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Der Umfang dieses E-Book entspricht 98 Taschenbuchseiten.
Andrea Parker versucht nach dem Tod ihres Mannes ihr Leben neu zu sortieren. Ein neuer Mann ist das Letzte, nach dem ihr Sinn steht. Doch als sie Sidney Buchanan kennenlernt, empfindet sie zarte Zuneigung zu diesem Mann. Doch sie ahnt nicht, dass mit ihm auch ein großes Übel in ihr Leben tritt. Gut, dass es den Geist von Ravens Crest gibt, der über sie wacht...
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von Ann Murdoch
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
Der Umfang dieses E-Book entspricht 98 Taschenbuchseiten.
Andrea Parker versucht nach dem Tod ihres Mannes ihr Leben neu zu sortieren. Ein neuer Mann ist das Letzte, nach dem ihr Sinn steht. Doch als sie Sidney Buchanan kennenlernt, empfindet sie zarte Zuneigung zu diesem Mann. Doch sie ahnt nicht, dass mit ihm auch ein großes Übel in ihr Leben tritt. Gut, dass es den Geist von Ravens Crest gibt, der über sie wacht...
Die Aussicht war atemberaubend.
Das Haus lag hoch oben auf den Klippen. Wenige Meter von der Terrassentür entfernt, fiel die Küste steil ab, und tief unten brandete das Meer in heftigen Stößen gegen die Felsen. Möwen flogen schreiend umher, die Luft war voller Salz, und der Wind toste unaufhörlich. Das nächste Haus war gut eine halbe Meile entfernt, das Licht aus einem der Fenster wie eine ferne Verheißung.
Es dämmerte schon, und in regelmäßigen Abständen flammte das Licht vom Leuchtturm herüber.
Andrea Parker stand im Wohnzimmer von Ravens Crest, wie das Haus allgemein genannt wurde, ließ den Blick über die jetzt kahlen Wände und den arg vernachlässigten Parkettboden gleiten, und nahm kaum noch auf, was die Immobilienmaklerin erzählte.
Das hier würde ihr neues Zuhause werden, ein nettes kleines Haus, weit ab von der Zivilisation, abgeschieden, um nur ja wenig Kontakt zu anderen Menschen zu haben.
Andrea wollte allein sein, nachdem sie ihren Mann bei einem schrecklichen Unfall verloren hatte. Er war in ihren Armen gestorben, mit vor Schmerzen verzerrtem Gesicht und unermesslicher Qual in den Augen. Nie würde sie diese Augen vergessen. Aber auch nie die sensationsgierige Meute, die um sie und Jack herumgestanden hatte.
Ein betrunkener Autofahrer war frontal ins Jacks Wagen gerast, und Jack war langsam auf der Straße verblutet.
Viele Menschen hatten herumgestanden, aber nicht einer hatte etwas getan, obwohl Andrea mehrmals um Hilfe gefleht hatte. Die Gaffer sahen seelenruhig zu, wie das Leben aus Jack herausfloss, und von diesem Augenblick an wollte Andrea so wenig wie möglich mit anderen Menschen zu tun haben.
Nach der Beerdigung hatte sie praktisch alle Brücken hinter sich abgebrochen, entgegen den Ratschlägen der wenigen echten Freunde. Sie wollte nur weg, und Ravens Crest schien ihr der richtige Ort zu sein, um sich zurückzuziehen. Arbeiten konnte sie von Zuhause aus, sie war Illustratorin, und hatte gute Aufträge für Bücher und Zeitschriften.
Hier draußen konnte sie mit ihrem Schmerz und dem Verlust allein sein und musste sich vor niemandem rechtfertigen.
„Mrs. Parker, hören Sie mir zu?“, fragte die Maklerin jetzt irritiert.
Andrea schrak aus ihren Gedanken auf. „Ja, natürlich“, beeilte sie sich zu versichern. „Ich nehme das Haus. Was sagten Sie gerade?“
Ein verweisender Blick traf sie - wie konnte sie nur so unaufmerksam sein?
Andrea zwang sich zu einem Lächeln. „Verzeihen Sie, ich war mit meinen Gedanken meilenweit entfernt. Sie wollten mir noch etwas über das Haus sagen. Vielleicht, warum es so billig ist?“
Die Maklerin wurde plötzlich puterrot. „Nun, Mrs. Parker, es ist so - ich meine...“
Andrea wurde hellhörig. Irgendetwas stimmte doch hier nicht. Die Lage war erstklassig, wenn auch abgeschieden, die Ausstattung schon fast luxuriös. Und eigentlich hätte Andrea ein so großes Haus gar nicht gebraucht. Aber der Preis war ungeheuer günstig. Wo also lag der Haken?
„Das Haus hat einen schlechten Ruf“, kam nun die Erklärung.
„Warum?“, fragte Andrea sanft.
„Nun, es gibt Leute, die behaupten, dass es hier spukt. Aber ganz sicher ist das alles nur dummes Gerede.“ Die Frau verhaspelte sich fast in dem Bemühen, das Gerede herunterzuspielen.
„Ein Geist? Wie reizvoll“, sagte Andrea und stöhnte innerlich. Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Geisterglaube, im ausgehenden 20. Jahrhundert. Aber nun gut, dadurch war das Haus wirklich preiswert, und wenn die Leute daran glauben wollten, dann sollten sie das ruhig tun. Ihr konnte es egal sein.
Ein wenig neugierig war sie aber doch. „Und wer oder was spukt hier herum?“, erkundigte sie sich freundlich.
Das Gesicht der Maklerin wurde bleich. „Nun, man sagt, es sei ein Piratenkapitän, der auch das Haus einst hat bauen lassen. So, etwa vor zweihundert Jahren. Er starb dann unter ungeklärten Umständen, und es heißt, er spukt hier regelmäßig, weil er auf der Suche nach etwas ist. Es scheint allerdings niemand genau zu wissen, was er sucht, aber der letzte Besitzer ist - nun, er hat...“
„Was hat er?“, fragte Andrea jetzt etwas ungeduldig. Das hier war doch nun wirklich zu dumm.
„Man fand ihn gefesselt und geknebelt, ohne dass er sagen konnte, wie es dazu gekommen ist. Der Mann ist ausgezogen und hat geschworen, dass er nie wieder einen Fuß über die Schwelle setzt. Ich mache mir nicht gern selbst das Geschäft kaputt, aber ich glaube doch, dass Sie diese Sachen wissen sollten. Und wenn Sie das Haus jetzt nicht mehr wollen, dann will ich gerne etwas anderes für Sie suchen.“
Andrea lachte glockenhell auf. „Das alles ist ein Grund mehr für mich, das Haus sofort zu kaufen. Geister, nein, wirklich, solange ich noch mit den Gespenstern in meinem Herzen fertig werden muss, können mir die hier im Haus nicht besonders gefährlich werden. Es bleibt dabei, ich nehme das Haus, es gefällt mir nämlich.“
Zwei Wochen später zog Andrea Parker um.
Der Wind wehte beständig hier oben, und Andrea hatte sich gleich daran gewöhnt, dass es Geräusche im Haus gab, die darauf zurückzuführen waren. Man musste sich daran ebenso gewöhnen wie an das Licht des Leuchtturms, der mit absoluter Regelmäßigkeit die Nacht erhellte, und genauso wie an die großen Räume, die sie längst nicht alle hatte einrichten können.
Aber bei einem Streifzug durch das Haus war Andrea auf dem Boden über eine Menge sorgfältig abgedeckter Möbel regelrecht gestolpert. Wunderschöne Schränke standen da, ein komplettes Esszimmer und ein wahres Prachtstück von Himmelbett. Das war eine wunderschöne Idee, fand sie.
Andrea hatte eine nette ältere Frau eingestellt, die das Haus in Ordnung halten sollte und auch kochte, Mrs. Mason.
Und Mrs. Mason hatte zwei erwachsene Söhne, die Andrea nun halfen, die alten Möbel vom Dachboden in die Zimmer zu schaffen.
Mrs. Mason hatte sich zunächst bekreuzigt.
„Das alles hat dem Kapitän gehört, Mrs. Parker. Es ist sicher nicht recht, wenn Sie das benutzen. Wollen Sie nicht lieber alles verbrennen?“
„Nein, bloß nicht", wehrte Andrea empört ab. „Die Möbel sind schön, und ich werde sie mit Ihrer Hilfe aufpolieren. Sie sollen wieder zu Ehren kommen. Außerdem wären sie heute ein Vermögen wert, wenn ich sie kaufen müsste.“
„Nun gut, es ist Ihr Ärger. Dem Kapitän wird das sicher nicht gefallen, Sie werden schon sehen.“
„Mrs. Mason, Sie reden ja, als würde der Kapitän noch leben. Tun Sie mir den Gefallen und kümmern Sie sich um mich. Lassen wir dem Kapitän seine wohlverdiente Ruhe, ja?“
„Sie reden sehr respektlos, Mrs. Parker“, hatte die ältere Frau verschreckt ausgerufen. „Hüten Sie sich, den Kapitän zu verärgern.“
Nun war Andrea schon selbst fast verärgert, aber trotzdem hatte sie gelacht. „Ich hoffe, es wird nicht allzu schlimm werden. Sagte man den Piraten nicht eine gewisse Ritterlichkeit im Umgang mit Damen nach? Und ich will ja nichts Böses. Aber vielleicht stellt er sich ganz einfach mal vor.“
Heftig vor sich hinmurmelnd über die Unvernunft der jungen Frau war Mrs. Mason in die Küche gegangen, wo sie wild mit Geschirr hantierte, um ihre Erregung abzubauen.
Andrea hatte den beiden jungen Männern Anweisungen gegeben, und so nahm die Einrichtung der Zimmer Formen an.
Ganz besonders hatte es Andrea ein altes Fernrohr angetan, das auf einem Dreibein fest verankert im Wohnzimmer aufgestellt werden sollte. Andrea wollte damit eigentlich über das Land blicken, obwohl es vorher im Esszimmer gestanden hatte, wo es einen herrlichen Blick über die Küste gab.
Doch kaum stand das gute Stück in einer Position, die Andrea gefiel, das stürzte es auch schon zu Boden, als fege ein kalter Wind durch den Raum.
„Ja, da soll doch gleich dieser und jener dreinschlagen“, schimpfte Andrea, nachdem sie zum dritten Mal versucht hatte, das Fernrohr vernünftig aufzustellen.
Einer von den Masons kratzte sich am Kopf. „Tja, Mistress, da kann man wohl nich viel machen. Das Ding gehört ganz einfach nich hierher. Also stellen Sie’s doch einfach zurück, da wo’s hingehört.“
Andrea hörte mit Grausen, wie der junge Mann mit der Sprache umging, das hatte für sie etwas Erschreckendes. Aber dann seufzte sie.
Noch sah es im Haus wüst und durcheinander aus, als die drei Masons nach Hause gingen. Das gutgemeinte Angebot Andreas, in dieser Nacht doch hier zu bleiben, war unter erregten Handbewegungen und vielfachen Bekreuzigungen abgelehnt worden.
Kopfschüttelnd schloss sie die Tür. Das war schon ein seltsames Völkchen hier oben an der schottischen Küste. Einerseits gastfreundlich und hilfsbereit, andererseits schien es, als wären die Menschen noch immer im dunkelsten Aberglauben gefangen.
Nun gut, für diesen Tag war es müßig, noch einen Gedanken daran zu verschwenden. Andrea ging durch den Flur und sah sich dann selbst für einen Augenblick im Garderobenspiegel. Sie war Anfang dreißig, hatte kurzgeschnittenes, jetzt ziemlich verstrubbeltes Haar und eine schlanke, aber sportliche Figur. Der Kummer über Jacks Tod hatte sich nicht in ihrem Gesicht abgezeichnet, nein, sie war eine attraktive Frau. Und wie Peter, ihr brüderlicher Freund, festgestellt hatte, war sie noch viel zu jung, um sich jetzt in der Einsamkeit zu verkriechen.
Aber Andrea wollte es so, und all die langen Diskussionen hatten sie in diesem Beschluss eher bestärkt.
Jetzt, da sie sich im Spiegel sah, musste sie Peter zumindest zugestehen, dass er in einem Punkt recht hatte. Sie sah immer noch gut aus. Und im roten Licht der untergehenden Sonne nahm ihre Haut einen warmen goldenen Farbton an, der ihr Gesicht fast überirdisch erschienen ließ.
Eine Bewegung lenkte plötzlich ihre Aufmerksamkeit auf sich. Eine Bewegung? Es war doch niemand hier! Aber im Spiegelbild schienen plötzlich die Konturen zu verschwimmen, zu einem anderen Gesicht zusammen zu fließen, zu einem fremden Gesicht: männlich, markant und mit einem etwas grausamen Zug um die Lippen.
Das Bild blieb seltsam unscharf, so als würde jemand versuchen, aus Andreas Gesicht ein anderes zu machen.
Erschreckt blinzelte die Frau und schaute erneut in den Spiegel. Aber jetzt war da nichts anderes als ihr eigenes Abbild.
„Jetzt fange ich auch schon an zu spinnen. Muss wohl an der Luft liegen“, murmelte Andrea vor sich hin und lachte dann über sich selbst.
Da hatte Mrs. Mason sie wohl schon mit dem Gerede über den Kapitän angesteckt.
Andrea schüttelte noch einmal den Kopf und ging in die Küche, um etwas zu essen, aber ein merkwürdiges Gefühl trieb sie ins Esszimmer.
Es schien, als wäre ein Sturmwind im Raum, der sich um das Fernrohr zu konzentrieren schien, und doch war keine Luftbewegung zu spüren.
„Jetzt reicht es aber“, sagte Andrea energisch und laut.
Sie ging zum Teleskop, schaute es sich an und blickte dann hindurch. Da war die See, in regelmäßigen Abständen aufgehellt durch das Licht des Leuchtturms, nichts weiter.
Eine kalte Hand schien plötzlich die ihre zu erfassen, aber da war doch niemand. Und die Berührung war auch gar nicht einmal unangenehm, fast wie ein sanftes Streicheln. Ach, das war ganz einfach ein Wunschtraum, eine erhoffte Berührung von Jack.
„O Jack, du fehlst mir so“, seufzte Andrea. „Warum musstest du so früh sterben?“
Ihr Kopf sank auf das kühle Metall, und heiße Tränen bahnten sich einen Weg aus den brennenden Augen. Wieder war es als, fühle sie eine kalte Berührung, so als streiche Jacks Hand über ihre Haare, tröstend und doch irgendwie verloren. Andrea schniefte laut und wischte sich mit einer trotzigen Geste die Tränen aus dem Gesicht. Es hatte keinen Zweck mehr, Tränen zu vergießen und dem Vergangenen nachzutrauern. Sie war extra hergekommen, um alles hinter sich zu lassen und neu anzufangen. Und genau das würde sie tun.