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Pastorin und depressiv - geht das? Stets fröhlich und unbeschwert als Kind, zieht Janice während ihrer Jugendzeit ein Strudel aus Traurigkeit in die Tiefe ihrer Gefühle. Hilflos und verwirrt verdrängt sie lange Zeit, was sie nicht einordnen kann. Als die Verzweiflung zu groß wird, sucht sie professionelle Hilfe - und findet neuen Halt. Doch gerade, als alles endlich perfekt zu sein scheint, schlägt die nächste Welle der Krankheit über ihr zusammen. In ihrer Biografie erzählt Janice, wie sie gelernt hat, mit ihrer Depression zu leben. Aber auch, wie Jesus sie aus dem Ozean der Gefühle herausgerettet und ihr neuen Selbstwert geschenkt hat. Es lohnt sich, nicht aufzugeben: Denn dieses Leben ist viel zu kostbar, um nicht jeden Tag zu feiern!
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Seitenzahl: 201
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SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-7751-7587-6 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-6148-0 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck
© 2023 SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH
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Internet: www.scm-haenssler.de; E-Mail: [email protected]
Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:
Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH, Holzgerlingen.
Weiter wurden verwendet:
Hoffnung für alle ® Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®.
Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis – Brunnen Basel. (HFA)
Lektorat: Carolin Moussa
Umschlaggestaltung: Stephan Schulze, Stuttgart
Titelbild: Miriam Majaniemi, www.maj-photo.ch
Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach
Über die Autorin
Vorwort
Aller Anfang ist schwer
Goldlöckli
Der Ernst des Lebens
Die graue Decke über mir
Schnitte ins Herz
Selbstliebe
Nächster Halt: Klapse
Zurück in der Realität
Der wundersame Gott
Pandemie hin oder her
Wahre Stärke
Ich träume von Kirche
Spiritualität entdecken
Was bleibt, ist Friede
Ressourcen
Walhai ahoi
Nachwort
JANICE BRAUN (Jg. 1997) ist leitende Pastorin des »Oneighty« im ICF Zürich und voller Leidenschaft Teil dieser Gemeinde. Weiter ist sie als Unternehmerin, Referentin und Autorin aktiv und setzt sich für die Destigmatisierung psychischer Erkrankungen ein. Janice ist verheiratet und lebt mit ihrem Ehemann in Wallisellen.
Ich würde mich nicht als klassische Autorin bezeichnen. Vielleicht nicht einmal als Autorin. Ich bin eine Frau, die die Tiefen des Lebens kennt und von Herzen gerne Hoffnung teilt.
In diesem Buch erzähle ich meine Geschichte: Wie sich über Jahre hinweg schleichend eine schwere Depression auf mich legte und wie ich lernte, mit dieser Krankheit zu leben. Ich habe nicht den Anspruch, etwas von allgemeiner Gültigkeit zu verfassen, denn jede Person erlebt die Schwere des Alltags, eines Schicksalsschlags oder gar eine psychische Krankheit individuell. Auch eine ärztliche oder psychologische Sicht kann ich nicht bieten. Dafür teile ich meine persönlichen Erlebnisse und Erkenntnisse. Ich schenke Einblicke in die tiefsten und persönlichsten Momente meines Lebens. Und ich hoffe sehr, dass ich dir, lieber Leser, damit ein Licht sein kann.
Kaum zu glauben, doch auch heute sind Depression, Selbstverletzung und Suizid in unserer Gesellschaft noch Tabuthemen. Gerade deshalb schreibe ich über diese schweren Themen und leiste somit meinen Beitrag, um diese Tabus zu brechen. Es kostet mich Mut, meine Geschichte an die Öffentlichkeit zu bringen. Doch ich bin davon überzeugt, dass ein solches Buch mir in schwierigen Zeiten neuen Mut geschenkt hätte. Wenn ich also auch nur einer Person eine neue Perspektive zeigen kann, hat es sich gelohnt. Nach all den Jahren, die ich nun mit dieser Krankheit lebe, bin ich mehr denn je davon überzeugt, dass wir die Tiefen einer Depression gemeinsam und mit Gottes Hilfe überwinden können.
In diesem Buch schreibe ich außerordentlich ehrlich und offen über meine tiefsten Schmerzen und Erlebnisse. Obwohl meine Geschichte sehr ermutigend ist, könnten dich einige Themen eventuell triggern. Über die gesamte Lektüre hinweg solltest du dir dessen bewusst sein. Trotzdem möchte ich dir kurz eine Übersicht geben, zu welchem Kapitel es jeweils eine spezifische Trigger-Warnung gibt. So kannst du dich darauf einstellen oder gar ein Kapitel überspringen.
Kapitel sechs: »Selbstliebe« handelt von Selbstverletzung und wie ich lernte, diese zu überwinden. Im Kapitel acht: »Zurück in der Realität« erzähle ich davon, wie ich sexuellen Missbrauch erleben musste und meinen Weg, dies aufzuarbeiten. Auch für das Kapitel zwölf: »Ich träume von Kirche« möchte ich eine Trigger-Warnung geben. Hier schreibe ich über das Thema Suizid und wie sich durch eine Depression der Freitod plötzlich als möglicher Ausweg in die Gedanken schleichen kann.
Trotz der Schwere des Themas werden zwischendurch auch immer wieder besondere Momente der Freude und der Dankbarkeit geschildert. Du wirst beim Lesen genauso lachen wie weinen können, besonders aber will ich der Hoffnung in meinen Schilderungen einen besonderen Platz einräumen. Sie ist es, die mich durch all die Jahre getragen hat.
Seit gut zehn Jahren ist die Depression Teil meines Lebens, trotzdem leite ich eine Jugendkirche von 120 Teenagern, lebe eine aufregende Ehe und darf viele Abenteuer mit meinem starken Umfeld teilen. Wie ist das möglich, fragst du dich? Gerne teile ich mit dir, wie ich täglich meiner Krankheit den Kampf ansage und das göttliche Wunderwirken in mir zulasse.
Mein Wecker klingelt. Wie verkatert versuche ich, irgendwie genug Energie zu finden, um das quälende Geräusch endlich abzustellen. Mein Kopf brummt. Für einen kurzen Augenblick überlege ich, ob ich mich tatsächlich übergeben muss. Ich kneife meine Augen zusammen, während ich die Schlummerntaste suche, weil mich der Bildschirm meines iPhones quälend hell anstrahlt. Endlich kann ich den schrillen Ton verstummen lassen und zurück ins Bett fallen.
Die drückenden Kopfschmerzen und die Übelkeit sind meine täglichen Begleiter geworden. Am Abend zuvor war ich nicht etwa auf einer Party gewesen, wie andere Jugendliche in meinem Alter es zu tun pflegen. Ich hatte nicht zu viel getrunken oder hatte es eskalieren lassen. Nein, meine Beschwerden kommen nicht von einem ausgelassenen Abend mit meinen Freunden. Mein Körper rebelliert aufgrund der Nebenwirkungen meiner neuen Antidepressiva.
Fürsorglich bringt mir meine Mutter einen Kaffee ans Bett und stellt den Wecker in der endlosen Schlummerschlaufe endgültig ab. Den Gedanken daran, einen weiteren Arbeitstag zu meistern, überfordert mich maßlos. Während ich meine Arbeitskleidung anziehe, steigert sich die Angst in mir. Es erscheint mir aussichtslos, die Energie aufzubringen, den ganzen Tag im Büro auszuhalten. Was, wenn ich wieder so viele Flüchtigkeitsfehler mache oder während einem Kundengespräch in Tränen ausbreche?
Mein Herz schlägt immer schneller und ich spüre meinen Brustkorb pulsieren. Ich bekomme fast keine Luft mehr. Schnell laufe ich zu meiner Mutter ins Zimmer. Kaum angekommen, beginne ich zu schluchzen aus lauter Angst davor, den Alltag anzutreten. Meine Mutter nimmt mich liebevoll in den Arm. Sie weiß, welche Gedanken mich plagen.
An diesem Tag hätte ich es unmöglich ins Büro geschafft, also habe ich mich erneut bei meinem Vorgesetzten krankgemeldet. Den ganzen Tag liege ich im Bett. Für ein kleines Mittagessen setze ich mich zu meiner Mutter in die Sonne und verschwinde dann wieder für einen Nachmittagsschlaf im Zimmer.
In meinen frühen Jugendjahren traf mich die Diagnose einer schweren Depression wie ein Schlag ins Gesicht. Es fühlte sich an, als ob ich eines Tages aufgewacht wäre und mich jemand mit dieser Depression vergiftet hätte. In Wahrheit aber hat sich die Depression langsam in mein Leben eingeschlichen. Einige Jahre habe ich einsam und still meinen inneren Schmerz ausgehalten; ich weiß also nicht genau, ab wann man in meinem Fall von einer Depression sprechen konnte. Mit 16 Jahren fand ich endlich den Mut, einen Termin bei einem Jugendberater wahrzunehmen. Einige Termine später folgte dann die Diagnose: schwere Depression.
Es gab also tatsächlich einen Begriff dafür, wie es mir ging. Es war Schock und Erleichterung gleichermaßen. Ein Schock, weil die Diagnose neue Tatsachen schuf, mich offiziell zu einer psychisch Kranken machte. Und gleichzeitig eine Art Befreiung, denn irgendwie schien diese Diagnose mir eine Berechtigung zu geben, am Leben zu zerbrechen.
Die folgenden Jugendjahre waren maßgeblich von dieser Krankheit geprägt. Es schien, als bestimmte die Depression mein gesamtes Leben. Immer neue Symptome und Schwierigkeiten lernte ich kennen, die aufgrund dieser Depression in mein Leben traten. Es war, als entdeckte ich immer mehr in diesem für mich unerforschten Ozean der Depression.
Einen Klinikaufenthalt und einige Jahre später durfte ich dank der Gnade Gottes neue Freiheit gewinnen. Mit 19 Jahren erlebte ich eine wunderhafte Besserung meines Ergehens und genoss das Leben der Leichtigkeit, bis ich 23 Jahre alt war. In dieser Zeit durfte ich Benjamin, einen wunderbaren Mann, heiraten, mein Theologiestudium beginnen und meinen Traumjob als Pastorin in der ICF Church antreten. Die Depression war in diesen vier Jahren weit weg − als hätte es sie nie gegeben. Ich war frei, mein Leben zu gestalten, etwas aufzubauen und voller Energie und Freude teilzuhaben an diesem Leben. Ich bin nach wie vor so dankbar für diese Zeit, weil mir wieder bewusst geworden ist, wofür es sich zu leben lohnt. Wenn ich diese Atempause von Gott nicht geschenkt bekommen hätte, weiß ich nicht, ob ich die nächsten Jahre überstanden hätte.
Irgendwann kam der Punkt, an dem die Krankheit wieder ausbrach. Ob es einen Auslöser gab, kann ich bis heute nicht sagen. Auch die zweite heftige Episode kam für mich wie aus dem Nichts. Sie riss mir den Boden unter den Füßen weg. Wieder konnte ich meine Überforderung und meine Verzweiflung nicht länger kleinreden, sondern musste mich von Neuem mit dieser ernsthaften Krankheit auseinandersetzen.
Meine psychischen Schwierigkeiten konnte ich nicht mehr als pubertäre Krise abtun. Es war mehr als ein Zusammenspiel aus Identitätsfindung und hormoneller Umstellung. Meine Psychologen erklärten mir, dass die Depression für mich ein Lebens- und Wegbegleiter sein wird.
Heute ist mein Leben maßgeblich anders als in meiner Jugendzeit. Somit wirkt sich diese psychische Krankheit heute anders aus als in meinen Teenagerjahren. Ich schreibe dieses Buch nicht aus dem Blickwinkel einer Frau, die die Depression überwinden konnte, sondern als eine Person, die immer noch mitten in dieser Pfütze sitzt. Und trotzdem ist mein Leben lebenswert und ich kenne Freude und Glück. Im Unterschied zu früher fühle ich mich dieser Krankheit nicht mehr hilflos ausgeliefert, sondern führe die Depression sozusagen an der Leine. Ich habe gelernt, wie ich mit ihr leben kann, ohne mich ihr ergeben zu müssen. Und immer wieder auch wunderbare Zeiten zu erleben, wo die Schwere für ein paar kostbare Augenblicke wie weggeblasen erscheint. Dafür lohnt es sich zu kämpfen und zu leben.
Zu viele Menschen leiden immer noch still an einer psychischen Krankheit. Ob Schüler oder CEO, Frauen oder Männer, jung oder alt: psychische Krankheiten machen vor keinem halt. Wenn wir uns öffnen, unseren Schmerz und unsere Verzweiflung teilen, uns mitteilen, können wir uns gemeinsam dabei unterstützen, einen Weg zu mehr Lebensqualität zu finden. Es gibt Hoffnung auf ein Leben, das sich lohnt zu leben.
Ich bemühe mich in diesem Buch um eine praktische Anschauungsweise, allein deshalb, weil viele Gedanken und Gefühle so diffus und schwer zu fassen sind. Ich will dir einen Leitfaden geben, indem ich dir schildere, wie ich mit unterschiedlichen Herausforderungen der Depression umgehe. Doch nicht nur meine erlernten Tipps und Tricks teile ich mit dir, sondern auch meine tiefen Begegnungen Gottes. Gott war immer mit mir in meinen stürmischen Zeiten und sitzt mit mir in der Pfütze. Ich erlebe immer wieder, wie Gott mich tröstet und meine inneren Scherben zusammenhält. Das gibt mir die Hoffnung, die ich gerne mit dir teilen möchte. Ich ermutige dich, nicht aufzugeben, auch wenn du schon seit Jahren im Dunkeln sitzt.
Von klein auf war ich ein fröhliches Mädchen, bekannt für meine Leichtigkeit und meine Lebensenergie. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich diese kindliche Unbeschwertheit verloren habe. Gerne denke ich an meine schönen Kindheitserinnerungen und an meine Lebensfreude zurück. Immer wieder habe ich die unterschiedlichsten Spitznamen erhalten. Einer davon war »Gumpibälleli« (Gummiball oder Flummi), da ich kaum zu bremsen war vor Energie und Unternehmungslust. Ein anderer Spitzname war »Goldlöckli«, der auf den ersten Blick auf mein blondes Haar zurückzuführen ist, vielleicht aber auch auf meine goldige Art.
Meine Großmutter, Potzi genannt, wanderte während meiner Kindheit auf die thailändische Insel Koh Samui aus. Die abenteuerlichen Familienferien in Thailand bei Potzi und ihrem Mann Charly habe ich geliebt. Mit neun Jahren durfte ich sie sogar zum ersten Mal ganz allein besuchen. Kein Abenteuer war mir zu groß und so stieg ich, das kleine Goldlöckli, in das riesige Flugzeug am Flughafen Zürich. Natürlich wurde ich von einer netten Flugbegleiterin betreut. Das viel zu große Schild um meinen Hals zeigte allen Menschen im Umkreis von 20 Metern, dass ich ein allein reisendes Kind war. Ob das meine Sicherheit erhöhte, fand ich schon damals fragwürdig. Trotzdem trug ich diese Medaille nicht ganz ohne Stolz über den ganzen Reiseweg.
Die Flugbegleiterin fragte ungefähr einmal in der Stunde, ob auch wirklich alles in Ordnung sei. Ich hatte auf dem Langstreckenflug nie mehr zu bemängeln als zu wenig Snacks. Schließlich kannte ich diese Reise so gut, dass ich das Flugzeug meiner Meinung nach selbst hätte fliegen können. Charly holte mich am Flughafen Bangkok ab, sodass ich nicht allein umsteigen musste, um nach Koh Samui zu gelangen. Auch für das mutige Goldlöckli gab es Grenzen, oder zumindest für ihre Eltern.
Zusammen mit Charly flog ich also auf die zweitgrößte Insel Thailands. Ich konnte es kaum erwarten, den Strand und den Dschungel ein weiteres Mal unsicher zu machen. An diese Ferien voller Leichtigkeit und Abenteuer kann ich mich noch sehr gut erinnern. Potzi und Charly hatten sich gerade erst einen kleinen Hund zugelegt. Ying, so hieß das wilde Fellknäuel, schlief jede Nacht neben meinem Bett. Wir waren unzertrennlich. Den ganzen Tag lang spielten wir gemeinsam auf der riesigen halbrunden Terrasse Verstecken. Brav wartete Ying, bis ich mich versteckt hatte. Meistens quetschte ich mich zwischen zwei Blumentöpfe, dessen Pflanzen mich um einiges überragten, oder ich schlich hinter eine Kommode. Dann rief ich nach ihr. Schnell begann Ying ihre Suche und fand mich stets innerhalb von wenigen Augenblicken. Es war herrlich!
Einmal fuhren wir zu viert an den Strand, um im Meer schwimmen zu gehen. Die Autofahrt an sich war schon ein Abenteuer. Der Welpe und ich schwankten auf der Ladefläche des Pick-ups hin und her. Keine noch so große Bodenwelle konnte unseren Spaß bremsen. Am Strand angekommen, spielten wir den ganzen Nachmittag im Meer, jagten den Wellen nach, spritzten uns nass und genossen den Blick in die Ferne. Diese Ferien sind gezeichnet von kindlichen und schönen Eindrücken. Doch nur wenige Jahre später war mein Alltag bereits von Schmerz, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit getränkt. Niemand hätte geglaubt, dass ausgerechnet das strahlende, blonde Mädchen einmal so ums Überleben kämpfen müssen würde.
Die Begeisterung für Abenteuer wurde mir in die Wiege gelegt. Wenn ich mich heute mit einem Wort beschreiben müsste, dann wäre es definitiv: abenteuerlustig! Als ich noch sehr jung war, durfte ich mit meiner Familie tauchen gehen und surfen, als Teenie mit meiner Schwester Jamie Städtereisen unternehmen. Was für eine unbeschwerte Zeit das war! Diese Erinnerungen erfüllen mich mit tiefer Dankbarkeit. Wie konnte mir diese Lebensfreude zwischen den Fingern zerrinnen? Es macht mich traurig, wenn ich daran denke, was dieses Mädchen noch für schwere Jahre vor sich hat.
Meine Abenteuerlust ließ mich meinen Alltag mit vielen Dingen füllen, für die ich schnell Leidenschaft gewann. Besonders galt dies für Sport und die Kirche. Mit nur sechs Jahren begann ich das Wasserspringen und trainierte dies bis in meine Jugendjahre auf leistungssportlichem Niveau. Ich hatte eine riesige Leidenschaft für diesen eleganten Sport. Am liebsten trainierte ich jeden Tag. Ich lernte, meine körperlichen und psychischen Grenzen zu überwinden, und es entwickelten sich großartige Freundschaften in den Trainings. Viele Stunden haben wir Krafttraining absolviert, unsere Sprünge auf dem Trampolin geübt und diese schließlich im Wasser perfektioniert. Meine Begeisterung für diesen Sport war so groß, dass ich dafür immer wieder die Pfadfinder, Geburtstagsfeiern oder sogar die Schule verpasste. In dieser Zeit gehörte nichts mehr zu meiner täglichen Routine, als in der Umkleide des Hallenbades meine Kleider in meinen Spint zu schließen und meine Trainingssachen über meinen Badeanzug zu ziehen. Doch wie das beim Leistungssport so ist, waren die Erwartungen hoch. Im Nachhinein weiß ich, dass ich schlechter mit dem Druck umgehen konnte, als mir damals bewusst war.
In einem Sommer besuchte ein neuer Junge unser Training, Jan. Es gefiel ihm so sehr, dass wir noch jahrelang gemeinsam trainierten, bis ich den Sport schließlich aufgab. Mein Trainer fragte den schüchternen Jungen, ob er wisse, um was es denn in den Trainings gehe. Der Junge lächelte und meinte voller Überzeugung: »Dass wir alle Spaß haben!« Leider war das die falsche Antwort. Unser Trainer lachte laut und entgegnete: »Nein, natürlich nicht, es geht darum zu gewinnen!«
Mein erstes Training verlief sehr ähnlich. Das Erste, das ich lernte, war, dass man nur hinter dem Sprungturm weinen durfte, so konnte dies nämlich niemand sehen. Damals war mir nicht bewusst, wie oft ich tatsächlich noch hinter diesem Turm weinen würde. Manchmal weinte ich wegen der Schmerzen eines nicht gelungenen Sprunges, manchmal aus Angst vor dem nächsten Sprung oder schlicht aufgrund von Druck und Überforderung. Und auch wenn der Druck groß war: Über viele Jahre hinweg war meine Leidenschaft um einiges größer.
Was mich immer wieder überrascht, wenn ich daran denke: Seit dem Moment, als ich aufgehört habe zu trainieren, habe ich nie mehr einen Sprung von einem Sprungbrett gemacht und möglichst selten überhaupt ein Hallenbad besucht. Das war keine bewusste Entscheidung und doch scheine ich eine klare Trennung davon gebraucht zu haben. Trotz vieler schwieriger Momente hege ich noch immer große Begeisterung für diese Sportart und schaue positiv auf diese Jahre zurück. Ich habe viel fürs Leben gelernt und in all den Trainingslagern und Wettkämpfen einmalige Abenteuer erlebt.
Die christlichen Pfadfinder, die Royal Rangers, waren auch ein wichtiger Teil meiner Kindheit. Hier durfte ich einzigartige junge Erwachsene kennenlernen, die ihr Leben ganz auf Jesus ausgerichtet hatten und voller Lebensfreude steckten. Sie waren authentisch, cool und standen unerschütterlich mitten im Alltag. Genau so wollte ich mein Leben gestalten, kompromisslos auf Jesus ausgerichtet, authentisch und geziert von spürbarer Lebensfreude.
Als meine Freundinnen und ich schließlich Leiterinnen wurden, durften wir in den Pfadfinderlagern endlich länger wach bleiben, als die Nachtruhe für die Kinder das erlaubte. Endlich gehörten wir zu den coolen Leitern. Als Leiter darf man viele Vorzüge genießen, hat dafür aber viel Verantwortung. Um das auszukosten und zu feiern, gingen wir mit allen anderen Leitern und Leiterinnen gemeinsam spät am Abend im Bodensee baden, denn wir zelteten direkt neben dem See auf einer Wiese. Uns junge Leiterinnen kostete es Mut, ins dunkle Wasser zu waten, aber das war genau mein Geschmack von Abenteuer. Die älteren Leiter meinten, wir dürften auf keinen Fall laut sein oder gar schreien, da die Kinder bereits schliefen. Wenn wir kreischten, würden wir ihnen ein Mittagessen beim Burger King auf dem Heimweg schulden. Also haben wir uns besonders viel Mühe gegeben, leise zu sein. Was wir jedoch nicht wussten, war, dass die älteren Leiter uns Mädels eine lebensgroße Holzfigur, die einen Indianer darstellte, in den Zelteingang stellten. Ein kleiner Scherz, um uns als neue Leiterinnen willkommen zu heißen. Als wir also nass vom Baden ganz leise in unser Zelt schleichen wollten, erstarrten wir drei Mädels vor Schreck: Da stand ein Mann in unserem dunklen Zelt! Wir alle haben uns so sehr erschrocken, dass wir nicht einmal mehr kreischen konnten. Wir rannten einfach so schnell wie möglich weg. Als wir aus dem Zelt stürzten, standen alle anderen Leiter da und fanden es unfassbar amüsant. Nach dem großen Schreck lachten wir und schmiedeten vor allem bald einen Plan, um uns zu rächen. Die Leiter waren so beeindruckt, dass wir nicht laut gekreischt hatten, dass sie uns als Wiedergutmachung selbst zum Mittagessen im Burger King einluden.
Wenn ich an solche Momente zurückdenke, kann ich mir das Schmunzeln nicht verkneifen. Diese Vorbilder und solche Momente haben meine Vision fürs Leben maßgeblich geprägt. Ein Leben, ganz auf Jesus ausgerichtet, ist auf keinen Fall ein langweiliges Leben nach strikten Regeln, sondern ein riesiges Abenteuer mit viel Liebe für die Menschen um sich herum. Mir wurde klar: Ich musste nicht in klare christliche Vorlagen passen, um ein Leben an Gottes Seite zu leben. Gott hat Humor und ich glaube, Späße und Streiche sind viel näher am Göttlichen Wesen, als ich bisher verstanden habe.
Schon von klein auf besuchte ich eine Freikirche. Ich liebte es dort! Ich fühlte mich wohl und schloss enge Freundschaften. An einen Morgen in der Sonntagsschule kann ich mich besonders gut erinnern. Wir Kinder hatten gerade gemeinsam einige Kinderlieder gesungen und uns brav wieder hingesetzt. Dann plötzlich kam ein Hirte zur Tür hinein. Vorne standen einige lebensgroße Holzschafe. Dieser Mann im Hirtenmantel erzählte uns, dass Jesus uns genau so nahe ist wie er seinen Schafen. Zu Hause angekommen, erzählte ich meinen Eltern sofort, Jesus habe uns in unserer Sonntagsschule besucht. An diesem Morgen, glaube ich, durfte ich eine kindliche Gottesbegegnung erleben. In diesem Moment wurde mir klar: Da ist ein Gott, der mir immer so nahe ist wie ein Hirte, der täglich, 24/7, an der Seite seiner Schafe weilt und sie beschützt.
Auch als ich älter wurde, liebte ich es, Teil dieser Gemeinschaft zu sein. Ich durfte als Jugendliche unzählige Ferienlager erleben; ob am Strand oder beim Campen, in jeden Ferien kreierten wir legendäre Geschichten. In einem Lager haben wir jeden Abend ein riesiges Lagerfeuer am Strand gemacht und einfach die Zeit miteinander genossen. In einem anderen Lager haben wir gemeinsam die Skipisten in den Schweizer Bergen unsicher gemacht. Jedes Lager schenkte Momente voller Begeisterung, die mir für immer in Erinnerung bleiben werden.
Als Jugendliche habe ich in einem Kirchenlager in Frankreich an einem Abend mit meinem guten Freund Urs (heute der Mann meiner Schwester) ein Gläschen zu viel Sangria getrunken. Eigentlich beschreibt das viele Abende von mir in vielen Lagern. Irgendwie schienen mich die Lagerregeln ziemlich kaltzulassen, aber diesen Abend habe ich besonders witzig in Erinnerung. Zu zweit versuchten wir, auf einem Fahrrad von einem Städtchen in der Nähe zurück zu unseren Bungalows zu fahren. Unser Plan ging zunächst auf: Er trat in die Pedale, ich saß auf dem Gepäckträger. Aber da die Sterne so klar zu sehen waren, schauten wir ständig nach oben und verloren schließlich das Gleichgewicht. Einige Kratzer später befanden wir uns schon auf dem Camp-Areal.
Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie oft wir an diesem Abend mit dem Fahrrad umgekippt sind − jedes Mal unter viel Gelächter. Im Lager galt die Regel, dass man nicht mehr als ein Glas Wein oder Bier trinken durfte. Also bestellten Urs und ich zusammen einen Pitcher Sangria. Wenn man es genau nimmt, haben wir die Regel also nicht gebrochen. Zurück am Bungalow setzten wir deshalb unsere »Wir-sind-total-nüchtern-Gesichter« auf. Irgendwie scheinen wir überzeugend gewesen zu sein. Überraschenderweise wurden wir nicht erwischt und kamen ohne Konsequenzen ins Bett. Diesen Abend werde ich nie vergessen …
Ich kann mich an viele solche Geschichten zurückerinnern. Meine Abenteuerlust ließ selten nach. Der jugendliche Leichtsinn hat viele lustige Erinnerungen kreiert, an die ich gerne zurückdenke. In dieser Zeit durfte ich einen hoffnungsvollen und durch und durch positiven Blick auf das Leben lernen. Von klein auf war ich mit einem Leben gesegnet, in dem das Unmögliche möglich war. Ich erlebe Beziehungen, die halten, kenne Menschen mit ehrlicher Freude am Leben, besuchte die schönsten Orte der Welt und glaube an einen Gott, der meine Abenteuerlust feiert und meine Zerbrüche aushalten kann. Auch wenn die Depression immer wieder an dieser Hoffnung nagt, konnte sie bis heute diesen erlernten positiven Blick nicht zerstören.
Unzählige abenteuerliche und schöne Dinge habe ich in meinem Leben schon erleben dürfen. Seit ich zurückdenken kann, füllte ich meinen Alltag mit Dingen, für die ich große Begeisterung hatte. Mein Leben bot viel Stabilität und Sicherheit, meine Familie und mein Umfeld war stets unmittelbar beteiligt an meinem Leben, gerade deshalb habe ich mir meine negativen Gefühle nie erlaubt. Ich durfte so viele schöne Dinge unternehmen und durch meine liebevolle Familie begegnete ich überall offenen Türen. Ich war und bin privilegiert und glaubte damals, ich hätte kein Recht dazu, innerlich zu zerbrechen. Davon war ich tief überzeugt.