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Wenn Magie zum Mythos wird – das bedeutendste Fantasy-Debüt des Jahres
Das Königreich Alba erstreckt sich bis weit in den Norden. Hier, am Königshof und innerhalb der Burgmauern, bestimmen höfische Intrigen, Turniere und die Ordnung des Gesetzes das Leben der Menschen. Dort draußen, jenseits der Grenzen, herrscht allerdings die Wildnis, unerbittlich und voll dunkler Magie. Doch die Wildnis fordert zurück, was ihr einst abgerungen wurde – und so wird ein Krieger auserwählt, sich mit seiner Schar von Söldnern der Magie und den Bestien der Wildnis entgegenzustellen. Dies ist seine Geschichte. Mit "Der Rote Krieger", dem Auftakt seiner Fantasy-Saga, entfaltet Miles Cameron ein episches Panorama, das mit seiner Wucht und Größe seinesgleichen sucht.
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Seitenzahl: 1568
MILES CAMERON
DER ROTEKRIEGER
ROMAN
Aus dem Amerikanischenvon Michael Siefener
Deutsche Erstausgabe
WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
Titel der Originalausgabe:
THE RED KNIGHT
Deutsche Erstausgabe 07/2013Redaktion: Joern RauserCopyright © 2012 by Miles CameronCopyright © 2013 der deutschsprachigen Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHKarte: Andreas HancockUmschlaggestaltung: Nele Schütz Design, MünchenSatz: C. Schaber Datentechnik, Wels
ISBN: 978-3-641-10088-9
Für meine Schwägerin Nancy Watt
1
Albinkirk · Ser John Crayford
Der Hauptmann von Albinkirk zwang sich, nicht mehr aus dem schmalen, verglasten Fenster zu starren und stattdessen etwas zu tun.
Er war eifersüchtig. Eifersüchtig auf einen Jungen, der nur ein Drittel seiner Jahre hatte und doch bereits eine ansehnliche Lanzenkompanie befehligte. Der durch die Gegend reiten konnte, während er selbst in einer Stadt saß, die vor lauter Sicherheit recht langweilig geworden war. Und allmählich wurde sie auch noch alt.
Sei kein Narr, sagte er zu sich selbst. All diese Heldentaten geben zwar wundervolle Geschichten ab, aber eigentlich handeln sie doch nur von Kälte, Feuchtigkeit und Entsetzen. Hast du das etwa schon vergessen?
Er seufzte. Seine Hände erinnerten sich an alles – an die Schläge, die Nächte auf dem Boden, die Eiseskälte und die gepanzerten Handschuhe, die nicht richtig passten. Seine Hände schmerzten ständig, sowohl in wachem Zustand als auch im Schlaf.
Der Hauptmann von Albinkirk, Ser John Crayford, hatte sein Leben keineswegs als Edelmann begonnen. Seinen Rang hatte er ausschließlich durch Befähigung erworben.
Durch die Befähigung zur Gewalt.
Und als Dank saß er nun in dieser reichen Stadt mit einer Garnison, die nur zu einem Drittel so groß war, wie sie den schriftlichen Berichten zufolge sein sollte. Eine Garnison aus Söldnern, die die Schwachen umherschubsten, die Frauen missbrauchten und den Kaufleuten Geld abpressten. Eine Garnison, die einfach zu viel Geld besaß, denn ein Posten in ihr beinhaltete das Recht, in Pelzkarawanen aus dem Norden zu investieren. Pelze aus Albinkirk waren so etwas wie ein Weltwunder. Um das Rohmaterial zu bekommen, musste man bloß nach Norden oder Westen in die Wildnis reiten. Und lebend zurückkommen.
Das Fenster des Hauptmanns zeigte nach Nordwesten.
Er riss den Blick davon los. Schon wieder.
Und setzte den Stift auf das Papier. Sorgfältig und angestrengt schrieb er:
Mylord,
eine Aventiuren-Gesellschaft – wohlgeordnet und mit einem Passierschein, der vom Marschall unterzeichnet war – überquerte gestern Morgen die Brücke. Die Gruppe bestand aus fast vierzig Lanzen, und zu jeder von ihnen gehörte ein Ritter, ein Knappe, ein Diener und ein Bogenschütze. Sie waren – nach letzter östlicher Mode und Art – ausgezeichnet bewaffnet und gepanzert: allüberall Stahl. Ihr Hauptmann war höflich, aber reserviert, sehr jung – und wollte seinen Namen nicht nennen. Er bezeichnete sich jedoch als den Roten Ritter. Sein Banner zeigte drei Lac d’Amour in Gold auf einem sandfarbenen Feld. Er erklärte, sie seien überwiegend Untertanen Eurer Gnaden, die aus dem Krieg in Gallyen kämen. Da sein Passierschein in Ordnung war, sah ich keinen Grund, ihn aufzuhalten.
Ser John schnaubte verächtlich, als er sich an die Szene erinnerte. Niemand hatte daran gedacht, ihm mitzuteilen, dass eine kleine Armee aus Osten auf ihn zukam. Früh am Morgen war er zum Tor gerufen worden. Er hatte bloß ein fleckiges Wollwams und eine alte Hose getragen und dann versucht, diesen eingebildeten Welpen in seinen prächtigen scharlachroten und goldenen Farben einfach niederzustarren. Der junge Mann saß auf einem Kriegspferd von der Größe einer Scheune. Ser John hatte nicht genug fähige Soldaten gehabt, um die ganze Bande zu verhaften. Auf dem verdammten Jungen stand über und über Großer Adliger geschrieben, und der Hauptmann von Albinkirk dankte Gott, dass dieser Welpe ohne zu murren den Zoll bezahlt und gute Papiere besessen hatte, denn jeder Zwischenfall wäre gewiss böse ausgegangen. Für ihn.
Er bemerkte, dass er auf das Gebirge starrte. Dann wandte er den Blick ab. Ein weiteres Mal.
Außerdem hatte er einen Brief von der Äbtissin zu Lissen Carak dabei. Im letzten Sommer hatte sie um fünfzig gute Männer bei mir nachgefragt, doch ich hatte ihre Bitte leider ablehnen müssen – Euer Gnaden wissen, dass ich nicht genug Männer habe. Ich vermute, sie wird inzwischen Söldner angeheuert haben, da sie keine Männer aus der Gegend bekommen konnte.
Wir sind, wie Euer Gnaden wissen, zu etwa hundert Mann unterbesetzt. Ich habe nur vier gut ausgerüstete Männer, und viele meiner Bogenschützen sind nicht ganz das, was sie eigentlich sein sollten. Ich möchte respektvoll darum ersuchen, dass Euer Gnaden mich entweder ablösen oder die nötigen Mittel bereitstellen möge, um die Garnison angemessen auszustatten.
Ich verbleibe als Euer demütigster und respektvollster Diener
John Crayford
Der Meister der Kürschnergilde hatte ihn zum Abendessen eingeladen. Ser John lehnte sich zurück und beschloss, die Arbeit für diesen Tag zu beenden. Den Brief ließ er auf dem Schreibtisch liegen.
Lissen Carak · Der Rote Ritter
»Süßer Jesus«, rief Michael von der anderen Seite der Mauer. Sie war schulterhoch und von Generationen von Bauern mit Steinen errichtet worden, die sie in den Feldern aufgelesen und herbeigeschafft hatten. Gegen die Mauer lehnte ein zweistöckiges Steinhaus mit einigen Nebengebäuden – ein reiches Gehöft. »Süßer Jesus«, sagte der Knappe erneut. »Sie sind alle tot, Hauptmann.«
Da er auf seinem Kriegspferd saß, konnte er über die Mauer bis zu der Stelle sehen, wo seine Männer die Leichen herumrollten und ihnen alle Wertgegenstände abnahmen, während sie nach Überlebenden suchten. Ihrer neuen Auftraggeberin würde das sicher nicht gefallen, aber der Hauptmann entschied, dass ihr diese Plünderung verdeutlichen möge, welcher Männer sie sich nun bediente. Seiner Erfahrung nach war es für gewöhnlich das Beste, wenn die Auftraggeber wussten, was sie für ihr Geld bekamen. Von Anfang an.
Der Knappe des Hauptmanns sprang über die Steinmauer, die den Garten von der Straße trennte, und nahm Toby, dem Pagen des Hauptmanns, einen Stofffetzen ab. Klebriger Schlamm, Ergebnis des endlosen Frühlingsregens, bedeckte seine schenkelhohen Schnürstiefel. Michael zog einen Lumpen aus der Tasche, um seine Erregung zu überspielen, und machte sich daran, seine Stiefel zu säubern. Er war penibel und stets nach der neuesten Mode gekleidet. Sein scharlachroter Überwurf war mit Goldsternen bestickt, und die schwere Wolle musste mehr wert sein als die Rüstung eines Bogenschützen. Er war von hoher Geburt und konnte es sich leisten, also ging es nur ihn selbst etwas an.
Was aber den Hauptmann etwas anging, war der Umstand, dass die Hand des Jungen zitterte.
»Ich hoffe, du wirst bald so weit sein, dass du dich präsentieren kannst«, sagte der Hauptmann leichthin, doch Michael erstarrte bei seinen Worten. Dann beendete er die Säuberung seiner Stiefel und warf Toby den Lumpen zu.
»Verzeihung, Mylord«, sagte er und sah sich dabei rasch über die Schulter. »Es war etwas aus der Wildnis, Mylord. Ich könnte meine Seele drauf verwetten.«
»Kein hoher Einsatz«, sagte der Hauptmann und hielt Michaels Blick stand. Er zwinkerte, sowohl zur Belustigung der Zuschauer als auch zur Beruhigung seines Knappen, der jetzt so weiß im Gesicht war, dass man auf ihm hätte schreiben können. Dann sah er sich um.
Es regnete nur leicht. Der scharlachrote Wollumhang des Hauptmanns wurde zwar immer schwerer, war aber noch nicht völlig durchnässt. Hinter dem ummauerten Gelände erstreckten sich Felder mit dunkler, frisch gepflügter und besäter Erde, die im Regen ebenso schwarz glänzten wie das Pferd des Hauptmanns. Die oberen, zu den Bergen hin gelegenen Felder waren von einem satten frischen Grün und mit Schafen gesprenkelt. Gute und fruchtbare Erde versprach eine reiche Ernte, so weit das Auge zu beiden Seiten des Flusses blicken konnte. Dieses Land war gezähmt; es war mit sauberen geometrischen Mustern aus Hecken und hohen Steinwällen bedeckt, die Ackerflächen und Weiden für Schafe und Kühe voneinander abtrennten. Und der Fluss brachte die Erzeugnisse dann in die Städte des Südens. Die Feldfrüchte und Tiere waren der Grund für den Reichtum des befestigten Nonnenklosters Lissen Carak, das auf einem hohen Felsvorsprung im Süden lag und von hier aus nur als eine gezackte Linie aus blassem Stein sichtbar war. Grau, grau, grau – vom Himmel bis zum Boden. Blassgrau, dunkelgrau, schwarz.
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