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Als die Vampirin Anna Strong der geheimnisvollen Sandra begegnet, ahnt sie sofort, das etwas mit ihr nicht stimmt – und das liegt nicht nur daran, dass Sandra eine Werwölfin ist. Wieso übt diese Frau eine so merkwürdige Anziehung auf Anna aus, und welche Rolle spielt dabei Avery, Annas Lehrmeister, den sie töten musste? Der Kuss der Vampirin von Jeanne C. Stein: spannende Fantasy im eBook!
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Seitenzahl: 392
Jeanne C. Stein
Der Kuss der Vampirin
Ein magischer Thriller
Aus dem Amerikanischen von Katharina Volk
Knaur e-books
Ich bin seit sechs Monaten ein Vampir.
Inzwischen habe ich mich daran gewöhnt, menschliches Blut zu trinken, den einmaligen Genuss der Blutlust kennengelernt, die Verbindung von Blut und Sex.
Das ist der angenehme Teil.
In denselben sechs Monaten wurde mein Haus bis auf die Grundmauern niedergebrannt, und mein bester Freund und Geschäftspartner wurde entführt und beinahe getötet, von einem Vampir, der mir den Weg ins untote Leben zeigen wollte. Avery hat behauptet, mich zu lieben. Er hat gelogen.
Ich habe erfahren, dass ich eine dreizehnjährige Nichte habe, und zwar von einer Frau, die sie gegen Geld Männern zur Verfügung gestellt hat – ihrer eigenen Mutter. Dann fand ich heraus, dass sie ebenfalls gelogen hat. Alles war gelogen.
Trish ist nicht meine Nichte, aber ich habe die Lüge aufrechterhalten, damit meine Eltern die Vormundschaft über das Mädchen bekommen. Ein Geschenk an sie, weil ich nicht länger ihr Kind sein kann.
Ich habe meinen menschlichen Geliebten verloren, weil Max auf die schlimmste mögliche Art herausfand, was ich bin – er hat mich in Aktion gesehen. Hat gesehen, wie die Vampirin in mir zum Vorschein kam und tötete.
Vor kurzem habe ich mich von meinem vampirischen Mentor getrennt, und von den »Wächtern«, einer Organisation, die Übernatürlichen hilft, in der modernen Welt zurechtzukommen. Zu meinen Aufgaben gehörte es auch, gefährliche Einzelgänger unter den Vampiren auszuschalten. Das Problem ist nicht, dass mir meine Arbeit nicht gefallen hätte. Im Gegenteil, sie hat mir zu viel Spaß gemacht.
Ich bin fest entschlossen, auf menschliche Art zu leben. Manchmal ist das die Hölle. Manchmal, so wie heute, kommt es mir ganz leicht vor.
Als ich noch ein Mensch war, habe ich die Weihnachtszeit gehasst – das allgegenwärtige Gedudel geistloser Weihnachtslieder, den Zwang zur Hoffnung und Glückseligkeit, die aufgesetzte Jovialität. Für mich war Weihnachten eine grausame Erinnerung daran, dass in ein paar Tagen ein weiteres Jahr vergangen sein würde seit dem Tod meines Bruders, der bei einem sinnlosen Unfall gleich nach »der schönsten Zeit des Jahres« ums Leben gekommen war.
Aber hier stehe ich vierzehn Jahre später an einem Nachmittag mitten im Dezember mit einem breiten, albernen Grinsen im Gesicht und ertrage das Gedränge müffelnder Menschen, damit ich meiner Nichte helfen kann, ein Geschenk für meine Mutter auszusuchen.
Meiner Nichte. Jetzt kann ich das Wort benutzen, ohne es im Geiste in Anführungsstriche zu setzen.
In den vergangenen paar Monaten ist Trish ebenso sehr ein Mitglied meiner Familie geworden, wie ich es bin. Vielleicht sogar mehr als ich, denn sie ist ein Mensch, und ich nicht.
Ich bin ein Vampir.
Noch etwas kann ich mir inzwischen eingestehen (natürlich nur mir selbst), ohne innerlich vor Abscheu oder Scham zu schaudern: Ich bin ein Vampir.
Ich akzeptiere das inzwischen genauso wie meine Haarfarbe (blond) oder meine grünen Augen. Ich bin nicht als Vampir auf die Welt gekommen, sondern wurde zu einem gemacht. Ich habe mich an diese Situation anpassen müssen, und um ehrlich zu sein, kann ich sie manchmal für mehrere, äh, Minuten vergessen.
»Tante Anna?« Ich liebe den Klang dieser Worte, ich kann nicht anders. Zur Antwort drücke ich das wunderschöne, gesunde, dreizehnjährige Mädchen neben mir kräftig an mich.
Sie rückt von mir ab, aber sie grinst dabei. »Wofür war das denn?«
»Einfach so. Hast du dich schon entschieden?«
Wir sind im Horton-Plaza-Einkaufszentrum bei Tiffany’s, und auf einem samtbezogenen Tablett vor uns liegt die engere Auswahl von Ohrringen. Ich stehe links von Trish, abseits der Spiegel, denn kein Spiegelbild zu haben, ist ein ziemlicher Nachteil, wenn man als Vampir unter Sterblichen lebt. Außerdem kann ich Trish so unbemerkt beobachten und darüber staunen, wie sie sich in den vergangenen drei Monaten gemacht hat.
Als ich Trish Delaney kennenlernte, war sie von zu Hause weggelaufen. Ihre Mutter Carolyn stand eines Abends bei meinen Eltern vor der Tür und verkündete, Trish sei ihr Enkelkind. Carolyn, die wir seit dem Tod meines Bruders nicht mehr gesehen hatten, erzählte uns die rührende Geschichte, dass sie erst nach dem Tod meines Bruders festgestellt hatte, dass sie schwanger war und meinen Eltern nichts davon gesagt hatte, aus Angst, sie könnten genauso reagieren wie ihre eigenen Eltern – die sie zu einer Abtreibung gedrängt hätten. Sie kam also jetzt erst zu uns, weil sie fürchtete, dass Trish in ernsthaften Schwierigkeiten steckte – irgendetwas mit Drogen und einem Mordfall – und nicht wusste, an wen sie sich sonst wenden sollte. Außerdem wusste sie, womit ich meine Brötchen verdiene. Ich bin Kopfgeldjägerin, und Leute aufzuspüren ist mein Beruf.
Und wir haben ihr das abgekauft.
Es stellte sich aber heraus, dass fast alles an dieser Geschichte gelogen war. Carolyn hatte Trish gegen Geld Männern ausgeliefert, die sie missbrauchten. Sie ist jetzt tot, und der Dreckskerl, der in erster Linie für das verantwortlich ist, was Trish durchmachen musste, ist ebenfalls tot. Drei weitere Männer warten auf ihren Prozess. Wir hoffen, dass sie gestehen werden, damit Trish diesen Alptraum nicht noch einmal durchleben muss. Ihr ist aber auch klar, dass es anders laufen könnte.
Doch jetzt ist sie hier neben mir – eine langbeinige Dreizehnjährige, die kurz davorsteht, zur Frau zu werden, und die lächeln und lachen und sich sicher fühlen kann in dem Wissen, dass sie eine Familie gefunden hat, in der sie nichts zu fürchten braucht. Falls es zum Schlimmsten kommen sollte und sie vor Gericht aussagen müsste, weiß sie, dass wir ihr beistehen werden. Bis dahin werden wir aber erst einmal die Weihnachtsfeiertage genießen. Als Familie.
Trish hält in jeder Hand einen Ohrring. »Ich kann mich zwischen diesen beiden nicht entscheiden. Welcher gefällt dir besser?«
Einer ist ein Knoten aus Gold, etwa so groß wie eine Zehn-Cent-Münze. Der andere ist ein filigraner Kreole.
»Die Kreolen. Mom trägt gern Kreolen.«
Trish hält sich den Ring ans Ohr und schaut in den Spiegel. »Mir gefallen sie auch.«
Sie übergibt die Kreolen der Verkäuferin. »Wir nehmen die hier, bitte.«
Die Verkäuferin ist Mitte dreißig, hat glattes, braunes Haar und trägt Lippenstift in einer Farbe, mit der ich wie eine Nutte aussehen würde. An ihr wirkt sie vornehm. Sie lächelt, legt das Vorlagetablett mit den übrigen Ohrringen hinter den Tresen und nickt mir zu.
Ich interpretiere ihr Nicken schon richtig, verweise sie aber mit einem Schulterzucken an Trish. »Meine Nichte möchte sie kaufen.«
Eine sorgfältig in Form gebrachte Augenbraue hebt sich ein ganz klein wenig. »Und wie möchten Sie bezahlen, Miss?«, fragt sie.
Trish erwidert das Lächeln. »Bar.«
Die Verkäuferin nickt und wendet sich ab, um den Betrag in die Kasse einzugeben.
»Bist du sicher, dass du genug Geld dabeihast?«, flüstere ich. »Ich kann dir gern –«
Trishs Gesicht glüht. »Ich will das selbst machen«, sagt sie. »Ich weiß nicht, wo ich ohne Oma und Opa Strong gelandet wäre. Ich will ihnen zeigen, wie dankbar ich für alles bin, was sie für mich getan haben.«
Ich drücke ihre Schulter. Leider weiß ich ziemlich genau, wo sie jetzt wäre. Entweder bei einem elenden Miststück, ihrer echten Großmutter nämlich, oder bei irgendwelchen Pflegeeltern. Schwer zu sagen, welche Alternative die schlimmere gewesen wäre.
Deshalb habe ich mich ja auch für diese Lüge entschieden. Weder Trish noch meine Eltern wissen, dass sie in Wahrheit nicht das Kind meines Bruders ist. Ein Gentest hat das erwiesen, und ich habe ihn verschwinden lassen. Ich werde nie erfahren, ob Carolyn die Wahrheit kannte oder nicht. Das spielt auch keine Rolle. Trish ist da, wo sie hingehört, und wenn es nach mir geht, wird sie genau da bleiben.
Die Verkäuferin tritt wieder zu uns. »Das macht zweihundertsiebenundneunzig Dollar und achtzig Cent«, sagt sie zu Trish.
Trish grinst mich an, holt drei Hundert-Dollar-Scheine aus ihrem Portemonnaie und gibt sie ihr. Carolyn Delaney hat in ihren letzten Monaten auf Erden nur eine gute Tat getan, nämlich eine Lebensversicherung abgeschlossen, in der Trish als Begünstigte genannt ist. Vielleicht hat sie gespürt, dass die Geschichte, in die sie sich und ihre Tochter verstrickt hatte, nicht gut ausgehen würde. Vielleicht war das ihr jämmerlicher Versuch, Trish um Verzeihung zu bitten, falls dieses böse Ende eintreten sollte. Jedenfalls wurde der Großteil des Geldes fürs College zurückgelegt, aber meine Eltern fanden, Trish sollte auch etwas für sich selbst ausgeben dürfen.
Und was hat Trish damit gemacht? Das meiste davon hat sie für Geschenke an ihre neue Familie ausgegeben.
Trish freut sich so sehr darüber, dass sie die Ohrringe selbst bezahlen kann. Dieser Anblick wird nur noch von ihrem Gesichtsausdruck übertroffen, als die Verkäuferin mit einer dieser wunderschönen, typischen blauen Tiffany-Schachteln wiederkommt. Sie steckt die Schachtel in eine passende Tüte und übergibt sie zusammen mit dem Wechselgeld an eine strahlende Trish.
Ich habe das Gefühl, ebenfalls zu strahlen. Zumindest so lange, bis wir uns wieder durch die Menge im Horton Plaza schieben. Die meisten Leute schauen drein wie hungrige Wölfe. Diese alles andere als fröhlichen Gesichter drücken eine Verzweiflung aus, als blieben nur noch zwei Tage für die Weihnachtseinkäufe, nicht zwei Wochen.
So viele pulsierende Halsschlagadern treiben mein Erregungsniveau in die Höhe, und mir sträuben sich die Härchen im Nacken.
Höchste Zeit für eine Pause. »Für einen Kaffee könnte ich jetzt sterben«, sage ich zu Trish, womit ich eigentlich meine, dass es gleich Tote geben wird, wenn ich jetzt keinen Kaffee bekomme.
»Gehen wir zu Starbucks?«, fragt Trish. »Oder möchtest du die Kaffeebar in dem neuen Restaurant ausprobieren?«
Da dieses neue Restaurant jemandem gehört, den ich so dringend meiden möchte, dass ich bis in alle Ewigkeit auf Kaffee verzichten würde – Gloria, der Ex-Freundin meines Geschäftspartners –, antworte ich hastig: »Starbucks.«
Definitiv Starbucks.
Wir kehren um und gehen in Richtung Broadway.
Normalerweise sind meine Sinne äußerst wachsam, wenn ich mich unter so vielen Leuten befinde. Das ist nur natürlich, ein Instinkt. Meine animalische Seite sucht permanent die Umgebung nach jeglichem Hinweis auf Gefahren ab, nach irgendeinem Anzeichen nahenden Unheils.
Diesmal versagt mein inneres Radar kläglich. Plötzlich ist da etwas, direkt vor uns. Sie scheint meinem schlimmsten Alptraum entstiegen zu sein und muss sich wie eine Kakerlake unter meiner Gefahrenortung durchgemogelt haben.
Ich packe Trish bei den Schultern, um sie in die Gegenrichtung davonzuschieben. Zu spät. Eine Hand wird ausgestreckt und hält mich mit festem Griff auf.
Trish lächelt, denn sie ist sich der Gefahr nicht bewusst.
»Hallo, Gloria«, sagt sie. »David hat uns gar nicht erzählt, dass Sie wieder in San Diego sind.«
Ich starre sie an. Gloria sollte gar nicht in San Diego sein. Sie sollte in Los Angeles oder New York sein und tun, was verdammte Supermodels eben so tun.
Mist.
Gloria richtet ihr Tausend-Watt-Lächeln auf Trish. »Er weiß noch nichts davon«, sagt sie. Dann legt sie den Zeigefinger an die Lippen. »Ich will ihn überraschen, wenn du ihn also zuerst siehst, darfst du ihm nichts verraten, okay?«
Trish zeigt ihr mit einem Nicken, dass das Geheimnis bei ihr sicher ist. »Wir wollten gerade einen Kaffee trinken gehen. Möchten Sie mitkommen?«
Mist. Mist. Mist. Bei all den ätzenden, ungezogenen Teenagern auf der Welt muss meine Familie ausgerechnet einen netten, höflichen abbekommen. Ich winde mich innerlich.
Doch ein Schütteln von Glorias kastanienbrauner Mähne erlöst mich. »Ich kann nicht, Süße. Aber ich muss kurz mit deiner Tante sprechen. In Ordnung?«
Trish nickt erneut. Als Gloria nicht sofort damit herausplatzt, was sie von mir will, begreift Trish, dass das so ein Erwachsenengespräch ist, und geht ein Stück weiter, um das nächste Schaufenster zu betrachten.
Ich beobachte Trish und wende mich dann widerstrebend der Person zu, die ich von allen Menschen und sonstigen Leuten auf der Welt am wenigsten leiden kann.
Gloria Estrella ist Model und Schauspielerin. Sehr bekannt, ein Promi. Während wir hier im Einkaufszentrum stehen, scheint das Leben um uns herum in Zeitlupe abzulaufen, denn fast jeder Passant wirft einen Blick auf sie und geht nur sehr langsam weiter. Trotz der übergroßen, schwach getönten Sonnenbrille erkennen Frauen das herzförmige Gesicht, den Schnitt der riesigen Mandelaugen, die kunstvoll zerwühlte, schulterlange Mähne. Männer erkennen die Titten und die langen Beine. Sie trägt eine Jeans, einen Kaschmirpulli und sieben Zentimeter hohe Ferragamo-Pumps, aber Männer wissen, was sich darunter verbirgt. Sie sehen das Victoria’s-Secret-Model, das in Tanga und Push-up-BH durch den Werbespot tänzelt, jeden verdammten Tag im Fernsehen.
Ich hasse sie. Und sie mich. Normalerweise gehen wir einander so sorgfältig aus dem Weg, wie ich Knoblauch meide. Sie ist Gift für mich.
Was ihren Wunsch, mit mir zu sprechen, umso erstaunlicher macht. Soweit ich weiß, gibt es zwischen uns nichts zu besprechen. Gloria war mal mit meinem Partner David zusammen. »War« ist hier das entscheidende Wort, denn sie haben sich seit zwei Monaten nicht mehr gesehen. Ich hatte schon die Hoffnung, Gloria gar nicht mehr wiederzusehen, und das war eine wunderbare, befreiende Vorstellung.
Ich trete von einem Fuß auf den anderen. »Woher wusstest du, dass ich hier bin?«
Gloria nimmt die Sonnenbrille ab. »Ich habe dich bei Tiffany’s gesehen.«
Großartig. Ich werde nie wieder im Horton Plaza shoppen gehen. »Was willst du? Um David kann es ja kaum gehen. Soweit ich weiß, habt ihr euch getrennt.«
Sie neigt den Kopf zur Seite. »Wie kommst du darauf?«
»Wie ich darauf komme? Vielleicht, weil David angeschossen wurde und du dir nicht mal die Mühe gemacht hast, dich zu erkundigen, wie es ihm geht.«
Sie schlägt die Augen nieder. »Ach, das.«
Ach, das? David war zwei verdammte Monate lang außer Gefecht. Ein durchgeknallter Auftragskiller hatte auf ihn geschossen, weil wir sein anvisiertes Opfer als Kautionsflüchtigen gefasst und ins Gefängnis gebracht hatten, ehe er den Auftrag ausführen konnte. Gloria hat während Davids Genesung nicht ein einziges Mal angerufen oder ihn besucht. Ich weiß das so genau, weil ich mich selbst um ihn gekümmert habe.
»Ich muss mit David sprechen. Ich hatte sowieso vor, heute Nachmittag bei euch im Büro vorbeizuschauen. Ich kann ihm das erklären. Ich kann es wiedergutmachen.«
Ihr zaghafter Tonfall deutet darauf hin, dass sie nicht so selbstsicher ist, wie sie tut. Gut.
Ich sehe sie mit schmalen Augen an. »Ich an deiner Stelle würde mir die Mühe sparen. David hat dich nicht einmal erwähnt. Ich glaube, er ist fertig mit dir. Endlich. Endgültig.«
Das ärgert sie, und das Miststück in ihr blitzt hervor. »Mach dir nichts vor, Anna. David liebt mich immer noch. Er hat mir Dutzende SMS geschickt. Erst heute Morgen habe ich wieder eine bekommen. Möchtest du wissen, was darin steht?«
Diese Neuigkeit schockiert mich so sehr, dass mein Körper mich mit einem unwillkürlichen Zucken verrät. David hat nie versucht, Kontakt zu Gloria aufzunehmen, wenn ich in der Nähe war. Nicht zu fassen, dass er das hinter meinem Rücken getan haben soll. Warme Wut steigt mir den Nacken hoch.
Gloria bemerkt meine Reaktion und lächelt.
Verdammt soll sie sein. »Was auch immer du zu sagen hast, komm zur Sache. Trish und ich haben noch Einkäufe zu erledigen.«
Sie schaut zu Trish hinüber. »Sie ist ein sehr hübsches Mädchen. Glaubst du, sie würde vielleicht gern modeln?«
Nach allem, was Trish durchgemacht hat, wäre das wohl das Letzte, was meine Familie will: sie wieder fremden Blicken preisgeben. Dass ich Gloria für diesen Vorschlag nicht sofort an die Kehle gehe, hat zwei Gründe. Erstens ist Trish tatsächlich schön genug, um Model zu werden, und zweitens weiß Gloria nicht, was ihr passiert ist. Hoffentlich wird sie das auch nie erfahren.
Es kostet mich einige Mühe, aber ich zügle meine Wut und erwidere barsch: »Sie ist im ersten Jahr an der Highschool. Sie ist zu jung, um so einem Umfeld ausgesetzt zu werden.«
Mein Tonfall macht deutlich, dass mit »so einem Umfeld« nichts Gutes gemeint und diese Spitze gegen Gloria gerichtet ist, aber überraschenderweise reagiert sie weder auf meine Antwort noch auf die Beleidigung.
Die Muskeln an meinem Nackenansatz spannen sich. Das ist nicht die Gloria, die ich kenne. Ich mustere sie genauer. Zum ersten Mal sehe ich Sorgenfältchen um ihre Mundwinkel und schwache dunkle Ringe unter den Augen. Unter dem Make-up wird ihr makelloses Gesicht überschattet von – was? Kummer? Traurigkeit?
Ich unterdrücke den Impuls, in die Hände zu klatschen und ein kleines Freudentänzchen aufzuführen.
Denn das zu tun, würde ja heißen, dass sie mir nicht gleichgültig ist. Um ehrlich zu sein: Wenn sie mir nicht gesagt hätte, dass David Kontakt zu ihr sucht, hätte ich mich längst vom Acker gemacht. Sosehr ich sie verabscheue, meine Freundschaft mit David ist stärker. Er findet irgendetwas an Gloria, das ihn berührt. Ich kann es nicht sehen, aber offenbar ist er noch nicht fertig mit ihr.
»Du hast mich nicht angesprochen, um über Trish zu reden. Was willst du?«
Sie reißt den Blick von Trish los. »Ich brauche deine Hilfe.«
»Wobei? Den Weihnachtseinkäufen? Wenn du glaubst, ich würde meine Zeit darauf verschwenden, bei David ein gutes Wort für dich einzulegen, hast du dich geirrt. Ich habe Wichtigeres zu tun.«
Gloria schweigt. Sie tritt nervös von einem Fuß auf den anderen, die herabhängenden Hände zu Fäusten geballt, und ihr Blick schweift unruhig über die Menge wie der eines Kaninchens, sofort bereit, die Flucht zu ergreifen, falls ein Fuchs auftaucht. Als sie mich wieder ansieht, ist der Ausdruck in ihren Augen unverkennbar.
»Ich glaube, ich stecke in Schwierigkeiten«, sagt sie schließlich. »Großen Schwierigkeiten.«
In diesem Augenblick erkenne ich, dass sie die Wahrheit sagt. Ihre Gereiztheit und Wut sind verschwunden, weggespült von etwas Mächtigerem, einem Gefühl, das der Vampir in mir in der Luft wittern kann wie einen üblen Geruch.
Angst.
Angst löst bei Vampiren dieselben körperlichen Reaktionen aus wie bei Menschen. Flucht oder Kampf. Allerdings sind diese Reaktionen bei Vampiren um ein Vielfaches stärker. Die Schwingungen, die Gloria gerade ausstrahlt, lösen in mir den Drang aus, so weit wie möglich von ihr wegzukommen. Ich habe ihre Geschichte noch nicht gehört. Ich weiß nicht, was für ein Problem sie hat, und es interessiert mich auch nicht. Bei allem, was ich von ihr empfange, kreischt mir mein Instinkt zu, dass es gefährlich ist, an diesem öffentlichen Ort mit ihr herumzustehen.
Nicht für mich, sondern für Trish, einen der Menschen, die mir wichtiger sind als mein eigenes Leben.
Ich höre auf meine Instinkte und hebe die Hand. »Das geht nicht, solange Trish hier ist. Ich bringe sie nach Hause. In einer Stunde bin ich wieder da. Sollen wir uns im Büro treffen? Oder bei David?«
Sie schüttelt den Kopf. »Ich muss ins Restaurant. Könntest du dorthin kommen?«
»Soll ich David anrufen?« Es ärgert mich, dass ich sie das fragen muss, aber David erholt sich gerade erst von einer üblen Geschichte. Wenn sich hier die nächste zusammenbraut, sollte er verdammt noch mal Bescheid wissen.
»Nein.« Ihre Antwort klingt bestimmt. »Ich muss erst mit dir allein reden.«
Wenn ich allein hier gewesen wäre, hätte ich da sofort nachgebohrt. Bin ich aber nicht. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wende ich mich von ihr ab und winke Trish herüber.
Trish zieht nur eine Augenbraue hoch, als ich ihr erkläre, dass ich sie jetzt nach Hause bringen muss. Sie protestiert nicht oder jammert herum. Das ist nicht die Art, wie ein »normaler« Teenager auf so eine Enttäuschung reagieren würde. Trishs bisheriges Leben war eben alles andere als normal, und ihre Psychotherapeutin sagt, es würde noch lange dauern, bis sie in der Lage sein wird, auch negative Gefühle auszudrücken. Jetzt hat sie noch viel zu viel Angst, wir könnten sie wieder wegschicken. Das macht mich unglaublich traurig.
Auf der Rückfahrt zu meinen Eltern lasse ich sie fröhlich schwatzen – sie plappert unentwegt und aufgeregt über die bevorstehenden Feiertage. Ich spiele mit, bin aber in Gedanken bei Gloria. So habe ich sie noch nie gesehen: bedrückt, ernst, verängstigt. Was auch immer ihr Problem sein mag, es muss ziemlich groß sein.
Trish lässt die Weihnachtseinkäufe bei mir und geht die Stufen zum Haus hinauf. Meine Mom ist schon an der Tür, um sie einzulassen, ehe sie klingeln kann. Mom trägt eine Jogginghose, hat sich das Haar zurückgebunden, und eine mit Mehl bestäubte Schürze umhüllt ihre schlanke Gestalt. Sie winkt mir schwungvoll zu und bedeutet mir, hereinzukommen.
Einen Moment lang werde ich von Erinnerungen überschwemmt. Mein Bruder und ich kommen von einer Einkaufstour zurück und finden Mom in der Küche vor, in einer Weihnachtsschürze mit Mehlflecken. Der süße Duft nach Butterplätzchen erfüllt das Haus.
Plötzlich möchte ich nichts lieber, als mit den beiden hineingehen. Der Schmerz in der Mitte meiner Brust, eine instinktive, körperliche Sehnsucht, ist so stark, dass ich mein Versprechen Gloria gegenüber noch einmal überdenke. In was für Schwierigkeiten soll sie schon stecken?
In der Sorte Schwierigkeiten, die sie dazu getrieben haben, ihre ärgste Feindin um Hilfe zu bitten.
Widerstrebend lasse ich das Beifahrerfenster herunter und rufe ihr zu, dass ich nicht reinkommen kann, weil ich noch einen Termin habe. Im Rückspiegel sehe ich, wie Mom sich bei Trish unterhakt, als ich losfahre.
Dass mir diese Zeit mit meiner Familie entgeht, steigert noch meinen Unmut gegenüber Gloria. Wenn ihr Leben nicht schon vorher in Gefahr war, dann ist es das jetzt.
Glory’s ist der zuckersüße Name, den sich Gloria und ihr Geschäftspartner Rory O’Sullivan für das Restaurant haben einfallen lassen. Als ich dort ankomme, ist es fünf Uhr nachmittags. Zu früh fürs Abendessen, aber nicht für den Feierabend-Drink an diesem Freitag. An der Bar herrscht Gedränge. Das Restaurant liegt auf der Broadway-Seite des Horton Plaza. Es zieht sowohl die Angestellten aus den nahen Geschäften an als auch Anwälte und Richter aus den beiden Gerichtsgebäuden zwei Straßen weiter und Bürokraten aus den Ämtern nebenan. In meiner Jeans mit Blazer und Nikes bin ich die Einzige weit und breit, die weder Kostüm noch Anzug trägt.
Das erregt Aufmerksamkeit. Ich weiß nicht, was Männer sehen, wenn sie mich anschauen, aber ich weiß, wie sie sich verhalten. Während ich mich durch die Happy-Hour-Gemeinde dränge, werde ich fragend angelächelt und von mehr als einer höflichen Hand aufgehalten. Unter anderen Umständen würde ich das vielleicht nutzen als Gelegenheit zu einer sorglosen, vergnüglichen Nacht. Eine Vampirin zu sein, ist in dieser Hinsicht sehr befreiend. Aber nicht heute Abend. Ich bin zu einem anderen Zweck hier – um Glorias willen, und die sollte lieber einen guten Grund dafür haben.
Ich ignoriere die lächelnden Gesichter und Einladungen auf einen Drink und schiebe mich zur Tür am Ende der Bar durch. Ich klopfe einmal und schiebe die Tür auf.
Gloria sitzt hinter einem Schreibtisch und starrt durch das Fenster auf die Raupe der Autoscheinwerfer hinaus, die den Broadway entlang aufs Meer zukriecht. Sie dreht sich nicht um, als die Tür aufgeht. Offenbar hat sie mich nicht bemerkt.
»Gloria?«
Sie springt vor Schreck beinahe aus dem Stuhl und wirbelt zu mir herum.
Bei dem Ausdruck auf ihrem Gesicht, als hätte ich hier drin nichts zu suchen, würde ich am liebsten kehrtmachen und wieder gehen. »Du hast mich gebeten, herzukommen, schon vergessen? Was zum Teufel hast du eigentlich?«
Ihre Miene wirkt leicht betreten. »Tut mir leid.«
Gloria entschuldigt sich bei mir? Ich muss mich wohl verhört haben.
Ich setze mich auf die Ecke des Schreibtischs. »Da bin ich. Du hast zwei Minuten Zeit, mir zu sagen, warum ich bleiben sollte.«
Glorias Blick verfinstert sich. »Ich stecke in Schwierigkeiten.«
»Das habe ich vorhin schon gehört. Was für Schwierigkeiten?«
Ich kenne Gloria seit fünf Jahren. Noch nie hat sie mich so angesehen wie jetzt, mit einem Blick ganz ohne Herablassung oder Boshaftigkeit. Ich wünschte, sie würde damit aufhören. Unsere alte gegenseitige Abneigung war mir angenehmer.
Sie sieht verängstigt aus, und das beunruhigt mich. »Also? Noch neunzig Sekunden. Neunundachtzig.«
Unvermittelt fängt sie an zu weinen.
Ich springe auf. Dann fällt es mir wieder ein: Sie ist Schauspielerin. Aber das sind echte Tränen, die ihr über die Wangen laufen, und echter Rotz hängt an diesem Fünftausend-Dollar-Näschen. Ihr Gesicht hat rote Flecken.
Das ist kein theatralisches Geflenne. Sie weint wirklich.
Ich bin so fassungslos, dass ich nicht weiß, wie ich reagieren soll. Obwohl ihr vor Schluchzen die Schultern zucken, bringe ich es nicht über mich, tröstend einen Arm um sie zu legen. Das ist immer noch Gloria, meine schlimmste Feindin. Ansonsten fällt mir nur noch eines ein: Ich schnappe mir eine Packung Taschentücher vom Serviertisch vor dem Fenster und reiche sie ihr.
»Hier«, sage ich barsch. »Wisch das ab. Tränen können Kaschmir völlig ruinieren.«
Sie zieht ein Taschentuch heraus, tupft reichlich wirkungslos an ihrem Gesicht herum und verschmiert dabei Wimperntusche und Eyeliner auf der Tränenspur. Jetzt sieht sie aus wie ein durchgeknallter Waschbär.
Es kostet mich große Überwindung, das nicht zu erwähnen. Ich warte, bis Gloria sich wieder gefasst hat. Ich werde sie noch genau einmal fragen, was eigentlich los ist, und wenn ich dann keine Antwort bekomme, bin ich weg.
»Falls du jemanden suchst, der bei David ein gutes Wort für dich einlegt, war es unglaublich dumm von dir, zu mir zu kommen. Ich war selig in dem Glauben, er hätte dich abserviert. Seit ich dich kenne, hast du immer nur versucht, unsere geschäftliche Beziehung zu untergraben. Bilde dir ja nicht ein, ich würde …«
Ich bin gerade warm geworden, als Gloria mir wieder so einen unergründlichen Blick zuwirft. Eine Bitte? Worum? Der Blick lässt mich abrupt verstummen.
Sie rückt vom Tisch ab und steht auf. »Du weißt, wer mein Geschäftspartner ist?«
Selbst wenn ich hinter dem Mond leben würde, wüsste ich vermutlich, wer Glorias Geschäftspartner ist. Rory O’Sullivan ist fast so berühmt-berüchtigt wie Donald Trump. Er ist Milliardär, sammelt Luxusimmobilien, Kunst und Oldtimer. Er hat ein kleines Vermögen geerbt und es zu einem Riesenvermögen ausgebaut. Ich glaube, er steht auf der Liste der reichsten Leute Amerikas auf Platz fünf oder sechs.
All das geht mir blitzschnell durch den Kopf, während ich sage: »Ja, ich weiß, wer dein Geschäftspartner ist. Und?«
Gloria kehrt dem Fenster den Rücken, tritt vor die gegenüberliegende Wand und betrachtet sich in einem riesigen Spiegel mit Goldrahmen. Ich rücke vorsichtshalber weiter aus ihrem Blickwinkel. Sie befeuchtet mit der Zungenspitze ein Taschentuch und wischt sich vorsichtig das ruinierte Make-up vom Gesicht. Erst als sie damit fertig ist, strafft sie die Schultern und kehrt an den Schreibtisch zurück. »Bitte setz dich, Anna. Ich muss dir etwas sagen.«
Das klingt schon eher nach Gloria, wie ich sie kenne und hasse. Das »Bitte« ist eine reine Formalität. Die Königin hat mir soeben einen Befehl erteilt. Aber sie hat mich neugierig gemacht. Ich setze mich nicht, sondern lehne mich an die Wand, verschränke die Arme und nicke ihr zu.
»Was ich dir gleich sagen werde, muss unter uns bleiben«, beginnt sie. Sie wartet nicht ab, ob ich zustimme oder nicht. Wie üblich geht sie davon aus, dass ihr Wunsch dem Rest der Welt Befehl ist. »Rory und ich haben uns zusammengetan, um dieses Restaurant aufzubauen. Für ihn war das nur ein Geschäft von vielen. Für mich war es viel mehr. Ich habe darin eine Chance gesehen, den Sprung aus dem Geschäft mit der Schönheit in einen anderen Bereich zu schaffen.« Sie lächelt bescheiden. »Du hast ja keine Ahnung, wie stressig das Leben als Prominente sein kann. Du siehst nur den Glamour, die schönen Kleider und das Prestige …«
Sie lässt den Satz ausklingen, als warte sie auf meine Bestätigung. Aber ganz ehrlich: Wenn ich Gloria anschaue, sehe ich nur die Arroganz, die Einbildung und das Ego. Das verwöhnte, strohdumme Babe. Ich bedeute ihr mit einem Schulterzucken, dass sie fortfahren soll.
Sie missversteht die Geste als Zustimmung, fährt aber fort, und das wollte ich ja damit erreichen. »Rory schien der perfekte Partner für das Unternehmen zu sein. Er hat Erfahrung in der Gastronomie und ist bekannt genug, um einen Spitzenkoch zu bekommen. Er hat sich um alle Einzelheiten gekümmert, von der Einrichtung über die Getränkekarte bis hin zu den Küchenhilfen. Wir haben beide gleich viel Geld investiert, aber eigentlich wollte er etwas anderes von mir, nämlich mein Image und meine Kontakte. Dass ich mich hier sehen lasse, wenn ich in der Stadt bin, und meine Freunde aus dem Showgeschäft hier Stammkunden werden.«
Sie hält inne, außer Atem von der Anstrengung, diese Geschichte zu erzählen. Mit bebenden Lippen blickt sie zu mir auf. Gleich wird sie wieder in Tränen ausbrechen.
»Gloria, das ist alles nicht neu. Was soll das?«
Sie reibt sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel, als könnte sie damit die drohenden Tränen aufhalten. Sie holt tief Luft. Ich warte und zähle mit. Bis zehn, und wenn sie dann nicht endlich zur Sache kommt …
»Da ist noch etwas.«
Sie hat es gerade noch geschafft. Ich war schon bei acht.
»Rory erpresst mich.«
Ich platze mit der logischen Frage heraus: »Womit? Was hast du getan?«
Die alte Gloria blitzt hervor. »Das sieht dir ähnlich – erst einmal davon auszugehen, dass ich irgendwas getan habe. Warum fällt es dir so schwer, mich als Opfer zu sehen?«
Wenigstens hat sie nicht »unschuldiges Opfer« gesagt. Ich beuge mich zu ihr vor. »Für diese Antwort würde ich bis morgen brauchen.«
Sie runzelt die Stirn, und einen Moment lang glaube ich, dass sie jetzt zum Angriff übergehen wird. Doch wieder überrascht sie mich, indem sie zurückrudert. »Ich verstehe, wie du auf diese Idee kommst, aber du musst mir glauben. An dieser Sache habe ich wirklich keine Schuld.«
Ihr Tonfall klingt aufrichtig, sie zappelt nicht nervös herum und hält meinem Blick stand. Wäre es möglich, dass sie die Wahrheit sagt?
Ich versuche es anders. »Rory O’Sullivan ist sehr bekannt. Wenn er es riskiert, vor Gericht gestellt zu werden, weil er dich erpresst, muss er einen sehr guten Grund dafür haben. Um Geld geht es ihm sicher nicht. Was will er also?«
»Was glaubst du denn?« Gloria klingt mürrisch wie ein verwöhntes Kind und schmollt, als wäre die Antwort auf diese Frage ja wohl offensichtlich.
Für mich nicht. »Ich werde dir nicht alles einzeln aus der Nase ziehen, Gloria. Was will er von dir?«
Sie seufzt schwer und tief. »Er will, dass ich mit ihm schlafe.«
Eine Pause. Jetzt schaut sie doch weg. »Wieder.«
Er will was? Du lieber Himmel! Sag mal, willst du mich verarschen?« Ich kreische wie eine empörte Katze, ich kann nicht anders. Außerdem will ich mich auf sie stürzen. Es kostet mich gewaltige Anstrengung, nicht die Reißzähne zu blecken und laut zu heulen. Meine Faust trifft einen Klumpen Kristall auf dem Schreibtisch und schleudert ihn quer durch den Raum, so dass er an der Wand zersplittert.
»Du hast mich um einen wunderschönen Nachmittag mit meiner Nichte gebracht, nur wegen dieses Blödsinns?«
Gloria wirkt leicht verdutzt ob meiner Reaktion. »Dieser Briefbeschwerer war ein Geschenk von David. Du hast ihn kaputt gemacht.«
Ich schnappe mir ein weiteres Stück kristallenen Nippes und wiege es in der Hand. Nichts würde ich jetzt lieber tun, als ihr das Ding an den verlogenen Kopf zu werfen.
Sie hebt beide Hände vors Gesicht und weicht einen Schritt zurück. »Anna, bitte. Das ist eine ernste Sache. Rory lässt ein Nein nicht gelten. Er bedrängt mich. Er droht mir damit, zu David zu gehen. Ihm zu sagen, dass wir miteinander geschlafen haben. Du weißt doch, wie David darauf reagieren würde.«
»Ich weiß jedenfalls, welche Reaktion ich mir von ihm wünschen würde.«
Sie achtet nicht auf meine Worte. »Das würde ihn umbringen. Er könnte sich zu allen möglichen Dummheiten hinreißen lassen.«
Ich bebe vor Wut, halte das kristallene Was-auch-immer wie eine Waffe und rücke gegen sie vor. »Ich habe eine Idee. Ich erspare O’Sullivan die Mühe und sage es David selbst. Es wird mir ein Vergnügen sein.«
Gloria ist klug genug, nicht aufzubrausen, sondern erst eine Minute vergehen zu lassen und dann sehr zurückhaltend zu widersprechen. »Ich weiß, du magst mich nicht«, sagt sie leise. »Aber denk doch mal daran, wie weh das David tun würde. Er liebt mich immer noch.«
Ich blicke mit funkelnden Augen auf sie hinab. »Da bin ich nicht sicher. Nur du hast behauptet, er wolle wieder mit dir zusammen sein.«
Sie beugt sich vor und greift nach ihrer Handtasche, die sie öffnet, um ein Handy herauszuholen. Wortlos drückt sie auf Tasten, bis sie hört, was sie gesucht hat. Sie spielt die Nachricht noch einmal ab und hält mir das Telefon hin.
»Gloria. Hier ist David. Noch mal. Ich vermisse dich. Bitte ruf mich an. Ich weiß nicht, was ich getan habe, dass du so wütend auf mich bist, aber was es auch sein mag, gib mir eine Chance, es wiedergutzumachen. Bitte, Baby. Ich liebe dich.«
Sie lässt auch die Anruf-Info laufen. Die Nachricht ist vom vierzehnten Dezember, Viertel nach zehn. Heute Vormittag.
Sie legt das Handy auf den Schreibtisch und wartet auf meine Reaktion. Ihr Gesichtsausdruck ist sorgsam neutral gehalten. Das ist nur gut so, denn ein einziges Feixen, und sie bekäme dieses Kristalldings an den Kopf.
Ich fahre mir mit der freien Hand übers Gesicht, hole tief Luft und frage: »Was hat dich geritten, damit zu mir zu kommen? Dir muss doch klar gewesen sein, wie ich darauf reagieren würde.«
»Ganz einfach. Ich liebe David. Ich weiß, dass er dir auch sehr viel bedeutet. Du willst nicht, dass er verletzt wird.«
Ihre Antwort überrascht mich, oder vielleicht eher ihr Tonfall. Sie hört sich aufrichtig an, aber da ist noch etwas. Ein ungutes Gefühl kriecht mir den Nacken hoch.
»Hat Rory etwa damit gedroht, dass er mit David nicht nur reden will?«
Sie wendet den Blick ab.
Ich strecke die Hand aus, umfasse ihr Kinn und zwinge sie, mir ins Gesicht zu sehen. »Hat er das?«
Sie zuckt zurück und schnappt nach Luft. »Ich glaube nicht, dass er ihm wirklich etwas antun würde. Wenn du nur mit Rory reden würdest. Sag ihm, dass du damit zur Polizei gehen wirst oder an die Presse, wenn er mich nicht in Ruhe lässt. Sag ihm, dass du beste Beziehungen zur Polizei hast. Dass du ihn wegen Belästigung oder sonst irgendwas verhaften lassen wirst, wenn er mich nicht in Ruhe lässt. Auf dich wird er hören. Da bin ich sicher, denn du kannst ihn dazu zwingen.«
All das sprudelt in einem einzigen Schwall aus ihr hervor. Als sie fertig ist, trete ich vom Schreibtisch zurück – ich bringe mich in sichere Entfernung, denn sonst könnte ich dem Drang nachgeben, ihr eine zu scheuern, dass sie quer durchs Zimmer fliegt.
Ich drehe das Ding in meiner Hand herum und sehe, dass es eine kristallene Uhr ist. Nachdenklich werfe ich sie von einer Hand in die andere. Ich kenne O’Sullivan nur von Fotos, daher weiß ich nicht, wie groß oder kräftig er ist, aber mein Partner ist ehemaliger Football-Profi, und ich weiß, wie groß und stark David ist. Ich weiß auch, dass er sich sehr gut selbst verteidigen kann.
Aber beim Gedanken an die Fotos schießt mir ein weiteres Bild durch den Kopf wie eine Ratte, die aus einer Falle entwischt ist. »O’Sullivan ist verheiratet. Er war mit seiner Frau und seinem Sohn hier, als ihr das Restaurant eröffnet habt.«
Sie senkt den Blick. »Deshalb fand ich es ja harmlos, dieses eine Mal mit ihm zu schlafen.« Sie betont dieses eine Mal, als würde dadurch irgendetwas entschuldigt.
»Nicht zu fassen. Nur du kämst auf die Idee, Ehebruch harmlos zu nennen. Dann dreh den Spieß doch einfach um. Droh ihm damit, es seiner Frau zu sagen. Oder der Presse. Er hat ebenso viel zu verlieren wie du. Sogar noch mehr, denn in diesem Bundesstaat herrscht prinzipiell Gütergemeinschaft.«
Sie schüttelt den Kopf. »Das habe ich schon versucht. Er schert sich nicht darum. Er sagt, er und seine Frau hätten eine offene Ehe, und die Publicity könnte sogar gut sein. Für uns beide. Die Vorstellung, als Weiberheld zu gelten, gefällt ihm. Steigert noch sein Image als böser Junge, und wenn man uns als Paar sehen würde, könnte das dem Restaurant wirklich nur guttun. Anna, er ist nicht normal.«
»Aber du schon? Herrgott noch mal. Du betrügst David, und ich soll dir dabei helfen, es weiterhin vor ihm zu verbergen. Warum sollte ich das tun?«
Gloria zögert, und dann hellt sich ihre Miene auf, als fände sie es gut, dass ich ihr diese Frage stelle. »Ich weiß, was du denkst – wie das aussieht.« Hoffnung schimmert hörbar in ihrer Stimme. »An dem Abend, als es passiert ist, haben David und ich uns gestritten. Furchtbar gestritten. Ich war so hilflos, und Rory hat das ausgenutzt.«
Gloria, hilflos? Das kann ich nicht glauben. Eher glaube ich, dass ein Nilpferd sich von einem Floh bedroht fühlt. »Wann war das?«
»Vor ein paar Monaten. Du warst gerade … was weiß ich, was du immer tust, wenn du verschwindest.«
Sie unterbricht sich und zieht scharf den Atem ein. Zu spät.
»Willst du damit sagen, bei dem Streit wäre es um mich gegangen? Dass das alles irgendwie meine Schuld war?« Sie braucht nicht zu antworten. Es steht ihr ins Gesicht geschrieben. »Ach, Gloria, du musst wirklich strohdumm sein, wenn du glaubst, ich würde dir helfen.«
Ein langes, angespanntes Schweigen entsteht, während wir einander anstarren. Ich weiß nicht, warum ich nicht einfach gehe. Ich weiß nicht, warum ich mich noch nicht kreischend auf sie gestürzt habe, um ihr die Haare büschelweise auszureißen. Ich verstehe nichts von alledem, bis er kommt. Der Geistesblitz. Er muss in meinem Hinterkopf heraufgezogen sein, seit Gloria das Wort »Erpressung« gebraucht hat.
Das hier könnte genau die Gelegenheit sein, auf die ich gewartet habe.
Ich lächle. »Weißt du was, Gloria? Ich habe es mir anders überlegt. Ich werde mit Rory sprechen.«
Erleichterung lässt die Falten um ihren Mund weicher wirken, bis sie merkt, dass ich noch nicht ganz fertig bin.
»Im Gegenzug wirst du auch etwas für mich tun.«
Das finstere Gesicht ist wieder da.
Ich würde ihr zu gern sagen, dass sie für immer aus Davids Leben verschwinden soll, aber das steht mir nicht zu. Ich kann allerdings dafür sorgen, dass sie in meinem Leben nicht mehr vorkommt.
»Falls du und David euch tatsächlich versöhnt, wirst du mich nie wieder bei ihm miesmachen. Du wirst nie schlecht über unser gemeinsames Geschäft sprechen oder ihm einreden, er solle sich einen anderen Partner suchen. Du bist ab sofort mein größter Fan.«
Gloria macht den Mund auf, um zu protestieren, schließt ihn aber prompt wieder. Ich sehe förmlich, wie es in ihrem Spatzenhirn rattert. Sie versucht, dahinterzukommen, wie lange sie sich an diese Abmachung halten müsste.
»Für immer, Gloria.«
»Und wenn ich dazu nicht bereit bin?«
»Dann wirst du ab sofort von zwei Leuten erpresst.«
Jetzt ist sie es, die mich fassungslos anstarrt. Ich bin geduldig, denn ich bin unsterblich. Ich erwidere ihren Blick, bis sie zur einzig möglichen Schlussfolgerung kommt.
»Also schön. Ich bin einverstanden.«
»Wunderbar. Wo finde ich Rory?«
Sie stößt einen tiefen Seufzer aus. »Er kommt heute Abend hierher. Gegen Mitternacht. Kannst du dann hier sein?«
Gut. Ich will es so bald wie möglich hinter mich bringen. Ich lächle Gloria zähnefletschend an. »Eines sollte dir klar sein. Das ist eine einmalige Sache. Wenn du David jemals wieder betrügst …«
Gloria verschränkt mit einer matten Bewegung die Arme vor der Brust. »Du glaubst mir vielleicht nicht«, sagt sie. »Aber ich liebe ihn wirklich.«
Ich werfe ihr die Uhr zu, und sie stolpert beinahe über die eigenen Füße, um sie aufzufangen.
Sie hat recht. Ich glaube ihr nicht.
Als ich Gloria verlasse, bin ich so aufgedreht, dass ich es kaum aushalte. Meine Haut fühlt sich zu eng an, meine Nerven zischeln wie ein Stück freigelegte Leitung. Für einen Vampir gibt es nur eine Erleichterung bei so starker Anspannung. Na ja, zwei, genau genommen. Leider habe ich zurzeit keinen festen menschlichen Partner, und Gloria hat mich so wütend gemacht, dass ich mir bei irgendeinem ahnungslosen Mann selbst nicht trauen würde. Ich muss auf das Nächstbeste zurückgreifen. Trinken.
Auf menschliches Blut als Nahrung angewiesen zu sein, bringt gewisse Schwierigkeiten mit sich. Immerhin kann man nicht einfach in ein Krankenhaus spazieren und um eine Transfusion bitten. Und selbst wenn, würde das einem Vampir nichts nützen. Wenn Blut durch Schläuche gejagt und tiefgekühlt wird, verliert es seine Essenz, seine Lebenskraft.
Selbst zu jagen, kann schlimme Folgen haben. Dass es Vampire gibt, ist eine Tatsache, die vor dem Großteil der Gesellschaft streng geheim gehalten wird. Aber es gibt eine kleine Gruppe von Menschen, die nicht nur wissen, dass wir existieren, sondern sich auch der Mission verschrieben haben, uns auszulöschen. Hysterische Opfer oder ausgeblutete Leichen zu hinterlassen, ist eine todsichere Methode, unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Was soll ein Vampir also tun, wenn er frisches, warmes Blut direkt vom Spender braucht?
Zum Glück weiß ich da etwas.
Es ist kurz nach sechs, also habe ich noch reichlich Zeit. Beso de la Muerte ist eine mexikanische »Geisterstadt«, die auf keiner Karte verzeichnet ist. Von San Diego aus braucht man etwa eine Stunde dorthin, je nach Verkehrsaufkommen und dem Stau an der Grenze. Mein Durst ist groß, und mein Auto ist schnell. Ich schaffe es in fünfundvierzig Minuten.
Als ich in den Ort hineinfahre – falls man eine einzige unbefestigte Straße, gesäumt von baufälligen Holzhäusern, einen Ort nennen kann – sehe ich zu meinem Erstaunen drei Dutzend Motorräder vor dem Saloon stehen. Seit Beginn meines Daseins als Vampir komme ich schon hierher, und normalerweise steht hier ab und zu ein Auto. Aber so etwas habe ich noch nie gesehen.
Ich parke ein gutes Stück entfernt von meinem Ziel und gehe den Rest zu Fuß. Die Motorräder, sämtlich Harleys, glitzern im Licht des Halbmonds wie Juwelen. Softails. Fat Boys. Big Twins, Flatheads und Knuckleheads. Oldtimer und Custom-Bikes, für die ihre Besitzer eine Menge Geld hingeblättert haben.
Die dumpfen Bässe einer Heavy-Metal-Band stören die Stille in der Wüste. Ich kenne den Besitzer des Saloons, Culebra, und das ist nicht seine Art Musik. Er mag das schrille, fröhliche Heulen und Schrammeln mexikanischer Corridos. Wenn er bereit ist, das zu spielen, was ich gerade höre, dann nur deshalb, weil seine Gäste da drin ein Vermögen ausgeben.
Ich strecke vorsichtig meine geistigen Fühler aus – mal sehen, ob ich feststellen kann, wer oder was im Saloon ist. Ich spüre nichts, keine Vibrationen, die auf übersinnliche Wesen hindeuten. Rasende Lust springt gleichzeitig mit meinen Speicheldrüsen an. Menschen kommen aus zwei Gründen hierher: Sie sind willens, Vampiren als Wirt zu dienen, und/oder Culebra gewährt ihnen aus irgendwelchen Gründen seinen Schutz. Wenn diese Motorräder Menschen gehören, werde ich in jedem Fall bekommen, was ich brauche.
Während ich mich der Tür nähere, gehe ich die Möglichkeiten durch. Menschen sind nicht nur bereit, den Blutspender zu spielen, weil sie dafür bezahlt werden, sondern auch, weil das ein erotisches, extrem angenehmes Erlebnis ist. Wenn man als Vampir das Trinken mit Sex verbindet, steigt der Genuss um das Tausendfache. Ich habe eine Weile gebraucht, um meine Blockade zu überwinden, was die Kombination von Gelegenheitssex / Trinken von einem Fremden angeht. Inzwischen akzeptiere ich sie als Ironie des Schicksals. Die Natur nimmt dem Vampir die Möglichkeit zur Fortpflanzung, macht den Geschlechtsakt aber geradezu quälend genussvoll, so dass der Vampir nach Sex beinahe so sehr giert wie nach Blut.
Aber ich bin noch nicht bereit, es so zu machen wie die meisten meiner vampirischen Freunde – eine monogame Beziehung eingehen. Einen Menschen »heiraten«, um Partner und Wirt zugleich zu haben. Nicht, dass ich diese Möglichkeit hätte. Im Moment habe ich gar keinen festen menschlichen Freund.
Deshalb ja Beso de la Muerte.
Ich schiebe die Schwingtür auf. Drinnen riecht es nach Gras und Patchouli. Ich bin froh, dass ich nicht mehr atmen muss. Zwei tiefe Atemzüge, und ich wäre high.
Niemand achtet auch nur im Geringsten auf mich, während ich durch die Menge schlendere. Die meisten Gäste sind weiblich. Amazonen, von Kopf bis Fuß in Leder gekleidet und mit einem Emblem auf den Jacken, das ich noch nie gesehen habe – ein Wolf vor einem Vollmond. Sie sind laut. Gellendes Gelächter und schrille Stimmen erheben sich über das Wummern der Musik.
Ich sehe mich nach meinem Freund Culebra um. Er ist Gestaltwandler und führt diesen übernatürlichen Unterschlupf. Hinter der Bar ist er nicht. Sein sterblicher Angestellter und eine Frau, die ich nicht kenne, machen die Drinks. Ich sende einen mentalen Gruß aus.
Culebra? Bist du da?
Erst kommt keine Antwort, dann spüre ich eine leichte Regung im karmischen Gewebe, die sich wie Schrecken anfühlt.
Ich will ihr gerade zu ihrem Ursprung folgen, als Culebra aus dem Hinterzimmer geschossen kommt.
Was tust du hier, Anna?
Nicht gerade eine herzliche Begrüßung.
Ich freue mich auch, dich zu sehen.
Seine Bestürzung über meine Anwesenheit strahlt wie ein Leuchtfeuer. Seine Gedanken haben eine seltsame Schwingung, die ich nicht erkenne, und er hat die Verbindung zwischen uns blockiert, die mir erlauben würde, den Grund für diese Reaktion in seinen Gedanken zu sehen. Die geistige Barrikade lässt meine Frustration um eine weitere Stufe ansteigen.
Was ist denn los? Ich habe einen stressigen Tag hinter mir. Ich will trinken. Ich mache eine ausholende Handbewegung. Es sind doch reichlich Menschen da.
Er tritt dicht vor mich, und ich sehe den angespannten Zug um seinen Mund. Es gibt hier keinen Blutspender für dich. Du solltest gehen. Sofort. Komm morgen wieder.
Keinen Blutspender? Der Laden ist doch voll.
Nein, Anna. Du willst von niemandem hier trinken. Glaub mir.
Ich glaube ihm nicht. Das ist unsinnig. Dann erklär mir das lieber. Ich empfange keine geistigen Schwingungen. Hier sind keine Gestaltwandler, und ich spüre auch keine anderen Vampire. Ich halte inne, weil mir Zweifel kommen, und »koste« die Luft wie ein Hund, der einen Geruch wittert. Da ist etwas, das ich vorhin nicht bemerkt habe. Okay. Ein Vampir. Im Hinterzimmer. Sie trinkt. Warum kann ich dann nichts trinken?
Culebra hat ein Gesicht, mit dem Sergio Leone ihn als Bösewicht in einem seiner Spaghetti-Western gecastet hätte. Zerfurcht, abgekämpft, ausdrucksvoll.
Im Moment drückt es geradezu verschämte Verlegenheit aus – seltsam, denn er war für mich nie etwas anderes als ein guter Freund. Was könnte nur eine solche Reaktion hervorrufen?
Es sei denn, er versucht, mich vor etwas zu schützen – oder jemandem.
Wer ist da hinten?
Keine Antwort. Aber mir ist klar, dass ich auf etwas gestoßen bin. Er gibt sich solche Mühe, diese Information geistig vor mir zu verbergen, dass er die körperliche Bewegung hinter sich nicht wahrnimmt.