Der Mitmacher - Friedrich Dürrenmatt - E-Book

Der Mitmacher E-Book

Friedrich Dürrenmatt

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Beschreibung

»Der ›Mitmacher‹ heißt Doc: Er ist ein entlassener Biologe und arbeitet als ›Nekrodialytiker‹, als Leichenauflöser für ein Mordsyndikat: die Leichen werden in die Kanalisation gespült. Unter den Leichen sind die Geliebte Docs, Docs Sohn, schließlich der Mordboss und der Polizeipräsident Cop: Der Staat hat inzwischen die Geschäfte der Unterwelt übernommen.«

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Seitenzahl: 376

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Friedrich Dürrenmatt

Der Mitmacher

Ein Komplex. Text der Komödie (Neufassung 1980) Dramaturgie Erfahrungen, Berichte Erzählungen

Diogenes

Der Mitmacher

Ein Komplex

Allgemeine Anmerkung zu der Endfassung 1980 meiner Komödien

Es ging mir, im Gegensatz zu den verschiedenen Fassungen, die vorher einzeln im Arche-Verlag erschienen sind, bei den Fassungen für die Werkausgabe nicht darum, die theatergerechten, das heißt die gestrichenen Fassungen herauszugeben, sondern die literarisch gültigen. Literatur und Theater sind zwei verschiedene Welten: Außer den Komödien, die ich nur für die Theater schrieb, Play Strindberg und Porträt eines Planeten, die Übungsstücke für Schauspieler darstellen und die ich als Regisseur schrieb, gebe ich im Folgenden – die ersten Stücke tastete ich nicht an – die dichterische Fassung wieder, eine Zusammenfassung verschiedener Versionen.

F.D.  

Der Mitmacher

Eine Komödie

Personen

Doc

Boss

Cop

Jim

Ann

Bill

Jack

Sam

Joe

Al

Geschrieben 1972/73

Uraufführung im Schauspielhaus Zürich am 8. März 1973

Ort der Handlung:

Fünftes Untergeschoß eines alten, vergessenen Lagerhauses. Betonpfeiler. Betondecke. Links ist ein Kühlraum in den modrigen Raum hineingebaut worden, offenbar ohne sonderlich auf den übrigen Raum zu achten. Seine Schiebetüre öffnet sich automatisch parallel zur Rampe auf einen Knopfdruck hin, doch wird dann das Innere nur zum Teil sichtbar, zwar hell erleuchtet, weiß gekachelt, ein Wasserhahn mit einem langen roten Schlauch, mehr nicht. Rechts im Lagerraum ein Liftschacht – ob geschlossen oder vergittert (so daß man den Lift hoch- oder niederschweben sieht), bleibe dahingestellt. Kommt der Lift unsichtbar, so ist es ratsam, sein Ankommen oder Hinaufgehen durch mehrere senkrecht übereinander angeordnete Lichtscheiben anzuzeigen, ferner die Lifttüre sich nicht von rechts nach links, sondern von oben nach unten schließen zu lassen. Zwischen einem Betonpfeiler und dem Liftschacht ist eine Wohnnische eingerichtet. Sie ist gegen das Publikum hin geöffnet. Den Hintergrund dieser Wohnnische bildet eine primitive Bretterwand. Zwischen dieser Bretterwand und dem Liftschacht ein Durchgang nach hinten. In der Wohnnische eine Couch schräg zum Publikum, eine primitive Holzstange dient zur Stütze einer Plane, die sich über die Couch spannt: nicht unnötig, von oben tropft immer und irgendwo Wasser. Als Beleuchtung dient eine Lampe, die ein rötliches, wärmeres Licht verbreitet als das brutale der drei Neonröhren, die den ganzen Raum erhellen, von denen jedoch meist nur eine in Betrieb ist. Die Lampe über der Couch hängt an einem Kabel, das durch die Plane gezogen wurde, so daß die primitive Lampe geradezu vertraulich in der Wohnnische brennt. Neben der Couch rechts eine kleine Kiste, an der Wand des Liftschachtes eine Kiste, auf der Whiskyflaschen stehen, vor dem Betonpfeiler ein Stuhl, am Betonpfeiler ein kleines Wasserbecken mit einem Wasserhahn. Links außen am Betonpfeiler hängt der Bewohner dieses unterirdischen Raumes seinen Kittel auf, während sein Arbeitsanzug, eine weiße Lederschürze und violett-rosa Gummihandschuhe, an der rechten Innenwand des Kühlraums hängen. Im Hintergrund, zwischen den Betonpfeilern, häufen sich Kisten von verschiedener Größe, die sich im Verlauf des Stücks noch weiter anhäufen. Auch im Vordergrund der Bühne einige Kisten, eine vielleicht links, eine andere rechts vom Bühnenportal, eine dritte rechts neben der Kühlraumwand, hinter ihr ein zweiter Stuhl.

Zeit: Gegenwart.

Erster Teil

Doc, sich langsam aufrichtend.

DOC

Man nennt mich Doc. Ich rede. Ich rede, damit mich jemand hört. Ich bin in eine Geschichte verstrickt, die mich nicht zu Wort kommen läßt, in eine heil- und sprachlose Angelegenheit, sprachlos, weil sie im Verschwiegenen spielt, so daß die Beteiligten schweigen, auch wenn sie miteinander reden. Ich bin Biologe. Ich wollte das Leben erforschen, seinen Aufbau ergründen, seinen Geheimnissen nachgehen. Ich studierte in Cambridge und an der Columbia University. Ich lehrte an der Hochschule unserer Stadt. Es gelang mir, ein künstliches Virus herzustellen. Dann wechselte ich zur Privatindustrie hinüber. Das Angebot war fürstlich, der Schritt ein Irrtum. Ich verließ mich auf meinen Ruhm und mein Einkommen. Ich gewöhnte mich, über meine Verhältnisse zu leben. Ich führte ein großes Haus, behängte eine Frau mit Schmuck und verwöhnte einen Sohn. Ich glaubte an das Märchen einer freien Wissenschaft. Ich meinte, ewig in Muße forschen zu können. Ich bildete mir ein, daß die Instrumente, Elektronenmikroskope und die Computer mir gehörten. Sie gehörten nicht mir. Die reine Wissenschaft wurde zu teuer für die Privatindustrie. Ich flog in hohem Bogen aus meiner Stellung, als die Wirtschaftskrise kam. Wie viele andere Wissenschaftler auch, Physiker, Mathematiker, Kybernetiker. Die Lehrstühle waren von meinen Schülern besetzt, die Institute für Krebsforschung und für biologische Kriegsführung überfüllt. Die Hypotheken waren zu groß, die Frau lief mit meinem Sohn, dem Schmuck und einem Liebhaber davon. Ich änderte meinen Namen und tauchte unter. Ich versank im Bodensatz unserer Städte, im intellektuellen Proletariat unserer Gesellschaft, im ungenutzten Denkvorrat der Menschheit. Ich war gezwungen, einen unwissenschaftlichen Beruf anzunehmen.

Nimmt einen Stuhl, setzt sich vorn links von der Mitte an die Rampe.

DOC

Ich wurde Taxifahrer, ein Job, der mich mit Boss in Verbindung brachte.

Boss, Hut und Pelzmantel, tritt mit einem Stuhl von links auf.

DOC

Aus Zufall. Er mußte ein Taxi nehmen. Mein Taxi. Vor zwei Jahren. An einem roten Winterabend.

Boss setzt sich neben Doc.

DOC

Seinem Cadillac waren die Reifen aufgeschlitzt, sein Rolls-Royce war von Kugeln durchlöchert, seinem Buick lauerte die Konkurrenz auf.

BOSS

Eine Katastrophe.

DOC

Das dritte Krematorium, zu dem ich Sie schon fahre.

BOSS

Ich suche weiter, und wenn ich die ganze Stadt abklopfen muß.

DOC

Direktor eines Beerdigungsinstituts?

BOSS lacht

Der Witz des Jahres.

Doc fährt.

BOSS

Wissen Sie, warum ich neben Ihnen sitze?

DOC

Gewohnheit.

BOSS

Meine Gewohnheit ist, hinten zu sitzen. Schaut nach links. Wasserkopf-Abraham.

DOC

Kenn ich nicht.

BOSS

Hätte er mich erkannt, säßen Sie neben einer Leiche.

Doc fährt.

BOSS

Ich bin Boss.

DOC

Es gibt viele Bosse.

BOSS

Ich bin der Boss.

Doc fährt.

BOSS

Fahren Sie nicht so schnell.

DOC

Ich gehe auf fünfzig runter.

BOSS

Ich bin gesundheitlich angeschlagen.

DOC

Kein Wunder.

BOSS

Ich könnte Sie umlegen.

DOC

Ich gebe Gas.

BOSS

Fahren Sie langsamer, zum Teufel.

DOC

Wenn Sie mich schon umlegen wollen.

BOSS

Bloß eine Redensart.

DOC

Ach so.

Doc fährt.

BOSS

Es ist mein Beruf, Leute umzulegen.

DOC

Verstehe.

BOSS

Gegen Bezahlung.

DOC

Ein Licht geht mir auf.

BOSS

Ich bin führend in der Branche.

DOC

Wasserkopf-Abraham?

BOSS

Von der Konkurrenz.

DOC

Also doch nicht so führend.

BOSS

Er sieht morgen die Sonne nicht mehr.

DOC

Rot.

BOSS

Halten Sie sanft.

Doc hält.

DOC

Stände Wasserkopf-Abraham an dieser Straßenkreuzung, sähen Sie morgen die Sonne nicht mehr.

BOSS

Berufsrisiko. Schaut nach rechts. Wolfsrachen-Jeff.

DOC

Der Mann mit der Sportmütze?

BOSS

Der.

DOC

Sackt eben zusammen.

BOSS

Sam hat ihn erledigt.

DOC

Ihr Mann?

BOSS

Mein Mann.

DOC

Grün.

Doc fährt.

BOSS

In die Nebengasse.

DOC

Schön.

BOSS

Anhalten.

DOC

Bitte.

Boss geht nach links.

BOSS

Hier muß es noch ein Krematorium geben.

DOC

Vor zwei Monaten abgebrochen.

BOSS

Meine letzte Chance dahin.

DOC

Kopf hoch.

Boss setzt sich wieder, nimmt eine Pille.

BOSS

Nitroglyzerin. Für meine Pumpe. Spuckt die aufgebissene Pille aus. Weiter.

DOC

Wohin?

BOSS

›Tommey’s Bar‹.

Doc fährt.

BOSS

Sie verkennen mein Problem.

DOC

Das wäre?

BOSS

Ein hygienisches Problem.

DOC

Inwiefern?

BOSS

Zuerst ließen wir die Leichen einfach liegen.

DOC

Das wird die Polizei verärgert haben.

BOSS

Umweltverschmutzung.

DOC

Sie hätten private Beerdigungsinstitute beliefern sollen.

BOSS

Ihre Preise können wir uns unmöglich leisten. Jetzt links.

Doc fährt.

DOC

Morden rentiert nicht mehr.

BOSS

Rentiert Taxifahren?

DOC

Auch nicht.

BOSS

Miese Zeiten.

Doc hält.

DOC

Tommey’s Bar.

BOSS

Ein geschäftliches Problem macht sinnlich.

DOC

Ein Krematorium löst Ihr Problem nicht.

BOSS

Warum nicht?

DOC

Verbrennt man eine Leiche, verfinstert der Rauch das ganze Stadtviertel.

BOSS

Dann ist mir geschäftlich nicht mehr zu helfen.

DOC

Einer kann Ihnen helfen.

BOSS

Wer?

DOC

Ich.

BOSS

Rücken Sie mit Ihrer Weisheit heraus.

Doc flüstert Boss etwas ins Ohr.

Gelächter. Boss nach rechts ab.

DOC

Ich rückte mit ihr heraus, und seitdem bin ich nicht mehr Taxichauffeur.

Die ganze Bühne sichtbar.

DOC

Ich wandte gewisse Grundtatsachen der organischen Chemie technisch an, das war alles. Mein Laboratorium befindet sich in der Nähe des Flusses im fünften Untergeschoß eines alten Lagerhauses, von dem nur wenige wissen, daß es überhaupt existiert. Es kann allein mit einem Warenaufzug betreten werden. Ich bin ein Nekrodialytiker geworden, mit Nekrodialyse beschäftigt, und die Installation, die ich erfunden habe, ist ein Nekrodialysator.

Er öffnet die Tür des Kühlraums.

DOC

Es ist Juli, gegen fünf Uhr abends. Ich arbeite den ganzen Tag. Jemand ist auf unsere Beschäftigung aufmerksam geworden. Ein unerwarteter Besuch hat sich angekündigt. Ich liebe keine unerwarteten Besuche.

Aus dem Lift Boss im Sommeranzug.

BOSS

Kommt er pünktlich, können wir uns begraben lassen.

Aus dem Kühlraum Doc mit einer leeren Kiste. Der Lift nach oben.

DOC

Er kommt nicht pünktlich. Räumt die leere Kiste nach hinten.

BOSS

Ich bin nicht nervös.

DOC

Ich auch nicht.

BOSS bemerkt den offenen Kühlraum

Stellen Sie endlich den Apparat ab.

DOC

Wir müssen den Kühlraum räumen.

BOSS

Wie viele sind noch drin?

DOC

Fünf.

BOSS

Stellen Sie den Apparat schneller ein.

DOC

Er läuft auf Hochtouren.

Boss läuft herum.

DOC

Jetzt verlieren Sie doch die Nerven.

BOSS

Die sind eisern wie Stahl. Fixiert Doc.

DOC

Kennen Sie ihn?

BOSS

Nein.

DOC

Er Sie?

BOSS

Nein.

DOC

Merkwürdig.

Rauschen.

BOSS

Endlich.

DOC

Noch vier. Geht in den Kühlraum.

BOSS

Wie kam er auf Sie?

DOC aus dem Kühlraum

Er rief mich in sein Büro.

BOSS

Bloß, um Ihnen zu sagen, er wolle mich sprechen?

DOC

Bloß.

BOSS

Hier?

DOC

Hier.

BOSS

Verdammt. Steckt sich eine Zigarre in den Mund. Gefällt mir nicht. Steckt die Zigarre in Brand.

DOC kommt mit einer leeren Kiste

Mir auch nicht.

BOSS

Ihr Vorgesetzter ist offiziell Mac.

DOC

Weiß ich.

BOSS

Warum nannten Sie nicht Mac?

DOC

Ich nannte Mac.

BOSS

Und?

DOC

Er verlangte Macs Vorgesetzten zu sprechen.

BOSS

Verflucht. Denkt nach. Er soll ausgesprochen harmlos sein.

DOC

Völlig.

BOSS

Ich mißtraue harmlosen Figuren.

DOC

Sie sehen schwarz.

Rauschen.

DOC

Nur noch drei.

BOSS

Beeilen Sie sich.

Doc geht in den Kühlraum.

BOSS

Er wird mir nichts vorwerfen können.

DOC aus dem Kühlraum

Wasserkopf-Abraham und Wolfsrachen-Jeff sind längst begraben.

BOSS

Er wird mir nichts nachweisen können.

DOC

Sie sind über jeden Verdacht erhaben.

BOSS

Ich war dabei, als wir Isigaki eroberten. Legt sich auf die Couch. Weiber?

DOC kommt mit einer leeren Kiste

Hin und wieder.

BOSS

Hier?

DOC

Warum nicht. Räumt die leere Kiste nach hinten.

BOSS

Na ja. Zieht den linken Schuh aus. Erhebt sich. Verschiedene?

DOC

Immer die gleiche.

BOSS

Ist sie verheiratet?

DOC

Glaube nicht.

BOSS

Sind Sie verliebt?

DOC

Weiß nicht.

BOSS

Geschäftliche Sorgen. Eine Pumpe, die nachläßt. Schwindelgefühle. Geschwollene Füße. Einen Rat, Doc: Hände weg von den Weibern. Seit zwei Jahren lebe ich mit einer Pflanze.

DOC

Das winseln Sie mir jeden Tag vor.

BOSS

Ich richtete ihr ein verdammt teures Apartment ein.

DOC

Das reut Sie auch jeden Tag.

BOSS

Die Eifersucht bringt mich noch um.

DOC

Die brachte früher Ihre Rivalen um.

BOSS

Ich weiß nicht einmal, mit wem sie mich betrügt.

DOC

Lassen Sie sie überwachen.

BOSS

Dazu bin ich zu stolz.

DOC

Früher waren Sie nicht zu stolz.

BOSS

Früher war ich jünger.

DOC

Gehen Sie zum Psychiater.

BOSS

Ging ich. Defekte Mutterbindung. Wenn er jetzt kommt, verliere ich die Nerven endgültig.

DOC

Er ist nicht pünktlich.

BOSS

Gott sei Dank.

Rauschen.

BOSS

Das verfluchte Altern.

DOC

Nur noch zwei.

BOSS

Los! Tempo!

DOC

Bestechen Sie ihn einfach.

BOSS

Wenn ich nur nicht ein so verteufelt ungutes Gefühl hätte.

Der Lift fährt nach unten.

BOSS

Er kommt!

DOC

Pech.

BOSS

Er ist pünktlich.

DOC

Überpünktlich. Geht in den Kühlraum.

BOSS

Was soll ich um Himmels willen tun?

Aus dem Lift kommt Cop.

DOC aus dem Kühlraum

In seinem Büro machte er wirklich einen harmlosen Eindruck.

BOSS

Wir sind nicht in seinem Büro.

Der Lift fährt wieder nach oben.

COP

Boss?

BOSS

Cop?

COP

Cop.

Boss bietet Cop den Stuhl an. Cop setzt sich nicht.

BOSS denkt nach

Haben wir uns nicht schon einmal getroffen?

COP

Sie haben mich getroffen.

BOSS

Wann?

COP

Ich erinnere mich genau.

BOSS

Komme nicht drauf.

COP

Werden Sie schon noch.

Doc kommt mit einer leeren Kiste.

BOSS

Den kennen Sie ja. Weist mit dem Kopf auf Doc, der nach hinten geht. Ich bin unschuldig.

COP

Wir sind alle unschuldig.

Doc kommt mit zwei Gläsern und Whisky, Boss setzt sich.

BOSS

Ich bin ein gewöhnlicher Bürger.

COP

Wir sind alle gewöhnliche Bürger.

BOSS

Ich half Isigaki erobern.

COP

Wir sind alle Helden. Wendet sich zu Doc. Trinken Sie nicht, Doc?

DOC

Nein.

COP

Auf Ihr Wohl, Boss. Trinkt.

BOSS

Auf Ihr Wohl, Cop. Trinkt nicht.

COP

Abscheulich. Gießt das Glas aus.

BOSS grinst

Doc braut seinen Whisky selber zusammen.

COP

Er sollte uns besseren vorsetzen.

BOSS

Fällt ihm nicht ein.

Doc setzt sich auf die Couch, liest Comics.

COP

Vielleicht fällt es ihm später ein. Inspiziert den Hintergrund. Praktisch hier unten.

BOSS

Bloß leere Kisten.

COP

Was lesen Sie denn da, Doc?

DOC

Comics.

BOSS

Er liebt die Polizei nicht.

COP

Ich bin nicht beruflich hier.

BOSS

Dann wären Sie überhaupt nicht hier.

COP setzt sich Boss gegenüber

Es geht um Ihr Geschäft.

BOSS

Ich besitze kein Geschäft. Ich bin Privatmann.

COP

Ich hatte eine Besprechung mit Mac.

BOSS

Mac verwaltet mein Vermögen.

COP

Ein Millionenvermögen.

BOSS

Reiche Vorfahren.

COP

Nirgends vorzuweisen.

BOSS

Halfen den Staat gründen.

COP

Riesenvilla.

BOSS

Falsche Bescheidenheit ist unanständig.

COP

Streng bewacht.

BOSS

Kostbare Sammlung alter Niederländer.

COP

Dazu sind nicht fünfzehn Mann nötig.

BOSS

Acht.

COP

Fünfzehn.

BOSS

Sie sind informierter als ich.

COP

Ausgesuchte Gorillas.

BOSS

Hundsgewöhnliche Leibwächter.

COP

Einer ist von mir eingeschleust.

BOSS stutzt

Wer?

COP

Tut nichts zur Sache.

BOSS lauernd zu Doc hinüber

Da ist man wie ein Vater zu den Leuten, doch immer stellt sich irgendeiner als Verräter heraus.

COP

Rohe Zeiten.

BOSS wischt sich den Schweiß von der Stirn

Schwül hier unten.

COP grinst

Nicht im geringsten.

BOSS betrachtet Cop nachdenklich

Sie haben mich unterwandert?

COP

Taktik.

BOSS überlegt

Was wissen Sie?

COP

Alles.

BOSS erhebt sich

Wie kamen Sie dahinter?

COP

Mac erzählte, daß Sie einen Chemiker beschäftigen.

BOSS fixiert Doc

Mac schwatzt zuviel.

COP

Eben.

BOSS geht zu Doc hinüber

Doc ist ein harmloser Säufer, der höchstens ein Waschpulver erfunden hat.

COP

Vielleicht ist er ein Genie.

BOSS bleibt vor Doc stehen

Ich kenne nicht einmal seinen richtigen Namen.

COP

Den werde ich schon herausfinden.

BOSS wendet sich zu Cop

Ich mußte den Mann beschäftigen.

COP

Ach nein.

BOSS

Opfer der Wirtschaftskrise.

COP

Na und?

BOSS

Der Mann mußte Taxichauffeur werden.

COP

Menschenliebe kommt bei Ihnen nicht in Frage.

BOSS

Sie kränken mich.

COP

Sie erheitern mich.

Rauschen.

COP

Irgend jemand hat sich aufgelöst.

BOSS starrt fassungslos Doc an

Er ist auf dem laufenden.

COP

Doc, Sie sind ein Genie. Wer rauschte in die Kanalisation?

BOSS

Ein Garagenbesitzer.

COP

Wieviel?

BOSS

Wofür?

COP

Für den Garagenbesitzer.

BOSS

Fünftausend.

COP

Wie viele Leichen befinden sich noch im Kühlraum?

BOSS

Eine.

COP

Doc.

DOC

Cop?

COP

Führen Sie mich hinein.

Doc führt Cop in den Kühlraum.

Boss setzt sich auf die Couch, zieht den rechten Schuh aus.

COP aus dem Kühlraum

Die junge Miller.

BOSS

Verschonen Sie mich damit.

COP

Ich dachte, sie läge im Fluß.

BOSS

Sie liegt im Kühlraum.

COP

Erdrosselt.

BOSS

Ich schaue nie hin.

COP

Doc, lösen Sie das Mädchen auf. Kommt aus dem Kühlraum. Wer bestellte die Arbeit?

BOSS

Ihr Bruder.

COP

Wieviel zahlte er?

BOSS

Neuntausend.

COP

Setzt Mac die Preise fest?

BOSS

Und?

COP

Der junge Miller hätte fünfzigtausend zahlen können.

BOSS

So viel hätte er nie aufgetrieben.

COP

Wer beim Tod seiner Schwester drei Millionen erbt, treibt so viel auf.

BOSS

Sie sind größenwahnsinnig.

COP

Ich bin realistisch. Zur Sache. Setzt sich wieder.

BOSS

Ist das Lagerhaus umzingelt?

COP

Ich sagte schon, ich sei nicht beruflich hier.

BOSS

Sie sind ein Polizist.

COP

Gerade darum sollten Sie mir vertrauen.

BOSS

Gerade darum traue ich Ihnen nicht.

Doc kommt mit einer Kiste aus dem Kühlraum, trägt sie nach hinten, setzt sich auf den Stuhl von Boss.

COP

Zuerst brachten Sie Bordelle und Spielhöllen in Schwung, dann eroberten Sie den Rauschgiftmarkt.

BOSS

Ich stieß mir in der Jugend die Hörner ab.

COP

Schließlich gründeten Sie vor vier Jahren das Unternehmen.

BOSS

Es handelt sich um eine höchst bescheidene Firma.

COP

Immerhin zogen wir massenhaft Leichen aus dem Fluß.

BOSS

Sie verekeln mir mit Ihren unappetitlichen Details die Zigarre. Wirft die Zigarre auf den Boden, tritt sie aus.

COP

Sensibel.

BOSS

Muß meine Pumpe schonen.

COP

Unsere Stadt rückte mordstatistisch an die erste Stelle. Dann engagierten Sie Doc. Vor zwei Jahren. Heute ist der gute Ruf unserer Stadt wiederhergestellt. Sie steht mordstatistisch an letzter Stelle. Weil Doc eine Methode erfand, Leichen in Flüssigkeit aufzulösen. Der perfekte Mord wurde möglich.

BOSS betrachtet Cop mißtrauisch

Was wollen Sie?

COP

Fünfzig Prozent.

BOSS außer sich

Sie sind verrückt. Läuft herum.

COP

Durchaus nicht.

BOSS

Das Unternehmen ist mein Lebenswerk.

COP

Sie organisierten die größte Mordbande unserer Kommunalgeschichte.

BOSS

Sie organisieren die größte Korruption unserer Kommunalgeschichte.

COP

Eine Hand wäscht die andere schmutzig.

BOSS verzweifelt

Sie wollen mich ruinieren.

COP

Wollte ich Sie ruinieren, würde ich Sie liquidieren.

BOSS

Ich trage die Unkosten.

COP

Ihre Bande kostet Sie bloß zehn Prozent.

BOSS

Sie blutet mich aus.

COP

Sie zahlen schäbig.

BOSS

Für eine schäbige Arbeit.

COP

Geschäftlich sind Sie ein Stümper.

BOSS bleibt erschöpft stehen

Fünfzehn Prozent gehen an Mac.

COP

Geschäftlich ein noch größerer Stümper. Ihr Unternehmen könnte florieren wie noch nie.

BOSS

Sie vermasseln es mir wieder.

COP

Werden Sie nicht sentimental.

BOSS

Was haben Sie vor?

COP

Es zum Florieren zu bringen wie noch nie. Wendet sich an Doc. Doc, wieviel verdienen Sie?

DOC

Fünfhundert im Monat.

COP

Wenig.

BOSS

Als Taxichauffeur verdiente er nicht so viel.

COP

Ich beabsichtige, Doc zu unserem Teilhaber zu machen.

BOSS

Beteiligen wir ihn mit einem Promille.

COP

Ich bekomme fünfzig, Sie erhalten dreißig, und Doc erhält zwanzig Prozent.

Doc bricht in ein Gelächter aus, erblickt Boss, bricht erneut in ein Gelächter aus, wirft sich auf die Couch.

BOSS

Ich appelliere an Ihren gesunden Menschenverstand.

COP

Ich schätze den Geist.

BOSS

Auf zwanzig Prozent?

COP

Ohne Doc kein Aufschwung.

Doc holt Whisky.

BOSS

Sie sind ein Kommunist.

COP

Die Zeit der großen Bosse ist vorbei.

BOSS

Wenn ich mit meinen dreißig Prozent noch die Bande und Mac bezahle, sitze ich auf dem trockenen.

Doc schenkt Cop ein.

COP

Besser als auf dem elektrischen Stuhl.

Doc lacht.

BOSS

Ihre Witze sind mir unsympathisch. Mit Ihren modernen Ideen schlagen Sie mein Lebenswerk in Trümmer.

COP

Ich bin bereit, Mac zu übernehmen.

BOSS

Mit einem Butterbrot gebe ich mich nicht ab.

COP trinkt

Sehen Sie, Doc, jetzt haben Sie mir von Ihrem Besseren vorgesetzt.

Lift fährt nach unten.

BOSS

Der Lift.

COP

Sicher.

BOSS

Ich erwarte niemanden.

COP

Eine Überraschung.

BOSS

Also doch die Polizei.

Der Lift öffnet sich, Jim, in bürgerlichen Sommerkleidern, rollt mit einem zweirädrigen Karren eine große Kiste herein.

BOSS

Jim also.

COP

Mein tüchtigster Mann.

BOSS

Ich dachte, er sei mein tüchtigster Mann.

COP

Er ist jetzt unser tüchtigster Mann.

JIM

Die Kiste, Cop.

COP

In den Kühlraum, Jim.

JIM

Jawohl, Cop. Rollt die Kiste in den Kühlraum.

BOSS

Wer ist in der Kiste?

COP

Mac.

BOSS

Sie sagten, Sie hatten mit ihm eine Besprechung.

DOC

Das Resultat.

BOSS konsterniert

Mac war mein bester Freund.

COP

Er vermochte die Zahlungsfähigkeit unserer Klienten nicht abzuschätzen.

BOSS

Wer soll es in Zukunft tun?

COP

Doc.

BOSS

Ein Taxichauffeur.

COP

Der Intellektuelle von uns dreien.

BOSS

Mac war auch ein Intellektueller.

COP

Ein unbrauchbarer.

BOSS

Er hatte seine Leute.

COP

Habe ich auch.

BOSS

Beziehungen zu Kunden sind nicht leicht herzustellen.

COP

Mac stellte sie zu leicht her.

Aus dem Kühlraum kommt Jim mit dem leeren Karren.

COP

Jim, ich komme mit dir.

Jim geht in den Lift.

COP

Doc, Ihr Bourbon war ausgezeichnet. Trinkt das Glas aus. Die Liste mit den nächsten fünfzehn Patienten. Legt die Liste auf die Couch, geht in den Lift. Von nun an wird das Unternehmen exklusiver und teurer.

Der Lift fährt nach oben.

BOSS

Dieser Machtkampf hat mir gerade noch gefehlt. Stöhnt. Holen Sie mir die Schuhe.

Doc nimmt die Liste, wirft sich auf die Couch, studiert die Liste. Boss sucht die Schuhe selbst zusammen, zieht sie an, holt den Lift wieder herunter.

BOSS

Mein ungutes Gefühl hat mich nicht getäuscht.

DOC

Ich bin Ihr Teilhaber geworden.

BOSS

Der Bulle auch.

DOC grinst

Sie sind in die Hände von anständigen Menschen gefallen.

BOSS

Dabei half ich Isigaki erobern.

DOC

Es sind andere Zeiten gekommen.

BOSS

Eine Sauhitze hier unten.

Rauschen.

DOC

Denken Sie an Ihre Pumpe.

BOSS nickt, betrachtet Doc nachdenklich, geht in den Lift

Wenn ich nur wüßte, wo ich den Kerl schon getroffen habe.

Dunkel.

Aus dem Kühlraum kommt Ann, Licht nur auf sie.

Sie trägt ein elegantes Abendkleid, schleppt einen Pelzmantel am Boden nach.

ANN

Ich heiße Ann. Ich bin die Geliebte von Boss. Ich war ein Fotomodell, nicht ein berühmtes. Mein größter Erfolg war die Werbung für eine Gartenschaukel. Sie ist in ›Harper’s Bazaar‹ erschienen. Ich schaukle darin in einem blauen Badeanzug über einem englischen Rasen. Vorher hatte Boss eine andere Geliebte. Meine Freundin Kitty. Sie wohnte in einem vornehmen Stadtviertel. Als sie mich zu sich einlud, sagte sie, Boss würde nicht anwesend sein, wenn ich käme. Als ich kam, war Boss anwesend und Kitty verschwunden. Ich hatte gleich ein ungutes Gefühl, als Boss mich nahm; man sollte sich mit Menschen wie Boss nicht einlassen, aber seitdem lebe ich mit ihm. Er verwöhnt mich. Ich fahre einen teuren Sportwagen. Er schenkte mir Schmuck und einen Pelzmantel, und letzthin schenkte er mir einen kleinen Rembrandt, ich darf ihn nur niemandem zeigen. Ich habe Kittys Wohnung übernommen. Kitty ist nicht mehr aufgetaucht. Ich kann mir denken, was mit ihr geschehen ist. Boss ist mächtig. Die Menschen fürchten ihn; aber ich weiß nicht, was er treibt. Es ist besser, daß ich es nicht weiß. Ich schätze, er hat noch eine Familie. Er erwähnte einmal, er wohne in einer großen Villa in einem noch vornehmeren Viertel. Manchmal fliegt er nach der Westküste. Als er wieder einmal nach der Westküste geflogen war, ging ich in ›Tommey’s Bar‹.

Sie tritt an die Rampe.

ANN

Eigentlich hatte mir Boss verboten, in ›Tommey’s Bar‹ zu gehen, er wünschte, daß ich nur teure Restaurants besuche, aber manchmal ging ich trotzdem in ›Tommey’s Bar‹, weil ich selbständig sein wollte und weil mich die Gefahr reizte, und so kam es, daß ich Doc traf. Ich trug damals diesen Pelzmantel. Zieht sich den Pelzmantel an. Er sagte, er wohne ganz in der Nähe beim Fluß, aber ich fürchtete mich doch, als wir in das Lagerhaus gingen und nach unten fuhren, und ich schaute mich mißtrauisch um, als ich zum erstenmal diesen Raum betrat.

Der Raum erhellt. Doc liegt auf der Couch.

DOC

Nun?

ANN

So tief unten.

DOC

Fünf Stockwerke tief.

ANN

Hier wohnst du?

DOC

Hier –

ANN

Tag und Nacht?

DOC

Immer.

ANN

Das ist doch keine Wohnung!

DOC

Für mich ist es eine.

ANN

Ungemütlich.

DOC

Ich brauche keine Gemütlichkeit. Liest Comics.

ANN

Irgendwo tropft Wasser.

DOC

Furcht?

ANN

Etwas.

DOC

Du hast mich angesprochen.

ANN

In ›Tommey’s Bar‹.

DOC

Du bist freiwillig mitgekommen.

ANN

Ich weiß.

DOC

Es war dir egal wohin.

ANN

Jetzt bin ich da.

DOC

Du willst mit mir schlafen.

ANN

Mein Angebot.

DOC

Hier ist die Couch.

ANN

Ich sehe.

DOC

Zieh dich aus.

ANN

Später.

DOC

Whisky?

ANN

Bitte.

Doc reicht ihr den Whisky.

DOC

Wenn du willst, kannst du wieder hinauffahren.

ANN

Ich bleibe. Du bist ein Wissenschaftler?

DOC

Etwas Ähnliches.

ANN

Das ist dein Labarotorium?

DOC

Etwas Ähnliches. Lacht.

ANN

Ich habe mich wieder mal versprochen.

DOC

Macht nichts.

ANN

Schwips. Drückt auf den Knopf des Kühlraums, die Tür öffnet sich.

DOC

Ich stelle Industriediamanten her.

ANN

Mußt du deshalb so tief unter die Erde? Geht einen Schritt in den Kühlraum.

DOC

Radioaktive Strahlung.

ANN

Gefährlich? Kommt erschrocken aus dem Kühlraum.

DOC

Nur wenn der Apparat läuft.

Ann drückt auf den Knopf, die Tür schließt sich wieder.

DOC

Meine Erfindung.

ANN

Ich wußte gleich, daß du ein Intellektueller bist.

DOC

Ich war einer.

ANN

Da unten?

DOC

Die Kanalisation.

ANN

Soll ich mich jetzt ausziehen?

DOC

Später.

ANN

Furcht?

DOC

Nein.

ANN

Darf man hier rauchen?

DOC

Du brauchst nicht zu fragen.

ANN

Vielleicht geht alles in die Luft.

DOC

Vielleicht.

ANN

Dann rauche ich lieber nicht. Lacht, betrachtet Doc. Ich sah dich noch nie in ›Tommey’s Bar‹.

DOC

Ich war auch vorher noch nie in ›Tommey’s Bar‹.

ANN

Lebst du wirklich immer hier unten?

DOC

Das erste Mal, daß ich oben war, seit mehr als einem Jahr. Noch einen Whisky?

ANN

Noch einen. Reicht ihm ihr Glas.

DOC

Eis?

ANN

Wenn du welches hast hier unten.

DOC

Ich habe immer welches hier unten. Geht mit Anns Glas in den Kühlraum, redet von dort. Du bist mit einem tollen Schlitten vorgefahren.

ANN

Ein Geschenk.

DOC

Dein Pelzmantel ist auch nicht billig.

ANN

Auch ein Geschenk.

DOC

Warum hast du gerade mich gefragt, ob du mit mir schlafen kannst?

ANN

Zufällig.

DOC

Hättest du auch einen anderen gefragt?

ANN

Auch.

DOC kommt mit dem Whisky

Edelnutte oder auf Abenteuer aus?

ANN

Spielt keine Rolle.

DOC

Willst du immer noch mit mir schlafen?

ANN

Immer noch.

DOC

Zahle nichts.

ANN

Spielt keine Rolle.

DOC

Komisches Mädchen. Setzt sich auf die Couch. Hatte schon lange keine Frau mehr.

ANN

Kunststück, hier unten.

DOC

Ich wohnte einmal nobel.

ANN

Ruiniert?

DOC

Nach Strich und Faden.

ANN

Die Wirtschaftskrise setzte viele auf die Straße.

DOC

Wir sahen alle einmal bessere Zeiten. Trinkt.

ANN

Ich heiße Ann. Trinkt.

DOC

Mich nennt man Doc. Trinkt. Betrachtet sie nachdenklich. Warum willst du mit mir schlafen?

ANN

Das geht dich nichts an. Trinkt.

DOC

Dann zieh dich aus.

Sie reicht ihm ihr Glas Whisky.

ANN

Ich zieh mich aus.

Licht nur auf Ann.

Doc verschwindet im Hintergrund links. Ann tritt an die Rampe.

ANN

Darauf zog ich mich aus. Zieht den Pelzmantel aus. Vielleicht, weil ich mich an Boss rächen wollte, vielleicht, weil ich mich schämte, daß ich Boss nicht hatte widerstehen können. Es wurde sehr schön. Ich blieb nur wenige Stunden bei Doc, damals in jener kalten Nacht im Februar, nachher wollte ich ihn nie wiedersehen, aber als Boss aufs neue nach der Westküste flog, sah ich Doc wieder, und nun besuche ich ihn auch, wenn Boss nicht nach der Westküste fliegt.

Sie legt sich auf die Couch, stellt später den verborgenen Plattenspieler ein. Vivaldi, ›Sommer‹, Allegro non molto.

ANN

Jetzt ist es Juli. Ich finde diesen kahlen Raum tief unter der Erde auf einmal gemütlich, mit dieser Nische darin und der Plane darüber, auf die hin und wieder Wasser tropft, und mit dem kleinen versteckten Plattenspieler, den Doc mir schenkte. Ich bin glücklich mit Doc. Ich vertraue ihm mehr, als ich je einem anderen Mann vertraut habe. Doch sprach ich bisher mit ihm nie über Boss. Er sollte weder wissen, daß ich Boss kenne, noch Boss kennenlernen. Er durfte nicht einmal ahnen, daß es Boss gibt. Aber nun muß ich mit ihm über Boss reden, wenn auch vorsichtig, ohne seinen Namen zu nennen.

Der ganze Raum hell.

Aus dem Kühlraum Doc mit einer leeren Kiste, stutzt.

DOC

Du bist noch da?

ANN

Ich bin wieder da.

DOC

Du bist doch eben nach oben gefahren.

ANN

Ich bin dann eben wieder nach unten gefahren.

DOC

Es ist schon Morgen.

ANN

Und?

Doc trägt die Kiste nach hinten.

ANN

Du frierst, wenn du aus dem Nebenraum kommst.

DOC

Es ist kühl dort.

ANN stellt den Plattenspieler ab

Doc.

DOC

Ann?

ANN

Ich habe mich in dich verliebt.

Doc schweigt.

ANN

Auf einmal.

DOC

In einen Menschen wie mich verliebt man sich nicht.

ANN

Du bist anders als die anderen.

DOC

Ich bin so geworden wie die anderen.

ANN

Ich wollte ein anständiger Mensch bleiben.

DOC

Das wollten wir alle.

ANN

Du bist ein anständiger Mensch.

DOC

Unsinn. Wenn ich mich nicht auf meine Instrumente verlassen und ohne Elektronenmikroskop und ohne Computer zu denken gewagt hätte, wäre ich vielleicht ein anständiger Wissenschaftler geblieben, das ist alles.

ANN

Es ist nicht unanständig, Industriediamanten herzustellen.

DOC

Alles ist heute unanständig.

ANN

Du weißt nichts von mir.

DOC

Wir brauchen nichts voneinander zu wissen.

ANN

Jemand hält mich aus.

DOC

Und?

ANN

Ich kann nicht mehr mit ihm leben, seit ich dich kenne.

DOC

Ein großes Tier?

ANN

In bestimmten Kreisen.

DOC

Sein Name?

ANN

Ich will dich nicht hineinziehen.

DOC

Ich bin schon hineingezogen.

ANN

Noch nicht.

DOC

Wir sind alle in alles hineingezogen.

ANN

Er schenkte mir einen Rembrandt.

DOC

Fürstlich.

ANN

Alte Frau im Kerzenlicht.

DOC

Kaum echt.

ANN

Möglich.

DOC

Sonst ist er gestohlen.

ANN

Dann ist er echt.

DOC

Fürchtest du dich?

ANN

Seit ich dich liebe.

Rauschen.

DOC

Die Herstellung von Industriediamanten verlangt ständige Überwachung. Geht in den Kühlraum. Ist er mißtrauisch geworden?

ANN

Weiß nicht.

DOC

Bist du in Gefahr?

ANN

Wenn er mißtrauisch geworden ist.

DOC

Du hättest dich nicht in mich verlieben sollen.

ANN

Ich habe mich aber in dich verliebt.

Doc kommt mit einer leeren Kiste aus dem Kühlraum.

DOC

Ann.

ANN

Doc.

DOC

Ich habe mich auch in dich verliebt.

Schweigen.

DOC

Auch auf einmal.

Sie geht auf ihn zu. Sie reißen einander an sich. Wälzen sich auf dem Boden.

ANN

Was soll ich tun?

DOC

Nicht mehr mit ihm leben.

ANN

Ich muß mit ihm leben.

Sie küssen sich.

ANN

Er würde mich überall finden.

DOC

Ich bringe dich in Sicherheit.

ANN

Wo?

DOC

Bei der Freundin meines Partners.

ANN

Wer ist dein Partner?

DOC

Unwichtig.

ANN

Auch ein großes Tier?

DOC

Auch.

ANN

Nächste Woche fliegt er nach der Westküste.

DOC

Dann kann es zu spät sein.

ANN

Es ist gefährlich, ihn vorher zu verlassen.

DOC

Noch heute.

ANN

Heute kommt er zu mir.

DOC

Dann morgen.

ANN

Ich weiß nicht, ob es möglich sein wird.

DOC

Es muß.

ANN

Morgen abend?

DOC

Hier unten.

ANN

Nach zehn.

DOC

Nach zehn. Erhebt sich. Nimm nichts mit. Es muß sein, als ob du dich in Nichts aufgelöst hättest.

Sie erhebt sich, setzt sich auf die Couch, zündet sich eine Zigarette an, läßt die Packung liegen.

ANN

Die letzte. Raucht. Du?

DOC

Ich muß noch hier unten bleiben.

ANN

Deines großen Tieres wegen?

DOC

Ich steige in ein großes Geschäft ein. Setzt sich auf die leere Kiste.

ANN

Mit deinen Industriediamanten?

DOC

Damit.

ANN

In ein schmutziges Geschäft?

DOC

Es gibt nur schmutzige Geschäfte.

Ann raucht.

DOC

In einem Jahr bin ich reich.

ANN

Ein Jahr kann eine Ewigkeit dauern.

DOC

Nicht immer.

ANN

Wenn du es schaffst.

DOC

Dann verlassen wir beide diese Stadt.

ANN

Wenn wir Glück haben.

DOC

Ich schaffe es.

Ann raucht.

DOC

Weil ich wieder eine Chance habe.

ANN

Mit deinen Industriediamanten.

DOC

Mit dir.

Ann drückt die Zigarette aus, erhebt sich, nimmt den Pelzmantel.

ANN

Ich muß gehen.

Doc geht mit der leeren Kiste nach hinten.

DOC

Ich muß arbeiten.

ANN

Ich muß noch einmal zu meinem großen Tier zurück.

DOC

Zum letztenmal.

Ann betritt den Lift, der erhellt ist. Sie ist als Silhouette sichtbar.

ANN

Doc.

DOC

Ann?

ANN

Ob wir noch einmal in unserem Leben ›Tommey’s Bar‹ besuchen?

Die Lifttüre schließt sich. Der Lift fährt nach oben.

Dunkel.

Aus dem Kühlraum schleppt sich Bill, nackt, halb in Plastik gewickelt.

Licht nur auf ihn.

BILL

Mein Name ist Bill. Ich bin vierundzwanzig. Zuerst studierte ich Biologie, dann wechselte ich zur Soziologie hinüber. Dem Menschen hilft das Studium der Natur erst wieder weiter, wenn er gelernt hat, mit seinesgleichen zusammenzuleben. Es ist unanständig, über Atome, Moleküle, Spiralnebel oder Kohlenstoffverbindungen nachzudenken, wenn ein korrupter Staat, eine noch korruptere Gesellschaft oder ein idiotischer Dogmatismus die Welt zugrunde richten. Ich bin Wissenschaftler, nicht Moralist, die persönlichen Erlebnisse, die zu meinen Erkenntnissen führten, sind unerheblich. So oder so wäre ich Anarchist geworden, denn der Fortschritt der Menschheit geschieht in kleinen Schritten. Da den Einzelnen seine Ordnungen immer wieder versklaven, muß er diese Ordnungen immer wieder zerstören. Die Revolutionen schaffen mit gewaltigen Opfern nur neue Notwendigkeiten, die Welt aufs neue zu ändern. Es ist sinnlos, immer neue Ideologien zu erfinden, immer neue Utopien zu errichten. Es ist genug geschwatzt worden. Erst eine größere Not bringt die Menschen zur Vernunft, doch gehört zu einer wahnwitzigen Welt auch eine wahnwitzige Methode. Unser Kampf richtet sich gegen jedes politische System und gegen jede Gesellschaftsordnung: es taugt keine etwas. Die allgemeine Korruption ist nicht zu bekämpfen, sondern zu fördern. Eine klug gelegte Bombe ist keine Utopie, sondern Wirklichkeit, eine im richtigen Augenblick falsch gestellte Weiche keine ideologische Tat, sondern ein sinnvolles Eingreifen in den Ablauf der Geschichte. Nichtstun schadet. Mitmachen ist verbrecherisch. Pläneschmieden Zeitverschwendung. Bloß Amoklaufen hilft weiter. Diese Erkenntnis in die Tat umzusetzen ist mein Ziel. Es schien einst unerreichbar. Wissenschaftlich gebildet, fehlt mir jede Übung in der Gewalttätigkeit, bin ich doch so unpraktisch, daß es mir kaum gelingt, einen Nagel in die Wand zu schlagen; aber unvermutet rücken Umstände und Zufall das Unerreichbare in greifbare Nähe. Ich greife zu, das ist alles.

Bill schleppt sich wieder in den Kühlraum zurück. Aus dem Kühlraum kommend steigt Jack über ihn hinweg, uralt, in feierlichem schwarzem Anzug, Hut, randlose Brille, zwei Diplomatenkoffer tragend.

Wasserrauschen, während Bill verschwindet.

JACK

Ich bin Jack. War der Auftritt Bills irreal, ist meiner noch irrealer. Der da die Kanalisation hinunterrauscht, bin ich, der ich doch sonst am liebsten sanfte Liebesgeschichten und elisabethanische Sonette lese. Höllisch der Ort, in den ich geraten bin, eine Badewanne, auf einem Regal Flaschen mit Säuren wie in einer Apotheke, an der Wand Fässer mit unbeschreiblichen Flüssigkeiten, ein roter Schlauch, den Sie ja sehen können, samt Wasserhahn, alles weiß gekachelt, gräßlich. Übrigens wurde ich in diesen zwei Diplomatenkoffern hineingeschafft. Schmeißt die Koffer in den Kühlraum. Die Tür schließt sich, erneutes Rauschen, Licht. Jetzt rutscht mein Neffe Bill in die Kanalisation. Ich mochte den Jungen eigentlich leiden, gebildet, verträumt, sanft. Die Ideen, die er eben entwickelte, setzen nicht nur Sie in Erstaunen, auch mich, die heutige Jugend überbordet ja nun wirklich. Allerdings war schon seine Mutter die fabelhafteste Nymphomanin, die mir in meinem Leben begegnet ist, ein verdammt lockeres Frauenzimmer, schwarzhaarig, hochbeinig, elastisch. Großartig. Mein Bruder war wild auf sie. Es war ihm gleichgültig, wenn sie ihn mit der ganzen Belegschaft der Chemiewerke betrog und mit dem Verwaltungsrat, wie ich schätze, ich bleibe bescheiden. Es genügte meinem Bruder, daß sie seine alten Knochen aufmöbelte, und als ich ihn aufklärte, grinste er nur. »Nick«, schleuderte ich ihm die Wahrheit ins Gesicht, »Nick, sie schläft mit jedem, sogar mich hat sie verführt, in meinem Arbeitszimmer, unter Hermann Hesses gesammelten Werken, während einer Dichterlesung in der Halle. Ich weiß nicht mehr, wer las, E. F. Shutterton, K. L. Shutterton oder Shutterton Shutterton oder irgendeiner der jungen Autoren, die jetzt in Mode kommen. Ich hörte nur fernes Stimmengemurmel, während sie auf mir ritt. Manchmal ein Bravo. Nackt, alter Knabe, nackt, nicht auszudenken, wenn so ein Dichter plötzlich mein Arbeitszimmer betreten hätte. Nick, du rennst in dein Verderben.« Es machte ihm keinen Eindruck. Er heiratete sie, adoptierte Bill und flog in sein Verderben. Wortwörtlich. Ich bin sicher, daß dieses Prachtweib es gerade mit dem Piloten trieb, während Nick mit seinem Blutzucker wieder einmal dahindöste, als sie in die Eigernordwand donnerten. Der Berg hat gesprochen, basta, testamentarisch gehören die Chemiewerke Bill, mir blieb ein Sitz im Verwaltungsrat und die Kultur – die bleibt immer an mir haften. So neppt einen das Geschick. Steckt sich eine weiße Nelke ins Knopfloch. Mein Vater hatte die wichtigsten schöngeistigen Verlage zusammengekauft und sie mir vermacht. Während mein Bruder Millionen scheffelte, powerte die moderne Literatur mich aus, mein Ende ist denn auch danach, absurdes Theater. Wenn ich nur begriffe, weshalb ich mich hier in zwei Diplomatenkoffern habe auflösen lassen müssen, wäre mir schon besser. Seltsam, mein Vorschlag Bill betreffend schien doch angenommen worden zu sein. Doch kommen wir wieder zur Realität zurück. An den Abschied Anns von Doc werden Sie sich nicht ohne Rührung erinnern, ahnen Sie doch, es war ein Abschied für immer.

Licht.

Doc liegt auf der Couch, erhebt sich, geht in den Kühlraum.

Licht wiederum nur auf Jack.

JACK

Am nächsten Morgen, kurz vor acht, begibt sich Doc in den Kühlraum, beginnt mit seiner Arbeit.

Der Lift kommt herunter.

JACK

Der Kühlraum muß jeden Morgen gesäubert werden, begreiflich, und so bemerkt er nicht, daß Bill herunterkommt.

Aus dem Lift kommt Bill, sieht sich neugierig um, ohne Jack zu beachten, geht nach hinten.

Der Lift fährt wieder nach oben.

JACK

Das ist er, na ja, Sie haben vielleicht etwas Mühe, den jungen Mann wiederzuerkennen. Er betrat dieses Lagerhaus nur wenige Minuten vor mir, ich dachte noch, der Ferrari am Straßenrand gegenüber sehe wie sein Ferrari aus; es war sein Ferrari. So langsam wird mir einiges klar. Er muß mein Angebot belauscht und das meine überboten haben – aber warum dann sein Ende? Und wenn seines, warum dann auch meines? Ich kapiere immer noch nichts, weigere mich auch, etwas zu kapieren. Es gibt schließlich auch die Würde des Logischen. Stellen Sie sich vor, ich sitze vor dem Fernseher, betrachte das Podiumsgespräch meiner Autoren, freue mich darüber, daß ihnen endlich die Einsicht aufdämmert, daß man wieder dichten müsse, dichten, einfach drauflos, wieder erzählen, einfach drauflos, die ganze engagierte und sozialbezogene Soße, die sie in letzter Zeit von sich gaben, war nicht zu konsumieren, ganze Reihen mußten verschlankt oder gar verramscht, Legionen von Lektoren, einige Manager gefeuert werden, ich atme beglückt auf, endlich, endlich sprudelt der Quell der reinen Dichtung wieder, dieses göttliche Fabulieren, da spüre ich plötzlich, daß sich hinter mir etwas rührt, will, immer noch beglückt, immer noch beschwingt, nach rückwärts sehen – und befinde mich Ihnen gegenüber. Verzeihung, immer schweifen meine Gedanken in die Zukunft, aber das würde Ihnen, meine Damen und Herren, auch so gehen, wenn Sie sich als Tote immer wieder in die Vergangenheit – in die Vorvergangenheit, um es genauer zu sagen – zurückversetzt sähen.

Licht.

Aus dem Kühlraum kommt Doc, legt sich auf die Couch, liest Comics, ohne Jack zu beachten.

Licht auf Jack.

JACK

Bleiben wir denn in dieser Vorvergangenheit. Doc kommt zurück, ahnungslos, daß ihn Bill aus dem Hintergrund beobachtet.

Der Lift kommt herunter.

JACK

Der Lift kommt herunter. Mit mir herunter. Wirklich, keinen Schimmer, was mit mir geschehen ist, nachträglich, so wie ich jetzt bin, aufgelöst in eine unbeschreibliche Flüssigkeit, läßt sich das ja auch nicht mehr feststellen. Aber wozu auch. Dramaturgisch gesehen bin ich wahrscheinlich nur eine unbedeutende Nebenfigur, ohne Überblick aufs Ganze, kann ich mir denken. Der Lift ist da mit mir. Geht zum Lift. Scheußlich, es kommt mir vor, als würde die Literatur, die ich verlege, wirklich.

Licht.

Jack betritt den Lift, ergreift darin einen Schirm und eine Aktentasche, kommt aus dem Lift. Geht vorsichtig einige Schritte in den Raum.

JACK

Jack.

DOC

Doc.

JACK

Ich wurde für heute punkt acht telefonisch von einem Unbekannten hierherbestellt.

DOC

Pünktlich.

JACK

Ich hoffe, ich bin am richtigen Ort.

DOC

Sie täuschen sich nicht.

Die Lifttüre schließt sich.

JACK schaut sich um

Entsetzlich.

DOC

Unbehaglich?

JACK

Als Verleger der sensibelsten Dichter seit der Jahrhundertwende bin ich andere Örtlichkeiten gewohnt.

DOC

Ich lese keine Dichter.

JACK

Ich sehe: Comics. Geht zum Lift zurück.

DOC

Mißtrauisch?

JACK

Subjekte wie Sie sind nicht vertrauenswürdig.

DOC

Menschenkenntnis.

JACK

Sie pflegen sich offensichtlich nicht zu erheben, wenn ein Fremder den Raum betritt.

DOC

Kommt drauf an.

JACK

Es geht um die Chemiewerke.

DOC

Und ich hoffte schon, Sie wollten einige Dichter verschwinden lassen.

JACK

Ich bin Mitglied des Verwaltungsrats.

DOC

Womit sich schöngeistige Verleger nicht alles abgeben.

JACK

Ich spreche im Namen des ganzen Verwaltungsrats.

DOC

Sprechen Sie.

JACK

Nur der Verwaltungsratspräsident weiß nichts von der Sache.

DOC

Nun?

JACK

Die Chemiewerke sind wahrscheinlich sogar Ihnen ein Begriff.

DOC

Ich war dort angestellt.

JACK

Ich kann mich nicht an Sie erinnern.

DOC

An mich erinnert sich niemand.

JACK

Wir beschäftigen Zehntausende.

DOC

Mich beschäftigen Sie seit sieben Jahren nicht mehr.

JACK lächelt

Opfer der Wirtschaftskrise?

DOC

Chef einer Ihrer Forschungsabteilungen.

JACK freut sich

Die Wissenschaftler der Forschungsgebiete ohne wirtschaftlichen Nutzen wurden rücksichtslos gefeuert.

DOC

Ich wurde rücksichtslos gefeuert.

JACK lacht

Schicksal.

DOC

Gleichzeitig wurde der Propagandaetat erhöht.

JACK strahlt

Geschäft.

DOC

Kommen wir dazu.

JACK

Ich erhielt brieflich ein Angebot.

DOC

Es scheint Sie zu interessieren.

JACK

Unter gewissen Umständen.

DOC

Wen wollen Sie beseitigt wissen?

JACK

Den Besitzer der Chemiewerke. Den Verwaltungsratspräsidenten.

DOC

Den alten Nick?

JACK

Der alte Nick ist tot. Es handelt sich um seinen Stiefsohn.

DOC

Weshalb sollen wir uns mit ihm beschäftigen?

JACK wird grob

Sie haben meinen Auftrag entgegenzunehmen und keine Fragen zu stellen.

DOC wird wild

Ich habe das Geschäft abzuwickeln, und Sie haben zu antworten.

JACK

Werden Sie nicht unverschämt.

DOC lacht

Ich bin nicht der Kunde.

JACK

Ich bin Nicks Bruder.

DOC

Na und?

JACK wird erhaben

Die Chemiewerke wurden von meinem Vater gegründet. Ich kann nicht zulassen, daß sie in die Hände eines Menschen kommen, dessen Herkunft unbeschreiblich ist.

DOC

Versuchen Sie es trotzdem.

JACK

Der Vater verkam in der Gosse, die Mutter hurte sich ins Bett des alten Nick, ihr Sohn besitzt testamentarisch die Aktienmehrheit, ist Präsident des Verwaltungsrates und der reichste Mann des Landes.

DOC

Des freiesten Landes.

JACK

Diesem Skandal muß Einhalt geboten werden.

DOC

Erwarten Sie nicht, daß ich Ihre Entrüstung teile.

JACK

Ich bin nicht an Ihrer Entrüstung, sondern an Ihrem Unternehmen interessiert. Sein Ruf grenzt ans Sagenhafte.

DOC

Vor allem seine Kosten.

JACK

Nebensächlich.

DOC

Hoffentlich.

JACK

Erledigen wir die Lappalie. Mein Fahrer wartet.

DOC

Wieviel?

JACK

Hunderttausend.

DOC

Eine Million.

JACK empört

Werden Sie hübsch bescheiden.

DOC

Ich passe die Preise den Kunden an. Grinst.

JACK

Die Konkurrenz verlangt fünfzigtausend.

DOC

Wenn sie morgen noch existiert.

JACK

Sie setzen uns das Messer an die Kehle?

DOC

Ihre Unkenntnis ist noch sagenhafter als unser Unternehmen.

JACK

Es ist das erste Mal, daß ich eine solche Verhandlung führe.

DOC

Mein Gott, wie müssen Sie Ihre Dichter behandeln.

JACK

Ich muß den Verwaltungsrat einberufen.

DOC

Trommeln Sie ihn ruhig zusammen.

Jack betritt den Lift.

JACK

Ob er zustimmt, ist völlig ungewiß.

Doc liest wieder Comics.

DOC

Er wird schon zustimmen. Es geht um die Chemiewerke, nicht um die schöne Literatur.

Jack im Lift ab.

Aus dem Hintergrund taucht Bill auf in Blue-jeans-Kleidung.

BILL

Vater.

DOC wendet sich erstaunt nach ihm

Bill.

BILL

Comics.

DOC

Na ja.

BILL

Ich suchte dich überall.

DOC

Ich bin untergetaucht. Setzt sich auf.

BILL

Seit Jahren.

DOC

Die Zeit vergeht.

BILL

Ich glaubte schon, du seist –

DOC

Ich schlage mich durch.

Rauschen.

BILL

Eine Leiche löst sich auf?

DOC

Mein Job.

BILL

Darf ich sehen?

DOC

Bitte.

Bill geht in den Kühlraum.

BILL

Perfekte Arbeit.

DOC

Ich bin kein Stümper.

BILL

Rentiert sich so was?

DOC

Es geht mir passabel.

Bill kommt aus dem Kühlraum.

BILL

Offenbar.

DOC

Du hast dich hier eingeschlichen.

BILL

Ich wurde hergeschickt! Es war niemand da, als ich vor einer halben Stunde herunterkam.

DOC

Da muß ich den Kühlraum gesäubert haben.

BILL

Du benimmst dich reichlich sorglos hier unten.

DOC

Wir haben unsere Beziehungen. Betrachtet Bill. Student?

BILL

Soziologie.

DOC

Mode.

BILL

Vorher studierte ich Biologie.

DOC

Keine Wissenschaft für Männer mehr.

BILL

Ich war Assistent bei White.

DOC lacht

Mein Schüler. Geht nach hinten, holt Whisky.

BILL

Er bedauerte deinen Abgang zur Industrie.

DOC

Er sollte die Biologie auch aufgeben.

BILL

Du bist ein großer Wissenschaftler gewesen.

DOC

Ich verstand etwas von Aminosäuren.

BILL

Wir verdanken dir wesentliche Erkenntnisse über das Leben.

DOC

Meine wesentlichen Erkenntnisse über das Leben bestehen darin, in einer Wirtschaftskrise trotz allem auf die Straße gesetzt worden zu sein. Trinkt. Ziemlich überraschend, dich wiederzusehen.

BILL

Ziemlich.

DOC

Ich erwartete jemand anderen.

BILL

Ich auch.

DOC

Den reichsten Mann des Landes. Trinkt. Machen wir uns nichts vor. Du weißt, für wen ich arbeite. Es war amüsant, dich wiederzusehen. Ich bin zufällig dein Vater, und du bist zufällig mein Sohn, etwas anderes haben wir uns nicht zu sagen. Adieu, Bill. Der Erbe der Chemiewerke schickt besser einen anderen Unterhändler.

BILL betrachtet seinen Vater ruhig

Ich bin der Erbe der Chemiewerke.

Doc schweigt.

BILL

Meine Mutter heiratete den alten Nick. Vor zwei Jahren.

Doc trinkt.

BILL

Sie wälzte sich von einem guten Bett ins nächstbessere.

DOC bricht in ein Gelächter aus

Karriere. Trinkt. Während ich bei der Beschäftigung landete, Leichen in ihre natürlichen Bestandteile aufzulösen. Auch eine Karriere.

BILL bleibt ruhig

Vor drei Wochen knallte der alte Nick mit meiner Mutter in seinem Privatjet gegen eine Felswand.

DOC

Kondoliere.

BILL

Der Unfall des Jahres.

DOC

Ich bin schon lange nicht mehr im Bilde, was oben geschieht. Kommen wir zum Geschäft. Schmeißt das Glas nach hinten.

BILL

Kommen wir.

DOC

Du hast der Verhandlung vorhin zugehört?

BILL

Habe ich.

DOC

Für deinen Kopf wird eine Million geboten.

BILL

Ich ahnte immer, daß sich mein Stiefonkel nicht bloß mit Literatur beschäftigt.

Doc stutzt, geht zu Bill, betrachtet ihn finster.

DOC

Du stellst einen Scheck über zwei Millionen aus und verschwindest.

BILL

Auf die Ermordung Jacks lege ich keinen Wert.

DOC

Leichtsinnig.

BILL

Dafür biete ich zehn Millionen –

DOC

Witzig.

BILL

– für die Ermordung des Staatspräsidenten.

Schweigen.

DOC

Ein Mordsspaß.

BILL

Blutiger Ernst.

DOC

Ich habe Humor, Bill, doch muß ich dich darauf aufmerksam machen: das Unternehmen hat keinen.

BILL