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Vor einem Jahr hat Dr. Maike Bachmann ihren geliebten Mann zu Grabe getragen. Hochschwanger ist sie damals gewesen. Mittlerweile ist der gemeinsame Sohn zu einem aufgeweckten, zuckersüßen Dreikäsehoch herangewachsen, den die junge Witwe alleine aufzieht. Mit ihrem neuen Leben hat sich die bildhübsche Ärztin inzwischen abgefunden, aber die Trauer um den Verlust ihrer großen Liebe sitzt noch immer tief.
Doch dann bekommt sie plötzlich einen Brief zugestellt. Einen Brief, der mit dem Namen ihres Mannes unterzeichnet ist und in dem dieser schreibt, wie sehr er sie liebt und dass er sich freuen würde, wenn sie ihn am kommenden Samstagabend vom Frankfurter Flughafen abholt.
Obwohl Maike klar ist, dass das ein übler Scherz sein muss, kann sie nichts dagegen tun, dass ihr Herz mit einem Mal so heftig pocht, als wollte es ihr aus der Brust herausspringen. Sie weiß, es gibt nur einen Weg, die Wahrheit herauszufinden: Sie muss am Samstag zum Flughafen fahren ...
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Seitenzahl: 114
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Briefe aus dem Jenseits?
Vorschau
Impressum
Briefe aus dem Jenseits?
Ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes erhält Maike überraschende Post
Karin Graf
Vor einem Jahr hat Dr. Maike Bachmann ihren geliebten Mann zu Grabe getragen. Hochschwanger ist sie damals gewesen. Mittlerweile ist der gemeinsame Sohn zu einem aufgeweckten, zuckersüßen Dreikäsehoch herangewachsen, den die junge Witwe alleine aufzieht. Mit ihrem neuen Leben hat sich die bildhübsche Ärztin inzwischen abgefunden, aber die Trauer um den Verlust ihrer großen Liebe sitzt noch immer tief.
Doch dann bekommt sie plötzlich einen Brief zugestellt. Einen Brief, der mit dem Namen ihres Mannes unterzeichnet ist und in dem dieser schreibt, wie sehr er sie liebt und dass er sich freuen würde, wenn sie ihn am kommenden Samstagabend vom Frankfurter Flughafen abholt.
Obwohl Maike klar ist, dass das ein übler Scherz sein muss, kann sie nichts dagegen tun, dass ihr Herz mit einem Mal so heftig pocht, als wollte es ihr aus der Brust herausspringen. Sie weiß, es gibt nur einen Weg, die Wahrheit herauszufinden: Sie muss am Samstag zum Flughafen fahren ...
»Ist was mit Klein-Silas nicht in Ordnung?«, erkundigte sich Dr. Peter Kersten, der Leiter der Notaufnahme an der Frankfurter Sauerbruch-Klinik besorgt, als seine jüngere Kollegin Dr. Maike Bachmann am frühen Morgen den Bereitschaftsraum betrat.
Wie fast jeden Sommer half Maike, die eigentlich auf der Intensivstation arbeitete, als Urlaubsvertretung in der Notaufnahme aus. Normalerweise kam sie morgens gut gelaunt und freundlich lächelnd zum Dienst. Heute jedoch machte sie den Eindruck, als ob sie ein Gespenst gesehen hätte.
Ihr Gesicht war kalkweiß, ihre Augen schwammen in Tränen, und ihre Hände zitterten.
»Klein-Silas geht es gut«, erwiderte sie mit zittriger Stimme. »Meine Nachbarin passt auf ihn auf, und er liebt Oma Windisch wie verrückt.«
»Geht es dir nicht gut, Maike? Bist du krank?«, hakte Peter weiter nach.
Sie schüttelte den Kopf. »Alles bestens.«
»So siehst du aber nicht aus. Sag schon! Was ist passiert?«
»Okay ...« Sie brauchte drei Anläufe, um mit ihrer stark zitternden Hand in die große Umhängetasche zu gelangen, die über ihrer Schulter hing. Als sie sie wieder herauszog, hielt sie einen Brief zwischen sehr spitzen Fingern, so, als ob der Brief schmutzig oder sonst irgendwie eklig wäre.
»Lies das mal, Peter«, bat sie leise. »Und dann sag mir, ob ich verrückt werde oder ob hier tatsächlich steht, was ich glaube, dass hier steht. Ich meine ... vielleicht bilde ich es mir ja nur ein und bin in Wirklichkeit einfach nur über Nacht verrückt geworden.«
»Lass mal sehen.« Peter nahm ihr den Brief aus der Hand, zog das Schreiben aus dem Umschlag und las ...
Meine über alles geliebte Maike, ich komme am Samstag um zehn Uhr abends mit der Maschine aus Manaus am Flughafen von Frankfurt an. Ich wäre überglücklich, wenn du mich abholen kämst. Dein dich bis in alle Ewigkeit liebender Silas.
»O Gott!« Peter musste schlucken. Er schnappte sich rasch einen Stuhl und schob ihn hinter Maike, als er sah, dass sie schwankte. »Setz dich!«
Sie ließ sich auf den Stuhl fallen.
»Was ist das?«, schluchzte sie. »Erlaubt sich da jemand einen schlechten Scherz mit mir? Oder ist das ein Brief aus dem Jenseits? Was? Bin ich verrückt? Sag es mir, bitte!«
Der Notarzt seufzte tief. Maike hatte in dem vergangenen Jahr so schrecklich viel durchgemacht und jetzt auch noch das hier.
»Du bist nicht verrückt, Maike«, versicherte er ihr. »Und es handelt sich auch nicht um einen Brief aus dem Jenseits. Es ist ganz einfach zu erklären. Es kommt nicht selten vor, dass Briefe, gerade dann, wenn sie von so weit her kommen, sich verspäten. Es ist schon vorgekommen, dass Briefe erst nach zwanzig oder noch mehr Jahren am Zielort eingetroffen sind.«
Sie schüttelte den Kopf und deutete mit einem zitternden Zeigefinger auf das Datum am oberen Rand des Schreibens.
»Hier. Der Brief ist vor vier Tagen geschrieben worden. Der Poststempel trägt ebenfalls das Datum von vor vier Tagen.«
Jetzt musste auch Peter sich setzen.
»Was um alles in der Welt ...? Aber ... dein Mann ist tot und begraben. Ich war doch selbst bei der Beerdigung und habe es mit eigenen Augen gesehen. Und ... er ist auf meinem Operationstisch unter meinen Händen gestorben.«
»Ich weiß.« Ihre Stimme war kaum zu hören. Sie war so schwach und leise wie das Flüstern von Grashalmen auf einer Sommerwiese, durch die der Wind fuhr. »Er ist zweimal gestorben. Zuerst bei einem Hubschrauberabsturz und dann bei einem Autounfall. Und jetzt ... jetzt kommt er noch einmal ... um dann wieder zu ... sterben?«
»Ich komme mit!«, beschloss Peter.
»Wohin?«
»Zum Flughafen. Heute um zehn.«
»Du meinst, ich sollte ...?«
Peter zuckte mit den Schultern.
»Irgendwer kommt dort vermutlich um zehn Uhr abends an, wenn es sich nicht tatsächlich um einen schlechten Scherz handelt.«
»Silas kann es nicht sein.«
»Wir werden sehen.«
»Ich habe Angst, Peter.«
»Ich werde ja bei dir sein, Maike. Vielleicht kommt auch gar niemand an. Vielleicht ist es wirklich nur ein grausamer Scherz. Wir werden sehen. Wenn du den Brief ignorierst, hast du keine ruhige Minute mehr. Du würdest dich bis in alle Ewigkeit ständig fragen, ob er es nicht vielleicht doch gewesen sein könnte.«
»Wahrscheinlich hast du recht, Peter. Und ... du bist ganz sicher, dass er wirklich tot war?«
Peter Kersten lachte trocken auf.
»Du hast ihn doch selbst gesehen. Er ist seinen massiven Verletzungen erlegen. Wir konnten ihn nicht retten. Niemand hätte ihn noch retten können. Trotzdem haben wir es versucht, aber es hat nicht geklappt.«
Sie nickte. »Ich hab's gesehen.« Je eine Träne trat über ihre unteren Lidränder und perlte ihre Wangen abwärts. »Und ich fühle mich noch immer so schrecklich schuldig, wenn ich an ihn denke.«
»Du hast dir nichts zuschulden kommen lassen.«
»Ich konnte ihn plötzlich nicht mehr lieben. Nach allem, was er durchgemacht hatte, Peter! Er hat sich wochenlang durch die Wildnis gekämpft, nur, um zu mir zurückzukehren. Und ich?«
Sie stieß ein leises Wimmern aus.
»Als er plötzlich vor meiner Tür stand, da wünschte ich mir, er wäre tatsächlich gestorben, wie man es mir gesagt hatte. Ich konnte ihn plötzlich nicht mehr lieben. Nein, nicht nur das, ich mochte ihn nicht. Ich ... ich habe ihn regelrecht verabscheut. Den Vater meines Kindes. Wie konnte ich nur!«
»Hör mal, Maike.« Peter legte der jungen Kollegin eine Hand auf die Schulter. »Es gibt für fast alles im Leben eine einfache Erklärung. Im Moment komme ich selbst nicht darauf, was das sein könnte, aber es muss eine geben. Also fahren wir am Abend zum Flughafen und finden es heraus.«
»Es ist genau ein Jahr her, weißt du?« Maike zog die Nase hoch. »Heute ist sein erster Todestag. Er ist vor genau einem Jahr gestorben. Ich wollte am Abend Blumen auf sein Grab legen. Denkst du ...?«
»Nein!« Peter schüttelte den Kopf. »Wenn du mich jetzt fragen willst, ob ich glaube, dass Tote an ihrem Todestag als Gespenster auf die Erde zurückkehren dürfen, dann erwarte bitte keine ernsthafte Antwort von mir. Wir fahren am Abend zum Flughafen, dann wissen wir hoffentlich mehr.«
»Okay. Danke.« Sie trocknete sich die Augen mit dem Handrücken. »Es war das schlimmste Jahr meines Lebens«, hauchte sie. »Erst die Angst um ihn. Dann die Angst vor ihm. Dann sein erneuter Tod. Und dann ... Silas-Junior, mein süßer kleiner Engel, der ihm so unglaublich ähnlich sieht.«
Sie lächelte selig, als sie an ihren kleinen Jungen dachte, der in zwei Wochen ein Jahr alt sein würde, seiner Entwicklung so weit voraus und so unglaublich wissbegierig und abenteuerlustig war, wie Silas, der echte Silas, es als kleiner Junge gewesen war.
»Ach, Peter!«, seufzte sie. »Das war das schlimmste und zugleich das schönste Jahr meines Lebens!«
***
Ein Jahr zuvor ...
Die mittelalte Frau, die dem dreiunddreißigjährigen Simon Bachmann in der Linie U2, die zwischen Berlin-Pankow und Rohleben verkehrte, gegenübersaß, ging ihm gehörig auf die Nerven. Seit sie am Rosa-Luxemburg-Platz eingestiegen war, starrte sie ihn unverwandt an und hauchte im Sekundenrhythmus ...
»O Gott! O mein Gott! Wahnsinn! Wow! Echt jetzt! O Gott, das darf doch nicht wahr sein! Nein! Oder? Voll krass! Das glaubt mir keiner! Wow! Irre!«
Simon musste zum Potsdamer Platz, um sich bei seinem Bewährungshelfer zu melden. Seit er vor zwei Wochen auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen worden war, musste er wöchentlich bei so einem langhaarigen, tätowierten, obercoolen Schnösel von einem Sozialarbeiter antanzen. Am frühen Morgen, damit er nur ja nicht auf die abwegige Idee kam, er sei jetzt wirklich frei.
Danach musste er zur Arbeitsagentur. Ebenfalls wöchentlich. Dort bekam er ein paar Zettel mit den Adressen von Firmen, die Hilfsarbeiter suchten, in die Hand gedrückt und musste sich für idiotische Jobs bewerben gehen, bei denen man sich halb zu Tode arbeitete und dafür mit einem Almosen abgespeist wurde.
Wenn er die Zeiten nicht einhielt, wenn er auch nur ein, zwei Stunden zu spät kam oder bei den Vorstellungsgesprächen durchblicken ließ, dass er keinen Bock darauf hätte, morgens um vier die Straßen zu fegen oder öffentliche Toiletten zu reinigen, dann bekam er keine Sozialhilfe mehr.
Er hatte noch sieben Haltestellen vor sich, und wenn die dämliche Trulla nicht bald ausstieg oder wenigstens die Klappe hielt und woanders hinguckte, dann ...
Nein! Selbst wenn es ihn noch so sehr danach gelüstete, ihr eine zu scheuern, er musste sich am Riemen reißen, denn schließlich war er ja auf Bewährung. Ein kleiner Fehltritt und er atmete wieder gesiebte Luft.
Im Knast war er genau deswegen gewesen. Weil ihm der Geduldsfaden immer zu schnell riss und er dann seine Hand, oft auch die Faust oder den Fuß, nicht mehr bei sich behalten konnte.
Er hatte seine Ex-Freundin Alice krankenhausreif geprügelt, weil dieses dreiste Weibsstück von ihm verlangt hatte, er solle arbeiten gehen. Dafür hatte er zwei Jahre abgesessen. Drei weitere Jahre lang musste er nun beweisen, dass das Aggressionstraining, zu dem man ihn im Gefängnis verdonnert hatte, erfolgreich gewesen war.
Von wegen erfolgreich! Er musste sich auf beide Hände setzen, um die Trulla nicht bei den Haaren zu packen und sie aus der fahrenden U-Bahn zu schleudern.
Aber sich vorzustellen, wie sie schreiend auf dem gegenüberliegenden Gleis landete und von der entgegenkommenden U-Bahn plattgewalzt wurde, schaffte ihm wenigstens ein bisschen Erleichterung. Es sich vorzustellen, war fast so gut, wie es tatsächlich zu tun. Aber eben nur fast.
Was wollte die Kuh überhaupt von ihm? Sie konnte ihn doch nicht anhand des winzigen, grobkörnigen Zeitungsfotos anlässlich seiner Verurteilung vor zwei Jahren wiedererkannt haben, oder?
Wenn er doch nur dürfte, wie er wollte! Nur ein bisschen die Nase eindellen! Oder ihr ein blaues Auge verpassen. Oder ihr den Arm brechen.
Aber nein, er war zum Nichtstun verdammt worden. Er musste sich frech angaffen lassen und durfte sich nicht dagegen wehren. Die wollten einen weichgespülten Frauenversteher aus ihm machen, wie Silas einer war.
Nein, nein, nur jetzt nicht an Silas denken, sonst kam der Hass wieder in ihm hoch, sonst sah er rot und konnte für nichts mehr garantieren.
Aha, jetzt machte die Schnepfe sich dazu breit, ihn etwas zu fragen. Sie klappte ein paarmal ergebnislos ihr stumpfsinniges Fischmaul auf und zu, dann holte sie tief Luft.
»O mein Gott! Sie sind es, oder? Sie sind es doch! Sind Sie es? Sie müssen es ganz einfach sein! Ja? Sagen Sie doch! Sind Sie es? Ich glaube, dass Sie es sind!«
Nicht zuschlagen, nicht zuschlagen, freundlich bleiben, nicht aufregen, atmen, wie wir es im Aggressionstraining gelernt haben! Atmen und lächeln, bis zehn zählen, an etwas Schönes denken und wieder lächeln und atmen!
Das Problem bei diesen bescheuerten Übungen war: Wann immer die Knastpsychologin gesagt hatte, er solle an etwas Schönes denken, dann hatte er automatisch daran gedacht, ihr den Hals umzudrehen. Für ihn war das nämlich etwas Schönes. Also besser einfach nur lächeln, bis zehn zählen und lieber an nichts Schönes denken.
Er guckte aus dem Fenster, obwohl dort absolut nichts zu sehen war, doch die blöde Gans hörte einfach nicht auf, ihm die Ohren vollzulabern. Wie eine Stechmücke, die einem nachts um die Ohren sumste und einem mit dem nervenden Gesumse den Schlaf raubte, sumste auch sie ununterbrochen weiter.
»Aber sicher sind Sie es! Sie müssen es ganz einfach sein. Geben Sie es doch zu, ich sag's bestimmt nicht weiter. Sind Sie es? Ja? Jaaa? Ich hab Sie schon öfter mal im Fernsehen gesehen. Sie sind es doch, oder? Ja? Hallo? Jaaa?«
Im Fernsehen? Verdammt noch mal, haben die meine Verhaftung im Fernsehen gebracht?
»Also, sind Sie es nun oder nicht?«
»Wer?«
»Silas Bachmann. Der verschollene Wissenschaftler. Der, wo bei einem Hubschrauberabsturz über dem Regendschungelwald in ...« Sie tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. »Wie hieß das gleich wieder? Das hieß irgendwie so wie das, wo ich immer meine Anziehsachen und alles bestelle.«
Sie starrte auf ihre scheußliche Handtasche aus Plastik, als ob die Antwort dort geschrieben stände.
»Ach ja, Amazonas! Sie sind doch in Amazonas mit dem Hubschrauber abgestürzt und angeblich von irgendwelchen Viechern gefressen worden, weil man Ihre Leiche nie gefunden hat. Das haben die schon vor sechs Wochen in den Nachrichten gebracht, und gerade vorhin haben es ...«
Sie pausierte und dachte nach.
»Ach ja, Annalena und Ralf waren das. Die haben es im Frühstücksfernsehen gesagt, dass Sie jetzt keiner mehr sucht, weil Sie ganz sicher tot sind. Der sind Sie doch. Oder? Haben die Sie doch noch gefunden? Oder sind Sie wirklich von Viechern gefressen worden? Von welchen denn? Löwen oder Hyänen?«
Du meine Güte, die Tusse hatte einen Intelligenzquotienten, der nur geringfügig über dem eines Badeschwamms lag.
Er wollte ihr genau das gerade sagen, als ihm bewusst wurde, welche Information er da eben erhalten hatte.