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In düsteren Nächten steigt er herab, um über diejenigen zu wachen, die den Kräften der Hölle hilflos ausgeliefert sind. Er ist der lautlose Wächter und sein Kampf hat eben erst begonnen.
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Veröffentlichungsjahr: 2014
Der Wind peitschte erbarmungslos gegen das graue Gemäuer der altgotischen Kathedrale, deren Gestein bereits Jahrhunderte überdauerte hatte. Regen prasselte auf das Haupt des stämmigen Gargoyles, der in luftiger Höhe auf seinem Sockel ruhte. Unzählige Jahre saß er schon dort und beobachtete das Geschehen und Treiben der Stadt. Er streckte seine Glieder, wie er es immer zu später Stunde tat, breitete die Flügel aus und gähnte laut. Durch die Nacht kehrte das Leben in seinen Körper zurück und verwandelte den Stein in Fleisch und Blut. Er hob den Kopf gen Himmel, öffnete den Mund und schmeckte den Regen auf seiner Zunge. Es hatte seit Wochen nicht mehr geregnet und das gegenwärtige Wetter war eine willkommene Abwechslung zu den vergangenen Tagen voller Sonnenschein und unerträglicher Hitze.
Der Gargoyle verharrte noch einige Minuten in seiner Position, bevor er federleicht in die Tiefe segelte, einen Bogen flog und lautlos über der Stadt kreiste. Die Nacht war weit vorangeschritten und es schien unwahrscheinlich, dass ihn jemand entdecken würde. Er erhob sich in die Lüfte, sank herab und landete geräuschlos auf dem regendurchnässten Boden einer Gasse.
Die Lichter in den Häusern waren längst gelöscht und keine Menschenseele war zu sehen. Wie auch in den Nächten zuvor schritt der Gargoyle durch die engen Straßen und wachte über das Wohl der Menschen, so wie er es immer schon getan hatte. Er beschützte die Bewohner und galt als lautloser Wächter der Lebenden. Solange er seinen Platz auf dem Podest der Kirche innehatte und in jeder Nacht herabstieg, würde den Menschen kein Leid widerfahren. Egal wie oft die Dämonen der Unterwelt auch versuchten, diesen Ort ins Unglück zu stürzen, der Gargoyle würde ihnen furchtlos entgegen treten.
Der Regen wurde stärker, prasselte geräuschvoll auf den Erdboden und breite Pfützen bildeten sich unter den Füßen des Steinwesens. Der Gargoyle schritt unbehelligt durch die Straßen und sah nach dem Rechten. In einigen Stunden würde die Sonne aufgehen und so blieb noch genügend Zeit, um den ausgiebigen Spaziergang zu genießen. Bisher verlief alles friedlich und niemand schien etwas von der nahenden Gefahr zu ahnen. Selbst der steinerne Wächter wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, welche Gefahr in dieser Nacht auf ihn und seine Schützlinge lauerte.
Völlig unbemerkt hatte sich eine schemenhafte Gestalt Zugang zur Stadt verschafft und schlich auf leisen Sohlen durch die Nacht. In gebückter Haltung bahnte sich das Wesen seinen Weg, auf der Suche nach einer armen Seele, die es ins Unglück zu stürzen galt. Zwei Hörner ragten der Kreatur aus der Stirn und die grün funkelnden Augen hielten aufmerksam nach einem geeigneten Opfer Ausschau. Das unheimliche Wesen war geradewegs der Hölle entsprungen und in einem Moment der Unachtsamkeit seitens der Wächter, in diese Welt entschlüpft. Bald würde eine sterbliche Seele sein Innerstes erfüllen, seine Kräfte stärken und sein Überleben auf Erden sichern. Der Dämon wusste, wie viel von seinem Vorhaben abhing. Ohne die nährende Kraft einer Seele würde er unweigerlich in den Schlund der Unterwelt zurückfahren. Die Wächter würden seinen wiederholten Fluchtversuch hart bestrafen.