Der Koch im Haifischbecken - Robert Sauer - E-Book

Der Koch im Haifischbecken E-Book

Robert Sauer

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Beschreibung

Management kann jeder?! Sie auch? Würden Sie einen Brezeltest bestehen oder haben Sie schon mal mit einem toten Hai gekämpft? Ist Ihnen mal ein Schwellenwächter begegnet? Haben Sie denn wenigstens BWL studiert? Nein? Völlig egal! Finden Sie doch einfach Ihren individuellen Weg als Führungskraft! Robert Sauer begann seine Karriere als Koch und ist mittlerweile einer der führenden Unternehmensberater in Deutschland. Auf seiner eigenen Heldenreise stellte er fest, dass man persönliche Eigenschaften wie Kreativität, Glaubwürdigkeit und Verantwortungsgefühl nicht studieren kann. Mit unkonventionellen Ideen, Risikobereitschaft und lockerer Zunge war er unter anderem für Haribo, Katjes, Red Bull und Paulaner tätig. Kombiniert mit biografischen Einsichten, beleuchtet er die Welt von Führungskräften aus der Perspektive eines Outsiders. Dabei versäumt er es nicht, ein paar offene Geheimnisse und Tipps aus der Praxis zu verraten.

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Seitenzahl: 311

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Management: Was ist das eigentlich?

Superlativ

Evolution statt Überleben

Gründermentalitäten

Schattenmanager

Der Koch im Haifischbecken

Schule ist doof!

Wie wird man (kein) Management-Profi?

Der Brezeltest

Hochrisikofaktor: Motivation

Wenn zwei sich streiten: Theorie und Praxis

Management ist menschlich

Die Heldenreise

Management kann jeder

Management heute und gestern

Präsidentschaftswahlen

Konkurs und andere Katastrophen

Meta-Management

Management-Typen

Nachhaltig

Vorneweg

Als ich vor mehr als zehn Jahren damit begann, die Erlebnisse der letzten 30 Jahre aufzuschreiben, wusste ich noch nicht genau, wo die Reise hingehen sollte. Ich schrieb, wie es so meine Art ist, einfach drauflos. Am Ende hatte ich über 600 Seiten verfasst und immer noch nicht alles erzählt, was ich erlebt habe.

Da saß ich nun mit meiner Autobiografie und hatte keine Ahnung, was ich damit anfangen sollte. Wen würde das Leben und Stolpern eines Managers schon interessieren? Was hatte ich eigentlich zu sagen, was nicht andere schon erzählt hatten?

Mir wurde klar, dass sich in dem riesigen Manuskript, das jetzt vor mir lag, immer wieder dieselbe Botschaft versteckte: Wenn ich Manager werden konnte, können es andere auch – sie müssten sich nur trauen und von dem Weg erfahren, den ich gegangen bin, damit sie Mut schöpfen.

Ich suchte mir also jemanden, der sich täglich mit Büchern beschäftigt und landete bei B.B.Scharp. Zusammen stürzten wir uns auf das vorhandene Manuskript, diskutierten, strichen Passagen, rauften, stritten, wurden kreativ und füllten viele Seiten mit neuen Ideen. Nun, nach einem weiteren Jahr halten Sie das Ergebnis in der Hand: ein bierernstes Sachbuch, gespickt mit Anekdoten aus meinem Leben als Manager.

Ich hoffe, meine persönlichen Erfahrungen helfen Ihnen dabei, Ihr eigenes Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Wenn Sie Ihren Weg mit Herzlichkeit, Selbstvertrauen und Menschenverstand gehen, werden auch Sie Ihre Ziele erreichen.

Herzlichst

Ihr Robert Sauer

Triggerwarnung

Das Buch könnte die Erkenntnis bereithalten, dass wir unabhängig von Reichtum, Titeln und Macht doch nur Menschen sind.

Management: Was ist das eigentlich?

„Nur wenige Führungskräfte sehen ein, dass sie letztlich nur eine Person führen müssen, nämlich sich selbst.“ (Peter F. Drucker)

Was haben Haie, Himmelsziegen, Adonisröschen und Manager gemeinsam? Sie stehen alle auf der Roten Liste. Nur wenige Jahre nachdem der Begriff des Managements durch den Wissenschaftler Peter Ferdinand Drucker in Deutschland Fuß gefasst hat, sind Manager und die ihnen zugeschriebenen Eigenarten auch schon wieder vom Aussterben bedroht.

Sicherlich treffen wir vereinzelt noch Dinosaurier, die sich als High-Performer oder Innovatoren bezeichnen und sich in out-of-the-box-thinking üben – doch ganzheitlich betrachtet, tragen wir das alte Konstrukt des Managers zu Grabe. Stattdessen erleben wir den Aufschwung von New Work, emotional und digital Leadership und Freelancern. Führung wird neu gedacht und das ist gut so, denn eine Modernisierung ist dringend nötig.

Vielleicht wäre das ursprüngliche Konzept von Firmen- und Mitarbeiterführung länger haltbar gewesen, wenn es wie von Peter F. Drucker angedacht umgesetzt worden wäre. Seine tieferen Kenntnisse von Management erwarb er unter anderem in den 40er-Jahren in Amerika, wo er für General Motors arbeitete. Bereits zu diesem Zeitpunkt waren die Ansichten des Sozialökologen revolutionär, setzten sich aber nur langsam durch. Heute gilt Drucker als Erfinder gängiger Managementmethoden, wie zum Beispiel die der Key Performance Indicators (KPIs), die auch als Leistungskennzahlen bezeichnet werden. Doch obwohl Drucker häufig als einer der ersten Pioniere im Management genannt wird, ist er das eigentlich nicht. Seine Definitionen sind zwar bis heute betriebswirtschaftlich bedeutsam und werden immer noch gelehrt – wenn wir uns allerdings der Struktur von Management nähern, dann finden wir heraus, dass seine Grundideen so alt sind wie die Menschheit selbst.

**

Haben Sie sich heute schon einen Kaffee gekocht? Herzlichen Glückwunsch! Sie beherrschen die Strukturen des Managements bereits außerordentlich gut. Denn im Grunde bedeutet diese hoch dotierte Vokabel, vor deren Nennung auf Visitenkarten sich alle verneigen, nichts anderes, als einen Ablauf so zielführend zu handhaben, dass das Ergebnis zufriedenstellend ist.

Das Wort Management haben wir aus dem englisch-amerikanischen Sprachgebrauch übernommen, doch die Wurzeln dieser Bezeichnung liegen wahrscheinlich im Lateinischen verborgen. Wenn wir die Wörter manus und agere zusammensetzten, entsteht die Bedeutung: an der Hand führen. Auch das Wort Manege gibt einen Hinweis auf den Ursprung der Definition, denn hier werden Pferde dazu angeleitet, im Kreis zu laufen.

Die genauere Untersuchung der Vokabel lässt also vermuten, dass Management nur im Zirkus und in hierarchischen Firmendiktaturen zu finden ist. Dabei hat die Definition eine viel tiefere Bedeutung, denn in ihr steckt die Idee von ökonomischem Handeln ebenso wie die Hoffnung auf ein gutes Endergebnis.

Im Zusammenhang mit Ihrem Kaffee bedeutet das Folgendes: Um in den Genuss des morgendlichen Wachmachers zu kommen, müssen Sie ihn erst mal aufbrühen. Am Anfang Ihres Management-Prozesses steht also die Beschaffung Kaffeepulver und weitere Zutaten. Sie können sich Kaffee und Zucker natürlich von der Nachbarin leihen, doch wie lange wird sie dieses Spiel mitmachen? Wenn sie eine gute Managerin ist, höchstens zweimal. Spätestens am dritten Tag wird sie etwas dafür haben wollen oder den Kaffee verknappen. Wahrscheinlicher ist es allerdings, dass Sie Ihren Kaffee selbst gekauft haben, ebenso die Kaffeemaschine, die Becher, den Zucker und die Milch.

Sie haben also investiert, noch bevor die erste Tasse des dampfenden Getränks vor Ihnen auf dem Tisch steht. Wenn Ihr Kaffee-Management ökonomisch geleitet war, dann haben Sie für all diese Ausgaben zuvor einen Preisvergleich vorgenommen. Vielleicht haben Sie die Kaffeemaschine am Technik-Freitag mit Rabatt oder sogar gebraucht erstanden, während das Kaffeepulver aus dem Mittwochsangebot eines Discounters stammt? Wunderbar, Sie denken kostenorientiert, – im Management haben Sie gute Chancen.

Nun sind Sie theoretisch in der Lage, sich einen Kaffee zuzubereiten. Den wunderbaren Geruch haben Sie bereits in der Nase, doch es stellt sich heraus, dass Sie die Filtertüten vergessen haben. Ihr Selbstmanagement hat also plötzlich eine Lücke und Sie werden zunächst auf den Koffein-Kick verzichten müssen. Um eine Idee von Firmenmanagement in Schieflage zu bekommen, muss man sich das Ganze nun nur noch in einem größeren Ausmaß vorstellen und die fehlenden Filter zum Beispiel durch einen Mangel an Personal ersetzen.

Jetzt sind Sie bestimmt gestresst. Kein Kaffee am Morgen und keine Zeit, um noch Filtertüten zu besorgen. Die Nachbarin macht die Tür nicht auf, weil Sie schon zu oft nach Küchenbedarf gefragt haben. Um weitere kaffeefreie Tage zu verhindern, beschließen Sie, sich eine Assistenz zu besorgen, die Ihnen den Kaffee in Zukunft fertig auf den Schreibtisch stellt. Ob Sie jemanden nach beruflichen Qualifikationen oder nach äußerlichen Attributen aussuchen und einstellen, bleibt Ihnen überlassen – sagen Sie es nur lieber niemandem.

Da Sie eine Liste der Zutaten erstellt und das Koffein-Management an die Assistenz Ihrer Wahl abgegeben haben, können Sie sich nun entspannt zurücklehnen und jeden Morgen auf frischen Kaffee hoffen. Sie vertrauen dem Prozess und dem Menschen, dem Sie die Verantwortung übertragen haben, und betreiben somit Makromanagement. Als Dank wird Ihr Kaffee vielleicht sogar regelmäßig mit einem Milchschaumherz serviert. Das genaue Gegenteil von einem Vertrauensvorschuss ist das Mikromanagement, auch helikoptern genannt. Sollten Sie dazu neigen, werden Sie trotzdem noch in der Küche stehen, das Pulver abwiegen, die Milch selbst einfüllen und kontrollieren, ob die Kaffeemaschine angeschaltet wurde. Vielleicht gehen Sie davon aus, dass, wenn Sie es schon nicht auf die Reihe kriegen, einen Kaffee zu kochen, es auch sonst niemand schafft. Ihr Selbstmanagement hat nicht funktioniert, also helikoptern Sie um die Kaffeemaschine herum.

Mikromanagement ist ein Führungsstil, zu dem leitende Angestellte zwar hier und dort noch neigen, der aber langsam aus der Mode kommt. Denn wenn zwei Mikrokosmen nebeneinander existieren und handeln, ist dies nicht besonders ergebnisorientiert.

In Zukunft erwartet uns Management auf Augenhöhe. Zusammenarbeit ist gefragt. Co-Working könnte Ihren Kaffee zum Beispiel noch besser machen! Dabei profitieren wir von den Erfahrungen anderer, ohne in Hierarchien zu denken. Die neuen Management-Ideen sollen dysfunktionale Führung ersetzen und punkten mit Innovation und Wertschöpfung. Neue Besen kehren ja bekanntlich besser, dennoch muss am Ende jemand den Hut der Entscheidungen auf dem Kopf tragen, damit das Projekt vor lauter Agilität auch noch zielführend bleibt.

**

Da wir nun wissen, dass wir im Grunde den ganzen Tag mit (Selbst-)Management beschäftigt sind, ist es kaum vorstellbar, dass Herr Drucker der Erste gewesen sein soll, der dieses Prinzip durchschaut hat. Vielmehr führen wir seit der Entstehung unserer Art zielgerichtete Handlungen aus. Auf der Suche nach den Ursprüngen von Selbstorganisation landen wir unter anderem beim Homo rudolfensis, der bereits vor circa 2,5 Millionen Jahren über unsere natürlichen Ressourcen rannte, ohne zu wissen, welchen Wert diese im 21. Jahrhundert haben würden.

Einer der ersten Manager, nennen wir ihn Rudolf, wanderte in Ostafrika umher, und da er nun schon mal da war, musste er sein Leben irgendwie in den Griff bekommen. Seine Vorfahren, die Hominiden mit Namen Australopithecinen, waren längst ausgestorben und Rudolf war sich sicher: Das sollte ihm nicht passieren.

So ähnlich wie die Entwicklung der Arten im Gefüge der Evolution können wir auch das Gerüst der Wirtschaft betrachten: Wer sich nicht selbst managen kann, zu langsam ist oder zu viele Fehler macht, stirbt aus. Dies gilt für Führungskräfte, Produkte, Firmen, Haushalte, Dinosaurier und für Rudolf gleichermaßen. Nur wer sich um seine Angelegenheiten kümmert und die Verantwortung dafür übernimmt, kann diese Kunst schließlich in einem größeren Umfang anwenden.

Doch was bedeutet Selbstmanagement eigentlich? Wenn das die Grundlage für erfolgreiche Unternehmensführung sein soll, müssen wir das Prinzip zuerst verstehen, denn es gibt verschiedene Definitionen und Motivationen zu diesem Begriff. Warum sollten wir uns überhaupt selbst organisieren?

Der wahrscheinlichste Grund ist wohl der, dass wir in Schwierigkeiten geraten würden, wenn wir es nicht täten, und das betrifft nicht nur den fehlenden Kaffee. Mal angenommen, Rudolf hätte sich vor 2,5 Millionen Jahren nicht damit beschäftigt, wie er an Nahrung und Wasser gelangen oder wie er sich fortpflanzen könnte, dann wäre es schlecht um ihn bestellt gewesen. Die menschliche Entwicklung ist eine einzige Geschichte voller Produktentwicklungen und Managemententscheidungen. Um die besten Lebensmittel und die Gelegenheiten zur Paarung nicht zu verpassen, musste sich der Mensch schon frühzeitig mit Marktforschung, Ressourcenverteilung, Energiesparen und dem richtigen Timing beschäftigen: Welche Jagdstrategien sichern mir das Mammut? Wer entzündet und bewacht das Feuer? Wie baue ich Getreide an und welche Tiere muss ich domestizieren, um ökonomischer, aber auch gewinnmaximierend zu arbeiten?

Als Rudolf und seine Nachfahren sich diese Fragen stellten, entwickelten sie sich, wenn auch unbewusst vom Homo rudolfensis zu Managerinnen und Managern – und zum Homo oeconomicus. Ihr Leben war hauptsächlich vom Ziel des Überlebens geprägt, womit die Motivation für ihr Handlungen klar umrissen wäre.

Bereits 350 Jahre v. Chr. hielt Aristoteles1 das Eigeninteresse für die primäre ökologische Triebkraft. Vor ihm beschäftigten sich längst andere Gelehrte wie Xenophon 2 und Platon 3 mit Theorien über wirtschaftliches Handeln und bestätigen somit, dass Peter F. Drucker nicht der erste Gedankenträger zum Thema Management war. Im Gegenteil. In den letzten 2500 Jahren gab es viele Denker, die den Wert von Arbeit, Wirtschaft und Wettbewerb untersucht haben, und sie alle hinterließen ihre eigenen Theorien für nachfolgende Generationen.

Als Begründer der klassischen Nationalökonomie gilt zum Beispiel bis heute der Schotte Adam Smith, der schon im 18. Jahrhundert der Meinung war, dass jeder Mensch durch sein Handeln den eigenen Lebensstandard verbessern möchte. Abgelöst wurde die Idee der klassischen Nationalökonomie später durch die Theorie der Neoklassik, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch den Begriff des Homo oeconomicus geprägt hat. Die Grundaussage von Adam Smith behielt jedoch ihre Gültigkeit und findet noch heute auf unsere Wirtschaftswelt Anwendung: Gewinnmaximierung ist das erste Unternehmensziel. Auf dieser Grundlage wird das oberste Managementziel nur allzu deutlich. Entsprechende Umsetzungsversuche können wir über viele Jahrhunderte zurückverfolgen.

**

Wie wir bereits festgestellt haben, liegt dem Begriff der Ökonomie der Wille zur Selbstoptimierung zugrunde. Lange bevor wir uns auf Begrifflichkeiten wie Mikromanagement oder Key Performance Indicators geeinigt haben, entstand der Tauschhandel. Dieser Austausch von Waren und Gütern ohne Währungssystem setzte vor allem ein lückenloses Management voraus.

Noch vor der Jungsteinzeit könnte es bereits zu regen Tauschgeschäften mit Utensilien und Nahrung gekommen sein, dennoch gibt es Hinweise darauf, dass die Anfänge der heutigen Wirtschaft erst circa 9500 Jahren zurückliegen. Mit den ersten Kulturpflanzen und der darauffolgenden Sesshaftigkeit wuchs auch das Bedürfnis, den eigenen Lebensstandard zu erhöhen und zu bewahren. Man zog von zugigen und unsicheren Habitaten in Pfahlbauten und Häuser um, domestizierte die ersten Nutztiere und verkaufte oder tauschte die eigenen Produkte, um sich andere Güter leisten zu können. Vom Tauschhandel mit Muscheln und Steinen, welcher ebenfalls ein gewisses Management voraussetzte, entwickelten wir aus der Naturalwirtschaft langsam eine Geldwirtschaft.

Im Rahmen dieser neuen Entwicklung wuchsen die Familien und somit auch die Siedlungen stetig an. Aus umherziehenden menschlichen Horden wurden Dörfler, die mit Ackerbau und Viehwirtschaft einen neuen Verwaltungsapparat schufen.

Die Frage, wie man das Mammut fangen könnte, stellte sich nicht mehr, denn Jagdglück spielte nur noch eine untergeordnete Rolle. Dank der Domestizierung stand das Fleisch in Form von Kühen und Schafen jetzt seelenruhig auf der Wiese und wartete auf seine Bestimmung. Wer jetzt noch den Überblick über Angebot und Nachfrage behielt, war klar im Vorteil.

Kaufmanns- und Handelsgilden bildeten sich und begründeten eine neue Form von Management. So konnte zum Beispiel die deutsche Hanse im 12. Jahrhundert nur entstehen, weil es bereits viele einzelne kleine Selbstmanager und Managerinnen gab, die sich zugunsten der Selbstmaximierung zusammengeschlossen hatten. Nur wenig später umfasste die Deutsche Hanse bis zu 300 Städte in Deutschland.

Das Grundgerüst von Management ist also nicht in der Führung von Konzernen zu suchen, sondern hat seine Ursprünge in der Selbstverwaltung. Nur wenn es uns gelingt, uns so zu organisieren, dass wir unsere Ziele erreichen (auch wenn es nur eine Tasse Kaffee ist), können wir in die Rolle einer Führungskraft hineinwachsen, so wie die meisten Gründerinnen und Pioniere es getan haben.

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Das gilt auch für mich, denn ich bin nicht als Vorstand eines Milliardenkonzerns geboren worden. Meine Kindheit war gelinde gesagt bescheiden und ohne etwas von meiner Zukunft als Manager und Gründer zu ahnen, begann ich bereits mit sieben Jahren mit meinem Selbstmanagement. Aus Mangel an zuverlässigen Erwachsenen kochte ich schon sehr früh kleinere Mahlzeiten und versuchte irgendwie an eigenes Geld zu kommen.

So kam es, dass ich mit den neuen Fahrplänen der Deutschen Bundesbahn einen Handel eröffnete. Ich erreichte zwar nicht die Ausmaße einer bayerischen Hanse, aber es lohnte sich zunächst für mich. Als die neusten Heftchen herauskamen, fuhr ich mit meinem Bonanza-Rad zum Bahnhof und stopfte alle Prospekte, die im Ständer steckten, in eine Plastiktüte. Dann fuhr ich von Haus zu Haus und verkaufte die Heftchen an jeden, der mir die Tür öffnete.

„Der neue Plan von der Deutschen Bundesbahn ist da“, sagte ich.

„Was kostet der denn?“, wollte man wissen. Eigentlich wäre der ja kostenlos gewesen und da ich beim ersten Kunden nicht wusste, was ich verlangen sollte, nahm ich einfach die Seitenzahl als Betrag. Ich drehte den Plan um, sah, dass er 117 Seiten hatte und sagte: „Eine Mark und siebzehn.“

Aristoteles war immerhin der Meinung gewesen, dass der Wert einer Sache am Bedarf gemessen werden sollte. Die Leute gaben mir in der Regel eine Mark und zwanzig. Das war der Anfang meines ersten betriebswirtschaftlichen Handelns.

Weil das Geschäft gut lief, mobilisierte ich die Jungs meines Fußballklubs und engagierte sie als Subunternehmer. „Jungs, von mir kriegt’s ihr für jeden Plan, den ihr verkauft, 50 Pfennig.“ Das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Wir waren eben alle Manager mit dem Ziel der Existenzsicherung.

Von da an fuhren wir zu viert oder fünft sämtliche Wohngegenden ab. Plötzlich hatte ich Geld! So viel Geld, wie ich mir niemals erträumt hatte! Und es wurde für kurze Zeit sogar noch besser. Ich klingelte eines Tages an einer Haustür und eine Frau öffnete mir freundlich – also sagte ich meinen Spruch auf …

„Das ist ja toll“, sagte sie begeistert, doch dann stutzte sie und fragte: „Warum kostet der Plan denn grad eine Mark siebzehn?“

Gute Frage ... Ich zeigte ihr die letzte Seite und deutete auf die Zahl: „Eins siebzehn!“

„Das ist doch nur die Seitenzahl …“ Sie lachte und schlug mir vor: „Verlang’ doch einfach eine Mark fünfzig, das zahlen die Leute bestimmt.“

Sie war die Erste, die mir eins fünfzig gab, und ich erlebte die erste Preiserhöhung einer Ware, die sich nicht verändert hatte.

Die Geschäftszentrale befand sich bei mir zu Hause. Hier holten meine Jungs ihre Fahrpläne ab und zahlten mich aus. Ob sie ehrlich abgerechnet haben, weiß ich nicht. Mir war das egal, denn ich war erfolgreich und mir reichte das Geld. Ich selbst war bald nur noch damit beschäftigt, Fahrplanheftchen heranzuschaffen, und klapperte rings um meinen Wohnort alle Bahnhöfe ab, die mit dem Rad zu erreichen waren.

Doch nach drei Monaten war die Erstversorgung abgeschlossen und der Handel beendet. Wir konnten unser Gebiet nicht unbegrenzt ausweiten. Spätestens als unsere „Kunden“ das nächste Mal mit dem Zug fuhren, sahen sie, dass es diese Fahrplanhefte eigentlich kostenlos gab. Böse war uns deswegen niemand. In erster Linie hatten sie nicht für das Heftchen bezahlt, sondern für den Service, es frei Haus zu bekommen.

Ich erwähne die Geschichte, weil sie einiges über das Wesen von Management und Betriebswirtschaft aussagt.

Ich fing den Handel an, als es zeitlich günstig war, kurz nachdem es zum ersten Mal diese kostenlosen Fahrplanhefte gab. Dass der frühe Vogel den Wurm fängt, trifft auf mich zu. Ich bin allerdings ein bisschen wie Michel aus Lönneberga, dem bei seinen vielfältigen Unternehmungen ab und zu blöde Dinge passierten. Aber wenn mir etwas einfiel, musste ich es einfach ausprobieren. Auch wenn ich noch keinen Managertitel besaß, ich organisierte meine kleine Welt trotz Höhen und Tiefen ganz gut. Und so ist es geblieben, selbst wenn ich zwischendurch mal einen Hai verkaufen musste.

1 Aristoteles: griechischer Gelehrter und Philosoph (384 v. Chr. – 322 v. Chr.

2 Xenophon: griechischer Schriftsteller und Ökonom (ca. 430 v. Chr. – ca. 354 v. Chr.)

3 Platon: griechischer Philosoph (ca. 427 v. Chr. – 348 v. Chr.)

Superlativ

Da es mit dem Kaffeemanagement schon gut geklappt hat, wollen wir jetzt nach den Sternen greifen und ein Konkurrenzunternehmen zu Starbucks gründen. Außerdem haben wir großes Vertrauen in unsere Zukunft und wollen in zwei Jahren auch zu den Mächtigsten, Besten und Erfolgreichsten gehören. Aber wie geht das eigentlich genau?

Auf der Suche nach Indikatoren für gelungenes Management stoßen wir zunächst auf viele Superlative. Die erfolgreichsten, die größten, die besten, die reichsten und die mächtigsten Management-Persönlichkeiten haben jedoch alle etwas gemeinsam: Sie erhalten ihre Titel aufgrund von Börsennotierungen.

Doch um einen Titel mit Superlativ zu bekommen, sollte man doch mehr geleistet haben, als die Aktienkurse oben zu halten, oder? Da muss es noch Softskills auf einer Metaebene geben, die Normalsterblichen nicht zugänglich ist.

Reicht es aus, nett zu unseren Angestellten oder immer pünktlich zu sein? Ist gutes Aussehen wichtig oder schaffen es nur die ganz fiesen Fieslinge an die Spitze? Was macht Management-Giganten, die in den Medien mit Superlativen überhäuft werden, eigentlich aus?

Was immer das Geheimnis ist, in erster Linie wird ihr Erfolg in Zahlen gemessen. Umsätze, Gewinne und Aktienkurse sind das Barometer für Superlative – steigen sie, verhalten sich die entsprechenden Adjektive synchron.

Als einer der größten Manager unseres Jahrhunderts wird unter anderem Jack Welch genannt. Den Spitznamen Neutronenjack erhielt er allerdings nicht ohne Grund. Er wurde dadurch bekannt, dass er Management nach dem Motto „Fix it, sell it or close it“ betrieb.

Als Spitzenmanager bei General Electric war er der Meinung, dass Unternehmen, die nicht innerhalb von zwei Jahren gesund gepflegt werden können, geschlossen werden müssten. Er soll in seiner über 40-jährigen Amtszeit um die 100.000 Menschen entlassen haben. Einer Neutronenbombe gleich blieben nach Jacks Angriffen nur noch Maschinen übrig, während die Menschen verschwanden. Neutronenjack galt ebenso als Vertreter des von Alfred Rappaport entwickelten Shareholder-Value-Konzeptes, welches kurz gesagt die Maximierung des Aktienvermögens einer Firma zum Ziel hat. Obwohl Jack Welch sich später gegen das von ihm jahrelang praktizierte Konstrukt des Ergebnisanstiegs aussprach, hat das SV-Konzept auch heute noch viele Anhänger. 2009 allerdings soll Jack Welch der Financial Times gesagt haben: „Shareholder-Value ist die blödeste Idee der Welt!“

Zu diesem Zeitpunkt war er schon mehrere Hundert Millionen Dollar schwer und die 100.000 Angestellten, die er weltweit mithilfe der 20-70-104 Formel aussortiert hat, haben bei diesen Worten bestimmt mit den Zähnen geknirscht.

Das Magazin Fortune hatte Jack Welch aber bereits 1999 zum Manager des Jahrhunderts ernannt, lange bevor er dann doch noch Mitarbeiter und Kunden als wichtigste Interessengruppen erkannte. Seinen Titel als größter Manager aller Zeiten hat er also nachweislich nicht für nachhaltiges Management erhalten. Nach seinem Ausstieg verlor General Electric zudem massiv an Marktwert, denn Jack Welsh hatte kaum in die technische Forschung investiert. Zukunftswerkstätten sind teuer, denn sie wirken sich ihrem Namen nach erst in der Zukunft auf den Erfolg eines Unternehmens aus. Bis dahin kosten sie Geld, das viele Unternehmen lieber in den Taschen ihrer Aktionäre sehen.

Dennoch … Neutronenjack lässt viele Nachahmer zurück.

**

Ein Unternehmen ist (unabhängig von der Größe), ein denkender und fühlender Organismus. Rudolf, der vielleicht erste Manager der Welt, hat das gewusst. So, wie wir nicht unendlich viel Erdgas oder Öl aus der Erde quetschen können, nur um den Aktienkurs hochzuhalten, so können wir nicht einfach den Saft aus einem Unternehmen pressen, bis nur noch eine matschige Schale zurückbleibt. Neutronenjack hat das zwar so gemacht und ist mit dieser Einstellung reich geworden, doch nachhaltig für sein Unternehmen war das nicht. Er hat auf Überleben gesetzt und nicht auf Evolution.

Wenn wir uns nach weiteren großen Köpfen im weltweiten Management umschauen, stoßen wir auf Namen wie Steve Jobs, Yun Jong-Yong, Alexej B. Miller und Margaret C. Whitman. Sie alle haben eines gemeinsam: Ihre Namen werden genannt, weil sie das Kapital ihres Unternehmens vervielfacht haben.

Als Kennzahlen für ihren Rang als beste Managerinnen und Manager werden einzig und allein Markt-Kapitalisierung, also die Börsennotierungen ihrer Unternehmensaktien zugrunde gelegt. Auf diese Weise konnten sie in den letzten Jahrzehnten durch die uns bekannte Shareholder-Value-Strategie Milliarden von Dollar erzielen und so unter die Kategorie der größten Managerinnen und Manager fallen. Das ist auch der Grund, warum Steve Jobs immer noch ganz oben im Ranking der erfolgreichsten Manager genannt wird. Er hat den Wert der Apple-Aktie seit der Gründung um mehr als 3000 % gesteigert und legte somit den Grundstock für den heutigen Börsenwert von mehr als zwei Billionen Dollar. Ob er ein netter Mensch war? Das sollen andere beurteilen, doch zumindest wird er als charismatischer Perfektionist beschrieben, der stets das Projekt in den Vordergrund stellte, an dem er gerade arbeitete. Er war ein getriebener Geist, der auf Innovationen setzte und den Sinn von Investitionen verstand. Seiner Meinung nach ist der Grund für Erfolglosigkeit von Firmen darin zu finden, dass es ihnen an Ausdauer und Beharrlichkeit mangelt. Auch wenn ihn das nicht überall beliebt gemacht hat, er sogar als manisch und zickig betitelt wurde, – der langfristige Erfolg von Apple gibt ihm recht.

Bei der Suche nach Menschen, die aufgrund ihrer Güte, ihrer Liebe und sonstiger Softskills, (sonstiger persönlicher Eigenschaften) eines Menschen mit großartigem Management in Verbindung gebracht werden, muss man aufpassen, nicht zu verdursten. Doch es gibt sie, die Menschen und Unternehmen, die wegen ihres Weitblicks und ihrer Umsicht zu erfolgreichen Führungskräften geworden sind. Sie werden nur nicht so häufig erwähnt, weil wir für sie noch keine Superlative gebildet haben.

Wir brauchen neue Vokabeln für erfolgreiches Management, so etwas wie nachhaltigste Managerin der Welt, liebster Geschäftsführer aller Zeiten, kreativste Chefin für immer …

Der Musiker Neil Young nannte seinen Freund Elliot Roberts5 den größten Manager aller Zeiten: „Er weiß, wie man kommuniziert, wo ich es nicht kann. So wie ich jeden Tag mit neuen Ideen aufwache, wacht er jeden Tag mit einem neuen Ansatz auf, um die Probleme zu lösen, in die ich bereits vertieft bin.“

Roberts hingegen betrachtete sich selbst eher als einen harten Hund. Doch mit der Einstellung, dass seine Verhandlungen immer seinen Musikern zugutekommen sollten und niemals den Geldgebern, offenbarte er seine inneren Werte. Roberts beschützte Young und dessen Musik mit aller Entschlossenheit, so zumindest beschrieb es der Musiker in einem Abschiedsbrief an seinen verstorbenen Freund.

Bisher können wir dem perfekten Management demnach Kampfgeist, Beharrlichkeit und Ausdauer zuschreiben, ohne KPIs oder Börsennotierungen einzubeziehen. Auf der Suche nach erfolgreichen Menschen stoßen wir also doch noch auf Superlative, die auf den ersten Blick nichts mit Kennzahlen zu tun haben.

Den Titel des inspirierendsten weiblichen CEO hat zum Beispiel Jessica O. Matthews bekommen. In ihrem Instagramprofil wird sie als Innovatorin bezeichnet, als Ideengeberin. Matthews entwickelte unter anderem einen Fußball und ein Springseil, die als kleine Stromgeneratoren fungieren und sich durch ihre Benutzung immer wieder selbst aufladen. Sie finanziert diverse Start-ups und unterstützt die Entwicklungshilfe in Nigeria. Obwohl sie die Gewinne ihres Unternehmens nebenbei vervielfachte, bekam sie bemerkenswerte Titel wie Innovator of the Year oder One Young World Entrepreneur of the Year verliehen.

Vielleicht schreibt Matthews noch keine Milliardengewinne mit ihren nachhaltigen Unternehmungen und sozialen Projekten und ist daher (noch) nicht unter den Größten, Erfolgreichsten und Reichsten zu finden, doch sie zählt zu den Innovativsten.

Ihr Herz gehört den erneuerbaren Energien und nebenbei verdient sie damit Geld. Sie ist eine erfolgreiche Managerin, weil sie liebt, was sie tut. Es gibt sie also doch, die Menschen, für die Geld nur ein Mittel ist, ein übergeordnetes Ziel zu erreichen, statt sich eine weitere Milliarde aufs Konto zu schaufeln.

Auf der Suche nach den richtigen Voraussetzungen für große Management-Taten können wir nun auch Liebe zum Produkt und Innovationsgeist hinzufügen. Henry Ford soll dazu gesagt haben: „Ein Geschäft, das nur Geld einbringt, ist ein schlechtes Geschäft.“ Eine interessante Aussage, wenn man bedenkt, dass er der Mitbegründer der Fließbandarbeit ist, deren Superlativ heute die Akkordarbeit darstellt. Doch Ford setzte auch auf die Partnerschaft zu seinen Angestellten, denen er extra hohe Löhne zahlte, damit sie sich die Autos kaufen konnten, die sie bauten. Henry Ford war zwar wegen seiner politischen Ansätze umstritten, sein Management (und das seiner Frau) begründete dennoch einen Milliardenkonzern. Wir können also nicht behaupten, er wäre nur zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen. Als Tüftler und Erfinder ist er nicht einfach auf den Industrialisierungszug des 20. Jahrhunderts aufgesprungen – er hat die Bauteile geliefert. Nur wenige Jahre nachdem Henry Ford den Verbrennungsmotor in Serie herstellte, sollte Albert Einstein die Relativitätstheorie veröffentlichen. Mit einem Gehalt von ungefähr 10.000 USD war er 1933 bereits ein reicher Mann. Hätte er heute gelebt, wäre er vermutlich Milliardär sowie Elon Musk. Doch die Marke Einstein ist trotzdem immer noch wertvoll. Durch seine Patente, die nach wie vor Millionen einbringen, gehört Einstein zurzeit vermutlich zu den sechs reichsten, aber verstorbenen Menschen. Reich und tot sind zwar nicht die Superlative, nach denen wir hier suchen, dennoch sollte der Physiker berücksichtigt werden. Nachdem, was von dem Menschen Albert Einstein überliefert wurde, hätte dieser Reichtum ihn nicht mal sonderlich interessiert. Zum Thema Finanzen wird ihm unter anderem folgendes Zitat zugeschrieben: „Das Geld zieht nur den Eigennutz an und verführt stets unwiderstehlich zum Missbrauch.“

Seine Gedanken zum Kapitalismus haben heute noch Bedeutung. Wir müssen uns nur das Shareholder-Value-Konzept anschauen, dann wird klar: Viele arbeiten für das Wohl von wenigen. Eine erschreckende Erkenntnis allein schon deshalb, weil Einstein sich seinen Frauen gegenüber in Unterhaltsfragen (allen großen Worten zum Trotz), enorm kapitalistisch gezeigt haben soll. Ist demnach Kapitalismus das Geheimnis von gelungenem Management? Menschen, die sich ausschließlich den Aktiennotierungen und gefüllten Münzbeuteln verschreiben, erfüllen demnach eines der Grundprinzipien von Wirtschaftsordnung: Gewinnmaximierung auf Kosten von Mensch und Umwelt. Aber Erfolg definiert sich nicht ausschließlich über eine maximale Gewinnspanne. Auf unserer Suche nach einer bisher unerforschten, nahezu ätherischen Ebene von Management haben wir ganz andere Softskills entdeckt: Liebe zum Produkt, Innovation, Durchhaltevermögen, die Fähigkeit umzudenken und Kampfgeist. Immer mehr Unternehmungen machen es vor, auch wenn sie bisher noch nicht durch Superlative gekrönt wurden: Erfolg ist möglich, ohne die maximalen Gewinnspannen anzustreben. Management sollte eine gesunde Unternehmung hervorbringen, die zukunftsorientiert arbeitet, ihre Mitarbeitenden nicht vergisst und zudem einen Sturm übersteht, wenn es sein muss. Wir brauchen keine Überlebensstrategien, sondern Management-Evolution.

4 Die 20-70-10 Formel: 20 % der Mitarbeiter eines Unternehmens werden gefeiert und bekommen Boni, 70 % werden gefördert, die restlichen 10 % werden gefeuert.

5Elliot Roberts, Mitbegründer von Asylum Records

Evolution statt Überleben

Erinnern Sie sich noch an Rudolf, unseren Vorfahren? Der hat es richtig gemacht. Sicher war seine Existenz in erster Linie von dem Wunsch des Überlebens geprägt, doch nebenbei hat er auch an der Evolution mitgearbeitet, die es möglich macht, dass wir uns heute über das Thema Management austauschen können.

Evolution bedeutet im weitesten Sinne die Anpassung an neue Gegebenheiten. Biologisch gesehen entsteht dieser Vorgang durch Mutationen, die genetisch notwendige Anpassung herbeiführen. Lassen Sie uns an dieser Stelle mal frech werden und diesem Wissenschaftszweig einen neuen Ansatz hinzufügen: Was wäre, wenn Evolution absichtlich herbeigeführt werden könnte? Vielleicht hat Rudolf rechtzeitig erkannt, dass die nächste Eiszeit bevorsteht und er mehr Haare benötigen würde, um sie zu überleben. Was, wenn er der Erste war, der Frauen, Kindern und sich selbst ein Tierfell umhängte? Die restlichen Männer seiner Horde lachten ihn vielleicht sogar noch aus, während sie erfroren sind.

Unser erster Manager aller Zeiten hatte also eine Idee, die sein Überleben sicherte. Gleichzeitig war er auch der Einzige, der noch für die Fortpflanzung zur Verfügung stand. Jetzt konnte er seine mit Erfindungsreichtum und Beharrlichkeit gespickten Gene uneingeschränkt weitergeben. Von nun an wurden alle Kinder in wärmende Kleidung gehüllt und sicherten dadurch die Weiterentwicklung des Menschen. Hätte Rudolf ausschließlich an sein eigenes Überleben gedacht und alle Felle für sich beansprucht, wären wir vielleicht nicht hier. Durch seinen Erfindungsgeist hat Rudolf also, wenn auch unbewusst, in die Evolution eingegriffen und sie vorangetrieben.

Durch Management Evolution zu betreiben, statt nur das Überleben der Aktionäre zu sichern, scheint eine gute Idee zu sein. Viele erfolgreiche Produkte haben dadurch seit Jahren Bestand und entwickeln sich immer noch weiter.

Bevor Henry Ford, Albert Einstein und Jessica O. Matthews in ihrem Gebiet den Durchbruch erzielten und Millionen verdienten, mussten sie zunächst eines tun: anfangen. Sie hatten Ideen und Visionen, auf die vor ihnen entweder noch niemand gekommen war oder an deren Umsetzung sich noch keiner herangewagt hatte.

Management beginnt also zunächst mit einer Vision und kreativen Gedanken. Völlig egal, ob dabei am Ende ein Computerchip oder eine Limonade herauskommt, zunächst müssen die Einfälle in eine umsetzbare Form gebracht werden. Selbst wenn die Idee nicht neu ist (schließlich haben wir ja nicht nur eine Automarke und mehr als eine Limonade zur Auswahl), sollte zumindest die Umsetzung innovativ sein.

Sicher kann man sich jedes Jahr für höhere Aktienkurse feiern lassen, dennoch haben wir Menschen uns schon immer eher als kreative und fortschrittliche Denker verstanden. Fragt man ChatGPT nach dem Sinn des Lebens, lautet die Antwort überraschenderweise: Selbstverwirklichung!

Wenn sogar eine künstliche Intelligenz der Meinung ist, dass Geld nicht der Sinn des Lebens sein kann, muss da wohl was dran sein.

Können wir daraus schlussfolgern, dass Management nur ein Werkzeug auf dem Weg zur Selbstverwirklichung ist? Was für Menschen stecken hinter den Persönlichkeiten, denen wir so bekannte Marken wie Haribo, Katjes, Red Bull oder Steiftiere zu verdanken haben?

Viele bekannte Firmen und Marken sind vor und unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg gegründet worden. Sie überlebten nicht nur viele Jahrzehnte, sondern schrieben mit niedlichen Tierchen aus Zucker und Gelatine sogar Evolutionsgeschichte.

Zu diesen Unternehmen gehören unter anderem Katjes und Haribo, die sich unter anderem mithilfe von Lakritze in das nächste Jahrhundert gemanagt haben. In beiden Firmen war ich einige Jahre tätig und konnte so mit eigenen Augen die unterschiedlichen Managementstrategien beobachten.

Katjes verstand sich zum Beispiel von jeher als Familienunternehmen. Als Josef Langenberg 1910 die Firma gründete, die später der drittgrößte Süßwarenfabrikant in Deutschland werden sollte, stellte er noch Fliegenfänger her. Erst sein Stiefbruder brachte 1920 ein Lakritz Rezept aus Italien mit, dass der Firma in Form von kleinen katzenförmigen Bonbons über den Winter helfen sollte.

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In den 90er-Jahren schrieb Katjes eine Gebietsverkaufsleiterstelle für Süddeutschland aus. Das traditionelle Unternehmen lag im Norden – hier unten in Bayern kannte das niemand. Ich bewarb mich, wurde zu einem Gespräch eingeladen und bekam am nächsten Tag die Zusage. Ich fragte mich: Warum ich? Meinen die wirklich, ich kann das?

Heute werden Bewerber in mehreren Phasen und teilweise tagelang getestet. Mein Einstellungsgespräch hingegen dauerte nur eine halbe Stunde. Die Leute von Katjes hatten scheinbar ihre Gründe, warum sie mich nahmen: Ich war jung und engagiert und kam aus der Lebensmittelecke. Das war schon mal von Vorteil.

Außerdem kannte ich durch meine Reisetätigkeit für Lieken Urkorn6 den süddeutschen Raum schon einigermaßen und ich hatte eine Landkarte, auf der die Märkte eingezeichnet waren. Ja, ich habe noch eine echte Landkarte aus Papier genutzt. Internet und Navi gab es ja noch nicht. Das einzige Hilfsmittel für uns Vertriebsleute war der Straßenatlas. Nach einer gewissen Zeit wusste ich von jedem Supermarkt die Straße und die Hausnummer auswendig. Das war ein Wissen, das Katjes in Süddeutschland sonst von niemandem bekommen konnte.

Trotzdem waren meine Verkaufserfahrungen eher bescheiden. Um ehrlich zu sein: Ich fing bei Katjes an, ohne wirklich zu wissen, was auf mich zukam. Ich wusste nur, dass ich Lebensmittelgeschäfte und Supermärkte mit einem neuen Produkt ausstatten musste. Dass Katjes in Süddeutschland noch gar nicht gelistet7 war, wusste ich nicht. Ich kannte ja nicht einmal das Wort Listung.

Ich hatte keine Ahnung davon, dass man zunächst bei den großen Zentralen im Einkauf landen, dass ein Produkt vor der Listung gewisse Checks bestehen, über Konditionen und Rabatte verhandelt werden und der WKZ8 einkalkuliert werden musste.

Ohne die grundsätzliche Erlaubnis des Hauptsitzes einer Marktkette ging gar nichts. Nur wer die hatte, durfte in die Filialen marschieren und versuchen, etwas zu verkaufen.

Wie so oft in meinem Leben unterschrieb ich den Vertrag bei Katjes in vollkommener Naivität. Im Grunde tat ich das nur, weil das Gehalt höher und der Dienstwagen dicker war als bei Lieken Urkorn. Außerdem dachte ich mir: Süßigkeiten sind kein schlechtes Segment. Ich mag sie selbst.

Drei Wochen und einige Verkaufsschulungen später kam ich in den Süden zurück und begann damit, Katjes-Produkte zu verkaufen. Damals gab es noch viele kleine Einzelhändler. Als ich den ersten Laden betrat und sagte: „Ich komme von Katjes“, kam prompt die Antwort: „Hunde- und Katzenfutter haben wir schon.“

Haribo kannte in Bayern jeder, Katjes hingegen war vollkommen unbekannt. Die Einkäufer von Edeka oder Rewe sagten: „Wir listen das Produkt erst, wenn Sie genügend Einzelhändler haben, die bestellen wollen.“

Diese Händler musste ich aber erst mal finden, jeden einzeln aufsuchen und erklären, dass ich kein Tierfutter verkaufe, sondern Fruchtgummis und Lakritze.

Mir kam dabei zugute, dass die Fruchtgummis von Katjes keine künstlichen Farbstoffe enthielten. Das war neu und innovativ – ein echter Vorteil. Eineinhalb Jahre nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl waren die Menschen sensibilisiert worden. Das Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein wuchs und es gab vermehrt Meldungen über krebserregende Stoffe. Die Leute wollten wissen, was in ihren Lebensmitteln enthalten war. Damals gingen die Listen der künstlichen Zusatzstoffe in den Kindergärten herum, denn man wurde vorsichtiger und legte Wert auf Produkte ohne Farbstoffe. Dieser Evolutionsschritt war mein Verkaufstrumpf.

Die meisten Händler sagten: „Die Fruchtgummis nehmen wir, aber die Lakritze können Sie gleich wieder mitnehmen.“

Lakritze lief schlecht in Bayern, man bezeichnete sie dort sogar als Bärendreck. Im Grunde ist es bis heute eine nördliche Delikatesse. Ich fing mit Fruchtgummis an und baute innerhalb von zwei Jahren ein Verkaufsgebiet in Bayern auf.

Provisionen bekam ich nicht, ich war also unabhängig von den Umsätzen. Das wäre in einem neuen Gebiet, das sich noch im Aufbau befand, auch noch gar nicht möglich gewesen, denn wovon hätte ich sonst leben sollen? Eigentlich hätte ich jetzt nur noch Däumchen drehen können, die Leute in Emmerich konnten schließlich nicht wissen, ob ich unterwegs war oder daheim auf dem Sofa lag. Mein Gehalt war hoch genug und wurde unabhängig von meinen Leistungen ausgezahlt. Was hatte mich also motiviert? Ganz einfach: Ich habe mir für den Vertrieb beide Beine ausgerissen, weil es ein wunderbares Unternehmen war, in dem ich arbeitete. Die Kollegen waren freundlich und hilfsbereit. Es gab in den zwei Jahren nie Diskussionen über meine Spesensätze und es gab auch nie Diskussionen über meinen Dienstwagen. In Emmerich hieß es: „Der bringt seine Leistung. Also erfüllen wir unseren Teil ebenfalls.“

Meine Verkaufsraten waren überdurchschnittlich hoch (außer bei Lakritze) und bewiesen, wie viele Händler nach meinem Besuch tatsächlich bestellten. Viele Verkäufer machen den Fehler, gleich beim ersten Mal möglichst viel Ware loswerden zu wollen. Sie wollen natürlich überleben oder mit großen Umsätzen prahlen.

Meiner Meinung nach ist es psychologisch klüger, lieber nur wenig Ware mit der Zusage zu verkaufen: „Ich hol das Zeug wieder ab, wenn es nicht läuft!“

Die Nachfrage des Endverbrauchers sorgt dafür, dass die Supermärkte zügig nachbestellen müssen. Wenn jeder das Gummizeugs haben möchte, dann sind zwei Kartons schnell weg. Der Händler freut sich und bestellt nach. Ein Nachfragesog entsteht. Bei zehn Kartons kann es eine Weile dauern, bis sie verkauft sind, und es entsteht der Eindruck, die Ware würde im Regal vergammeln. Wenn der Verkauf hingegen gut abfließt, kann man immer noch mit größeren Mengen agieren.