Der Herr vom Kreuzhof - Monika Bauer - E-Book

Der Herr vom Kreuzhof E-Book

Monika Bauer

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Beschreibung

82 Seiten dramatische Handlungsverläufe, große Emotionen und der Wunsch nach Liebe und familiärer Geborgenheit bestimmen die Geschichten der ERIKA-Reihe - authentisch präsentiert, unverfälscht und ungekürzt! Still lag der große, weitläufige Park, der das mächtige Gut des Kreuzhofers einschloß. Samtgrüne Rasenflächen, leuchtende Blumenbeete und schöne alte Bäume verstärkten den Zauber und weckten in dem Beschauer die heimliche Sehnsucht, für Augenblicke dem lauten Trubel der Welt zu entfliehen und sich in den stillen Frieden des Parkes zurückzuziehen. Das Wasser des ausgedehnten Weihers war dunkelgrün, die Sonnenstrahlen ließen es aufgleißen in irisierendem Licht. Stolze weiße Schwäne folgten der silbernen Bahn, die das kleine Boot zog, das lautlos über das Wasser dahinglitt. Der schlanke blonde Mann im Boot war nur mit einem leichten Sommerhemd und kurzer weißer Hose bekleidet. Das Gesicht war schmal und markant, mit ausdrucksvollen Zügen. Die Nase ungewöhnlich schlank, der Mund schmal, aber etwas weichlich, während das leicht vorgeschobene Kinn diesen Eindruck wieder verwischte und deutlich verriet, daß ein starker Wille in diesem Mann steckte. Die Augen waren felsgrau, wurden aber gefährlich grün, wenn er in Zorn geriet. Jetzt aber lag in seinen grauen Augen eine leidenschaftliche Zärtlichkeit, mit der sein Blick das zarte, zierliche Mädchen umfaßte, das vor ihm auf dem Boden des Bootes hockte und seinen schwarzen Kopf gegen seine Knie lehnte. Sein Blick glitt sinnend über das Mädchen hin, schweifte dann ab und blieb gedankenverloren an dem weißen, hohen Gebäude hängen, das von dem dunkel schimmernden Eichenwald umgeben war. Ein reizvoller Gegensatz waren die zartgrünen Birken, der weiße Ahorn, die Blutbuchen und die blühenden Sträucher. Weiß Gott, der Besitzer vom Kreuzhof verstand es, seinem Anwesen einen effektvollen Rahmen zu geben und die ehrliche Bewunderung der Menschen hervorzurufen. Stolz schwellte die Brust

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Erika Roman – 9–

Der Herr vom Kreuzhof

Monika Bauer

Monika Bauer

Still lag der große, weitläufige Park, der das mächtige Gut des Kreuzhofers einschloß. Samtgrüne Rasenflächen, leuchtende Blumenbeete und schöne alte Bäume verstärkten den Zauber und weckten in dem Beschauer die heimliche Sehnsucht, für Augenblicke dem lauten Trubel der Welt zu entfliehen und sich in den stillen Frieden des Parkes zurückzuziehen.

Das Wasser des ausgedehnten Weihers war dunkelgrün, die Sonnenstrahlen ließen es aufgleißen in irisierendem Licht.

Stolze weiße Schwäne folgten der silbernen Bahn, die das kleine Boot zog, das lautlos über das Wasser dahinglitt.

Der schlanke blonde Mann im Boot war nur mit einem leichten Sommerhemd und kurzer weißer Hose bekleidet.

Das Gesicht war schmal und markant, mit ausdrucksvollen Zügen. Die Nase ungewöhnlich schlank, der Mund schmal, aber etwas weichlich, während das leicht vorgeschobene Kinn diesen Eindruck wieder verwischte und deutlich verriet, daß ein starker Wille in diesem Mann steckte. Die Augen waren felsgrau, wurden aber gefährlich grün, wenn er in Zorn geriet.

Jetzt aber lag in seinen grauen Augen eine leidenschaftliche Zärtlichkeit, mit der sein Blick das zarte, zierliche Mädchen umfaßte, das vor ihm auf dem Boden des Bootes hockte und seinen schwarzen Kopf gegen seine Knie lehnte.

Sein Blick glitt sinnend über das Mädchen hin, schweifte dann ab und blieb gedankenverloren an dem weißen, hohen Gebäude hängen, das von dem dunkel schimmernden Eichenwald umgeben war. Ein reizvoller Gegensatz waren die zartgrünen Birken, der weiße Ahorn, die Blutbuchen und die blühenden Sträucher.

Weiß Gott, der Besitzer vom Kreuzhof verstand es, seinem Anwesen einen effektvollen Rahmen zu geben und die ehrliche Bewunderung der Menschen hervorzurufen.

Stolz schwellte die Brust des sinnenden Mannes, und seine grauen Augen leuchteten wie trunken auf.

Das alles würde einmal ihm gehören, ihm, dem einzigen Sohn des Kreuzhofers.

Wie er sie liebte, seine Heimat. Seit vielen hundert Jahren hatten die Kreuzhofer hier auf dieser Scholle gesessen und sie bearbeitet. Immer mächtiger war ihr Ansehen geworden, immer größer ihr Einfluß, daß sie heute noch für die Herren im Land galten. Ihre Frauen kamen aus den ersten Familien, und fast alle brachten ungeheuren Reichtum mit in die Ehe.

Ihre Ehen wurden selten mit dem Herzen, sondern nur mit dem Verstand geschlossen, aber sie waren vorbildlich, denn die Kreuzhofer waren gewissenhafte, treue Ehemänner, die sich ihren Frauen gegenüber nichts zuschulden kommen ließen.

Ihre Söhne und Töchter wurden sehr streng und im Gehorsam zu den Eltern erzogen. Aber trotzdem bestand zwischen Eltern und Kindern ein herzliches Verhältnis und ein gutes Verstehen.

Das träumende Mädchen schlug jetzt die nachtschwarzen Augen auf. Ihr sinnender Blick blieb an dem braunen Gesicht des Mannes hängen, und langsam glomm es wie Unruhe in ihren Augen auf.

»Arne, hast du mit deinem Vater gesprochen?« Mit diesen Worten brach sie das Schweigen und richtete sich etwas auf.

»Du weißt doch, daß es im Augenblick nicht gut um Vaters Gesundheit steht, Reserle. Ich kann jetzt noch nicht mit ihm sprechen, das mußt du doch verstehen«, erwiderte er ernst.

Das Mädchen richtete sich kampfbereit auf. Die dunklen Augen blitzten zornig.

»Sag doch, daß du nicht mit ihm sprechen willst, Arne, daß du zu feige dazu bist. Schließlich ist es ja auch keine Lappalie, wenn der einzige Sohn des mächtigen Kreuzhofers die arme Tochter eines einfachen Müllers heiraten will, der dabei auch noch im Dienst des reichen Herrn von Danner, dem Herrn auf Kreuzhof, steht und sich schwer sein Brot verdienen muß.« Es klang aufgebracht und so gereizt, daß der Mann mit einem leichten Seufzer die Ruder einzog und mit einem fast harten Griff das Mädchen in seine Arme nahm. »Herrgott, Reserle, mach es mir doch nicht so schwer«, sagte er. »Ich liebe dich, das weißt du ganz genau. Du mußt mir nur Zeit lassen, bis ich es Vater beigebracht habe. Du weißt doch, wie krank er ist und daß der Arzt jede Aufregung streng verboten hat.«

Das Mädchen lag ganz still in seinen Armen. Wie immer, wenn Arne von Danner sie in seinen Armen hielt, wenn sie sein braunes, straffes Gesicht so dicht über sich sah, erlahmte jeder Widerstand in ihr, sank jedes Aufbegehren in sich zusammen, und nichts blieb als die leidenschaftliche, brennende Liebe zu dem schönen jungen Mann, der der Inbegriff ihres jungen Lebens war.

»Arne, ich liebe dich, ich weiß nicht, wozu ich fähig wäre, wenn du mich verlassen würdest, wenn ich an dir zweifeln müßte.«

Er preßte sie ungestüm an sich. In seinem Herzen war es wie ein unumstößlicher Schwur.

Er liebte dieses zarte, schlanke Mädchen mit den nachtschwar­zen leidenschaftlichen Augen, liebte es schon, als sie in ihrer Kinderzeit miteinander spielten.

Dann war er in ein Internat gekommen. Als er wiederkam, war er ein junger Mann, der wie trunken vor der Schönheit der einstigen Jugendgespielin stand, die zu einem bildhübschen Mädchen herangewachsen war.

Auch Reserle Brey, die einzige Tochter des Müllers, der für den Kreuzhof arbeitete, hatte den Jugendfreund nicht vergessen. Allzu deutlich verrieten es ihre glänzenden schwarzen Augen, die ihn anstrahlten wie feurige Kohlen.

Auf den ersten Blick hatte sich sein Herz bei ihrem Wiedersehen entzündet, und es wurde zu einer hellodernden Flamme, je öfter er mit dem jungen Mädchen zusammentraf, was sich nicht vermeiden ließ, da Reserle seit einiger Zeit Dienst auf dem Hof tat, wo sie für die erkrankte Köchin eingesprungen war.

Das junge Mädchen war sehr tüchtig, das erkannte selbst der immer etwas unzugängliche Vater an, als er das Essen lobte, das Reserle gekocht hatte. Auch sonst war Reserle sehr anstellig, und Arne von Danner war fest davon überzeugt, daß sie einmal eine gute Hausfrau abgeben würde.

Er war fest entschlossen, sie zu heiraten. Nur mußte er den richtigen Zeitpunkt abwarten, es seinem Vater beizubringen, den es gewiß wie einen Schlag treffen würde.

»Hab noch etwas Geduld, Reserle. Vater wird jetzt für einige Zeit zu einer Kur in den Schwarzwald fahren. Wenn er erholt zurückkommt, werde ich mit ihm sprechen, das verspreche ich dir.«

Angstvoll sah sie ihn an.

»Glaubst du, daß er zustimmen wird, Arne?«

Der Mann zuckte ausweichend die breiten Schultern. »Ich weiß es nicht, Reserle. Vielleicht wird es alles leichter, als wir befürchten. Schau, Vater ist doch sonst ein modern denkender Mann, der mit der Zeit gegangen ist und alles Rückständige abgestreift hat. Vielleicht hat er schon längst erkannt, wie es um uns beide steht. Er sieht doch sonst alles, was sich um ihn herum abspielt. Vielleicht hat er sich schon lange damit abgefunden, daß du meine Frau wirst.«

Während Arne von Danner es sagte, wußte er doch schon, daß er sich da selbst etwas einredete, das niemals eintreten würde. Sein Vater war bei allem Verständnis ein echter Danner, der Herr vom Kreuzhof, dessen Sinn genauso starr und unbeugsam war wie der aller Kreuzhofer vor ihm. Nie würde er es dulden, daß sein einziger Sohn eine Ehe mit einer einfachen Müllerstochter einging und seinen Stand vergaß.

Tief seufzte er auf, und es legte sich ihm wie ein Stein auf die Brust, als er die vertrauenden dunklen Augen des Mädchens auf sich gerichtet sah, das ihm jedes Wort wie eine Offenbarung von den Lippen las. Sie rankte ihre Arme fester um seinen Hals. Ihre roten, vollen Lippen suchten seinen Mund in zärtlichem Kuß.

»Alles Glück der Welt will ich dir schenken, Liebster. Ich will nichts als deine Liebe.«

Er spürte, wie es heiß in ihm aufstieg, und in diesem Augenblick wäre Arne von Danner zu jedem Opfer bereit gewesen, wenn er dafür das Glück, für immer mit ihr vereint zu sein, hätte eintauschen können.

»Herr von Danner! Herr von Danner!« Angstgepeitscht zerriß der Ruf die friedliche Stille des Parks und fraß sich drohend in den Ohren des jungen Mannes fest, der sich jäh im Boot aufrichtete.

»Schwester Gertrudis«, stieß er unruhig hervor, und eine eisige Faust schien ihm jäh die Kehle zu umklammern und zuzudrücken.

»Herr von Danner, kommen Sie, schnell, schnell, kommen Sie«, hörte er die Stimme der Schwester wie aus weiter Ferne.

Er stand noch immer wie erstarrt, während Reserle geistesgegenwärtig die Ruder ergriff und das Boot mit kräftigen Schlägen dem Ufer zusteuerte.

Nun erst erwachte er aus seiner Erstarrung.

»Gib her«, sagte er mit brüchiger Stimme und nahm dem Mädchen die Ruder aus den Händen.

Wie ein Pfeil schoß das Boot über das ruhige Wasser, und es dauerte nur wenige Minuten, die dem jungen Mann zu einer Ewigkeit wurden, bis er mit einem Satz aus dem Boot sprang und es am Ufer befestigte.

»Schwester, was ist geschehen?« Er zwang seine Stimme zur Ruhe.

»Kommen Sie, Herr von Danner, Ihr Vater hat einen schweren Anfall, wir fürchten, es geht zu Ende«, schloß Schwester Gertrudis.

»Geh, Arne, eil dich, dein Vater, mein Gott, der Himmel mag das Entsetzliche gnädig abwenden«, hörte er Reserles Stimme aufgewühlt neben sich flüstern.

Plötzlich wurde ihm bewußt, daß er im Begriff stand, den Vater für immer zu verlieren, den Mann, der ihm trotz aller Strenge stets ein gütiger, liebevoller Vater war, der alles nur für ihn getan und immer sein Bestes dabei im Auge hatte.

Vater, Vater… konnte er nur denken. Plötzlich warf er sich herum und jagte davon, als ob der Teufel selbst ihm im Nacken säße.

*

Schwer röchelnd lag der mächtige Körper des Gutsherrn in seinem Bett, und die kräftigen Hände, von denen auch jetzt noch eine vitale Kraft auszugehen schien, ruhten auf der Decke, als wären sie von einer schweren Arbeit erschöpft.

Die felsgrauen Augen waren matt, und wie ein dunkler Schleier schien es über ihnen zu liegen. Das sonst so frische Gesicht zeigte die fahle Blässe des Todes, und die kräftige Nase stach spitz aus dem Gesicht, das mager und eingefallen wirkte.

Die Schatten des Todes hatten sich bereits über seine Züge ausgebreitet, und Arne, der jetzt leise eintrat, blieb sekundenlang, wie von einer jähen Schwäche überwältigt, stehen, als er die furchtbare Veränderung wahrnahm, die mit seinem Vater vor sich gegangen war.

Die Schwester gab ihm ein Zeichen und deutete mir den Augen zu dem Kranken hin, über den der Arzt gebeugt stand, der sich nun langsam mit ernstem Gesicht aufrichtete, als Arne nähertrat.

Ihre Blicke trafen sich sekundenlang, und Arne las das bittere Urteil in den Augen des anderen, der sich nun abwandte und der Schwester ein Zeichen gab, Vater und Sohn in diesen letzten Sekunden allein zu lassen.

Leise schloß sich die Tür hinter Ihnen, Arne war mit seinem sterbenden Vater allein.

»Vater, Vater«, flüsterte er erstickt, und ein heißes Flehen lag in seiner bebenden Stimme, als fürchte er, daß der Vater bereits diese Welt verlassen hatte, ohne ihm, dem einzigen Sohn, einen letzten Gruß zu geben.

Langsam schlug der Kranke die Augen auf, die schon den Blick in eine andere Welt gerichtet hatten. Müde wandte er den Kopf, und nun belebte sich sein matter Blick, wurde wieder klar und leuchtend, als er an dem Sohn hängenblieb.

»Arne, mein Junge«, flüsterte er und versuchte vergebens, seiner Stimme den festen, gewohnten Klang zu geben. »Nun wirst du alle Verantwortung für den Kreuzhof allein tragen. Denke immer daran, welche Verpflichtung dir damit aufgebürdet wird. Auf dich kommt es jetzt an, Junge, nur auf dich.« Er machte eine kleine Pause, um neue Kraft zu schöpfen, dann fuhr er fort: »Ich kann nicht von dieser Welt gehen, wenn ich nicht das Geschick des Hofes in rechten Händen weiß, wenn ich nicht die Gewißheit habe, daß mein Sohn eine ihm ebenbürtige Frau zu seiner Gattin erwählt hat, daß nichts die Gesetze, die seit Menschengedenken hier auf dem Kreuzhof geherrscht haben, erschüttern kann.« Er versuchte, sich etwas aufzurichten, was ihm aber nur mit der Hilfe des Sohnes möglich war, der ihn fürsorglich stützte.

»Du wirst heiraten, Arne, und dein Sohn wird einmal dein Erbe antreten, wie du heute meines antrittst«, sagte er, und seine Stimme klang fest und stark und hatte alle Schwäche verloren.

Über die hohe Gestalt des Sohnes lief ein unmerkliches Erbeben. Er wollte etwas sagen, wollte dem Vater von Reserle sprechen, von seiner Liebe, aber angesichts des Todes brachte er kein Wort über die Lippen.

Der ergraute Kopf des Vaters lag schwer an seiner Schulter. Sein Blick glitt an dem Sohn vorbei aus dem Fenster, und es lag wie ein wehmütiges Grüßen in seinen grauen Augen, als er das helle Licht des Tages wie etwas Köstliches in sich aufnahm.

Der Mann wußte, daß es mit ihm zu Ende ging und in wenigen Augenblicken sich die ewige Dunkelheit um ihn ausbreiten würde. Er fürchtete den Tod nicht und sah ihm gefaßt entgegen. Sein Leben hatte sich erfüllt. Er hatte einen kräftigen Sohn, in dessen Hände er ohne Furcht alles legen konnte, was bisher sein Leben bedeutet hatte. Lange war ihm das Glück verwehrt geblieben, einen leiblichen Erben zu bekommen. Erst in seiner zweiten Ehe wurde sein brennender Wunsch erfüllt. Damals ging er schon auf die Fünfzig zu und hatte sein Hoffen schon fast begraben. Unbeschreiblich war sein Glück, als er den kleinen Sohn in seinen Armen hielt.

Aber er zahlte einen hohen Preis für dieses Glück. Seine Frau schloß die Augen für immer, und zum zweitenmal stand er an einem frischen Hügel, unter dem sein Weib schlief. Er trug es mannhaft und stark, wie alle Kreuzhofer bisher mit ihrem Geschick fertig wurden. Seine ganze Liebe und Fürsorge galt nun nur noch seinem Sohn, auf den er ungeheuer stolz war.

»Arne, du wirst Dorina von Thorton heiraten. Sie ist die zukünftige Herrin vom Kreuzhof.«

»Vater, das kann doch nicht dein Ernst sein«, entgegnete Arne verbissen und richtete sich unwillkürlich straffer auf. »Ich will ja heiraten, aber, Vater, ich liebe eine andere. Ich kann Dorina von Thorton nicht heiraten.«

»Du glaubst, Reserle Brey zu lieben, mein Junge, ich weiß«, sagte der Vater jetzt mühsam. Als er das Erschrecken im Gesicht seines Sohnes sah, zwang er ein mühsam verzerrtes Lächeln um seinen Mund.

»Glaubst du, mir wäre deine jugendliche Schwärmerei verborgen geblieben, Junge?« Er fuhr sich kraftlos über die feuchte Stirn. »Du kannst dieses Mädchen nicht heiraten, Arne, du bist ein Danner. Du wirst alles verlieren, den Kreuzhof, die Heimat, alles, wenn du eine Ehe eingehst, die gegen unser Hausgesetz verstößt. Schwör mir, Junge, schwör mir daß du es nicht tun wirst. Ich fände keine Ruhe im Grab.«

Fassungslos starrte Arne ihn an. Nie war bisher zwischen ihnen von diesem alten Gesetz gesprochen worden. Arne wußte wohl, daß es ein solches gab, aber er hatte es für veraltet abgetan und sich keine Gedanken darüber gemacht.

»Vater, mein Gott, Vater, dieses uralte Gesetz, es hat doch keine Gültigkeit mehr«, würgte er außer sich hervor.

»Es ist unumstößlich, mein Junge. Solange die Mauern des Kreuzhofes stehen, solange ein Stein auf dem anderen bleibt, solange hat dieses Gesetz seine Gültigkeit, bedeutet jedes Zuwiderhandeln den Verlust des Erbes. Nie kann der Herr vom Kreuzhof eine Frau als Herrin auf den Hof bringen, die nicht allen Ansprüchen unseres Hauses gerecht wird, die ihm nicht ebenbürtig ist.« Die Augen des Vaters nahmen einen beschwörenden Blick an, vor dem Arne erschüttert die Augen senken mußte.

»Du bist mein Sohn, Arne von Danner, mein einziger, geliebter Sohn, der Herr vom Kreuzhof. Vergiß es nicht, schwör mir, du wirst dich fügen. Du bist der Herr vom Kreuzhof, nur du. Eines Tages wirst du mir danken, wirst du glücklich sein. Dorina von Thorton ist die einzig richtige Frau für dich.« Es klang so überzeugend, als sähe der Sterbende in die Zukunft.

Arne kam nicht mehr dazu, eine Antwort zu geben, dem Vater zu erklären, daß er niemals diese andere Frau lieben werde, daß sein ganzes Herz nur einer einzigen Frau gehören würde, für alle Zeiten, Reserle Brey, dem Mädchen, das er liebte, seitdem er den Kinderschuhen entwachsen war.

Ein heftiger Krampf schüttelte den Körper des Sterbenden. Verzweifelt rang er nach Atem.

Außer sich, von einer furchtbaren Angst ergriffen, rief Arne nach der Schwester, die sofort in ihrer lautlosen Art am Bett erschien und sich um den Kranken bemühte.

»Lassen Sie nur, es ist aus, vorbei…«, keuchte der Herr vom Kreuzhof mühsam. Sein verlöschender Blick suchte den Sohn in heißem, stummem Flehen.

»Du bist der Herr vom Kreuzhof, Arne.«

Er hatte sich bei seinen letzten Worten wie von einer fremden Macht erfaßt aufgerichtet und saß sekundenlang starr im Bett. Nun sank er mit einem röchelnden Seufzer in die Kissen zurück, während ein hartes Erzittern über seinen Körper rann. Langsam fiel der mächtige Körper in sich zusammen, die Augen wurden ganz groß und starr.

Mit einem unterdrückten Laut sank Arne, von seinem Schmerz überwältigt, neben dem Bett in die Knie.

»Vater, Vater, ich schwöre dir, ich werde dein Vertrauen nicht enttäuschen, ich bin der Herr vom Kreuzhof«, preßte er wie unter einem fremden Zwang hervor und wurde sich der Tragweite seines Schwurs in diesem Augenblick nicht bewußt.

Wie ein erlöster Friede glitt es über die Züge des Sterbenden. Seine Hand hob sich schwerfällig, legte sich segnend auf den gesenkten blonden Kopf.

Leise ging die Schwester hinaus. Diese Stunde des Abschieds sollte dem Sohn allein gehören.

*

Endlich waren die letzten Trauergäste gegangen. Das weiße Herrenhaus lag wieder still, und es schien, als liege eine grenzenlose Verlassenheit über dem mächtigen Hof, seitdem der Tod gekommen war und den alten Gutsherrn mit sich hinübergenommen hatte in sein Schattenreich.

Scheu und behutsam auftretend, sich nur im Flüsterton unterhaltend, schlich die Dienerschaft durch das Haus und wich unsicher dem ernsten, stillen Mann aus, der wie ein Schatten seines einstigen Ichs durch das Haus ging und in dessen grauen Augen eine hoffnungslose Qual lag.

Arne von Danner hatte nicht nur den gütigen Vater verloren. Er trug mit ihm auch sein ersehntes großes Glück zu Grabe. Sein Schwur, den er dem sterbenden Vater gegeben hatte, würde ihn für alle Zeiten von dem Mädchen seiner Liebe trennen, und es würde keinen Weg geben, der sie zusammenführen konnte.

»Du bist der Herr von Kreuzhof, Arne von Danner.« Immer wieder glaubte er, die drängenden Worte seines Vaters zu hören, und sie bohrten sich wie spitze Dolche in sein aufgewühltes Herz.

Der junge Herr schritt mit gesenktem Kopf und leerem Blick in den Park hinein. Am Weiher lag das kleine weiße Boot verankert.

Sein Anblick versetzte dem Mann einen schmerzhaften Stich.

Reserle… Die Erinnerung an das geliebte Mädchen, das Glück der Stunden, die sie beide hier erlebt hatten, brach jäh und unvermittelt in ihm auf. Reserle hatte er in den letzten Tagen kaum noch zu Gesicht bekommen. Der Müller hatte seine Tochter nach Hause zurückgeholt, da seine Frau plötzlich erkrankt war und er die Hilfe der Tochter in seinem eigenen Haus nötig brauchte.

Sie war am Tag vor dem Begräbnis auf dem Hof gewesen. Er hatte sie gesehen, hatte aber nicht zu ihr gehen können, da das Haus voller Gäste war.

Dann hatte er sie noch flüchtig unter den Menschen gesehen, die am Grab standen, um dem toten Gutsherrn das letzte Geleit zu geben. Nur ihre Blicke hatten sich sekundenlang getroffen, und in ihren dunklen Augen hatte er das ganze liebevolle Mitgefühl mit seinem Schmerz gelesen, das sie für ihn empfand.

Reserle, ich habe viel, sehr viel verloren, durchzuckte es ihn wie ein heißer Schmerz. Nicht nur den Vater hatte er zu Grabe getragen, auch sein ersehntes schönes Glück lag zerbrochen am Boden.

Hinter ihm klang ein leiser Schritt auf. Der Mann hätte ihn unter hundert anderen erkannt.

Reglos stand er, und alles in ihm war wie erstarrt, wie gelähmt in dem bitteren Wissen, daß dieses stille Glück der Zweisamkeit nun für alle Zeiten vorbei sein mußte.

»Arne, lieber, lieber Arne«, hörte er hinter sich die bebende weiche Mädchenstimme flüstern.

Langsam wandte er ihr sein aschfahles Gesicht zu. Seine erstarrten Züge wirkten wie eine graue Maske und erschütterten das Mädchen bis ins Herz.

»Liebster…« Sie streckte ihm ihre Hände entgegen, die er mit hartem, schmerzhaftem Druck umschloß und drängte sich zitternd an ihn.

Mit einem unterdrückten Laut umfaßte er sie und preßte sie sekundenlang an sich, daß sie leise aufstöhnte.

Jäh ließ er sie los und trat schweratmend einen Schritt vor ihr zurück. Mit einer fast schroffen Gebärde fuhr er sich über die Augen, als müsse er mit Gewalt etwas wegwischen, das lockend und verführerisch vor seinen Augen aufstieg und seine Sehnsucht noch größer werden ließ.

»Arne, was ist dir? Du bist so sonderbar«, fragte das Mädchen jetzt unruhig. Der Geliebte kam ihm auf einmal so ganz anders vor, so verändert, daß es glaubte, einen völlig fremden Menschen vor sich zu sehen.

Sie trat dichter auf ihn zu und legte ihre Hand wie bittend auf seinen Arm. Der Mann zuckte unmerklich unter dieser Berührung zurück.

»Reserle, komm, ich habe dir etwas zu sagen. Ich muß es tun, so furchtbar schwer es mir auch fällt«, stieß er in jähem Entschluß rauh hervor.

Unverwandt sah das Mädchen ihn an. Furcht und Unruhe standen in ihren weitgeöffneten gro­ßen Augen.

Als er jetzt den Arm um sie legte, folgte sie ihm ohne Widerspruch zu der kleinen versteckten Bank, auf der sie immer mit ihm gesessen hatte, wenn sie sich hier heimlich trafen.

Still saßen sie einen Moment nebeneinander. Verzweifelt sann der Mann nach Worten, um ihr die bittere Wahrheit zu sagen. Alles in ihm bäumte sich dagegen auf, und sein junges Herz wollte nichts von Verzicht wissen, es wollte lieben und geliebt werden.

»Was hast du mir zu sagen, Arne?« fragte das Mädchen beklommen und fühlte, wie eine dumpfe Furcht in ihr hochglomm und ihr das Atmen erschwerte.

»Reserle, es fällt mir furchtbar schwer. Glaube mir, ich kann es noch nicht fassen, daß wirklich alles vorbei sein muß.«

Seine Stimme war rauh, wie von einer inneren Not zerrissen.

Steil war das Mädchen bei seinen Worten aufgefahren und starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen voll Entsetzen an.

»Vorbei, Arne? Was willst du damit sagen?« würgte es mühsam hervor.

Er sah sie mit einem unbeschreiblichen Blick an. Seine Augen brannten unerträglich, und er mußte sie sekundenlang schlie­ßen, weil er glaubte, das Brennen nicht ertragen zu können.

»Arne, sprich doch, so sag doch endlich was! Spann mich nicht so furchtbar auf die Folter«, hörte er das Mädchen leise sagen. Er fühlte sich von zwei bebenden Händen am Arm ergriffen.

»Reserle, ich liebe dich! Ich liebe nur dich! Ich habe geglaubt, daß unser Hoffen sich eines Tages erfüllen würde, daß du meine Frau wirst.« Seine Stimme stockte, er konnte einfach nicht weitersprechen. Er senkte die Augen, weil er den Blick des fassungslosen Mädchens nicht länger ertrug.

»Gehofft, Arne? Du redest, als ob unsere ganze Hoffnung zerschlagen wäre, als wenn wir uns trennen müßten«, stieß sie jetzt tonlos hervor.

Er senkte den Kopf und rang verzweifelt um Fassung.

Sie liebte ihn, und er, ja, er liebte sie auch. Warum durften sie nicht glücklich sein? Warum mußte es dieses unselige Gesetz geben, das die Söhne des Kreuzhofes zwang, eine ebenbürtige Frau zu heiraten?