Der Schrei des Nachtvogels - Jessica Rosenberg - E-Book

Der Schrei des Nachtvogels E-Book

Jessica Rosenberg

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Beschreibung

Luisa Schneider ist sofort Feuer und Flamme, als sie das Haus ihrer Großeltern erbt. Daraufhin beendet sie ihre unglückliche Beziehung und verlässt die gemeinsame Wohnung, um ein neues Leben im norddeutschen Erlenbach zu beginnen. Doch kurz nach ihrem Einzug, wird sie von seltsamen Träumen heimgesucht. Darin erlebt sie Auszüge aus dem Leben einer jungen Frau namens Marie, die Ende des 18. Jahrhunderts lebte. Immer wieder bemerkt Luisa eine Eule, die immer dann anwesend zu sein scheint, wenn sie einen dieser Träume hat. Was hat es damit auf sich? Mit der Zeit kommen noch weitere Vorkommnisse dazu, die zunehmend bedrohlicher werden. So erfährt sie nach und nach von einem schrecklichen Geheimnis, dass jahrhundertelang in der Vergangenheit verborgen lag.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 1

Es war Ende Oktober und die Linden, die in regelmäßigen Abständen den Straßenrand säumten, leuchteten in goldener Herbstfärbung. Ein leichter Wind spielte in den Kronen. Luisa schlenderte an der Gemeindekirche vorbei. Das herabgefallene Laub raschelte unter ihren Boots. Suchend sah sich die junge Frau um und holte das Schreiben mit der Adresse aus ihrer Handtasche.

Am alten Hofpfad 15

Hier war sie richtig und bog nach links in eine ruhige Wohnstraße. Sie lief eine Zeitlang und als sie an Hausnummer 14 vorbeikam, stand sie vor ziemlich verwilderten Rhododendron. Neugierig ging sie näher heran. Dahinter befand sich ein kleines Wohnhaus, dass fast ein wenig, wie ein verwunschenes Hexenhäuschen aus dem Märchen wirkte. Man könnte meinen, es hielte sich hinter der wuchernden Botanik verborgen und würde langsam von der Welt vergessen werden.

Ein niedriger Metallzaun grenzte das Grundstück vom Gehweg ab. Dazwischen durchzog sich ein schmaler Steinplattenweg, der an zwei Treppenstufen endete. Diese führten zum überdachten Hauseingang hoch. Sie war gewollt, unauffällig durch das grün-weiß gefärbte Gartentor zu schlüpfen, um sich genauer umzusehen; blieb aber doch lieber auf dem Gehweg. Gerade hatte sie mit einem zufälligen Blick hinter sich eine Frau bemerkt. Neugierig stand diese am Küchenfenster des Hauses gegenüber und beobachtete sie recht unverhohlen. Sicher war sie diese eine übervorsichtige Nachbarin, die es so gut wie in jeder Straße gab, nahm Luisa belustigt an. Das Haus stand zwar leer, doch bevor die Dame am Ende vielleicht noch die Polizei verständigen würde, weil sie jemanden auf dem verlassenen Grundstück herumlungern sah, ließ sie es lieber bleiben. Und schließlich hatte sie noch nichts unterschrieben, um dieses Erbe wirklich anzutreten...

Sie war nur hier, um es sich anzusehen. Also wandte sie sich wieder zum Haus und ließ die Umgebung auf sich wirken. Es mochte äußerlich etwas heruntergekommen sein und nun zu Beginn der aufkommenden Dämmerung sogar etwas unheimlich aussehen, aber es übte trotzdem eine merkwürdige Anziehung auf Luisa aus. Vor ihrem inneren Auge stellte sie es sich im Sommer vor, wenn alles bunt und hell sein würde und der Rasen mit Gänseblümchen durchflutet, alles summen und zwitschern und die Bäume wieder sattes Grün tragen würden. Wobei sie beim Anblick der kahler werdenden Äste drum herum, die wie dürre Finger nach den Mauern zu greifen schienen viel Fantasie aufbringen musste.

Eine Weile stand sie da und schaute auf das Grundstück. Ein warmes Glücksgefühl breitete sich in ihrem Körper aus. Ehe sie sich umdrehte und sich losreißen konnte, zückte sie noch schnell ihr Smartphone und machte ein Foto. Beim Gehen blickte sie noch einmal zur anderen Straßenseite und stellte fest, dass die Dame sie noch immer beobachtete. Grinsend hob sie die Hand und winkte ihr überschwänglich zu. Sichtlich ertappt, wandte sich die Dame blitzschnell vom Fenster ab.

Bevor sie sich wieder auf den Weg zu ihrem Auto machte, schlenderte sie noch etwas durch die kopfsteingepflasterten, engen Gassen. Kleine Geschäfte, Cafés und andere Lokalitäten, reihten sich hier auf beiden Seiten entlang. Die Straßenlaternen verliehen mit ihrem Aussehen, dem gesamten Straßenbild pure Nostalgie. Hätten keine Autos am Straßenrand geparkt, hätte man glatt denken können, man wäre durch eine unbemerkte Zeitreise in den Anfang des 20. Jahrhunderts gelandet. Hier war es noch genauso, wie sie es in Erinnerung hatte. Als Kind war sie mehrere Male mit ihren Großeltern hier gewesen. Die Ausflüge waren ihr gut im Gedächtnis geblieben und gehörten mit zu den schönsten Erinnerungen ihrer Kindheit.

Damals hatten ihre Großeltern allerdings noch kein Haus hier besessen. Sie hatten es sich erst vor einigen Jahren gekauft, um ihre Sommer hier zu verbringen. Leider war es mit der Gesundheit ihrer Großeltern rapide bergab gegangen.

Nachdem ihr Großvater vor vier Jahren starb, war vor kurzem auch ihre Großmutter gestorben. Luisa hatte es nie geschafft, sie hier zu besuchen, weshalb sie das Haus weder kannte noch genau wusste, was auf sie zukommen würde.

Das bedauerte sie sehr.

In Kindheitserinnerungen schwelgend, setzte sie sich in ein Café und schaute dem Treiben draußen entspannt zu. Sie fragte sich wie so oft in den letzten Stunden ernsthaft, warum sie nicht viel früher wieder einmal hergekommen war.

Hier rückten all ihre Probleme in weite Ferne und fast fühlte es sich wie Nach-Hause-kommen an.

Es muss schön sein, hier zu wohnen, dachte sie, während sie an ihrem Schwarztee nippte und verträumt den Blick schweifen ließ. Luisa lehnte sich zurück und seufzte. Es war eine schöne Vorstellung, hier zu wohnen, doch ihr war klar, dass dieses Dorf vom Tourismus lebte und eine dauerhafte Wohnstelle sicherlich teuer war. Auch wenn sie gerade das große Glück hatte, etwas geerbt zu haben, sollte sie es sich gut überlegen.

Erst vor kurzem hatte ihre Mutter sie aufgeregt angerufen.

Sie teilte ihr mit, dass ihre Großeltern ihr laut des Testaments, eine große Geldsumme und noch dazu eine Immobilie hinterlassen hatten. Natürlich hatte sie Michael davon erzählt, der sofort Eurozeichen in den Augen bekommen hatte. Noch am gleichen Abend hatte er sich an seinen Laptop gesetzt und nach gehobenen Eigentumswohnungen mit teurem Schnickschnack, auf den er so stand, gesucht und verplante ihr Erbe schon anderweitig.

Vor ein paar Tagen hatte sich Luisa dann frei genommen und war hergefahren, um sich das Haus anzusehen. Außerdem brauchte sie ein wenig Zeit für sich selbst, um in sich hineinzuhorchen, was sie wollte. Schon seit langem überkamen sie immer mehr Zweifel an ihrer jetzigen Lebenssituation und auch das Wohnen in der Großstadt ödete sie immer mehr an. Lange wollte sie es sich nicht eingestehen, doch sie war weder mit ihrem Leben noch mit ihrer Beziehung glücklich.

Noch bevor die junge Frau das Café verließ, hatte sie sich schon entschieden, was sie tun wollte.

„Du hast sie ja nicht mehr alle!“, brüllte Michael. Sein stechender Blick traf Luisa wie ein Blitz. „Wir hatten doch schon Pläne, was wir mit dem Geld machen würden! Was ist mit der großen Eigentumswohnung und meinem neuen Mercedes? Wir hatten doch darüber gesprochen, bevor du gefahren bist!“

Luisa schaute ihm fest in die Augen. „Du hast Pläne damit gemacht! Es ist immer noch mein Geld. Mein Erbe.“

Sie war noch nicht einmal eine Stunde zu Hause. Schon jetzt fragte sie sich, warum sie überhaupt zurückgekommen war.

Wäre sie doch gleich dortgeblieben.

Michael machte eine verächtliche Geste. „Was meinst du, wie ich jetzt dastehe vor meinen Kollegen?!“

Luisa funkelte ihn an. Sie war sprachlos. Natürlich ging es ihm darum. Sie konnte sich bildhaft vorstellen, wie Michael vor seinen Kollegen damit geprahlt hatte. Vielleicht war er sogar so weit gegangen und hatte das Erbe ihrer Großmutter als Seines ausgegeben. Das war zwar nur eine Vermutung doch langsam, aber sicher traute sie dem Mann, mit dem sie nun seit Jahren zusammen war, so gut wie alles zu.

Ungeduldig sah Michael auf die Uhr. „Ich muss jetzt los, aber das letzte Wort ist noch nicht gefallen!“ Er hob den Zeigefinger, um seine Worte zu untermalen. Dann schob er sich an ihr vorbei und knallte die Haustür zu, sodass die Wände der Altbauwohnung erzitterten und eine Jacke von der Garderobe fiel.

Luisa ging in die Küche und goss sich einen Becher Kaffee ein. Damit stellte sie sich ans Fenster und sah gedankenverloren dem geschäftigen Treiben der Hamburger Innenstadt zu. Sie hatte ihrem Freund noch nicht konkret von ihrer Entscheidung erzählt. Etwas hielt sie noch zurück. Auf der Fahrt nach Hause, waren ihr erneut Zweifel gekommen und sie fragte sich, ob es nur die erste Euphorie war, die sie überkommen war, nachdem sie das Haus gesehen hatte. Eigentlich war es doch Irrsinn sich so ein Projekt aufzuhalsen und ihr Leben, ihre Arbeitsstelle von heute auf morgen aufzugeben, um allein in ein Haus einzuziehen. Aber auf der anderen Seite war ihr bereits seit längerem klar, nicht ewig in Hamburg leben zu wollen, sondern zurück aufs Land zu ziehen.

Bei diesen Überlegungen dachte sie nur an sich und das zeigte ihr, dass sie Michael eigentlich gar nicht mehr in ihrem Leben wollte. Davon mal abgesehen, wusste sie das er niemals die Stadt verlassen würde.

Sie selbst hatte mit 20 Jahren die Sehnsucht nach dem Stadtleben gepackt und so war sie, nachdem sie einen freien Platz in einer Wohngemeinschaft gefunden hatte, hergezogen. Kurz darauf hatte sie eine Ausbildung zur Bäckereifachverkäuferin begonnen. Nach ungefähr drei Jahren war ihr dann Michael auf der Geburtstagsparty ihrer Mitbewohnerin begegnet. Daraus wurde schnell mehr. Nach wenigen Monaten war sie dann aus ihrer Wohngemeinschaft aus - und bei ihm eingezogen. Jetzt nach über fünf Jahren, verstand sie selbst nicht mehr, was sie an ihm gefunden hatte. Er war selbstverliebt, egoistisch und alles musste nach seinen Wünschen geschehen. Luisa musste mitziehen. Was sie wollte, war ihm letztendlich egal. Vielleicht wollte sie es nicht wahrhaben, aber sie wusste es schon länger. Spätestens hatte sein Verhalten, nachdem er von ihrem Erbe erfahren hatte, sie wachgerüttelt und ihr die Augen geöffnet.

Mit einem letzten Zug leerte sie den Kaffeebecher und schüttelte den Kopf. „Was mache ich hier noch?“, sagte sie zu sich selbst und starrte auf ihren noch nicht ausgepackten Koffer neben der Haustür. Nach kurzem Zögern ging sie ins Schlafzimmer, kramte eine weitere Reisetasche vom Schrank hervor und schmiss ihre übrige Kleidung aus dem Kleiderschrank hinein. Nach einer erfrischenden Dusche, wanderten noch ein paar Dinge aus der Küche und dem Badezimmer in die Tasche. Nachdem sie alles im Kofferraum und auf dem Rücksitz ihres Autos verstaut hatte, ging sie noch einmal nach oben in die Wohnung, um ihr Notebook zu holen.

Bevor sie die Haustür nun komplett zuzog, kam ihr kurz der Gedanke, diese Aktion könnte vielleicht doch etwas unfair gegenüber Michael sein. Doch gleich verwarf sie den Gedanken wieder, als sie daran dachte, wie er sie behandelte.

Er hatte es nicht besser verdient. Sie musste direkt schmunzeln, als sie sich vorstellte, was für ein dummes Gesicht er machen würde, wenn er am Abend in die Wohnung zurückkam.

Wenn sie jetzt nicht auf ihr Herz hörte, würde sie es ewig bereuen. Dessen war sie sich sicher.

Es wurde dunkel und Luisa hatte gut die Hälfte der Strecke hinter sich, als ihr Handy in der Freisprechanlage aufblinkte und anfing, regelrecht wütend zu klingeln. Auf dem Display erschien, fast schon drohend, der Name Michael. Sie nahm ab und bemühte sich um einen ruhigen, gleichgültigen Tonfall.

„Ja?“

„Wo bist du?“, schepperte er ins Handy hinein.

„Nicht mehr da, wie du vielleicht bemerkt hast.“

„Was soll das heißen? Wann bist du zurück? Ich will mit dir reden.“, blaffte er sie an.

„Es gibt nichts zu reden, Michael. Ich habe oft genug versucht, mit dir zu reden. Außerdem bin ich nicht mehr in Hamburg. Und ich komme auch nicht mehr zurück.“, sagte Luisa mit fester Stimme.

Am anderen Ende schnaubte es verächtlich. „Was hast du denn vor? Bist du jetzt auf dem Weg in dein Kuhkaff und willst in diesen alten Kasten ziehen? Das ist doch nicht dein Ernst!“

„Das ist nicht dein Problem. Du merkst doch, dass wir nicht zusammenpassen. Wir sind doch beide erwachsen und wollen eben verschiedene Dinge im Leben.“, versuchte es Luisa weiterhin im ruhigen Ton.

„Ich übernehme irgendwann die Firma meines Vaters und du denkst wirklich, dass du jemanden findest, bei dem du es besser hast als bei mir?“

„Was hat denn das damit...“, Luisa hielt inne. Sollte sie sich auf eine derartige Diskussion einlassen?

„Weißt du was, Michael? Du begreifst überhaupt nicht, um was es mir geht. Ich bereue, dass ich dich nicht schon früher verlassen habe.“

„Ja ja, such dir in deinem Dreckskaff doch irgendeinen ungebildeten Bauern, der es dir richtig...“, da hatte Luisa schon aufgelegt.

Danach versuchte Michael sie noch drei weitere Male zu erreichen. Aber sie nahm nicht ab und stellte ihr Smartphone auf lautlos ein. Sie drehte das Radio auf und sang laut mit.

Ihre Laune war viel zu gut, als sie sich von ihrem frischgebackenen Exfreund versauen zu lassen oder auch nur noch ein Wort an ihn zu verschwenden. Sie schaute nach vorne und freute sich riesig auf das, was vor ihr lag.

Kapitel 2

3 Monate späterSchon aus der Entfernung schälten sich die ersten Gebäude aus dem Dunst des winterlichen Nebels heraus. Allem voran der Kirchturm, der im Herzen der kleinen Ortschaft auf einem hohen Erdwall über allen anderen Dächern thronte. Bei klarem Wetter war er bereits aus kilometerweiter Entfernung zu sehen. Luisa fuhr am Ortsschild vorbei, mit der dick gedruckten Aufschrift “Erlenbach“. Eine kleine Ortschaft, umgeben von Wiesen und Wald soweit das Auge reichte. Eine graue Wolkenmasse hing am Himmel, als der blaue Kleinwagen vorsichtig auf die schmale Einfahrt bog. Es war Januar und über Nacht hatte es angefangen, kräftig zu frieren. Auch am Nachmittag, stiegen die Temperaturen nicht über Null.

Langsam stieg Luisa aus dem Auto und versuchte, nicht auf den glatten Steinen auszurutschen. Mühsam hangelte sie sich um das Auto herum, zum Kofferraum. Ein kalter Wind zerrte dabei an ihren braunen Haaren. Zum Glück sind die Möbel schon seit letzter Woche hier, dachte sie erleichtert.

Nach dem überstürzten Auszug aus Michaels Wohnung, war sie erst bei ihren Eltern untergekommen. Kurz darauf hatte sie sich das Haus nochmal genauer angesehen und sich gänzlich dazu entschieden, dass Erbe anzutreten und einzuziehen. Ihre Eltern hatten sie in den letzten Wochen tatkräftig beim Umzug unterstützt. So hatte Luisa mit ihrem Vater bereits die wuchernden Büsche und Sträucher vor dem Haus etwas in Form gebracht. Damit sie überhaupt die Möglichkeit hatte, mit dem Auto auf der Einfahrt parken zu können, anstatt es am Straßenrand abstellen zu müssen.

Sie halfen ihr, zu tapezieren und die Möbel aufzubauen.

Diese hatte sie sich größtenteils gebraucht aus dem Internet besorgt. Alles, was ihr in Michaels Wohnung gehörte, war eine Kommode, die sie aus ihrem damaligen WG-Zimmer mitgebracht hatte. Und die konnte er mit Freuden behalten.

Ein Pappkarton mit etwas Geschirr und allerlei Kleinkram hatte sie heute Morgen noch von ihren Eltern abgeholt. Damit schlitterte sie etwas ungelenk die Stufen zur Haustür hoch. Im Flur wandte sie sich nach links, in die Küche und stellte den Karton auf dem Tisch ab. Sie atmete tief ein und ließ den Blick durch das Zimmer wandern. Es roch neu und frisch nach Farbe. Vor ein paar Tagen erst, hatte sie die dunklen Küchenschränke, in einem hellen Mintgrün gestrichen. Es verlieh dem Raum, wie Luisa fand, eine warme, gemütliche Note. Größtenteils standen die Möbel auch in den restlichen Räumen an ihrem Platz. Zuletzt hatte sie vor zwei Tagen den Schrank im Wohnzimmer gegenüber der Küche und das Bett im Obergeschoss, mit Hilfe ihres Vaters aufgebaut. Sie freute sich darauf, nach dem Umzugsstress der letzten Zeit, nun endlich den ersten Abend im neuen Zuhause gemütlich auf der Couch ausklingen zu lassen.

Im Erdgeschoss gab es neben Küche und Wohnzimmer noch ein kleines Badezimmer am Ende des Flurs, hinter der Treppe und gleich daneben einen klitzekleinen Durchgangsraum, wo sich eine Hintertür zum Garten befand. Den benutzte Luisa nun als Speisekammer, um nicht alles in der Küche lagern zu müssen. Ein Gefrierschrank und ein Regal mit Konserven und kalten Getränken, fand dort gerade Platz. Im oberen Stockwerk gab es zwei gleichgroße Räume. Luisa hatte sich in dem rechten Zimmer ein Schlafzimmereingerichtet. Von dem Dachfenster aus, konnte man direkt in den Garten sehen. Für den anderen Raum hatte sie zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Verwendung und wollte es erst mal als Abstellraum nutzen. Vielleicht richtete sie sich hier mit der Zeit eine Art Büro ein, wo sie Papierkram und Bücher lagern würde.

Ihr Blick fiel auf die Kiste mit Mineralwasser, die neben dem Kühlschrank stand und sie bemerkte ihren Durst. Sie schenkte sich ein Glas Wasser ein und setzte sich auf die Eckbank, an den Küchentisch. Gedankenverloren strich sie mit der Hand über das glatte Buchenholz und schaute aus dem Fenster. Draußen wehte kein Lüftchen. Der Frost hatte die Schneereste auf den Bäumen und Sträuchern zu Eis erstarren lassen, sodass die kahlen Pflanzen weißlich glänzten.

Auch auf der Straße vor dem Haus war alles ruhig. Nur eine Frau mittleren Alters, mit dicker Daunenjacke und Mütze, führte dort gemächlich ihren Hund Gassi.

Plötzlich schoss ihr in den Sinn, dass der Kofferraum in der Einfahrt noch offenstand. Eilig ging sie nach draußen zum Auto und schloss ihn. Als sie zum Haus blickte, durchflutete sie plötzlich Erleichterung. Sie war endlich angekommen. Ab jetzt konnte sie hierbleiben. Ihr zu Hause.

Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, sah sie sich um. Fast so, als müsste sie sich noch davon überzeugen, dass dieses Haus nun wirklich ihr gehörte und sie ab jetzt hier leben würde.

Gemauert war es aus Backstein und dunklen Dachziegeln.

Das Gestein war ausgeblichen und der Putz bröckelte bereits etwas. Das Dach war vor gut zehn Jahren erneuert worden. So gab es zum Glück keine undichten Stellen. Die Fenster waren ebenfalls erst vor ein paar Jahren ersetzt worden.

Luisa schlenderte den gepflasterten Weg um das Haus herum und kam auf die Terrasse, auf der man sich direkt im Schatten zweier Kirschbäume befand. Hier konnte man den gesamten Garten überblicken. Der war ebenfalls stark verwildert. Darum würde sie sich nach und nach kümmern, jetzt wo sie nicht mehr zwischen ihrem Elternhaus und hier pendeln musste.

Der Rasen bestand fast nur noch aus Moos. Vieles war längst eingegangen da das Unkraut, dass überall spross, alles überwuchert hatte. Auf der linken Seite waren in zwei Reihen ein Dutzend verschiedener Obstbäume gepflanzt worden. Die meisten von ihnen müssten gestutzt werden, sahen sonst aber noch recht gut aus. Aber das hatte noch Zeit und eilte nicht. Sie wandte sich um und ging zurück. Im Haus wartete noch genug Arbeit auf sie und mit den Umzugskisten war sie sicher noch die nächsten Tage beschäftigt.

Der nächste Morgen begann wieder grau und mit klirrender Kälte. Über Nacht musste es ununterbrochen geschneit haben, denn als Luisa aufwachte und die Zeitung ins Haus holen wollte, hatte sie Mühe, die Haustür zu öffnen. Der Wind hatte den Schnee vor die Tür geweht und diese regelrecht blockiert. Leicht missmutig zog sie Straßenschuhe an, um nicht in ihren Hausschuhen durch den Schnee waten zu müssen. Zähne klappernd schlang sie den Morgenmantel enger um sich. Wieder im Haus, kochte sie Kaffee und befüllte eine Schale mit Müsli. Beim Frühstück blätterte sie die Zeitung durch und landete irgendwann bei den Stellenanzeigen. Das Erbe ihrer Großmutter würde natürlich nicht ewig reichen und früher oder später musste sie sich einen Job suchen. Aber erst wollte sie richtig ankommen und sich einrichten. Schließlich wohnte sie erst seit gestern offiziell hier.

Den Rest des gestrigen Tages hatte sie den größten Teil des Geschirrs und andere Küchenutensilien ausgepackt und eingeräumt. Irgendwann am späten Abend, hatte sie sich auf die Couch gesetzt und den Fernseher eingeschaltet. Sie hatte zwar eine Weile durch die Sender gezappt, war aber so müde, dass sie nach einer heißen Dusche ins Bett gegangen war. Trotz ihrer Müdigkeit hatte sie eine Zeitlang gebraucht, um einzuschlafen. Auch in der Nacht war sie noch mehrere Male aufgewacht, da sie merkwürdig geträumt hatte. Einmal war sie sogar mit Tränen in den Augen wach geworden. Sie vermutete, dass ihr die plötzliche Trennung von Michael und der übereilte Wohnwechsel vielleicht unterbewusst mehr zu schaffen machte, als sie dachte. Jetzt jedenfalls fühlte sie sich wie gerädert. Gähnend sah sie aus dem Fenster und nahm den letzten Schluck aus der Kaffeetasse.

Bevor ich irgendwas im Haus anfange, sollte ich mich erst mal um den Schnee kümmern, dachte sie und überlegte, ob es hier irgendwo eine Schneeschippe gab.

Bestimmt muss ich noch in den Baumarkt und eine besorgen, dachte sie grimmig.

Doch sie hatte Glück. Neben der Terrasse hinter dem Haus, gab es einen schmalen Verschlag, wo neben ein paar anderen Gartenutensilien, noch eine alte Schneeschippe in der Ecke stand. Damit machte sie sich daran, die Einfahrt vom Schnee zu befreien.

Kaum war sie damit fertig, trat sie unbemerkt direkt auf eine gefrorene Eisfläche. Sie kam ins Rutschen und bemühte sich, das Gleichgewicht zu halten. Aber es war zu spät. Im nächsten Moment landete sie schon unsanft auf den Hintern.

Leise fluchend versuchte sie, sich wieder aufzurappeln. Als sie noch hoffte, von niemandem gesehen worden zu sein, hielt ihr bereits ein junger Mann seine Hand hin. Luisa lief knallrot an und schlug sich die Hand vor die Augen, bevor sie sich von ihm aufhelfen ließ.

„Oh Gott, wie peinlich...“, stammelte sie und wollte gerade noch etwas hinzufügen, als ihr Gegenüber ihr über den Mund fuhr. „Luisa? Ich werd verrückt! Du bist es doch, oder?“

Luisa sah erst jetzt auf und musste überlegen. Vor ihr stand ein junger Mann. Sie schätzte ihn auf Ende Zwanzig, etwa in ihrem Alter. Feine Schneeflocken waren ihm ins dunkle Haar gerieselt und schmolzen dort langsam. Erwartungsvoll lächelnd schaute er sie mit seinem Dreitagebart an. Schlagartig fiel es ihr wie Schuppen von den Augen.

„Jendrik?“, fragte sie ungläubig und sah den frechen, kleinen Kerl vor sich, den sie einmal gekannt hatte. Vor ihr stand ihr bester Freund aus Kindertagen.

Er nickte und sie starrten einander völlig baff an.

Jendrik fand als erster seine Sprache wieder. Er rang mit den Armen und fragte verblüfft: „Was...wie kommst du hier her?“

„Ich wohne hier...seit gestern erst offiziell eingezogen.“, antwortete sie aufgeregt. „Aber wie bist du hier gelandet?“

Gut zwei Stunden später saßen sie in Luisas Wohnzimmer auf der Couch, tranken heißen Cappuccino und erzählten sich von den vergangenen sechzehn Jahren. Über die gemeinsame Zeit in der Grundschule, was in all der Zeit danach passiert war und darüber, wie ihr Leben heute aussah.

Jendriks Eltern hatten sich damals getrennt und er musste mit seiner Mutter zu ihrem neuen Freund nach Hannover ziehen. So war der Kontakt zwischen ihm und Luisa allmählich abgerissen. Sein Vater, ein gelernter Gärtner, hatte allerdings einige Jahre nach der Scheidung hier in Erlenbach einen eigenen Betrieb gegründet. Jendrik war vor ein paar Jahren mit eingestiegen und so ebenfalls hergezogen. Mittlerweile leitete er die Gärtnerei mit seinem Vater zusammen.

Unfreiwillig wurde sie dadurch an Michael erinnert, dessen Vater eine eigene Softwarefirma hatte. Und mit der ihr Exfreund immer so prahlte. Schnell schob sie den Gedanken beiseite.

„Da haben wir jahrelang kein Lebenszeichen voneinander gehört und dann treffen wir uns ausgerechnet hier wieder.“

„Und das auch nur, weil du es für eine gute Idee gehalten hast, im richtigen Moment auszurutschen.“, lachte er. „Sonst hätte ich dich sicher nicht erkannt und wäre einfach vorbeigegangen.“

Luisa schaute ihn von der Seite an und grinste kopfschüttelnd.

„Was denn?“, fragte Jendrik.

„Ich kann es einfach nicht fassen, was aus dem kleinen, frechen Jungen mit den schiefen Zähnen geworden ist. Ist Chef einer Gärtnerei und scheucht die Angestellten durch die Gegend.“, neckte sie ihn.

„Mmh“, machte er. „Chef bin ich zwar noch nicht ganz, aber der Rest stimmt.“, erklärte er und setzte dabei eine gespielt wichtige Miene auf.

Luisa lachte. Seinen Humor hatte er im Laufe der Jahre jedenfalls nicht verloren.

Sie plauderten noch eine ganze Weile miteinander, bis es draußen bereits dämmerte und sich die Straßenlaternen anschalteten. Luisa hatte lange nicht mehr so viel Spaß gehabt und nach all dem Umzugsstress der letzten Wochen, war ihr dies eine willkommene Abwechslung. Fast war es ein bisschen wie früher, so als hätten sie sich nie aus den Augen verloren. Nur, dass sie keine Kinder mehr waren.

„Wie sieht´s denn eigentlich so Job mäßig bei dir aus?“, fragte Jendrik irgendwann.

„Im Moment lebe ich von dem Erbe meiner Großmutter und Erspartem. Aber ich sollte in nächster Zeit anfangen, mir etwas zu suchen.“, antwortete Luisa.

„Britta sucht noch jemanden.“

„Okay...“, Luisa wartete, bis er weitersprach.

„Ihr gehört die Gaststätte auf der anderen Seite der Kirche, neben der Bank. Gaststätte “Zur Bohne“.“, erklärte Jendrik und zeigte mit dem Daumen in die vermeintliche Richtung.

„Sie ist vielleicht etwas aufbrausend, aber wenn man sie besser kennt, ist sie wirklich eine Nette. Und du hättest es nicht weit zur Arbeit. Sind vielleicht fünf Minuten Fußweg von hier aus. Ich meine, selbst wenn es nur vorübergehend wäre, hättest du erst mal was.“

Luisa überlegte. „Das klingt interessant.“, erwiderte sie und nahm einen Schluck aus ihrer Tasse.

„Gib mir mal deine Nummer. Wir sollten auf jeden Fall in Kontakt bleiben.“, schlug Jendrik etwas später vor, obwohl das bei beiden sowieso außer Frage stand.

„Klar das sollten wir...Moment.“, antwortete Luisa.

Sie ging zum Küchentisch und kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Smartphone. Sie konnte sich ihre eigene Nummer einfach nicht merken!

Gerade wollte sie anfangen, ihm sie zu diktieren. Auch Jendrik hatte sein Smartphone aus der Hosentasche gezogen, aber anstatt sich auf Luisas Nummer zu konzentrieren, verdunkelte sich seine Miene. Sie konnte erkennen, dass er eine Nachricht las. Dann seufzte er.

„Was ist denn los?“, fragte sie verdutzt.

Er schaute kurz hoch. „Meine Freundin.“, murmelte er knapp und sah weiterhin auf das Display.

„Oh.“, machte Luisa nur. Damit hatte sie nicht gerechnet.

Schließlich hatte er bislang noch nicht einmal erwähnt, dass er in einer Beziehung war. Irgendwie erwischte sie das jetzt kalt.

„Tut mir leid, Luisa. Ich muss jetzt los.“, sagte er und stand auf.

„Ist alles in Ordnung?“, fragte Luisa besorgt.

„Ja...geht schon. Es ist im Moment etwas schwierig.“, erklärte er knapp.

Er zog sich seinen Wintermantel über und Luisa brachte ihn zur Haustür.

Dabei überlegte sie, ob sie ihn nochmals nach der Handynummer fragen sollte. Jetzt kam es ihr in dieser Situation, seltsam unpassend vor. Ehe sie sich aber entscheiden konnte, wie sie sich verhalten sollte, drehte Jendrik sich um und lächelte sie an.

„War wirklich ein schöner Nachmittag. Ich freue mich wirklich, dass wir uns wiedergesehen haben und vor allem das du jetzt in der Nähe wohnst.“ Damit nahm er ihr das Smartphone aus der Hand und tippte seine Nummer ein. „Lass mal von die hören.“

„Natürlich.“, erwiderte Luisa und lächelte warm.

Sie sah ihm nach, wie er den Steinweg zum Gehweg entlangging und dann nach rechts, hinter den Büschen verschwand. Währenddessen fing es wieder an zu schneien. Die ersten Schneeflocken tanzten bereits in der Luft. Fröstelnd trat sie ins Haus zurück und zog die Haustür zu.

Kapitel 3

Als Luisa an diesem Morgen die Vorhänge ihres Schlafzimmerfensters zurückzog, schirmte sie schützend ihre Augen ab. Die Sonne hatte den Weg durch die grauen Wolken gefunden und ließ den frischen Schnee, grell erleuchten.

Mit guter Laune stieg sie die Treppe runter und kochte sich wie gewohnt erst mal einen Kaffee. Im Kopf ging sie durch, was sie für diesen Tag plante. Sie hatte sich vorgenommen, die Türrahmen im Flur weiß zu streichen. Aber zuerst wollte sie bei diesem schönen Wetter eine Runde joggen gehen.

Vor der Tür schlug ihr klirrende Kälte entgegen, die ihr regelrecht auf der Gesichtshaut stach. Nach kurzer Zeit gewöhnte sie sich aber daran und sie joggte sich warm. Sie genoss die reine, frische Luft und atmete tief ein. Die Ruhe hier, war mit dem hektischen Gewimmel und dem Verkehrslärm fast rund um die Uhr in der Stadt nicht zu vergleichen.

Dort war zwar immer was los, doch Luisa hatte nach fast acht Jahren genug davon. In den letzten Wochen hatte sie es nicht einmal bereut, Hamburg den Rücken gekehrt zu haben. Ganz im Gegenteil. Ihr kam das Leben, was sie dort noch vor kurzem geführt hatte, wie das einer anderen Person vor.

Michael hatte in den ersten Wochen immer wieder angerufen. Seine Gesprächsversuche waren über Liebesbekenntnisse, wie sehr sie ihm fehlte, bis hin zu Beschimpfungen übergegangen. Einmal erzählte er sogar, er hätte vorgehabt ihr einen Heiratsantrag zu machen, bevor sie ihn in dieser Nacht und Nebelaktion, wie er es nannte, verlassen hatte.

Auf nichts ging sie ein. Längst hatte sie verstanden, wie er tickte. Es ging ihm um sich, womöglich schämte er sich vor seinen Kollegen oder es ging ihm letztendlich sogar nur um ihr Erbe. Irgendwann wusste er nicht mehr weiter und hatte damit begonnen, beleidigend zu werden. Als sie aufgelegt und seine weiteren Anrufe ignoriert hatte, war der Terror per SMS weiter gegangen. Sie war drauf und dran gewesen, sich eine neue Handynummer zu zulegen, aber seit fast vierzehn Tagen war endlich Ruhe. Sie hoffte, dass er es endlich verstanden hatte.

Sie joggte zwei Runden um die Kirche herum und hing ihren Gedanken nach. Als sie an einem unscheinbaren, kastenförmigen Gebäude neben der Bank vorbeikam, blieb sie stehen. Es stand etwas schräg zur Straße hin und unterhalb des Dachs war eine Inschrift des Erbauungsjahres 1860 angebracht. “Zur Bohne“ stand auf dem grasgrünen Aushängeschild in weißer, geschnörkelter Schrift. Das war die Gaststätte, von der Jendrik ihr erzählt hatte.

Wo ich schon mal hier bin, überlegte sie nicht lange und zog die alte, hölzerne Eingangstür auf. Drinnen war es wohlig warm. Ein Geruch von Zigarettenqualm und frischem Kaffee umhüllte sie. Nur ein Tisch wurde von einem älteren Mann und einer Frau besetzt, die sich angeregt unterhielten. Zwei dampfende Tassen Kaffee standen vor ihnen.

Geradeaus auf der linken Seite befand sich der langgezogene Tresen, dahinter eine beleuchtete Wand mit allerlei Spirituosen und Gläsern aller Art.

Eine junge Frau, um die Dreißig, lehnte über der Theke und notierte etwas auf einem Notizblock. Sie trug einen schwarz – weiß gestreiften, eng geschnittenen Pullover und einen schwarzen Schal. Ihr schwarzes Haar fiel ihr dabei über die Schulter. Sie schien gar nicht zu bemerken, dass Luisa hereingekommen war.

„Hallo.“, sagte sie und trat an den Tresen heran.

Da sah die Frau auf, blickte sie aus dunkel geschminkten Augen an und erwiderte ihren Gruß.

„Könnte ich ein Mineralwasser bekommen?“

„Klar, sofort.“ Die Frau griff einmal unter den Tresen und holte eine Flasche Wasser hervor. Sie musterte Luisa. „Ich habe dich hier noch nie gesehen. Machst du Urlaub hier?“,

fing sie sofort Smalltalk an.

„Ähm...nein.“, erwiderte Luisa im ersten Moment etwas überrumpelt. „Tatsächlich wohne ich hier seit Kurzem.“

„Ah. Cool.“, sagte ihr Gegenüber. „Von wo kommste denn, wenn ich fragen darf.“

„Klar. Ich habe in den letzten acht Jahren in Hamburg gelebt.“, antwortete Luisa und lächelte.

Die Frau machte große Augen. „Hamburg? Was hat dich denn dazu gebracht, in dieses verschlafene Nest zu ziehen?

Vor allem zu dieser Zeit ist hier doch nichts los.“

Luisa lachte auf. Unrecht hatte sie nicht. Jetzt im Winter, wo es kaum Touristen gab, war hier wirklich nicht viel los. Doch das störte sie nicht. Ganz im Gegenteil, sie genoss diese Ruhe.

„Glaub mir, wenn du da wohnst, kann dir die Stadt und der Lärm irgendwann ziemlich auf die Nerven gehen.“, erklärte sie.

Die Frau kräuselte die Lippen. „Hast vermutlich Recht. Aber es muss doch schon eine ganz schöne Umstellung sein.“

So kam Luisa weiter mit ihr ins Gespräch und sie plauderten einige Zeit, während sie ihr Wasser trank.

„Ich bin auch nicht ganz zufällig hier.“, sagte Luisa irgendwann. „Ich habe gehört, ihr sucht noch jemanden.“

Die Frau legte den Notizblock beiseite. „Ja, das stimmt.“ Ihr Blick hellte sich auf.

Von irgendwo war das Aufheulen eines Motors zu hören.

Die Frau wandte sich um und spähte in einen langen Flur.

„Warte mal kurz. Der Getränkelieferant kommt gerade. Ich bin gleich wieder da, nicht weggehen.“, erklärte sie grinsend mit erhobenem Zeigefinger. Dann verschwand sie durch eine weiße Metalltür.

Luisa setzte sich auf einen der weinrot gepolsterten Barhocker und blickte sich um. Nostalgisch aussehende Hängelampen mit grünem Schirm, hingen über den Tischen und ließen das lackierte, dunkle Eichenholz im schummrigen Licht glänzen. Die Wände waren zur Hälfte mit Holz vertäfelt.

Nur die Wand gegenüber nicht. Dort zierte eine hübsche Wandmalerei den Raum.

Ein sommerliches Feld mit einer Mühle im Hintergrund war darauf abgebildet. Vorne im Bild saßen zwei Feldarbeiter im Heu, hielten jeweils eine Flasche Bier in der Hand und prosteten sich fröhlich mit roten Gesichtern zu.

Ansonsten waren die Wände mit verschiedenen Vereinsabzeichen übersät. Links neben dem Tresen führte eine geöffnete Schiebetür in einen zweiten Raum. Dort standen zwei Billardtische und eine Dartscheibe hing an der Wand. Rechts von ihr stand eine uralte Jukebox, wahrscheinlich aus den Fünfzigern.

Wenn das Teil noch ein Original ist, muss es ein kleines Vermögen gekostet haben, dachte Luisa bei sich.

Sie hörte Gepolter irgendwo im Gang hinter der Metalltür.

Die Frau kam zurück.

„Einen schicken Laden habt ihr hier.“, bemerkte sie.

Die Frau lachte. „Mhm. Vielleicht ein bisschen in die Jahre gekommen, aber wart´s ab, wenn hier am Wochenende Hochbetrieb ist.“

Luisa lächelte. „Ich bin außerdem Luisa. Luisa Schneider.“

„Britta Meyer.“, stellte sich die Frau vor und gab ihr kurz die Hand.

„Dann bist du auch die Inhaberin.“, stellte Luisa fest.

„Ganz genau. Wie hast du eigentlich von dieser freien Stelle erfahren?“, möchte Britta wissen. „Ich hatte noch gar keine Anzeige geschaltet.“

Luisa nippte an ihrem Mineralwasser. „Jendrik hat mir davon erzählt.“

„Ah, natürlich. Mit ihm habe ich darüber gesprochen. Meist verbreitet sich ja hier alles, wie ein Lauffeuer.“, grinste Britta.

Dann stellte sie ein paar Fragen zu ihrem beruflichen Werdegang und hakte hier und da genauer nach. Luisa beantwortete ihre Fragen ausführlich.

„Arbeitet noch jemand hier?“, fragte Luisa.

„Ja da wäre noch Peter, der hat diese Woche aber Urlaub.

Der ist meist in der Küche. Und Larissa, eine Studentin hilft am Wochenende aus.“, antwortete Britta. Tja und das war´s auch schon. Es gab noch jemanden, aber die musste leider gehen.“, fügte sie noch hinzu und rollte mit den Augen.

„Ich nehme an, sie ist der Grund, warum du jemanden suchst. Weil sie gehen “musste“.“, stellte Luisa schmunzelnd fest und zeigte mit den Fingern Gänsefüßchen.

Britta lehnte sich über den Tresen. „Wenn ich noch einmal hätte mit ansehen müssen, wie die sich mit dem Flaschenöffner abquält und sich dabei ihre verdammten, künstlichen, viel zu langen Fingernägel abbricht, hätte ich sie an ihren tot blondierten Haaren nach draußen geschliffen und sie auf der Stelle erwürgt!“

Luisa prustete los. „So schlimm?“

„Schlimmer! Und wenn es nur Die gewesen wäre!“, antwortete Britta und schlug die Hände vors Gesicht. „Viel zu oft frage ich mich ernsthaft, warum sich diese Leute bei mir bewerben.“

Die beiden Frauen wurden sich immer sympathischer und so wurde auch das Gespräch mit der Zeit persönlicher. Luisa erfuhr zum Beispiel, dass die Gaststätte früher Brittas Mutter gehört hatte. Vor fünf Jahren hatte die aber, mit Brittas Worten, „die Midlife-Crisis befallen und einen Vollidioten namens Ernesto kennengelernt, mit dem sie Hals über Kopf nach Spanien abgehauen ist und nun in irgendeinem Kaff namens El Palmar de Verjer an der Costa de la Luz wohnte.“

So hatte Britta die Gaststätte übernommen und führte sie seitdem.

„Gut. Ich wüsste nicht, warum du hier nicht anfangen solltest. “, verkündete Britta irgendwann.

„Das würde mich wirklich freuen!“, antwortete Luisa.

„Von mir aus kannst du morgen mal zum Probearbeiten kommen. Dann machen wir auch gleich den schriftlichen Kram. Ich brauche auf jeden Fall ein gültiges Gesundheitszeugnis von dir.“

„Sehr gerne. Kriegst du.“, erwiderte Luisa.

Nach kurzer Pause fragte Britta: „Nur so aus Neugier: In welche Ecke hat´s dich denn verschlagen?“

„In die Straße “Am alten Hofpfad“. Da habe ich das Zweithaus meiner Großeltern geerbt.“

Britta nickte. „Ah ja, meine Tante wohnt in der Straße. Ganz in der Nähe des ehemaligen Brunsteinhofs also.“

Luisa spürte schlagartig ein Ziehen in der Magengegend, nachdem Britta diesen Namen ausgesprochen hatte. Verwirrt runzelte sie für einen Moment die Stirn. Da sie diese Reaktion nicht einordnen konnte, schob sie ihn achtlos beiseite.

„Noch nie davon gehört. Was ist das? Irgendein altes Gebäude, das heute ein Museum ist?“, fragte Luisa.

Britta sah sie mit großen Augen an. Fast so, als könnte sie nicht glauben, dass Luisa keinen Schimmer hatte, wovon sie sprach.

„Nein, es steht schon ewig nicht mehr. Seit gut Zweihundert Jahren ungefähr. Aber einige Mauerreste sind noch übrig und eine Infotafel steht am Wegrand.“

Nun wurde Luisa doch etwas neugierig. Wenn sie mal spazieren ging, wäre das sicherlich ein tolles Ziel, um sich dort mal umzusehen.

„Klingt interessant. Wo ist denn das genau?“

„Das ist ganz easy. Am Ende deiner Straße zwackt links ein langer Wanderweg ab, der irgendwann in den Wald führt.

Einige hundert Meter vor dem Waldrand, kommst du an der Tafel vorbei. Ist gar nicht zu verfehlen.“, erklärte Britta ihr.

Dann beugte sie sich verschwörerisch nach vorne und fügte mit gedämpfter Stimme hinzu: „Aber pass auf. Da soll es nicht immer mit rechten Dingen zugegangen sein. Vor allem die älteren Leute erzählen davon. Viele wollen da manchmal eine Frau gesehen haben.“ Sie grinste breit.

Luisa seufzte. „Super. Und das ganz in meiner Nähe. Danke, jetzt werde ich die nächsten Nächte gut schlafen können.“,

erwiderte sie ironisch und schmunzelte.

„Ach komm, so eine kleine Geistergeschichte peppt doch jeden Ort ein bisschen auf.“, entgegnete Britta augenzwinkernd. „Und außerdem wurde da schon ewig nichts mehr gesehen. Aber man kann ja nie wissen.“ Wieder zwinkerte sie ihr geheimnisvoll zu.

An dem besetzten Tisch hob ein Gast die Hand und wollte zahlen.

„Ich muss dann mal. Dann würde ich sagen, wir sehen uns morgen Abend.“, schlug Britta vor.

„Bis Morgen. Vielleicht sollte ich vorher nochmal ins Nagelstudio gehen.“, witzelte Luisa in Anspielung auf ihre, bei Britta unliebsame Vorgängerin.

Britta lachte und hob drohend den Finger. „Vorsicht. Ganz ganz dünnes Eis.“

Der Vormittag ging in den Nachmittag über. Das Wetter war immer noch sonnig und so hatte Luisa keine besonders große Lust, den einen der wenigen schönen Tagen zu dieser Jahreszeit, im Haus zu verbringen. Niemand drängte sie und die Türrahmen konnte sie auch später oder morgen noch streichen. Sie nahm sich vor, solange es noch hell war, den Feldweg neben ihrem Haus entlangzugehen. Britta hatte sie zugegebenermaßen ziemlich neugierig gemacht. Es musste doch ein bedeutungsvoller Ort im Dorf sein, wenn dafür eine Infotafel aufgestellt wurde, nahm Luisa an. Und noch dazu nicht weit von ihrem neuen zu Hause entfernt. Da könnte sie spontan einen Blick riskieren. Also machte sie sich, nachdem sie sich zum Mittagessen eine schnelle Pilzpfanne mit Reis gekocht und gegessen hatte, auf den Weg.

Die erste Strecke des Weges war noch gepflastert, dann ging er allmählich nahtlos in einen sandigen Feldweg über.

Die Büsche ihres eigenen Gartens und der Zaun, der das Grundstück zu ihrer Rechten abgrenzte, wurden von weitläufigen Feldern und Weiden abgelöst, durch die sich der Weg wie eine Schneise zog. Irgendwann wurde er breiter und unebener. Dann zweigte er sich nach rechts ab. Von dort aus, vermutete Luisa, war der Weg sicher an der Hauptstraße angeschlossen, damit die Landwirte mit ihren Traktoren die Weiden erreichen konnten. Luisa spazierte weiter gerade aus. Vor ihr lag in der Ferne der Wald.

Der Pfad wurde wieder schmaler und schien ab hier bis zum Waldrand mit Streusplitt ausgelegt zu sein. Sie hielt die Augen offen. Hier irgendwo musste es sein. Immer mehr Bäume säumten den Weg. Dann entdeckte sie links in einiger Entfernung eine Holzbank, mit wenigen Metern Abstand zum Weg. Als sie näherkam, sah sie auch die gesuchte Infotafel. Neugierig warf sie einen Blick darauf.

Ehemaliger Standort des Gulfhofs der Familie Brunstein. Erbaut wurde der Hof 1675 von Harbert Brunstein, einem wohlhabenden Bauern. Es war bis zum Brand um 1800 im Besitz seiner Nachfahren. Teile der Außenmauern sind noch heute sichtbar. Auch einige Obstbäume stehen noch und waren mit großer Wahrscheinlichkeit, Bestandteil des Gartens zu Lebzeiten der Brunsteins.

Darüber war eine Zeichnung abgebildet, die zeigte, wie der Hof damals vermutlich ausgesehen haben könnte. Luisa sah wieder auf. Leider hatte die Gemeinde die Vegetation scheinbar lange sich selbst überlassen, anstatt diesen Ort zu pflegen und für freie Sicht zu sorgen.

Sie lief ein Stück weiter und stieß auf so etwas wie einen Trampelpfad. Schnell musste sie aber feststellen, dass es sich dabei nur um eine schmale Lücke zwischen den unzähligen Sträuchern handelte. Sie ging trotzdem weiter. Plötzlich hatte sie ein unnachgiebiges Verlangen danach, sich hier genauer umsehen zu wollen. Sie liebte solche Plätze mit geschichtsträchtiger Vergangenheit.

Einige Schritte weiter, entdeckte sie vor sich einige alte, kaputte Steine. Beim näheren Hinsehen erkannte sie, dass sie aufeinander gemauert waren. Das mussten die Überreste des einstigen Hofes sein. Luisa umrundete sie einmal. Viel war wirklich nicht mehr übrig, was im Anbetracht der Zeit aber auch nicht verwunderlich war. Wahrscheinlich war es nur Glück, dass heute überhaupt noch etwas zu finden war.

In einiger Entfernung konnte sie ein paar krumme, knorrige Bäumchen entdecken, die stark nach Apfel – und Birnenbäume aussahen. Vor ihrem inneren Auge sah sie die Knechte und Mägde, wie sie im Spätsommer mit Körben ausgerüstet und mit Leitern an den Baumstämmen lehnten, um das Obst zu ernten. Verträumt setzte sie sich auf eines der verbliebenen Mauerteile und ließ den Ort auf sich wirken. Er strömte auf seltsame Art und Weise etwas Vertrautes aus. Dann schloss sie die Augen und atmete tief die frische Luft ein. Sie hob den Kopf und drehte das Gesicht zur Sonne, die ihre Haut zaghaft wärmte. Völlige Ruhe überkam sie und sie entspannte sich. Einfach ihren Gedanken nachhängend, saß sie da.

Plötzlich öffnete sie erschrocken die Augen. Sie blinzelte ins grelle Licht. Ihr Herz klopfte unangenehm schnell. War sie etwa eingeschlafen? Verwirrt sah sie sich um. Ihr fiel auf, dass die Sonne bereits ein ganzes Stück nach Westen gewandert war. Sie musste mindestens eine halbe Stunde hier gesessen haben.

Oh man, Lu. Die letzten Wochen müssen dir ja doch ziemlich zugesetzt haben.“, sagte sie kopfschüttelnd zu sich selbst.

Ihr Blick fiel auf ihre Hände, die völlig mit Erde verschmutzt waren. Verwundert hielt sie inne. Der Dreck war sogar unter ihren Fingernägeln, sodass man meinen könnte, sie hätte mit bloßen Händen gegraben. Ungläubig sah sie um sich herum auf den Boden. Es war nichts zu sehen. Stirnrunzelnd stand sie auf und ging langsam zurück zum Weg. Bestimmt hatte sie in irgendetwas rein gegriffen, als sie sich vorhin den Weg durch die Sträucher gebahnt hatte, ohne es zu merken.

Luisa drehte den Wasserhahn in der Küche auf und säuberte die Pinsel. Nachdem sie wieder zu Hause war, hatte sie sich dazu entschieden, doch noch die Türrahmen zu streichen.

Jetzt war es bereits spät am Abend. Sie war so konzentriert gewesen, alles gleichmäßig und sauber zu streichen, dass sie kaum bemerkt hatte, wie es dunkel geworden war. Aber nun betrachtete sie zufrieden das Ergebnis.

Nach einer heißen Dusche ließ sie sich entspannt auf die Couch fallen und schaltete den Fernseher ein. Nebenbei schrieb sie eine Nachricht an Jendrik, in der sie ihm berichtete, dass es mit dem Job geklappt hatte und bedankte sich bei ihm. Eigentlich hatte sie vorgehabt, ihn anzurufen, aber da sie vorhin die Zeit völlig vergessen hatte, schrieb sie ihm nun. Schließlich war es mitten in der Woche und es bestand die Möglichkeit, dass er um diese Zeit schon schlief.

Einige Zeit schaute sie in den Fernseher, bis ihr die Augen schwer wurden. Sie wollte ins Bett gehen, aber stattdessen kuschelte sie sich noch etwas weiter in das Couchkissen und fiel in einen Halbschlaf. Sie hörte noch leise, wie aus weiter Ferne, den Fernseher.

Plötzlich klingelte ihr Smartphone los und holte sie wieder in den Wachzustand zurück. “Jendrik“ stand auf dem Display.

„Hey.“, meldete sich Luisa etwas verschlafen und rieb sich die Augen.

„Hallöchen. Es hat geklappt?“, tönte es aus der Leitung.

„Ja. Ich habe morgen Nachmittag meinen ersten Probearbeitstag.“, antwortete Luisa.

„Das hört sich gut an. Du hast hier wirklich schnell Fuß gefasst.“, sagte er fröhlich.

„Ja, schon. Aber natürlich auch dank dir.“

„Natürlich. Einer holden Dame in Nöten helfe ich doch immer gerne.“, lachte er.

„Wahrscheinlich hätte ich sonst bald durchs Dorf ziehen und um Almosen betteln müssen, wenn du nicht gewesen wärst.“, gab Luisa in gespielt jämmerlichen Tonfall zurück.

„Na, siehste. Dann habe ich dich vor einem schlimmen Schicksal bewahrt.“

Kurz erzählte Luisa ihm von den Begebenheiten des Tages und er von Seinen. Ehe sie sich versahen, war es halb eins in der Nacht. Sie telefonierten bereits eine Stunde.

Luisa gähnte. „Jendrik sei mir nicht böse. Ich bin wirklich müde. Ich lege auf.“

„Ja, ich sollte auch schlafen gehen. Ich habe morgen ein Seminar und da sollte ich fit sein.“

„Das solltest du. Wir hören wieder voneinander.“

„Klar. Und Luisa?“

„Ja?“

„Schlaf schön.“, verabschiedete er sich mit sanfter Stimme.

Luisa lächelte verschmitzt. „Du auch.“

Sie fragte sich, wie sie es all die Jahre ohne diesen liebenswerten Chaoten ausgehalten hatte.

Sie nahm die Fernbedienung und wollte gerade den Fernseher ausschalten, als sie mit einem flüchtigen Seitenblick das Wohnzimmerfenster streifte. Ihr fiel auf, dass sie vergessen hatte, die Jalousie herunterzulassen. Als sie aufstand, überkam sie schlagartig ein Gefühl. Sie hielt inne. Es war das eindeutige Gefühl, beobachtet zu werden. Als würde sich dort im Garten, in der tiefsten Schwärze, jemand verbergen und sie anstarren. Erkennen konnte sie nichts. Es war stockdunkel und sie sah nur ihr eigenes Spiegelbild in der Scheibe. Sie verspürte den Drang, ans Fenster zu stürmen und so schnell wie möglich die Jalousie zu schließen. Das unangenehme Gefühl wurde jedoch so stark, dass eine Gänsehaut sie überkam, die langsam an ihren Beinen, bis hoch in ihren Nacken kroch. Sie ertrug es kaum noch, in das Fenster zu sehen und wendete den Blick ab.

Das bildest du dir ein. Du bist nur müde, dachte Luisa krampfhaft. Noch einmal war sie versucht, die Jalousie zu schließen, konnte sich aber nicht überwinden. Sie drehte dem Fenster den Rücken zu und knipste die Stehlampe aus.

Dann lief sie quer durch das Zimmer und beschleunigte auf halbem Weg ihre Schritte. Noch immer spürte sie bohrende Blicke in ihrem Rücken und ein Frösteln zog über sie hinweg.

Ohne sich noch einmal umzusehen, verließ sie das Wohnzimmer und schloss die Tür hinter sich. Langsam verschwand das Gefühl und sie atmete erleichtert aus.

Bevor sie die Treppe nach oben stieg, kontrollierte sie die Haustür, ob diese abgeschlossen war. Sie musste sich dazu zwingen, ebenfalls die Hintertür zu überprüfen. Dort schaltete sie nicht das Licht an, sondern ließ die Tür zum hell beleuchteten Flur offen. Zaghaft überprüfte sie die Klinke und vermied es, auch nur einmal durch die Scheibe nach draußen zu sehen, durch das sie sicherlich sowieso nichts gesehen hätte. Dann eilte sie ein zweites Mal zurück in den Flur und rieb sich die Augen.

Das war bestimmt nur Einbildung, überlegte sie, während sie aus dem Badezimmer kam und sich etwas beruhigt hatte.

Ihre Nerven waren durch den Stress in der letzten Zeit einfach überspannt. Und dann noch diese Britta mit ihrer Geschichte, erinnerte sie sich grimmig.

Auf der anderen Seite wäre es schon möglich, dass sie jemand beobachtet hatte. Es könnte ein neugieriger Anwohner gewesen sein, der sich dreist auf das Grundstück geschlichen haben könnte, um zu sehen, wer jetzt hier wohnte.

Oder ein paar Jugendliche, die sich einen Scherz erlaubt hatten.

Mit einem mulmigen Gefühl lag Luisa im Bett. In dieser Nacht konnte sie lange nicht einschlafen. Eine Unruhe hielt sie wach. Jedes kleinste Knacken, ließ sie aufschrecken. Irgendwann rollte der Schlaf dann doch über sie hinweg.

Kaum war sie eingeschlafen, fing sie an zu träumen.

Sie stand in einem Feld am Waldrand. Zwischen prächtigen Eichenbäumen lag in einiger Entfernung ein großer Gulfhof.

Rauch stieg aus dem Schornstein auf. Dahinter konnte sie dutzende Häuser sehen. Über den Dächern ragte ein Kirchturm in den Himmel. Den erkannte sie sofort. Darunter scharrten sich die Häuser, fast wie eine Schar Kinder um ihre Mutter.

Die Sonne ging gerade unter. Der Horizont erstrahlte in einem gleißenden Orange. Der Wind rauschte in den Baumkronen und ein sommerlicher Duft von frischem Gras stieg ihr in die Nase. Doch in dieser friedlichen Atmosphäre verspürte sie schreckliche Angst und gleichzeitig eiskalte Wut.

Sie fühlte sich elendig angesichts dieser wilden Emotionen.

Gerade war etwas Schlimmes passiert. Doch was es war, wusste sie nicht.

Sie schaute auf ihre Hände. Zwei tiefe Kratzer zierten ihren linken Unterarm. Tränen füllten ihre Augen und sie fing lauthals zu schluchzen an.

Im nächsten Moment starrte Luisa mit tränennassem Gesicht an die Zimmerdecke. Sie war aufgewacht. Etwas verwirrt, wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen.

Mit der linken Hand suchte sie nach der Nachttischlampe und schaltete sie ein. Sie setzte sich auf die Bettkante und trank den Rest der Wasserflasche aus, die neben ihrem Bett stand.

Was für ein merkwürdiger Traum war das gewesen. Umso mehr sie darüber nachdachte, kam er ihr bekannt vor. Hatte sie vor ein paar Nächten nicht schon einmal etwas Ähnliches geträumt? In ihrer ersten Nacht war sie ebenfalls weinend aufgewacht. Es war auch kein ähnlicher Traum gewesen, sondern exakt derselbe. Er war ihr nur nicht so klar in Erinnerung wie dieses Mal. Diesmal hatte sie alles viel intensiver wahrgenommen. Fast schon real. Ihr war, als könnte sie die warme, sommerliche Abendluft beinahe noch riechen.

Sie tippte ihr Smartphone an und sah auf die Uhr. Es war kurz vor sechs Uhr morgens. Sie warf die Decke wieder über sich und drehte sich auf die Seite. Um für ihren Probearbeitstag fit zu sein, musste sie versuchen, noch ein wenig zu schlafen. Der Traum ging ihr jedoch lange nicht aus dem Kopf und so fiel sie erst in einen unruhigen Halbschlaf, als sich der nachtschwarze Himmel langsam grau färbte.

Einige Stunden später blickte ihr ein verschlafenes Gesicht gähnend aus dem Spiegel entgegen. Unter ihren meerblauen Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet. Ein paar Mal war sie nochmal weg genickt, aber an erholsamen Schlaf war nicht mehr zu denken gewesen. Trotzdem war es bereits fast Mittag.

Nachdem sie ihr Gesicht mit eiskaltem Wasser gewaschen hatte, trug sie eine leichte Schicht Make-up auf ihre müde Haut auf. Ihre Augen umrahmte sie mit etwas Eyeliner und etwas Mascara durfte ebenfalls nicht fehlen. Langsam sah sie etwas munterer und frischer aus. Ihre Haare waren an diesem Morgen besonders widerspenstig und so band Luisa sie mit einem Haargummi nach hinten und machte sich einen Dutt. Dabei ließ sie absichtlich ein paar Haarsträhnen heraushängen. Sie mochte es nicht, wenn ihre Frisur allzu streng frisiert war.

Danach war sie relativ zufrieden. Die meisten Spuren der letzten Nacht hatte sie überdeckt. Gleich noch eine Tasse Kaffee und sie würde sich bestimmt wie neu geboren fühlen.

Unten in der Küche, öffnete sie das Fenster, um ein wenig frische Luft hereinzulassen. Ihr kam es seltsam stickig vor. Es war wieder ein sehr sonniger Tag. Noch dazu hatten die Temperaturen nach einer Woche Dauerfrost wieder das Plus erreicht und es war merklich milder. Jetzt taute es eifrig. Die Eis - und Schneereste tropften in Massen von den Ästen und Büschen. Sogar einige Vögel hatten sich aus ihrem Unterschlüpfen hervorgewagt und trällerten ihr Lied. Auch sie schienen sich über den plötzlichen Wetterumschwung zu freuen. Von der Straße aus hörte sie gedämpft Stimmen von Passanten und Kinderlachen. Erstaunlich wie schnell bei ein wenig Sonne die Welt erwachte. Luisa stützte sich mit ihrem heißen Kaffee auf die Fensterbank ab und ließ sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Es lag fast so etwas wie Frühling in der Luft.

Ihr Blick fiel auf das Wohnzimmerfenster. Einige Sperlinge hüpften im Garten herum und suchten im tauenden Schnee, nach etwas Essbarem. Nichts erinnerte mehr an das unheimliche Gefühl, dass Luisa gestern beim Blick nach draußen gefühlt hatte. Jetzt bei Tageslicht und Sonnenschein erschien es ihr nur noch, als ein böser Albtraum. Vielleicht war es auch genau das gewesen. Bestimmt hatte ihr müder Verstand ihr einen Streich gespielt. Schließlich hatte sie vorher geschlafen, bevor Jendrik sie mit seinem Anruf geweckt hatte.

Sie nahm sich vor, diesen Vorfall zu vergessen und sich nicht weiter damit zu beschäftigen. Je mehr man über etwas nachdenkt, desto unsicherer wurde man.

Kapitel 4

„...und wenn ein Gast das hier bestellt und als Beilage zum Beispiel Kartoffelsalat möchte, tippst du auf Menü und wählst dann einfach die einzelnen Sachen hier aus.“

Luisa hörte aufmerksam zu, während Britta ihr die Kasse erklärte.

„Bei den Getränken ist es etwas anders. Die Getränkeliste hängt hier.“ Britta zeigte auf eine laminierte DIN A4 Seite, die über der Kasse an einem Stützbalken hing. „Jedes Getränk hat eine zweistellige Nummer. Die tippst du einfach in die Kasse ein und drückst dann hier.“

„Alles klar, verstanden.“, sagte Luisa nickend.

Britta ließ sie an den nächsten zwei Gästen üben, die bezahlen wollten. Sie wollte sich davon überzeugen, dass Luisa es verstanden hatte. Es war kinderleicht. Die Speisekarte war gegenüber der Getränkekarte recht übersichtlich. Warme Speisen konnte man an einer Hand abzählen. Obwohl in kurzen Abständen immer wieder jemand die Gaststätte betrat und etwas bestellte, war es nicht überfüllt.

Luisa spülte gerade ein paar Teetassen ab. Im Moment war nur ein Tisch besetzt. Dort saß ein Junge mit einem Mädchen zusammen. Beide nicht älter als vierzehn, schauten sie ganz gebahnt auf ein Smartphone. Dabei teilten sie sich ein Paar Kopfhörer und unterhielten sich leise.

Britta kam aus der Küche und trug einen Teller Pommes zum Tisch der beiden Teenies.

„Na, haste Spaß?“, fragte sie, als sie wieder hinter den Tresen kam und grinste.

„Klar. Im Rahmen der Möglichkeiten, was Geschirr spülen hergibt.“, gab Luisa schmunzelnd zurück.

„Wunderbar. Das wollte ich hören.“, lachte Britta und brüllte im nächsten Moment los, sodass Luisa regelrecht zusammenzuckte.

„Hey! Du mit der komischen Frisur!“ Britta schnipste in die Richtung der beiden Jugendlichen. „Sehe ich noch einmal, wie du deinen Kaugummi unter meinen Tisch kleben willst, schmeiße ich dich eigenhändig hier raus!“ Der Junge war so erschrocken, dass er den Kaugummi in seiner Hand wieder zurück in seinen Mund schieben wollte.

„Da sind Mülleimer!“, Britta zeigte mit dem Finger darauf.

Das blonde Mädchen schaute verlegen auf die Tischplatte und begann an einer Pommes zu mümmeln, während der Junge mit rotem Kopf zum Mülleimer schlurfte.

Luisa musste sich wegdrehen, um zu verbergen, wie sehr sie lachen musste. „Ich glaube die beiden haben ein Date und du hast es jetzt ruiniert.“

Britta warf dem Jungen einen giftigen Blick zu, als der sich zurück an den Tisch setzte. „Na hoffentlich. Was will so ein hübsches Mädchen von einem Typen dem das Essen aus dem Mund fällt und es dann irgendwohin schmieren will?“,

erwiderte Britta lauter als nötig. Luisa konnte sich kaum noch halten und hielt sich am Tresen fest.

„Die kommen bestimmt nicht wieder.“, vermutete sie als die Zwei die Gaststätte verließen.

„Mir doch egal. Dann sollen sie woanders hingehen. Ich lasse mir meine Einrichtung sehr ungern versauen.“

Der Rest des Tages, verlief weiterhin ruhig. Luisa musste zugeben, dass sie selten so viel Spaß bei der Arbeit gehabt hatte. Den konnte man mit Britta wirklich haben, wenn man ihre Art und ihren Humor verstand. Sie sprach so wie ihr „der Schnabel gewachsen war“ und wie es ihr gerade in den Sinn kam. Aber genau diese direkte, burschikose Art machte sie aus und wiederum sympathisch.

Kurz vor 22 Uhr holte Britta zwei Gläser vom Regal.

„Kann ich dir auch etwas anbieten? Cola, Wasser oder was Härteres?“, fragte sie und grinste.

„Belassen wir es bei einer Cola.“, antwortete Luisa und war sich nicht sicher, ob Britta sie nur testen wollte.

„Wie du möchtest.“, erwiderte sie, schenkte ihr Cola ein und kippte selbst einen Kurzen herunter.

Luisa schaute sie verdattert an.

„Was denn? Ist doch gleich Feierabend. Und los ist auch nichts mehr.“

„Hallo zusammen!“, tönte es aus der Eingangstür. Jendrik kam herein geschlendert und lächelte den beiden breit zu.

„Jendrik! Mit dir habe ich so spät gar nicht mehr gerechnet.

Was kann ich dir Gutes tun? Das Übliche?“, flötete Britta.

„Ja gerne, Britta. Wenn du noch ein bisschen für mich übrighast.“, lächelte er ihr zu. „Und ich muss ja mal nach dem Rechten sehen, ob du Luisa auch gut behandelst.“

Luisa lachte. „Du brauchst dich überhaupt nicht zu sorgen, ich fühle mich jetzt schon pudelwohl hier.“ Sie nippte an ihrer Cola.

Jendrik zeigte auf das Glas. „Mit Schuss?“, fragte er und zwinkerte.

„Klar wir trinken schon den ganzen Abend.“, erwiderte Luisa und zwinkerte zurück.

Britta stellte Jendrik eine Flasche Weizenbier und ein Glas hin.

„Glaub mir, wenn ich dir sage, dass ich Britta das zutraue.“

„Hey!“, rief diese gespielt erbost aus. „So weit bin ich noch nicht. Frag aber in ein paar Jahren nochmal.“ Sie lachte auf.

„Wo ist denn eigentlich deine Freundin?“

Er nahm einen Schluck von seinem Bier. „Sie hat heute ihre neuen Kolleginnen aus dem Büro zu Besuch.“

Britta machte eine abfällige Geste. „Ist auch besser, wenn die nicht dabei ist. Deswegen bist du so spät noch hier, oder?“

„Nicht nur deswegen. Aber ich bin nicht gerade scharf darauf, jetzt zu Hause zu sein.“, antwortete er und nahm den nächsten Schluck.

„Da bleibst du besser bei uns. Mit uns ist es auch viel lustiger.“, erwiderte Britta und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.

Um 22:30 Uhr schloss Britta die Tür ab und hängte das “Geschlossen – Schild“ in die Scheibe. Nachdem sie Luisa gezeigt hatte, wie man die Kasse abrechnet, saßen die Drei noch eine Weile am Tresen zusammen und unterhielten sich. Luisa und Jendrik erzählten abwechselnd die Geschichte, wie sie sich kennen gelernt hatten und schwelgten in Erinnerungen. Wie sie in der Grundschule immer zusammensaßen und sie lieber in den Pausen auf dem Schulhof mit Jendrik Fangen gespielt oder auf Bäume geklettert war.

Es gab einige Mädchen, die sie damals deswegen komisch von der Seite beäugt und miteinander hinter vorgehaltener Hand getuschelt hatten.

„Ich kann mich noch an dieses Mädchen erinnern. Wie hieß sie noch gleich? Sabine? Nadine?“, fing Jendrik an zu erzählen. „Wie war noch mal ihr Name?“

Luisa überlegte kurz. „Du meinst Sabrina Berger?“

Jendrik zeigte bestätigend mit dem Finger auf sie. „Ja! Ganz genau! Sabrina Berger. Die hat sich das eine Mal so über sie lustig gemacht, dass Luisa sie mit Anlauf in eine riesige Matschpfütze geschubst hat.“

„Das ist nicht lustig, ich musste deswegen zum Schulleiter, weil die sich dabei ihre Handfläche aufgeschürft hatte und es schlimmer gemacht hat, als es war!“, antwortete Luisa musste aber selbst schelmisch grinsen.

„Du hättest dich sehen sollen. Bist auf sie zu gestürmt wie ein lebender Rammbock!“ Jendrik schlug mit der flachen Hand auf den Tresen vor Lachen. „...und jetzt nach so vielen Jahren zieht die Dame klammheimlich hier her und ich liefere zufällig in ihrer Straße ein paar Pflanzen aus und erkenne sie.“, beendete Jendrik irgendwann die Erzählung.

Danach erfuhr Luisa von Britta, dass Jendrik und sie sich vor zwei Jahren am Maifeiertag kennengelernt hatten. Er war hier gewesen, mit ein paar Freunden und hatte sich an den Tresen gesetzt. Irgendwann herrschte dicke Luft zwischen zwei anderen Gästen, bis sie drauf und dran gewesen waren, sich zu prügeln. Britta war damals dazwischen gegangen und hatte versucht, die beiden Streithähne zum Gehen zu bewegen. Aber die Lage drohte zu eskalieren. Jendrik war einer der wenigen, der ihr mit einem seiner Freunde geholfen - und die beiden Männer kurzerhand aus dem Laden geworfen hatte.

„Ist ja richtig heldenhaft.“, sagte Luisa und lächelte.

„Tja. Immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort.“, antwortete Jendrik und prostete den beiden zu, während er mit einem letzten Zug sein Glas leerte.

Es war eine gemütliche Runde, aber irgendwann machte sich die vorherige, schlaflose Nacht bei Luisa bemerkbar.

„Ich hab außerdem noch was für dich.“, sagte Britta, bevor sie sich verabschieden konnte. Sie drehte sich um und verließ kurz den Raum. Als sie zurückkam, drückte sie Luisa eine Liste in die Hand.

„Das ist dein Dienstplan.“, sagte sie knapp.

Luisa schaute sie begeistert an. „Heißt das, du stellst mich ein?“

„Ich wüsste nicht, warum du hier nicht anfangen solltest.

Passt hier doch gut rein. Natürlich müssen wir noch den schriftlichen Kram klären, aber das machen wir die nächsten Tage. Ich brauche auf jeden Fall noch ein gültiges Gesundheitszeugnis von dir und dann wärst du ab Mitte des Monats fest eingestellt.“, erklärte Britta.

„Das ist ja super!“, erwiderte Luisa und strahlte.

Jendrik fing an zu jubeln. „Darauf trinken wir aber noch einen!“, rief er ausgelassen.

Britta nahm drei Schnapsgläser zur Hand und holte eine bauchige Flasche unter dem Tresen hervor. Der Korn brannte in Luisas Kehle und sie verzog unweigerlich das Gesicht. „Der ist aber stark!“

„Ein Freund von mir hat ihn selbst gebrannt. Unverkäuflich und nur zu besonderen Anlässen.“, erklärte Britta augenzwinkernd und lachte beim Anblick von Luisas Grimasse.

Sie hatte das Gefühl, der Schnaps würde ihr schon zu Kopf steigen. „Hui. Noch einer davon und ich liege hinter dem Tresen.“

„Warte, ich komme mit dir.“, beschloss Jendrik, als Luisa ihre Jacke anzog und sich verabschiedete. „Ich bringe dich noch nach Hause.“

Hinter ihnen schaltete Britta das Licht in der Gaststätte aus und Augenblicke später wurden die Fenster im oberen Stockwerk erleuchtet. Dort befand sich ihre Wohnung.