niedergeschlagenheit ausdrückte.
»Nun! erzählt mir das, Porthos, mein Freund, wenn es nicht etwa ein Geheimnis ist.«
»Vor Allem, mein Freund,« sprach Porthos, »Ihr wißt, daß ich kein Geheimnis für Euch habe. Höret also, was mich betrübt.«
»Wartet, Porthos, laßt mich zuerst meine Füße aus dieser Streu von Atlas- und Samtstoffen loswickeln.«
»Oh! geht immer zu,« erwiderte Porthos mit kläglichem Ton, »dies Alles ist nur Brack.«
»Teufel! Brack, Porthos! Tuch zu zwanzig Livres die Elle! herrlicher Atlas! königlicher Samt!«
»Ihr findet also diese Kleider …«
»Glänzend, Porthos, glänzend! Ich wette, Ihr allein habt so viel in Frankreich, und angenommen, Ihr lasset nicht mehr ein einziges machen, und Ihr werdet hundert Jahre leben, worüber ich mich nicht wundern würde, könntet Ihr noch neue Kleider an Eurem Todestag tragen, ohne daß Ihr von heute bis zu diesem Tag die Nase eines einzigen Schneiders zu sehen nötig hättet.«
Porthos schüttelte den Kopf.
»Höret, mein Freund,« fuhr d'Artagnan fort, »diese Schwermut, die nicht in Eurem Charakter liegt, erschreckt mich. Mein lieber Porthos, machen wir uns je eher, desto besser, davon frei.«
»Ja, mein Freund, tun wir das,« erwiderte Porthos, »wenn es überhaupt möglich ist,«
»Habt Ihr schlimme Nachrichten von Bracieux erhalten, mein Freund?«
»Nein, man bat Holz geschlagen, und es hat ein Drittel über die Schätzung ertragen.«
»Hat eine Flucht in den Teichen von Pierrefonds stattgefunden?«
»Nein, mein Freund, man hat sie ausgefischt, und aus dem Überfluß vom Verkauf hätte man alle Teiche mit jungen Fischen besetzen können.«
»Sollte das Vallon in Folge eines Erdbebens eingestürzt sein?«
»Nein, mein Freund, im Gegenteil, der Blitz hat hundert Schritte vom Schloß eingeschlagen und eine Quelle an einem Orte springen gemacht, wo es völlig an Wasser mangelte.«
»Nun! was gibt es denn?«
»Ich habe eine Einladung zu dem Feste in Vaux erhalten.«
»Ei! beklagt Euch doch ein wenig! Der König hat in den Haushaltungen des Hofes mehr als hundert Zwistigkeiten aus Leben und Tod dadurch veranlaßt, daß er Einladungen verweigert. Ah! wahrhaftig, teurer Freund, Ihr seid bei der Fahrt nach Vaux? Ah! ah! ah!«
»Mein Gott, ja.«
»Ihr werdet einen herrlichen Anblick genießen, mein Freund.«
»Ach! ich vermute es.«
»Alles, was es in Frankreich Großes gibt, wird dort versammelt sein.«
»Ah!« machte Porthos. Und er raufte sich aus Verzweiflung ein Pfötchen voll Haare aus.
»Guter Gott!« rief d'Artagnan, »seid Ihr krank, mein Freund?«
»Alle Wetter! ich befinde mich wie der Pont-Neuf. Das ist es nicht.«
»Aber was ist es denn?«
»Ich habe keine Kleider.«
D'Artagnan blieb versteinert.
»Keine Kleider! Porthos!« rief er, »keine Kleider! während ich mehr als fünfzig auf dem Boden sehe!«
»Fünfzig, ja, und nicht eines, das mir taugt.«
»Wie! nicht eines, das Euch taugt? Man nimmt also kein Maß von Euch, wenn man Euch kleidet?«
»Doch, doch,« erwiderte Mouston, »aber leider bin ich stärker geworden.«
»Wie, Ihr seid stärker geworden?«
»So, daß ich nun dicker, viel, viel dicker bin, als der Herr Baron. Solltet Ihr das glauben, gnädiger Herr?«
»Bei Gott! das sieht man wohl.«
»Siehst Du, Dummkopf, man sieht das!« rief Porthos.
»Aber, mein lieber Porthos,« sagte d'Artagnan mit einer leichten Ungeduld, »ich weiß nicht, warum Eure Kleider für Euch nicht passend sind, weil Mouston dicker geworden ist.«
»Ich will Euch das erklären, mein Freund, Ihr erinnert Euch, mir die Geschichte von einem römischen General, Antonius, erzählt zu haben, der immer sieben Wildschweine, zu verschiedenen Punkten gekocht, am Spieß hatte, um sein Mittagsmahl, zu welcher Stunde des Tages es ihm beliebte, verlangen zu können. Wohl! ich beschloß, da ich jeden Augenblick zu Hofe berufen werden und dort acht Tage verweilen könnte, für diese Veranlassung immer sieben Kleider bereit zu halten.«
»Vortrefflich geurteilt, Porthos! Nur muß man Euer Vermögen haben, um sich solche Phantasien zu erlauben, abgesehen von der Zeit, die man dadurch verliert, daß man sich anmessen läßt. Die Moden wechseln so oft!«
»Gerade hierin schmeichelte ich mir, etwas sehr Geistreiches gesunden zu haben.«
»Sprecht, laßt hören. Ich zweifle, bei Gott! nicht an Eurem Genie.«
»Ihr erinnert Euch, daß Mouston mager war?«
»Ja, zur Zeit, wo er Mousqueton hieß.«
»Ihr erinnert Euch auch der Zeit, wo er fett zu werden anfing?«
»Nein, nicht genau. Ich bitte Euch um Verzeihung, mein lieber Mouston.«
»Oh! der gnädige Herr ist nicht mangelhaft,« erwiderte Mouston mit einer liebenswürdigen Miene, »der gnädige Herr war in Paris, und wir waren in Pierrefonds.«
»Nun, Porthos, es gab also eine Zeit, wo Mouston stark zu werden anfing? Nicht wahr, das wollt Ihr sagen?«
»Ja, mein Freund, und darüber freute ich mich zu jener Zeit ungemein.«
»Pest, das glaube ich wohl,« rief d'Artagnan.
»Ihr begreift, daß das mir Mühe ersparte,« fuhr Porthos fort.
»Nein, mein Freund, ich begreife noch nicht; doch wenn Ihr mir genau erklärt …«
»Ich komme zur Sache, mein Freund. Vor Allem ist es, wie Ihr sagt, ein Zeitverlust, daß man sich soll anmessen lassen, und wäre es nur einmal alle vierzehn Tage. Und dann kann man aus der Reise sein, und wenn man immer sieben Anzüge im Gange haben will… Kurz, mein Freund, ich Hasse es, irgend Jemand mein Maß zu geben. Was Teufels, man ist Edelmann oder ist es nicht! Sich von einem solchen Burschen, der einen nach Fuß, Zoll und Linie analysiert, messen und untersuchen zu lassen, ist demütigend. Dergleichen Leute finden uns hier zu hohl, dort zu hervorragend; sie kennen unsere Stärke und unsere Schwäche. Geht man aus den Händen eines solchen Anmessers hervor, so gleicht man jenen Festungen, deren Winkel und Dicken ein Spion ausgekundschaftet hat.«
»In der Tat, mein lieber Porthos, Ihr habt Ideen, die nur Euch eigentümlich sind.«
»Ah! Ihr begreift, wenn man Ingenieur ist …«
»Und Belle-Isle befestigt hat, ganz richtig, mein Freund.«
»Ich hatte also einen Gedanken, und ohne Zweifel wäre er ohne die Nachlässigkeit von Herrn Mouston gut gewesen.«
D'Artagnan warf einen Blick aus Mouston, der diesen Blick mit einer Bewegung des Körpers erwiderte, welche besagen wollte: »Ihr werdet sehen, ob ich an dem Allem Schuld bin.«
»Ich wünschte mir also Glück, da ich Mouston fett werden sah,« fuhr Porthos fort, »und ich half selbst mit allen meinen Kräften dazu, ihm Beleibtheit mittelst einer wesenhaften Nahrung zu verschaffen, beständig in der Hoffnung, es würde ihm gelingen, mir an Umfang gleich zu kommen, und er könnte sich dann statt meiner anmessen lassen.«
»Ah! beim Gewitter, ich begreife,« rief d'Artagnan, »das ersparte Euch die Mühe und die Demütigung.«
»Denkt Euch als meine Freude, als ich nach anderthalb Jahren einer gut ausgedachten Nahrung, denn ich gab mir die Mühe, diesen Burschen selbst zu speisen …«
»Ah! und ich habe treulich dabei geholfen, gnädiger Herr,« versetzte Mouston bescheiden.
»Das ist wahr. Denkt Euch also meine Freude, als ich eines Morgens bemerkte, daß Mouston genötigt war, sich zusammenzuziehen, wie ich mich selbst zusammenzog, um durch die kleine Geheimtüre zu gehen, welche diese Teufel von Baumeistern in dem Zimmer von Madame du Vallon in Pierrefonds angebracht haben. Bei Gelegenheit dieser Tür frage ich Euch, mein Freund, der Ihr Alles wißt, wie es diesen Eseln von Architekten, welche von ihrem Handwerke aus den Compaß im Kopf haben müssen, einfallen kann, Türen zu machen, durch welche nur magere Leute zu gehen im Stande sind.«
»Solche Türen,« erwiderte d'Artagnan, »sind für die Liebhaber bestimmt; ein Liebhaber aber ist in der Regel von schlankem, hageren Wuchse.«
»Madame du Vallon hatte keinen Liebhaber,« entgegnete Porthos mit Majestät.
»Ganz richtig, mein Freund,« sagte d'Artagnan; »doch die Baumeister haben an den Fall gedacht, daß Ihr vielleicht wieder heiraten würdet.«
»Ah! das ist möglich,« sprach Porthos. »Und nun, da mir die Erklärung der zu engen Türen gegeben, ist, kommen wir aus das Fettwerden von Mouston zurück. Doch bemerkt, daß sich diese beiden Dinge berühren, mein Freund. Ich habe immer wahrgenommen, daß die Ideen sich paarten. So bewundert folgendes Phänomen, d'Artagnan: ich sprach mit Euch von Mouston, der dick wurde, und wir sind dadurch aus Madame du Vallon gekommen.«
»Welche mager war.«
»Hin! ist das nicht wunderbar!«
»Mein lieber, ein mir befreundeter Gelehrter, Herr Costar, hat dieselbe Bemerkung gemacht, wie Ihr, und er benennt das mit einem griechischen Namen, dessen ich mich nicht mehr erinnere.«
»Ah! meine Bemerkung ist also nicht neu?« rief Porthos erstaunt; »ich glaubte sie erfunden zuhaben.«
»Mein Freund, das war eine vor Aristoteles, das heißt, vor etwa zweitausend Jahren bekannte Tatsache.»
»Wohl! darum ist es nicht minder richtig,« sagte Porthos, entzückt, mit den Gelehrten des Altertums zusammengetroffen zu sein.
»Vortrefflich! Doch wenn wir aus Mouston zurückkämen … mich dünkt, wir haben ihn augenscheinlich stärker werdend verlassen.«
»Ja, gnädiger Herr,« sagte Mouston.
»Gut, ich bin dabei,« sprach Porthos. »Mouston nahm also dergestalt zu, daß er alle meine Hoffnungen erfüllte, denn er erreichte mein Maß; hiervon konnte ich mich eines Tags« überzeugen, als ich aus dem Leibe dieses Burschen ein Kamisol von mir erblickte, aus dem er sich einen Rock gemacht hatte, das, nur was die Stickerei betrifft, hundert Pistolen wert war.«
»Das geschah, um es zu probieren, gnädiger Herr,« sagte Mouston.
»Von diesem Augenblick an, fuhr Porthos fort, »beschloß ich, daß Mouston mit meinem Schneider in Verbindung treten und sich an meiner Stelle anmessen lassen sollte.«
»Herrlich ersonnen, Porthos; doch Mouston ist anderthalb Fuß kleiner, als Ihr.«
»Ganz richtig, man nahm das Maß bis aus den Boden, und das Ende des Kleides ging mir gerade bis über das Knie.«
»Welches Glück habt Ihr doch, Porthos! Dergleichen Dinge widerfahren nur Euch.«
»Ah! ja, macht mir Euer Kompliment, es ist Ursache dazu vorhanden. Gerade um diese Zeit, nämlich vor ungefähr dreieinhalb Jahren reiste ich nach Belle-Isle ab; ich beauftragte Mouston, um immer und im Fall der Not ein, Muster von allen Moden zu haben, sich jeden Monat ein Kleid machen zu lassen.«
»Sollte es Mouston versäumt haben, Euren Auftrag zu befolgen? Oh! das wäre schlimm, Mouston.«
»Im Gegenteil, gnädiger Herr, im Gegenteil.«
»Nein, er hat nicht vergessen, sich die Kleider machen zu lassen, aber er hat vergessen, mich zu benachrichtigen, daß er noch dicker wurde,«
»Ah! das ist nicht mein Fehler, gnädiger Herr, Euer Schneider hat es mir nicht gesagt.«
»So,« sprach Porthos, »so, daß der Bursche seit zwei Jahren um achtzehn Zoll Umfang zugenommen hat, und daß meine zwölf letzten Röcke alle stufenweise um einen bis anderthalb Fuß zu weit sind.«
»Doch die anderen, diejenigen, welche sich der Zeit nähern, wo Eure Taille dieselbe war?«
»Sie sind nicht mehr in der Mode, mein lieber Freund, Zöge ich sie an, so würde ich aussehen, als käme ich von Siam, und als wäre ich zwei Jahre von Hofe entfernt gewesen.*
»Ich begreife Eure Verlegenheit. Wie viel neue Kleider habt Ihr? nicht wahr, sechs und dreißig? und Ihr habt kein einziges. Wohl! Ihr müßt Euch ein sieben und dreißigstes machen lassen; die sechs und dreißig anderen sind für Mouston.«
»Ah! gnädiger Herr!« rief Mouston mit zufriedener Miene. »Doch der gnädige Herr ist allerdings immer gütig gegen mich gewesen.«
»Bei Gott! glaubt Ihr, dieser Gedanke sei mir nicht auch gekommen, oder ich habe die Ausgabe gescheut? Aber es sind nur noch zwei Tage von jetzt bis zu dem Feste in Vaux; ich habe die Einladung gestern erhalten, ich habe Mouston mit Post mit meiner Garderobe kommen lassen, ich habe das Unglück, das mir begegnete, erst diesen Morgen wahrgenommen, und es gibt keinen Schneider, der nur ein wenig in der Mode wäre und es übernähme, mir bis übermorgen ein Kleid zu verfertigen.«
»Nämlich ein mit Gold bedecktes Kleid, nicht wahr?«
»Ich will überall Gold haben.«
»Wir werden das in Ordnung bringen. Ihr geht erst in drei Tagen ab. Die Einladungen sind für Mittwoch gemacht, und wir sind am Sonntag Morgen.«
«Das ist wahr, doch Aramis hat mir eingeschärft, vier und zwanzig Stunden vorher in Vaux zu sein.«
»Wie, Aramis?«
»Ja, Aramis hat mir die Einladung gebracht.«
»Ah! sehr gut, ich begreife. Ihr seid von Herrn Fouquet eingeladen?«
»Nein, von Seiten des Königs, lieber Freund. Auf dem Zettel stand mit allen Buchstaben geschrieben: ›Der Herr Baron du Vallon wird benachrichtigt, daß der König die Gnade gehabt hat, ihn aus die Liste seiner Einladungen zu setzen.‹