Der Schlüssel zur anderen Welt - Jörg Kressig - E-Book

Der Schlüssel zur anderen Welt E-Book

Jörg Kressig

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Beschreibung

"Eine spirituelle, fesselnde Reise zu dir selbst." Völlig ausgebrannt und überarbeitet trifft David zu einem Ayurveda-Urlaub auf der tropischen Insel Sri Lanka ein. Bereits am ersten Tag begegnet er der charmanten und geheimnisvollen Urlauberin Jeanne du Moulin. Diese und andere Begegnungen konfrontieren David mit einer jenseitigen Welt, welche die Sicht der Dinge auf sein bisheriges Leben komplett verändert. Auf der Suche nach Wahrheit und Selbstfindung wird der Aufenthalt anstrengend, teilweise schmerzvoll und endet schließlich mit einem Befreiungsschlag. In seinem Debütroman nimmt der erfolgreiche Autor Joerg Kressig den Leser mit auf eine fesselnde Reise voller Erkenntnisse und Inspirationen.

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Joerg KressigDer Schlüssel zur anderen Welt

Joerg Kressig

Der Schlüssel zuranderen Welt

Eine spirituelle Reise zu dir selbst

Roman

Giger Verlag

Die Originalausgabe dieses Buches erschienunter dem Titel: Die Bücher von A-ong 2007 im Giger Verlag

1. Auflage dieser Ausgabe 2017© Giger Verlag, CH-8852 AltendorfTelefon 0041 55 442 68 48

www.gigerverlag.chUmschlaggstaltung:

Hauptmann & Kompanie, Werbeagentur, ZürichLayout: Roland Poferl Print-Design, Kölne-Book: mbassador GmbH, BaselPrinted in: Germany

ISBN 978-3-906872-12-4eISBN 978-3-907210-57-4

Für meine Mutter Klara,die mein Fundament war,mein unverrückbarer Fels in der Brandungund auch die unbändige Kraft der Erde

und

für meinen Vater Armand,der mir seine spirituelle Kraft vermacht hat,die geistigen Flügelund das unermessliche Geschenk,glauben zu dürfen.

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Kapitel XXII

Kapitel XXIII

Kapitel XXIV

Kapitel XXV

Kapitel XXVI

Kapitel XXVII

Herzlichen Dank

Wär’ nicht das Auge sonnenhaft,

Die Sonne könnt’ es nie erblicken;

Läg’ nicht in uns des Gottes eig’ne Kraft,

Wie könnt’ uns Göttliches entzücken?

Johann Wolfgang von Goethe

I.

Hölle! Er war im Vorhof der Hölle angelangt. Dabei hatte er sich aufgemacht, das Paradies zu finden.

So wenigstens hatte ihm die alterslose Reisebürodame diesen Flecken Erde überzeugend angepriesen. In der Fassung ihrer zweifellos exklusiven Designerbrille fächelten fragile Palmwedel der sanften Meeresbrise ihr lüsternes Liebesgeflüster zu. Die akkurat geschliffenen Gläser spritzten ihm in tausend kristallenen Facetten die schaumige Gischt ins Gesicht. Das Salz brannte in seinen Augen, in seiner Seele, grub sich schal in die Geschmacksknospen seiner Zunge ein.

Zum ersten Mal seit langer Zeit spürte, fühlte er. Nicht viel, aber er empfand.

»Mister David … Mister David!«

Verwirrt schreckte er auf.

Zwei große Kulleraugen rollten ihm entgegen. Kumar hatte ihn mit seinem verrosteten Kleinbus am Flughafen in Colombo abgeholt. Die Fahrt hierher war die reinste Tortur gewesen. Es goss wie aus Kübeln, als hätte der Himmel sich vorgenommen, Noah eine zweite Chance zu geben.

Er war noch völlig benommen. Die lange Reise, die Zeitdifferenz, die unsäglich schwüle Hitze vernebelten seinen Blick.

»Wir sind angekommen.«

David sah sich um. Vor ihm breitete sich ein graublasses Häusernichts aus, verschwamm dämonisch im undurchsichtigen Schleier des Tropenregens. Einzig Kumars blütenweiße Zähne blitzten sekundenweise etwas Licht in die Konturlosigkeit. Da und dort entdeckte er ein farbiges Etwas nervös die Straße überqueren, wenn man diese schlammige Brühe überhaupt als Straße bezeichnen konnte.

Es stank bestialisch. Nur das entwaffnende Lächeln Kumars hielt ihn davon ab, instinktiv Zeigefinger und Daumen zur Nase zu führen.

David versuchte, die Duftquelle auszumachen. Seine Augen blieben an einer Art Rinnsal hängen, das die Dorfstraße überall hin zu begleiten schien.

Er stockte. Verfaulte Fischeingeweide und Exkremente undefinierbarer Herkunft zogen einen Schwarm feister Fliegen an. Mit monotonem Surren gaben sie ihrer Freude über den unerwarteten Leckerbissen Ausdruck.

Der Regen löste den Boden unter seinen Füssen auf. Durch das Schuhgeflecht bemächtigte sich die feuchte Erde langsam seines Körpers, fraß sich listig zwischen seinen Zehen hindurch über Rist und Fersen hinauf bis zu den Knöcheln.

»Gefällt es Ihnen?«

David blickte irritiert auf. Kumar schien seine Frage tatsächlich ernst zu meinen.

Was sollte ihm gefallen? Wäre sie hier gewesen, er hätte der Reisebürodame die Lügenbrille von der gepuderten Nase gerissen und sie in tausend Stücke zertreten – bei der momentanen Bodenbeschaffenheit fast ein Ding der Unmöglichkeit!

Also beschränkte er seine Rache darauf, ihr Versace-Kostüm samt Inhalt in der Fliegenmahlzeit liegen zu sehen. Ein kleiner Schubs hätte gereicht …

»Gefällt Ihnen Sri Lanka? Ein schönes Land, nicht wahr?« – »Ja, ein wunderschönes Land.« Wie konnte er diesen erwartungsvollen Augen die Wahrheit entgegen schreien?

II.

Ein einziger Sonnenstrahl riss den ganzen Himmel auf.

Innerhalb weniger Sekunden ergoss sich eine goldene Lichtkaskade über den Fluss, der sich ihm eben noch als drohender, unüberwindbarer Strom entgegengesetzt hatte. Licht und Schatten hauchten den plumpen Säulen in der offenen Wartehalle Leben ein, tanzten von der Basis zum Lotosknospenkapitell, hüpften zurück auf den Boden, malten verspielte Muster an die weißgetünchten Wände und sprangen schließlich übermütig in den Bentotafluss hinein.

Entschlossen ergriff David seine Koffer.

Er kniff die Augen zusammen, um im gleißenden Licht zu erkennen, wohin ihn die breite Treppe zu seinen Füßen führen sollte. Tief unter ihm lag ein kleines blaues Boot vertäut. David tastete die Stufen einzeln ab, machte jeden Schritt mehr intuitiv als aus festem Willen.

Als er endlich vor der Barke stand, wagte er einen kurzen Blick zurück. Das Dörfchen Aluthgama hatte seinen Trauerschleier abgelegt. David trug eine Entschuldigung auf den Lippen.

Der Horizont kam näher. Aus den letzten Nebelschwaden tauchte eine sattgrüne Wand vor ihnen auf. Das Abendlicht konturierte mit warmem Gelb die Palmen, ihre Stämme, ihre Kronen und die Nüsse. Es mussten Hunderte von Bäumen sein, dicht aneinander geschmiegt, fast zärtlich.

Das Boot machte einen kurzen Ruck, als es anlegte.

»Sie dürfen jetzt aussteigen!«, forderte ihn Kumar freudig auf. Er schien glücklich zu sein, seinen Gast unversehrt ans Ziel gebracht zu haben.

Mit einem sportlichen Sprung schwang sich David auf den klapprigen Bootssteg.

Ein dürrer kleiner Mann im cremefarbigen Sarong eilte ihm vom Land her entgegen. In seiner linken Hand trug er ein Tablett mit einer monströsen geköpften Kokosnuss, aus der ein pinkfarbener Strohhalm hervorlugte, in seiner Rechten eine Kette aus leuchtenden Frangipani-Blüten, sorgfältig auf einer feinen Schnur aufgereiht.

»Herzlich willkommen bei uns!«, begrüßte er David und hängte ihm ungefragt das Blumenkollier um den Hals.

»Hatten Sie eine angenehme Reise?«

Seine Stimme war eine halbe Oktave höher als die eines Europäers. Schon bei den singhalesischen Flughafenbeamten und bei Kumar war ihm dies aufgefallen.

»Ja, es hätte schlimmer sein können«, erwiderte David.

Süßlicher Blumenduft stieg ihm von seiner Brust her in die Nase und betörte sanft seine Sinne. Waren die Blüten dafür verantwortlich, dass er log?

Zwei Reihen Zähne bleckten ihm zu. In Verbindung mit der dunklen Haut kamen sie noch intensiver zur Geltung. »Übrigens: Mein Name ist Dusty. Aber setzen Sie sich erst einmal, und erfrischen Sie sich.«

Dabei stellte er das Tablett mit der Kokosnuss auf den niedrigen Intarsientisch vor der Freiluft-Rezeption, die sie unterdessen erreicht hatten.

Kumar rückte den bequemen Lehnstuhl so zurecht, dass David direkt über den Holzsteg auf den Fluss sehen konnte. Auf dem Wasser verschwammen die aufgeregten Lichtpunkte zu einem ruhigen Silberband.

Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Angenehm wärmte die Sonne sein Gesicht, schwer grub sich sein Körper in das Bastgeflecht des Stuhls ein.

Niemals hätte er sich träumen lassen, dass es eines Tages soweit mit ihm kommen würde. Die letzten Monate strichen an ihm vorbei wie die Boote auf dem Fluss, versuchten, den geringsten Anflug von Unbeschwertheit unverzüglich und gnadenlos aufzufressen. Einmal mehr schlich sich die Dunkelheit an, legte hinterhältig grinsend ihre Schatten um seinen Hals und sagte … einfach nichts.

Genau das war es: Nichts. Er spürte, wie sein Atem eng wurde.

»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«

David versuchte, seine schweren Lider zu öffnen. Die tiefe Abendsonne blendete ihn direkt in die Augen. Im Gegenlicht machte er blinzelnd eine Frauengestalt aus. Unverkennbar eine Frau, selbst wenn die Sonnenstrahlen bei jeder noch so kleinen Bewegung, die sie machte, ihre Rundungen zu brechen versuchten.

»Natürlich, gern. Nehmen Sie Platz.«

Das goldene Licht fiel nun direkt auf ihr Gesicht. Sie musste um die fünfzig sein, vielleicht etwas mehr. Ihr mittelblondes Haar hatte sie streng zu einem Knoten zusammengebunden. Eine einzelne Strähne brach spielerisch die hohe Stirn.

»Sie sind gerade angekommen?« Ihre warme sonore Stimme nahm die ganze Rezeption ein.

»Ja, vor etwa zehn Minuten«, entgegnete er und versuchte dabei, seinen Tonfall so tief wie möglich zu halten.

Fröhliche Augen strahlten ihm entgegen. Funkelnde Saphire, die tiefblaue Iris umrahmt von einem schwarzen Hof. Unzählige feine Lachfältchen hatten die positiven Momente ihres Lebens in den blassen Teint ziseliert.

»Ich habe mich Ihnen ja noch gar nicht vorgestellt«, entschuldigte sie sich. »Mein Name ist Jeanne Du Moulin.« Unverwandt streckte sie ihm ihre Hand entgegen.

»Meyer, David Meyer«, antwortete er brav.

»Sie kommen aus Deutschland?«

»Mein Vater war Amerikaner, meine Mutter Deutsche. Geboren wurde ich in New York, aufgewachsen bin ich in Zürich. Nun pendle ich zwischen Deutschland und der Schweiz hin und her.«

»Ein internationales Gemisch!«, lachte sie.

»Ja, in der Tat. Und Sie sind Französin?« Ihr frankophoner Akzent war nicht zu überhören.

»Ja, wir leben in Paris. Mitten in der Stadt.«

Wir? David zögerte. Sollte er nachfragen, wer mit wir gemeint war? Der Anstand jedoch gebot ihm, das Thema zu wechseln.

»Gefällt Ihnen das Zentrum? Wie sind die Behandlungen?« Eigentlich interessierte ihn das alles im Moment gar nicht. Aber das Ablenkungsmanöver funktionierte.

Jeannes Züge waren völlig entspannt, ihre Augen jedoch fixierten ihn. David wurde mulmig in der Magengegend. Sie schien ihn gerade zu sezieren.

»Haben Sie sich schon mit Ayurveda auseinandergesetzt?«

»Nicht sehr intensiv. Ich habe ein Buch zum Thema gelesen, eher für Anfänger wahrscheinlich.« Er lächelte müde.

Jeanne betrachtete ihn, hob ihre Augenbraue leicht an und flüsterte verheißungsvoll: »Dann erwartet Sie hier einiges.« Etwas an dieser Frau faszinierte ihn, auch wenn sie eine Aura umgab, die er nicht einordnen konnte. Hätte er in diesem Moment geahnt, worauf er sich hier einließ, er wäre sofort abgereist!

Doch nun war er einmal hier, fast zehntausend Kilometer von dem Leben entfernt, das ihn über drei Jahrzehnte lang geprägt hatte. War die Existenz, die er führte, überhaupt Leben?

»Ach, ich plaudere wieder viel zu viel«, entschuldigte sie sich. »Sie scheinen von der Reise erschöpft zu sein. So werde ich Sie ein wenig ausruhen lassen.«

»Wir sehen uns sicher beim Abendessen?«

Jeanne nickte.

David freute sich.

III.

Das Ayurveda-Zentrum lag unvergleichlich schön. David nutzte die kurze Zeit bis zum Sonnenuntergang für eine Erkundungstour. Inmitten eines traumhaften Tropengartens lagen etwa fünfzehn ebenerdige Bungalows, scheinbar zufällig hingeworfen, ohne Konzept und große architektonische Planung. Simple Rattanstühle und morsche hölzerne Liegen fügten sich natürlich in die schlichte Atmosphäre des Ortes ein, Farbe und Struktur tarnten sie perfekt im luftigen Gehölz.

Mit all seinen Sinnen sog David die Ruhe auf.

Seit Jahren hatte er keinen Urlaub mehr gemacht. Beinahe schon hatte er vergessen, wie frische reine Luft roch.

Sein Blick schweifte durch die Anlage hinüber zum Strand, der knapp zehn Meter entfernt lag. Nur eine natürliche Hecke aus farbenfrohen Sträuchern trennte das Meer von den Pavillons.

Verführerisch warf die Sonne ihre flammend rote Schleppe in den spiegelglatten Indischen Ozean, einer Diva gleich, die in rauschender Abendrobe maliziös lächelnd aus dem Ballsaal entschwindet und der verbleibenden Gästeschar nichts anderes lässt, als die bloße vulgäre Spekulation über ihre nächtlichen Eskapaden.

Gerade dieses Geheimnis aber war es, was sie zu einer Diva, zu einer strahlenden Sonne machte.

In Davids Leben hatte es schon lange keine Geheimnisse mehr gegeben. Alles war perfekt durchorganisiert. Jeder Tag war minutiös geplant, eingeteilt in klar definierte Intervalle von Arbeit, strukturierter Freizeitbeschäftigung und vorgeschriebenem Schlaf. In diesem Rhythmus vergingen Wochen, Monate, Jahre. Die Strukturen verdichteten sich aus einem filigranen Maschennetz zu eisernem Gitterwerk, das mit der Zeit klammheimlich die Oberhand über jegliche Bewegungsfreiheit gewann.

Vor lauter Einatmen hatte er verlernt, wie man ausatmete. Seine Firma verlangte von ihm das Letzte. Als er sie vor vierzehn Jahren übernommen hatte, war er in diesem Business ein Niemand. Er hatte nichts: kein Geld, keine Beziehungen, keine einflussreichen Freunde, die ihm die eine oder andere wichtige Tür hätten öffnen können. Das einzige Kapital, das er mitbrachte, war seine Begeisterungsfähigkeit und sein unerschütterlicher Glaube an sich selbst. Hartnäckig eroberte er die Bastionen all seiner Konkurrenten, die hinter hervorgehaltener Hand über ihn gespöttelt hatten. Dass er dabei immer verbissener und rücksichtsloser wurde, wertete er als unumgängliche Attribute eines erfolgreichen Geschäftsmannes.

Die Kunden fraßen ihm aus der Hand. Wo immer er auftauchte, war er der umschwärmte Mittelpunkt. Keine Party, kein offizieller Anlass, auf denen er nicht durch seine Redegewandtheit brillierte. Selbst seine bissigsten Kommentare wurden stets mit tüchtigem Applaus bedacht, spiegelten sie doch virtuos verpackt das zynische Milieu, in dem er sich bewegte.

David war ein Meister der Oberflächlichkeit geworden. Sie hatte ihn zu dem gemacht, was er war: Ein äußerst erfolgreicher Unternehmer, ein »gemachter« Mann.

Dann trat sie in sein Leben.

Ellen war die perfekte Verkörperung seiner Kunstwelt. Groß, schlank, elegant und charmant parlierend zog sie die Blicke jedes Mannes magisch auf sich. Sie repräsentierte in höchster Vollendung ihn und all das, was er geschaffen hatte.

Bei diesen Qualitäten sah er gern über kleine Unzulänglichkeiten hinweg. Für den intellektuellen Aspekt war er schließlich zuständig, und für die Organisation der Parties bei ihnen zu Hause gab es spezialisierte Firmen.

Ellen und David waren das Traumpaar der Szene.

Sie schaffte, was noch keine vor ihr erreicht hatte. Er fragte sie, ob sie seine Frau werden wollte.

Am Tag, an dem sie ihn verließ, brach seine Welt zusammen. Vier Worte, emotionslos über einen Kerzenständer, zwei Gläser Wein und ein Châteaubriand geschleudert: »Ich liebe einen anderen.«

Zum ersten Mal in seinem Leben fühlte David, wie allein, wie traurig und mutlos er wirklich war.

Nun hatte es auch ihn erwischt. Ihn, den nichts aus der Ruhe bringen konnte, der in heiklen geschäftlichen Situationen jederzeit kaltes Blut bewahrte, während die anderen schon heiß schwitzten.

Er suchte hier etwas. Was, wusste er noch nicht. Das herauszufinden, war er hier.

IV.

Frisch geduscht betrat David den Speisesaal. Da der Raum auf drei Seiten offen war, hatte man das Gefühl, im Freien zu sitzen.

Die blaue Stunde beruhigte die Natur. Nach und nach verstummten die übermütigen Gesänge und lebensfrohen Schreie in den Bäumen und Hecken, still lag der Fluss zur Linken, zur Rechten wiegte das Meer sich selbst in den Schlaf.

David sah sich um.

Ungefähr zwanzig Personen saßen in kleinen Grüppchen verteilt an den einfach gedeckten Tischen. Alle unterhielten sich angeregt, trotzdem war es nicht laut. Vielleicht leiteten die Palmen und anderen Pflanzen jedes belanglose Wort ab, um nicht an unnötigem Geschwätz zu ersticken. Vielleicht aber waren die Gäste hier wirklich anders als das, was er bisher auf seinen Geschäftsreisen erlebt und erduldet hatte.

Die Ruhe verlieh dem Ort etwas Mystisches.

Er gab sich einen Ruck. Wie weit musste es mit ihm schon sein, dass er selbst einen simplen Speisesaal als mystisch empfand?

»Nun, David? Haben Sie sich schon zurechtgefunden?« Jeanne stand mit einem Teller voll aromatisch duftender Currys vor ihm.

Sie sah bezaubernd aus, und völlig verändert. Ihr Haar trug sie offen, in sinnlichen Wellen versteckte es leicht ihr atemberaubendes Dekolleté. Erst jetzt fiel ihm ihr wohlproportionierter Körper auf, der graziös im eng geschnittenen langen Seidenkleid hin und her glitt.

Schlank war sie nicht, aber sehr fraulich.

»Ja, so langsam gewöhne ich mich an die Ruhe«, sagte er.

»Möchten Sie sich zu uns an den Tisch setzen? Mein Mann würde sich freuen, Ihre Bekanntschaft zu machen.«

Also doch! Sie war verheiratet. Das war ja auch anzunehmen. Eine Frau ihrer Klasse – und in ihrem Alter. Aber jetzt konnte er nicht mehr zurück.

»Wenn ich nicht störe …«

»Aber keineswegs. Im Gegenteil, wir beide freuen uns über jede interessante Unterhaltung.«

David folgte ihr zum Tisch.

»Mon Chéri, darf ich dir Monsieur David Meyer vorstellen. Ich habe dir von ihm erzählt. Mein Mann, Charles Du Moulin. Da wir hier so eine Art Schicksalsgemeinschaft sind, schlage ich vor, dass wir uns beim Vornamen nennen. Sie sind doch einverstanden, David?«

Ihrer entwaffnenden Art konnte niemand widerstehen. Natürlich nickte David.

Charles war ein aristokratisch aussehender Mann Mitte sechzig. Das korrekt geschnittene kurze Haar und ein schmaler Oberlippenbart akzentuierten sein kantiges Gesicht.

Er musterte David kurz, dann hielt er ihm mit einem unverbindlichen Lächeln die Hand zum Gruß hin.

»Angenehm, David. Meine Gattin hat mir bereits von Ihnen vorgeschwärmt. Sie sind Geschäftsmann?«

Dabei drückte er mit stählernem Griff zu, so dass David leicht in die Knie ging.

»Das stimmt. Ich besitze eine eigene Firma.«

»In welchem Bereich?« Seine Fragen klangen inquisitorisch.

»Werbung, Marketing und so weiter.«

»Aber, aber Messieurs. Wir sind doch hier nicht im Geschäft«, schaltete sich gespielt energisch Jeanne ein. »Vielmehr sollten wir den wunderbaren Abend genießen und uns ein wenig über Gott und die Welt unterhalten.«

David schluckte. Bei der Welt konnte er mithalten, aber bei Gott … Den hatte er seit seiner Jugend nicht mehr getroffen. Und Gott hatte ihn auch nicht gesucht. Weshalb auch? Es ging ganz gut ohne ihn. Und auch Gott schien ja ohne David zu existieren.

Also würde er das Gespräch auf weltliche Dinge lenken.

»Und Sie, Charles. Womit bestreiten Sie Ihren Lebensunterhalt?«

Sein Gegenüber zuckte mit den Mundwinkeln. »Meine Mittel erlauben es mir, zurzeit keiner Beschäftigung nachgehen zu müssen.«

Volltreffer!

»Sie genießen also den wohlverdienten Ruhestand«, doppelte David nach.

Mit einer unwirschen Kopfbewegung wandte sich der graumelierte Grandseigneur Jeanne zu. »Meine Liebe, hast du Monsieur Meyer schon über die Gepflogenheiten hier im Zentrum informiert?«

»Er ist bestens mit Ayurveda vertraut. Vor seiner Reise hat er sich anhand einiger Bücher informiert.« Verschwörerisch blinzelte sie David zu.

Dieser gab sich aber noch nicht geschlagen. Der Händedruck schrie nach Vergeltung.

»Was haben Sie denn früher gearbeitet?«

Charles kniff die Brauen zusammen und atmete kurz durch. Seine Augen blitzten ihn an. »Unsere Familie fand ihr Auskommen seit Jahrhunderten in der optimalen Bewirtschaftung ihrer Ländereien.«

Nun war David nicht mehr zu bremsen. »Ach, Sie stammen aus einer Bauernfamilie. Im Moment sehr im Trend. Zurück zur Natur. Dann fühlen Sie sich hier sicher wie zu Hause?«

David sah zu Jeanne hinüber. Sie hielt ihr Gesicht hinter einer lindgrünen Leinenserviette versteckt und hüstelte leicht betreten. Ihre Körperhaltung jedoch verriet größtes Amüsement.

Er hatte ihr imponiert!

Abrupt erhob sich Du Moulin von seinem Stuhl. »Jeanne, ich denke, es ist höchste Zeit, dass wir schlafen gehen. Es war ein anstrengender Tag heute, so drückend.«

Nach kurzem Zögern stand auch sie vom Tisch auf. »Wir werden in den nächsten Wochen mit Sicherheit noch Gelegenheit haben, uns näher kennenzulernen«, verabschiedete er sich von David mit einem frostigen Lächeln.

Und schon hatte die Dunkelheit die beiden verschluckt.

Das Wortgefecht hatte Davids Appetit angeregt.

Zu einem entscheidenden Teil basierte die Ayurveda-Kur auf einer typgerechten Ernährung. Dementsprechend war auch das Büfett aufgebaut.

In tönernen Töpfen brutzelten undefinierbare Gemüse und Currys vor sich hin. Farblich unterschieden sie sich kaum, ihr würziges Aroma jedoch strömte in jede Nische und vermischte sich harmonisch mit dem Geruch von Meeresluft und Blumenparfum.

Auf Fleisch musste er hier verzichten, das hatte er bereits gelesen. Einfach würde ihm das nicht fallen. Von Vegetariern und Ähnlichem hatte er nie viel gehalten. Schließlich gab ein saftiges Stück Fleisch Lebenskraft! Kraft, die er täglich zur Genüge brauchte.

Welches Wort hatte Jeanne vorhin erwähnt? Schicksalsgemeinschaft?

Ergeben fügte er sich also in sein Schicksal und füllte herzhaft seinen Teller mit all dem gesunden Grünzeug.

»Tee oder Wasser, Mister David?«

Ein junger Singhalese hielt ihm zwei Plastikkannen vor das Gesicht. Auch er war im traditionellen Sarong gekleidet, im gleichen Grün wie die Servietten und Tischtücher gehalten. Darüber trug er ein weißes Baumwollhemd, oberhalb der Hüfte durch einen breiten Stoffgurt tailliert.

Ein Bier wäre ihm bei dieser Hitze recht gewesen. Doch das schien es nicht im Angebot zu geben.

»Tee, bitte.«

Der Kellner schenkte ihm großzügig von dem trüben braunen Gebräu in die riesige Tasse ein. David wagte nicht zu widersprechen. Die einheimischen Angestellten hier waren allesamt von einer ausnehmenden Freundlichkeit.

Also trank und aß er, was ihm die Vorsehung beschieden hatte. Der Tee war eher gewöhnungsbedürftig. Er schmeckte ihm wie Abwaschwasser mit orientalischen Gewürzen. Die Speisen auf dem Teller schienen seine Mundschleimhäute zu verätzen. Je mehr Flüssigkeit er zum Löschen nachschüttete, um so intensiver spürte er die Schärfe.

Der Gedanke jedoch, dass diese kulinarischen Qualen seiner Gesundheit zuträglich sein sollten, versöhnte ihn kurzfristig mit dem Brennen in Mund und Speiseröhre.

»Haben Sie genug gegessen?«

Flehend sah David den jungen Mann an.

»Ja, bitte räumen Sie ab.« Den Zusatz »schnellstens« konnte er nur knapp unterdrücken.

V.

David hatte eine sehr unruhige Nacht hinter sich. Die Zeitdifferenz hatte seine innere Uhr völlig durcheinander gebracht. Während Stunden hatte er ums Einschlafen gekämpft. Gegen vier Uhr nickte er ein und warf sich in einem rastlosen Halbschlaf im Bett hin und her. Alpträume jagten ihn, beängstigende Halluzinationen verwirrten seinen Geist. Endlich, im Morgengrauen, fiel er in einen Dämmerzustand, wie er ihn schon nach dem Aufwachen aus einer Narkose erfahren hatte.

Als der Wecker jaulte, ging gerade die Sonne über dem Fluss auf. Frisch und strahlend tat sie so, als ob sie die ganze Nacht geschlafen hätte. David fühlte sich wie gerädert, seine Glieder waren schwer wie Blei, der Kopf brummte. Trotzdem war dieser Morgen anders als diejenigen, die er von zu Hause kannte. Die Schwere verschwand innerhalb von Minuten, als er aus seinem Bungalow trat und die frische Meeresluft in seine Lungen pumpte.

Nun saß er im Behandlungszimmer des ayurvedischen Chefarztes, der dreimal wöchentlich hierher zur Visite kam. Heute sei seine Eintrittsuntersuchung anberaumt, hatte ihm der Gästebetreuer gestern kurz vor dem Abendessen im Säulengang noch zugerufen.

In diesen Räumlichkeiten war die Zeit stehengeblieben. Das Interieur hätte aus einem Hollywoodstreifen stammen können, der in der Kolonialzeit spielte.

Die massive Tropenholztür ging auf, begleitet von etwa fünf gestikulierenden Assistenten betrat ein kleiner rundlicher Singhalese mit unübersehbarem Bauchansatz den Raum. Ein lichter Kranz rund um den Kopf verlieh ihm die gebührende intellektuelle Würde, auf der Nase trug er eine Hornbrille mit Gläsern so dick wie Flaschenböden. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, huschte er an David vorbei.

Er setzte sich an den Kopf des Tisches, zwei seiner Jünger zur einen Seite, die restlichen gegenüber.

Doktor Amarasinghe sah in seine Akte, dann über den Brillenrand, dann wieder in die Akte, und schließlich winkte er David zu sich her.

»Setzen Sie sich neben mich«, forderte er ihn in gebrochenem Englisch auf.

David gehorchte.

»Weshalb sind sie hier? Zu viel Arbeit?« Er nahm die linke Hand seines Patienten und fühlte konzentriert den Puls.

»Vata«, diktierte er kurz und bündig.

»Ich wollte einmal so richtig ausspannen und etwas Gutes für mich tun.«

»Sie haben Probleme mit Ihrer Leber.« Für einen kurzen Augenblick hielt er inne und horchte in sich hinein. »Und vor allem mit Ihrem Magen, Krämpfe und saures Aufstoßen.«

Bass erstaunt nickte David. Der Kerl hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Seine beiden Schwachpunkte, sollte sie der Arzt wirklich nur anhand dieser schnellen Pulsdiagnose herausgefunden haben? Tatsächlich musste es so sein, denn Informationen über seine Krankheiten hatte David absolut niemandem weitergegeben.

Ein Vata-Typ war er also.

Die ayurvedische Gesundheitslehre unterschied grundsätzlich zwischen drei verschiedenen »Doshas«, drei Grundkonstitutionen des Menschen:

Vata war der Luft und dem Äther zugeordnet, Kapha dem Schleim und der Erde, Pitta dem Feuer und dem Wasser. Diese drei Elemente mussten im menschlichen Körper zu ausgeglichenen Teilen vorhanden sein, dann war der Mensch gesund. Herrschte eines der Doshas vor oder war es zuwenig stark vertreten, konnten Krankheitssymptome entstehen. Soviel wusste er bereits.

»Was heißt das nun für mich, wenn ich ein Vata-Typ bin?«, hakte er nach.

Dr. Amarasinghe lächelte vielsagend, wie es nur Asiaten können. »Dass Sie sich uns anvertrauen werden.«

David sah ihn fassungslos an. War das eine medizinisch fundierte Antwort? Sollte er dafür um die halbe Welt gereist sein?

»Sie werden heute mit den Behandlungen beginnen. Bei der nächsten Konsultation werde ich eine speziell angefertigte Kräutermedizin für Sie mitbringen. Verzichten Sie darauf, während der Kur im Meer zu baden. Essen Sie nur Nahrung, die Ihrem Dosha entspricht. Trinken und duschen Sie ausschließlich heiß, nie kalt. Heute Nacht werden wir mit Ihnen eine Darmreinigung durchführen. Haben Sie noch Fragen?«

Natürlich hatte er noch Fragen, Hunderte. Aber der Arzt machte ein Gesicht, als ob er keine Lust hätte, weitere zwei Stunden für ihn aufzubringen.

»Nein, alles klar.« Überhaupt nichts war klar. David stand auf und ging zur Tür.

»Mister Meyer!«, winkte ihn Dr. Amarasinghe zurück. Er diskutierte leise mit seinen Assistenten.

»Darf ich nochmal Ihre Zunge sehen?«

Gehorsam streckte David sie heraus. Der Doktor untersuchte sie eingehend, murmelte daraufhin aufgeregt ein paar Worte in singhalesisch zu einer verschüchterten jungen Ärztin, die alles geflissentlich in ein kleines kariertes Schulheftchen notierte.

Hatte er etwas Schlimmes entdeckt? David war unwohl. »Etwas nicht in Ordnung?«, wagte er nachzufragen.

»Nein, nein«, beschwichtigte ihn der Arzt. »Alles in bester Ordnung. Vertrauen Sie uns.«