Der professionelle Blick. -  - E-Book

Der professionelle Blick. E-Book

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Beschreibung

In dem Band wird die Perspektive von Studierenden auf das Verhältnis von Theorie und Praxis beleuchtet, und zwar nachdem die Studierenden das Praxissemester absolviert haben. In einem ersten Artikel wird grundlegend der Frage nachgegangen, inwiefern die spezifischen, mit dem Praxissemester verbundenen Reflexionsanforderungen zu einer differenzierten Auffassung von dem Verhältnis zwischen Theorie und Praxis beitragen können und wie Studierende nach dem Absolvieren des Praxissemesters dieses Verhältnis bestimmen. Daran schließen sich konkrete Beiträge von Studierenden an, die jeweils eine selbst erlebte Situation im Kontext Schule während des Praxissemesters theoriegeleitet analysieren und reflektieren, um daraus Konsequenzen für ihren weiteren Professionalisierungsprozess als Lehrerinnen und Lehrer zu ziehen. Im zweiten Artikel des Bandes geht es dabei um die Verortung des eigenen Lehrerhandelns zwischen verschiedenen pädagogischen Antinomien. Im Fokus des dritten Artikels steht die Frage nach Stigmatisierungsprozessen im Unterricht, und zwar mit Blick auf ein Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Die Studentin stellt sich die Frage nach Möglichkeiten der Vermeidung von Stigmatisierungen im Unterricht. Der vierte Artikel thematisiert Möglichkeiten des Umgangs mit unterschiedlichen Erwartungshaltungen von verschiedenen Akteuren im Praxissemester.

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Inhalt

Das Verhältnis von Theorie und Praxis aus der Perspektive von Studierenden im Lehramt. Welche Chancen bietet das Praxissemester?

Kathrin te Poel

Erwartungen von Schülerinnen und Schülern. Chance oder Gefahr für professionelles Handeln als Lehrkraft?

Laura Düllmann

Vom Umgang mit Vielfalt in der Schule. Die Theorie des Labeling Approach

Heike Friedebold

Der Umgang mit verschiedenen Rollen und Erwartungen im Praxissemester

Elvira Schönke

Der professionelle Blick...

... auf die schulische Praxis steht im Zentrum der universitären Vorbereitung, Begleitung und Nachbereitung des Praxissemesters, das Studierende im Lehramt über eine Zeitspanne von fünf Monaten in der Schule absolvieren.

Im Zuge der Nachbereitung des Praxissemesters präsentieren die Studierenden eine in der Schule erlebte Situation, die sie theoriegeleitet reflektieren und analysieren. Exemplarische Analysen unterschiedlicher Situationen werden Ihnen im Anschluss an einen Artikel, der das Verhältnis von Theorie und Praxis aus der Perspektive von Studierenden nach dem Praxissemester im Allgemeinen thematisiert, vorgestellt.

An dem Zustandekommen dieser Broschüre wirkten viele engagierte Studierende mit. Für diese produktive Zusammenarbeit sei herzlich Dank gesagt:

Den Autorinnen, die ihre Präsentationen für diese Broschüre verschriftlicht haben,Eva Lamberts, Heike Friedebold, Julia Wolff, Laura Düllmann und weiteren für die Teilnahme an einer themenbezogenen Gruppendiskussion,Rico Dumcke für die Erstellung des Titelbildes und weiterer Fotos sowie Frederic Bonin für die Erstellung von Graphiken und Fotos.

Ferner danke ich besonders dem Oberstufen-Kolleg Bielefeld und der English Drama Group der Universität Bielefeld für die zur Verfügung Stellung von Fotomotiven für diese Broschüre.

Kathrin te Poel

Das Verhältnis von Theorie und Praxis aus der Perspektive von Studierenden im Lehramt. Welche Chancen bietet das Praxissemester?

Kathrin te Poel

Einleitung: Reflexionsanforderungen im Praxissemester

In unmittelbarem Anschluss an die schulische Praxisphase des Praxissemesters absolvieren die Studierenden das so genannte RPS-Seminar (Nachbereitung Praxissemester – Reflexion), in dessen Rahmen sie sich mit einer im schulischen Kontext erlebten Situation vertieft auseinandersetzen. Das bedeutet, dass die Studierenden jeweils eine selbst erlebte Situation theoriegestützt reflektieren und analysieren, mit dem Ziel, diese in der Seminargruppe zu präsentieren und zu diskutieren. Das Seminar ist entsprechend kolloquiumsartig konzipiert, die Präsentationen fungieren als Prüfungsleistung. Die vertiefte Analyse dient der Schulung eines „distanzierten Blick[es]“ (Universität Bielefeld u.a. 2011, S. 2) auf die wahrgenommene Praxis sowie der Reflexion der eigenen Rolle und des eigenen Handelns (vgl. ebd.). Situationen, die von den Studierenden reflexiv aufgegriffen werden sind entweder solche, in die sie selbst durch eigene Handlungen „verstrickt“ waren, oder es sind Situationen, die sie als Beobachterinnen und Beobachter miterlebt und als spannend oder fragwürdig erfahren haben. Die theoriegestützte Reflexion verspricht neuen, persönlichen Lernzuwachs und Anregungen zur Klärung offen gebliebener Fragen. Die Themen, die von den Studierenden aufgegriffen werden, reichen von unterrichtspraktischen Erfahrungen, beispielsweise im Umgang mit Heterogenität, bis zur kritischen Reflexion der eigenen Rolle als Praktikant oder Praktikantin im Vergleich mit der Rolle der Referendarinnen und Referendare an der Schule. Die Anforderungen an die Präsentation erlaubt den Studierenden bereits einen ersten Einblick in die Anforderungen des am Prüfungstag des Vorbereitungsdienstes abzulegenden Kolloquiums. Dort gilt es ebenfalls „komplexe Handlungssituationen (...) theoriegeleitet [zu] analysier[en], fachbezogen [zu] erörter[n] und praxisbezogen [zu] reflektier[en]“ (Landeslehrerprüfungsamt für Lehrämter an Schulen 2014, S. 23). Der Unterschied zum Praxissemester besteht in der erforderlichen Komplexität der Situation, die im Rahmen der Staatsprüfung mehrere Handlungsfelder des entsprechenden Kerncurriculums umfasst (vgl. ebd.).

Auf diese im RPS-Seminar zu absolvierende, theoriegestützte Reflexion werden die Studierenden in einem vorangehenden, das Praxissemester begleitenden Seminar vorbereitet. In unterschiedlichen Settings (Bearbeitung eines Falles in der Gesamtgruppe, Bildung thematischer Kleingruppen oder auch Einzelarbeit) und mithilfe ausgewählter Reflexionszirkel üben die Studierenden in diesem Begleitseminar, konkrete praktische Situationen schrittweise zu analysieren und unter Einbezug ausgewählter theoretischer Grundlagen zu betrachten. Eine Herausforderung stellt die im Rahmen dieser Analyse und Reflexion zu leistende Verknüpfung von Theorie und Praxis für die Studierenden dar, wobei die Besonderheit des Praxissemesters darin besteht, diese Aufgabe nicht nur anhand selbst erfahrener, sondern auch anhand selbst ausgewählter Situationen zu bewältigen, so dass diese Situationen von größtmöglicher Relevanz für die Studierenden sind. Das dürfte der Motivation und Tiefe der Auseinandersetzung förderlich sein. Inwiefern und ob diese Bedingungen des Praxissemesters aber ein differenziertes Verständnis von der Theorie-Praxis-Relation bei den Studierenden begünstigen und welche Haltung die Studierenden gegenüber beiden zu verknüpfenden Seiten, Theorie und Praxis, im Zuge des Praxissemesters einnehmen, sind offene Fragen, denen im Fortgang dieses Artikels nachgegangen wird. Nach einem kurzen Einblick in ausgewählte, wesentliche Ansätze der wissenschaftlichen Debatte um das Verhältnis von Theorie und Praxis in seiner Bedeutung für die Lehrerprofessionalität, werden Ergebnisse aus einer Gruppendiskussion mit Studierenden vorgestellt, die erste Antworten auf die gestellten Fragen erkennen lassen. Die Gruppendiskussion wurde nach Beendigung der Praxissemesters und des oben beschriebenen RPS-Seminares mit Studierenden zum Thema Theorie-Praxis-Verhältnis geführt. Die Auswertung erfolge qualitativ-inhaltsanalytisch.

Das Theorie-Praxis-Verhältnis – ein knapper Einblick in die wissenschaftliche Debatte

Nach Oestreicher und Unterkofler mache eine professionsbezogene Wissensentwicklung das Verknüpfen der beiden je unterschiedlichen Logiken folgenden, institutionalisierten Felder Praxis und Wissenschaft erforderlich. Mit der professionstheoretisch bedeutsamen Aufgabe des aufeinander Beziehens beider Felder gingen zugleich zahlreiche Anforderungen einher. Zentral für das Theorie-Praxis-Verhältnis, dessen Bearbeitung im Zuge der Verknüpfung von Wissenschaft und Praxis eine eigene Traditionslinie aufweise, sei die Frage nach der Vernetzung von Handeln und Wissen (vgl. Oestreicher/ Unterkofler 2014, S. 7ff.). Gerade in pädagogischen Berufen sei diese Relation, bedingt durch die Grenzen der Planbarkeit von Handlungen in der Zusammenarbeit mit Menschen, von außerordentlicher Bedeutung (vgl. Hoffmann/ Kalter 2003, S. 10f.). Die berufliche Profession bilde dort das Bindeglied zwischen Praxis und Theorie (vgl. Koring 1997, S. 23). Die wissenschaftliche Diskussion um das Verhältnis von Theorie und Praxis weise inzwischen eine ca. 100jährige Geschichte auf (vgl. Strunk 2016, S. 19). Entsprechend vielfältig sind auch die Auffassungen über dieses Verhältnis, die im Rahmen dieses Artikels nicht allumfassend zusammengetragen werden können. Es ist aber folgend kurz auf ausgewählte Positionen zu dieser Verhältnisfrage zu rekurrieren, um bedeutsame Gemeinsamkeiten aufzuzeigen und Unterschiede anzudeuten, wobei sich Letztere in der Regel auf die Funktionen der beiden Seiten, insbesondere der Theorie, innerhalb des Verhältnisses von Theorie und Praxis beziehen. Die Spannweite möglicher Verhältnisbestimmungen kann nur exemplarisch angedeutet werden, wobei die jeweiligen, den Verhältnisbestimmungen zugrundeliegenden Begriffsbedeutungen von Theorie und Praxis nicht außer Acht zu lassen sind.

So habe, Koch-Priewe zufolge, beispielsweise Erich Weniger Theorie und Praxis als in einem Wechselverhältnis zueinanderstehend betrachtet. Jede der beiden Seiten wandle sich in der Bezugnahme auf die jeweils andere und beide seien unter gegenseitiger Bezugnahme aufeinander weiterzuentwickeln. Weniger unterscheide dabei zwischen drei Theoriestufen, wobei die Theorie dritten Grades, die wissenschaftliche Pädagogik, die Funktion erfülle, die in der Praxis angelegten Theorien ersten und zweiten Grades, verstanden als oft nicht formulierbares, orientierendes Erfahrungswissen (Theorien ersten Grades) oder als Lehrsätze und Lebensregeln (Theorien zweiten Grades), nachträglich zu klären und zu läutern. Unter Rückgriff auf die wissenschaftliche Pädagogik würden die so genannten Alltagstheorien dabei auf ihre Bedingungen hin hinterfragt, womit sie sich vom impliziten zum expliziten Wissen wandelten. Die zu erforschende theoriegestützte Reflexion durch die Praktikerinnen und Praktiker wiederum trage zur gleichsamen Weiterentwicklung der wissenschaftliche Theorie bei (vgl. Koch-Priewe 2000, S. 60f.). Oestreicher und Unterkofler fassen unter Rückgriff auf Luckmann und Berger zusammen, dass die Entstehung von Theorie immer einen Praxisbezug voraussetze. Sie verstehen Theorien dabei als explizite Wissensbestände sowie Wissen als Produkt aktiver Problemlöseprozesse handelnder Personen. Die wissenschaftliche Theorie stelle die systematische und stringente Objektivierung solch expliziter Wissensbestände dar und könne als diese wiederum angeeignet werden oder aber als Problemlösungswissen in konkreten Situationen fungieren. Das praktische Handeln erfordere dabei immer eine Auslegung der wissenschaftlichen Theorie, was zur Ausdifferenzierung und Weiterentwickelung letzterer beitrage und schließlich durch empirische Forschung zu erfassen und darzustellen sei. Auch Oestrei-cher und Unterkofler gehen also von einem Kreislauf aus. Die empirische Forschung habe ihnen gemäß sowohl die Handlungen und Deutungen der Akteurinnen und Akteure in der Praxis auf darin enthaltene Repräsentationen wissenschaftlicher Theorie hin zu hinterfragen, als auch das wissenschaftlich generierte Wissen auf darin enthaltene Repräsentationen praktischen Wissens (vgl. Oestreicher/ Unterkofler 2014, S. 8). Während bei Weniger also die Funktion der wissenschaftlichen Theorie für die Reflexion und Explikation von Alltagstheorien im Vordergrund steht, betonen Oestreicher und Unterkofler die Bedeutung wissenschaftlichen Wissens für die praktische Problemlösekompetenz. Beide stimmen darin überein, dass die wissenschaftliche Theorie durch Reflexion oder Auslegung in eine Beziehung zum praktischen Handeln gesetzt wird, das heißt, sie steht in einem mittelbaren Verhältnis zum praktischen Handeln. Einigkeit in beiden Ansätzen besteht auch hinsichtlich der Bedeutung der Praxis für die Weiterentwicklung von Theorie.

Einen etwas anderen Fokus setzt Cramer, der begrifflich zunächst zwischen wissenschaftlicher und subjektiver Theorie unterscheidet. Subjektive Theorien könnten sich partiell aus wissenschaftlichen Theorien ableiten, wobei unter letzteren bestimmte Kriterien erfüllende, allgemeinbedeutende aber gegenständlich begrenzte Aussagesysteme zu verstehen seien (vgl. Cramer 2014 in Anlehnung an Patry, S. 345f.). Subjektive Theorien definiert Cramer als „Summe aller Vorstellungen, die Praktiker und Praktikerinnen explizit oder implizit von ihrem situativen Handeln haben“ (ebd., S. 346). Sie dienten als Basis für die situationsabhängige Deutung von Handlungen. Wissenschaftliche Theorie sei insofern für das praktische Handeln relevant, als sich die subjektiven Theorien potenziell und in Teilen aus ihnen speisten (vgl. ebd.). Cramer beschreibt den Prozess wie folgt:

„Studierende werden mit wissenschaftlichen Theorien konfrontiert, die (...) teilweise in subjektive Theorien mit aufgenommen werden. Subjektive Theorien werden handlungsrelevant, indem bei der Interpretation spezifischer Situationen auf sie rekurriert wird und so Handlungsentscheidungen mit beeinflusst werden“ (Cramer 2014, S. 346).