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Ein eleganter Herr und ein siebenjähriger Junge treffen in den fünfziger Jahren als Fahrgäste im Expresszug nach Posen auf einander. Der elegante Herr spürt, dass der Junge ihn beobachtet, analysiert und schließlich bloßstellen wird. Der Spätheimkehrer Heinz Büchner trifft nach achtjähriger Kriegsgefangenschaft in Sibirien auf seine Familie und den kleinen Walter, das neue Familienmitglied. Beide sind Opfer des Krieges und finden mit Wolfis Hilfe zu einander. Andi entdeckt seine Lust am Sex mit Männern buchstäblich von einer Minute zur anderen und lässt sich von Bodo in die Welt der Lederkerle einführen. Die mecklenburgische Kleinstadt Parchim in den späten Sechziger Jahren ist Handlungsort der Begegnung eines Studenten und seines afrikanischen Liebhabers mit dem rätselhaften Dr. Keßler. Der ungewöhnlich aufgeweckte und phantasiereiche Sven findet ein Buchfragment, in dem eine schwule Liebesgeschichte erzählt wird. Der Zehnjährige ist davon so gefangen, dass diese Geschichte ihn sein weiteres Leben begleiten wird. Die übereifrige Russischdozentin Warwara Filipowna Brandt erkennt nicht die Situation, in die sie sich mit ihrem plötzlichen Besuch bei zwei ihrer Studenten gebracht hat, die gemeinsam nackt im Bett liegen. Zwei Männer leben jahrelang auf engstem Raum zusammen ohne einander näherzukommen, bis ihnen spontan eingeladene Gäste Sex, Lust und Leidenschaft nach Hause bringen. Der alltäglich Rassismus in der DDR: Ein Afrikaner wird angepöbelt, sein deutscher Lover verprügelt den Pöbler und beide verabreden sich mit ihm. Zwei Freunde betreten nach einer Autopanne die erstbeste Kneipe, um sich die verschmutzten Hände zu waschen. Es ist eine Schwulenkneipe in Berlin Prenzlauer Berg. Stefan besucht seine ehemalige Studienkollegin und trifft nicht nur sie, sondern auch Sushi, ihren Enkel. Der Junge hat sich in den Kopf gesetzt, Stefan wäre sein Großvater. Am Schluss der Geschichte ist nicht nur Sushi davon überzeugt, sondern auch Stefan.
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Seitenzahl: 96
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Der elegante Herr
Der Junge mit dem weißen Pferd
Andi Schuster und die Leidenschaft
Das Bewerbungsgespräch
Der Autor
Der schwarze Mann
Die Herren Arp und Thebest
Der Studentenjob
In der Schwulenkneipe
Wie man Großvater wird
E r war sechs oder sieben Jahre alt und mit seiner Mutter auf Reisen. In Berlin hatten sie den ersten Zug nach Posen bestiegen und sollten dort von Rafaels Vater abgeholt werden. Der Junge sollte den Sommer in Rajewo verbringen und die Mutter wollte nach zwei oder drei Tagen der Erholung zurückreisen, um dann nach einigen Wochen erneut zu kommen und beide Jungen nach Kornbach zu bringen, wo sie noch weitere Wochen gemeinsam verbringen sollten. Gleich beim ersten Halt hinter der Grenze in Rzepin, die Zöllner hatten gerade den Zug verlassen und warteten auf dem Bahnsteig auf den Gegenzug, stieg ein Fahrgast zu und setzte sich in das Abteil, in dem der Junge und seine Mutter saßen. Ein Herr, ein eleganter Herr unbestimmten Alters, gekleidet wie ein Engländer in den zwanziger Jahren mit Kniehosen, Tweedsakko, einer Kappe mit Schirm aus demselben Material wie das Sakko, mit halbhohen Schnürschuhen und einem schwarz lackierten Gehstock mit glänzendem Knauf. Das Auffallendste an Herrn Kasimir, so stellte er sich den Reisenden vor, die im Abteil saßen und nach der Zoll- und Passkontrolle durchatmeten, war ein Oberlippenbart oder besser gesagt ein Oberlippenbärtchen.
Nicht ein Bart der herkömmlichen Art, dessen üppiges Wachstum, nur mühsam im Zaum gehalten, das Gesicht zwischen Nase und Mund wild bewuchert, sondern ein Bärtchen.
Gestutzt, beschnitten und in seiner Dünnheit erbärmlich wirkend, zusammen rasiert auf eine Stärke, die aus nur höchstens vier oder fünf Reihen mausgrauer Haare bestand. Es wäre ja noch wirkungsvoll gewesen, wenn diese ausrasierte Akkuratesse bei seiner heutigen Morgentoilette entstanden wäre, aber, und das hatte das Kind sogleich bemerkt, die letzte Rasur lag Tage zurück und so wirkte Herr Kasimir trotz seiner aufgesetzten Eleganz wie die Karikatur dessen, das er darstellen wollte.
Diese Beobachtungen ermutigten den Jungen, diesen Herrn genauer zu betrachten. Er kannte andere Männer mit Bart, Onkel Josef zum Beispiel oder Onkel Karol vom Nachbarhof, der ihn und Rafael immer küsste und sie ´meine Räuber-Kinder` nannte. Die Kinder wollten immer mit ihren Nasen den Bart von Onkel Karol berühren, weil es so kitzelte. Das waren stattliche Bärte, selbst wenn sich die Onkel nicht jeden Tag rasierten, sondern nur am Sonntag, bevor sie in die Kirche gingen, und einmal in der Woche zwischendurch, oder wenn Gäste erwartet wurden. Aber so etwas, wie Herr Kasimir trug, nein.
Der hatte inzwischen eine Unterhaltung begonnen und erzählte gerade einer älteren Dame, die sich in Begleitung einer schüchternen jungen Frau befand, dass er auf dem Weg nach Warschau zu seiner dort verheirateten Schwester sei, um sie um etwas Geld für die dringend notwendige Dachreparatur des elterlichen Hauses zu bitten, das er nunmehr als Witwer bewohnte und in Ordnung zu halten hatte. Wie gut, dass es seinerzeit gelungen war, die Schwester standesgemäß zu verheiraten, betonte er mehrmals. Er nannte auch mehrere Titel und akademische Grade des Schwagers, mit denen der Siebenjährige nichts anfangen konnte, und sah dabei bedeutungsvoll um sich. Die Dame nickte freundlich, lächelte und sagte, an ihre Begleiterin gerichtet: „Lass uns in den Speisewagen gehen, meine Liebe, wir sollten etwas zu uns nehmen, nachdem der Zoll endlich durch ist.“ Der Herr aus Rzepin wippte mit dem Stock und schlug ihn sanft auf den Boden, der silberne Knauf blitzte. Man sah, dass er überlegte, wie er ein Gespräch mit der allein reisenden jungen Frau, die begleitet von einem Knaben von sieben, höchstens acht Jahren, am Fenster saß, beginnen könnte. Jetzt war neben Herrn Kasimir, dem Kind und seiner Mutter nur noch ein Mann mit Glatze im Abteil, ein „Geschäftsreisender“ würde die Großmutter sagen, also jemand, der gegen ein Entgelt Dokumente, Schmuck oder andere Wertgegenstände für Menschen über die Grenze brachte, die diese bei ihrer Flucht oder, bevor sie vertrieben worden waren, vertrauenswürdigen Nachbarn, Freunden oder Verwandten zur Aufbewahrung gegeben oder einfach irgendwo vergraben hatten. In den ersten Jahren nach dem Krieg wurde in erster Linie Geld oder Schmuck über die Grenze gebracht. Jetzt waren gewisse Dokumente wichtig, die zur Beantragung von Entschädigungen im Westen erforderlich waren, wie Grundbuchauszüge, Katasterpläne, Kaufverträge und dergleichen. Der Mann mit der Glatze sah, jedes Mal wenn Herr Kasimir etwas sagte, demonstrativ aus dem Fenster und holte tief Luft. Er erweckte den Eindruck, Herrn Kasimir nicht zu schätzen. Man kann davon ausgehen, dass das Herrn Kasimir nicht verborgen geblieben war und so richtete er sein Gesprächsbedürfnis vorerst auf das Kind. „Nun, wohin auf großer Fahrt, junger Mann?“ Herr Kasimir sprach einen Dialekt, den das Kind nicht kannte. Es hörte zwar, dass es Polnisch war, verstand auch das Gesagte, aber die Art und Weise, wie Herr Kasimir die Worte benutzte und vor allem wie er sie aneinander reihte, um einen Satz daraus zu bilden, waren dem Kind fremd. Als das Kind nicht antworten wollte, mahnte es die Mutter: „Nun antworte doch, wenn Herr Kasimir dich so freundlich fragt!“ „Ich weiß es nicht.“ Und als Herr Kasimir den Jungen mit großen Augen anschaute, sagte er noch einmal: „Ich weiß es wirklich nicht wohin wir fahren.” Er hielt sich damit genau an die Anweisungen des Vaters, was er in solchen Situationen zu antworten habe. Es blieb der Mutter nichts weiter übrig, als die Beantwortung dieser und der weiteren Fragen selbst zu übernehmen. „Und wie gut der junge Mann spricht“, lobte Herr Kasimir. „Ja, meine Mama setzt sehr viel daran, dass der Junge ordentlich lernt.“, sagte die Mutter. „Das soll sie mal der Oma sagen, dass ich viel besser spreche als Herr Kasimir.“, dachte sich das Kind. Jener hatte sich inzwischen soweit offenbart, dass er dem Vernehmen nach aus Galizien, genauer gesagt aus Drohobycz stammte, einer mittelgroßen Stadt südlich von Lwów und dass es ihn, seine inzwischen verstorbene Gattin und seine Eltern in den Wirren des Krieges, und in den Jahren danach, nach Rzepin verschlagen habe, wo die Eltern ein Haus hatten, oder erwerben konnten, eben das Haus, um dessen Dachreparatur es jetzt ging. Und wie schlecht die Geschäfte liefen, Herr Kasimir betonte es mehrmals und wiegte bedenklich den Kopf dabei. Der Junge wollte gerade fragen, welcher Art seine Geschäfte wären, aber ein strafender Blick der Mutter hielt ihn davon ab. Die Zeit schlich dahin und Herr Kasimir hatte ausreichend Gelegenheit, die Mutter auszufragen. „Ich habe Ihren Namen nicht gut verstanden, gnädige Frau.“, sagte er, an die Mutter gerichtet, „mein Deutsch, nein, Sie müssen entschuldigen.“ Sie nannte ihren Namen noch einmal, aber Herr Kasimir konnte nichts damit anfangen und erlaubte sich nach ihrem Mädchennamen zu fragen. Nachdem sie auch ihn genannt hatte, erhob sich Herr Kasimir, um sich gleichzeitig zu verbeugen und zu sagen, wie sehr er sich freue, jemanden aus dieser Familie zu treffen und ohne jede Etikette, einfach so im Wagon eines Zuges. Der Junge fragte sich, wie es Herrn Kasimir in seiner erbarmungswürdigen Schäbigkeit gelingen konnte, die Mutter zu veranlassen, alles von der Familie, den Umständen, in denen sie lebte, den einzelnen Familienmitgliedern und ihren Lebensumständen, von der Großmutter, von Rajewo, von ihrem Sohn, von Rafael, von Onkel Josef, der Größe seines Hofes, von Kornbach und dem Anwesen dort, wirklich alles zu erzählen, und zwar freiwillig. Hatten nicht die Mutter selbst, aber insbesondere der Vater und die Großmutter den Jungen dahingehend angehalten, Fremden Fragen der Art, wie Herr Kasimir sie stellte, nicht zu beantworten, notfalls zu sagen: „Das weiß ich nicht.“ oder wegzugehen und den Neugierigen einfach stehenzulassen? Herr Kasimir zeigte wahres Interesse an all diesen Dingen, die ihn nichts angingen und von denen er gerade eben erst jetzt in diesem Augenblick erfuhr und dennoch so tat, als wären sie ihm seit Jahren vertraut und die Erzählungen der Mutter lediglich eine willkommene Auffrischung des ihm schon lange Bekannten. Es störte ihn nicht, dass inzwischen der schlechte Zustand seiner Garderobe nach den Stunden der Zugfahrt allen Mitreisenden zur Kenntnis gekommen war, wohl auch der Mutter, die aber keinen weiteren Blick darauf verwendete und kein Wort darüber verlor. Kurz bevor der Zug in den Hauptbahnhof von Posen einfuhr, verkündete Herr Kasimir, seine Reisepläne geändert zu haben und ebenfalls in Posen aussteigen zu wollen. Der Zug rollte noch langsam, aber Herr Kasimir sprang flink auf den Peron und hielt, seine Schritte beschleunigend und dem noch rollenden Zug folgend, seine Rechte der offenen Waggontür entgegen, um den Damen herauszuhelfen zu können, sobald der Zug zum Stehen gekommen sein würde. Herr Kasimir unternahm jede Mühe, den Damen behilflich zu sein, nicht ohne sich mit einem Handkuss zu verabschieden und seine weiteren Dienste anzubieten, zum Beispiel einen Wagen oder einen Träger zu rufen. Auch der Mutter des Knaben half er aus dem Zug, während dieser noch in der offenen Waggontür stand und darauf wartete, aussteigen zu können, wenn nur endlich Platz vor der Türe wäre. Herr Kasimir hielt mit seiner rechten Hand die der Mutter, um sie an seinen Mund zu führen, und mit seiner linken schob er ihren Handschuh etwas zurück und war im Begriff, mit seinen Lippen und dem widerwärtigsten Bärtchen, dass das Kind jemals gesehen hatte, die Mutter zur berühren und ihr die Hand zu küssen. Dabei blickte er mit eisgrauen Augen um sich, wie ein Raubtier, das kurz davor war, die in die Enge getriebene Beute zu erlegen, in Stücke zu zerreißen und zu verschlingen. In diesem Moment sprang der Junge vom Wagon auf den Bahnsteig, entriss Herrn Kasimir die Hand der Mutter, reichte ihm statt dessen die seine und sagte: „Auf Wiedersehen, Herr Kasimir.“ Noch bevor dieser die Hand des Kindes ergreifen konnte, trat der Junge Herrn Kasimir so kräftig gegen das Schienbein, dass dieser vor Schmerz das Gesicht verzerrte und leise aufschrie. „Mein Gott, Kind“, sagte seine Mutter, „was ist denn in dich gefahren? Entschuldige dich bei Herrn Kasimir!“ „Entschuldigen Sie!“, sagte das Kind. Herr Kasimir ließ sich indessen nicht beirren und machte sich erbötig, für die junge Frau und ihren Sohn einen Wagen rufen zu wollen. „Bitte machen Sie sich keine Mühe, Herr Kasimir, zu freundlich, mein Vetter wird gleich hier sein und uns abholen.“ Onkel Josef und Rafael hatten die Ereignisse aus der Ferne gesehen und als die Mutter den Vetter und seinen Sohn mit Herrn Kasimir bekannt gemacht hatte und dieser zuerst Onkel Josef und dann Rafael die Hand zur Begrüßung reichte, trat auch Rafael Herrn Kasimir an das Schienbein. Onkel Josef bemühte sich den Eindruck zu vermitteln, es nicht gesehen zu haben und die junge Frau schnappte nach Luft, doch bevor sie etwas sagen konnte, fragte Onkel Josef, wie denn die Reise gewesen sei. Der Zug rollte langsam an und Herr Kasimir sprang behände auf. Er drehte sich nach den Kindern um, presste die Lippen zusammen, strich sich über das