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Bereits im Altertum wurde die Fabel als Literaturform für das Aufzeigen gesellschaftlicher und politischer Spannungsfelder genutzt. Fuchs, Hase, Schaf und Wolf haben längst noch nicht ausgedient. Neue Fabeln mit sozialkritischem Hintergrund regen zum Selberdenken an.
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Seitenzahl: 26
Der Königsmörder
Der vegane Fuchs
Die wehrhafte Maus
Das Lied der Gans
Der Wolf im Schafspferch
Über den Autor
So trug es sich zu, dass der Löwe nach dem Tiger rufen ließ und sagte: „Du musst mir helfen, Tiger, mein Freund. Ich muss wissen, ob ich mich auf den Rat der weisen Tiere verlassen kann. Dich kennt keiner, sodass niemand Verdacht schöpfen wird.“
Der Tiger dachte nach und nickte schließlich: „Wie stellst du dir das vor, Löwe?“
„Ich werde dich in den Rat holen, wo wir wichtige Dinge gemeinsam entscheiden.“
„Und wenn ihr euch nicht einigen könnt? Wer entscheidet dann?“
„Die Mehrheit“, entgegnete der Löwe. „Im Zweifelsfall - was so gut wie nie vorkommt - entscheidet die Mehrheit. So ist das in einer Demokratie! Aber ich weiß nicht, ob sie mir aus Angst folgen oder ob sie mir ihre wahre Meinung sagen. Und das muss ich wissen. Ich muss wissen, wer meiner Meinung ist und wer mir nur nach dem Mund redet.“
Der Tiger nickte nachdenklich.
„Lass uns ein Experiment starten“, meinte der Löwe schließlich. „Ich nehme dich auf in meinen Rat der Tiere und du entscheidest dich gegen mich. Dann werden wir sehen, ob die anderen mir aus Angst folgen oder weil sie ihre wirkliche Meinung sagen.“
Einen Moment lang dachte der Tiger darüber nach. Dann meinte er: „So sei es!“
Beim nächsten Mal, als der Löwe den königlichen Rat einberief, stimmte der Tiger sofort gegen ihn. Ein Tier nach dem anderen schaute zuerst den Tiger, dann den Löwen an und stimmte schließlich für den Tiger. Außer dem Schakal, der, wenn auch ein wenig zögernd, der Meinung des Löwen folgte.
Also rief der Löwe, nachdem der Rat sich wieder aufgelöst hatte, den Schakal zu sich und meinte: „Du bist der einzige, der noch zu mir hält.“
„Nunja“, meinte der Schakal. „Auch der Tiger ist stark. Deswegen folgen sie ihm. Und das ist nicht gut für dich.“
„Dann sag mir, was ich tun kann, um den Tiger loszuwerden, sodass der Rat wieder hinter mir steht. Nach Hause schicken, kann ich ihn nicht. Dann würde man mir ja vorwerfen, ich täte es, weil ich Angst vor ihm hätte.“
Einen Moment lang dachte der Schakal nach. Dann meinte er: „Ich denke, ich weiß, wie wir das hinbekommen. Rufe den Rat ein.“
Der Löwe, der sich große Sorgen machte, dass der Tiger ihn vom Thron verdrängen könne, beeilte sich, den Rat der Tiere möglichst bald wieder einzuberufen. Doch wider Erwarten sagte der Schakal nichts und die Abstimmung verlief wieder wie das vorhergehende Mal. Da endlich meldete sich der Schakal zu Wort:
„Das dachte ich mir, Tiger, dass du wieder gegen unseren großen König stimmst. Nichts als Misstrauen und Zwietracht säst du hier. Und die anderen Tier folgen dir, weil sie wissen, dass du ein Fleischfresser bist und alle töten wirst, die nicht für dich sind.“
Der Tiger lachte. „Der König ist auch ein Fleischfresser und könnte jeden töten, der gegen ihn stimmt. Selbst du bist ein Fleischfresser.“