Der Kleine Prinz - Antoine de Saint-Exupéry - E-Book + Hörbuch

Der Kleine Prinz Hörbuch

Antoine de Saint-Exupéry

5,0

Beschreibung

»Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wichtigste ist für die Augen unsichtbar.« Im Jahr 1942 kritzelte Antoine de Saint-Exupéry erste Entwürfe des kleinen Prinzen auf eine New Yorker Restaurantserviette. Später wurde seine magische und geheimnisvolle Geschichte zum Jahrhundertwerk, über 80 Millionen Mal verkauft und in 180 Sprachen übersetzt. Der König, dem die Sterne gehorchen, die widersprüchliche Blume, der gezähmte Fuchs und die Erkenntnis, dass Erwachsene seltsam sind: ›Der kleine Prinz‹ wurde poetisch und kunstvoll einfach vom brillanten Erzähler Peter Stamm ins Deutsche übertragen.

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Zeit:1 Std. 46 min

Sprecher:August Zirner
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Antoine de Saint-Exupéry

Der Kleine Prinz

Aus dem Französischen von Peter Stamm

FISCHER E-Books

Inhalt

Für Léon Werth [...]123456789101112131415161718192021222324252627

Für Léon Werth

Ich bitte alle Kinder um Verzeihung, dass ich dieses Buch einem Erwachsenen gewidmet habe. Es gibt dafür aber einen ernstzunehmenden Grund: Dieser Erwachsene ist mein bester Freund auf der ganzen Welt. Ich habe noch einen anderen Grund: Dieser Erwachsene versteht alles, sogar Kinderbücher. Und schließlich habe ich einen dritten Grund: Dieser Erwachsene lebt im von den Nazis besetzten Frankreich, wo er Hunger und Kälte leidet. Er hat es nötig, getröstet zu werden. Wenn all diese Entschuldigungen nicht reichen, dann widme ich das Buch dem Kind, das dieser Erwachsene einmal gewesen ist. Alle Erwachsenen waren ja einmal Kinder. (Aber die wenigsten wollen sich daran erinnern.) Ich korrigiere also meine Widmung:

Für Léon Werth,

als er ein kleiner Junge war.

 

Eaton’s Neck, Long Island, 1942

Antoine de Saint-Exupéry

1

Als ich sechs Jahre alt war, sah ich einmal ein wunderbares Bild in einem Buch über den Urwald, das »Erlebte Geschichten« hieß. Darauf war eine Boa zu sehen, eine Riesenschlange, die ein Raubtier verschlang. Hier eine Kopie jener Zeichnung:

Im Buch stand: »Boas verschlingen ihre Beute in einem Stück, ohne zu kauen. Danach können sie sich nicht mehr bewegen und schlafen sechs Monate lang, bis sie ihr Essen verdaut haben.«

Ich dachte danach oft über Abenteuer im Dschungel nach und machte mit einem Farbstift meine erste Zeichnung, meine Zeichnung Nr. 1. So sah sie aus:

Ich zeigte mein Meisterwerk den Erwachsenen und fragte sie, ob die Zeichnung ihnen Angst mache.

»Warum sollten wir uns vor einem Hut fürchten?«, sagten sie.

Meine Zeichnung zeigte aber keinen Hut, sie zeigte eine Boa, die einen Elefanten verdaute. Ich zeichnete dann das Innere der Schlange, damit die Erwachsenen es sehen konnten. Man muss ihnen immer alles erklären. Meine Zeichnung Nr. 2 sah so aus:

Die Erwachsenen sagten, ich solle aufhören, Zeichnungen von offenen und geschlossenen Boas zu machen und stattdessen Geographie, Geschichte, Rechnen und Grammatik lernen. So brach ich mit sechs Jahren eine großartige Karriere als Maler ab. Ich war entmutigt worden durch den Misserfolg meiner Zeichnung Nr. 1 und meiner Zeichnung Nr. 2. Die Erwachsenen verstehen nie etwas, und es ist für Kinder ermüdend, ihnen immer alles erklären zu müssen.

Ich musste mich also für einen anderen Beruf entscheiden und wählte den des Piloten. Ich bin seither so ziemlich überall auf der Welt herumgeflogen. Und meine Geographiekenntnisse haben mir dabei tatsächlich viel geholfen. Ich kann auf den ersten Blick China von Arizona unterscheiden. Das ist sehr praktisch, wenn man sich in der Nacht verflogen hat.

Ich traf in meinem Leben viele ernsthafte Leute. Ich wohnte oft bei Erwachsenen und konnte sie von sehr nah beobachten. Das hat mein Urteil über sie nicht gerade verbessert.

Wenn ich einen Erwachsenen getroffen habe, der mir einigermaßen schlau zu sein schien, machte ich mit ihm den Test mit meiner Zeichnung Nr. 1, die ich behalten hatte. Ich wollte herausfinden, ob er wirklich Verstand hatte. Aber jedesmal kam die Antwort: »Das ist ein Hut.« Also sagte ich nichts über Boas oder über den Urwald oder die Sterne. Stattdessen sprach ich mit dem Erwachsenen über Dinge, die er verstand, über Bridge, über Golf, über Politik und Krawatten. Und er war zufrieden, jemand so Vernünftigen wie mich kennengelernt zu haben …

2

So lebte ich lange allein, ohne mit irgendjemandem über die wirklich wichtigen Dinge reden zu können, bis ich vor sechs Jahren über der Wüste Sahara einen Motorschaden hatte und notlanden musste. Etwas in der Maschine war zerbrochen, und da ich keinen Mechaniker dabei hatte, versuchte ich, die schwierige Reparatur selbst hinzukriegen. Es ging um Leben und Tod. Ich hatte kaum genug Trinkwasser für eine Woche.

Als es Abend wurde, legte ich mich auf dem Boden schlafen, tausend Meilen vom nächsten Haus entfernt. Ich kam mir verlassener vor als ein Schiffbrüchiger, der auf einem Floß im Ozean treibt. Ihr könnt euch wohl vorstellen, wie verwundert ich war, als mich im Morgengrauen eine lustige, kleine Stimme weckte. Sie sagte:

»Bitte … zeichne mir ein Schaf!«

»Was?«

»Zeichne mir ein Schaf.«

Wie vom Blitz getroffen sprang ich auf die Beine. Ich rieb mir die Augen, da sah ich ein ganz außergewöhnliches kleines Männchen, das mich mit ernster Miene betrachtete.

Hier die beste Zeichnung, die mir später von ihm gelungen ist. Sie ist natürlich viel weniger entzückend als das Männchen selbst. Ich bin nicht schuld daran. Als ich sechs Jahre alt war, hatte man mir von der Kunst abgeraten, und ich hatte nie etwas anderes zeichnen gelernt als geschlossene und offene Boas.

Staunend schaute ich mir die Erscheinung an. Ihr dürft nicht vergessen, dass ich tausend Meilen von der nächsten Siedlung entfernt war. Und mein kleiner Mann sah nicht aus, als hätte er sich verlaufen. Er schien weder unter Hunger noch unter Durst zu leiden, weder müde zu sein noch Angst zu haben. Er sah nicht aus wie ein Kind, das sich in der Wüste verirrt hat. Als ich endlich die Sprache wiederfand, sagte ich:

»Was machst du hier?«

Er aber sagte noch einmal ganz leise, als sei es eine sehr wichtige Angelegenheit:

»Bitte … zeichne mir ein Schaf.«

Wenn man von einem rätselhaften Ereignis zu sehr überrascht ist, macht man, was einem gesagt wird. So seltsam es mir vorkam, mitten in der Wüste und in Lebensgefahr, ich zog ein Blatt Papier und einen Füller aus der Tasche. Da fiel mir wieder ein, dass ich vor allem Geographie gelernt hatte, Geschichte, Rechnen und Grammatik. Ärgerlich sagte ich zum kleinen Mann, ich könne gar nicht zeichnen. Er aber antwortete:

»Das macht nichts. Zeichne mir ein Schaf.«

Da ich noch nie ein Schaf gezeichnet hatte, machte ich für ihn eine der zwei einzigen Zeichnungen, zu denen ich imstande war, jene der geschlossenen Boa. Ich war verblüfft, als der kleine Mann sagte:

»Nein! Nein! Ich will keine Zeichnung von einem Elefanten in einer Boa. Boas sind sehr gefährlich, und Elefanten brauchen viel zu viel Platz. Bei mir zu Hause gibt es nicht viel Platz. Ich möchte ein Schaf. Zeichne mir ein Schaf.«

Also zeichnete ich.

Er schaute mir aufmerksam zu. Dann sagte er:

»Nein! Das hier sieht krank aus. Zeichne ein anderes.«

Ich zeichnete. Mein kleiner Freund lächelte nachsichtig:

»Das sieht man doch, dass das kein Schaf ist. Das ist ein Schafbock. Er hat Hörner …«

Ich machte noch eine Zeichnung. Er wies sie zurück wie die vorigen:

»Das ist zu alt. Ich möchte ein Schaf, das noch lange lebt.«

Ich wurde langsam ungeduldig, es war höchste Zeit, mit der Reparatur des Motors weiterzumachen. Also kritzelte ich diese Zeichnung auf das Papier.

»Das ist eine Kiste. Darin ist das Schaf, das du dir wünschst.«

Ich war ziemlich erstaunt, als ich sah, wie das Gesicht des kritischen Jungen sich erhellte:

»Genau so ein Schaf wollte ich! Glaubst du, es braucht viel Gras?«

»Warum?«

»Weil bei mir sehr wenig Platz ist.«

»Es wird sicher reichen. Ich habe dir ein ganz kleines Schaf gezeichnet.«

Er beugte sich über die Zeichnung:

»Es ist gar nicht so klein … Schau! Es ist eingeschlafen.«

So machte ich die Bekanntschaft des kleinen Prinzen.

3

Ich brauchte lange, um zu begreifen, woher der kleine Prinz kam. Er, der mir so viele Fragen stellte, schien meine nie zu hören. Es waren seine beiläufigen Bemerkungen, aus denen ich nach und nach alles erriet. Als er zum Beispiel zum ersten Mal mein Flugzeug sah (mein Flugzeug werde ich nicht zeichnen, das ist viel zu kompliziert), fragte er:

»Was ist das für ein Ding?«

»Das ist kein Ding. Das ist ein Flugzeug. Mein Flugzeug.«

Stolz erzählte ich ihm, dass ich Pilot sei. Er aber rief:

»Was? Du bist vom Himmel gefallen!«

»Ja«, sagte ich etwas verlegen.

»Das ist aber lustig!«

Und er lachte aus vollem Hals, was mich sehr irritierte. Ich erwarte, dass man mein Unglück ernst nimmt. Er aber sagte:

»Also kommst du auch aus dem Himmel! Von welchem Planeten stammst du?«

Es war, als löse sich das Rätsel seiner Anwesenheit langsam auf, und ich fragte schnell:

»Du kommst von einem anderen Planeten?«

Er gab keine Antwort. Er schüttelte nur langsam den Kopf, während er mein Flugzeug betrachtete.

»Mit dem kannst du aber nicht von sehr weither gekommen sein …«

Er versank für einige Zeit in Träumereien, dann zog er mein Schaf aus der Tasche und betrachtete lange seinen Schatz.