Im fahlen Licht des Mondes - Joachim Krug - E-Book

Im fahlen Licht des Mondes E-Book

Joachim Krug

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Beschreibung

Skrupellose Söldner überfallen die Farm von Maynard Deville und setzen sie in Brand. Weil die Provinzpolizei von Crockwell machtlos ist, greift Hauptkommissar Jan Krüger in diesen ungleichen Kampf ein. In Leipzig erstattet eine junge Frau Anzeige wegen Vergewaltigung gegen den Stararchitekten Robert Langhoff. Kurz darauf wird seine verstümmelte Leiche aus dem Abtnaundorfer See gefischt. Ist Langhoff, der bekanntlich auf blutjunge Frauen steht, einem Racheakt zum Opfer gefallen? Ermittlungen ergeben, dass Langhoff einen Spezialauftrag der Firma Cartwright aus Sydney abgelehnt und beim Konkurrenten Fisher aus Chicago angeheuert hat. Der wütende Cartwright, der dafür bekannt ist, über Leichen zu gehen, schickt zwei seiner Handlanger nach Leipzig, um Langhoff gefügig zu machen. Haben die beiden den Stararchitekten ermordet, weil der nicht bereit war, einzulenken? Während Jan Krüger und seine Kollegen mit Hochdruck an der Aufklärung arbeiten, nimmt der Fall plötzlich eine vollkommen unerwartete Wende...

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Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.

»Denn die einen sind im Dunkeln

Und die andern sind im Licht.

Und man siehet die im Lichte

Die im Dunkeln sieht man nicht.«

(Das Moritat von Mackie Messer, Bertolt Brecht, 1930)

Der Winter war vorüber, der Frühling zog ins Land, doch die Nächte waren immer noch kühl. John Reginald Deville hatte es sich, in einer Wolldecke eingewickelt, mit einer heißen Tasse Tee am lodernden Kaminfeuer gemütlich gemacht und bereitete den Englischunterricht für den nächsten Tag vor. Er war Grundschullehrer in Goulburn, nur wenige Kilometer von Crockwell entfernt und hatte seinem Bruder versprochen auf seiner Farm einzuhüten, solange der in den Bergen und Wäldern unterwegs war, um zu jagen und zu meditieren. Wie lange Maynard diesmal unterwegs sein würde, wusste er nicht. Gewöhnlich war er nach einer Woche wieder zurück. Doch sicher war das nicht.

Reggie, wie ihn seine Freunde nannten, wollte gerade aufstehen, um ein paar Holzscheite nachzulegen, als plötzlich das Licht der Leselampe erlosch. Im Augenwinkel bemerkte er einen Lichtschein am Fenster. Als er näherkam, um nachzusehen, woher das Licht kam, stieg ihm ein stechender Geruch in die Nase. Er registrierte sofort, dass es nicht der angenehme Geruch von brennendem Kaminholz war, sondern der beißende Gestank von dichtem Rauch. Er riss das Fenster auf und erschrak. Die Scheune am Ende des Hofes stand in hellen Flammen. Reggie schlüpfte eilig in seine Stiefel, warf seine Daunenjacke über und rannte über den Hof zum Scheunentor. Das Feuer hatte bereits den Dachstuhl in Brand gesetzt. Als er das massive Holztor aufschob, wäre er beinahe von den flüchtenden Schafen überrannt worden, die panisch blökend ins Freie stürmten. Als er in die Scheune vorstieß, um die anderen Schafe, die es nicht geschafft hatten, das Gatter zu überwinden, zu befreien, ließen ihn die Hitze und der Rauch zurückweichen. Doch er hatte keine Wahl, er musste die Tiere retten. Schließlich konnte er nicht tatenlos zusehen, wie sie bei lebendigem Leibe verbrannten. Er holte tief Luft, stürmte in die Scheune und begann, die übrigen Gatter aufzusperren. Sengende Hitze brannte auf seiner Haut. Er hatte das Gefühl, glühende Lava einzuatmen. Er musste sich beeilen, die ersten brennenden Dachbalken lösten sich und drohten in die Tiefe zu stürzen. Als er das letzte Gatter geöffnet hatte, passierte es. In seinem Rücken krachte ein massiver Balken herunter, traf ihn am Bein und riss ihn zu Boden. Die flüchtenden Schafe sprangen über ihn hinweg ins Freie. Nur mit großer Mühe gelang es ihm, die schwere Bohle anzuheben und darunter hervorzukriechen. Als er aufstehen wollte, verspürte er einen stechenden Schmerz. Durch die ungeheure Wucht des Aufpralls hatte der schwere Balken sein Schienenbein zertrümmert. Mit allerletzter Kraft schleppte er sich vorwärts. Jede Sekunde konnte das lichterloh brennende Scheunendach einstürzen und ihn unter sich begraben. Reggie kämpfte verzweifelt um sein Leben, versuchte sich auf allen Vieren kriechend ins Freie zu retten. Die Schmerzen im gebrochenen Bein lähmten ihn, sein Körper glühte und er bekam keine Luft mehr. Dann plötzlich wurde es stockdunkel. Bewusstlos blieb er im Scheuneneingang liegen, während sich das Feuer weiter unerbittlich voranfraß.

An Schlaf war in dieser Zeit kaum zu denken. Niklas war ein lebhafter Junge, hielt seine Eltern ständig auf Trab. Mit kaum einem halben Jahr liebte er es, in aller Herrgottsfrühe aufzuwachen und sein Frühstück einzufordern. Hannah hatte versucht, ihn später ins Bett zu bringen, damit er morgens länger schläft, musste aber schnell feststellen, dass dieser Schachzug nicht aufging. Pünktlich um sechs war für Niklas die Nacht beendet.

Jan hatte ihn in den Hochstuhl gesetzt und fütterte ihn mit Obstbrei, während Hannah eine Tasse Kaffee trank und in der Tageszeitung blätterte. Plötzlich klingelte es an der Tür. »Wer zum Teufel…«, murmelte Jan und wollte aufstehen um nachzusehen, wer um halb sieben Uhr morgens störte.

»Bleib sitzen, ist meine Mutter«, sagte Hannah.

»Deine Mutter? Um diese Zeit?«

»Sie kümmert sich um Niklas. Hab um neun `nen Termin beim Chef.«

»Was? Wieso?«, fragte Jan überrascht.

»Ein halbes Jahr Auszeit reicht. Ich will wieder arbeiten. Zumindest stundenweise«, erklärte Hannah.

»Ach ja? Und wann hattest du vor, mir das mitzuteilen?«

»Ich hab dir das schon tausendmal gesagt, du musst einfach mal zuhören«, entgegnete sie gereizt und öffnete die Tür.

Hannahs Mutter trat ein, begrüßte Jan und Niklas und setzte sich.

»Komme ich ungelegen?«, fragte sie. Ihr war nicht entgangen, dass gerade dicke Luft herrschte.

»Nein, alles okay, möchtest du ’nen Kaffee?«, riss sich Jan zusammen.

»Gern«, nickte sie.

»Mama hat sich bereiterklärt an vier Wochentagen vormittags auf Niklas aufzupassen. Ich hab dem Chef angeboten, vorzeitig wieder einzusteigen und zwanzig Stunden die Woche zu arbeiten. Er war einverstanden, wollte das aber erst mit Personalrat und Gewerkschaft abstimmen.«

»Weiß Rico davon?«

»Keine Ahnung«, zuckte Hannah mit den Achseln. »Glaub aber nicht, dass er was dagegen hätte. Einen Ersatz für mich hat er ja nicht bekommen.«

»Klar, Schuberth ist uns zugeteilt worden. Ein cleverer Bursche«, meinte Jan.

»Blödsinn, der ist IT-Fachmann und kein Ermittler. Außerdem hat der auch schon vorher eng mit uns zusammengearbeitet.«

»Na gut, dann mach ich mich mal auf den Weg«, stand Jan auf.

»Soll ich dich mitnehmen?«

»Nee, der Termin ist erst um neun. Ich fahre selbst.«

»Äh, wenn ihr noch was zu besprechen habt, kann ich auch später nochmal wiederkommen. Hab in der Stadt noch was zu erledigen«; sagte Hannahs Mutter, die sich unwohl fühlte, weil ihre Tochter ihrem Mann offensichtlich nichts von ihrem Besuch erzählt hatte.

»Nein, Mama. Passt schon. Wenn du möchtest, kannst du mit Niklas nach oben gehen und ihn waschen und anziehen«, schlug Hannah vor.

Ihre Mutter nickte, hob den Jungen aus seinem Stuhl und trug ihn die Treppe hinauf.

»Was denn? Bist du jetzt etwa sauer?«, fragte Hannah.

»Wäre schön gewesen, wenn du mich etwas eher in deine Pläne eingeweiht hättest. Aber du machst ja eh, was du willst. Bin dann mal weg«, schimpfte Jan.

Leise fluchend stieg er in seinen Opel Astra. Klar, er konnte verstehen, dass sie wieder arbeiten wollte. Schließlich war sie mit jeder Faser ihres Körpers Polizistin. Außerdem fehlte sie dem Team im Morddezernat. Sehr sogar. Und ja, Schuberth war natürlich kein Ersatz, auch wenn er sich alle Mühe gab. Trotzdem ärgerte er sich darüber, dass sie hinter seinem Rücken mit dem Polizeidirektor gesprochen und ihre Mutter ins Haus geholt hatte.

Außerdem war er nicht sicher, wie Niklas auf diese Umstellung reagieren würde. Womöglich käme Hannahs Mutter überhaupt nicht mit ihm zurecht. Aber gut, sie würden es versuchen. Er nahm sich vor, abzuwarten, wie sich alles entwickeln würde.

Vielleicht waren seine Bedenken unbegründet und alles würde sich zum besten fügen.

Er schaltete das Radio ein. Es lief irgendein x-beliebiger Popsong, den er zwar schon mal gehört, aber keine Ahnung hatte, welche Möchtegern-Popdiva sich da gerade die Seele aus dem Leib schrie. »Oh, Mann«, seufzte er und schob die CD ein, die aus dem Player ragte. Nachdem Hannah ihn vor zwei Jahren dazu überredet hatte, ein Konzert der Editors zu besuchen, war er auf den Geschmack gekommen. Er hatte sich eingestehen müssen, dass Tom Smith tatsächlich so etwas wie ein moderner Jim Morrison war, ein Rockpoet mit Charisma und einer verdammt guten Stimme.

Don’t say it’s easy/To follow a process/There’s nothing harder/Than keeping a promise/ Blood runs through your veins/That’s where our similarity ends/Blood runs through your veins…

Er wollte gerade in den Chorus einsteigen, als sein Handy klingelte. Er fischte das Gerät aus der Mittelkonsole und warf einen schnellen Blick aufs Display.

»Was in aller Welt…«, platzte es aus ihm heraus. Die Vorwahl begann mit 61 und die Rufnummer war gefühlt länger als seine Kontonummer.

»Ja, bitte«, meldete er sich, nachdem er die Musik leiser gestellt hatte.

»Spreche ich mit Jan Krüger?«, hörte er die dünne Stimme einer offensichtlich älteren Frau.

»Ja und wer sind Sie?«

»Äh, bitte entschuldigen Sie, dass ich Sie anrufe. Mein Name ist Meredith. Sie kennen mich nicht. Ich bin eine Freundin von Maynard. Er ist sozusagen mein Nachbar.« Jan brauchte einen Moment, dann ging ihm ein Licht auf. »Sie sind doch die tapfere Frau, die die mexikanischen Flüchtlinge gerettet hat. Der Devil hat mir von Ihnen erzählt.«

»Entschuldigung, wer hat Ihnen von mir erzählt?«

»Oh, sorry, mein Fehler. Ich meine natürlich Maynard. Er hat mir berichtet, wie Sie sich gemeinsam für diese jungen Leute eingesetzt und sie vor der Abschiebung bewahrt haben.«

»Ja ja, wir waren ein prima Team. Und das sind wir immer noch.

Er ist eine Seele von Mensch. Er hilft mir oft auf meiner Farm.

Ohne ihn wäre ich wahrscheinlich längst in einem Seniorenheim gelandet, würde grässlichen roten Tee trinken und Kreuzworträtsel lösen.«

»Was kann ich für Sie tun, Meredith?«, erkundigte er sich.

»Tja, ich weiß gar nicht genau, wo ich anfangen soll. Also kurzum, Maynard und ich stecken in großen Schwierigkeiten und ich glaube, dass wir allein damit nicht fertig werden. Wir brauchen Hilfe.«

»Worum geht’s?«

»Na ja, vor ein paar Wochen sind hier in Crockwell ein paar grauhaarige weiße Männer in schwarzen Anzügen aufgekreuzt.

Sie gaben vor, alle drei Farmen entlang der Redground Road kaufen zu wollen. Sie haben uns einen guten Preis geboten.«

»Hm, und was haben Sie denen geantwortet?«

»Was wohl? Dass sie sich zum Teufel scheren sollen.«

» Und wie haben die darauf reagiert?«

»Sie haben mein Trinkwasser vergiftet und fast die Hälfte meiner Schafe sind elendig verendet.«

»Oh, verdammt«, war Jan entsetzt.

»Das war schlimm, aber bei weitem nicht so schlimm, wie das, was sie Maynard angetan haben.« Jan zuckte zusammen. »Wollen Sie damit sagen, dass er …«

»Nein, er lebt. Gott sei Dank. Während er auf Jagd war, haben sie seine Scheune angezündet. Sein Bruder Reggie hat versucht, die Schafe aus der Scheune zu befreien und ist dabei schwer verletzt worden. Er liegt im Koma. Die Ärzte wissen noch nicht, ob er überleben wird.« Jan stockte der Atem. »Das ist ja furchtbar«, seufzte er.

»In der Tat. Doch damit nicht genug. Vor ein paar Tagen ist hier eine Motorradbande aufgetaucht. Eine Horde wirklich finsterer Typen. Die sind wie die Heuschrecken bei mir eingefallen und haben alles kurz und klein geschlagen. Oma, haben sie gesagt, wenn du nicht freiwillig verschwindest, werden wir dir Beine machen.«

»Und waren die auch bei Maynard?«

»Ja, aber er konnte sie mit Hilfe von Castor und Pollux in die Flucht schlagen. Doch mittlerweile sind noch mehr von diesen Typen angekommen. Die tyrannisieren die ganze Stadt. Gestern sind sie mit ihren Maschinen über den Wochenmarkt gerast und haben unsere Stände zerstört.«

»Und die Polizei unternimmt nichts dagegen?«

»Der alte Tucker und sein Gehilfe können da wenig tun. Die sind auf sich allein gestellt. Bis hier die South Wales Police aus Parramatta anrückt, muss schon was Außergewöhnliches vorgefallen sein. Ein paar Motorradrocker, die die Gegend unsicher machen, reichen da nicht aus.«

»Hm, und Maynard? Der lässt sich das alles doch sicher nicht gefallen, oder?«

»Genau das ist das Problem. Er will mit diesen Kerlen im Alleingang fertig werden. Maynard würde niemals jemanden um Hilfe bitten. Dafür ist er zu stolz.«

»Ja, ich weiß. Die einzige Möglichkeit ist, dass die Polizei Unterstützung aus Sydney anfordert. Darauf müssen Sie drängen, Meredith.«

»Nein, bis die darauf reagieren, haben diese Männer längst ihr Ziel erreicht. Der alte Forster, dem die Farm nördlich der Redground Road gehört, hat bereits aufgegeben. Er will verkaufen, bevor sie alles niederbrennen. Und ich werde mich wohl auch nicht mehr lange weigern können, sonst vernichten die meinen gesamten Viehbestand. Das sind brutale, skrupellose Typen, denen jedes Mittel recht ist, um das zu bekommen, was sie wollen.

Hören Sie, Herr Krüger, ich sehe nur einen einzigen Ausweg. Sie müssen Maynard helfen. Kommen Sie nach Crockwell und bringen Sie Ihre Freunde mit. Sonst sind wir hier alle verloren.«

»Crockwell liegt ja nicht mal gerade um die Ecke. Und ich habe eine Familie und einen Job. So gern ich helfen würde, aber ich kann hier nicht alles stehen und liegen lassen und Hals über Kopf nach Australien reisen«, seufzte Jan.

»Ich hätte Sie nicht angerufen, wenn es eine andere Lösung geben würde. Aber Sie sind jetzt unser einziger Rettungsanker. Helfen Sie uns, bitte. Ich übernehme selbstverständlich die Reisekosten«, flehte Meredith.

»Also gut, Meredith. Ich sehe, was ich tun kann. Halten Sie mich bitte auf dem Laufenden. Ich melde mich, sobald ich weiß, welche Möglichkeiten es gibt, zu helfen«, versprach er.

»Danke, Herr Krüger, aber warten Sie bitte nicht zu lange, ich habe das Gefühl, dass es hier bald zum großen Knall kommen wird.«

»Verstehe, also bis dann, Meredith«, beendete Jan das Telefonat.

Hannah war überrascht. Als sie pünktlich um neun das Büro von Polizeidirektor Horst Wawrzyniak betrat, waren auch Oberstaatsanwalt Oberdieck und ihr Chef, Dezernatsleiter Rico Steding, anwesend.

»Kommen Sie, Frau Hauptkommissarin, nehmen Sie Platz.

Möchten Sie einen Kaffee?«, empfing sie Waffel überaus höflich, aber auch ungewohnt förmlich, was sonst nicht seine Art war.

Bei Hannah schrillten sofort sämtliche Alarmglocken. Was zum Geier war hier eigentlich los? Sie wollte lediglich hören, dass ihrer vorzeitigen Rückkehr aus der Elternzeit nichts im Wege stand und sie ab sofort wieder arbeiten könnte. Stattdessen war hier die gesamte Führung der Polizeidirektion aufgetaucht. Das hatte irgendwas zu bedeuten. Aber was?

»Guten Tag, die Herren. Wow, was für ein hochkarätiges Empfangskomittee. Womit habe ich das verdient?«, fragte sie.

»Na ja, dieser Termin war bereits vor einigen Tagen anberaumt worden. Oberstaatsanwalt Oberdieck und ich haben uns in den vergangenen Wochen und Monaten beim Innenministerium immer wieder dafür stark gemacht, meine Nachfolge mit einer Person aus den eigenen Reihen zu besetzen. Wie Sie wissen, wurde Hauptkommissar Steding wegen seiner vermeintlichen Stasivergangenheit als ehemaliger Volkspolizist vom Innenminister von der Kandidatenliste gestrichen. Daraufhin habe ich versucht, eine andere interne Lösung zu finden, bin aber dabei auf wenig Gegenliebe gestoßen. Sie wissen wen und was ich meine, Frau Hauptkommissarin.«

»Ja, sicher«, nickte Hannah.

»Deshalb hatte ich mich dazu entschlossen, nicht in den Ruhestand zu gehen, sondern weiterzumachen, bis ein geeigneter Kandidat gefunden worden ist. Hätte ich das nicht getan, wäre einer der drei vom Ministerium favorisierten Anwärter neuer Polizeichef geworden.«

»Stimmt und alle drei wären Fehlbesetzungen gewesen. Deshalb haben Horst und ich alles getan, um diese Katastrophe zu verhindern«, erklärte der Oberstaatsanwalt.

»Nun, frei nach dem Motto, steter Tropfen höhlt den Stein, haben wir dem Innenminister nochmal deutlich gemacht, dass Hauptkommissar Steding die beste Lösung für meine Nachfolge wäre«, erklärte Horst Wawrzyniak.

»Na ja und so ganz nebenbei haben wir die Kandidaten des Ministeriums mal genauer unter die Lupe genommen und dabei einige, nennen wir’s mal, unschöne Details aus dem Berufs- und Privatleben dieser Männer ans Tageslicht befördern können. Ich kann Ihnen versichern, Frau Hauptkommissarin, Sie glauben ja gar nicht, was wir dabei alles herausgefunden haben«, schmunzelte Oberdieck.

»Und siehe da, vorgestern erhielt ich einen Anruf des Innenministers, dass er nach nochmaliger intensiver Recherche zu dem Ergebnis gekommen ist, dass Hauptkommissar Steding wohl doch kein Stasimitarbeiter gewesen sei. Jedenfalls hätte er dafür keinerlei Beweise gefunden«, sagte der Polizeidirektor.

Hannah runzelte die Stirn. »Machen Sie’s nicht so spannend, Chef, heißt das, dass…«

»…Hauptkommissar Rico Steding zum 1. Januar zum Polizeirat befördert und neuer Polizeichef wird«, unterbrach sie der Polizeidirektor.

»Und genau das haben wir ihm heute morgen mitgeteilt. Und in diesem Zusammenhang betrachte ich es als glückliche Fügung, dass Sie sich dazu entschlossen haben, sofort wieder Ihren Dienst aufzunehmen, Frau Dammüller«, sagte der Oberstaatsanwalt.

»Äh, ja, ich hoffe natürlich, dass Sie für die Betreuung Ihres Sohnes eine gute Lösung gefunden haben, denn sonst…«

»Machen Sie sich keine Sorgen, Chef. Meine Mutter wird sich während meiner Arbeitszeit um Niklas kümmern«, antwortete Hannah.

»Und was sagt Jan dazu? Er hat bisher mit keinem Wort erwähnt, dass du vorzeitig zurückkehren wirst«, fragte Rico Steding.

Hannah zuckte mit den Schultern. »Hab’s ihm heute morgen erst gesagt.«

»Oh, und wie hat er reagiert?«

»Überrascht. Aber er weiß genau, dass meine Mutter sich gut um Niklas kümmern wird. Also, alles gut. Ich bin wieder da. Allerdings zunächst nur an vier Tagen zu je fünf Stunden«, erklärte Hannah.

»Ist bereits alles besprochen und genehmigt. Sie können sofort wieder anfangen«, freute sich Horst Wawrzyniak.

»Genau, und das ist gut, weil damit die Möglichkeit besteht, dass Sie beide sich ab sofort in Ihr neues Aufgabengebiet einarbeiten können«, ergänzte der Oberstaatsanwalt.

Hannah stutzte. »Entschuldigung, ich glaube, ich verstehe nicht ganz.«

Horst Wawrzyniak grinste. »Es ist mir eine besondere Freude, Ihnen mitteilen zu können, dass Sie die neue Leiterin der Mordkommission werden. Natürlich auch erst zum 1. Januar, wenn Sie wieder Fulltime arbeiten werden.«

Hannah blies die Backen auf. »Boah, ganz ehrlich, das kommt jetzt schon etwas überraschend. Und was wird aus meinem Job als Gleichstellungsbeauftragte?«

»Den können Sie nebenbei weitermachen. Kommt eh nur alle Jubeljahre vor, dass sich jemand an die Gleichstellungsbeauftragte wendet. Während meiner Amtszeit gab es nur einen einzigen Fall, wenn ich mich richtig erinnere. Und der konnte schnell gelöst werden«, antwortete der Polizeidirektor.

»Weiß Jan was davon, was Sie hier im stillen Kämmerlein beschlossen haben?«

»Nein, diese Entscheidungen sind, wie bereits erwähnt, noch taufrisch. Und ich denke, dass es sich gehört, zunächst mit den Betroffenen zu sprechen, bevor man damit hausieren geht. Hauptkommissar Krüger hat immer wieder betont, weiter als Ermittler arbeiten zu wollen. Und Sie, Frau Hauptkommissarin, sind nach Rico Steding hier die Dienstälteste. Deshalb, und natürlich wegen Ihrer unbestrittenen fachlichen Qualitäten, steht Ihnen die Stelle der Dezernatsleiterin zu«, sagte Oberdieck.

Hannah nickte. »Klar, verstehe, aber ich denke, darüber muss ich erst mal ’ne Nacht schlafen. Und vor allem muss ich zunächst mit Jan reden. Ich möchte ihn nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellen. Der muss jetzt erst mal verdauen, dass ich ab sofort wieder im Dienst bin.«

»Ach, da mach dir mal keine Sorgen. Wie ich ihn kenne, wird er sich für uns freuen. Unser bewährtes Team bleibt zusammen, auch wenn ein paar Stühle gerückt wurden. An unserer hervorragenden Zusammenarbeit wird das nichts ändern«, sagte Rico.

»Hm, trotzdem. Lassen Sie mir ein paar Tage Zeit, um alles mit meiner Familie zu besprechen, das ist mir wichtig«, meinte Hannah.

»Natürlich, kein Problem. Ich gehe jetzt einfach mal davon aus, dass ich Ihre Zustimmung habe. Glauben Sie mir, ich denke, wir haben die bestmögliche Lösung gefunden. Wer hätte das nach dem ganzen Theater mit dem Innenministerium gedacht?«, seufzte Horst Wawrzyniak.

»Na dann, meine Dame, meine Herren, ich freue mich weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit. Schön, dass Sie wieder an Bord sind, Frau Dammüller«, sülzte der Oberstaatsanwalt, der offensichtlich erleichtert darüber war, dass sie die Beförderung nicht abgelehnt hatte.

Maynard sah den Polizeiwagen bereits, als er von der Redground Road abbog, um den letzten Kilometer zu seiner Ranch zurückzulegen. Er ließ die Dobermänner Castor und Pollux ins Haus und wartete an der Hofeinfahrt auf den ungebetenen Besuch.

»Was zum Teufel wollt ihr hier?«, giftete er Sergeant Tucker an, als der aus seinem Victoria Crown stieg.

»Hör zu, Maynard, wir sind nicht deine Feinde, sondern versuchen dir zu helfen, kapiert?«, stellte Sergeant Gerald Tucker klar.

»Ach ja? Ist das so? Also gut, wo wart ihr denn, als uns diese verdammten Biker fertigmachen wollten? Wo wart ihr, als diese skrupellosen Verbrecher Meredith’ Schafe vergiftet und meine Scheune abgefackelt haben? Und wo zum Henker seid ihr gewesen, als diese Schweine den alten Forster in die Mangel genommen haben?«

»Was soll das, Deville? Was sollten wir denn bitte zu zweit gegen fünfzig bewaffnete »Comancheros« unternehmen? Wir haben den Fall in Parramatta gemeldet und umgehend um Verstärkung gebeten«, sagte der junge Officer Jeffrey Kane, der der einzige Mitarbeiter von Sergeant Tucker im Polizeirevier Crockwell war.

»Ja und? Wo bleibt die Verstärkung? Die haben es in mittlerweile zwei Wochen nicht geschafft, ihre Ärsche zu bewegen.

Wahrscheinlich wissen die nicht mal, wo Crockwell liegt.«

»Na ja, seit dem Brand hat es bis auf den Zwischenfall auf dem Marktplatz keine weiteren Vorfälle gegeben. Die Typen sind verschwunden und im Moment ist alles ruhig. Außerdem hat die Untersuchung der Spurensicherung aus Goulburn ergeben, dass der Auslöser für den Brand in deiner Scheune wahrscheinlich ein Kurzschluss im Generator war. Die Funken hätten die Strohballen entzündet und den Dachstuhl in Brand gesetzt. Es wurden keine Spuren von Brandbeschleunigern gefunden. Außerdem hat die Auswertung der Überwachungskameras bis auf deinen Bruder niemanden aufgezeichnet, der deinen Hof in den Stunden vor dem Brand betreten hätte«, erklärte Sergeant Tucker.

»Als die Typen mir ihren Antrittsbesuch abgestattet haben, haben die die Kameras entdeckt. Deshalb sind sie von der Rückseite in die Scheune eingebrochen und haben das Feuer gelegt. Dazu brauchten sie nur einen Kanister Benzin und ein Streichholz.

Hätte Reggie nicht sein Leben aufs Spiel gesetzt, wären achtzig Schafe bei lebendigem Leibe verbrannt«, zürnte Maynard.

»Ich weiß, aber es gibt keinen Beweis dafür, dass das die Biker waren. Wir haben vorhin mit der Klinik in Sydney telefoniert. Sie sagten, sie hätten Reggie ins künstliche Koma gelegt, aber er wäre stabil. Er wird’s schaffen, Deville. Ihr Bruder ist ein harter Bursche, den bringt so schnell nichts um«, antwortete Officer Kane.

»Klar, fragt sich nur, was aus ihm wird, wenn er überlebt. Seine Haut ist zu mehr als dreißig Prozent verbrannt. Da bleibt mehr zurück, als nur ein paar kleine Narben. Er wird kein normales Leben mehr führen können.«

»Äh, wenn du ihn besuchen möchtest, würden wir die Farm solange unter Polizeischutz stellen«, bot Sergeant Tucker an.

»Sehr großzügig von euch, aber wie wollt ihr zu zweit gleichzeitig drei Farmen überwachen, die einige Kilometer auseinanderliegen? Und was in aller Welt wollt ihr tun, wenn die Kerle zurückkommen? In Parramatta anrufen, dass die ’ne Sondereinheit mit Helikoptern schicken sollen? Die werden den Teufel tun und hier aufkreuzen. Crockwell geht denen am Arsch vorbei. Nee, freunde, die Sache hier ist längst nicht vorüber. Im Gegenteil, die hat noch nicht mal richtig begonnen. Die Biker arbeiten für diese Finanzhaie aus Sidney, die sich mit allen Mitteln unsere Grundstücke unter den Nagel reißen wollen. Ich weiß zwar nicht, wer diese Kerle sind und warum sie ausgerechnet so scharf auf unser Land sind, aber ich werd’s herausfinden, auch ohne eine Spezialeinheit der New South Wales Police.«

Tucker zuckte die Achseln. »Tja, im Moment können wir leider nichts weiter tun. Sollten die Kerle wieder auftauchen, werden wir die Kollegen aus Goulburn um Unterstützung bitten. Wir werden mit dem Bürgermeister reden. Er soll auf dem offiziellen Dienstweg eine Sondereinheit der Police Force anfordern.«

»Hoffentlich hat er auch gleich das richtige Formular zur Hand.

Nach Ablauf der Bearbeitungsfrist wird er sicher einen Fragebogen erhalten. Hat er den ausgefüllt und zurückgeschickt, wird eine unabhängige Kommission der New South Wales Police darüber entscheiden, ob der Antrag auf Ersuchen von Amtshilfe auch tatsächlich gerechtfertigt ist. Man will ja schließlich keine Steuergelder verschwenden, nur um ein paar Rabauken in der Provinz zur Räson zu bringen. Nein, Tucker, die Sesselfurzer aus Parramatta werden einen Teufel tun, uns zu helfen. Wir sind auf uns allein gestellt. Das beste, was ihr tun könnt, ist, euch zu verkrümeln, wenn’s wieder losgeht und mir das Problem zu überlassen«, empfahl Maynard.

»Was haben Sie vor, Deville? Wollen Sie etwa als One Man Army gegen die Comancheros antreten? Wissen Sie eigentlich, dass das mehr als dreihundert Männer sind. Da hätte selbst die Nationalgarde Schwierigkeiten, mit denen fertig zu werden. Wir werden nicht tatenlos zusehen, wenn die zurückkommen sollten.

Zusammen mit den Kollegen aus Goulburn und den umliegenden Gemeinden werden wir ein schlagkräftiges Team auf die Beine stellen«, sagte Officer Kane.

»Das ist mutig von Ihnen, Kane, aber sie werden trotzdem den Kürzeren ziehen«, antwortete der Devil.

Tucker nickte. »Er hat recht, Jeff. Also, Maynard, hast du einen Vorschlag, wie wir denen entgegentreten können?«

»Ich sagte ja bereits, am besten gar nicht. Aber wenn ihr unbedingt helfen wollt, dann beschützt Meredith und ihre Farm. Bittet die Kollegen aus Goulburn, sich um den alten Forster und sein Anwesen zu kümmern. Ich werde mir selbst helfen«, meinte Maynard.

»Hm, also gut. So machen wir das. Wie gesagt, vielleicht kommen die ja auch gar nicht zurück. Ich habe hier den offiziellen Untersuchungsbericht der Spurensicherung aus Goulburn. Den solltest du deiner Versicherung weiterleiten«, sagte Tucker und reichte Maynard die Unterlagen.

Der Devil sah ihn an und zuckte mit den Schultern.

»Sag jetzt nicht, dass du nicht versichert bist«, ahnte Tucker Böses.

»Nein, Versicherungen sind eine Erfindung des Weißen Mannes.

Die kassieren hohe Beiträge und wenn sie zahlen sollen, verweisen sie auf irgendwelche versteckten Passagen im Kleingedruckten, um die Schadensregulierung zu verweigern«, erklärte Maynard.

Officer Kane grinste. »Da würde ich nicht mal widersprechen wollen.«

»Wie auch immer, behalte den Bericht trotzdem. Vielleicht kann er dir doch noch irgendwie von Nutzen sein«, sagte der kleine, übergewichtige Sergeant Tucker, der bereits sehnsüchtig auf seine Pensionierung wartete. Eine seiner letzten Aufgaben bestand darin, Officer Kane zu seinem Nachfolger auszubilden.

Wenn er das erledigt hätte, würde er in den wohlverdienten Ruhestand treten. Und die Zeit bis dahin hoffte er möglichst unbeschadet zu überstehen.

Als Hannah und Rico die Treppe herunter kamen, trafen sie Jan auf dem Flur, der ungeduldig mit der Faust gegen den Kaffeeautomaten hämmerte.

»Meine Fresse, dieses verfluchte Kackding treibt mich noch in den Wahnsinn«, schimpfte er.

»Das Gerät ist sensibel, mein Lieber. Anstatt draufzuhauen, solltest du es mal mit ein paar warmen Worten und einem leichten, kameradschaftlichen Klaps versuchen. Wirkt Wunder, glaub mir«, empfahl Hannah.

»Alles geklappt?«, fragte er.

»Nicht hier auf dem Flur«, flüsterte Hannah und zog ihn am Ärmel mit sich.

»Schließ die Tür«, forderte Rico, als Jan als Letzter das Büro betrat. Er öffnete die unterste Schreibtischschublade und holte seine Thermoskanne hervor. Der Kaffee seiner Frau war unter den Kollegen heiß begehrt. Selbst der Polizeidirektor ließ keine Gelegenheit aus, um im Büro des Morddezernats ein oder zwei Tassen davon zu schnorren. Rico schenkte den beiden Kaffee ein und stellte die Becher auf den Schreibtisch.

»Ich denke, ich kann dir gar nicht genug danken, Jan«, begann Rico. »Du hast dich immer für mich eingesetzt und wurdest nie müde, denen zu erklären, dass ich niemals ein Stasispitzel gewesen bin. Und du hast das Angebot, Waffels Nachfolger zu werden, abgelehnt, weil du es als nicht richtig empfunden hast, wie das Ministerium mit mir umgegangen ist. Und das hat jetzt Früchte getragen. Er hat mir gerade mitgeteilt, dass ich ab dem 1.

Januar zum Polizeirat befördert werde und seine Nachfolge antreten soll«, strahlte Dezernatsleiter Rico Steding.

»Du warst und bist die einzige Option. Niemand könnte das besser machen als du. Ich habe aus Überzeugung gehandelt. Na ja, ich wusste natürlich nicht, ob die meine Meinung überhaupt interessiert. Aber scheinbar konnte ich einen kleinen Teil zu dieser Entscheidung beitragen. Das freut mich sehr für dich, Rico. Ich gratuliere«, sagte Jan.

»Boah, und wir trinken Kaffee. Eigentlich sollten wir ’ne Flasche Champagner köpfen«, meinte Hannah.

»Stimmt, wir haben ja schließlich gleich doppelten Anlass zu feiern«, sagte Rico, um sich zugleich Hannahs strafenden Blick einzufangen.

Jan sah die beiden fragend an. »Wieso, hab ich noch was verpasst?«

»Äh, na ja, schließlich ist Hannah ja wieder an Bord. Das ist doch großartig«, bekam Rico gerade noch die Kurve.

»Ja, danke, Rico. Vier Tage die Woche zu je fünf Stunden. Es gibt zwar nichts Schöneres, als sich um sein Kind kümmern zu können, aber in den letzten Tagen habe ich festgestellt, dass mir zu Hause die Decke auf den Kopf fällt. Meine Mutter kümmert sich um Niklas, wenn Jan und ich nicht zu Hause sind«, sagte Hannah. Dass sie Leiterin der Mordkommission werden würde, wollte sie Jan in einer ruhigen Minute selber erzählen.

Plötzlich wurde ohne anzuklopfen die Bürotür aufgerissen und Oberkommissar Krause kam hereingestürmt.

»Hab ich doch richtig gehört. Die Stimme am Kaffeeautomaten, meine ich. Herzlich Willkommen zurück und Glückwunsch zur Beförderung.«

»Äh, ja danke, Krause«, schaltete Rico am schnellsten.

»Ja, nee, ich meinte…«, wollte Krause richtigstellen, wem sein Glückwunsch galt.

»…wir haben hier was Wichtiges zu besprechen. Kannst du später nochmal wiederkommen?«, nahm ihm Rico den Wind aus den Segeln.

»Klar, aber ich könnte gerade gut deine Hilfe brauchen, Hannah.«

»Ich bin noch gar nicht wieder richtig im Dienst. Kann das vielleicht bis morgen warten?«

»Leider nicht. Nebenan bei der Sitte sitzt ’ne junge Frau mit ihrer Mutter. Sie behauptet, sie sei vergewaltigt worden, will aber nur mit einer Kollegin reden. Und wie du weißt, bist du im Moment die einzige Hauptkommissarin im Revier.«

»Dann wird’s verdammt nochmal Zeit, dass sich das ändert. Aber gut, einen Moment, ich komme gleich«, antwortete Hannah.

»Danke, wir sind nebenan«, sagte Krause und verschwand.

»Wieso zum Henker weiß Krause davon?«, giftete Hannah Rico an.

»Beruhige dich, Schatz. Dass Rico Waffel beerbt und du seine Nachfolge in der Mordkommission antreten wirst, weiß bereits das ganze Präsidium. So eine Info macht schnell die Runde. Und du kennst Waffel. Der ist doch fast vor Stolz geplatzt, dass er Rico doch noch als seinen Nachfolger durchdrücken konnte. Und du weißt, wie schlecht er gute Nachrichten für sich behalten kann«, griff Jan ein.

»Moment. Bedeutet das, du hast es auch schon gewusst? Wie lange schon?«, wollte Hannah wissen.

»Ein paar Tage vielleicht. Spielt das eine Rolle?«

»Ah, verstehe, du wolltest es mir nicht erzählen, damit ich nicht auf die Idee komme, Waffels Wunsch nachzukommen, vorzeitig wieder einzusteigen. Wäre ich erst zum 1. Januar zurückgekommen, wäre es mit der Beförderung aus zeitlichen Gründen schwierig geworden. Oder wolltest du verhindern, dass…«

»…jetzt hör schon auf Hannah. Du wärst auch Dezernatsleiterin geworden, wenn du erst im Januar angefangen hättest. Das hat Waffel Jan und mir bestätigt. Da konnte ja noch niemand ahnen, dass du schon heute wieder hier sein würdest. Schluss jetzt mit dieser unsinnigen Diskussion. Es ist alles gut so wie es ist, verstanden? Und, wenn es dich beruhigt, es wurde zu keiner Zeit über einen anderen Kandidaten als Leiter der Mordkommission nachgedacht. Du warst immer die erste und einzige Wahl«, wurde Rico deutlich.

«Dann wäre das ja geklärt. Ich geh dann mal rüber zur Sitte. Mal sehen, was die junge Dame zu Protokoll gibt. Besser mittendrin als nur dabei, würde ich sagen.« Hannah trank einen Schluck Kaffee, stand auf und warf den beiden einen strengen Blick zu, bevor sie das Büro verließ. »Was ist mit euch? Habt ihr nichts zu tun?«

»Na bitte, wer sagt’s denn? Waffel hat sie ja ausdrücklich gebeten, sich sofort einzuarbeiten«, grinste Rico.

»Tja, aber dass das so schnell geht, damit konnte natürlich niemand rechnen«, schmunzelte Jan.

»Spinner«, kommentierte Hannah als sie das Büro verließ.

Sie klopfte kurz, bevor sie eintrat. Im Vernehmungsraum saßen die Oberkommissare Krause und Jungmann und sprachen mit einer dunkelhaarigen Frau mittleren Alters.

»Guten Morgen, ich bin Hauptkommissarin Dammüller«, sagte sie und setzte sich.

»Das sind Frau Iwanova und ihre Tochter Mila. Sie wollen eine Vergewaltigung anzeigen« erklärte Krause.

»Ja, aber wir möchten das bitte mit Ihnen unter vier Augen besprechen. Meine Tochter schämt sich und will ungern in Gegenwart eines Mannes über den Vorfall reden. Ich hoffe, das ist kein Problem für Sie«, wandte sie sich an die beiden Oberkommissare.

»Nein, ist es nicht. Wir lassen Sie dann jetzt mal allein«, erwiderte Krause und verließ zusammen mit Jungmann den Raum.

»Na, dann erzählen Sie mal«, kam Hannah sofort zur Sache.

»Ja, also wie gesagt, wir möchten…«, begann die Mutter,

»Entschuldigen Sie, Frau Iwanova, aber spricht Ihre Tochter kein Deutsch?«

»Doch, natürlich.«

»Gut. Dann würde ich gern von Mila hören, was geschehen ist.« Hannah sah Mila an und nickte ihr auffordernd zu.

»Mein Name ist Milana Iwanova, ich bin neunzehn Jahre alt und arbeitete als Auszubildende im Architekturbüro Langhoff«, begann sie.

»Okay, also was ist passiert?«, fragte Hannah.

»Ihr Chef hat sie vergewaltigt, das ist passiert. Dieses verdammte…«, schimpfte die Mutter.

»Stopp, Frau Iwanova. Sie sind jetzt mal ruhig, klar?«, fuhr Hannah dazwischen.

»Samstag vor vier Wochen war ich mit meinen Freundinnen in der Stadt. Wir haben einen Kneipenbummel gemacht. Gegen Mitternacht sind wir dann in einen Club gegangen, um zu feiern und zu tanzen. Als ich an der Bar was zu trinken geholt habe, stand plötzllich mein Chef hinter mir. »Na, das ist ja ein Zufall«, sagte er. Ich war natürlich überrascht, ihn dort zu treffen. Ich meine, der ist irgendwo um die Fünfzig. Geht’s noch? Der ist doch viel zu alt für so einen Schuppen, oder? Ich habe versucht ihn abzuwimmeln, aber er wollte unbedingt meine Getränke bezahlen. Ich bedankte mich und ging schnell zurück zu meinen Freundinnen, in der Hoffnung, dass er wieder verschwinden würde.«

»Aber das tat er nicht, oder?«

»Nein, es dauerte nicht lange und er kam zu uns an den Tisch. Er fragte, ob er stören würde und setzte sich. Voll peinlich, Frau Kommissarin. Ich habe mich in Grund und Boden geschämt.

Mein Chef, der alte Sack, macht junge Mädchen an. Eine Vollkatastrophe, ehrlich.«

»Verstehe. Was geschah dann?«

»Plötzlich fragte er mich, ob ich mit ihm tanzen würde? Ich meine, was hätten Sie gemacht? Immerhin war er mein Chef. Ich wollte ihn nicht beleidigen. Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, dass er sich verpissen soll.«

»Also haben Sie mit ihm getanzt?«

»Was hätte ich tun sollen? Ja, ich habe mit ihm getanzt. Danach hat er uns ohne Ende Getränke spendiert. Meine Freundinnen waren begeistert.

»Der ist doch süß. Den halte ich mir als Sugar Daddy, meinte eine meiner Freundinnen. Ich hätte vor Scham im Boden versinken können. Am liebsten wäre ich Hals über Kopf abgehauen.

Aber ich wollte meinen Job nicht aufs Spiel setzen. Also machte ich gute Miene zum bösen Spiel und blieb.«

»Kann ich nachvollziehen. Was geschah dann?«, wollte Hannah wissen.

»Er hat Mila abgefüllt, mit nach Hause genommen und vergewaltigt, dieses Schwein«, schimpfte Jelena Iwanova.

Hannah überging die Äußerung der Mutter und nickte Mila aufmunternd zu, selbst zu erzählen, was weiter passiert war.

»Je mehr ich getrunken hatte, desto weniger störte es mich, dass er da war. Er war höflich, freundlich und machte niemanden von uns blöd an. Gegen halb fünf wollten wir nach Hause. Meine Freundin Sarah bestellte ein Taxi. Sie wohnt nicht weit von uns entfernt. »Blödsinn«, meinte Robert Langhoff, »ich kann dich doch mitnehmen. Liegt ja quasi auf meinem Weg.«

»Robert Langhoff? Der Stararchitekt? Das ist Ihr Chef?«, hakte Hannah nach.

»Sie kennen den?«, wunderte sich Mila.

»Nicht persönlich. Aber er ist natürlich in Leipzig ein bekannter Mann«, antwortete Hannah.

»Na ja, egal. Wie gesagt, ich hatte einiges getrunken und war hundemüde. Ich wollte nur noch nach Hause und schlafen. Also habe ich sein Angebot angenommen. Schließlich war er mein Chef, oder?«

»Hm, Sie hätten auch nein sagen und mit Ihrer Freundin ein Taxi nehmen können«, entgegnete Hannah.

»Mila war betrunken. Sie konnte nicht mehr klar denken«, warf die Mutter ein.

»Stimmt. Mir war alles egal. Ich wollte nur noch in mein Bett«, seufzte Mila.

»Okay und dann?«

»Ich muss auf der Fahrt eingeschlafen sein. Als ich aufwachte, wusste ich zunächst gar nicht, wo ich war. Ich lag in irgendeinem Bett. Plötzlich stand mein Chef vor mir. Er trug einen Morgenmantel. Er fragte mich, ob ich Frühstück wollte.«

»Also befanden Sie sich in der Wohnung von Herrn Langhoff?«, fragte Hannah.

»Ja und sie lag splitterfasernackt in seinem Bett«, schimpfte die Mutter.

»Und Sie können sich nicht daran erinnern, was geschehen war, nachdem Sie im Wagen Ihres Chefs eingeschlafen waren?«

»Dieser Mistkerl hat ihr K.O. Tropfen verpasst, sie in seine Wohnung gezerrt und vergewaltigt. Mehrmals, wie die Untersuchungen der Gynäkologin ergeben haben«, ätzte Frau Iwanowa.

»Zunächst nicht. Aber nach und nach kamen die Erinnerungen zurück. Ich bin mit ihm rauf in sein Appartement gefahren. Dort haben wir noch was getrunken, keine Ahnung was. Dann hat er mich irgendwann ins Schlafzimmer getragen, ausgezogen und ins Bett gelegt.«

»Und danach? Können Sie sich noch an irgendetwas erinnern? Hat er sich zu Ihnen ins Bett gelegt?«, fragte Hannah.

»Ja, er hat sich auf mich gelegt. Er war schwer, roch nach Alkohol, Schweiß und abgestandenem After Shave.«

»Und Sie? Haben Sie versucht, ihn abzuwehren?«

»Keine Ahnung. Ich konnte ihn riechen, konnte ihn spüren, aber ich konnte mich nicht bewegen. Es war schrecklich.« Mila liefen die Tränen.

»Er hatte sie mit Medikamenten ruhig gestellt und gefügig gemacht. Sie war ihm wehrlos ausgeliefert. Wir können froh sein, dass dieser Perverse sie nicht umgebracht hat. Der gehört lebenslang weggesperrt«, ereiferte sich die Mutter.

»Was geschah, nachdem Sie aufgestanden waren?«, wollte Hannah wissen.

»Er lachte mich freundlich an und meinte, ich soll vor dem Frühstück duschen gehen.«

»Was Sie aber nicht taten.«

»Ich schnappte meine Klamotten und ging ins Bad. Ich drehte die Dusche auf, zog mich rasch an, öffnete die Tür einen Spalt und vergewisserte mich, dass er im Esszimmer war. Ich schlich auf Zehenspitzen zur Wohnungstür und wollte gerade verschwinden, als er plötzlich hinter mir stand.

»Bleib doch noch ein bisschen, Mila, sagte er. Wir frühstücken in Ruhe und danach bringe ich dich nach Hause.«

»Als er so vor mir stand, mit seinem halboffenen Bademantel, habe ich Panik bekommen. Ich dachte, er würde mich wieder zurück ins Bett zerren und nochmal über mich herfallen, wie er es letzte Nacht gleich mehrere Male getan hatte. Ich habe ihn von mir wegschubst, bin den Flur entlang am Fahrstuhl vorbei gelaufen und bin die Treppe hinuntergerannt, so schnell ich konnte.

Ich hatte Angst, dass er mit dem Fahrstuhl schneller unten sein würde als ich.«

»War er aber nicht«, meinte Hannah.

»Nein, ich glaube nicht, dass er mir gefolgt ist. Danach bin ich zu

Fuß nach Hause gelaufen. Ich habe mich immer wieder umgedreht, aber wie gesagt, er hat mich nicht verfolgt.«

»Und dann haben Sie Ihrer Mutter alles erzählt, sind ins Krankenhaus gefahren und haben sich untersuchen lassen?«

»Es war Sonntagmorgen. Das war gar nicht so einfach. Meine Mutter hat ihre Gynäkologin angerufen. Frau Dr. Rosemeyer wollte, dass wir in eine Klinlik fahren und danach zur Polizei gehen, aber meine Mutter hat sie überredet, dass wir uns in ihrer Praxis treffen können.«

»Aus welchem Grund?«, wunderte sich Hannah.

»Na ja, immerhin war Mila bei Langhoff beschäftigt. Sie hatte einen sehr gut bezahlten Ausbildungsplatz, den sie nicht verlieren wollte. Wir wollten keinen Schnellschuss machen und genau überlegen, was wir tun sollten. Einen solch hochangesehenen Mann der Vergewaltigung zu beschuldigen, wäre natürlich ein Risiko gewesen. Er hätte wahrscheinlich gesagt, der Sex wäre einvernehmlich gewesen. Es gab keine Zeugen, die das Gegenteil hätten behaupten können. Er hätte es so dargestellt, dass beide im angetrunkenen Zustand im Bett gelandet wären. Das ist ja schließlich keine Seltenheit. Außerdem ist Mila volljährig«, zuckte Jelena Iwanova mit den Schultern.

»Aber jetzt, gut vier Wochen später, sind Sie zu der Einsicht gelangt, Langhoff anzuzeigen. Woher der plötzliche Sinneswandel?«, fragte Hannah.

»Nachdem ich mich eine Woche krank gemeldet hatte, bin ich wieder ins Büro gefahren. Langhoff hat mich freundlich begrüßt und mich gefragt, wie’s mir geht. Am nächsten Tag hat er mich in sein Büro gebeten und mich zum Essen eingeladen. Er meinte, wir hätten uns ja gerade näher kennengelernt und er würde unsere Beziehung gerne vertiefen. Ehrlich gesagt, wusste ich in diesem Moment nicht, was ich antworten sollte. Ich hatte gehofft, dass er nie wieder ein Wort über besagte Nacht verlieren würde.«

»Er war offensichtlich an einer Beziehung interessiert. Was haben Sie ihm darauf geantwortet?«. wollte Hannah wissen.

» Na ja, ich habe seine Einladung angenommen.«

»Wie bitte?«

»Er war mein Chef, verdammt. Ich hatte Angst, rauszufliegen, wenn ich ihm einen Korb geben würde.«

»Sind Sie wieder mit ihm im Bett gelandet?«

»Nein, er hat mich nach dem Essen nach Hause gebracht.«

»Haben Sie mit ihm über die Nacht von Samstag auf Sonntag letzter Woche gesprochen?«

»Ja, er meinte, wir hätten wohl beide zuviel getrunken.«

»Hm, das war klar. Wird schwierig, ihm Vergewaltigung zu unterstellen. Ganz davon abgesehen, dass Sie nichts in der Hand haben, was beweist, dass er Sie zum Sex gezwungen hat«, stellte Hannah fest.

»Langhoff hat mir im Club K.O. Tropfen in den Drink geschüttet.

Dann hat er in Gegenwart meiner Freundin Michaela behauptet, er würde mich nach Hause fahren. Anschließend hat er mich in sein Appartement verschleppt und mehrfach vergewaltigt. Am nächsten Morgen hat er den Eindruck erweckt, als hätten wir einvernehmlichen Sex gehabt.«

»Sie hätten, nachdem Sie bei Ihrer Gynäkologin waren, sofort zur Polizei gehen müssen. Dass Sie es erst jetzt, vier Wochen später, tun, wirft jede Menge Fragen auf.«

»Ich habe doch gesagt, dass ich Angst hatte, meinen Job zu verlieren.«

»Und jetzt haben Sie keine Angst mehr davor?«

»Ich arbeite nicht mehr in Langhoffs Firma.«

»Sie haben gekündigt?«

»Nein, er hat mich rausgeschmissen.«

»Wirklich? Mit welcher Begründung?«

»Als Langhoff klar wurde, dass ich nicht vorhabe, mich mit ihm einzulassen, hat er mir unterstellt, streng vertrauliche Unterlagen an die Konkurrenz weitergegeben zu haben. Nachdem ich weg war, hat er nicht lange getrauert, sondern sich umgehend seinem nächsten Opfer zugewendet.«

»Woher wissen Sie das?«

»Wir haben den Kerl einfach mal genauer unter die Lupe genommen, Frau Kommissarin. Und siehe da, der Mistkerl zieht an jedem Wochenende die gleiche Masche ab. Er macht sich in Clubs an junge Frauen ran. Er zahlt Ihnen die Drinks, schüttet seiner Auserwählten K.O. Tropfen ins Glas und bietet danach an, sie nach Hause zu fahren. Was danach geschieht, wissen wir.«

»Also kennen Sie weitere seiner Opfer?«

»Ja, aber diese Mädchen suchen die Schuld bei sich. Sie sprechen von einem One Night Stand unter Alkoholeinfluss. Davon, dass Langhoff sie ruhiggestellt hat, in sein Appartement verschleppt und vergewaltigt hat, wollen sie nichts wissen«, sagte Jelena Iwanova.

»Haben Sie Namen und Adressen dieser jungen Frauen? Vielleicht ist ja doch eine von ihnen bereit, Langhoff anzuzeigen?«, meinte Hannah.

»Eine von denen ist eine ehemalige Kollegin von mir. Sie heißt Stephanie Virkus. Sie hat mir erzählt, was passiert ist.«

»Aber sie will Langhoff nicht anzeigen?«

»Nein, sie arbeitet bei ihm.«

»Na gut, also bleiben Sie dabei, Robert Langhoff wegen Vergewaltigung anzuzeigen?«

»Ja«, nickte Mila Iwanova.

»Dann werden wir die Anzeige aufnehmen und den Mann vorladen. Aber versprechen Sie sich nicht zuviel davon. Es wird für seine Anwälte kein großes Problem darstellen, die Beschuldigungen gegen ihren Mandanten zu entkräften. Die Aussagen von Frau Virkus oder anderer betroffener Frauen wären durchaus hilfreich.«

»Danke, Frau Hauptkommissarin«, sagte Jelena Iwanova.

»Danken Sie mir nicht zu früh. Bisher haben wir nicht viel gegen Langhoff in der Hand. Wir melden uns bei Ihnen, wenn wir mit dem Mann gesprochen haben.« Hannah stand auf, reichte den beiden Frauen die Hand und verließ den Vernehmungsraum.

Maynard war angespannt. Er spürte, dass etwas in der Luft lag.

Diese Männer, wer immer die auch waren, würden nicht eher Ruhe geben, bis sie ihre Ziele erreicht hätten. Sie wollten mit aller Macht die Farmen an der Redground Road in ihren Besitz bringen. Sie hatten Meredith, dem alten Forster und ihm gutes Geld geboten. Mehr als sie im Moment für einen Verkauf erzielen würden. Maynard hatte seine Ranch vor zehn Jahren einem alten Ehepaar abgekauft, das nicht mehr in der Lage war, Grund und Boden zu bewirtschaften und sich innerhalb der Familie niemand fand, der das Erbe antreten wollte. Er hatte ihnen damals

150.000 Dollar gezahlt. Da aber sämtliche Gebäude renovierungsbedürtig waren, hatte er in etwa die gleiche Summe investieren müssen, um die Farm auf Vordermann zu bringen.

Er hatte keine Ahnung, warum diese Männer hinter ihren Grundstücken her waren wie der Teufel hinter der Seele. In dieser Gegend gab es seines Wissens weder Öl- noch Gasvorkommen, ganz zu schweigen von anderen Bodenschätzen wie Eisenerz, Blei oder Zink und schon gar kein Gold.

Nachdem Meredith Connor, der alte Forster und er die Angebote abgelehnt hatten, begann der Psychoterror. Zunächst wurde auf der Connor-Farm der Bachlauf zum Weideland kontaminiert, auf der Ranch des alten Forsters wurde Zäune niedergerissen und ein Teil der flüchtenden Rinder erschossen. Schließlich wurde seine Scheune niedergebrannt. Beim Versuch, die Schafe vor dem Feuer zu retten, wurde sein Zwillingsbruder Reggie schwer verletzt und lag seitdem im Koma. Für diese Anschläge waren die

»Comancheros« verantwortlich, eine Motorradbande, die aller Wahrscheinlichkeit nach von diesen Bodenspekulanten und Finanzhaien angeheuert worden war. Nachdem die Biker über den Marktplatz von Crockwell gerast waren und dabei eine Spur der Verwüstung hinterlassen hatten, waren sie plötzlich verschwunden. Im Moment herrschte Ruhe. Aber das war nur die Ruhe vor dem Sturm, ahnte er.

Er war auf dem Weg zu Meredith, um nach dem Rechten zu sehen. Die alte Frau war diesen Kerlen wehrlos ausgeliefert. Er wusste zwar noch nicht wie, aber er würde nicht zulassen, dass diese Kriminellen sich ihren Besitz unter den Nagel reißen würden. Das Problem war, dass er allein war und nicht an mehreren Orten gleichzeitig sein konnte. Die beiden Dorfpolizisten hatten ihm zwar ihre Unterstützung zugesagt, doch darauf konnte er sich nicht verlassen. Diese Männer waren kaum kampferprobt, ständen gegen diese skrupellosen Schläger auf verlorenem Posten.

Und auf Hilfe aus den umliegenden Polizeirevieren konnten sie nicht hoffen. Die waren unterbesetzt, schlecht ausgebildet und zudem meilenweit entfernt.

Als er von der Redground Road auf den Weg zu Meredith’ Ranch abbog, klingelte sein Handy. Unterdrückte Rufnummer. Er nahm das Gespräch an.

»Guten Morgen, Mr. Deville. Haben Sie sich unser Angebot nochmal durch den Kopf gehen lassen?«, fragte der Anrufer, ohne sich vorzustellen.

Maynard atmete tief durch. Er brauchte einen Moment, um seine Wut zu kontrollieren.

»Wer immer Sie auch sind, Mister, Sie haben einen Fehler gemacht«, antwortete er.

»Hören Sie, Deville, wir sind bereit, den Kaufpreis zu erhöhen.

Wieviel wollen Sie?«

»Wir verkaufen nicht.«

»Also gut, wir legen nochmal Fünfzigtausend drauf.«

»Nein.«

»Sein Sie nicht dumm, Mann, und denken noch mal in Ruhe darüber nach. Ich rufe wieder an.« Das Gespräch war beendet.

Auf dem Hof vor dem Wohnhaus standen Meredith und Officer Kane neben dem Polizeiwagen. Sie schienen in heller Aufregung zu sein. Maynard bremste seinen Truck ab und sprang aus dem Wagen.

»Stell dir vor, James, der alte Forster hat verkauft.« Meredith nannte Maynard stets bei seinem zweiten Vornamen James. »Gerade eben. Sergeant Tucker hat angerufen. Diese Männer sind da heute Morgen in aller Frühe aufgekreuzt, haben das Angebot nochmal erhöht und ihm die Kaufverträge vorgelegt. Tucker musste tatenlos mit ansehen, wie Forster unterschrieben hat. Daraufhin hat er seine sieben Sachen gepackt und wurde von seinem Sohn abgeholt. Tucker meinte, er hätte keine Ahnung, was mit dem Viehbestand geschehen würde. Wahrscheinlich würde die gesamte Rinderherde zur Schlachtbank geführt. Ist das nicht fürchterlich, James? Und wir können nichts dagegen tun.« Meredith war der Verzweiflung nahe.

Maynard legte ihr tröstend seine Hand auf die Schulter. Diese Geste des Mitgefühls war weitaus mehr, als der Devil, wie ihn seine Freunde nannten, gewöhnlich zu geben bereit war. »Wird schon, Meredith. Ich werde mich um diese Leute kümmern, versprochen.«

Die alte Frau schüttelte den Kopf. »Wie willst du das anstellen? Die Unterstützung von zwei zugegebenermaßen tapferen Polizisten wird da wohl kaum ausreichen.«

»Hm, das wird sich zeigen.«

»Sie hat recht, Mr. Deville und das wissen Sie genau. Wenn die

»Comancheros« zurückkommen, werden die hier alles dem Erdboden gleich machen. Und wir werden nichts dagegen tun können. Die werden erst Ruhe geben, wenn sie ihr Ziel erreicht haben«, glaubte Officer Kane.

»Sorgen Sie dafür, dass die Bundespolizei davon erfährt, was hier vor sich geht. Machen Sie Tucker Druck, damit der endlich was unternimmt. Die drei Beamten aus Goulburn werden uns jedenfalls nicht weiterhelfen. Bleiben Sie hier, bis der Sergeant von der Forster Farm zurückkommt und lassen Sie Meredith auf gar keinen Fall allein. Rufen Sie mich sofort an, wenn sich hier einer von denen blicken lässt, verstanden? Ich muss zurück auf meine Farm. Möglich, dass die Typen, die Forsters Ranch gekauft haben, bereits auf dem Weg zu mir sind«, befürchtete Maynard, stieg in seinen Truck, rauschte vom Hof, und hinterließ eine quellende Staubwolke.

Zurück im Büro, erzählte Hannah ihren Kollegen, was sie gerade im Vernehmungszimmer erfahren hatte.

»Robert Langhoff? Der Stararchitekt? Der soll die junge Frau vergewaltigt haben? Hm, klingt alles andere als glaubwürdig.

Warum zum Teufel sollte der sowas tun?«, stutzte Rico.

»Aus dem gleichen Grund, aus dem Männer sowas eben machen.

Sie können ihre Triebe nicht kontrollieren, werden von Frauen, die ihnen gefallen, nicht beachtet oder abgewiesen oder suchen einfach nur den besonderen Kick«, erklärte Hannah.

»Macht«, meinte Jan.

»Macht?«, fragte sie.

»Ja, Macht. Ich denke bei solchen Typen wie Langhoff geht es darum, seine Macht zu demonstrieren. Er glaubt mit seinem beruflichen Erfolg, der damit verbundenen gesellschaftlichen Stellung und seinem Geld kann er sich alles nehmen, was er will. Er ist ein mächtiger Mann. Er ist es gewohnt, nur mit dem Finger zu schnippen und schon bekommt er, was er will. Und wenn nicht, dann nimmt er es sich«, sagte Jan.

»Möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich«, meinte Rico. »Außerdem verstehe ich nicht, warum die Frau erst nach vier Wochen Anzeige erstattet.«

»Weil Langhoff ihr Chef war. Sie hatte Angst, ist doch absolut nachvollziehbar«, meinte Hannah.

»Ihr größter Fehler war, dass sie nicht sofort ihr Blut nach sedierend wirkenden Substanzen hat untersuchen lassen«, sagte Jan.

»Klar, aber selbst das wäre kein Beweis gewesen, dass Langhoff ihr das Zeug verabreicht hat.«

»Stimmt. Aber es wäre zumindest ein weiteres Indiz gewesen, das zum Vorwurf der Vergewaltigung gepasst hätte«, sagte Rico.

»Wie auch immer. Was hast du jetzt vor? Willst du Langhoff vorladen?«, fragte Jan.

»Ich? Wieso ich? Ich bin Ermittlerin bei der Mordkommission.

Mit diesem Scheiß sollen sich Jungmann und Krause rumschlagen.«

»Komm schon, Hannah. Die beiden gehören doch längst zu uns.

Das Sittendezernat besteht lediglich noch auf dem Papier«, sagte Jan.

»Vorschlag zur Güte: Die beiden kümmern sich um die Sache.

Wenn da wider Erwarten mehr draus werden sollte, werden wir die Kollegen unterstützen, einverstanden?«, schlug Rico vor.

»Meinetwegen, du bist der Chef«, seufzte Hannah.

»Okay, also sind wir uns einig. Ich habe gleich einen Termin beim Oberstaatsanwalt. Keine Ahnung, was der will«, zuckte Rico mit den Achseln, stopfte sich einen Keks in den Mund, nippte kurz an seinem lauwarmen Kaffee und verließ eilig das Büro.

Kaum war Rico verschwunden, ging Hannah auf Jan los. »Du hättest es mir sagen müssen, verdammt«, schimpfte sie.

»Ach ja? Du meinst, so wie du mir gesagt hast, dass deine Mutter sich in Zukunft um Niklas kümmern wird, weil du wieder arbeiten willst?«, konterte er.

»Du hättest nur versucht, mir die Sache auszureden. Außerdem musste ich erst mit meiner Mutter sprechen, ob sie bereit wäre, zu uns zu kommen und Niklas zu betreuen.«

»Und ich habe dir nichts von deiner bevorstehenden Beförderung erzählt, weil das im Moment noch gar nicht akut war. Außerdem hat Waffel darauf bestanden, dir das in einem persönlichen Gespräch mitzuteilen. Dass er das schon vorher rumposaunt, konnte ich nicht wissen. Wundern tut’s mich allerdings nicht. Der kann nichts für sich behalten, dieser Laberkopp«, schüttelte Jan den Kopf.

»Na ja, es ist wie es ist. Außerdem bin ich ja nur an vier Tagen vormittags hier. Und auf meine Mutter ist Verlass. Mir ist zu Hause einfach die Decke auf den Kopf gefallen. Niklas ist ein so verdammt unkompliziertes Kind, dass ich überhaupt keine Arbeit mit ihm habe. Er schläft nachts durch, isst brav seine Mahlzeiten und nörgelt nie. Er scheint immer zufrieden zu sein. Normal ist das nicht«, lachte Hannah.

»Ganz wie der Vater«, kommentierte Jan.

»Logo, träum weiter«, lästerte sie.

»Also gut, einigen wir uns auf Unentschieden. Ich hätte dir von deiner bevorstehenden Beförderung erzählen müssen und du hättest mich frühzeitig in deine Pläne, wieder arbeiten zu wollen und deine Mutter ins Haus zu holen, einweihen sollen.«

»Tja, was soll ich sagen? Ist was dran. Also nehmen wir uns vor, in Zukunft wieder mehr miteinander zu reden und auf Geheimniskrämereien zu verzichten?«, schlug Hannah vor.

»Einverstanden«, antwortete Jan, stand auf und gab Hannah einen Kuss.

»Wo wir gerade beim Thema Geheimniskrämereien sind, Meredith Connor aus Crockwell in Australien hat mich angerufen. Du erinnerst dich an sie?«

»Du meinst die alte Dame, mit der Maynard befreundet ist? Hat die nicht damals diesen mexikanischen Flüchtlingen geholfen und sie vor der Abschiebung bewahrt?«, war Hannah sofort im Bilde.

»Genau. Sie hat mir erzählt, dass Maynard in Schwierigkeiten steckt.« Jan berichtete Hannah, was er von Meredith in Erfahrung gebracht hatte.

»Und jetzt willst du nach Australien reisen, um Maynard zu helfen? Wie wär’s denn, wenn du zunächst mal mit ihm sprichst, bevor du dich Hals über Kopf ins Flugzeug setzt und einmal um die halbe Welt fliegst? Könnte doch sein, dass die alte Frau ein wenig übertrieben hat. Gewöhnlich weiß sich der Devil nämlich selbst zu helfen«, meinte Hannah.

»Möglich, aber Meredith ist nicht senil. Ich glaube ihr. Immerhin liegt sein Zwillingsbruder Reggie mit schweren Verletzungen im Krankenhaus. Maynard wird die Leute, die dafür verantwortlich sind, zur Rechenschaft ziehen. Aber er kämpft gegen mächtige Männer und eine Horde von gewaltbereiten Rockern. Allein wird das schwierig.«

»Dann soll Meredith doch die Polizei anrufen und nicht dich.

Selbst wenn du ihm jetzt hilfst, zu zweit wird’s auch nicht viel einfacher. Du wirst doch nicht so dämlich sein und dich dieser Gefahr aussetzen«, maulte Hannah.

»Die New South Wales Police sitzt in Sydney, hunderte von Kilometern entfernt von Crockwell. Aber du hast recht, ich allein werde Maynard nicht allzu viel nutzen. Deshalb werde ich Tom Ritter bitten mich zu begleiten und ich werde Jimmy Morisson und Johnny Henderson anrufen. Schätze, dass ich die Jungs nicht lange bitten muss.«

»Echt jetzt? Ist das dein Ernst?«, seufzte Hannah.

»Du weißt doch selbst, wie der Devil tickt. Der würde sich eher die Zunge rausschneiden, bevor er jemanden um Hilfe bittet.

Wenn aber einer seiner Kameraden in Not ist, zögert er keine Sekunde, ihm zur Seite zu stehen, egal wann und wo. Das hat er schon oft genug getan«, sagte Jan.

»Oh, Mann, du hast versprochen, nicht mehr für andere in den Kampf zu ziehen, wenn Niklas da ist. Du wolltest dich um deinen Sohn kümmern und nicht mehr fremde Probleme lösen.«

»Ja, aber hier geht es nicht um irgendjemanden, sondern um einen Freund. Vielleicht der Beste, den ich je hatte. Und du weißt, dass er alles für uns tun würde, wenn wir in Gefahr wären. Ohne ihn hätte ich Afghanistan nicht überlebt. Und ich bin sicher, dass die anderen Jungs genauso denken und jetzt für den Devil da sein werden.«

»Verstehe, ihr seid die »Brotherhood Of Warriors«. Und du gehörst dazu, auch ohne dieses verdammte Tattoo im Nacken.

Trotzdem solltest du mit Maynard reden, bevor du die anderen Kameraden anrufst und ihr zusammen Himmel und Hölle in Bewegung setzt. Vielleicht lassen sich die Dinge ja doch noch anderweitig regeln.«

»Okay, du hast recht«, stimmte Jan zu. »Aber ich befürchte, dass mir dieser Kauz nicht die Wahrheit sagt, auch wenn er in noch so großen Schwierigkeiten steckt.«

»Versuch’s doch einfach, dann sehen wir weiter«, schlug Hannah vor.

Auf dem Rückweg zur Farm rief Maynard seinen Kumpel

»Crasher« an. Theodor Crankwell war Pilot. Mit seiner zweimotorigen Propellermaschine vom Typ Cessna 402 c flog er seine Passagiere aus kleineren Städten zu den großen Flughäfen des Landes. Das Geschäft als Zubringer lief gut. Seine Flüge waren in der Regel ausgebucht.

»Hi, Crasher, ich kann hier im Moment nicht weg. Diese Typen haben sich heute Morgen die Ranch des alten Forster unter den Nagel gerissen. Die werden jetzt weitermachen und Meredith und mich solange unter Druck setzen und tyrannisieren, bis wir nachgeben. Tu mir bitte einen Gefallen und flieg allein nach Sydney.

Reggie liegt immer noch im Koma. Vielleicht erwischt du einen der behandelnden Ärzte und kannst in Erfahrung bringen, wie es um ihn steht.«

»Klar, kein Problem. Ich fliege ab 18 Uhr von Goulburn aus Geschäftsleute nach Sydney. Werde dort übernachten und gleich morgen Früh ins Krankenhaus fahren«, willigte Crasher ein.

»Ich danke dir, mein Freund. Ich hätte da noch was. Kannst du deinen Vater bitten, Hector und Paris zu mir zu bringen. Ich brauche in den nächsten Tagen zusätzliches Abschreckungspotential auf der Farm, wenn diese Kerle hier wieder auftauchen sollten.«

»Ich rufe ihn gleich an. Schätze, er wird ’ne Stunde brauchen. Sei vorsichtig, Maynard. Das, was bisher bereits geschehen ist, läßt nichts Gutes erahnen. Wo zum Henker ist die Bundespolizei, wenn man sie wirklich braucht? Aber die jagen ja lieber illegale Einwanderer und verfolgen sie bis ans Ende der Welt«, schimpfte Crasher.

Als Maynard die verkohlten Überreste seiner Scheune wegräumte, bemerkte er die Staubfahne, die sich aus Richtung Redground Road seiner Farm näherte. Er hatte das Gatter zur Hofeinfahrt geschlossen. Dahinter wachten vier ausgewachsene Dobermänner darüber, dass kein Unbefugter es wagen würde, die Farm zu betreten. Castor und Pollux gehorchten ihm aufs Wort. Er hatte sie vor fast zehn Jahren aus Afghanistan mitgebracht, nachdem ihr Besitzer von den Taliban getötet worden war. Mit fast zwölf Jahren waren die Hunde immer noch topfit und konnten einem gehörigen Respekt einflößen. Hector und Paris gehörten seinem Freund Crasher. Sie waren noch jung, gerade mal vier Jahre alt und sie waren die Söhne von Castor. Maynard und Crasher züchteten Dobermänner und betrieben unweit der Farm an der Redground Road zusammen einen Hundesportverein.

Ein schwarzer Cadillac hielt vor dem Tor. Ein Mann in dunklem Anzug stieg aus und näherte sich der Einfahrt. Maynard befahl den Hunden Platz zu machen und ging ihm entgegen.

»Mr. Deville? Mein Chef würde gerne mit Ihnen reden«, sagte der schlanke, austrainierte Typ, ohne Zweifel einer der Bodyguards.

Maynard war wütend. Am liebsten hätte er die Typen an Ort und Stelle erledigt, aber er musste sich zusammenreißen. Er wollte schließlich herausfinden, wer diese Männer waren und was sie im Schilde führten. Klar, sie wollten an der Redground Road Land kaufen. Aber aus welchem Grund? Und warum gingen diese Leute dermaßen aggressiv vor? Eine seriöse Immobilienfirma aus Sydney war das ebensowenig, wie Mitarbeiter eines staatlichen oder privaten Energieversorgers. Diese Kerle erinnerten ihn eher an Mitglieder der Mafia, denen jedes Mittel recht war, um zu bekommen, was sie wollten. Und wenn sie dabei über Leichen gehen mussten.

Maynard antwortete nicht, blieb am Tor stehen und wartete, was geschehen würde. Der Mann hielt kurz inne, dann drehte er sich um, ging zurück zum Wagen, beugte sich durch das Seitenfenster und sprach mit seinem Chef auf dem Rücksitz.

Sekunden später öffnete er die Tür und ein älterer, grauhaariger Mann, ebenfalls im dunklen Anzug gekleidet, kam auf die Hofeinfahrt zu. Er blieb im respektvollem Abstand einige Meter vor dem Gatter stehen.

»Der Unfall mit Ihrem Bruder tut mir leid, Mr, Deville. Diese hirnlosen Biker sollten lediglich ein bisschen Staub aufwirbeln, mehr nicht. Niemand hat denen gesagt, dass die Ihre Scheune abfackeln sollen. Wir werden den Schaden natürlich ersetzen und auch für die Behandlungskosten Ihres Bruders aufkommen. So wie ich gehört habe, wird er wieder gesund werden«, sagte der Mann.

»Wer sind Sie und was wollen Sie?«, raunzte der Devil.

»Das wissen Sie bereits. Wir wollen Ihre Farm kaufen und Sie so gut dafür bezahlen, dass Sie sich an einem anderen Ort niederlassen können. Wir sind nur an Grund und Boden interessiert. Ihre Schafe können Sie behalten. Einzige Bedingung, ist, dass der Verkauf schnell vonstatten geht. Und da Sie scheinbar ein hartnäckiger Mann sind, Mr. Deville, erhöhen wir den Kaufpreis nochmal um Fünfzigtausend, also auf insgesamt 300.000 Dollar. Mr.

Forster hat bereits eingewilligt und heute Morgen den Kaufvertrag für seine Ranch unterschrieben.«

»Klar, nachdem sie die Weidezäune niedergerissen und seine Rinder getötet haben«, antwortete Maynard.

»Wie gesagt, diese Bande hat das ohne unsere Zustimmung getan«, zuckte der Mann mit den Schultern.

»Sie haben immer noch nicht meine Frage beantwortet. Wer sind Sie und warum wollen Sie uns mit aller Gewalt hier vertreiben?«

»Wir kaufen im Auftrag unserer Mandanten Grundstücke und Immobilien auf. Was die Kunden dann damit anstellen, hat uns nicht zu interessieren«, antwortete der Mann genervt.

»Sie sehen aus wie Kerle, die sich nehmen, was sie wollen. Aber hier werden sie mit ihren zweifelhaften Methoden keinen Erfolg haben. Mrs. Connor und ich haben nicht vor, uns von unserem Besitz zu trennen.«

Der Mann drehte sich um und nickte. Zwei jüngere Kerle stiegen aus dem Wagen, kamen ans Tor und bauten sich neben ihrem Chef auf. Sie zogen ihre Jacken zur Seite und ließen bedrohlich ihre Revolver aufblitzen.

»Kommen Sie zur Vernunft. Nehmen Sie unser großzügiges Angebot an. Dann kommt niemand weiter zu Schaden«, warnte der Grauhaarige.

Maynard öffntete das Tor einen Spalt breit. Ein Zeichen, das Castor sofort verstand. Der Rudelführer trabte mit Pollux, Hector und Paris im Schlepptau langsam und noch vollkommen unaufgeregt Richtung Hofeinfahrt. Die Hunde setzten sich mit aufmerksam gespitzten Ohren neben Maynard und warteten geduldig auf seine Befehle.

»Was soll das, Deville? Wollen Sie uns mit Ihren Hunden Angst einjagen? Eine Bewegung in die falsche Richtung und wir knallen die Köter ab, kapiert?«, drohte der Anführer.