Fremde Gärten - Hagen von Kornbach - E-Book

Fremde Gärten E-Book

Hagen von Kornbach

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Beschreibung

Die Herren Thebest, Arp, Kaufmann, Voß, Friedrich, Gessner, Schuster, Przezpolewski und die anderen Akteure dieses turbulenten schwulen Großstadtromans sind keine Engel. Sie streben nach Macht, Geld, Besitz und wollen Sex. Sie umgehen nicht nur Gesetze, sie verstoßen auch dagegen. Sie begehen Mandantenverrat, bereichern sich an fremdem Eigentum, betrügen und belügen sich gegenseitig und sind ständig bereit, ihre scheinbar unstillbaren sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Ihre Gier nach den Früchten in fremden Gärten kennt keine Grenzen. Zwei Männer leben seit Jahren auf engstem Raum miteinander, ohne sich näherzukommen, bis ihnen spontan eingeladene Gäste Sex, Lust und Leidenschaft ins Haus bringen. Sie beschließen zu heiraten, eine Hochzeitsfeier auszurichten und Gäste einzuladen. Das Aufeinandertreffen der unterschiedlichen Gäste schafft eine knisternde Atmosphäre, der sich niemand entziehen kann. Im Verlaufe des Abends wird jeder mit jedem in Berührung kommen, auf sehr intime Weise und in wechselnden Begegnungen. Die frisch vermählten Herren Arp und Thebest bleiben zurück mit den Gästen, mit denen sie sich in der Nacht als letzte vergnügt haben und beschließen, zusammen zu leben, wie es sich scheinbar zufällig ergeben hat.

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Inhaltsverzeichnis

Was vorher war

Wenn es wäre wie es ist

Was vorher war

Sie stellten sich auf die Zehenspitzen, um besser durch das Fenster sehen zu können.

„Hat er schon etwas gesagt?" fragte Karli.

Der andere schüttelte den Kopf.

„Nichts, seit er hier ist." Walter zuckte die Schultern.

Sie setzten sich vor das Haus und lauschten der Musik vom Festplatz.

„Wie schaffen wir es, von diesem Mann, den wir durch das Fenster sehen können, der er auf dem Stuhl sitzt, auf den man ihn gesetzt hat, seit er vor drei Monaten hier ankam, 50 Pfennig zu erbitten, um auf dem Festplatz mit der Schiffschaukel zu fahren und Lose zu kaufen?“

Das war die Frage, die die beiden Jungen bewegte.

Karli hatte es Walter gezeigt, wie man es macht. Er stand daneben, als Karli zu seinem Papa auf den Schoß kletterte, die Ärmchen um seinen Hals geschlungen hatte und ihm ins Ohr flüsterte, das er ihn ganz toll lieb hätte.

Karlis Papa holte daraufhin ein messingfarbenes Fünfzigpfennigstück aus seiner Hosentasche und legte es Karli in die Hand.

„Einmal Schiffschaukel ohne Überschlag mit Walter und der Rest für etwas, das euch gefällt."

Die Freunde rannten zum Festplatz und kauften sich zwei Plätze in der Schiffschaukel.

Diese Jahrmarktsattraktion bestand aus zwei nebeneinander auf eine Stange gehängter Schaukeln in Form von Fischerbooten von gehöriger Länge, sodass jeweils acht Personen darin Platz hatten.

Sie waren mit frei nachempfundenen bunt bemalten Seeungeheuern reich verziert. Die Jungen hatten so etwas noch nie gesehen.

Die beiden Schaukeln mussten so in Gang gesetzt und in Betrieb gehalten werden, dass sie niemals gleichzeitig in die selbe Richtung schwangen, sondern immer entgegengesetzt, um zu verhindern, dass der gemeinsame, sich verdoppelnde Schwung beider Schiffe, sie mitsamt der Stange, an der sie hingen und der Stellage, auf die die Stange gelegt war, auf und davon fliegen lassen und womöglich ein Unglück verursachen würde.

Bei den Schiffen standen zwei Burschen, die Bremser.

Es war ihre Aufgabe, zu kontrollieren, dass die Schiffe im Gleichklang eines entgegengesetzten Schwunges blieben und zu verhindern, dass eine der Schaukeln, oder sogar beide, so hoch schwangen, dass sie überschlugen, was von übermütigen Burschen verursacht, oft genug vorkam.

Dann war es schwer, den Gleichklang wieder herzustellen und die Passagiere wohlbehalten aus den Schaukeln zu entlassen.

Walter und Karli bekamen ihre Plätze nicht in der selben Schaukel, aber sie ergatterten jeder einen der heiß umkämpften Plätze. Das waren die im Bug oder im Heck der Schiffe, die Plätze, die beim Schwingen am höchsten kamen.

Das Vergnügen dauerte nur wenige Minuten, aber das Gefühl, geflogen zu sein, die Menschen, das kleine Dorf, wenn auch nur kurz, aus einer anderen, höheren Perspektive gesehen zu haben, war unbeschreiblich.

Jetzt waren noch 10 Pfennig übrig und die Jungen suchten nach einem Vergnügen, das für diesen Betrag für Zwei zu haben war und so gingen sie vom Kettenkarussell zum Spiegelkabinett, von dort zur Schreckenskammer, zu den Ständen mit den Süßigkeiten und denen mit Würsten und standen vor der Losbude.

Eine junge Frau hielt ihnen einen Korb mit Papierröllchen entgegen und rief in die Menge: „Zwei Lose 10 Pfennig, zwei Lose 10 Pfennig."

Sie sahen in das Körbchen und überlegten, ob die mit den blauen, den roten oder den grünen Banderolen das große Glück bringen würden. Sie schlossen die Augen und jeder zog ein Los, beide Lose hatten eine blaue Banderole. Walter öffnete sein Los: Niete, Karlis Los: Freie Auswahl in der grünen Reihe.

Die Blicke der Freunde suchten die grüne Reihe ab, es war die unterste, Teddybären, bemalte Bierkrüge, Keramiktafeln mit Sprüchen wie: ´Wenn's Arscherl brummt, ist´s Herzerl g´sund` oder ´Morgenstund hat Gold im Mund`, Kaffeetassen mit Vornamen: Erika, Waltraud, Gisela und Erwin, Günther und Herbert.

Etwas versteckt, hinter den Tafeln mit den Sprüchen standen sie, die weißen Pferdchen, zwei kleine, weiße Pferde aus Steingut.

Eines der Pferde hielt den Kopf gesenkt als wenn es graste, das andere hielt den Kopf hoch und seine Haltung und die angespannten Muskeln machten sie glauben, es würde jeden Augenblick losgaloppieren wollen.

„Das weiße Pferd", sagte Karli, Walter nickte.

„Welches denn Jungs", fragte die Frau.

Sie wussten es nicht, sie konnten sich nicht entscheiden.

Sagte der Eine: „Das rechte, nein doch lieber das linke", sagte der Andere: „Das linke, nein, doch lieber das rechte."

Schließlich sagten sie ihr: „Wir wollen keines von Beiden, wir sind uns nicht einig geworden."

Mit einem kurzen Blick nach hinten, wo die Inhaberin der Losbude stand und gerade für Evelyn Töpfer, die in diesem Jahr die dritte Klasse zum zweiten mal durchlief und eigentlich schon in der sechsten sein müsste und von der es hieß, dass sie von den 26 Grundbuchstaben des Alphabetes nur drei kannte, nämlich das O, das M und das A, von den Umlauten keine Ahnung und vom ´β` noch nie etwas gehört hatte und die bei den Kindern im Dorf nur ´Efeu` genannt wurde, weil sie ihren Namen Evelyn nicht aussprechen konnte, das Teeservice für sechs Personen, den Hauptgewinn aus der roten Reihe, der obersten Reihe, herunter holte, gab sie den Freunden beide Pferde und sagte: „Ich bekomme noch 50 Pfennig von euch, bis heute Abend habt ihr sie aufgetrieben, sonst.....“

Sie machte eine bedrohliche Handbewegung, warf den Kopf mit einem Ruck nach hinten und steckte sich eine Zigarette zwischen die Lippen, die ihr Erwin Töpfer, Evelyns großer Bruder, bereits angezündet hatte, und lachte dabei.

Erwin Töpfer war schon 17 und hatte einen schlechten Ruf. Wie es hieß, soll er Isolde Lüttich geküsst und Edeltraud Heinze an die Bluse gefasst haben.

Sie rannten nach Hause, jeder eines der weißen Pferde in der Hand. Es war Essenszeit, die Musik vom Festplatz dröhnte hinter ihnen her.

„Willst du heute bei uns essen, Karli?" fragte Walters Mutter. „Ich gehe rüber und sage bei euch Bescheid.“

Frau Thebest war die engste Freundin von Karlis Oma.

Als sie bei Kriegsende mit anderen Flüchtlingen auf dem Dorfanger stand und sie, wie die anderen auf die einzelnen Familien verteilt werden sollte, ging Karlis Oma auf den Anger und fragte jeden nach seinem Namen und Geburtsort.

Frau Thebest stand als letzte, allein, kein Mann, keine Kinder, eine kleine dickliche Frau mit Brille und roten Wangen, weil sie so aufgeregt und von der Flucht so erschöpft war.

Als sie gefragt wurde, sagte sie mit einem Akzent, der die Großmutter aufhorchen ließ: „Ich heiße Agnieszka Thebest, geborene Mrozinska, aus Schmiegiel, Ogrodowa 41, mein Mann ist in Gefangenschaft bei den Russen. Sein Name ist Heinz Thebest. Wir sind kinderlos."

Dann begann sie zu weinen.

„Haben Sie Gepäck?"

„Nein, nichts.“

„Ich komme aus Rajewo bei Gostyn", sagte die Großmutter. „Wir sind praktisch Nachbarn. Darf ich Sie in mein Haus bitten Frau Thebest?"

Die beiden Frauen gingen in das Haus der Großmutter, so wird es erzählt, und nach einigen Tagen saßen sie vor dem Haus und lachten, tranken Kaffee, strickten, beteten den Rosenkranz oder sangen.

Frau Thebest kam zurück. „Sie sind einverstanden, mein Junge:" Karli und Walter stellten die kleinen weißen Pferde auf das Vertiko von Frau Thebest und gingen um sich die Hände zu waschen.

Sie ging nach nebenan, um ihren Mann zum Essen zu rufen.

Er war vor drei Monaten aus russischer Gefangenschaft entlassen worden, nach acht Jahren, und in einem erbärmlichen Zustand.

Bevor er zur Wehrmacht eingezogen wurde, hatte er eine Maler- und Lackierwerkstatt in Schmiegiel bei Posen, unweit von Rajewo, dem Geburtsort der Großmutter, die er von seinem Vater übernommen hatte.

Seine Werkstatt wurde in seiner Abwesenheit nach Ende des Krieges seinen beiden polnischen Gehilfen übertragen, seine polnische Frau genötigt, nicht nur das Haus mitsamt Garten in der Ogrodowa 41, sondern überhaupt die Volksrepublik Polen zu verlassen und nach Deutschland zu gehen.

Ihre Kraft reichte nur bis in das kleine Dorf in der sowjetischen Zone, wo Karlis Großmutter sie gesehen und zu sich gebeten hatte und wo sie seitdem, nunmehr mit Walter und ihrem Mann, wohnt. Ihre beiden Koffer, die man ihr erlaubte zu packen, bevor man sie aus dem Haus schaffte, hatte man ihr bei Küstrin vor der Überfahrt über die Oder abgenommen.

Zwei Wochen nachdem Karli zur Welt gekommen war, es zogen nur noch letzte versprengte kleine Trecks mit Flüchtlingen Richtung Westen, klopfte jemand bei Frau Thebest an das Küchenfenster.

Als sie es zaghaft öffnete, immerhin war es erst 4 Uhr Morgens, stand eine Frau vor ihr, neben ihr ein Junge von höchstens sechs Jahren und ein Mann, der die Wagenstange eines kleinen Leiterwagens hielt, in dem zwei noch kleinere Mädchen saßen und mit Koffern und Hausrat beladen war.

Die Frau hielt Frau Thebest ein kleines Bündel hin und sagte: „Walter".

Durch die Geräusche aufmerksam geworden kam Karlis Großmutter aus dem Haus und wurde so Zeuge des unglaublichen Ereignisses, als Frau Thebest, allein stehend, selbst vor kaum drei Jahren hier aufgenommen und mit dem Nötigsten versorgt, ein Kind in den Armen hielt von dessen Existenz sie bis vor wenigen Minuten nichts wusste.

„Nehmen Sie ihn, bitte, wir schaffen es nicht mit einem kleinen Kind."

Frau Thebest nahm die Brille ab, um zu verhindern, dass sie beschlagen würde, denn es schossen ihr die Tränen in die Augen. Karlis Großmutter trat zu ihr und sah in das Bündel.

Sie sah einen lachenden Jungen mit blauen Augen, rabenschwarzem Haar und einem Grübchen auf seiner linken Wange.

„Sehen Sie, er hat ein Grübchen", sagte die Großmutter, „das ist ein gutes Zeichen."

Frau Thebest schrieb ihren Namen und ihre Anschrift auf den Rand des Gemeindeboten, weil sie in der Aufregung nichts anderes fand und gab ihn der Frau.

„Wir holen ihn nach, ganz bestimmt."

Diese sagte noch ihren Namen, aber der und die Dankes- und Abschiedsworte der Frau gingen unter im Geschepper des metallbeschlagenen Leiterwagens, den der Mann zog und damit schon einige Meter weit weg war.

Später behauptete Karlis Großmutter gehört zu haben, dass sie aus Askania Nowa bei Cherson in der Ukraine kamen, wo sie als Tierpfleger tätig gewesen waren.

Frau Thebest bekam von all dem nichts mit. Sie sah nur das Kind an und war glücklich, es in ihrem Arm zu haben.

War es ein Zufall oder eine Fügung, deren Sinn man erst später oder vielleicht gar nicht erkennt, dass kurz vorher Karli zur Welt gekommen war und die Frauen so der Frage nach der Ernährung des Neuankömmlings enthoben waren, denn Karlis Mutter hatte so viel Milch, dass sie beide Kinder stillen konnte und sich nunmehr nicht weiter die Mühe machen musste, die überschüssige Milch abzupumpen und zu verwerfen.

Nach ein paar Wochen, als noch immer keine Nachricht kam, oder jemand Walter abzuholen, fuhren Karlis Vater, Frau Thebest und Karlis Großmutter mit den Rädern in den Nachbarort, wo das Standesregister geführt wurde um Walter anzumelden. Glücklicherweise war Frau Thebest nicht nur im Besitz einer Heiratsurkunde, ihrer eigenen Geburtsurkunde, sondern auch der ihres Mannes, und so konnte der Knabe Walter Thebest als Sohn des Heinz Thebest aus Schmiegiel und seiner Ehefrau Agnieszka, geborene Mrozinska, in das Standesregister eingetragen und eine Geburtsurkunde ausgestellt werden.

Damit war Walter eine offiziell existierende Person und durfte Lebensmittelkarten beziehen, immerhin eine wichtige Angelegenheit.

Niemand wartete mehr darauf, dass jemand Walter abholen würde, niemand schaltete im Radio den Kindersuchdienst des Roten Kreuzes ein und niemand, vor allem nicht Frau Thebest, sah besorgt in den Briefkasten oder wartete gar den Briefträger ab, wie sie es am Anfang getan hatte.

Nachdem er gegessen hatte, ging Herr Thebest wieder in das Nebenzimmer, setzte sich auf den Stuhl, auf dem er immer sitzt, seit er herkam und starrte die Wand an. Die Musik vom Festplatz schien er nicht zu hören. Frau Thebest machte auch keinen Versuch mehr, ihrem Mann die Werkstatt zu zeigen, die sie angemietet, mit den erforderlichen Geräten und Utensilien, wie sie in einer Maler- und Lackierwerkstatt erforderlich sind, ausgestattet hatte und die bereits seit Monaten von zwei Gehilfen, denen sie vorstand, mit Leben erfüllt wurde.

Herr Thebest saß auf seinem Stuhl. Die Jungen sahen ihn dort sitzen und hörten seine Seufzer.

Es ging ihnen durch und durch.

Manchmal wandte er den Kopf und sah aus dem Fenster, dann suchte sein Blick irgendetwas im Zimmer, vielleicht etwas, das ihm bekannt vorkommen könnte, etwas aus dem Haus in Schmiegiel.

Aber davon konnte er nichts finden, nicht nur weil Frau Thebest nichts davon retten konnte, sondern vielleicht auch, weil seine Erinnerung daran durch die gesehenen, erlebten und von ihm selbst zu verantwortenden Grausamkeiten des Krieges verdeckt sein könnte.

Sie gingen in das Zimmer und Karli richtete das Wort an ihn indem er fragte: „Wie hat Ihnen das Mittagessen geschmeckt, Herr Thebest?"

Herr Thebest sagte nichts, sondern nickte nur und seufzte. „Haben Sie gehört, auf dem Festplatz ist Musik und viele Menschen sind dort, ein Karussell, eine Gruselkammer, ein Spiegelkabinett, eine Losbude und eine Schiffschaukel?"

„Ja, mein Junge", sagte Herr Thebest.

„Wir waren am Vormittag schon dort und sind mit der Schiffschaukel gefahren", ergänzte Walter.

Herr Thebest sah ihn an und sagte. „So?

„Ja, einmal, Karli und ich."

Karli schob Walter etwas näher zu Herrn Thebest.

„Bestimmt sind die anderen Kinder schon dort, wo doch heute Pfingsten ist."

Jetzt sah Walter seine Chance und sagte: „Wir würden gerne noch einmal mit der Schaukel fahren, nur noch einmal. Dann kommt sie erst im nächsten Jahr wieder, zu Pfingsten."

Herr Thebest sah ihn an und fragte: „Wirklich? Erst im nächsten Jahr?"

Und Walter sagte: „Ja Papa, erst im nächsten Jahr."

Karli schob Walter noch ein wenig näher zu ihm und als der die Hand nach Walter ausstreckte, sagte Karli. „Du bist jetzt nämlich der Papa von Walter", und weil der dazu nichts sagte, tat er das, was seine Eltern und die Großmutter taten, wenn sie Karli etwas aufgetragen hatten und er keine Reaktion erkennen ließ, ob er das Gesagte gehört hätte, fragten sie in einem schärferen Ton: „Hast du das gehört, Karli?", und so fragte Karli: „Hast du das gehört, Herr Thebest?"

Herr Thebest nickte wieder wortlos und zog Walter zu sich.

Karli schob Walter noch ein wenig weiter, sodass es sich wie von selbst ergab, dass er bald bei Herrn Thebest auf dem Schoß saß, die Arme um seinen Hals legte und sich an ihn schmiegte.

Herr Thebest drückte Walter fester an sich und weinte, laut und ohne jede Hemmung.

Nach einer Weile sagte er: „Ja, ich habe es gehört, mein Junge, ich habe es gehört."

Frau Thebest brachte ihrem Mann ein Tuch womit er sich die Tränen trocknete und strich Karli über die Wange: „Du bist ein feiner Junge."

Dann stand Herr Thebest auf, bat seine Frau um das Rasierzeug und als er mit der Rasur fertig war, nahm er etwas Kleingeld und fragte: „Eine Schiffschaukel sagt ihr? Und ein Spiegelkabinett?"

„Ja Papa, und eine Losbude."

Walter klatschte in die Hände. Die Kinder tanzten vor Freude vor Herrn Thebest bis hin zum Festplatz, wo Herr Thebest der Losverkäuferin die geschuldeten 50 Pfennig gab und eine Schaukel mietete, nur für Walter, Karli und für sich und lange, unendlich lange die Jungen in die Lüfte schwang und sie vor der Absperrung Frau Thebest mit besorgtem Gesicht stehen sahen und ihr zuwinkten, waren sie die glücklichsten Kinder der Welt und Herr Thebest war eines von ihnen.

Als er am Abend müde und erschöpft ins Bett gebracht wurde und Herr Thebest seine Hand nahm und streichelte, fragte Walter: „Soll ich dir morgen die Werkstatt zeigen?" Herr Thebest nickte.

„Was hast du angestellt, dass du so lange gefangen warst?" „Ich weiß es nicht, mein Junge, es war Krieg."

„Aber der Krieg ist doch schon lange aus."

„Der Krieg ist nicht zu Ende, wenn er aus ist. Er dauert noch länger."„Wie lange dauert er noch, Papa?"

„So lange wie wir leben."

Aber da war Walter mit seinem weißen Pferd in der Hand schon eingeschlafen.

Wenn es wäre wie es ist

Er berührte seine Wange. Es geschah zufällig als Herr Thebest sich umdrehte. So konnte Henning ihn besser abtrocknen.

„Heben Sie die Arme ein wenig“, sagte Henning, „Sie sind noch völlig nass.“

Herr Thebest tat wie er es ihm geheißen hatte.

„Jetzt noch einmal umdrehen bitte. Ich glaube, dass ich noch ein Tuch holen muss.“

Henning ging kurz ins Nebenzimmer. Herr Thebest wartete nackt, vor Henning hatte er keine Scheu. Als er zurück kam, trocknete er ihm Beine und Füße.

„Hier auch?“, fragte er, „oder wollen Sie lieber selbst?“

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht?“

„Nein gar nicht. Jeden Morgen fragen Sie mich das, Herr Thebest: Es macht mir nichts aus, das wissen Sie doch.

Bitte die Beine ein wenig auseinander. War das Bad nicht zu anstrengend, ich glaube, eine kurze Dusche wäre besser gewesen.“

„Nein, es war in Ordnung“.

Herr Thebest spürte Hennings Atem auf der Haut. Es erregte ihn, als Henning mit einem Tuch sein Geschlecht trocknet.

„Es erregt mich“, sagte er, als er ihn fragend ansah.

„Niemand kann es übersehen, aber was hilft es denn? Es muss alles trocken sein, wenn ich Sie massieren soll.

Hatten Sie gestern einen angenehmen Abend im Klub?“,

fragte Henning.

Einmal in der Woche ging Herr Thebest in einen Klub in Wilmersdorf. Es waren nur Herren zugelassen, Mitglieder und ihre Gäste.

Gestern saß Herr Thebest nicht nur in der Bibliothek und spielte Schach oder las in den Zeitungen aus aller Welt.

Gestern besuchte er auch die Bäder und die Saunalandschaft des Klubs nachdem sein ehemaliger Studienkollege Sebastian Friedrich ihn auf einen jungen Mann aufmerksam gemacht hatte, der in Begleitung und als Gast des Staatssekretärs Dr. M. gerade den Klub betrat.

„Es war amüsant,“ sagte Herr Thebest und fügte hinzu, „und anstrengend.“

Henning nahm die Tücher beiseite und legte die Kleidungsstücke für den Tag bereit. Während er Herrn Thebest massierte fragte er:

„Haben Sie jemanden kennengelernt?“

„Ja, aber ich weiß nichts über ihn.“

„Werden Sie sich wiedersehen?“ fragte Henning.

„Ich weiß es nicht.“

„Sie sollten mehr ausgehen, sich amüsieren.“

Herr Thebest genoss die Vormittage. Anfangs kam Henning Dienstags und Samstags mit der S-Bahn aus einem Vorort. Dann wollte Herr Thebest auch an den anderen Tagen nicht auf seine Gegenwart verzichten. Er kaufte eine größere Wohnung und Henning zog zu ihm.

Nach dem Studium hatte er ein Inserat aufgegeben.

„Haushaltshilfe gesucht.“ Es meldeten sich mehrere Frauen. Entweder gefielen Sie Herrn Thebest nicht, oder sie kamen aus verschiedenen Gründen überhaupt nicht in Frage. Bei jeder hatte er das Gefühl, sich in die Hände einer unfähigen und vor allem herrschsüchtigen Personen begeben zu sollen. Nach Wochen startete er einen weiteren Versuch. „Junger Mann, 24, sucht Unterstützung bei seinen täglichen Verrichtungen.“

Es kamen sehr viele Zuschriften. Herr Thebest legte sie zum Altpapier, nachdem er festgestellt hatte, dass dieser Anzeigentext missverständlich gewesen war.

Als er seinem ehemaligen Professor davon erzählte, sagte der: „Ich kenne jemanden, der in Frage kommt.“

Einige Tage später stand Henning vor der Tür.

Er war der Jahreszeit entsprechend sommerlich gekleidet, gepflegt und hatte gute Manieren. Seinen Papieren, die er von ihm später wegen des Arbeitsvertrages erbat, konnte Herr Thebest entnehmen, dass er aus Bernau kam, eine Lehre als Krankenpfleger und eine als Erzieher abgeschlossen hatte, 32 Jahre alt war und Henning Arp hieß.

„Warum glauben Sie, für die Arbeit bei mir der Richtige zu sein?“, fragte ihn Herr Thebest.

„Ich weiß nicht, ob ich der Richtige für Sie bin“, Henning sah zu Boden, als Herr Thebest ihn ansah. „Ich habe diese Arbeit auch noch nie verrichtet.“

„Wir probieren es einfach aus, was halten Sie davon?“

Das ist einige Jahre her.