Der Lotuseffekt - Joachim Krug - E-Book

Der Lotuseffekt E-Book

Joachim Krug

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Beschreibung

Während Hauptkommissar Jan Krüger in Leipzig einen Mord aufklären muss, übernimmt er auf Drängen des CIA-Chefs Tom Bauer die heikle Aufgabe, zwei ehemalige Kameraden aus der Gewalt eines syrischen Milizenführers zu befreien. Als die Mission zu scheitern droht, erhält der ehemalige Major die unerwartete Hilfe einer geheimnisvollen Schönheit. Doch schon bald beginnt Jan zu zweifeln, ob er dieser Frau, die sich Lotus nennt, tatsächlich vertrauen kann, oder ob sie ihn verraten wird? Kann er seine Freunde retten, oder führt ihn Lotus ins Verderben?

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Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.

Cover: »Red Addiction« von Ekaterina Moré

»Als Lotuseffekt bezeichnet man die selbstreinigende Wirkung von mikroskopisch fein genoppten Oberflächen, auf denen Wasser, ähnlich den Blättern der Lotusblume, nicht anhaften kann, sondern tröpfchenweise abperlt und dabei sämtliche Staub- und Schmutzpartikel entfernt.«

Die Mission war brisant, für alle Beteiligten lebensgefährlich und der Ausgang höchst ungewiss. Staff Sergeant Johnny Hendersson und Sergeant First Class Dean Morisson waren erfahrene Marines, die bereits im Irak und in Afghanistan für ihr Land gekämpft hatten. Die beiden hatten sich für diesen inoffiziellen Einsatz von der CIA anheuern lassen, obwohl sie schon seit einigen Jahren nicht mehr im Dienst waren. Aber wie viele Veteranen der U.S. Army, mussten sie jede Gelegenheit nutzen, um Geld zu verdienen. Der Staat kümmerte sich nicht um seine ehemaligen Helden. Traurig aber wahr.

Die beiden Black Hawks der U.S.-Army waren einige Stunden zuvor vom türkischen Nato-Stützpunkt Incirlik gestartet und hatten im Schutze der Dunkelheit die Grenze nach Syrien überflogen. Johnny Hendersson und Jimmy, wie Dean Morisson von seinen Freunden genannt wurde, weil er nicht nur den Nachnamen mit dem charismatischen Frontmann der Doors teilte, sondern weil er als glühender Fan jeden einzelnen Song mitsingen konnte und das mit einer Stimme, die seinem Vorbild geradezu frappierend ähnelte. Einige behaupteten sogar, dass er besser sänge, als der leider viel zu früh verstorbene Rockstar.

Die Männer wussten aus Erfahrung, dass die Gefahr groß war, jederzeit entdeckt und beschossen zu werden. Entweder würden die Syrer sie mit Boden-Luft-Raketen attackieren, oder die Helikopter würden von im Grenzgebiet patrouillierenden russischen Kampfflugzeugen vom Typ Mig-35 angegriffen.

Der Auftrag der bunt gemischten Truppe aus Veteranen und Marines war glasklar: So schnell wie möglich und mit hoher Durchschlagskraft ohne Rücksicht auf Verluste die Gebäude zu stürmen und die Zielperson zu töten. Um wen es sich dabei handelte, wussten Johnny und Jimmy nicht. War ihnen auch egal. Je schneller sie ihre Aufgabe erledigen würden, umso größer wäre ihre Chance, zurück in die Hubschrauber zu steigen und unversehrt nach Hause zu kommen.

Nach gut vierstündigem Flug, den die Black Hawks mit einer Geschwindigkeit von fast dreihundertfünfzig Stundenkilometern größtenteils im Tiefflug absolviert hatten, war das Ziel erreicht.

Die Hubschrauber flogen eine Schleife über das unter ihnen in völliger Dunkelheit liegende Gehöft und gingen direkt über dem Hof in Position, um die Männer aus etwa fünf Metern Höhe abzuseilen. Dies geschah in höchstem Tempo und mit größter Präzision, ebenso wie es die Soldaten unzählige Male trainiert hatten.

Dabei stießen sie auf keinerlei Gegenwehr, obwohl die Mudschaheddin die Hubschrauber längst gehört haben mussten. Nachdem das waghalsige Manöver in wenigen Minuten absolviert worden war, sicherten die Marines den Innenhof des Areals.

»Hier stimmt was nicht. Diese Totenstille stinkt doch zum Himmel, verdammt«“, fluchte Johnny.

Noch immer war nichts von ihren Gegnern zu sehen. Kein Licht, keine Stimmen, keine verdächtigen Geräusche. Nichts. In und um die Gebäude herum war alles still und dunkel. Doch diese Ruhe war erfahrungsgemäß trügerisch. War das die Ruhe vor dem Sturm?«, fragte sich Jimmy.

Dann erteilte der Commander den Befehl, das Hauptgebäude zu stürmen und alle Männer, die Widerstand leisteten, zu töten. Die Marines feuerten Blend- und Rauchgranaten durch die Fenster, sprengten das hölzerne Eingangsportal und stürmten, mit Atemschutzmasken und Infrarotsichtgeräten ausgerüstet, in das stockdunkle Gebäude.

Bereits nach wenigen Minuten war klar, dass das Haus menschenleer war. Offensichtlich waren die Mudschaheddin rechtzeitig gewarnt worden und hatten das einsam gelegene Gehöft längst verlassen.

Während die Marines das Gebäude unverrichteter Dinge räumten und sich im Innenhof sammelten, um von den Helikoptern aufgenommen zu werden, setzte der Commander eine kurze Meldung über den Fehlschlag ihrer Mission ab.

Plötzlich brach von einer Sekunde auf die andere die Hölle los. Eine Rakete schlug frontal in den Hubschrauber ein, als es gerade den ersten Soldaten gelungen war, zurück an Bord zu kommen. Ein greller Lichtblitz, ein ohrenbetäubender Donner und der Black Hawk war nur noch ein Feuerball, der kurz gleißend hell aufflackerte und dessen Einzelteile dann in einer Gischt von glühenden Funken durch die Luft flogen, als schwärmte in der Dunkelheit ein Bataillon von Leuchtkäfern aus.

Johnny und Jimmy mussten beinahe hilflos mitansehen, wie plötzlich eine fanatisch brüllende Horde angriffslustiger Gotteskrieger den Innenhof stürmte und auf die Soldaten feuerte, die sich zwar mit aller Macht zur Wehr setzten, aber gegen die Überzahl der Angreifer auf verlorenem Posten standen.

Währenddessen versuchte der zweite Black Hawk unter starkem Beschuss über dem Areal in Stellung zu gehen, um so viele Männer wie möglich zu retten. Der Co-Pilot feuerte mit dem Bordgeschütz auf die Angreifer, die er in der Dunkelheit allerdings nur vage am Mündungsfeuer ihrer Maschinenpistolen ausmachen konnte. Dabei lief er stets Gefahr, auch seine eigenen Leute zu treffen.

Der Commander blies verzweifelt zum Rückzug, doch seine Männer hörten ihn nicht mehr.

Sekunden später ging auch der zweite Black Hawk in Flammen auf, explodierte, stürzte wie ein nasser Sack zu Boden und riss dabei die Außenmauer des Areals ein.

Johnny versuchte zusammen mit den letzten überlebenden Marines über die Trümmer der eingerissenen Mauer ins Freie zu gelangen und zu fliehen. Er hatte Jimmy im Eifer des Gefechts aus den Augen verloren. Doch die Mudschaheddin setzten nach und ließen sie nicht entkommen. Er spürte einen harten Schlag am Hinterkopf und stürzte zu Boden.

Als der Commander versuchte, einen letzten verzweifelten Hilferuf über sein Satellitentelefon abzusetzen, traf ihn eine Kugel mitten in die Stirn.

Dann wurde es plötzlich still, totenstill. Die Mudschaheddin hatten das Feuer eingestellt. Die Flammen der abgeschossenen Helikopter flackerten leise knisternd in der rauchgeschwängerten Dunkelheit.

Das Massaker war beendet. Die Marines waren in einen Hinterhalt geraten und erbarmungslos abgeschlachtet worden. Wer für diesen Verrat verantwortlich war, würde sich wahrscheinlich niemals herausstellen.

Fakt war, dass die nächtliche Geheimoperation der US-Marines gescheitert war und in einem Desaster geendet hatte. Wahrscheinlich hatte kein Soldat dieses blutige Gemetzel überlebt.

Tage später zeigten Satelliten Aufnahmen des Einsatzgebietes und sendeten Bilder des Grauens. Die Trümmerteile der Hubschrauber lagen weit verstreut auf dem Boden. Dazwischen waren die Körper toter Soldaten zu erkennen, oder das, was von ihnen übrig geblieben war.

Durch den kompletten Rückzug der U.S.-Truppen aus Syrien war ein Einsatz von Drohnen nicht möglich gewesen, ohne diesen vorher bei den Syrern und Russen anzumelden. Doch nach Lage der Dinge hätten die Amerikaner keine Erlaubnis erhalten. Das Risiko, trotzdem einen Drohnenangriff zu befehlen, war zu groß gewesen, da die Russen die Drohne als feindliches Flugobjekt eingestuft und mit großer Wahrscheinlichkeit abgeschossen hätten.

Die insgesamt dreizehn US-Marines wurden offiziell als im Kampf gefallen oder vermisst gemeldet. Über die Umstände, die zum Tod der Soldaten geführt hatten, wurden keine Angaben gemacht. Dass sie Opfer einer verfehlten politischen Strategie geworden waren, würde nirgendwo kritisch erwähnt werden.

Die Akte über diesen Einsatz, der in einer Katastrophe geendet hatte, würde als »Top Secret« eingestuft und auf Nimmer Wiedersehen in den Geheimarchiven der CIA verschwinden, wo sie neben vielen anderen Dokumenten über gescheiterte Militäroperationen in den Regalen verstauben würde.

Niemand würde je mehr ein Wort über dieses nächtliche Desaster in der Einöde des kargen syrischen Südostens verlieren.

Jan stand im Nieselregen und wartete darauf, dass er endlich starten konnte. Er hatte nicht die geringste Ahnung, wie lange Rico Steding benötigen würde, um die Strecke von fünfzehn Kilometer mit dem Rad zurückzulegen. Klar, der Leiter der Leipziger Mordkommission fuhr im Sommer regelmäßig mit dem Fahrrad ins Büro, aber ansonsten machte er keinen besonders fitten Eindruck. Fastfood, Zigaretten und viel zu viel Kaffee hatten so ihre Spuren hinterlassen.

Hannah war vor gut einer Stunde am Bootsverleih am Kulkwitzer See in Grünau ins Wasser gesprungen, um tausend Meter zu schwimmen und hatte damit den Mannschaftstriathlon der Landespolizei des Freistaates Sachsen eröffnet.

Jans Freundin war zu DDR-Zeiten eine gute Schwimmerin gewesen. Sie hatte es als Jugendliche sogar bis in den Landeskader geschafft und war zweimal sächsische Meisterin über 100 Meter Freistil geworden. Und sie war immer noch topfit, obwohl sie eigentlich kaum noch sportlich aktiv war.

Sie würde sicher als eine der ersten aus dem Wasser kommen und an Rico übergeben. Jan war gespannt, wie lange der für die Distanz von Grünau bis zum Clara-Zetkin-Park benötigen würde. Die Strecke war nicht besonders anspruchsvoll, es gab weder Steigungen noch verwinkelte Kurven, allerdings musste man auf dem nassen Asphalt schon ein wenig aufpassen, um nicht wegzurutschen und zu stürzen.

Die Idee, an diesem Wettbewerb teilzunehmen, kam von Polizeioberrat Horst Wawrzyniak. Er forderte sogar, dass jedes Dezernat ein Team stellen sollte und wünschte sich, dass die Leipziger Polizei nach vielen Jahren der Erfolglosigkeit in diesem Wettbewerb endlich mal auf dem Treppchen stehen würde.

Da sich niemand freiwillig meldete, redete Waffel, wie ihn seine Leute hinter vorgehaltener Hand nannten, seinem Freund Rico ins Gewissen und überzeugte ihn schließlich, zusammen mit Hannah und Jan ein Team zu bilden.

Er selbst konnte noch eine Mannschaft aus dem Drogen- und Sittendezernat auf die Beine stellen, sodass am Ende zwei Teams aus dem Revier an der Dimitroffstraße am Wettbewerb teilnahmen.

Jan sah auf die Uhr, als die ersten Fahrer in Sichtweite kamen, um am Brahmsplatz an die Läufer zu übergeben. Rico erreichte nur kurz hinter dem Führenden als Sechster die Wechselmarke.

Er nickte seinem Kollegen zu und hob anerkennend den Daumen. Rico hatte sich mit seinem alten Tourenrad für seine Verhältnisse richtig ins Zeug gelegt und mit den anderen, jüngeren Kollegen überraschend gut mitgehalten.

Jan sah sich um und brauchte nicht lange, um festzustellen, dass er wohl einer der Älteren war, der gleich auf die Laufstrecke gehen würde. Normalerweise benötigte er für diese Strecke eine knappe halbe Stunde, ohne sich dabei besonders anstrengen zu müssen. Dabei wollte er es auch belassen, weil es gegen die weitaus jüngere Konkurrenz ohnehin wenig Sinn machen würde, das Letzte aus sich herauszuholen. Am Ende hätte er so oder so keine Chance.

Die Laufstrecke führte vom Brahmsplatz durch den Clara-Zetkin-Park hindurch bis zur Rennbahn Scheibenholz, die einmal umrundet werden musste, um dann zurück zum Ausgangspunkt zu gelangen.

Jan versuchte auf den ersten Metern in der Spitzengruppe von fünf Läufern dabei zu sein und möglichst lange mitzuhalten. Das Tempo war für seine Verhältnisse extrem hoch, aber wie so oft, half ihm das Adrenalin, das seine Nebennieren unter erhöhten Wettkampfbedingungen ausschütteten, die Leistung zu steigern.

Auch nach der Hälfte der Strecke war er noch vorn mit dabei. Doch dann geschah etwas, das ihn für einen Moment aus der Fassung zu bringen drohte.

Eine weitere Gruppe von Läufern hatte mittlerweile zur Spitze aufgeschlossen und setzte zum Überholen an. Jan sah über die Schulter zur Seite, als der Kollege Krause von der Sitte an ihm vorbeizog und ihn dabei provozierend angrinste.

»Wir sehen uns bei der Siegerehrung, Krüger. Trotzdem, nicht schlecht für 'nen alten Bock.«

Jan musste schlucken. Ausgerechnet dieser Krause, mit dem es immer wieder Ärger gab. Die beiden waren in den vergangenen Jahren öfter aneinandergeraten, weil Krause zusammen mit seinem Kollegen Jungmann kaum eine Gelegenheit ausgelassen hatte, ihn herauszufordern.

Zu Beginn seiner Dienstzeit in Leipzig, hatte Jan den beiden Unruhestiftern auf dem Flur des Präsidiums eine Abreibung verpasst, als sie ihn mit dummen Sprüchen provozierten und ihm dabei bedrohlich nahe gekommen waren. Anschließend mussten die drei bei Waffel antanzen, der ihnen gehörig den Marsch blies und sie zur Ordnung rief. Allerdings ließ der Chef Jan gegenüber etwas später durchblicken, dass es ihm nicht ganz unrecht war, dass diesen beiden Querulanten mal die Grenzen aufgezeigt worden waren. Mittlerweile hatte sich das Verhältnis der Streithähne zwar längst normalisiert, aber verarschen lassen wollte sich Jan von diesem Krause trotzdem nicht.

Und jetzt musste er dabei zusehen, wie ausgerechnet Krause triumphierend an ihm vorbeizog und dabei noch einen dummen Spruch kommen ließ? Klar, Krause war gut zehn Jahre jünger als er, aber nicht gerade ein Athlet. Er war nicht besonders groß, deutlich zu dick und machte einen eher unsportlichen Eindruck. Wie konnte es sein, dass ausgerechnet dieser Typ ihn derart distanzieren würde?

Nee, so nicht, Freundchen, dachte Jan und heftete sich an Krauses Fersen. Es waren noch etwa zwei Kilometer zu absolvieren und zu seinem Entsetzen wurde der Kollege von der Sitte eher noch schneller, als dass er nachlassen würde. Wieso konnte dieser kleine Fettsack so rennen, verdammt?, fragte sich Jan.

Als das Ziel in Sichtweite kam, explodierte das Tempo von einer Sekunde auf die andere. Die letzten zweihundert Meter legte die Spitzengruppe im Sprint zurück. Jan musste abreißen lassen, aber auch Krause konnte nicht mehr Schritt halten. Im Gegenteil, plötzlich kam Krauses Motor ins Stocken, als wäre er dabei, die allerletzten Tropfen Sprit zu verbrennen um danach seinen Dienst zu quittieren.

Zu seiner Überraschung musste Jan nur noch sein Tempo durchlaufen, um schließlich als Sechster in Ziel zu kommen. Deutlich vor Krause.

Als der nach ihm als Siebter die Ziellinie passierte, zuckte Jan mit den Schultern.

»Schade, Krause, aber 'n Versuch war's wert«, zwinkerte er ihm zu.

»Was ist denn los?«, fragte Hannah, die zusammen mit Rico am Ziel auf Jan gewartet hatte und gerade noch hörte, was er zu dem Kollegen von der Sitte gesagt hatte. »Gab's Ärger?«, wollte sie wissen.

»Nee, alles gut. Krause dachte nur, er wäre schneller als ich«, grinste Jan.

Hannah schmunzelte, sah auf ihre Uhr und nickte. »Knapp unter zweiundzwanzig Minuten. Respekt, Großer, da muss dich Krause aber mächtig geärgert haben.«

»Tja, ich mag es eben nicht, wenn man mich dämlich von der Seite anquatscht«, keuchte Jan noch immer außer Atem und nahm Hannah in die Arme. »Gibt's hier irgendwo 'n Sauerstoffzelt?«, scherzte er.

»Hey, Platz sechs von fünfundzwanzig Mannschaften. Nicht schlecht für das mit Abstand älteste Team, super«, triumphierte Rico Steding und klopfte seinen Mitstreitern abwechselnd auf die Schulter.

»Und das trotz eines betagten Sonntagsfahrers«, lachte Hannah.

»Hey, was soll das denn heißen? Ich hab Vollgas gegeben und bin als Fünfter an die Wechselmarke gekommen«, meckerte Rico.

»Hab gehört, dass Hannah den anderen glatte zwei Minuten abgenommen hat. »Was hast du eigentlich mit dem Vorsprung gemacht? Unterwegs ein Eis gegessen?«, flachste Jan.

»Ha, was sollte ich denn gegen die Profis mit ihren Hightech-Maschinen ausrichten? Die Dinger laufen ja fast von allein. Mit 'ner Drei-Gang-Schaltung gegen die anzutreten, ist so, als willst du mit 'nem Trabi 'n Ferrari überholen.«

»Was soll’s, Jungs, haben uns doch super verkauft. Haben die von der Sitte hinter uns gelassen, sind sozusagen Reviermeister.«

»So isses, Hannah«, fand Rico.

Jan nickte und wischte sich den Schweiß von der Stirn, als sein Blick auf die andere Straßenseite fiel. Er kniff kurz die Augen zusammen, dann schüttelte er ungläubig den Kopf.

Am Straßenrand stand ein grauer Van. Ein Mann in einem dunklen Anzug lehnte lässig an der Fahrertür und sah zu Hannah, Rico und Jan herüber.

»Der Typ da drüben sieht aus wie Steven«, war auch Hannah, die Jans Blick gefolgt war, auf den Mann aufmerksam geworden.

Der Bürgermeister von Riverton war stolz. Endlich konnte der Grundstein für das neue Casino gelegt werden, das den Indianern des White River Indian Reservats eine neue, dringend notwendige Geldquelle erschließen würde. Dies würde die Kommune Riverton und den Bundesstaat Wyoming finanziell enorm entlasten, denn nun konnten die Indianer die Kosten für den dringend notwendigen Ausbau der maroden Infrastruktur des Reservats selbst tragen. Dass sich der Baubeginn des Spielcasinos so lange hinausgezögert hatte, lag an einer kleinen Gruppe von Arapaho-Indianern, die der Meinung waren, dass das Casino auf heiligem Boden stehen würde. Die Landzunge im Ocean Lake war eine Kultstätte der Arapaho und damit dem Großen Geist, dem Schöpfer von Himmel und Erde geweiht. An diesem Ort hielten die Indianer des Reservats regelmäßig ihre Zeremonien und Rituale ab. Dass dieser heilige Boden nun der Geldgier des weißen Mannes geopfert werden sollte, konnten und wollten die Arapaho nicht zulassen. Jedenfalls nicht diese kleine, militante Gruppe unter der Führung eines Cheyenne, ehemals die engsten Verbündeten der Arapahos.

Der Gouverneur von Wyoming, Michael Gordon, ein gutaussehender, smarter Endvierziger, nutzte jede sich bietende Gelegenheit, um herauszustellen, wie wichtig dieses neue Spielcasino für die Indianer im Reservat sein würde. Dass der Bundesstatt Wyoming und die Stadt Riverton kräftig mitverdienen würden, ließ er unerwähnt. Und dass sich Michael Gordon und Ronald B. Warm, der Bürgermeister von Riverton, ebenfalls die Taschen vollmachen würden, war schon überhaupt kein Thema. Warm war optisch das Gegenteil zu Gordon. Er war bereits Mitte sechzig, klein, dick und bis auf einen dünnen, grauen Haarkranz, nahezu kahlköpfig. Das ungleiche Paar hatte Ähnlichkeit mit Pat und Patachon, einem dänischen Komikerduo aus der Stummfilmzeit. Die beiden Politiker vergaben die Bauaufträge unter der Hand an diejenigen Firmen, die ihnen die größten Provisionen zahlten.

Doch das spielte jetzt alles keine Rolle mehr. Heute war endlich der große Tag der Grundsteinlegung. Michael Gordon hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass die Medien ausführlich über dieses große Ereignis berichten würden. Und damit die Störenfriede gar nicht erst auf die Idee kommen würden, an der Spitze der Landzunge des Ocean Lakes aufzukreuzen und Ärger zu machen, hatte Gordon eine Einheit der Park-Ranger sowie Polizisten des Riverton Police Departments zur Sicherung des reibungslosen Ablaufs der Grundsteinlegung angefordert.

Der Vertreter des Reservats, Häuptling White Eagle, ein großer, hagerer Indianer, der mit bürgerlichem Namen Edward Manahan hieß und bereits auf die achtzig zuging, vertrat die große Mehrheit der Arapahos und Shoshonen, die im White River Reservat lebten und die den Bau des Casinos befürworteten. Natürlich hatten Gordon und Warm im Vorfeld dafür gesorgt, dass Manahan alles dafür tun würde, seine Leuten von dem großen Nutzen des neuen Casinos zu überzeugen. Dafür hatten sie ihm eine Beteiligung an den Provisionen versprochen, die dem Häuptling mehrere tausend Dollar einbringen würden.

Als Bürgermeister Ronald B. Warm seine Rede vor den etwa einhundert geladenen Gästen begann, schien die Veranstaltung einen friedlichen Verlauf zu nehmen. Er bedankte sich bei allen Beteiligten für ihre Unterstützung und lobte ausführlich das Engagement von Gouverneur Gordon und Häuptling White Eagle, ohne die dieses zukunftsweisende Projekt nicht möglich gewesen wäre. Nichts deutete darauf hin, dass es noch zu irgendwelchen Zwischenfällen kommen würde und so kam der Bürgermeister schließlich zum Ende seines Vortrages.

»Verehrte Gäste, meine lieben Freunde, nun möchte ich Gouverneur Michael Gordon bitten, uns die Ehre zu erweisen, den ersten Spatenstich zur Errichtung dieser wunderbaren Anlage auszuführen.«

Fragen der Presse waren nicht zugelassen. Eine kritische Berichterstattung wäre jetzt das Letzte, was Gordon und Warm gebrauchen konnten. Man hatte keine Kosten und Mühen gescheut, ein Pressezelt zu errichten, in dem eine mehr als großzügige Bewirtung der Medienvertreter stattfand.

Als Gouverneur Gordon gerade ansetzte, um sich bei Bürgermeister Warm für die Ehre des ersten Spatenstichs zu bedanken, wurde es plötzlich still. Von einer Sekunde auf die andere verstummte das Gemurmel der Gäste und Medienvertreter. Ein Park-Ranger tippte dem Gouverneur auf die Schulter.

»Wir bekommen Besuch, Sir«, zeigte er in Richtung einer Gruppe von Indianern, die sich langsam auf sie zu bewegte.

»Verdammt, wie sind die denn durch die Absperrungen gekommen?« Er raunzte den Park-Ranger an. »Sorgen Sie dafür, dass die Typen verschwinden, aber schnell.«

Aber dafür war es bereits zu spät. Die Medienvertreter hatten bereits ihre Kameras auf die Indianer gerichtet. Alles, was jetzt geschehen würde, würde nun unter den Augen einer breiten Öffentlichkeit vonstatten gehen.

Die Indianer stoppten ihre Pferde etwa fünfzig Meter vor dem Bauplatz. Sie hatten Federschmuck angelegt und Kriegsbemalung aufgetragen.

Die Polizisten und Park-Ranger rückten vor und stellten sich ihnen in den Weg.

»Wir möchten sie dringend bitten, umzukehren und diese öffentliche Veranstaltung nicht zu stören. Sie haben unerlaubt die Absperrungen überwunden.«

Einer der etwa fünfzehn Indianer, ein großer, drahtiger Bursche mit wallender schwarzer Mähne, in der bereits einige graue Haare glänzten, ritt ein paar Meter nach vorn und rief etwas in einer Sprache, die keiner der Anwesenden verstand. Doch der, dem die Worte galten, verstand sehr gut.

»Wer ist dieser Kerl und was quatscht der da, Manahan?«, wollte der Gouverneur wissen.

»Das ist der Häuptling der Cheyenne, James Maynard Deville. Er will, dass wir sofort die geweihte Erde verlassen.«.

»Wie bitte? Was fällt diesem Indianer ein? Dieses Land gehört immer noch dem Bundesstaat Wyoming und steht unter der Verwaltung der Stadt Riverton.

Sagen Sie das dem Kerl und dann soll er gefälligst verschwinden, sonst werden wir diese Leute festnehmen und einsperren, bis sie wieder zur Vernunft gekommen sind«, tobte der Gouverneur.

»Bleib ruhig, Michael«, flüsterte ihm Bürgermeister Warm ins Ohr und musste sich dafür auf Zehenspitzen stellen. »Lass uns einfach weitermachen. Sollen die eben da stehenbleiben, wen stört’s. Wenn die sich nicht benehmen, werden wir sie vertreiben.«

»Hm, naja, wahrscheinlich hast du recht, ignorieren wir diese Bastarde einfach«, tuschelte Gordon.

Edward Manahan wandte sich an Maynard Deville, um ihm zu übersetzen, was der Gouverneur ihm aufgetragen hatte.

»Warum sprichst du kein Englisch?«, fragte Maynard Deville. »Dein Cheyenne ist miserabel. Vielleicht versuchst du es mal mit Arapaho oder Blackfoot. Diese Sprachen sind verwandt mit Cheyenne, wenn du dich daran noch erinnern kannst. Du bist ein Verräter, White Eagle. Du hast deine Leute getäuscht und den Weißen unsere heilige Erde verkauft. Wie viel haben sie dir dafür gezahlt? Der Große Geist wird dich bestrafen. Für diesen Verrat wirst du bezahlen.«

»Was willst du hier, Maynard? Das ist allein die Angelegenheit der Arapahos und Shoshonen. Geh nach Haus zu deinen Leuten, den Cheyenne. Du hast hier nichts verloren«, antwortete White Eagle auf Englisch.

»Der große Häuptling Washakie, von dem du erzählst, dass du sein Nachkomme wärst, wird dich bestrafen, wenn du ihm eines Tages in den ewigen Jagdgründen begegnen wirst. Diesen Verrat wir er nicht ungesühnt lassen«, prophezeite Maynard.

»Kommen Sie, Manahan, hören Sie mit diesem Kauderwelsch auf. Die Park-Ranger und die Polizei haben die Lage unter Kontrolle. Lassen Sie uns die Sache hier zu Ende bringen«, unterbrach ihn der Bürgermeister.

»Meine Damen und Herren, bitte entschuldigen sie diesen kleinen Zwischenfall«, trat Ronald B. Warm wieder ans Mikrofon. »Wir fahren jetzt fort. Bitte Herr Gouverneur, walten Sie ihres Amtes und führen Sie den ersten Spatenstich als Zeichen des Beginns der Baumaßnahmen für das neue Spielcasino aus.«

Mittlerweile hatte sich die Presse wieder der Veranstaltung zugewandt. Alle Kameras richteten sich auf Gouverneur Gordon, als der den Spaten in die Hand nahm und ihn in den Boden rammte. In dem Moment, als er gerade den Boden ausheben wollte, zischte ein Pfeil durch die Luft, durchbohrte die Hand des Politikers und blieb im Holzstil des Spatens stecken, der jetzt wie angetackert an der Hand des Gouverneurs heftete.

Ein Aufschrei des Entsetzens machte die Runde. Die Menge starrte erst auf den verletzten Gouverneur, dann auf diesen mächtigen, angsteinflößenden Indianer, der seinen Bogen in die Höhe streckte und einen triumphalen Schrei ausstieß. Die Park-Ranger und die Polizei rückten vor und wollten die Indianer zurückdrängen. Dann plötzlich viel der erste Schuss. Einer der Polizisten hatte einen Warnschuss gen Himmel gefeuert. Unter den Gästen brach Panik aus. Einige warfen sich zu Boden, andere suchten Schutz im Pressezelt oder versuchten, zurück zu ihren Fahrzeugen zu laufen.

Die Indianer trieben ihre Pferde an, ritten durch die flüchtenden Menschen hindurch auf den Platz der Grundsteinlegung und trampelten alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Maynard sprang von seinem Pferd, packte den Gouverneur und zog ihm den Pfeil aus der Hand. Michael Gordon starrte ihn mit großen Augen an. Dann sackte er vor Schmerzen zusammen. Als Maynard ihm aufhelfen wollte, krachte ein heftiger Schlag auf seinen Hinterkopf.

Wenige Minuten später hatten die Ranger und die Polizei die Lage wieder unter Kontrolle. Maynard Deville wurde zusammen mit drei weiteren Indianern festgenommen, der Rest der Gruppe konnte flüchten.

Das Wiedersehen war großartig. Hannah lief auf Steven zu, umarmte ihn herzlich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange.

»Hey, Mann, was geht?«, fragte Jan und schüttelte seinem Freund die Hand.

»Alles okay, Großer, hatte Sehnsucht nach euch«, lachte Steven.

Rico Steding trat aus Jans Schatten und reichte Steven die Hand. »Das ist ja mal 'ne freudige Überraschung. Special Agent Steven Goldblum auf Besuch in Leipzig.« »War zuerst im Präsidium. Da hat man mir gesagt, wo ihr seid und was ihr macht. Respekt, Freunde, das war eine super Leistung. Und das in eurem Alter!«

»Tja«, grinste Jan, »wir wollen ja nicht einrosten. Aber Hannah hat ja unseren Altersschnitt kräftig nach unten gedrückt. Hat das Schwimmen übrigens deutlich für sich entschieden und dabei die Konkurrenz quasi pulverisiert.«

»Stimmt, aber mit 'nem Sonntagsfahrer und 'nem Hobbyjogger im Team kann man natürlich keinen Blumentopf gewinnen«, grinste Hannah.

Jan nickte. »Ist wohl wahr, aber mal ehrlich, Steven, du bist doch nicht mal eben aus Washington gekommen, um uns einen Überraschungsbesuch abzustatten, oder?«

»Typisch Schwarzer Drache, immer skeptisch hinter die Kulissen blickend. Dich hinters Licht zu führen, hat bisher noch keiner geschafft.«

»Ist wohl einer der Gründe, warum ich noch am Leben bin«, meinte Jan.

Steven nickte. »Stimmt. Wir haben so manche brenzlige Situationen nur deshalb überstanden, weil wir unseren Gegnern immer einen Zug voraus waren.«

»Mag sein, aber wichtiger war noch der siebte Sinn unseres Freundes Maynard. Ohne den Devil würden wir heute unser Wiedersehen wahrscheinlich Harfe spielend auf Wolke sieben feiern.«

Im Hintergrund hatte gerade die Siegerehrung begonnen, als Polizeioberrat Wawrzyniak die Straße überquerte und freudestrahlend auf die Gruppe um Jan zusteuerte.

»Na, wenn das nicht unser Freund Special Agent Steven Goldblum ist, fress ich 'nen Besen. Herzlich Willkommen in Leipzig, schön Sie Wiederzusehen. Was führt Sie zu uns?«

»Bin nur mal eben auf einer Stippvisite, Herr Wasch…, äh, Wa…«

»Horst, das ist einfacher, Steven«, half der Polizeioberrat.

Steven nickte. »Ja, danke, …Horst.«

»Vorschlag«, sagte Jan. »Wir ziehen uns um und fahren dann zum Italiener. Hab Hunger wie 'n Wolf. Nach dieser Leistung können wir heute doch mal ein bisschen eher Dienstschluss machen, Chef, oder?«

»Hätte euch natürlich lieber auf dem Treppchen gesehen, aber meinetwegen. Aber nur, wenn ihr mich mitnehmt. Haben uns sicher 'ne Menge zu erzählen.«

»Wie lange kannst du bleiben, Steven?«, wollte Jan wissen.

»Hm, muss morgen wieder nach Frankfurt zurück. Am Nachmittag geht's von der Air Base aus wieder nach Washington.«

»Prima, du schläfst natürlich bei uns«, bot Hannah an.

»Oh, danke für die Einladung, aber ich habe schon ein Zimmer im Lindner gebucht. Will morgen in aller Frühe aufbrechen und euch nicht um euren wohlverdienten Schlaf bringen.«

»Kommt ja gar nicht...«

»Hannah, bitte, du kennst unseren Freund immer noch nicht richtig, oder?«

»Wie ihr wollt. War ja nur ein Angebot.«

»Vielen lieben Dank, Hannah, das weiß ich zu schätzen«, sagte Steven.

Gerade hatten die Sieger aus Chemnitz das Podium verlassen, als der Veranstalter eine weitere Ehrung ankündigte.

»Die Ausrichter des diesjährigen Wettbewerbs haben im Vorfeld der Veranstaltung beschlossen, den Ehrenpreis für das beste Ü-50 Team zu verleihen. In diesem Jahr erhält das Team der Mordkommission Leipzig diesen Preis für einen herausragenden sechsten Platz im Gesamtklassement. Wir möchten euch auf die Bühne bitten, liebe Freunde.«

»Waaas? Na, das ist ja…, das ist ja fantastisch. Einfach wunderbar«, war Waffel aus dem Häuschen.

Jan klopfte Rico auf die Schulter. »Das ist dein Part, Chef.«

Rico grinste wie ein Honigkuchenpferd, als er den Preis entgegennahm.

»Tja, Herr Polizeioberrat, da ist das Ding. Aufgabe erfüllt, würde ich sagen. Dann werden wir wohl oder übel unseren Titel im kommenden Jahr verteidigen müssen. Vielen Dank, auch im Namen meiner Kollegen«, bedankte sich Rico und reckte stolz den Pokal in die Höhe.

Eine Stunde später saßen Hannah, Jan, Rico, Waffel und Steven beim Italiener im Waldstraßenviertel und feierten ihren großen Erfolg beim Mannschaftstriathlon. »Dass du sogar Krause geschlagen hast, wundert mich ehrlich gesagt«, sagte Rico.

»Hm, wollte mich von dem kleinen Ekelpaket nicht distanzieren lassen. Hätte selber nicht gedacht, dass ich den auf der Zielgeraden noch wegputzen kann.«

»Krause war mal ein ganz passabler Mittelstreckler bei der DHfK. Ist aber auch schon fast zwanzig Jahre her. Heute fehlte ihm wohl die Luft für ein erfolgreiches Finish«, vermutete Rico.

»Na ja, dieser kleine dicke, vermeintlich unsportliche Typ, ist immerhin die fünf Kilometer in zweiundzwanzig Minuten gelaufen. Und das ist in seinem Alter gar nicht mal so übel, oder?«

»Seinem Alter? Na gut, er sieht zwar aus wie fünfzig, ist aber gerade mal Anfang vierzig, also immerhin fast zwanzig Jahre jünger als du, Jan«, klärte Rico auf.

»Wie auch immer, ist schon gut, dass wir die Typen von der Sitte hinter uns lassen konnten. Nicht auszudenken, wie die sich über uns lustig gemacht hätten, wenn sie vor uns gelandet wären. Da wären die monatelang drauf rumgeritten, diese Spastiker«, glaubte Hannah.

»Einfach fantastisch, dass wir diesen Pokal gewonnen haben, ich kann gar nicht sagen, wie sehr ich mich darüber freue. Ich meine, dass Hannah und Jan Sportskanonen sind, wusste ich ja, aber du, Rico, du bist ja richtig über dich hinausgewachsen, Kompliment.«

»Und dass mit meinem klapprigen Drahtesel. Wenn ich so eine Profi-Rennmaschine gehabt hätte, wie dieser Kerl aus Chemnitz, hätten wir das Ding heute gewonnen. Wie sieht's denn mal mit 'nem Dienstfahrrad aus, Horst? Dann könnte ich regelmäßig trainieren und nächstes Jahr holen wir den Pott.«

»Mal sehen, was sich machen lässt. Werde mal meine Kontakte zur Asservatenkammer spielen lassen, die haben da immer geklaute Räder rumstehen, vielleicht ist da ja mal 'n Rennrad dabei.«

»Gute Idee, Horst«, freute sich Rico.

»Tja, Steven, du siehst, bei uns ist immer was los. Aber jetzt erzähl doch mal, warum du wirklich gekommen bist?«

»Hm, na ja, wie ihr ja wisst, ist Tom Bauer jetzt seit gut einem Jahr kommissarischer CIA-Direktor. Der Präsident hat reichlich Gegenwind aus seiner Partei erhalten, als er den Vorschlag unterbreitet hat, Tom Bauer als Nachfolger von Chief Broderick die Leitung der CIA zu übertragen. Obwohl Tom parteilos ist, gilt er eben immer noch als waschechter Demokrat. Und genau das gefällt den Republikanern überhaupt nicht. Sie wollen einen Mann aus ihren Reihen an der Spitze in Langley sehen. Aber in der letzen Woche hat sich das Blatt gewendet. Der Präsident hat Tom zu einem Gespräch ins Weiße Haus eingeladen und ihn danach seinen Ministern vorgestellt. Tom muss sich in seiner Rede dermaßen gut verkauft haben, dass er zwei Tage später einen Anruf aus dem Oval Office bekam und der Präsident ihm eröffnet hat, dass seiner Wahl zum CIA-Direktor nichts mehr im Wege stehen würde.«

»Wow, das ist ja fantastisch. Wenn's einer verdient hat, dann Tom«, freute sich Hannah.

»Zweifellos sehr erfreulich. Aber die Aufgabe wird für Tom als Demokrat doppelt schwierig werden. Er wird die Republikaner immer im Nacken haben. Könnte mir vorstellen, dass einige von denen so gar nicht einverstanden waren mit dieser Entscheidung des Präsidenten«, glaubte Jan.

Steven zuckte die Achseln. »Er wird an seinen Ergebnissen gemessen, aber das wurden seine Vorgänger auch.«

»Apropos Vorgänger, was ist denn aus Chief Broderick geworden? Hat der sich mittlerweile gesundheitlich erholt und sitzt jetzt im Gefängnis?«, wollte Rico wissen.

Steven schüttelte den Kopf. »Der Chief im Gefängnis? Das wird nicht passieren. Der hat gegen den Präsidenten so viel belastendes Material angehäuft, dass der ihn schön in Ruhe lassen wird. Der Chief sitzt in einer erstklassigen Rehaklinik in Florida und genießt die Sonne. Sein Freund Freddy Cameron, ihr wisst, der Chef der Gartenbaubetriebe in Langley, hat sich nach seiner Pensionierung ein schickes Häuschen in der Nähe vom Miami gekauft. Die beiden verbringen dort den ganzen Sommer im Garten, rauchen Zigarre und trinken gemütlich den guten irischen Whiskey. Hätte schlimmer kommen können für die beiden.«

»Na ja, wundern tut's mich nicht. Chief Broderick ist ein Stehaufmännchen, den kriegt niemand klein, nicht mal der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten von Amerika. Man muss sich das mal vorstellen: Die haben den wegen Landesverrats verurteilt und der genießt in Florida die Sommerfrische. Unfassbar, oder?«, schüttelte Jan den Kopf.

„In der Agency macht ein Gerücht die Runde, dass der Chief in Besitz eines Videos ist, in dem eine bekannte Pornodarstellerin dem Präsidenten gerade einen amtlichen Blowjob verpasst“, grinste Steven.

„Na und?“, griente Hannah verschmitzt, „was ist denn da so schlimm dran? Auch ein Präsident ist nur ein Mann. Habt ihr doch alle gern, oder?“

„Unbestritten, mein Schatz, aber dass ein Video des U.S-Präsidenten im Internet die Runde macht, in dem ein Pornosternchen ihm gerade den Spoiler poliert, dürfte der Mehrheit der Amerikaner wenig gefallen.“

»Na, wenn das stimmt, ist das natürlich ein schlagendes Argument für den Präsidenten, den Chief in Ruhe zu lassen. Aber wie auch immer, in Langley ist Matthew Broderick längst Geschichte. Der König ist tot, es lebe der König, wird es übermorgen in Washington heißen. Tom wird vom Präsidenten in einer Feierstunde offiziell ins Amt des CIA-Direktors berufen und würde sich freuen, wenn ihr beiden dabei sein würdet.«

»Oh, das kommt jetzt ehrlich gesagt etwas überraschend. Ich weiß nicht, ob…«

»Also von meiner Seite gäbe es keine Einwände. Wir haben hier zwar viel Arbeit, aber ein paar Tage schaffen wir das auch ohne euch, oder Horst?«, unterbrach Rico.

Horst Wawrzyniak nickte. »Natürlich, klar. Ein paar Tage Sonderurlaub haben sie sich verdient.«

Steven zuckte mit den Schultern. »Na, dann ist ja alles klar. Ich nehme euch morgen früh mit nach Frankfurt und am Nachmittag fliegen wir von der Air Base aus direkt nach Washington.«

»Geht jetzt alles ein bisschen schnell. Wir reden morgen früh nochmal darüber, okay?«

»Natürlich, Jan, ich melde mich gleich nach dem Frühstück bei euch, wenn's recht ist?«

»So machen wir 's, Steven«, antwortete Jan.

»Mann, bin ich im Eimer. Ich könnte jetzt ’ne Massage gebrauchen.« Jan ließ sich aufs Bett fallen, streckte sich und atmete tief durch.

»Kein Wunder, Krause hat dir mächtig Beine gemacht, als er dich überholt hat.«

»Ich dachte, ich bin im falschen Film, als dieser kleine, übergewichtige Gartenzwerg mal eben locker an mir vorbeigezogen ist.«

»Hätte ich wohl vorher sagen sollen, dass der Typ früher Mittelstreckler war. Umso erstaunlicher, dass du den am Ende doch noch gepackt hast.«

»Ich weiß selbst nicht, wie ich das gemacht habe. Es schien, als hätte mein Körper mir gesagt, so Alter, jetzt lehn dich mal ganz entspannt zurück und pass mal gut auf und dann, ja dann, ging so richtig die Post ab. Bin scheinbar mühelos wie in Trance an Krause vorbeigeflogen.«

»Mein Trainer hat damals immer gesagt, es muss dir gelingen, deine autonomen Kraftreserven abzurufen, dann kannst du noch mal zehn Prozent drauflegen«, erzählte Hannah.

»Aha und dann hat er dir den üblichen Drogencocktail verpasst und du bist abgegangen wie Schmidts Katze, oder was?«

»Ha, das wusste ich, dass das jetzt kommt. Ihr arroganten Wessis glaubt immer noch, dass in der DDR jeder Sportler, der besser war, als ihr, gedopt war. Klar, gab's das, aber eben nur bei den Spitzenathleten und das nicht nur in der DDR, sondern auch in der BRD und anderen westlichen Ländern. Dieter Baumann, Jan Ullrich, Ben Johnson, Tom Simpson, Lance Armstrong und so weiter. Die Liste ist kilometerlang. Ich habe nur Orangensaft und Bananen bekommen, Dinge, die es damals im Konsum nur selten gab.«

»Die vielen Vitamine haben dir gut getan, hast dich prächtig entwickelt. Meine 21.45 über Fünftausend waren galaktisch, keine Frage, aber wie bitte kann man in einem offenen Gewässer tausend Meter unter achtzehn Minuten schwimmen?«

»Klasse, oder? Na ja, bis du vor ein paar Jahren hier aufgekreuzt bist und mein Leben auf den Kopf gestellt hast, ging ich noch regelmäßig Schwimmen. Tausend Meter Freistil in zwanzig Minuten. Für einen guten Schwimmer eher eine durchschnittliche Leistung. Eine Läuferin war ich nie. Unser Trainer hat uns damals oft vier- und achthundert Meter laufen lassen. Die Vorgabe lag bei sechzig Sekunden auf Vierhundert und zweieinhalb Minuten für die achthundert Meter. Das hab ich niemals auch nur ansatzweise geschafft. Ich habe diese unsinnige Rennerei gehasst wie die Pest.«

Jan erhob sich und setzte sich auf die Bettkante. »Bitte, Schatz, nur mal kurz Schulter und Nacken massieren, das wäre wunderbar.«

»Lieber nicht, ich weiß wie das endet.«

»Dafür bin ich viel zu kaputt.«

Hannah gab nach, kniete sich hinter Jan und massierte behutsam seine Schultern. »Glaubst du, dass Steven nur gekommen ist, um uns zu Toms Vereidigung einzuladen?"« wechselte Hannah das Thema.

»Klar, warum denn sonst?«

»Ich hab so ein merkwürdiges Gefühl, als steckt da in Wahrheit mehr dahinter.«

»Wie kommst du darauf? Und was sollte das sein?«

Als Jan in Hannahs Augen sah, konnte er ihre Gedanken lesen. »Nein, Hannah, ich denke, du irrst dich. Tom weiß genau, dass ich meine CIA-Karriere ein für allemal beendet habe. Da gibt es kein Zurück mehr.«

»Und da bist du dir ganz sicher?«

»Ja, natürlich. Was soll denn diese Frage?«, wurde Jan sauer.

»Du solltest nicht fahren. Du hast genug getan und dabei fast jedes Mal dein Leben aufs Spiel gesetzt. Wenn du dieser Einladung folgst, ist das ein Zeichen, dass du deine Meinung vielleicht doch noch mal änderst. Ich denke, Tom sollte wissen, dass jetzt ein für allemal Schluss ist.«

»Ach was, wir fliegen nach Washington, gratulieren Tom und trinken mit ihm ein Glas Champagner auf seine Beförderung. Dann geht’s mit dem nächstmöglichen Flieger zurück.«

»Nein, Jan, nicht wir, du. Mich werden die da nicht wiedersehen. Hast du vergessen, was die mit uns gemacht haben? Um ein Haar hätten dich die Gangster auf Rikers Island massakriert. Wo bitte waren da dein Freund Tom Bauer und die große CIA? Für mich ist endgültig Schluss, basta! «

»Komm schon, Hannah, das hat doch nichts mit Toms Vereidigung zu tun.«

»Nein? Bist du da ganz sicher? Ich nicht.«

»Was soll ich denn bitte Steven morgen Früh sagen, wenn der uns abholen will? Tut mir leid, wir haben's uns anders überlegt, wir bleiben lieber zu Hause, weil wir den Amis nicht mehr trauen, oder was?«

»Tu, was du für richtig hältst, ich bleibe jedenfalls hier.«

»Hm, das ist ja mal 'ne klare Aussage.«

»Wir sind denen nichts schuldig. Ich denke, niemand wird uns verübeln, wenn wir zur Abwechslung auch mal an uns denken. Unser Leben findet hier in Leipzig statt. Wir haben einen intensiven Beruf, der uns rund um die Uhr fordert. Und vielleicht werden wir ja auch irgendwann mal ein Familienleben haben. So ganz spießig, mit Haus, Hund und Kindern und zweimal Urlaub im Jahr.«

Jan drehte sich zu Hannah um und sah ihr in die Augen. »Das ist alles richtig und das wünsche ich mir auch, aber das ist doch nicht abhängig davon, ob ich morgen nach Washington fliege oder nicht. Mach dir keine Sorgen, Hannah, ich nehme direkt nach der Feier den nächsten Flieger zurück.«

Hannah nickte. »Na gut, dann flieg eben, aber ich habe kein gutes Gefühl dabei.«

»Unsinn, Schatz, was soll da schon schiefgehen? Ich bin übermorgen wieder zu Hause, versprochen.«

»Na, dann ist ja gut«, murmelte Hannah, drehte sich um, kroch unter ihre Bettdecke und löschte das Licht.

Maynard Deville saß im Bundesgefängnis von Cheyenne in Untersuchungshaft. Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautete, er habe versucht, Gouverneur Michael Gordon zu ermorden. Die drei anderen festgenommenen Indianer vom Stamm der Arapaho dagegen wurden lediglich verwarnt und wieder auf freien Fuß gesetzt.

Der Untersuchungsrichter hielt es für nahezu ausgeschlossen, aus einer Distanz von über fünfzig Metern einem Mann gezielt mit Pfeil und Bogen in die Hand zu schießen. Dass es glücklicherweise nur die Hand des Gouverneurs war, die der Pfeil durchbohrt habe, wäre reiner Zufall gewesen. Zudem belasteten ihn zwei Polizisten aus Riverton, die gesehen haben wollten, dass es Maynard war, der den Pfeil abgeschossen hatte.

Auf Grund der Masse der Verfahren und einer notorischen Knappheit an Richtern, konnte es mehrere Monate dauern, bis der Prozess stattfinden würde.

Maynard würde sich wohl oder übel gedulden müssen. Er hatte bei seiner Vernehmung auf einen Anwalt verzichtet und zum Tatvorwurf geschwiegen.

Er hatte einen Trumpf im Ärmel, denn die Spurensicherung konnte auf dem Pfeil, der die Hand des Gouverneurs durchbohrt hatte, keinerlei Fingerabdrücke finden. Die Polizei stand vor einem Rätsel.

Bevor die Wärter ihn in seine Zelle sperrten, brachten sie ihn ins Büro des Gefängnisdirektors. Robert Coleman saß hinter seinem Schreibtisch und bat Maynard Platz zu nehmen.

»Sie waren bei den Marines?«, fragte er erstaunt, ohne von seinen Unterlagen aufzusehen.

Als Maynard schwieg, hob er den Kopf und sah ihn an.

»Sie stehen hier nicht vor Gericht, Sie können ruhig antworten.«

Er sah wieder auf die vor ihm liegende Akte. »Beeindruckende Vita. Sie waren im Irak und in Afghanistan und haben mehrere Auszeichnungen erhalten, unter anderem den Silver Star für besondere Tapferkeit und die Medal Of Honor, die höchste militärische Auszeichnung überhaupt. Warum sind Sie nicht zur Verleihung erschienen?«

Wieder erhielt Coleman keine Antwort.

»Hören Sie, Deville, Sie müssen nicht mit mir reden, wenn Sie nicht wollen, aber mit dieser Einstellung wird es hier drinnen für Sie sehr schwer, glauben Sie mir. Sie sind kein übler Bursche, also versuchen Sie, die Zeit bis zum Prozess so gut wie möglich rumzukriegen. Es spricht sich unter den Häftlingen verdammt schnell herum, wenn hier so ein Kauz wie Sie rumläuft. Die Wärter können ihre Augen nicht überall haben. Also, Deville, passen Sie auf sich auf und machen Sie mir bloß keine Schwierigkeiten. Ich hoffe, wir haben uns verstanden.«

Bereits am ersten Tag kam es zu einer folgenschweren Auseinandersetzung auf dem Gefängnishof. Eine Gruppe von weißen Nazis hatte einen Farbigen in die Mangel genommen. Der hatte es tatsächlich gewagt, auf der Hantelbank liegenzubleiben und in Ruhe weiter zu trainieren, obwohl sie gerade den Fitnessbereich betreten hatten.

»Ey, Dachpappe, verschwinde, sonst machen wir dir Beine«, raunzte ein großer, massiger Kerl mit einem Hakenkreuz am Hals.

Als der Schwarze keine Anstalten machte, seinen Platz zu räumen, sprang der weiße Hüne urplötzlich hinter die Bank und drückte die Langhantel mit beiden Händen herunter auf den Hals des Schwarzen. Der bekam keine Luft mehr, röchelte schwer und strampelte verzweifelt mit den Beinen.

»Was denn, Freundchen, schon aus der Puste?«, grinste der Typ und drückte noch kräftiger auf die Hantel.

Maynard hatte die Szene aus der Entfernung beobachtet. Mittlerweile hatte sich eine Gruppe von Schaulustigen gebildet, die sich das Spektakel nicht entgehen lassen wollte. Obwohl auch mehrere Schwarze darunter waren, griff niemand ein.

»Es reicht, lass den Mann los«, forderte Maynard, den seine Kameraden in Afghanistan nur kurz Devil genannt hatten, den Kerl auf, der immer noch die Hantel auf den Hals seines Opfers drückte.

»Ach du Scheiße, jetzt mischt sich auch noch 'ne Rothaut ein. Haben die heute alle die falschen Tabletten gefressen, oder was?«, rief der Kerl. »Hau ab, sonst reiße ich dir deinen Skalp vom Schädel und stopfe damit dein Maul.«

Maynard hatte längst registriert, dass die Wärter nicht eingreifen würden. Die lehnten locker an der Wand, die Schlagstöcke am Gürtel, und nahmen lediglich die Rolle von Beobachtern ein.

Die immer größer werdende Meute der Gefangenen, die gierig darauf wartete, dass endlich Blut fließen würde, hatte den Aufsehern mittlerweile die Sicht versperrt und bildete einen Schutzwall für die Nazis, die nun unbeobachtet ihr Opfer erledigen konnten.

Allerdings galt das auch für Maynard. Er musste jetzt nicht mehr warten, bis er angegriffen wurde. Er packte blitzschnell denjenigen aus der Gruppe der Nazis, der ihm am nächsten stand, nahm ihn in den Schwitzkasten und drückte ihm die Luft ab.

»Loslassen, sonst breche ich dem Mann das Genick«, drohte der Devil.

»Du glaubst gar nicht, wie egal mir das ist, du roter Hund«, schrie der Kerl und drückte die Hantelstange noch stärker gegen Hals seines hilflosen Opfers.

Maynard hebelte den Nazi aus, stemmte ihn in die Luft und schleuderte den Mann auf den Kerl an der Hantelbank. Ein Raunen ging durch die Menge. Er machte drei schnelle Schritte nach vorn und riss die schwere Hantel vom Körper des mittlerweile bewusstlosen Schwarzen.

Als ihm zwei weitere Nazis in den Rücken fallen wollten, wurden sie von der Menge zurückgehalten, die längst Partei für den mutigen Indianer ergriffen hatte.

Der Devil bedankte sich mit einem kurzen Nicken. Als die beiden am Boden liegenden Nazis sich wieder leicht benommen aufgerappelt hatten, knipste er ihnen mit zwei fürchterlichen Haken auf die Halsschlagader und das Kinn endgültig die Lichter aus.

Die Mitgefangenen applaudierten laut johlend. Nazis waren auch in einem Gefängnis im mittleren Westen keine Sympathieträger.

»Kümmert euch um den Jungen«, sagte Maynard zu zwei farbigen Häftlingen, die ihm dankbar und anerkennend zugleich die Hand schüttelten.

»Du weißt, was dir jetzt hier drinnen bevorsteht, Bruder, oder? Diese Nazibrut wird dich umbringen. Ich denke, du brauchst jetzt jede Hilfe, die du kriegen kannst.«

»Kannst du mir ein Messer besorgen?«, fragte der Devil.

»Hm, nicht einfach, aber machbar. Allerdings wird das nicht billig. Was kannst du anbieten?«, fragte der Schwarze.

»Ich löse das Problem«, antwortete Maynard.

»Verstehe«, nickte sein Gegenüber, »ich werde sehen, was ich tun kann.«

Steven zeigte sich enttäuscht darüber, dass Hannah nicht mit nach Washington geflogen war. Jan hatte das damit begründet, dass die Mordkommission gerade einen Fall aufzuklären hatte, und der so kurz vor der Aufklärung auf gar keinen Fall vernachlässigt werden dürfte. Und damit hatte Jan nicht mal gelogen. In der Tat waren Hannah und Jan mit einem Mordfall beschäftigt, der sich, nach dem jetzigen Stand der Ermittlungen, wohl als Eifersuchtsdrama erweisen würde.

»Schade, aber nicht zu ändern. Tom wird sich sehr freuen, dass du dir die Zeit nimmst, um trotz der beruflichen Belastung an seinem großen Tag dabei zu sein«, meinte Steven.

Die beiden saßen an Bord einer Boeing-777 Freighter der U.S.-Air Force, die fast täglich zwischen Washington und der U.S.-Air Base in Frankfurt am Main pendelte.

Das Flugzeug transportierte vor allem technisches Equipment, Kleinfahrzeuge und Paketsendungen aller Art. Für Passagiere gab es lediglich zwei Sitzreihen im vorderen Bereich der Maschine, wo bis zu fünfzehn Personen auf relativ engem Raum Platz fanden. Neben Steven und Tom waren noch drei Computerexperten und zwei Techniker mit an Bord.

»Wo findet die Zeremonie statt?«, wollte Jan wissen.

»Na ja, als Zeremonie würde ich die Vereidigung nicht unbedingt bezeichnen. Dieser Akt hat eher was Pragmatisches und ist eigentlich wenig feierlich. Das Ganze findet im Foyer des George Bush Center for Intelligence in Langley statt.«

»Ach, nicht im Weißen Haus?«, wunderte sich Jan.

Steven schüttelte den Kopf. »Nein, die Vereidigung des CIA-Direktors ist für ihn ein Heimspiel. Wie immer, findet die Veranstaltung in der Eingangshalle des George Bush Centers statt. Der Präsident hält vor der Wall of Memory eine kurze Rede. Danach legt Tom seinen Amtseid ab und schwört auf die Bibel, dass er stets mit bestem Wissen und Gewissen die Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika vertreten wird.«

»Also kurz und schmerzlos ohne großes Brimbamborium?«

»Genau. Der Präsident schüttelt ihm kurz die Hand, stellt sich mit Tom zum Pressefoto und verschwindet genau so schnell, wie er gekommen war.«

»Hm, na ja, ist wohl in der Tat nur ein formeller Akt. Es stand doch schon lange fest, dass Tom Chief Broderick beerben wird, oder?«

»Nein, da irrst du dich. So sicher war das überhaupt nicht. Der Senat muss dem Vorschlag des Präsidenten zustimmen. Und wenn ein republikanischer Präsident nicht ein Parteimitglied nominiert, sondern einen fraktionslosen Liberalen, der den Demokraten nahe steht, dann ist es alles andere als selbstverständlich, dass der Senat dem Präsidenten folgt. Die Republikaner haben mit vierundfünfzig Sitzen die Mehrheit. Die Demokraten verfügen lediglich über sechsundvierzig Sitze. Dazu kommen zwei unabhängige Senatoren.«

»Also war die Sache knapp, oder?«

»Keine Ahnung, die Abstimmungsergebnisse werden offiziell nicht bekannt, aber es ist durchgesickert, dass Tom fast die Hälfte der Stimmen aus dem republikanischen Lager erhalten hat. Demnach war die Abstimmung deutlicher, als erwartet, was wohl daran liegt, dass der Präsident natürlich erfährt, wie seine Leute gestimmt haben.«

»Hahaha«, lachte Jan. »Arschkriecher gibt es überall. Na ja, in diesem Fall gut für Tom.«

»Eben«, nickte Steven.

»Und wie geht’s nach der Vereidigung weiter?«, wollte Jan wissen.

»Danach gibt’s eine kleine Feierstunde in den Räumlichkeiten des CIA-Direktors. Mitarbeiter, Familie, Freunde, allzu viele Leute werden nicht da sein. Tom hat den Kreis bewusst klein gehalten.«

»Familie?«, wunderte sich Jan.

»Seine Ex-Frau kommt und er hat seinen Bruder eingeladen, soviel ich weiß.«

»Tom hat einen Bruder?«

»Ja, wusste ich bisher auch noch nicht.«

»Hm«, zuckte Jan die Achseln, »Tom hatte mal seine Ex-Frau erwähnt, aber nie etwas von einem Bruder erzählt.«

»Hat wohl jahrelang keinen Kontakt zu ihm gehabt. Rick, oder Richard, wie er eigentlich heißt, ist der Sohn seines Vaters aus zweiter Ehe. Er lebt irgendwo in Maine in einem kleinen Nest am Meer und arbeitet dort als Grundschullehrer, soviel ich weiß.«

»Seltsam, na ja, und was ist mit unseren Jungs? Kommen die auch?«

Steven rutschte unsicher auf seinem Sitz herum, kratzte sich kurz am Kopf und schürzte die Lippen. »Ich glaube nicht«, antwortete er kleinlaut.

Jans Miene verdunkelte sich. »Soll das etwa heißen, dass Tom die Jungs nicht eingeladen hat? Hättest du mir eher sagen sollen, dann wäre ich nämlich auch zu Hause geblieben. Sind wohl nicht fein genug für die hohen Herren, wie? Ich fass es nicht, Steven.«

»Hör zu, Jan, da gibt es Gründe, aber die soll dir Tom selber erklären.«

»Was gibt’s denn da zu erklären, verdammt? Diese Männer haben für ihr Land gekämpft, tagtäglich ihr Leben aufs Spiel gesetzt und letztendlich auch Tom Bauer und der CIA gedient. Einige von ihnen sind längst tot. Man sollte sich wenigsten an die Lebenden erinnern und ihnen den notwendigen Respekt entgegenbringen. Ich denke, bei allen seinen Fehlern und Unzulänglichkeiten hätte sich selbst Chief Broderick nicht einen solchen Fauxpas geleistet.«

Steven zuckte mit den Schultern. »Wie gesagt, Tom wird mit dir über dieses Thema sprechen.«

»Thema? Welches Thema? Diese Männer sind kein Thema, sondern unsere Kameraden, die jahrelang mit uns Seite an Seite gegen den Terror gekämpft haben. Ohne diese Männer wäre ich längst tot und du und Tom vielleicht auch, schon vergessen?«

»Nein, Jan, sicher nicht.«

Jan schüttelte verständnislos den Kopf, drehte sich zur Seite und versuchte, noch etwas zu schlafen. Im Moment hatte er keine Lust mehr, diese Unterhaltung mit Steven fortzusetzen.

In der Tat schien die Vereidigung des CIA-Chefs nur ein flüchtiges Intermezzo zwischen Tür und Angel zu sein. Nachdem der Präsident seine kurze Ansprache gehalten hatte, Tom die Hand geschüttelt und ihm viel Glück und Gottes Segen gewünscht hatte, schob ihn die Security schon wieder aus einem Seitenausgang des Foyers heraus, wo ihn eine gepanzerte Limousine erwartete, um ihn schnell und sicher zurück ins Weiße Haus zu bringen.

Anschließend stellte sich Tom den Fragen der Presse und gab den anwesenden Fernsehsendern von ABC, BBC, CNN und Fox einige kurze Interviews.

Nach nicht mal einer Stunde war die Veranstaltung beendet.

Der frischgebackene CIA-Direktor Thomas Bauer verließ in Begleitung zweier enger Mitarbeiter die Eingangshalle. Während die Vertreter der Medien eilig ihr Equipment zusammenpackten, wartete im Hintergrund bereits ungeduldig eine Arbeits- und Putzkolonne, um das Foyer aufzuräumen und zu reinigen. Das Tagesgeschäft musste schließlich weitergehen.

Als Steven und Jan den Besprechungsraum vor Toms Büro betraten, stürzte der neue CIA-Chef freudig auf die beiden zu, schüttelte Steven die Hand und umarmte seinen deutschen Freund.

»Danke, dass du gekommen bist, Jan. Das bedeutet mir sehr viel. Ist doch jetzt tatsächlich ein »Kraut« zum CIA-Direktor gewählt worden. Wer hätte das gedacht? « »Chief Broderick jedenfalls nicht, denke ich«, sagte Jan.

»Wohl kaum, der hätte natürlich lieber wieder einen konservativen Iren im Amt gesehen«, antwortete Tom.

»War ja ein kurzes Gastspiel des Präsidenten«, bemerkte Jan.

»Na ja, die Veranstaltung heute war ausschließlich dazu da, die Öffentlichkeit zu informieren und dem Protokoll Genüge zu tun. Für den Präsidenten lediglich eine Pflichtaufgabe innerhalb seines engen Terminkalenders. Die Dinge zwischen ihm und mir sind längst besprochen, wie du dir denken kannst.«

»Natürlich«, nickte Jan.

Tom schien zu bemerken, dass Jan etwas auf der Seele brannte. Und er glaubte auch zu wissen, was das war. Er gab Steven ein Zeichen, sich um die Gäste zu kümmern, und nickte Jan kurz zu, ihm in sein Büro zu folgen.

»Setz dich, Jan, nimmst du zur Feier des Tages auch einen?« Tom zeigte auf eine bauchige Flasche aus edlem Kristall, die auf seinem Schreibtisch stand. »Louis XII, der wohl edelste Cognac der Welt, ein Geschenk vom Präsidenten. Muss wohl ein Vermögen gekostet haben.«

»Ein Glas Wasser wäre mir lieber«, war Jan kurz angebunden.

Tom nickte und setzte sich. »Also gut, Jan, was willst du mir sagen?«, wurde er ernst.

Jan zuckte mit den Schultern. »Nichts, ich finde es nur sehr schade, dass es offensichtlich einige unserer Freunde nicht bis auf die Gästeliste geschafft haben. Aber das ist selbstverständlich allein deine Sache.«

Tom öffnete die Cognacflasche und füllte zwei kleine Cognacschwenker. Er schob ein Glas über die Tischplatte.

»Glaub mir, Jan, ich hätte jeden einzelnen von unseren Männern heute liebend gern dabei gehabt…«

»Du bist mir keine Erklärung schuldig, Tom«, unterbrach Jan.

»Vielleicht solltest du dir erst mal anhören, was ich zu sagen habe.«

Jan zuckte mit den Achseln und nickte.

»Also gut. Selbstverständlich habe ich Thomas Ritter und Carl-Georg Romminger eine Einladung geschickt. Während Thomas nicht geantwortet hat, teilte mir Rommel kurz und knapp mit, dass er mit diesem Teil seines Lebens endgültig abgeschlossen hätte und keine alten Wunden wieder aufreißen lassen wollte.«

»War fast zu erwarten«, kommentierte Jan.

»Ja, und was Johnny Hendersson, Jimmy Morisson und Maynard Deville angeht, Jan, gibt es leider schlechte Nachrichten.«

Jan zuckte kurz zusammen, dann richtete er sich in seinem Sessel kerzengrade auf.

»Johnny und Jimmy gelten als vermisst und Maynard sitzt im Gefängnis.«

»Was?«, platzte es aus Jan heraus.

Tom kniff die Lippen zusammen und nickte. »Johnny und Jimmy waren mit einer Spezialeinheit in Syrien, um einen Terroristen zu erledigen. Einen Typen der übelsten Sorte, der Tage zuvor unser Ausbildungslager im Nordosten des Landes überfallen und die dort stationierten Soldaten brutal abgeschlachtet hatte. Daraufhin hat der Präsident einen Vergeltungsschlag angeordnet. Nachdem das Lager dieses Malik, wie der Kerl heißt, entdeckt worden war, sollten Drohnen ihn und seine Leute angreifen und vernichten. Dumm nur, dass wir nach dem Truppenabzug keine Drohnen mehr in Syrien zur Verfügung hatten. Daraufhin wurde Hals über Kopf aus Soldaten einer in der Türkei stationierten Aufklärungseinheit eine Special Force gebildet, die mit einem gezielten Schlag, schnell und heftig, diese Aufgabe übernehmen sollte. Als die versuchten, mit Hubschraubern am helllichten Tag die Grenze nach Syrien zu überfliegen, wurden sie von zwei russischen MiGs abgefangen und zur Umkehr gezwungen.

Der Präsident tobte vor Wut, aber die Russen hatten sich nur an die internationale Vereinbarung gehalten, die türkisch-syrische Grenze zu sichern und dort weder am Boden noch in der Luft Truppenbewegungen zuzulassen.«

Jan hörte aufmerksam zu. »Hat sowieso keiner verstanden, warum die Amis aus Syrien abgezogen sind und so den Kurden ihrem Schicksal überlassen haben", sagte Jan.

»Die Sicherheitsberater haben den Präsidenten dringend von diesem Schritt abgeraten, aber dieser Kerl ist unbelehrbar. Er weiß längst, dass er einen Riesenfehler gemacht hat. Und dann rief er mich vor etwa zwei Wochen an und beauftragte mich mit der Planung eines gezielten Anschlags auf diesen Malik.«

»Wenn du mich fragst, ist dieser Typ irre. Wie willst du mit dem eigentlich zusammenarbeiten? Das ist doch vollkommen unmöglich.«

»Mittlerweile hat er scheinbar gelernt, dass es wohl doch besser ist, auf seine Berater zu hören.«

»Na, da bin ich ja mal gespannt, wie lange dieser Vorsatz anhält. Dieser Mann ist untragbar, Tom. Merkt das hier eigentlich keiner?«

Tom atmete einmal tief durch. »Ich habe mit meinen Leuten überlegt, was wir tun könnten, um möglichst schnell ein schlagkräftiges Team zusammenzustellen. Das Problem war, dass wir keine für einen solchen Einsatz ausgebildeten Soldaten zur Verfügung hatten. Weder in der Türkei, noch in Syrien oder Afghanistan. Wir hatten kurz in Erwägung gezogen, den Mossad um Hilfe zu bitten. Schließlich haben wir eine Gruppe von Navy Seals ausgesucht, um in die Türkei zu fliegen und von der Incirlik Air Base aus mit Black Hawks bei Nacht zuzuschlagen. Die Männer waren top ausgebildet, aber unerfahren. Dann kam mir die Idee, Johnny Hendersson und Jimmy Morisson zu fragen, ob sie sich vorstellen könnten, bei einem solchen Einsatz die Führung zu übernehmen.«

»Verdammt, Tom, das war doch eine Schnapsidee. Du hast die Jungs ins Feuer geschickt, das ist dir hoffentlich klar.«

»Moment, Jan, ich habe sie gefragt und sie haben zugestimmt. Ich habe sie zu nichts überredet.«

»Klar, weil du genau gewusst hast, dass die beiden dir diese Bitte nicht abschlagen würden. Wie viel hast du ihnen dafür versprochen?«

»Jeder hat hunderttausend Dollar im Voraus erhalten. Es ging ihnen beiden nicht besonders gut. Die Rinderfarm von Jimmys Vater ist wirtschaftlich am Ende und Johnny hatte mal wieder Spielschulden ohne Ende.«

»Tja, geht vielen Veteranen so. Von denen will niemand mehr was wissen, wenn sie in Not geraten. Also, was ist passiert, Tom?«

Tom setzte sich wieder, trank seinen Cognac in einem Zug und schenkte sofort nach.

»Die beiden Black Hawks hatten gegen zwei Uhr nachts ihr Ziel erreicht. Einen im Nordosten Syriens einsam gelegenen Hof, auf dem dieser Malik sich nach gesicherten Informationen aufhalten sollte.«

Tom spülte den zweiten Cognac herunter.

»Sie sind in einen Hinterhalt geraten. Am nächsten Tag zeigten Satellitenaufnahmen das ganze Ausmaß dieser Tragödie. Überall auf dem Gelände lagen Teile der zerstörten Black Hawks und die verstümmelten und verbrannten Körper der getöteten Soldaten. Wir mussten annehmen, dass es dort keine Überlebenden gegeben hatte.«

»Heißt das, dass es vielleicht doch Überlebende gab?«, hakte Jan nach.

»Seit ein paar Tagen kursiert ein Video im Netz. Maliks Männer präsentieren dort stolz amerikanische Gefangene. Sie knien gefesselt mit verbundenen Augen und nacktem Oberkörper vor den Mudschaheddin, die ihnen mit stolzgeschwellter Brust die scharfen Klingen ihrer Schwerter in den Nacken legen.«

Tom öffnete seinen Laptop, tippte ein paar Befehle ein und drehte ihn zu Jan herüber.

»Hier, sieh dir das an.«

Jan kannte solche Bilder, aber gewöhnen konnte er sich nie daran. Er musste schlucken.

»Diese verdammtem Schweine«, platzte es aus ihm heraus.

Tom kam um den Schreibtisch herum und vergrößerte eine Standaufnahme.

»Sieh mal genau hin. Kannst du erkennen, was der Mann dort für Schriftzeichen im Nacken trägt?«

Jan beugte sich ein Stück nach vorn und versuchte dann selbst, das Bild etwas schärfer zu stellen.

»Hm, die ersten Buchstaben könnten ein B, ein R und ein U oder O sein.«

»Haben die Männer der Einheit Sniper sich nicht vor ein paar Jahren in dieser Veteranenkneipe in New York diese Tattoos stechen lassen?«

»Zur Hölle, na klar, Brotherhood of Warriors, die Jungs waren total stolz drauf.«

»Kannst du dich daran erinnern, ob Johnny und Jimmy auch dieses Tattoo haben machen lassen?«

»Ich bin nicht ganz sicher, Tom, aber ich glaube, ja. Und das würde bedeuten, dass der Mann auf diesem Video einer der beiden sein könnte.“

»Stimmt«, nickte Tom.

Jan atmete tief durch, er griff nach seinem Cognacglas.

»Was willst du unternehmen, um die Jungs da rauszuholen, Tom?«

»Genau das wollte ich mit dir besprechen«, sagte Tom und klappte den Laptop zu.

Als Maynard das Büro betrat, schüttelte Direktor Coleman den Kopf. »Das ist absoluter Rekord, Deville. Sie sind den ersten Tag hier und stehen bereits zum zweiten Mal vor meinem Schreibtisch. Was ist eigentlich los mit Ihnen? Sind Sie eigentlich permanent auf Krawall gebürstet? Aber da sind Sie hier an der falschen Adresse, das kann ich Ihnen versichern. Was sollte denn der Scheiß da unten? Wollen Sie sich mit aller Gewalt umbringen, oder was? Hier gibt's Regeln, Deville, geschriebene und ungeschriebene und es ist ratsam, sich an beide zu halten, wenn man hier drinnen überleben will.«

Maynard stand regungslos und mit finsterer Miene vor dem Schreibtisch des Direktors und schwieg.

»Gesprächig sind Sie ja nicht gerade, Freundchen. Warum haben Sie sich da überhaupt eingemischt? Glauben Sie vielleicht, Sie könnten hier was ändern?«

Maynard blieb stumm, was den Direktor noch mehr in Rage brachte.

»Ihr Schweigen wird ihnen auch nicht helfen. Ich ordne zwei Wochen Einzelhaft an, damit Sie von den anderen Häftlingen getrennt sind. Vielleicht haben sich dann die Wogen etwas geglättet und die Nazis haben das Interesse an Ihnen verloren. ist übrigens zu ihrer eigenen Sicherheit. Einen toten Indianer ist jetzt das Letzte, was ich hier gebrauchen kann.«

»Dieses Gefängnis ist ein Ort der Schande und Sie sind dafür verantwortlich«, sagte der Devil.

»Ach, Sie können ja doch sprechen? Ist ja schon mal ein Fortschritt. Dass das hier kein Sanatorium ist, stimmt, Deville. Und dass ich für diesen Laden verantwortlich bin, ist ebenfalls richtig. Und genau deswegen gebe ich mir alle Mühe, dass alle meine Schäfchen überleben. Klappt leider nicht immer, vor allem dann nicht, wenn so ein unbelehrbarer Eigenbrötler wie Sie am Werk ist. Kapieren Sie doch endlich, Mann, mit der Einstellung, hier auf Teufel komm raus Gerechtigkeit walten zu lassen, wird sich die Gewalt nicht stoppen lassen.«

»Sie machen es zu einfach, Coleman. Sie sehen weg, wenn Unrecht geschieht, statt es zu bekämpfen. Warum lassen Sie sich von diesen Nazis auf der Nase rumtanzen? Weil es Weiße sind wie Sie? Oder weil Sie Angst haben vor denen?«