Der große Gatsby - F. Scott Fitzgerald - E-Book

Der große Gatsby E-Book

F.Scott Fitzgerald

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Beschreibung

Begeben Sie sich mit der Neuübersetzung von "Der große Gatsby" auf eine faszinierende Reise in die schillernde Welt der 1920er Jahre. F. Scott Fitzgeralds meisterhaftes Werk über Liebe, Reichtum und den amerikanischen Traum wird in dieser Ausgabe mit liebevoller Hingabe zelebriert. Die Würdigung durch das Time Magazine als einer der 100 besten englischsprachigen Romane zwischen 1923 und 2005 sowie die Platzierung auf Platz 2 der 100 besten englischsprachigen Romane des 20. Jahrhunderts durch die Modern Library unterstreichen die zeitlose Relevanz dieses Klassikers. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 239

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F. Scott Fitzgerald

Der große Gatsby

Der ewige Klassiker in neuer Übersetzung

F. Scott Fitzgerald

Der große Gatsby

Der ewige Klassiker in neuer Übersetzung

(The Great Gatsby)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Jürgen Schulze 2. Auflage, ISBN 978-3-962814-50-2

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Inhaltsverzeichnis

Edi­to­ri­sche An­mer­kun­gen

Vor­wort

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Klas­si­ker bei Null Pa­pier

Ali­ce im Wun­der­land

Anna Ka­re­ni­na

Der Graf von Mon­te Chri­sto

Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

und wei­te­re …

Editorische Anmerkungen

Au­tor

Fitz­ge­rald, des­sen Le­ben min­des­tens so in­ter­essant war wie sei­ne Wer­ke, schuf mit die­sem mo­der­nen Ro­man ein Sit­ten­ge­mäl­de der »Roa­ring Twen­ties«. In »Der große Gats­by« lei­den sei­ne meist rei­chen Pro­tago­nis­ten auf sehr ho­hem Ni­veau. Wir tau­chen ein in ein bun­tes Por­trät ei­ner ver­snob­ten Ge­ne­ra­ti­on zwi­schen wirt­schaft­li­chen Un­si­cher­hei­ten, Pro­hi­bi­ti­on, Kri­mi­na­li­tät, Jazz, Mode und Eman­zi­pa­ti­on.

In den letz­ten Jah­ren vor dem Zwei­ten Welt­krieg war der Name F. Scott Fitz­ge­rald von fri­sche­ren ver­drängt wor­den. He­ming­way (ein gu­ter Freund und Sauf­kum­pan), Stein­beck und Faulk­ner bil­de­ten nun die Sperr­spit­ze des li­te­ra­ri­schen Rea­lis­mus. Erst nach sei­nem Tode mach­ten ame­ri­ka­ni­sche Kri­ti­ker wie­der auf sein Werk auf­merk­sam und brach­ten ihn – bis heu­te – wie­der zu­rück ins Ram­pen­licht.

Das Ma­ga­zin Time zählt die­sen Ro­man Fitz­ge­ralds zu den bes­ten 100 eng­lisch­spra­chi­gen Ro­ma­nen, die zwi­schen 1923 und 2005 ver­öf­fent­licht wur­den, und die Mo­dern Li­bra­ry lis­te­te ihn 1998 auf Rang 2 der 100 bes­ten eng­lisch­spra­chi­gen Ro­ma­ne des 20. Jahr­hun­derts.

Vorwort

Noch ein­mal an Zel­da

Dann tra­ge den gol­de­nen Hut, wenn sie das be­wegt; Wenn du hoch hüp­fen kannst, hüp­fe auch für sie, Bis sie ruft: »Ge­lieb­ter, gold­hü­ti­ger, hoch­hüp­fen­der Ge­lieb­ter, ich muss dich ha­ben!« Tho­mas Par­ke d’In­vil­liers

I.

Als ich noch jung und ver­letz­lich war, gab mir mein Va­ter einen Rat, den ich mir seit­dem im­mer wie­der vor Au­gen hal­te.

»Wenn du je­man­den kri­ti­sie­ren willst«, sag­te er mir, »den­ke dar­an, dass nicht alle Men­schen auf der Welt so viel Glück hat­ten wie du.«

Mehr sag­te er nicht, aber wir wa­ren schon im­mer un­ge­wöhn­lich kom­mu­ni­ka­tiv und zu­rück­hal­tend, und ich ver­stand, dass er viel mehr mein­te als das. Da­her nei­ge ich dazu, mich mit Ur­tei­len zu­rück­zu­hal­ten, eine An­ge­wohn­heit, die mir vie­le neu­gie­ri­ge Na­tu­ren ein­ge­bracht und mich auch zum Op­fer nicht we­ni­ger lang­wei­li­ger Ve­te­ra­nen ge­macht hat. Der ab­nor­me Ver­stand er­kennt die­se Ei­gen­schaft sehr schnell und macht sie sich zu ei­gen. Wenn sie sich bei ei­nem nor­ma­len Men­schen zeigt, und so wur­de ich auf dem Col­le­ge zu Un­recht be­schul­digt, ein Po­li­ti­ker zu sein, weil ich in die ge­hei­men Nöte wil­der, un­be­kann­ter Män­ner ein­ge­weiht war. Die meis­ten Ver­trau­lich­kei­ten wa­ren un­er­wünscht - oft täusch­te ich Schlaf, Be­schäf­ti­gung oder feind­se­li­ge Leich­tig­keit vor, wenn ich durch ein untrüg­li­ches Zei­chen er­kann­te, dass eine in­ti­me Ent­hül­lung am Ho­ri­zont zit­ter­te; denn die in­ti­men Ent­hül­lun­gen jun­ger Män­ner, oder we­nigs­tens die Aus­drücke, in de­nen sie sie aus­drücken, sind ge­wöhn­lich Pla­gia­te und durch of­fen­sicht­li­che Un­ter­drückung ge­trübt. Sich das Ur­teil vor­zu­be­hal­ten, ist eine Sa­che der un­end­li­chen Hoff­nung. Ich habe im­mer ein we­nig Angst, et­was zu ver­pas­sen, wenn ich ver­ges­se, dass, wie mein Va­ter hoch­mü­tig sag­te, und ich wie­der­ho­le hoch­mü­tig, der Sinn für die grund­le­gen­den An­stands­re­geln un­gleich ver­teilt ist.

Und nach­dem ich mich auf die­se Wei­se mei­ner To­le­ranz ge­rühmt habe, kom­me ich zu dem Ein­ge­ständ­nis, dass sie eine Gren­ze hat. Das Ver­hal­ten kann auf har­tem Fels oder nas­sem Sumpf ge­grün­det sein, aber ab ei­nem be­stimm­ten Punkt ist es mir egal, wor­auf es ge­grün­det ist. Als ich im letz­ten Herbst aus dem Os­ten zu­rück­kam, hat­te ich das Ge­fühl, dass ich die Welt für im­mer in Uni­form und mit ei­ner Art mo­ra­li­scher Wach­sam­keit se­hen woll­te; ich woll­te kei­ne kra­wal­li­gen Aus­flü­ge mit pri­vi­le­gier­ten Ein­bli­cken in das mensch­li­che Herz mehr. Nur Gats­by, der Mann, der die­sem Buch sei­nen Na­men gab, war von mei­ner Re­ak­ti­on aus­ge­nom­men - Gats­by, der all das re­prä­sen­tier­te, wo­für ich eine un­ge­küns­tel­te Ver­ach­tung emp­fand. Wenn Per­sön­lich­keit eine un­un­ter­bro­che­ne Fol­ge ge­lun­ge­ner Ges­ten ist, dann hat­te er et­was Wun­der­ba­res an sich, eine er­höh­te Sen­si­bi­li­tät für die Ver­hei­ßun­gen des Le­bens, als wäre er mit ei­ner je­ner kom­pli­zier­ten Ma­schi­nen ver­wandt, die Erd­be­ben in zehn­tau­send Mei­len Ent­fer­nung re­gis­trie­ren. Die­se Emp­find­sam­keit hat­te nichts zu tun mit je­ner schlaf­fen Be­ein­druck­bar­keit, die man un­ter dem Na­men »schöp­fe­ri­sches Tem­pe­ra­ment« wür­digt - es war eine au­ßer­ge­wöhn­li­che Be­ga­bung für Hoff­nung, eine ro­man­ti­sche Be­reit­schaft, wie ich sie bei kei­nem an­de­ren Men­schen ge­fun­den habe und wohl auch nie wie­der fin­den wer­de. Nein, Gats­by ist am Ende gut aus­ge­gan­gen; es war das, was Gats­by heim­ge­sucht hat, der fau­li­ge Staub, der im Kiel­was­ser sei­ner Träu­me schweb­te, der mein In­ter­es­se an den ge­schei­ter­ten Sor­gen und der kurz­le­bi­gen Eu­pho­rie der Men­schen vor­über­ge­hend zum Er­lie­gen brach­te.

*

Mei­ne Fa­mi­lie ist seit drei Ge­ne­ra­tio­nen eine be­kann­te und wohl­ha­ben­de Fa­mi­lie in die­ser Stadt im Mitt­le­ren Wes­ten. Die Car­ra­ways sind so et­was wie ein Clan, und wir ha­ben die Tra­di­ti­on, von den Her­zö­gen von Buc­c­leuch ab­zu­stam­men, aber der ei­gent­li­che Be­grün­der mei­ner Li­nie war der Bru­der mei­nes Groß­va­ters, der mit 51 hier­her­kam, einen Er­satz­mann in den Bür­ger­krieg schick­te und den Ei­sen­wa­ren­groß­han­del grün­de­te, den mein Va­ter heu­te führt.

Ich habe mei­nen Groß­on­kel nie ge­se­hen, aber man nimmt an, dass ich so aus­se­he wie er - vor al­lem we­gen des ziem­lich har­ten Ge­mäl­des, das in Va­ters Büro hängt. Im Jahr 1915, nur ein Vier­tel­jahr­hun­dert nach mei­nem Va­ter, schloss ich mein Stu­di­um in New Ha­ven ab, und kurz dar­auf nahm ich an der spä­ten teu­to­ni­schen Wan­de­rung teil, die als der Gro­ße Krieg be­kannt wur­de. Der Ge­gen­schlag ge­fiel mir so gut, dass ich un­ru­hig zu­rück­kehr­te. An­statt das war­me Zen­trum der Welt zu sein, er­schi­en mir der Mitt­le­re Wes­ten nun wie der zer­ris­se­ne Rand des Uni­ver­sums - also be­schloss ich, nach Os­ten zu ge­hen und das An­lei­he­ge­schäft zu ler­nen. Je­der, den ich kann­te, war im An­lei­hen­ge­schäft tä­tig, also dach­te ich mir, dass ich da­mit einen wei­te­ren al­lein­ste­hen­den Mann er­näh­ren könn­te. Alle mei­ne On­kel und Tan­ten spra­chen dar­über, als ob sie eine Vor­be­rei­tungs­schu­le für mich aus­such­ten, und sag­ten schließ­lich mit sehr erns­ten und zö­ger­li­chen Ge­sich­tern: »Ja, ja«. Va­ter stimm­te zu, mich für ein Jahr zu fi­nan­zie­ren, und nach ei­ni­gen Ver­zö­ge­run­gen kam ich im Früh­jahr zwei­und­zwan­zig in den Os­ten, für im­mer, wie ich dach­te.

Prak­ti­scher­wei­se muss­te ich mir ein Zim­mer in der Stadt su­chen, aber es war eine war­me Jah­res­zeit, und ich hat­te ge­ra­de das Land mit sei­nen wei­ten Ra­sen­flä­chen und freund­li­chen Bäu­men ver­las­sen, und als ein jun­ger Mann aus dem Büro vor­schlug, wir soll­ten zu­sam­men ein Haus in ei­ner Pend­ler­stadt neh­men, klang das nach ei­ner gu­ten Idee. Er fand das Haus, einen ver­wit­ter­ten Papp­bun­ga­low für acht­zig Euro im Mo­nat, aber in letz­ter Mi­nu­te be­or­der­te ihn die Fir­ma nach Wa­shing­ton, und ich zog al­lein aufs Land. Ich hat­te einen Hund - zu­min­dest ein paar Tage lang, bis er mir weg­lief -, einen al­ten Dod­ge und eine fin­ni­sche Frau, die mir das Bett mach­te, das Früh­stück koch­te und über dem Elek­tro­herd fin­ni­sche Weis­hei­ten mur­mel­te.

Ei­nen Tag lang war ich ein­sam, bis mich ei­nes Mor­gens ein Mann auf der Stra­ße an­sprach, der ge­ra­de erst an­ge­kom­men war.

»Wie kom­men Sie nach West Egg«, frag­te er hilf­los.

Ich sag­te es ihm. Und als ich wei­ter­ging, war ich nicht mehr al­lein. Ich war ein Weg­wei­ser, ein Pfad­fin­der, ein Neu­an­kömm­ling. Er hat­te mir bei­läu­fig die Frei­heit des Vier­tels über­tra­gen.

Und so hat­te ich mit dem Son­nen­schein und den vie­len Blät­tern, die wie in schnel­len Fil­men an den Bäu­men wuch­sen, die ver­trau­te Über­zeu­gung, dass mit dem Som­mer das Le­ben neu be­gann.

Es gab so viel zu le­sen und so viel Ge­sun­des aus der fri­schen Luft zu schöp­fen. Ich kauf­te ein Dut­zend Bän­de über Ban­ken und Kre­di­te und Wert­pa­pie­re, und sie stan­den in mei­nem Re­gal, rot und gold wie fri­sches Geld aus der Münz­an­stalt, und ver­spra­chen, die glän­zen­den Ge­heim­nis­se zu ent­hül­len, die nur Mi­das und Mor­gan1 und Mae­cen­as2 kann­ten. Und ich hat­te den fes­ten Vor­satz, noch vie­le Bü­cher zu le­sen. Auf dem Col­le­ge war ich ziem­lich li­te­ra­risch ge­we­sen - in ei­nem Jahr hat­te ich eine Rei­he von sehr fei­er­li­chen und of­fen­sicht­li­chen Leit­ar­ti­keln für die Yale News ge­schrie­ben -, und jetzt woll­te ich all die­se Din­ge wie­der in mein Le­ben zu­rück­ho­len und wie­der der be­schränk­tes­te al­ler Spe­zia­lis­ten wer­den, der »well-roun­ded man«. Das ist nicht nur ein Epi­gramm - das Le­ben lässt sich schließ­lich viel bes­ser aus ei­nem ein­zi­gen Fens­ter be­trach­ten.

Es war rei­ner Zu­fall, dass ich ein Haus in ei­ner der selt­sams­ten Ge­mein­den Nord­ame­ri­kas ge­mie­tet hat­te. Es be­fand sich auf je­ner schma­len, stür­mi­schen In­sel öst­lich von New York, die ne­ben an­de­ren Na­tur­se­hens­wür­dig­kei­ten zwei un­ge­wöhn­li­che Land­for­ma­tio­nen be­her­bergt. Zwan­zig Mei­len von der Stadt ent­fernt ra­gen zwei rie­si­ge Eier mit iden­ti­schen Um­ris­sen, die nur durch eine freund­li­che Bucht von­ein­an­der ge­trennt sind, in das am meis­ten ge­zähm­te Salz­was­ser der west­li­chen He­mi­sphä­re, den großen nas­sen Scheu­nen­hof des Long Is­land Sound. Sie sind nicht per­fekt oval - wie das Ei in der Ko­lum­bus-Ge­schich­te -, son­dern bei­de sind an der Kon­takt­flä­che ab­ge­flacht, aber ihre phy­si­sche Ähn­lich­keit muss für die Mö­wen, die über sie hin­weg­flie­gen, eine stän­di­ge Quel­le des Er­stau­nens sein. Für die flü­gel­lo­sen Vö­gel ist es in­ter­essan­ter, dass sie sich in je­der Hin­sicht au­ßer in Form und Grö­ße un­ter­schei­den.

Ich wohn­te in West Egg, dem - nun ja - we­ni­ger mon­dä­nen der bei­den Orte, ob­wohl das eine sehr ober­fläch­li­che Be­zeich­nung ist, um den bi­zar­ren und nicht we­nig un­heim­li­chen Kon­trast zwi­schen ih­nen aus­zu­drücken. Mein Haus lag am äu­ßers­ten Ende des Eies, nur fünf­zig Me­ter vom Sund ent­fernt, ein­ge­klemmt zwi­schen zwei rie­si­gen Häu­sern, die für zwölf- oder fünf­zehn­tau­send pro Sai­son ver­mie­tet wur­den. Das Haus zu mei­ner Rech­ten war nach al­len Maß­stä­ben ko­los­sal - eine fak­ti­sche Imi­ta­ti­on ei­nes Hôtel de Vil­le in der Nor­man­die, mit ei­nem Turm auf der einen Sei­te, blitz­sau­ber un­ter ei­nem dün­nen Bart aus ro­hem Efeu, ei­nem Swim­ming­pool aus Mar­mor und mehr als vier­zig Hek­tar Ra­sen und Gar­ten. Es war Gats­bys Land­sitz. Oder bes­ser ge­sagt, da ich Mr. Gats­by nicht kann­te, war es ein Her­ren­haus, das von ei­nem Herrn die­ses Na­mens be­wohnt wur­de. Mein ei­ge­nes Haus war ein Schand­fleck, aber es war ein klei­ner Schand­fleck, und man hat­te ihn über­se­hen, so­dass ich einen Blick aufs Was­ser hat­te, einen Teil des Ra­sens mei­nes Nach­barn und die tröst­li­che Nähe von Mil­lio­nären - und das al­les für acht­zig Dol­lar im Mo­nat.

Auf der an­de­ren Sei­te der Bucht glit­zer­ten die wei­ßen Pa­läs­te des mon­dä­nen East Egg am Was­ser, und die Ge­schich­te die­ses Som­mers be­gann an dem Abend, als ich dort­hin fuhr, um mit den Tom Bucha­n­ans zu Abend zu es­sen. Dai­sy war mei­ne Cou­si­ne zwei­ten Gra­des, und Tom kann­te ich schon vom Col­le­ge. Kurz nach dem Krieg ver­brach­te ich zwei Tage mit ih­nen in Chi­ca­go.

Ihr Mann war un­ter an­de­rem ei­ner der stärks­ten Spie­ler, die je­mals in New Ha­ven Foot­ball ge­spielt hat­ten - eine Art na­tio­na­le Fi­gur, ei­ner je­ner Män­ner, die mit ein­und­zwan­zig Jah­ren einen so be­grenz­ten Hö­he­punkt er­rei­chen, dass al­les, was da­nach kommt, wie eine An­ti­kli­max schmeckt. Sei­ne Fa­mi­lie war sehr wohl­ha­bend - selbst auf dem Col­le­ge war sei­ne Frei­heit im Um­gang mit Geld ein Vor­wurf -, aber jetzt hat­te er Chi­ca­go ver­las­sen und war auf eine Wei­se in den Os­ten ge­kom­men, die ei­nem den Atem raub­te: Er hat­te zum Bei­spiel eine Rei­he von Po­lo­po­nys aus Lake Fo­rest mit­ge­bracht. Es war schwer zu glau­ben, dass ein Mann mei­ner Ge­ne­ra­ti­on reich ge­nug war, um so et­was zu tun.

Wa­rum sie in den Os­ten ka­men, weiß ich nicht. Sie hat­ten ohne be­son­de­ren Grund ein Jahr in Frank­reich ver­bracht und wa­ren dann ru­he­los dort­hin ge­zo­gen, wo die Leu­te Polo spiel­ten und zu­sam­men reich wur­den. Es war ein Um­zug für im­mer, sag­te Dai­sy am Te­le­fon, aber ich glaub­te ihr nicht - ich hat­te kei­nen Ein­blick in Dai­sys Herz, aber ich spür­te, dass Tom für im­mer wei­ter­zie­hen wür­de, ein we­nig weh­mü­tig auf der Su­che nach den dra­ma­ti­schen Tur­bu­len­zen ei­nes un­wie­der­bring­li­chen Fuß­ball­spiels.

Und so fuhr ich an ei­nem war­men, win­di­gen Abend nach East Egg, um zwei alte Freun­de zu be­su­chen, die ich kaum kann­te. Ihr Haus war noch präch­ti­ger, als ich er­war­tet hat­te: eine fröh­li­che rot-wei­ße Vil­la im ge­or­gia­ni­schen Ko­lo­ni­al­stil mit Blick auf die Bucht. Der Ra­sen be­gann am Strand und er­streck­te sich über eine Vier­tel­mei­le auf die Haus­tür zu, vor­bei an Son­nen­uh­ren und Zie­gel­ste­gen und bren­nen­den Gär­ten - und als er schließ­lich das Haus er­reich­te, wu­cher­te er in leuch­ten­den Ran­ken an der Sei­te em­por, als wür­de er vom Schwung sei­nes Laufs ge­tra­gen. Die Fassa­de war durch eine Rei­he von Fens­ter­tü­ren un­ter­bro­chen, die jetzt gol­den leuch­te­ten und weit in den war­men, win­di­gen Nach­mit­tag hin­ein­rag­ten, und Tom Bucha­nan stand breit­bei­nig in Reit­klei­dung auf der Ve­ran­da.

Er hat­te sich seit den Jah­ren in New Ha­ven ver­än­dert. Jetzt war er ein kräf­ti­ger, stroh­haa­ri­ger Mann in den Drei­ßi­gern mit ei­nem ziem­lich har­ten Mund und ei­ner hoch­mü­ti­gen Hal­tung. Zwei fun­keln­de, ar­ro­gan­te Au­gen be­herrsch­ten sein Ge­sicht und lie­ßen ihn im­mer ag­gres­siv nach vor­ne bli­cken. Nicht ein­mal die ver­weich­lich­te Prot­zig­keit sei­ner Reit­klei­dung konn­te die un­ge­heu­re Kraft die­ses Kör­pers ver­ber­gen - er schi­en die glän­zen­den Stie­fel bis zur obers­ten Schnü­rung aus­zu­fül­len, und man konn­te se­hen, wie sich un­ter dem dün­nen Man­tel ein großes Mus­kel­pa­ket be­weg­te. Es war ein Kör­per mit enor­mer He­bel­wir­kung, ein grau­sa­mer Kör­per.

Sei­ne Stim­me, ein rau­er, hei­se­rer Te­nor, ver­stärk­te den Ein­druck der Zer­ris­sen­heit, den er ver­mit­tel­te. Sie ent­hielt einen Hauch vä­ter­li­cher Ver­ach­tung, selbst ge­gen­über de­nen, die er moch­te - und es gab Män­ner in New Ha­ven, die ihn ab­grund­tief hass­ten.

»Glau­be nicht, dass mei­ne Mei­nung in die­sen Din­gen end­gül­tig ist«, schi­en er zu sa­gen, »nur weil ich stär­ker und ein bes­se­rer Mensch bin als du.« Wir wa­ren in der der­sel­ben Se­ni­or So­cie­ty, und ob­wohl wir nie in­tim wur­den, hat­te ich im­mer den Ein­druck, dass er mich moch­te und woll­te, dass ich ihn moch­te, mit der ihm ei­ge­nen rau­en, trot­zi­gen Weh­mut.

Wir un­ter­hiel­ten uns noch ei­ni­ge Mi­nu­ten auf der son­ni­gen Ve­ran­da.

»Ich habe hier eine schö­ne Woh­nung«, sag­te er, und sei­ne Au­gen fun­kel­ten un­ru­hig.

Er dreh­te mich an ei­nem Arm um und strich mit ei­ner brei­ten fla­chen Hand über die Vor­der­sei­te des Hau­ses, die einen ver­sun­ke­nen ita­lie­ni­schen Gar­ten, einen hal­b­en Hek­tar üp­pi­ger, duf­ten­der Ro­sen und ein stups­na­si­ges Mo­tor­boot um­fass­te, das vor der Küs­te ge­gen die Flut an­ker­te.

»Es ge­hör­te De­mai­ne, dem Öl­mann.« Er dreh­te mich wie­der um, höf­lich und un­ver­mit­telt. »Ge­hen wir hin­ein.«

Wir gin­gen durch einen ho­hen Kor­ri­dor in einen hel­len, ro­sa­far­be­nen Raum, der auf bei­den Sei­ten durch Fens­ter­tü­ren zart mit dem Haus ver­bun­den war. Die Fens­ter wa­ren an­ge­lehnt und leuch­te­ten weiß ge­gen das fri­sche Gras, das ein Stück ins Haus hin­ein­zu­wach­sen schi­en. Eine Bri­se weh­te durch das Zim­mer, blies die Vor­hän­ge an ei­nem Ende her­ein und am an­de­ren wie blei­che Fah­nen wie­der her­aus, dreh­te sie zu der mat­ten Hoch­zeits­tor­te an der De­cke hin und strich dann über den wein­ro­ten Tep­pich, der einen Schat­ten auf ihn warf wie der Wind auf das Meer.

Das ein­zi­ge völ­lig un­be­weg­li­che Ob­jekt im Raum war ein rie­si­ges Sofa, auf dem zwei jun­ge Frau­en schweb­ten wie auf ei­nem ver­an­ker­ten Bal­lon. Bei­de wa­ren weiß ge­klei­det, und ihre Klei­der flat­ter­ten und kräu­sel­ten sich, als wä­ren sie ge­ra­de nach ei­nem kur­z­en Flug um das Haus her­um wie­der her­ein­ge­weht wor­den. Ich muss ei­ni­ge Au­gen­bli­cke ge­stan­den ha­ben, als ich das Peit­schen und Ra­scheln der Vor­hän­ge und das Äch­zen ei­nes Bil­des an der Wand hör­te. Dann gab es einen lau­ten Knall, als Tom Bucha­nan die hin­te­ren Fens­ter schloss und der ge­fan­ge­ne Wind im Zim­mer erstarb, und die Vor­hän­ge, die Tep­pi­che und die bei­den jun­gen Frau­en fie­len lang­sam zu Bo­den.

Die Jün­ge­re war mir fremd. Sie lag ganz aus­ge­streckt an ih­rem Ende des Di­wans, völ­lig re­gungs­los, das Kinn leicht er­ho­ben, als ba­lan­cie­re sie et­was dar­auf, das leicht her­un­ter­fal­len könn­te. Als sie mich aus den Au­gen­win­keln er­blick­te, ließ sie sich nichts an­mer­ken - ich war so­gar fast so über­rascht, dass ich eine Ent­schul­di­gung mur­mel­te, weil ich sie mit mei­nem Ein­tre­ten ge­stört hat­te.

Das an­de­re Mäd­chen, Dai­sy, mach­te einen Ver­such auf­zu­ste­hen - sie beug­te sich leicht nach vor­ne mit ei­nem ge­wis­sen­haf­ten Ge­sichts­aus­druck - und dann lach­te sie, ein ab­sur­des, char­man­tes klei­nes La­chen, und ich lach­te auch und ging nach vor­ne in den Raum.

»Ich bin wie g-ge­lähmt vor Glück.«

Sie lach­te wie­der, als hät­te sie et­was sehr Lus­ti­ges ge­sagt, und hielt einen Mo­ment lang mei­ne Hand, sah mir ins Ge­sicht und ver­sprach mir, dass es nie­man­den auf der Welt gäbe, den sie so ger­ne se­hen wür­de. Das war ihre Art. In ei­nem Flüs­tern deu­te­te sie an, dass der Nach­na­me des ba­lan­cie­ren­den Mäd­chens Ba­ker sei. (Ich habe ge­hört, dass Dai­sys Ge­mur­mel nur dazu diente, die Leu­te dazu zu brin­gen, sich zu ihr um­zu­dre­hen; eine ir­re­le­van­te Kri­tik, die es aber nicht we­ni­ger char­mant mach­te).

Je­den­falls flat­ter­ten Miss Ba­kers Lip­pen, sie nick­te mir fast un­merk­lich zu und neig­te dann schnell den Kopf zu­rück - der Ge­gen­stand, den sie ba­lan­cier­te, hat­te of­fen­sicht­lich ein we­nig ge­wa­ckelt und sie ein we­nig er­schreckt. Wie­der kam mir so et­was wie eine Ent­schul­di­gung über die Lip­pen. Fast jede Zur­schau­stel­lung völ­li­ger Selbst­ge­nüg­sam­keit ent­lockt mir eine fas­sungs­lo­se Ehr­er­bie­tung.

Ich wand­te mich wie­der mei­ner Cou­si­ne zu, die mir mit ih­rer tie­fen, auf­re­gen­den Stim­me Fra­gen stell­te. Es war die Art von Stim­me, der das Ohr auf und ab folgt, als wäre jede Rede eine Rei­he von No­ten, die nie wie­der ge­spielt wer­den. Ihr Ge­sicht war trau­rig und lieb­lich, mit hel­len Din­gen dar­in, hel­len Au­gen und ei­nem hel­len, lei­den­schaft­li­chen Mund, aber es lag eine Er­re­gung in ih­rer Stim­me, die die Män­ner, die sich um sie ge­küm­mert hat­ten, nur schwer ver­ges­sen konn­ten: ein sin­gen­der Zwang, ein ge­flüs­ter­tes »Hör zu«, ein Ver­spre­chen, dass sie ge­ra­de fröh­li­che, auf­re­gen­de Din­ge ge­tan hat­te und dass in der nächs­ten Stun­de fröh­li­che, auf­re­gen­de Din­ge auf sie war­te­ten.

Ich er­zähl­te ihr, dass ich auf mei­nem Weg nach Os­ten einen Tag in Chi­ca­go ver­bracht hat­te und dass mir ein Dut­zend Men­schen ihre Lie­be ge­schickt hat­ten.

»Ver­mis­sen sie mich?«, rief sie ver­zückt.

»Die gan­ze Stadt ist ver­las­sen. Alle Au­tos ha­ben das lin­ke Hin­ter­rad schwarz la­ckiert wie einen Trau­er­kranz, und am Nor­du­fer hört man die gan­ze Nacht ein an­hal­ten­des Heu­len.«

»Wie herr­lich! Lass uns zu­rück­fah­ren, Tom. Mor­gen!« Dann füg­te sie bei­läu­fig hin­zu: »Du soll­test das Baby se­hen.«

»Das wür­de ich gern.«

»Sie schläft. Sie ist drei Jah­re alt. Hast du sie noch nie ge­se­hen?«

»Noch nie.«

»Nun, du soll­test sie se­hen. Sie ist…«

Tom Bucha­nan, der un­ru­hig durch den Raum ge­lau­fen war, blieb ste­hen und leg­te mir die Hand auf die Schul­ter.

»Was machst du, Nick?«

»Ich bin Kre­dit­sach­be­ar­bei­ter.«

»Bei wem?«

er­klär­te ich ihm.

»Noch nie da­von ge­hört«, be­merk­te er be­stimmt.

Das är­ger­te mich.

»Das wer­den Sie noch«, ant­wor­te­te ich kurz. »Wenn du im Os­ten bleibst.«

»Oh, ich blei­be im Os­ten, kei­ne Sor­ge«, sag­te er und sah Dai­sy und dann wie­der mich an, als hät­te er et­was an­de­res er­war­tet. »Ich wäre ein ver­damm­ter Narr, wenn ich wo­an­ders le­ben wür­de.«

In die­sem Mo­ment sag­te Miss Ba­ker: »Auf je­den Fall«, so plötz­lich, dass ich zu­sam­men­zuck­te - es war das ers­te Wort, das sie ge­sagt hat­te, seit ich den Raum be­tre­ten hat­te. Of­fen­sicht­lich über­rasch­te es sie eben­so wie mich, denn sie gähn­te und rich­te­te sich mit ei­ner Rei­he schnel­ler, ge­konn­ter Be­we­gun­gen im Raum auf.

»Ich bin ganz steif«, klag­te sie. »Ich lie­ge schon so lan­ge auf die­sem Sofa, wie ich den­ken kann.«

»Sieh mich nicht so an«, er­wi­der­te Dai­sy, »ich habe den gan­zen Nach­mit­tag ver­sucht, dich nach New York zu brin­gen.«

»Nein, dan­ke«, sag­te Miss Ba­ker zu den vier Cock­tails, die ge­ra­de aus der Spei­se­kam­mer ka­men. »Ich bin voll in der Aus­bil­dung.«

Ihr Gast­ge­ber sah sie un­gläu­big an.

»Du bist es!« Er stürz­te sei­nen Drink hin­un­ter, als wäre er ein Trop­fen am Bo­den ei­nes Gla­ses. »Wie Sie je­mals et­was ge­schafft ha­ben, ist mir ein Rät­sel.«

Ich sah Miss Ba­ker an und frag­te mich, was sie »zu­stan­de ge­bracht« hat­te. Es mach­te mir Spaß, sie an­zu­se­hen. Sie war ein schlan­kes Mäd­chen mit klei­nen Brüs­ten und ei­ner auf­rech­ten Hal­tung, die sie noch be­ton­te, in­dem sie ih­ren Kör­per wie ein jun­ger Ka­dett an den Schul­tern nach hin­ten warf. Ihre grau­en, son­nen­ver­brann­ten Au­gen blick­ten mich mit höf­li­cher Neu­gier aus ei­nem blas­sen, rei­zen­den, un­zu­frie­de­nen Ge­sicht an. Da fiel mir ein, dass ich sie oder ein Bild von ihr schon ein­mal ir­gend­wo ge­se­hen hat­te.

»Sie woh­nen in West Egg«, be­merk­te sie ver­ächt­lich. »Ich ken­ne dort je­man­den.«

»Ich ken­ne nie­man­den …«

»Sie müs­sen Gats­by ken­nen.«

»Gats­by?«, frag­te Dai­sy. »Wel­chen Gats­by?«

Be­vor ich ant­wor­ten konn­te, dass er mein Nach­bar sei, wur­de das Abendes­sen an­ge­kün­digt, und Tom Bucha­nan zwang mich, sei­nen aus­ge­streck­ten Arm un­ter mei­nen zu schie­ben, als wür­de er einen Stein auf ein an­de­res Feld schie­ben.

Schlank und trä­ge, die Hän­de leicht in die Hüf­ten ge­stemmt, gin­gen die bei­den jun­gen Frau­en vor uns hin­aus auf die ro­sa­far­be­ne Ve­ran­da, die sich zum Son­nen­un­ter­gang hin öff­ne­te, wo vier Ker­zen auf dem Tisch im ab­flau­en­den Wind fla­cker­ten.

»Wa­rum Ker­zen?«, frag­te Dai­sy stirn­run­zelnd. Sie schnipp­te sie mit den Fin­gern aus. »In zwei Wo­chen ist der längs­te Tag des Jah­res.« Sie sah uns alle strah­lend an. »War­tet ihr im­mer auf den längs­ten Tag des Jah­res und ver­passt ihn dann? Ich war­te im­mer auf den längs­ten Tag des Jah­res und ver­pas­se ihn dann.«

»Wir soll­ten et­was pla­nen«, gähn­te Miss Ba­ker und setz­te sich an den Tisch, als wol­le sie ins Bett ge­hen.

»Gut«, sag­te Dai­sy. »Was sol­len wir pla­nen?« Sie dreh­te sich hilf­los zu mir um: »Was pla­nen wir?«

Be­vor ich ant­wor­ten konn­te, rich­te­ten sich ihre Au­gen ehr­fürch­tig auf ih­ren klei­nen Fin­ger.

»Schau«, klag­te sie, »ich habe ihn ver­letzt.«

Wir sa­hen alle hin - der Knö­chel war schwarz und blau.

»Du hast es ge­tan, Tom«, sag­te sie an­kla­gend. »Ich weiß, du woll­test es nicht, aber du hast es ge­tan. Das habe ich da­von, dass ich einen bru­ta­len Mann ge­hei­ra­tet habe, ein großes, großes, schwe­res Exem­plar von …«

»Ich has­se das Wort ›bru­tal‹«, wand­te Tom är­ger­lich ein, »nicht ein­mal im Scherz.«

»Grob­schläch­tig«, be­harr­te Dai­sy.

Manch­mal un­ter­hiel­ten sie und Miss Ba­ker sich gleich­zei­tig, lei­se und mit ei­ner scherz­haf­ten In­kon­se­quenz, die nie wirk­li­ches Ge­plau­der war, so kühl wie ihre wei­ßen Klei­der und ihre un­per­sön­li­chen Au­gen, de­nen je­des Ver­lan­gen fehl­te. Sie wa­ren da und ak­zep­tier­ten Tom und mich, in­dem sie nur höf­lich und freund­lich ver­such­ten, sich zu un­ter­hal­ten oder un­ter­hal­ten zu wer­den. Sie wuss­ten, dass das Abendes­sen bald zu Ende sein wür­de, und kurz dar­auf wür­de auch der Abend zu Ende sein und bei­läu­fig bei­sei­te ge­legt wer­den. Das war ein deut­li­cher Un­ter­schied zum Wes­ten, wo ein Abend von Pha­se zu Pha­se auf sein Ende zu­steu­ert, in stän­di­ger ent­täusch­ter Er­war­tung oder in ner­vö­ser Angst vor dem Au­gen­blick selbst.

»Bei dir füh­le ich mich un­zi­vi­li­siert, Dai­sy«, ge­stand ich bei mei­nem zwei­ten Glas des kor­ki­gen, aber ziem­lich be­ein­dru­cken­den Rot­weins. »Kannst du nicht über Pflan­zen re­den oder so?«

Ich woll­te mit die­ser Be­mer­kung nichts Be­stimm­tes sa­gen, aber sie wur­de auf un­er­war­te­te Wei­se auf­ge­grif­fen.

»Die Zi­vi­li­sa­ti­on geht den Bach run­ter«, brach es aus Tom her­aus. »Ich bin ein furcht­ba­rer Pes­si­mist ge­wor­den. Hast du The Rise of the Co­lou­red Em­pi­res von die­sem God­dard ge­le­sen?«

»Nein«, ant­wor­te­te ich, et­was über­rascht von sei­nem Ton.

»Nun, es ist ein gu­tes Buch und je­der soll­te es le­sen. Es geht dar­um, dass, wenn wir nicht auf­pas­sen, die wei­ße Ras­se un­ter­ge­hen wird - völ­lig un­ter­ge­hen wird. Das ist al­les wis­sen­schaft­li­ches Zeug, es ist be­wie­sen.«

»Tom wird sehr tief­sin­nig«, sag­te Dai­sy mit ei­nem Aus­druck ge­dan­ken­lo­ser Trau­rig­keit. »Er liest tief­sin­ni­ge Bü­cher mit lan­gen Wör­tern. Was war das Wort, das wir…«

»Nun, die­se Bü­cher sind alle wis­sen­schaft­lich«, be­harr­te Tom und sah sie un­ge­dul­dig an. »Die­ser Kerl hat das al­les aus­ge­ar­bei­tet. Wir, die do­mi­nie­ren­de Ras­se, müs­sen auf­pas­sen, sonst über­neh­men die­se an­de­ren Ras­sen die Kon­trol­le.«

»Wir müs­sen sie nie­der­schla­gen«, flüs­ter­te Dai­sy und blin­zel­te grim­mig in die glü­hen­de Son­ne.

»Sie soll­ten in Ka­li­for­ni­en le­ben«, be­gann Miss Ba­ker, aber Tom un­ter­brach sie, in­dem er hef­tig auf sei­nem Stuhl her­um­rutsch­te.

»Die Idee ist, dass wir Nord­lich­ter sind. Ich bin es, und du bist es, und du bist es, und…« Nach ei­nem kur­z­en Zö­gern be­zog er Dai­sy mit ei­nem leich­ten Ni­cken ein, und sie zwin­ker­te mir zu. »Und wir ha­ben all die Din­ge her­vor­ge­bracht, die eine Zi­vi­li­sa­ti­on aus­ma­chen - oh, Wis­sen­schaft und Kunst und all das. Ver­stehst du?«

Sei­ne Kon­zen­tra­ti­on hat­te et­was Pa­the­ti­sches an sich, als ob ihm sei­ne Selbst­zu­frie­den­heit, die grö­ßer war als je zu­vor, nicht mehr ge­nüg­te. Als fast au­gen­blick­lich das Te­le­fon klin­gel­te und der But­ler die Ve­ran­da ver­ließ, nutz­te Dai­sy die kur­ze Un­ter­bre­chung und beug­te sich zu mir her­über.

»Ich wer­de dir ein Fa­mi­li­en­ge­heim­nis ver­ra­ten«, flüs­ter­te sie be­geis­tert. »Es han­delt von der Nase des But­lers. Möch­test du et­was über die Nase des But­lers hö­ren?«

»Des­halb bin ich heu­te Abend her­ge­kom­men.«

»Nun, er war nicht im­mer But­ler; er war der Sil­ber­po­lie­rer für Leu­te in New York, die ein Sil­ber­ser­vice für zwei­hun­dert Per­so­nen hat­ten. Er muss­te es von mor­gens bis abends po­lie­ren, bis es an­fing, sei­ne Nase zu be­ein­träch­ti­gen …«

»Es wur­de im­mer schlim­mer«, schlug Miss Ba­ker vor.

»Ja, es wur­de im­mer schlim­mer, bis er schließ­lich sei­ne Stel­lung auf­ge­ben muss­te.«

Für einen Au­gen­blick fiel das letz­te Son­nen­licht mit ro­man­ti­scher Zärt­lich­keit auf ihr glü­hen­des Ge­sicht; ihre Stim­me zwang mich, atem­los zu­zu­hö­ren - dann er­losch der Glanz, je­des Licht ver­ließ sie mit an­hal­ten­dem Be­dau­ern, wie Kin­der, die in der Däm­me­rung eine schö­ne Stra­ße ver­las­sen.

Der But­ler kam zu­rück und mur­mel­te et­was dicht an Toms Ohr, wor­auf die­ser die Stirn run­zel­te, sei­nen Stuhl zu­rück­schob und wort­los her­ein­kam. Als ob sei­ne Ab­we­sen­heit et­was in ihr be­flü­gel­te, beug­te Dai­sy sich wie­der vor, ihre Stim­me glüh­te und sie sang.

»Ich lie­be es, dich an mei­nem Tisch zu se­hen, Nick. Du er­in­nerst mich an eine Rose, eine ab­so­lu­te Rose. Nicht wahr?« Sie wand­te sich an Miss Ba­ker, um sich be­stä­ti­gen zu las­sen: »Eine ab­so­lu­te Rose?«

Das stimm­te nicht. Ich habe nicht die ge­rings­te Ähn­lich­keit mit ei­ner Rose. Sie sprach aus dem Steg­reif, aber es ging eine rüh­ren­de Wär­me von ihr aus, als woll­te sich ihr Herz in ei­nem die­ser atem­lo­sen, er­re­gen­den Wor­te of­fen­ba­ren. Dann warf sie plötz­lich ihre Ser­vi­et­te auf den Tisch, ent­schul­dig­te sich und ging ins Haus.

Miss Ba­ker und ich tausch­ten einen kur­z­en Blick aus, der ab­sicht­lich nichts be­deu­te­te. Ich woll­te ge­ra­de et­was sa­gen, als sie sich auf­rich­te­te und mit war­nen­der Stim­me »Pst« sag­te. Ein ge­dämpf­tes, lei­den­schaft­li­ches Ge­mur­mel er­tön­te aus dem Raum hin­ter ihr, und Miss Ba­ker beug­te sich ver­le­gen vor und ver­such­te zu lau­schen. Das Mur­meln zit­ter­te am Ran­de des Zu­sam­men­hangs, fiel ab, stieg auf­ge­regt an und ver­stumm­te dann ganz.

»Die­ser Mr. Gats­by, von dem Sie spra­chen, ist mein Nach­bar…«, be­gann ich.

»Sa­gen Sie nichts. Ich will hö­ren, was pas­siert.«

»Pas­siert et­was?«, frag­te ich un­schul­dig.

»Sie wis­sen es nicht?«, sag­te Miss Ba­ker ehr­lich über­rascht. »Ich dach­te, je­der weiß es.«

»Ich auch nicht.«

»Wa­rum…«, sag­te sie zö­gernd. »Tom hat eine Frau in New York.«

»Hat eine Frau?« Ich wie­der­hol­te aus­drucks­los.

Miss Ba­ker nick­te.

»Sie könn­te den An­stand ha­ben, ihn nicht wäh­rend des Es­sens an­zu­ru­fen. Mei­nen Sie nicht?«

Be­vor ich be­griff, was sie mein­te, weh­te ein Kleid und knarr­ten Le­ders­tie­fel, und Tom und Dai­sy sa­ßen wie­der am Tisch.

»Es war nicht zu än­dern!«, rief Dai­sy mit an­ge­spann­ter Fröh­lich­keit.

Sie setz­te sich, blick­te su­chend zu Miss Ba­ker, dann zu mir und fuhr fort: »Ich habe kurz nach drau­ßen ge­schaut, und drau­ßen ist es sehr ro­man­tisch. Auf dem Ra­sen sitzt ein Vo­gel, ich glau­be, es ist eine Nach­ti­gall, die mit der Cu­nard3 oder Whi­te Star Line ge­kom­men ist. Er sing­t…« Ihre Stim­me sang: »Es ist ro­man­tisch, nicht wahr, Tom?«

»Sehr ro­man­tisch«, sag­te er, »und dann, wenn es nach dem Es­sen hell ge­nug ist, möch­te ich mit dir zu den Stäl­len ge­hen.«

Dai­sy schüt­tel­te ent­schie­den den Kopf über Tom, und das The­ma Stäl­le, ei­gent­lich alle The­men, lös­ten sich in Luft auf. In den Bruch­stücken der letz­ten fünf Mi­nu­ten am Tisch er­in­ne­re ich mich, dass die Ker­zen wie­der an­ge­zün­det wur­den, sinn­lo­ser­wei­se, und ich wuss­te, dass ich je­den di­rekt an­se­hen und doch al­len Bli­cken aus­wei­chen woll­te. Ich konn­te nicht er­ra­ten, was Dai­sy und Tom dach­ten, aber ich be­zweifle, dass selbst Miss Ba­ker, die eine ge­wis­se Skep­sis zu be­herr­schen schi­en, die schril­le, me­tal­li­sche Dring­lich­keit die­ses fünf­ten Gas­tes völ­lig aus­blen­den konn­te. Für ein ge­wis­ses Tem­pe­ra­ment mag die Si­tua­ti­on fas­zi­nie­rend ge­we­sen sein - mein ei­ge­ner In­stinkt war, so­fort die Po­li­zei zu ru­fen.

Von den Pfer­den war na­tür­lich kei­ne Rede mehr. Tom und Miss Ba­ker schlen­der­ten in der Abend­däm­merung zu­rück in die Biblio­thek, als woll­ten sie ne­ben ei­ner greif­ba­ren Lei­che wa­chen, wäh­rend ich ver­such­te, an­ge­nehm in­ter­es­siert und ein we­nig taub zu wir­ken, und Dai­sy um eine Ket­te von Ve­ran­den her­um zur Ve­ran­da vor dem Haus folg­te. In der Däm­me­rung setz­ten wir uns ne­ben­ein­an­der auf ein Korbso­fa.

Dai­sy nahm ihr Ge­sicht in die Hän­de, als wür­de sie sei­ne schö­ne Form er­tas­ten, und ihre Au­gen wan­der­ten lang­sam in die sam­te­ne Däm­me­rung hin­aus. Ich sah, dass sie von auf­ge­wühl­ten Ge­füh­len be­ses­sen war, also stell­te ich ihr ein paar be­ru­hi­gen­de Fra­gen über ihre klei­ne Toch­ter.

»Wir ken­nen uns nicht sehr gut, Nick«, sag­te sie plötz­lich. »Ob­wohl wir Cous­ins sind. Du warst nicht auf mei­ner Hoch­zeit.«

»Ich war noch nicht aus dem Krieg zu­rück.«

»Das stimmt.« Sie zö­ger­te. »Nun, ich hat­te eine sehr schlim­me Zeit, Nick, und ich bin ziem­lich zy­nisch, was al­les an­geht.«

Of­fen­sicht­lich hat­te sie Grund dazu. Ich war­te­te, aber sie sag­te nichts mehr, und nach ei­ner Wei­le kehr­te ich ziem­lich schwach zum The­ma ih­rer Toch­ter zu­rück.

»Ich neh­me an, sie re­det und isst und so.«