Der merkwürdige Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde - Robert Louis Stevenson - E-Book

Der merkwürdige Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde E-Book

Robert Louis Stevenson

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Beschreibung

Eine rätselhafte Gestalt taucht in den nächtlichen Straßen Londons auf – und ist ebenso schnell wieder verschwunden. Sie erscheint als Verkörperung all der dunklen Leidenschaften, die in den Tiefen der menschlichen Seele schlummern, eine Ausgeburt des Bösen, die auch vor einem Mord nicht zurückschreckt. Alles, was man über sie weiß, ist ihr Name: Mr. Hyde. Robert Louis Stevensons 1886 entstandene Novelle, die zu den berühmtesten Schauergeschichten der Weltliteratur zählt, ist eine faszinierende Kombination aus packendem Thriller und psychologischer Studie über die duale Natur des Menschen. Sie liegt hier in der meisterhaften Neuübersetzung von Mirko Bonné vor. – Mit einem Nachwort von Dieter Hamblock sowie einer kompakten Biographie des Autors.

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Robert Louis Stevenson

Der merkwürdige Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Aus dem Englischen übersetzt von Mirko Bonné

Mit einem Nachwort von Dieter Hamblock

Reclam

Die Übersetzung folgt dem englischen Wortlaut von:

Robert Louis Stevenson: Dr Jekyll and Mr Hyde.

Penguin English Library. London 2012

 

2020 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Anja Grimm Gestaltung

Coverabbildung: © Gutentag-Hamburg

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2020

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-961779-4

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-02611-9

www.reclam.de

Inhalt

Die Geschichte von der Tür

Die Suche nach Mr. Hyde

Dr. Jekyll war die Ruhe selbst

Der Mordfall Carew

Der Zwischenfall mit dem Brief

Dr. Lanyons rätselhaftes Erlebnis

Zwischenfall am Fenster

Die letzte Nacht

Dr. Lanyons Aufzeichnungen

Henry Jekylls vollständige Darstellung des Falls

Anmerkungen

Nachwort

Zeittafel

Für Katharine de Mattos

Irrsinn, zu lösen Bänder, die durch Gott verbunden sind –

Die Kinder bleiben wir von Heide und von Wind.

Fern der Heimat, oh, wissen du und ich, was auch geschieht,

Dass in dem Land im Norden schön der Ginster blüht.

Erstes Kapitel

Die Geschichte von der Tür

Der Anwalt Mr. Utterson war ein Mann mit schroffen Gesichtszügen, die kein Lächeln je aufhellte. Er war leidenschaftslos, wortkarg, im Gespräch verlegen und in Gefühlsdingen schüchtern; hager, hochgewachsen, staubtrocken und trübsinnig, war er doch irgendwie liebenswert. Bei Treffen mit Freunden und wenn der Wein nach seinem Geschmack war, blitzte in seinen Augen etwas zutiefst Menschliches auf, etwas, das zwar nie in seinen Äußerungen zum Ausdruck kam, das sich aber nicht nur in diesem stummen Mienenspiel nach dem Abendessen zeigte, sondern viel häufiger und deutlicher im Alltag aus seinen Handlungen sprach. Er war streng gegen sich selbst; wenn er allein war, trank er Gin, um seine Schwäche für guten Wein auszumerzen, und obwohl er gern ins Theater ging, hatte er seit zwanzig Jahren keines betreten. Dabei war er Anderen gegenüber erwiesenermaßen tolerant; fast neidisch staunte er mitunter über die draufgängerischen Temperamente, die sich da so in ihre Missetaten verstrickten, und war in jeder Notlage eher geneigt zu helfen als zu verdammen. »Ich neige zu Kains Lästerlichkeit«, sagte er im Scherz gern. »Ich lasse meinen Bruder so zum Teufel gehen, wie er es für richtig hält.« Bei so einem Charakter war es oft sein Los, der letzte achtbare Umgang und letzte gute Einfluss im Leben von Mitmenschen zu sein, mit denen es bergab ging. Und solange sie zu ihm in die Kanzlei kamen, zeigte er gerade ihnen gegenüber nicht die Spur einer Veränderung in seinem Verhalten.

Zweifellos fiel das Mr. Utterson nicht sonderlich schwer, denn bestenfalls war er zurückhaltend, und sogar seine Freundschaften schienen auf einer ähnlich vorurteilslosen Gutmütigkeit zu gründen. Man erkennt einen bescheidenen Menschen daran, dass er das Entstehen seines Freundeskreises der Gelegenheit überlässt – genauso hielt es der Anwalt. Seine Freunde kamen aus der Familie oder waren Menschen, die er am längsten kannte. Seine Zuneigung war wie Efeu, sie wuchs mit der Zeit und sagte nichts über die Eignung ihres Gegenstands aus. Daher rührte zweifellos auch die Verbindung zu Mr. Richard Enfield, einem entfernten Verwandten und stadtbekannten Mann. Die Frage, was die beiden aneinander fanden oder welches Interesse sie teilten, war für viele eine schwer zu knackende Nuss. Leute, die ihnen auf ihren Sonntagsspaziergängen begegneten, wussten zu berichten, dass sie nicht miteinander redeten, außerordentlich gelangweilt wirkten und sichtlich erleichtert das Auftauchen eines Freundes begrüßten. Trotz allem legten die beiden Männer den größten Wert auf diese Ausflüge, betrachteten sie als krönenden Höhepunkt einer jeden Woche und verzichteten nicht nur auf alle Vergnügung, sondern ließen selbst Geschäftliches außer acht, um sie ungestört genießen zu können.

Auf einem dieser Streifzüge führte sie ihr Weg zufällig durch eine Seitenstraße in einem belebten Londoner Viertel. Die Straße war schmal und was man gemeinhin ruhig nennt, auch wenn dort wochentags ein reges Geschäftstreiben herrschte. Den Anwohnern ging es anscheinend durchweg gut, und alle schienen sie eifrig darauf zu hoffen, dass es ihnen bald noch besser gehen würde, und steckten ihren Gewinn in gefällige Ausschmückungen. Den Schaufensterfassaden dieser Verkehrsstraße haftete so das Einladende von reihenweise lächelnden Verkäuferinnen an. Selbst sonntags, wenn sie ihre üppigeren Reize verschleierte und vergleichsweise menschenleer dalag, hob sich die Straße leuchtend wie ein Feuer in einem Wald von ihrer schmuddeligen Nachbarschaft ab und zog mit ihren frisch lackierten Fensterläden, blankgeputzten Messingschildern, ihrer allgemeinen Sauberkeit und heiteren Note sofort den Blick und das Wohlgefallen des Vorübergehenden auf sich.

Zwei Eingänge von einer Straßenecke entfernt wurde die ostwärts verlaufende Häuserreihe vom Durchgang zu einem Innenhof unterbrochen, und genau an dieser Stelle ragte der Giebel eines düster wirkenden Gebäudes über der Straße auf. Es war zwei Stockwerke hoch, hatte keine Fenster, nichts als eine Tür im Erdgeschoss sowie eine blinde Stirn aus verblasstem Mauerwerk in der Etage darüber und trug überall die Merkmale lang anhaltender, elender Vernachlässigung. Die Tür, an der weder Glocke noch Klopfer war, hatte Stockflecken und Blasen. Stadtstreicher krümmten sich in die Nische und zündeten an den Füllungen Streichhölzer an, Kinder spielten Kaufmann auf den Stufen, ein Schuljunge hatte an den Gesimsen sein Messer ausprobiert, und seit nahezu einer Generation war keiner aufgetaucht, der diese zufälligen Gäste vertrieben oder ihre Beschädigungen ausgebessert hätte.

Mr. Enfield und der Anwalt gingen auf der anderen Straßenseite. Als sie aber auf der Höhe des Eingangs waren, hob ersterer seinen Gehstock und zeigte hinüber.

»Hast du schon mal diese Tür bemerkt?«, fragte er und fuhr erst fort, als sein Begleiter bejahte. »In meiner Erinnerung«, fügte er an, »ist mit ihr eine sehr seltsame Geschichte verbunden.«

»Ach ja?«, gab Mr. Utterson mit leicht veränderter Stimme zurück, »und die wäre?«

»Tja«, entgegnete Mr. Enfield, »es verhielt sich folgendermaßen: An einem finsteren Wintermorgen gegen drei in der Früh kam ich gerade von irgendeinem Ort am Ende der Welt zurück, da führte mich mein Weg durch einen Teil der Stadt, in dem es buchstäblich nichts außer Laternen zu sehen gab. Straße um Straße, und alle Leute am Schlafen – Straße um Straße, alle hell erleuchtet wie für eine Prozession und alle so leer wie eine Kirche – bis mich schließlich diese Stimmung befiel, in der man lauscht und lauscht und beginnt, den Anblick eines Polizisten herbeizusehnen. Auf einmal aber sah ich zwei Gestalten: eine ein kleiner Mann, der mit kräftigen Schritten in östlicher Richtung marschierte, und die andere ein Mädchen von vielleicht acht oder zehn Jahren, das so schnell es konnte eine Querstraße heruntergerannt kam. Na ja, Sir, so wie es kommen musste, rannten die beiden an der Ecke ineinander. Aber der schreckliche Teil der Sache, der passierte erst noch, denn der Mann trampelte seelenruhig über den Körper des Mädchens und ließ es schreiend auf dem Boden liegen. Wenn man es hört, klingt es nach nichts, doch der Anblick war teuflisch. So verhielt sich kein Mensch, ein verdammter Berserker verhielt sich so. Also blies ich zur Jagd, heftete mich an seine Fersen, packte meinen Gentleman beim Kragen und brachte ihn dorthin zurück, wo schon lauter Leute um das schreiende Kind herumstanden. Er war völlig ruhig und leistete keinen Widerstand, bloß einen einzigen, so widerwärtigen Blick warf er mir zu, dass mir sofort der kalte Schweiß ausbrach. Die Herbeigelaufenen waren die Verwandten des Mädchens, und schon bald erschien auch der Arzt, nach dem es geschickt worden war. Nun gut, dem Kind fehlte zum Glück nichts, nur sehr verängstigt sei es, sagte der Knochensäger, und so hätte man annehmen können, die Sache wäre erledigt. Aber da gab es etwas, das war merkwürdig. Auf der Stelle hatte ich eine tiefe Abscheu gegen meinen Gentleman gefasst. Und ebenso erging es der Familie des Kindes, was ja nur natürlich war. Nein, das Benehmen des Arztes war es, was mich stutzig machte. Er war der typische Wald-und-Wiesen-Quacksalber, unbestimmbar sein Alter und seine Gesichtsfarbe, mit starkem Edinburgher Akzent und in etwa so gefühlvoll wie ein Dudelsack. Tja, Sir, er war wie wir alle. Jedes Mal, wenn sein Blick auf meinen Gefangenen fiel, sah ich, wie der Knochensäger vor Übelkeit bleich wurde, so groß war seine Lust, ihn umzubringen. Ich wusste, was ihm durch den Kopf ging, genauso wie er es von mir wusste, und weil Umbringen nicht in Frage kam, machten wir das Nächstbeste. Wir sagten dem Mann, wir könnten und würden so einen Skandal aus der Sache machen, dass sein Name von einem Ende Londons bis zum anderen stinken würde. Falls er Freunde habe und einen guten Ruf, würden wir dafür sorgen, dass er sie verlor. Und die ganze Zeit, während wir puterrot auf ihn einredeten, hielten wir, so gut es ging, die Frauen von ihm fern, weil die so wild wie Furien waren. Noch nie habe ich in eine Runde so hasserfüllter Gesichter geblickt, und in der Mitte, da stand mit irgendwie finsterer, spöttischer Unverfrorenheit der Mann – auch verängstigt, das konnte ich sehen –, aber ohne mit der Wimper zu zucken, mein Lieber, ganz wie Satan persönlich. »Wenn Sie es vorziehen, aus einem Unfall Kapital zu schlagen«, sagte er, »bin ich natürlich machtlos. Ein Gentleman wünscht jedes Aufsehen zu vermeiden«, meinte er. »Nennen Sie Ihre Summe.« Also trieben wir ihn hoch auf hundert Pfund für die Familie des Kindes, und deutlich sah man, wie gern er sich davor gedrückt hätte. Doch war da etwas in unserer Runde, das nichts Gutes verhieß, und so gab er schließlich nach. Als nächstes galt es, das Geld zu beschaffen. Und glauben Sie, er führte uns zu einem anderen Haus als jenem mit der Tür? – einen Schlüssel gezückt, ging er hinein und kam kurz darauf zurück mit zehn Pfund in Gold und einem bei Coutts einzulösenden Scheck über den Restbetrag, zahlbar an den Überbringer und unterschrieben mit einem Namen, den ich nicht nennen kann, auch wenn er einer der springenden Punkte in meiner Geschichte ist, ein wohlbekannter und oft zu lesender Name war es jedenfalls. Es war eine ziemliche Summe; allerdings war die Unterschrift noch mehr wert, wenn sie nur echt war. Ich nahm mir die Freiheit, meinen Gentleman darauf hinzuweisen, dass das ganze Prozedere zweifelhaft wirkte und dass zumindest im echten Leben ein Mensch nicht um vier Uhr morgens durch den Kellereingang in ein Haus ging und mit einem Scheck über fast hundert Pfund, den ein anderer ausgestellt hatte, wieder herauskam. Er aber war die Ruhe selbst und spottete bloß. »Seien Sie ganz beruhigt«, meinte er. »Ich werde bei Ihnen bleiben, bis die Banken öffnen, und den Scheck persönlich einlösen.« Also machten wir uns zusammen auf den Weg, der Arzt, der Vater des Kindes und unser Freund und ich. Wir verbrachten die restliche Nacht in meiner Kanzlei, und nachdem wir gefrühstückt hatten, gingen wir am nächsten Morgen alle gemeinsam zur Bank. Ich selbst gab den Scheck ab und sagte, ich hätte allen Grund zur Annahme, dass er gefälscht sei. Nicht die Spur. Der Scheck war echt.«

»Ts, ts«, versetzte Mr. Utterson.

»Ich sehe, du hast das gleiche Gefühl wie ich«, sagte Mr. Enfield. »Ja, ist eine üble Geschichte. Denn mein Mann war ein Bursche, mit dem keiner etwas zu tun haben möchte, ein wirklich abscheulicher Mensch. Und derjenige, der den Scheck ausgestellt hatte, ist nicht nur die Anständigkeit in Person, sondern auch allseits bekannt und (was das Schlimmste ist) einer von deinen Leuten, die, wie sie es nennen, Gutes tun. Erpressung, vermute ich; ein ehrenwerter Mann, dem man für eine seiner Jugenddummheiten Geld aus der Tasche zieht. Darum nenne ich das Haus mit dieser Tür auch das Erpresserhaus.Obwohl das natürlich bei weitem nicht alles erklärt«, fügte er hinzu und verfiel darauf in nachdenkliches Schweigen.

Aus diesem Grübeln riss ihn Mr. Utterson, indem er recht unvermittelt fragte: »Und du weißt nicht, ob der Aussteller des Schecks dort wohnt?«

»Eine passende Adresse, findest du nicht?«, gab Mr. Enfield zurück. »Aber zufällig kenne ich seine Anschrift. Er wohnt an einem Platz irgendwo.«

»Und du hast dich nie erkundigt – nach dem Haus mit der Tür?«, fragte Mr. Utterson.

»Nein, Sir – es war mir peinlich«, lautete die Antwort. »Überhaupt stelle ich nur sehr ungern Fragen, ich komme mir dann immer wie am Tag des Jüngsten Gerichts vor. Mit jeder Frage bringt man etwas ins Rollen, ganz so, als wäre sie ein Stein. Friedlich sitzt man oben auf einem Hügel, und schon geraten die Steine ins Rollen und reißen andere mit, und ehe man sich’s versieht, wird irgend so ein gutmütiger alter Tropf (der letzte, an den man gedacht hat) im Garten hinter seinem Haus auf den Kopf getroffen, woraufhin die gesamte Familie den Namen ändern muss. Nein, Sir, mein Grundsatz lautet: Je verdächtiger etwas aussieht, desto weniger frage ich.«

»Ein sehr guter Grundsatz, durchaus«, sagte der Anwalt.

»Ich selbst allerdings habe mir das Haus sehr genau angesehen«, fuhr Mr. Enfield fort. »Haus kann man es kaum nennen. Es gibt keine andere Tür, und durch diese eine geht niemand hinein oder kommt heraus außer selten und unregelmäßig der Gentleman meines Abenteuers. Im ersten Stock gibt es drei Fenster zum Hof hinaus, unten keine. Die Fenster sind immer geschlossen, sind aber sauber. Und es gibt einen Schornstein, aus dem meistens Rauch kommt, also muss dort jemand wohnen. Und doch ist das gar nicht so sicher. Denn um diesen Hof herum stehen die Gebäude so dicht beieinander, dass schwer zu sagen ist, wo das eine aufhört und das andere anfängt.«

Wieder gingen die beiden schweigend eine Weile weiter. »Enfield«, sagte Mr. Utterson irgendwann, »ein wirklich guter Grundsatz, den du da hast.«

»Ja, ich denke auch«, gab Enfield zurück.

»Und trotzdem«, fuhr der Anwalt fort, »eine Frage möchte ich noch stellen: Ich möchte dich nach dem Namen des Mannes fragen, der das Kind umgerannt hat.«

»Tja, ich weiß nicht, was dagegen spricht«, sagte Mr. Enfield. »Es war ein Mann namens Hyde.«

»Hm«, machte Mr. Utterson. »Nach welcher Sorte Mensch sieht er denn aus?«

»Er ist nicht leicht zu beschreiben. An seiner äußeren Erscheinung stimmt etwas nicht – etwas Unangenehmes, etwas regelrecht Widerwärtiges hat er an sich. Noch nie ist mir jemand begegnet, der mir so zuwider war, und doch weiß ich kaum, warum. Irgendwo muss er missgebildet sein, jedenfalls vermittelt er einen starken Eindruck von Missbildung, obwohl ich nicht genau sagen könnte, woran es liegt. Er ist ein Mann, der ganz außergewöhnlich aussieht, und doch fällt mir absolut nichts ein, was anders an ihm wäre. Nein, Sir, ich kriege es nicht zu fassen, ich kann ihn nicht beschreiben. Und das nicht, weil ich ein schlechtes Gedächtnis hätte, denn ich versichere dir, jetzt und hier kann ich ihn vor mir sehen.«

Wieder ging Mr. Utterson weiter, wortlos und sichtlich in tiefes Nachdenken versunken. »Du bist dir sicher, dass er einen Schlüssel benutzte?«, fragte er schließlich.

»Mein lieber Sir …!«, rief Enfield aus, so verblüfft war er.

»Ja, ich weiß«, sagte Utterson, »ich weiß, es klingt sonderbar. Nur ist es so, dass ich dich deshalb nicht nach dem Namen des anderen Beteiligten frage, weil ich ihn bereits kenne. Du siehst, Richard, du bist mit deiner Geschichte genau an den Richtigen geraten. Solltest du irgendwo nicht ganz exakt gewesen sein, wäre es gut, das zu korrigieren.«

»Ich finde, du hättest mich warnen können«, entgegnete der andere mit einem Anflug von Verstimmtheit. »Ich für mein Teil war jedenfalls pedantisch exakt, wie du es nennst. Der Kerl hatte einen Schlüssel, und, was wichtiger ist, er hat ihn noch. Keine Woche ist es her, da habe ich gesehen, wie er ihn benutzte.«

Mr. Utterson seufzte tief, sagte aber nichts weiter, und so war es der junge Mann, der das Gespräch wieder aufnahm. »Da lerne ich mal wieder, dass es besser ist, überhaupt nichts zu sagen«, sagte er. »Ich schäme mich für meine lose Zunge. Wir wollen nie wieder ein Wort darüber verlieren, abgemacht?«

»Von Herzen gern«, sagte der Anwalt. »Ich gebe dir meine Hand darauf, Richard.«

Zweites Kapitel

Die Suche nach Mr. Hyde