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Ein junger Student ist von zwei Frauen fasziniert. Auf der einen Seite das blonde Mädel, mit dem er die Zukunft plant, das er sich bewahren will bis zur Hochzeit. Auf der anderen die sinnliche Verlobte eines anderen. Ihre Liebe und warme Hingabe lassen den wenig erfahrenen Mann nicht los. Die Handlung spielt in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges. Die politischen Ereignisse überschlagen sich, aber sie können das Glück dieser Drei nicht trüben. Als Flucht und Vertreibung aus der Heimat drohen und dann eintreten, sind sich die beiden Frauen nicht begegnet, obwohl sie oft die gleichen Orte besuchten. Das unerbittliche Schicksal führt den Studenten, Helmut, nach großen Umwegen wieder mit seinem Mädel zusammen. Beide sind von ihren Erlebnissen neu geprägt. Unbeirrt wünschen sie sich eine gemeinsame Zukunft.
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Seitenzahl: 334
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Ingo
DasvergangenehalbeJahrwareineherrlicheZeitinseinemjungenLebengewesen.
WasimWinternochalsbloßeHoffnungundSehnsuchterschien,erfülltesichdannimSommerüberalleErwartungenhinaus.Beinaheromantisch,untereinemweitenSternenhimmelundimrauschendenLaubwerk eines Parks.
LeidergediehdasGanzenichtimmerzumVorteilseinerArbeit.Aber es wurde alles in allem eine sehr intensive Zeit, tief für Herz und Seele.
ErverlorCharlotteundgewannMarie.GiselahattesichalsschillernderSchmetterlingerwiesen.AberdanntauchteClairchenauf,eingroßes Geschenk,diesesreifeundwarmherzigeMädchenvollerSehnsuchtnach LiebeundVerständnis.SiewurdeinmancherHinsichtnunauchErsatzfür seineSchwester,dieernurnochseltensah.DennineinerZeit,woeskaum zuverlässigeVerkehrsmittelundwenigUrlaubvomMilitärgab,warendie Entfernungen plötzlich groß und oft unüberwindlich geworden. Ihm fehlten ihr Rat und die charmante Sorglosigkeit.
DannhatteerdasGlück,Edithzubegegnen.Siewarsoerfrischend unbekümmert und mit einer besonderenAusstrahlung gesegnet.
Helmutzweifeltejetzt,oberindiesemvergangenen,bewegtenhalben Jahr eigentlich klüger gewordenwar.Er wusste es nicht.Auf jeden Fall
DasStädtchenKatternhattedenganzenTagträginderSonnegelegen.AmAbendrollteeinPersonenzugindenBahnhof.Niemandstiegaus. DannfuhrderZugweiter,nachBreslau.AufderHauptstraßebliebesruhig,wie gewöhnlich
ImKlosterZumGutenHirtenwarenleichtverwundeteSoldatenuntergebracht,dieüberkurzoderlangmitihrerEntlassungzurechnenhatten.Die meisten würden zurück an die Front geschickt werden.
Trotzseiner Handverletzung hatte Helmut genügendAusgang. Heute,amerstenAugust1944,warerinBreslauimKinogewesen.ImCapitol gabesdenFarbfilmImmenseemitChristinaSöderbaum.Großartig!WieschönmandochsoderGegenwartentfliehenkonnte.
DasLebengingweiter,trotzallem.Undneuesbegannganzunbefangenundunschuldig.AmsiebenundzwanzigstenJuliwarerOnkelgeworden.DieSchwester,Liesel,hattegenauanVatersGeburtstagzuhauseeinen JungenzurWeltgebracht.SeinSchwagerhattegeradenochrechtzeitigmit demFahrraddieHebammeholenkönnen.DieseFreuderundherum!Gott sei Dank, dass alles gut abgelaufenwar.
MitClairchenwarerimCapitolgewesen.DanachtrankensieKaffeeundmachteneinenbeschaulichenSpaziergangdurchdenScheitningerPark.
Da Helmut um acht Uhr Kameradschaftsabend hatte, fuhr Clairchen mitderBahnfrühzeitigalleinnachKatternzurück.Alserdannspäter,gegenzehn,nachkam,holtesieihnvomBahnhofab,umnochbiszumLazarett mitzugehen.Ausgang gab es nur bis um elfUhr.
EswareinewunderschöneMondnacht.IhrgebräuntesGesichtwurdevoneinemweißenHalstuchinhimmelblauemMantelkragengesäumt. Sie lächelte immerzu.
InseinemKopfgingeshinundher.Clairchenwareinliebes,einsüßesGeschöpf.Mandurftesienichtausnutzenunddannvielleichtauch nochenttäuschen.SietrugeinenVerlobungsringundermussteanseinblondesMädeldenken.AberermochteClairchensehrundnahmsichvor,ihreFreundschaft zu gewinnen. Keinesfallsmehr.
AmnächstenTaggabesaufregendeGerüchteundParolenunterdenStudenten.Helmutwartiefbetroffen.Manwolltevonderbevorstehenden SchließungderUniversitätenwissen.SeineHoffnungaufeinweiteresSemester in Breslau würde er dann aufgeben müssen.
AmDonnerstagwarDamenabendderKameradschaftHohenfriedebergmitTanz.KameradRolfStangeberichtete,dasserwohlnochmitachtWochenUrlaub,dannabermitseinerEntlassungzum„C-Haufen“hinterderFront zu rechnen habe. Ob Helmut seinen anstehenden „Nervenurlaub“ wegenderdurchschossenenrechtenHandnochwürdegenießenkönnen,war nundurchausfraglichgeworden.DiebedrohlicheKriegslagebargÜberraschungenallerArt.EinmalwürdeebenderparadiesischeKlosterfriedeninKattern auch für ihn ein Ende haben.
AufdemneuenSpielplanderBreslauerBühnenstandenabdemdrittenSeptemberWallensteinundDieZauberflöte.Erfragtesich,oberdieseAufführungenwohlnochwürdemiterlebenkönnen.
AmFreitagwurdebekannt,dassdieTürkeialsodochaufgegeben hatte.DieKameradenimKlosterversuchten,sicheineMeinungdarüber zubilden.EsgingfürdasReichumdasErdölaufdemBalkan.Jetztwar Deutschland ähnlich eng eingeschlossen wie seinerzeit im erstenWeltkrieg.WürdeeinevoraussichtlicheInvasionderAmerikanerdiesmaldiegleicheWirkunghaben wie im letzten Krieg? Freie Durchfahrt durch die DardanellenbedeutetenStärkungderrussischenSchlagkraftsowieBedrohungder SchwarzmeerküstedesvondendeutschenTruppennochbeherrschtenRaumes, vor allem Bulgariens und Rumäniens.
WasdenjungenStudentenaberbesondersbedrückte,warebendieTatsache,dassdierussischeArmeeganzoffensichtlichnichtgeschlagenwerden konnte. Die Heimat war am Herzen bedroht, grübelteer.Auch nachderMeinungvielerLazarettkameradenwardieAbwehrdieserGefahrzurLebensfrage geworden.
Helmutslazarett-politischeLage,dieDauerseinesGenesungsaufenthalteshier,warebenfallsäußerstungewiss.Manmusstesichwohlauf allerlei vorbereiten, sicherlich nicht gerade aufAngenehmes.
DerfolgendeSonnabendwareinherrlicherAugusttagmitstrahlend blauemHimmel.DenVormittagverbrachteermitClairchenimSüdpark. SiegondeltenaufdemkleinenSee.Ihmwurdebewussterdennje:Diesmal hatteermiteinemreifenMädelimBootgesessen,dassichmöglicherweise irgendwelcheHoffnungenmachte.
AmAbendhattendieStudentenAbschiedskneipeimKameradenheim.EinetolleundnetteAngelegenheit,Helmutwarbegeistert.Erfand essehrschade,dassererstsospätmitdiesenJungenzusammengekommenwar.
DerSonntagwurdeebensoschön,wasdasWetterundallesandereanbetraf.AndiesemTagstiegdieGeburtstagsfeierfürClairchen,siewurde21Jahrealt.AlleswaraußerhalbvonKatternimlauschigenPostkrugvorbereitet.VierFlaschenWeinundeingutesAbendessenwartetenaufzweiPaare. Das waren Clairchen, ihre Freundin Hedwig, Heinz und Helmut.
MitdemgenossenenWeinstiegdieStimmung.Helmutstellteüberrascht fest:Konnteerdafür,dasserClairchenküsste,woallessoschönundverlockend war? Und wirklich, er hatte viel übrig für dieses reife und frauliche Mädchen.
NachderkleinenFeiergingensieüberdieFelderdemDorfezu.Die Nacht war klar und durchflutet von Mondlicht. Clairchen und Helmut redetenauchvonEdith,seinemblondemMädcheninderFerne,undseineinnere Bindungan sie. Er warjetzt rückhaltlos offen trotzallem, was eben passiertwar,oder eben gerade deswegen.
Aber Clairchen blieb plötzlich stehen und sagte:Helmut,ichliebedich!DubistandersalsdieanderenMänner,dieichkenne.AuchandersalsmeinVerlobter.AllerdingssollteichihmdieTreuehalten, solange ich seinen Ring trage.
NatürlichrespektierteerdieseHaltung,machtesieihmvielleichtaucheinigesleichter,zumBeispielEdithdieTreuezuhalten.ErdachteoftaneinefesteZukunftmitihr.ÜberdieAngelegenheitmitClairchenhierwollteersichmöglichstbaldklarwerden.DamitKonsequenzengezogen werdenkönnten,dieallengerechtwurden.Abergingdassoeinfach,nach diesem Eingeständnis von Clairchen?
Erhoffte,erglaubte,deranstehendeAchtwochenurlaubvonKatternwürdeihmamEndehelfen,denentscheidendenSchrittzuschaffen.Oderwar es doch Charakterschwäche, sich allein darauf verlassen zu wollen?
AmnächstenTagsaherClairchenwieder,inScheitning.UnweitderJahrhunderthalle,diezumAnlassdes100.JahrestagesderSchlachtbei Leipzigerbaut wordenwar,plagten sie die Mücken. Clairchen gab sich wieimmer.Sieeröffneteihm,dasssiezueinemzweitägigenKursusvonKatternaus nach Breslau kommandiert worden sei.
ÜberMittagwarFliegeralarm,densieaberaufdemRaseninden Anlagen am Lessingplatz verschliefen.
DienstaggabesimGloriaPalastdenFilmTräumerei,dieGeschichteumRobertundClaraSchumann.Helmutsahihnallein.DaClairchendanachdenganzenNachmittagZeithatte,verbrachtensiedieStundengemeinsam. Um zwanzig Uhr musste sie dann zum Unterricht gehen.
AmneuntenAugustwarHelmut,sounglaublichdasfüralleBeteiligtenwar,zuhausebeidenElterninBadZiegenhals.ErhattetatsächlichachtWochenUrlaubvonLazarettundWehrmachtbekommen,wasfüreinGeschenk!Erwusstenichtsorecht,womitersichdasverdienthatte.OffenbardürfemanbeimanchenGeschenkennachdemWarumnichtfragen,sondernmüssesichfreuenundalleindenVorteilmitHändenerfassen,sagte ersichvergnügt.
VonseinemGlückhatteHelmuterstumneunUhramAbendzuvorerfahren.NochinderNachtwurdegepackt.FrühdanndieLaufereiund Abmelderei.DanngingesmitdemschwerenGepäck,erwollteunbedingt allesmitnehmen,auchdieBücher,zumBahnhofKattern.EswarwiedereinglühenderAugustnachmittag.UnderwollteobendreinvorderAbreisenocheinmal nach Breslau, zu Clairchen.
ZwanzigMinutenbliebendenbeidenzumAbschied.Siestandenam StadtgrabenundschautendenKähnennach.IneinemruderteeinPärchen dahin.ClairchenwarvollerWehmutundTrauer,abersiegabsichsehrgefasstundverständnisvoll.NurdiePlötzlichkeitdesAbschiedstrafsiehart. DennsiehatteneigentlichschonPlänefürmehralseineWochendauergemachtundwolltendenausgehendenSommeringlücklicherUnbefangenheit genießen.Auch ihm tat es jetzt weh, Clairchen so verlassen zu müssen.
Späterdann,imBummelzug,begrüßteerdieEntwicklungderVerhältnisse.DieTrennungmochtehoffentlichdazubeitragen,geradeundklareLinien zu ziehen.
GegenachtzehnUhrtraferimStadtbahnhofvonZiegenhalsein. MitMüheundeinbisschenRatenerreichteerdienichtsehrweitentfernteWohnungderGroßeltern,woerauchdenschwerenBücherkofferabsetzenkonnte.
ÜberdieErhebungderTeufelskanzel,aufdersieinderKindheitsogernalsIndianerherumgekraxeltwaren,gelangteerendlichundaufdem kürzestemWegenachhause, wo er freudige Überraschung auslöste.
HiersahHelmutzumerstenMalseinenkleinenNeffenunddiejunge glücklicheMutter,seineSchwester:EinprächtigesKerlchenhatsiedageboren,dachteerundhofftedabeiaufeineähnlicheZukunft.
AmnächstenTagmussteersichbeidenörtlichenMilitärbehördenanmelden.AnschließendbrachteereinenTeilderbeidenGroßelternabgestelltenBüchernachhause,späterdanndenKoffermitdemRest.
ErdachteanseinenKameradenundStubengenossenHansO’Brien, wiederausgerufenhatte,alssiedenUrlaubsscheinindenHändenhielten:OHerr,was haben wir verbrochen, dass es uns so gut geht!
Wieschöneszuhausewar!Hinten,imlanggestrecktenGarten,neigtensichdieBäumeunterderLastdesObstes.VordemHausprangtenBlumeninallenFarben.InderFerneschimmertendievertrautenBergeim DunstderAugusthitze.PassteindieseIdylleeigentlichdasWortKrieg?Im Augenblick war hier nichts davon zu spüren.
DerSchwester,Liesel,hattediebeschwerlicheersteGeburtnichtsvon ihrem Charme nehmen können. Das Kind war ein außerordentlich hübscherundlieberJunge.WiestolzerstdieGroßelternwaren.Undbesondersder jungeVater.Er hatte jetzt endlich eine eigene Familie. Selbst war er seitdemdrittenLebensjahrWaise.SeinVaterwarimerstenWeltkrieggeblieben,dieMutteranderBlauenGrippegestorben.EineTanteunddieGroßmutter hatten sich um ihn gekümmert.
DasHäuschenderElterninZiegenhalsimEichwaldschienenger gewordenzusein,zumalvorübergehenddiejungeFamiliejetztebenfallshierwohnteundHelmutunverhofftheimgekommenwar.LieselsollteinRuheersteinmaldasWochenbettüberstehen.AberHelmuthatteesdennochrecht bequem, weil man ihm sein Zimmer wieder völlig überlassen hatte.
SogingallesbaldwiederdenaltenTrottundSchlendrian,wasihnnachderRegelmäßigkeitundderPeinlichkeitdesLazarettlebens,diein Katterninallemherrschten,zunächstetwasirritierte.Dochfühlteer,dassesnicht schwer würde, sich umzugewöhnen.
AmzwölftenAugustneunzehnhundertvierundvierzigwaroffizieller Semesterabschluss. Praktisch aber hatte derVorlesungsbetrieb schon am sechstengeschlossen,sodasserdurchseinefrüheAbreisekeineNachteile befürchtenmusste.
Rückschauendsagteersich,dassdiesesSemesternochumvieles erlebnisreichergewesenwaralsdasdavor.VielleichtwaresdiebislangschönsteZeitseinesLebensgewesen.WasimWinternochSehnenundHoffengewesenwar,hattenunimSommeruntermSternenhimmelunddemrauschendenLaubwerkeinesParksErfüllunggefunden.LeiderabernichtimmerzumVorteilseinerwissenschaftlichenArbeiten.DieAufführungenvonHamletundTurandotmochtenHöhepunktegewesensein.Siehattenaberdieanderen,starkeninnerenErlebnissenichtübertreffenkönnen.
WohlhatteereineCharlotteverloren,aberEdithgewonnen,sein blondes Mädel. Insgeheim war sie seine Sonne und die Zukunft. Er war mit Giselagegangen,einemäußerlichschillerndenundinnenschalenSchmetterling.DaraufhatteerunverhofftClairchenkennengelernt,diesesreifeund warmeMädchenvollerSehnsuchtnachLiebeundVerstehen.Siewarfürden jungen,trotzallemnochwenigerfahrenenManneinherrlichesGeschenk. Denn er sehnte sich wohl nach ihrer Zärtlichkeit und fraulichenWärme.
DannkameinBriefvonEdithmitderAnfrage,obihrBesucham Sonntagrechtsei.WiedereinmalkonnteHelmutnurstaunendvorderimpulsivenEntschlusskraftdiesesMädelsstehen,obwohlesnatürlichlangbesprochene Sachewar,dass sie sich im Eichwaldsehen wollten.Er ging alsogegenMittagindieStadt,riefsiezurückundbatsieherzlichzukommen. AmnächstenMorgen,SonntagfrühumachtUhr,wollteEdithimHauptbahnhofBreslaueintreffen.SiekamvoneinemstrategischgünstiganderOder gelegenen Gut bei Coselher,der alten Grenzburg zwischen Polen undMähren. Helmut freute sichungeheuer.
DieElternwürdenkeineSchwierigkeitenwegendesplötzlichenBesuchsmachen.ImGegenteil,sietatenalles,umdannderihnennochunbekanntenjungenFraueinenangenehmenEmpfangzubereiten.Erwarerleichtert und sehrdankbar.
Erhard,derSchwager,hatteeineneueDienstpistolebekommen.ManprobiertesiehintenamSchuppenimObstgartenaus.Danachversuchtendie zweiArmverletzten,miteinergroßenGartenscheredieLigusterheckezuschneiden.JederfasstmitseinembrauchbarenArmzu,wasauchendlichzu einem mühsamen, aber eben doch brauchbaren Erfolg führte.
AmSonntagkamfrühgegensiebenUhrderOberförstervorbei. Edithhattebeiihmangerufenundließausrichten,dasssieerstmitdem späteren Zug eintreffen werde.Wiesie dann später erfuhren, hatte sie spontanimTelefonbuchjemandengesuchtundgefunden,derauchimEichwaldwohnte, und ihn einfach angerufen.
UmzehnUhrsiebenundzwanzigfuhrdannderZugimBreslauer Bahnhofein.Editherkannteihnsofort,obwohlerweitabvonihremWaggonwartete.Siesahfrischundallerliebstaus.Schnellstiegerein,ummitihr weiterbisnachZiegenhalszufahren.VondortausgingensiedanndurchdenWaldund über die Promenaden zum Eichwald 12.
Als Helmut wieder diese kraftvolle und selbstbewusste Erscheinung inihrernorddeutschenHerbheitnebensichsah,glaubteerzubegreifen, warumEdithesinihrerStellungaufdemKobelwitzerGutbeiCoselnicht aushalten würde und gekündigt hatte. Die Unterschiede zwischen den Mentalitäten waren wohl zu groß.
Helmutwarfasziniert.EngumspanntederbrauneTuchrockEdithsLeib.DieweißeBlusemitderprachtvollenStickereiverbargihrevollen,festenFormennicht.DasüppigeblondeHaar,zumKnotengebunden,verliehKopfundNackenbeugeeinenatürlichnordisch-fraulicheSchönheit, wiesiekeineandereHaartrachtbesserhätteausdrückenkönnen,empfander.MitstrahlendenblauenAugenundfrischemMundvollendetesiefürihneinBild,dasvondaanfestinseinerSeelestand.Waswundertesda,wenner die blühende Umgebung jetzt ganz außerAcht ließ.
MitschönerSelbstverständlichkeitbegrüßtenEltern,LieselundErharddenBesuch.NatürlichwurdeauchdasNeugeborenegebührendbewundert.NacheinemreichlichenMittagessengingenEdithundHelmutspazieren. Sie wollten mit sich allein sein.
ErführteseinMädelüberihmaltvertrauteWaldpfade.Hochwaldwipfelrauschtenüberihnen,manhörtedieZiegenhalserBieleplätschern.SiegabensichwiezweiglücklicheKinder,underwundertesichüberseineneueUnbefangenheit.DanngeschaheinkleinesUnglück.BeimSprung über ein Rinnsal verstauchte sich Edith den linken Knöchel.Aber sie wolltetrotzdemnochnichtnachhause.SoliefensienochstundenlangimWaldumher.EinschonlangedrohendesUnwetterüberraschtediebeidendann,undsieflüchtetenindendürftigenSchutzeinerSchonung,bisalleswieder abgeklungenwar.AlssiespätereinwenigzerknittertdasHauserreichten,schienbereitswiederdieSonne.EdithsKnöchelwarnundochdeutlichangeschwollen und musste mit essigsaurerTonerdeund einer elastischen Binde behandelt werden.
AbendsumneunUhrzwanziggingEdithsZugwiederzurück.HelmutstandamBahnsteigundsahdieWaggonsallmählichverschwinden.Nichts hatte Bestand, am wenigsten schöne Stunden, dachteer.
AmMontaggingermitLieselundseinemkleinenNeffenimKinderwagenspazieren.DasKerlchenwarjetztachtzehnTagealt.AchtzehnKriegstage,vondenensiehierinihrerkleinengeborgenenWeltnochnichtviel zu spüren bekamen.
DerDienstagbegannmitstrahlendemSonnenschein.Unterblauem HimmelüberallSchwalben.VonClairchentrafenunverhofftzweiBriefeein,dereinewaramSonnabend,derandereamSonntaggeschrieben.Sie habeSehnsuchtnachihm.Dashatteerirgendwieerwartet.Erfreutesich,abererfühltesichnichtwohldabei,wenneranEdithdachte.Wassollteertun?BeideBilderlagenvorihm.DaseinezeigteEdith,dasandereClairchen.
Nurgut,dasserjeneGiselainletzterZeitgemiedenhatte,dachteer.ErhatteeingutesGefühldabei.Obwohlsieimmerwiederversuchthatte, ihnaufdemUmwegüberHansO’Brienzuerreichen.Waszwischenihrundihmbestandenhatte,warvonAnfanganeinSpielgewesen,worübersich beide eigentlich hatten im Klaren sein sollen.
AnderslagendieDingevonAnfanganbeiEdithundihm.Hier herrschten sofort Zuneigung und Klarheit auf beiden Seiten.
WasaberwarnunmitClairchen?WasihmihrMundnochverschwiegenhatte,dieFederhatteesausgeplaudert,dachteer,nachdemerihreBriefegelesenhatte.EsgabkeinenGrund,anihrerAufrichtigkeitzuzweifeln.IhrVerlobterwarachtundzwanzigJahrealtundhatteeineguteExistenzaufgebaut.WarumalsosolltesieHelmutetwasvormachen,wassieselbstnicht glaubte?DocherhatteihrnichtdiegeringsteHoffnunggemacht.Essei denn,manwolltedieschlichteUmarmungundeinpaarKüssealssolchebetrachten.Erhatteimmerwiederbetont,dasserankeineBindungdenken könneundihrenRingrespektierenwolle.AuchwusstesieumEdith.Musste ernungewaltsameinenStrichziehenoderdurfteersich,ohnezufreveln, nehmen,wasdieglücklicheGelegenheitbot?Wieverwerflichwares,mitderBrauteinesAnderenzuflirten,wosieesdochsowollte?WiegroßzügigdurftemaninsolchenHerzensdingensein?ErempfanddabeiseltsamerweisekeinenVerratanEdith,indererdasjungfrischeLebenundseinMädchenidealliebte.WährendesbeiClairchendiefraulicheReifeundsehnsüchtige ZärtlichkeitdesjungenWeibeswar,dieihnanzog.VielleichtgingesihrmitihmundihremVerlobtengenauso.Wennichdasergründenkönnte,dachteer.
IndennächstenTagenriefEdithanVatersArbeitsplatzan,woder geradeeineFleischbeschaumachte.SieerwarteHelmutamkommenden Sonnabend in Kobelwitz für die Unterkunft sei gesorgt. Der Fuß mache ihrnocheinwenigzuschaffen.
AmsechzehntenAugust,Mittwoch,mussteHelmutwegendieses geplanten„UrlaubsimUrlaub“aufdieKommandantur.DerHauptmanngabsichablehnendundmachte AusflüchtevonwegendestotalenKriegesundsoweiter.MitvielMüheerhielterdanndocheinensogenanntenZwischenurlaub.SiewürdenunsalsoschonamWochenendewiedersehen,diesmal beiihr.Seine Freude war riesengroß.
IndessenwarendieAlliierteninSüdfrankreichgelandet.Daswarfür alleeinneuesZeichenfürdenBeginndesEndkampfes.DieFamiliesprachnurkurzdarüber,manhatteAngst,dieFolgenauszudiskutieren.Manwagtees nicht, an einem gutenAusgang zu zweifeln.
AndiesemAbendbracheinfürchterlicheseinGewitternieder.EineGetreidepuppein den nahen Feldern wurde vom Blitz getroffen und ging in Flammen auf. Sie brannte hell wie eine Fackel, trotz des Regens.
Am nächstenTagwürde er bei Edith sein.Alles, wasmit ihr zusammenhing,erschienihmklarundvonunumstößlicherGewissheit.Mögeder Himmelunsgewogenseinundbleiben,hoffteer.
MorgennebellagüberBadZiegenhals,alsHelmutzumBahnhofging.AbfahrtwarumneunUhrachtzehn,dieBahnwarpünktlich.RatterndeWaggonstrugenihnseinerSehnsuchtentgegen.GegenMittagerreichteer das Dominium Kobelwitz.
Auf dem Gutshof stand HerrAlbrecht, derBesitzer.Er begrüßte denangekündigtenGastfreundlichundführtihnpersönlichzuEdithindieKüche, wo er auch dieGutsfraukennenlernte.
EdithkonnteihreüberschäumendeFreudekaumverbergen.NunsahersiezumerstenMalimArbeitsgewand.SietrugdenrotenFriesrockihrer Heimat.IhrenorddeutscheErscheinungfielhierbesondersauf.
AmspätenNachmittaggingensieandienaheOderhinunter.DerFuhrmannüberließihneneinenKahnundsierudertenhinüberzurLiebesinsel.WelchesGlück,hierdasgeliebteMädelimArmhalten
SpäterstanderinEdithsStube.WieFaustinGretchensKammerkamersichvor,ohneaberderenSchicksalheraufbeschwörenzuwollen.DurchdieniedrigenFensterkonntemandenwunderschönenSternenhimmel sehen. Es war angenehm kühl geworden, die Grillen zirpten leise.
AmSonntagmorgen,alsHelmutinseinemZimmerchenaufstand,wardieHerrschaftbereitszurKirchegefahren.Sogehörtendenbeidenan diesemVormittagzweiungestörteStunden.EdithwarinbesondersausgelassenerStimmung.SieverbreiteteüberallansteckendenOptimismus,ob inder Küche, im Garten oder in Gesellschaft der anderenErntehelfer.
HelmutlernteihrehiesigenFreundinnenkennen,diealleeinherzlichesVerhältniszuihrhatten.DaerbeiderHerrschaftalsEdithsBräutigam galtunddaswohlingewisserHinsichtnachaußenseinenBesuchrechtfertigenhelfenmusste,trugensieRingewiezweiVerlobte.EinSpiel,dasEdith immerwiederzum Lachenreizteund ihroffenbar auchFreudebereitete.
Helmutfragtesich,obeswirklichnureinSpielwarundbleibenwürde?KönnemansichmitzwanzigJahrendennschonverlobenundfürdie Zukunftfestbinden?Docherseijabaldeinundzwanzig.Aberdaranliege eswohlnicht.DieElternwürdenbestimmtkeineSchwierigkeitenmachen.NurtrauteersichselbstnichtüberdenWeg.NatürlichliebteerEdith,hatteSehnsuchtnachihrenLippenundderWärmeihresfesten,anschmiegsamenLeibes.WardasaberdiegroßeLiebe,dasletzteunbedingteWollen?ErwusstedieAntwortnicht.VielleichtfehltmirdochnochdieReife,gestandersichein.
MittagssaßenallemitderHerrschaftamTisch.Mankamden„Verlobten“äußerstfreundlich,jaliebenswürdigentgegen.DieGutsfrau,diehier alleuntersichAdelenannten,belegteHelmutauffälligoftmitBeschlag. DanngingihreUnterhaltungimbuntenZickzackvonGoetheüberRaffael,daVinci,Michelangelo,SchumannundSchillerbiszurHühnerzuchtundzumRezepteinesApfelstrudels.Edithraunteihnmehralseinmalmiteinem kleinen Rippenstoß an, ob dennAdele oder sie Besuch habe.
NacheinergemütlichenJause,diesichdieHerrinnichtnehmenließ, gingendiebeidenandieOderbaden.MitStolzstellteerfest,dassEdithmit ihrerFigurauchdasBadetrikotnichtzuscheuenbrauchte.SoweitentkleidethatteerdiejungeFraunochnichtgesehen.Öffnetsiejetztnochihren Knoten,dachteer,sodasssichdieFülledesblondenHaarsüberNackenundSchulternergießt,danngleichtsieeinemEngel.DenzuküssenkonntekeineSünde sein.
DerBrudereinervonEdithsFreundinnenkonnteinCoselKinokartenbesorgt.SosahensieamAbenddenFilmGlückunterwegs.Wiestimmungsvollundpassend.NacheinemkleinenNachttrunkwandertensieuntermSternenhimmelnachKobelwitzzurück.LeichterDunstschwebteüber der Oderniederung. Edith erzählte von ihrer fernen niederdeutschen Heimat und denAngehörigen.
EswarzweiUhrmorgens,alsHelmutaufleisenSohlenihreKammer verließ und unbemerkt sein Zimmerchen im ersten Stock erreichte.
ErkuscheltesichindieDecke:SchönereUrlaubstagehatteernochnieerlebt.ObwohlEdithimBettlag,alsersichhinausschlich,wardoch nichtsgeschehen,wasdasLichtderSonnezuscheuenhätte.Erwolltesich dieses Mädel aufbewahren.Wennsie beide denn stark blieben.
AmfrühenMorgenwurdeHelmutvonzarterHandgeweckt.Sokönnteesimmersein,hoffteerverträumt.
GlühendeHundstagshitzebrütetedieseTageüberdemGut.EinErntewagennachdemanderenrollteindiegroßeScheune.Edithhatteden Nachmittag frei bekommen. In seinenArm geschmiegt, las sie ihm auf demBettranddieBriefeihrerAngehörigenundFreundschaftenvor.SovielVertrauenwarzwischenihnen.Helmutvergaßalles,denKrieg,dieVerwundung,dieungewisseZukunft.NurseinMädelspürteer,ihreLippenaufdenseinen.
DerkurzeUrlaubgingamMontagzuEnde.Nacheinemherzlichen AbschiedvonderHerrschaftwandertensieamNachmittagaufCoselzu. AmOderuferwehteeineangenehmeKühlevomWasserher,siesetztensichnoch einmalnieder.
InCoselfandensienocheingutesAbendbrotundgingendanachin derAbenddämmerungaufdenBahnhofzu.DieMondsichelwarschonzusehen,dieerstenSterneblinkten.DurchihredünneBlusehindurchglaubte Helmut,EdithsHerzschlagzuspüren,wennsiesichanihnschmiegte.DerAbendwarunglaublichlau,ihmschiendasGlückvollkommen.UmeinundzwanzigUhrsiebenunddreißigfuhrderZugein.AndeninnigenAbschied knüpftensiedieGewissheiteinesbaldigenWiedersehens.GegeneinUhrnachts erreichte Helmut das Elternhaus am Eichwald.
AuchamDienstagherrschteHundstagshitze.Erverschlieffastden ganzenTag.KurzvorMitternachtraffteersichaufundschriebnochanEdith.VonClairchen hatte er zuhause vier Briefe vorgefunden.Aber öffnenkonnte er sie jetzt nicht. Die Gedanken waren nicht freidafür.
Mittwochwaresimmernochunerträglichheiß.Mankonnteeigentlichnichtarbeiten.NichteinmalinderKühledesHausesoderimschattigen GartenfanderinseinensonstsogeliebtenJuristereienAblenkungunddöstenur und las planlos herum.
DerVaterwarwiederimSchlachthoftätig.Dorthatteerspontan einenjungenHundgekauft.HelmutholtedenWelpenzuFußab.Einallerliebstes Kerlchen, hellbraun mit weißen Pfötchen.
ÜberdieserIdylleließsichderdräuendeKriegnichtwegwischen. DanunnachMeinungallerBekanntendieakuteundunmittelbareGefahr imOstengebanntschien,brannteesganzoffenbarimWesten.Wosindunsere Stoßarmeen? Oder stimmt das Geraune, dass wir wohl Menschen, aberkeineschwerenWaffenhätten?DiesenMangelkannteHelmutnochvonderFront, wie alle deutschen Soldaten inzwischen, zur Genüge.
UndwennwirParisdenAlliiertenüberlassenmüssen?SollderWestwalldoch noch seine Kraftprobe haben!AllesbangeFragen. Und überOberschlesienwütetenunauchderBombenterrorderAmerikaner.JederAlarmließihnfürseinMädelinCoselbangen.Dochwashätteesihrgenützt,nachhausezuihrerMutterinsHannoverschezufahren?DortrolltendieAngriffeinnochdichtererFolgealshier.
Helmutfragtesich,obmandennnunschoninderfrüherenLage wiedamalsderOrtBunzelwitzsei.VergleichemitderfriderizianischenZeit warenunterdenKameradengeradebeliebt.AugustbisSeptember1761, imSiebenjährigenKrieg,hatteFriedrichsdesGroßenArmeeimbefestigtenLagerbeimschlesischenBunzelwitz,inderNähevonSchweidnitz,gelegen.SeinHeervondreiundfünfzigtausendMannwarumgebengewesen vonfeindlichenösterreichischenundrussischenKräfteninderStärkevon hundertdreißigtausendSoldatenundKombattanten.AberdieFeindehatten gezögert.DieÖsterreicherplanteneinendetailliertenAngriff,dochdieRussenlehntenab.SiezogensichüberdieOderzurück,esgebeVersorgungsschwierigkeiten, hatte es geheißen.
Helmutfürchtete,dassnochdiesesJahrderWallanWeichselundKarpaten,WestwallundAlpenzeigenmüssten,obsiehalten.DannVerrat inRumänien.DasÖlvomBalkanschienverloren.NochlebtederFührer und dasVolk glaubte größtenteils an ihn und an einen Sieg, schon aus purerVerzweiflung.
AmFreitaggabeswiedereinmalAlarm.DochderbliebhierwiebisherohneernstlicheFolgen.EdithhattedenVaterimSchlachthofangerufen. Siewürde,wieerdemSohndannausrichtete,mitgroßerWahrscheinlichkeitbaldzuihmnachhauseinZiegenhalskommen.ErsolleSonntagumacht UhramBreslauerHauptbahnhofsein.WelchunverhoffteFreude!WarseinLazaretturlaub hier erst zu Ende und musste er darauf wieder in Kattern antreten,konnteessehrlangedauern,bissiesichwiedersähen:Urlaubssperre, Bahnsperre und soweiter.
KämpfeumParis!WürdemandieSeine-Liniehaltenkönnen?Warum hörte man nicht Näheres über Rumänien?
InfolgeneuerMaßnahmenundBefehlekonntenihmdierestlichen BücherausdemLazarettnichtnachgeschicktwerden.ErgingmitdemVater aufdieWieseinsHeu.SieblendetendiepolitischeLageaus,gabensichden naheliegenden Bedürfnissen hin und machten Futter für die Ziegen.
DerSonntagbegannmiteinemherrlichenMorgen.DieSonnestrahlte.UmachttrafderZugmitEdithimHauptbahnhofein.HelmutsHerzjubelte.GegenMittaggabeswiederFliegeralarm.WelleumWellegingüber dieSiedlunghinweg,GottseiDank.DieeineHandalsSonnenschutzander Stirn,EdithmitdemfreienArmumschlungen,standeruntergrünemLaub und verfolgte die feindlichenGeschwader.
AmNachmittaghattesichalleswiederberuhigt.Diezweiwanderten nachSchönewalde.ImMärchenwaldwurdeesihmeigenartigromantisch zumuteunderdachteandasMarschliedSovielLaubwieaufdenBäumen,sovielhab‘ichmeinLieb‘geküsst.Ertates.
Als der Mond aufstieg, waren sie wieder zurück und saßen auf einer BankimelterlichenGarten.WennsienunHelmutbesuchte,schliefEdithin seinemZimmerunderobenimDachstübchen,dasfrüherderRaumseiner Schwesterwar.
EdithkonnteauchMontagnochbleiben.Sienahmensichdeshalb denAufstiegzurBischofskoppevor.DieSonnebrannteheißvomklarenHimmelherunter.AufdemGipfeldesalten,markantenGrenzbergesstanddersteinernerAussichtsturmausdemJahreachtzehnhundertachtundneunzig.ErwarderältesteimAltvatergebirgemiteinemwunderschönenRundblick. Eine herrliche Fernsicht belohnte ihre Mühen. Begeistert stand Edith, dienorddeutschenTiefebenegewohnt,vorderPrachtdieserBergeundWälder.DasGlückderbeiden,ihreEintrachtschienindiesemAugenblickvollkommenundwurdedurchnichtsgestört.AufdemRückwegmussteEdith barfuß gehen, denn sie hatte sich eine großeWasserblasegelaufen, nahm esaber mit kindlicherAusgelassenheit hin.
Helmutfragtesich,oberhier,jetztschonseinLebensglückimArm halte.OderwäredasnureinRausch,verstärktdurchdieheranrückenden Gefahren?Erwarsichsicher,dasssieihnliebte.AbersiekanntensicherstwenigeMonate.IhrZusammenseinwarbisherimmernurinStundenzuzählengewesen.AucherliebtesieausvollemHerzen,gewiss.Aberwenner tiefinsichhineinhörte,warernichtohneZweifelanderReifeseinerLiebe. Es gab keinenVergleich. Die Zukunft würde alles entscheiden müssen.
Um einundzwanzig Uhr einundzwanzig ging Ediths Zug zurück nachCosel.Esblieb ihnennurdie Hoffnungaufeinbaldiges Wiedersehen.
ZweiTagelanghatteerinSeligkeitgelebt.AllmählichkehrtederAlltagwiederzurückunddamitinsBewusstseindiebedrohlichemilitärischeLage.ZuhauseerntetensieaufderWieseGrummet.SchwesterLiesel warkrank,derArztmusstekommen.HoffentlichwürdeessichnichtalsWochenbettfieberherausstellen,dasfehltenoch.
AmDonnerstagkameinBriefvonEdith.Siewargut,wennauchmit wunderFerse,aufdemDominiumKobelwitzangekommen.AmDienstag hatteesnochGroßangriffeaufFabrikeninderUmgebunggegeben,trotz dessehrwechselhaftenWetters.HoffnungundGlaubewurdenzuständigenBegleitern.
Lieselgingesbalddaraufwiederganzgut,eswarnureineharmlose Grippegewesen.HelmutbüffelteetwasFamilienrecht,obwohlernichtdamitrechnenkonnte,dassinabsehbarerZeitwiedereinordentlicherStudienbetriebaufgenommenwürde.ErhattedieNachrichtbekommen,dassam SonnabendseinLazarett-undStubenkameradHeinzWildeheiratenwolle.ErwünschteihminGedankenundtrotzoderwegenseinerJugendallesGute. Möge er mit seiner Hedwig glücklich werden.
AmSonntagwaresregnerisch,dieHundstageschienenendgültig vorüberzusein.DiesmaleinSonntagohneEdith.Docherhoffteaufdas nächsteWochenendeundwarunendlichfroh,dasssiesovielfreieZeitzurVerfügunghatte.HoffentlichlässtsichderGutsherrerweichenundbewilligt ihrachtTageUrlaub,diesiedannhierbeimirverbringenkann,wünschteersich.UndhoffentlichmachtunsdanndieBahnkeinenStrichdurchdie Rechnung.
MontaggingHelmutmitseinerSchwesterinZiegenhalsinsKino:Liebespremiere.Anschließendbesuchtensiedasbefreundetejunge EhepaarRoter,das sich ein behaglichesNestchengebaut hatte.
Waswürdeihmbevorstehen,wasdurfteererhoffen?Oderanders:Würdeerjedaserreichen,wasdiesenbeiden,auchdankderWohlhabenheitihrerEltern,wieeinereifeFruchtindieHändegefallenwar?Undwannwäredas vielleichtderFall?Oder aberderAusgang des Kriegeswürde siefrei machenvonallendiesenSorgen,weilTotekeineBedürfnissemehrhaben.Dennfastschienesjetztso,alsobdieerdrückendeAnzahlvonfeindlichen FlugzeugenundPanzernallemeinEndebereitenkönnte.DerFührerund viele in der Bevölkerung glaubten noch panisch an den Sieg.
DernächsteTagbegannmitstrahlendblauemHimmel.ManentdecktehierunddaschonherbstlichesLaub.HelmutnutztedenTagundwandertelos,insWeite.BaldkonnteerdieGlatzerBergeamHorizonterkennen.Links,fastzumGreifennah,dieBergedesAltvatergebirges.WelchherrlichesPanorama.Erversuchte,dieAlltagsgerüchtezuvergessenundgabsichdemAugenblickhin.Nebenihnenhingendieprachtvollenreifen FruchtdoldeneinerEberesche.IhrRotstandimKontrastzumtiefblauen Himmel.AmBerghangzogenzweiOchsenmühsameinenPflugdurchdieErde.DasLebenderhiesigenBauernwarkargwiederBoden,densiebeackerten. DerWindwehte lau. Schwalben sammelten sich aufTelefonleitungenundGiebelsimsen.DiekleinenGärtenwarenvollreiferFrüchte.Das Jahr stand an derWende.
Wiederzuhause,wechselteerständigzwischenderErnteimObstgartenundderLektüreeinesRomans.DannlaserendlichClairchensBriefe.SiewarenvollerHoffnungundSehnsuchtnacheinemWiedersehen.Erkonnte daran jetzt nicht denken.
IndessenbereitetederVaterdieFortsetzungeinerlangenFamilientraditionvor:ErwürdewiederObstweinherstellen.Johannisbeerenmussten gepflückt,gewaschenundausgepresstwerden.DergezuckerteSaftwurde mitZuchthefeineinemgroßenGlasballonzumGärenangesetzt.IneinigenTagensollte es darin stürmisch zu glucksen und zu brodeln anfangen. Dannwürdesichallesallmählichberuhigen,dieHeferestesichabsetzenundder jungeWeinwürde allmählich rubinrot und ganz klar werden. Helmut freute sich auf die erste Probe. Und auf ein paar gute Flaschen zumVorrat.
InderStadttraferdenFreundRolfStange.ErhattesechsWochenUrlaubbekommen.DerGrunddafürwarwenigererfreulich.DaschemischeWerkinBlechhammer,woerpraktischeArbeitabzuleistenhatte,warvonamerikanischenBombernzerschlagenworden.Danntrafernoch,ganzunverhofft,seinenSchulfreundErichLanger,erhatUrlaubausNorwegen.SiegingenzusammeninsKino:DasgroßeAbenteuer.
RechtzeitigzumWochenendekamamFreitagdieerwünschteNachrichtvonEdith.SiewerdeamSonntagkommenundbisFreitagbleibenkönnen.HelmutkonnteseineFreudekaumbezähmenundträumtevonglücklichenTagen.DieElternmachtenmöglich,wasging,unddaswarinderaugenblicklichenLagenichteinfach.Demkamentgegen,dasssiezuhause jetztetwasmehrPlatzhatten,dennLieselwarnachdemWochenbettmit demBabyindieeigeneWohnunginLangenbrückzurückgegangen.IndenfünfWochenwar Helmut der Kleine sehr ans Herz gewachsen.
ErholteEdithwiedervomBahnhofab.DasWetterpasstezuseinerStimmung. FünfTagewollten sie nur für sich selbst leben.
DerMontagbeganntrübe,abernur,wasdieWitterunganbetraf.SiewandertendurchdieWäldernachdemkleinenBergdorfReihwiesen,etwaachthundertMeterhoch,östlichvonFreiwaldau.AlssieunterwegsamgeheimnisvollenGroßenSühnteichstanden,brachendlichdieSonnedurchundschienbiszumAbend.SieverbrachtendenganzenTageinsamundglücklichmiteinander.ErstgegenAnbruchderNachtwarensiewiederzurück.
AmnächstenTagbesuchtensieLieselunddenkleinenNeffeninLangenbrück.DannwolltensieinsStrandbadvonWildgrund.WegendesunfreundlichenWetterswaresfastmenschenleer.AufdemWegezurRuineEdelsteinkamHelmutdieMelodieindenSinn:GewandertbinichdurchdieWälder,undBergewarenstetsmeinZiel…-das„Edelstein-Lied“.Dagabes plötzlichFliegeralarm.EingewaltigesBrummenhinterdenBergenkündigtedieBomberan.MehrereVerbändeflogenhochdroben.ImSchatteneines Ahornshieltensichdiebeidenstillfest.NacheinerhalbenStundejagtendie Flugzeuge in umgekehrter Richtung wieder zurück. Es gab Entwarnung.
Nach einem kleinen Fußmarsch erreichten sie dannZuckmantel, wo siezueinemunverhofftgutenMittagessenkamen.HelmutmussteunwillkürlichanFranzKafkadenken,derhieralsjungerStudentzweimalErholunggesuchthatte.AneinenFreundhatteerindieserZeitgeschrieben,er seischondievierteWocheineinemschlesischenSanatorium,sehrvielunter Menschen und Frauenzimmern und dadurch ziemlich lebendig geworden.
DerMittagsschlafaneinersonnigenStelleaufderWieseamSchlossbergraubtedenbeidendannsovielZeit,dasssiesichschleunigstaufdenRückwegmachenmussten.DasWandernbereiteteihnengroßeFreude,aberes war ja nur Mittel für das glückliche Zusammensein.
AmvierzehntenSeptember,Donnerstag,warderletztegemeinsameTag.SiebesuchtenVateraufdemSchlachthof,trafenRolfStangeund gingenanschließendmiteinanderinsKino:DaslustigeKleeblattvonErichEngels.
Siewolltenesnichtfassen,dassdieschöneZeitschonwiedervorbeiwar.DieganzeNachtwachtensiedurch,nurumkeineStundezuverlieren. Und am Morgen konnten sie sich in dieAugen schauen und hatten sichnichts vorzuwerfen. Ein Fehler?
Um fünf Uhr fünfundfünfzig fuhr Ediths Zug ab. Langsam rollte erin den Morgen. Helmut blieb mit trauriger Hoffnung zurück.
DerVaterhatteplötzlichhohesFieberundBrustschmerzenbekommen. Alsomusstemanden Arztholenunddannspäternocheinmalrunter indieStadtzurApothekelaufen.ErschöpftnachalledemverschliefHelmutden ganzen Nachmittag.
Jetzthießeswieder,indenAlltagzurückfinden.AbernochhatteerEdithganzlebhaftvorseinenAugen.ErsahsieinderbesticktenBulgarenblusemitdemweitenNackenausschnittunddembuntenRock.WiederblondeHaarknotendarinlag!Erwarstolz.ErschlossmanchmaldieAugen undglaubteer,ihreweichenLippenunddieNäheihresKörperszuspüren.Er dankte dem Himmel für die schönenTage.
In derfolgendenWochetröstetesichHelmut imKino:RomantischeBrautfahrtwurdegespielt.Sehrnett,aberungeheuergegenwartsfremd,fander,seinereigenenErfahrungeneingedenk.ErtrafsichmitRolfStange.SieradeltennachReihwiesenunddabeimussteerständiganEdithdenken.Auf demRückweg,nachdemsiesichgetrennthatten,traferzufälligeinealte Bekannte,mitdererseinerzeitsomanchenTanzgewagthatte.NunwarsieKreisreferentin für Sport.
NacheinpaarTagenwarVatersFieberziemlichzurückgegangen. AbererhatteinderkurzenZeitschrecklichabgenommen,obwohlesihnen eigentlichannichtsfehlte.
EinBriefvonEdithtrafein.SiehatteihrerMuttervonderneuenVerbindunggeschriebenundihmnunderenAntwortbriefbeigelegt.Darin klangallessehrpositiv.HelmutempfandRespektundMitgefühlfürdieseFrau.DennschonseitelfWochenwartetesieangeblichaufeinLebenszeichen von ihrem zweiten Mann. Er stand an der Ostfront.
AmDonnerstagwarerwiederimKino,diesmalinNiklasdorf:DasSchweigenimWalde.SeltsamerZufall,dieSportreferentinvomDienstagsaßnebenihm.NachdemFilmplaudertensienocheineganzeZeitlangauf derDorfstraße über vergangeneZeiten.Es schien, alshoffe sie auf einWiedersehen.Aber dann verabschiedete man sich doch recht unverbindlich.
AmfolgendenMorgenkonnteerEdithtelefonischerreichen.SiewürdeamSamstagkommen!DannsuchteerVatersArztauf,umihmüber seinenZustandzuberichten.AberderArztwarselberkrank,alsonichterreichbar.
HelmutmachtesichimObstgartennützlich,derlieblicheHerbstanfangfordertedazuregelrechtheraus.DieFrüchtehalfenderFamilieein bisschen,dieentstandenenErnährungslückenzufüllen.MitdenLebensmittelkarten allein kam man nicht mehr aus.
DerVaterwarinzwischenwiederausdemBett,aberersahweiterhin schlechtaus.ErhatteHelmutheutesiebenhundertReichsmarkgegeben.ZusammenmitseinereigenenRücklagevontausenddreihundertMarkkonnteerjetztvoneinerAbsicherungseinesStudiumsausgehen,daeralsKriegsversehrterjanurfürdieBücher-undLebenskostenaufkommenmusste.DasGeldtrugerumgehendaufdieKasse.