Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt - Arthur Schnitzler - E-Book

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt E-Book

Arthur Schnitzler

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Beschreibung

"Das Stück ist ein Schmiß! Wenn mir so was einmal 5actig gelänge, könnt ich und die Literatur froh sein"? so Schnitzler begeistert über seine in der Tat hinreißende Groteske: Die Bessergestellten von Paris treffen sich ohne dies ahnen zu können am Vorabend der Französischen Revolution in der titelgebenden Kneipe, um sich von Berufsschauspielern Halb- und Verbrecherwelt vorgaukeln zu lassen – bis unaufhaltsam-tödlich das reale Revolutionsgeschehen in den "Grünen Kakadu" hineinschwappt. Das hochvirtuose Spiel mit falschen Erwartungen, Fiktionalität und Realität gehört zum amüsantesten und gleichzeitig geistreichsten, was die deutsche Literatur zu bieten hat.  

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Seitenzahl: 77

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Arthur Schnitzler

Der grüne Kakadu

Groteske in einem Akt

Herausgegeben von Michael Scheffel

Reclam

2017 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2017

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961263-8

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-019323-5

www.reclam.de

Inhalt

Der grüne KakaduAnhang   Zu dieser Ausgabe   Anmerkungen   Nachwort   Literaturhinweise

[5]Personen

EMILE HERZOG VON CADIGNAN

FRANÇOIS VICOMTE VON NOGEANT

ALBIN CHEVALIER DE LA TREMOUILLE

DER MARQUIS VON LANSAC

SÉVERINE,seine Frau

ROLLIN, Dichter

PROSPÈRE, Wirt, vormals Theaterdirektor

seine Truppe

HENRI

BALTHASAR

GUILLAUME

SCAEVOLA

JULES

ETIENNE

MAURICE

GEORGETTE

MICHETTE

FLIPOTTE

LÉOCADIE, Schauspielerin, Henris Frau

GRASSET, Philosoph

LEBRÊT, Schneider

GRAIN, ein Strolch

DER KOMMISSÄR

ADELIGE, SCHAUSPIELER, SCHAUSPIELERINNEN, BÜRGER UND BÜRGERFRAUEN

 

Spielt in Paris am Abend des 14. Juli 1789 in der Spelunke Prospères.

[7]Wirtsstube »Zum grünen Kakadu«.

Ein nicht großer Kellerraum, zu welchem rechts – ziemlich weit hinten – sieben Stufen führen, die nach oben durch eine Tür abgeschlossen sind. Eine zweite Tür, welche kaum sichtbar ist, befindet sich im Hintergrunde links. Eine Anzahl von einfachen hölzernen Tischen, um diese Sessel, füllen beinahe den ganzen Raum aus. Links in der Mitte der Schanktisch; hinter demselben eine Anzahl Fässer mit Pipen. Das Zimmer ist durch Öllämpchen beleuchtet, die von der Decke herabhängen.

(Der Wirt Prospère; es treten ein die Bürger Lebrêt und Grasset.)

GRASSET

(noch auf den Stufen). Hier herein, Lebrêt; die Quelle kenn’ ich. Mein alter Freund und Direktor hat immer noch irgendwo ein Faß Wein versteckt, auch wenn ganz Paris verdurstet.

WIRT.

Guten Abend, Grasset. Läßt du dich wieder einmal blicken? Aus mit der Philosophie? Hast du Lust, wieder bei mir Engagement zu nehmen?

GRASSET.

Ja freilich! Wein sollst du bringen. Ich bin der Gast – du der Wirt.

WIRT.

Wein? Woher soll ich Wein nehmen, Grasset? Heut nacht haben sie ja alle Weinläden von Paris ausgeplündert. Und ich möchte wetten, daß du mit dabei gewesen bist.

GRASSET.

Her mit dem Wein. Für das Pack, das in einer Stunde nach uns kommen wird … (Lauschend.) Hörst du was, Lebrêt?

LEBRÊT.

Es ist wie ein leiser Donner.

GRASSET.

Brav – Bürger von Paris … (zu Prospère.) Für das [8]Pack hast du sicher noch einen in Vorrat. Also her damit. Mein Freund und Bewunderer, der Bürger Lebrêt, Schneider aus der Rue St. Honoré, zahlt alles.

LEBRÊT.

Gewiß, gewiß, ich zahle.

(Prospère zögert.)

GRASSET.

Na, zeig’ ihm, daß du Geld hast, Lebrêt.

(Lebrêt zieht seinen Geldbeutel heraus.)

WIRT.

Nun, ich will sehen, ob ich … (Er öffnet den Hahn zu einem Faß und füllt zwei Gläser.) Woher kommst du, Grasset? Aus dem Palais Royal?

GRASSET.

Jawohl … ich habe dort eine Rede gehalten. Ja, mein Lieber, jetzt bin ich an der Reihe. Weißt du, nach wem ich gesprochen habe?

WIRT.

Nun?

GRASSET.

Nach Camille Desmoulins! Jawohl, ich hab’ es gewagt. Und sage mir, Lebrêt, wer hat größeren Beifall gehabt, Desmoulins oder ich?

LEBRÊT.

Du … zweifellos. grasset. Und wie hab’ ich mich ausgenommen?

LEBRÊT.

Prächtig.

GRASSET.

Hörst du’s, Prospère? Ich habe mich auf den Tisch gestellt … ich habe ausgesehen wie ein Monument … jawohl – und alle die Tausend, Fünftausend, Zehntausend haben sich um mich versammelt – gerade so wie früher um Camille Desmoulins … und haben mir zugejubelt.

LEBRÊT.

Es war ein stärkerer Jubel.

GRASSET.

Jawohl … nicht um vieles, aber er war stärker. Und nun ziehen sie alle hin zur Bastille … und ich darf sagen: sie sind meinem Ruf gefolgt. Ich schwöre dir, vor abends haben wir sie.

[9]WIRT.

Ja, freilich, wenn die Mauern von euern Reden zusammenstürzten!

GRASSET.

Wieso … Reden! – Bist du taub? … Jetzt wird geschossen. Unsere braven Soldaten sind dabei. Sie haben dieselbe höllische Wut auf das verfluchte Gefängnis wie wir. Sie wissen, daß hinter diesen Mauern ihre Brüder und Väter gefangen sitzen … Aber sie würden nicht schießen, wenn wir nicht geredet hätten. Mein lieber Prospère, die Macht der Geister ist groß. Da – (zu Lebrêt.) Wo hast du die Schriften?

LEBRÊT.

Hier … (zieht Broschüren aus der Tasche.)

GRASSET.

Hier sind die neuesten Broschüren, die eben im Palais Royal verteilt wurden. Hier eine von meinem Freunde Cerutti, Denkschrift für das französische Volk, hier eine von Desmoulins, der allerdings besser spricht, als er schreibt … »Das freie Frankreich«.

WIRT.

Wann wird denn endlich die deine erscheinen, von der du immer erzählst?

GRASSET.

Wir brauchen keine mehr. Die Zeit zu Taten ist gekommen. Ein Schuft, der heute in seinen vier Wänden sitzt. Wer ein Mann ist, muß auf die Straße!

LEBRÊT.

Bravo, bravo!

GRASSET.

In Toulon haben sie den Bürgermeister umgebracht, in Brignolles haben sie ein Dutzend Häuser geplündert … nur wir in Paris sind noch immer die Langweiligen und lassen uns alles gefallen.

PROSPÈRE.

Das kann man doch nicht mehr sagen.

LEBRÊT

(der immer getrunken hat). Auf, ihr Bürger, auf!

GRASSET.

Auf! … Sperre deine Bude und komm jetzt mit uns!

WIRT.

Ich komme schon, wenn’s Zeit ist.

[10]GRASSET.

Ja freilich, wenn’s keine Gefahr mehr gibt.

WIRT.

Mein Lieber, ich liebe die Freiheit wie du – aber vor allem hab’ ich meinen Beruf.

GRASSET.

Jetzt gibt es für die Bürger von Paris nur einen Beruf: Ihre Brüder befreien.

WIRT.

Ja für die, die nichts anderes zu tun haben!

LEBRÊT.

Was sagt er da! … Er verhöhnt uns!

WIRT.

Fällt mir gar nicht ein. – Schaut jetzt lieber, daß ihr hinauskommt … meine Vorstellung fängt bald an. Da kann ich euch nicht brauchen.

LEBRÊT.

Was für eine Vorstellung? … Ist hier ein Theater?

WIRT.

Gewiß ist das ein Theater. Ihr Freund hat noch vor vierzehn Tagen hier mitgespielt.

LEBRÊT.

Hier hast du gespielt, Grasset? … Warum läßt du dich von dem Kerl da ungestraft verhöhnen!

GRASSET.

Beruhige dich … es ist wahr; ich habe hier gespielt, denn es ist kein gewöhnliches Wirtshaus … es ist eine Verbrecherherberge … komm …

WIRT.

Zuerst wird gezahlt.

LEBRÊT.

Wenn das hier eine Verbrecherherberge ist, so zahle ich keinen Sou.

WIRT.

So erkläre doch deinem Freunde, wo er ist.

GRASSET.

Es ist ein seltsamer Ort! Es kommen Leute her, die Verbrecher spielen – und andere, die es sind, ohne es zu ahnen.

LEBRÊT.

So –?

GRASSET.

Ich mache dich aufmerksam, daß das, was ich eben sagte, sehr geistreich war; es könnte das Glück einer ganzen Rede machen.

LEBRÊT.

Ich verstehe nichts von allem, was du sagst.

GRASSET.

Ich sagte dir ja, daß Prospère mein Direktor [11]war. Und er spielt mit seinen Leuten noch immer Komödie; nur in einer anderen Art als früher. Meine einstigen Kollegen und Kolleginnen sitzen hier herum und tun, als wenn sie Verbrecher wären. Verstehst du? Sie erzählen haarsträubende Geschichten, die sie nie erlebt – sprechen von Untaten, die sie nie begangen haben … und das Publikum, das hierher kommt, hat den angenehmen Kitzel, unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen – unter Gaunern, Einbrechern, Mördern – und –

LEBRÊT.

Was für ein Publikum?

WIRT.

Die elegantesten Leute von Paris.

GRASSET.

Adelige …

WIRT.

Herren vom Hofe –

LEBRÊT.

Nieder mit ihnen!

GRASSET.

Das ist was für sie. Das rüttelt ihnen die erschlafften Sinne auf. Hier hab’ ich angefangen, Lebrêt, hier hab’ ich meine erste Rede gehalten, als wenn es zum Spaß wäre … und hier hab’ ich die Hunde zu hassen begonnen, die mit ihren schönen Kleidern, parfümiert, angefressen, unter uns saßen … und es ist mir ganz recht, mein guter Lebrêt, daß du auch einmal die Stätte siehst, von wo dein großer Freund ausgegangen ist. (In anderem Ton.) Sag’, Prospère, wenn die Sache schief ginge …

WIRT.

Welche Sache?

GRASSET.

Nun, die Sache mit meiner politischen Karriere … würdest du mich wieder engagieren?

WIRT.

Nicht um die Welt!

GRASSET

(leicht). Warum? – Es könnte vielleicht noch einer neben deinem Henri aufkommen.

WIRT.

Abgesehen davon … ich hätte Angst, daß du dich [12]einmal vergessen könntest – und über einen meiner zahlenden Gäste im Ernst herfielst.

GRASSET

(geschmeichelt). Das wäre allerdings möglich.

WIRT.

Ich … ich hab’ mich doch in der Gewalt –

GRASSET.

Wahrhaftig, Prospère, ich muß sagen, daß ich dich wegen deiner Selbstbeherrschung bewundern würde, wenn ich nicht zufällig wüßte, daß du ein Feigling bist.

WIRT.

Ach, mein Lieber, mir genügt das, was ich in meinem Fach leisten kann. Es macht mir Vergnügen genug, den Kerlen meine Meinung ins Gesicht sagen zu können und sie zu beschimpfen nach Herzenslust – während sie es für Scherz halten. Es ist auch eine Art, seine Wut los zu werden. – (Zieht einen Dolch und läßt ihn funkeln.)

LEBRÊT.

Bürger Prospère, was soll das bedeuten?

GRASSET.

Habe keine Angst. Ich wette, daß der Dolch nicht einmal geschliffen ist.

WIRT.

Da könntest du doch irren, mein Freund; irgend einmal kommt ja doch der Tag, wo aus dem Spaß Ernst wird – und darauf bin ich für alle Fälle vorbereitet.

GRASSET.

Der Tag ist nah. Wir leben in einer großen Zeit! Komm, Bürger Lebrêt, wir wollen zu den Unsern. Prospère, leb’ wohl, du siehst mich als großen Mann wieder oder nie.

LEBRÊT

(torkelig). Als großen Mann … oder … nie –

(Sie gehen ab.)

WIRT

(bleibt zurück, setzt sich auf einen Tisch, schlägt eine Broschüre auf und liest vor sich hin). »Jetzt steckt das Vieh in der Schlinge, erdrosselt es!« – Er schreibt nicht übel, dieser kleine Desmoulins. »Noch nie hat sich Siegern [13]eine reichere Beute dargeboten. Vierzigtausend Paläste und Schlösser, zwei Fünftel aller Güter in Frankreich werden der Lohn der Tapferkeit sein, – die sich für Eroberer halten, werden unterjocht, die Nation wird gereinigt werden.«