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Ein seltsames Baby ist zur Welt gekommen: kein süßer kleiner Fratz, der seine Eltern beglückt, sondern ein alter Mann mit Bart. Sein Name: Benjamin Button. Ein schweres Schicksal ist ihm vorherbestimmt: Er durchläuft das Leben rückwärts und wird von Tag zu Tag jünger. Als Benjamin schließlich im Alter von fünfzig Jahren die zwanzig Jahre jüngere Hildegarde kennenlernt, steht für ihn, der sein Leben lang nie geliebt wurde, alles auf dem Spiel.
Die literarische Vorlage zum Filmereignis 2009:
Der seltsame Fall des Benjamin Button.
Regie: David Fincher. Hauptdarsteller: Brad Pitt, Cate Blanchett, Tilda Swinton.
Eine anrührende und skurrile Geschichte, jetzt in Neuübersetzung."
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Seitenzahl: 56
F. Scott Fitzgerald
Der seltsameFall desBenjamin Button
Erzählung
Aus dem Amerikanischen vonChrista Schuenke
Die Geschichte erschien
erstmals 1922 in The Saturday Evening Post
unter dem Titel:
›The Curious Case of Benjamin Button‹;
erstmals in Buchform 1922 bei Scribners, NewYork,
in Tales of the Jazz Age
Umschlagillustration von
George Barbier (Ausschnitt)
Neuübersetzung
Alle Rechte and dieser Ausgabe vorbehalten
Copyright © 2013
Diogenes Verlag AG Zürich
www.diogenes.ch
ISBN Buchausgabe 978 3 257 23659 0 (6.Auflage)
Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.
[5] I
Anno 1860 pflegte man noch zu Hause geboren zu werden. Neuerdings haben die Hochgötter der Medizin, wie ich höre, verfügt, dass die lieben Kleinen ihre ersten Schreie in der äthergeschwängerten Luft einer Klinik von sich zu geben hätten, vorzugsweise einer Klinik à la mode. Die jungen Eheleute Mr.und Mrs.Roger Button waren also ihrer Zeit um fünfzig Jahre voraus, als sie eines schönen Tages im Sommer 1860 beschlossen, ihr erstes Baby in einer Klinik zur Welt kommen zu lassen. Ob dieser Anachronismus die erstaunliche Geschichte, die ich hier niederschreiben will, in irgendeiner Form beeinflusst hat, das werden wir wohl nie erfahren.
Doch lassen Sie mich erzählen, was geschah, und urteilen Sie selbst.
Die Buttons befanden sich seinerzeit, das heißt in der Zeit vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg, nicht nur hinsichtlich ihrer Stellung in der besseren Gesellschaft von Baltimore, sondern auch im [6] Hinblick auf ihre finanziellen Verhältnisse in einer beneidenswerten Lage. Sie waren sowohl mit den Sowiesos als auch mit den Soundsos verwandt und durften sich deshalb, wie jeder Südstaatler weiß, zu jenem ungemein zahlreichen Adelsstand zählen, der damals die Konföderation bevölkerte. Und dies war nun ihre erste Erfahrung mit dem entzückenden alten Brauch, Babys zu bekommen – Mr.Button war natürlich sehr aufgeregt. Er hoffte, es werde ein Junge werden, den man nach Connecticut aufs Yale College schicken könne, das nämliche Institut, an welchem er selber vier Jahre lang unter dem in Anbetracht seines Nachnamens doch wohl ein wenig platten Spitznamen »Cuff«, also Manschettenknopf, bekannt gewesen war.
Nervös erhob er sich an dem für das große Ereignis vorherbestimmten Septembermorgen um sechs Uhr in der Frühe, kleidete sich an, rückte seine tadellos sitzende Halsbinde zurecht und eilte durch die Straßen von Baltimore der Klinik entgegen, um zu erkunden, ob wohl die Finsternis der Nacht ein neues Leben aus ihrem Schoß entlassen habe.
Als ihn noch ungefähr hundert Meter vom Maryland Private Hospital for Ladies and Gentlemen trennten, erkannte er auf den Stufen vor dem Portal der Klinik Dr.Keene, den Hausarzt der Familie, der eben die Treppe herabkam und sich im Gehen [7] die Hände rieb, als würde er sie waschen, wie es der ungeschriebene Ehrenkodex seiner Zunft verlangt.
Weit weniger würdevoll, als man es von einem Südstaaten-Gentleman dieser illustren Epoche hätte erwarten dürfen, stürzte Mr.Roger Button, Präsident der Firma Roger Button & Co., Eisenwarengroßhandel, auf ihn zu. »Dr.Keene!«, rief er. »Ah, Dr.Keene!«
Als der Doktor ihn hörte, drehte er sich um und blieb wartend stehen, und während Mr.Button näher kam, trat ein merkwürdiger Ausdruck in seine gestrenge Medizinermiene.
»Wie ist es gegangen?«, stieß Mr.Button keuchend hervor, indem er auf den Doktor zurannte. »Was ist es? Wie geht es ihr? Ein Junge? Wer ist er? Was –«
»So hören Sie doch auf, wirres Zeug zu reden!«, sagte Doktor Keene scharf. Er war sichtlich ungehalten.
»Ist es da, das Kind?«, drängte Mr.Button.
Doktor Keene runzelte die Stirn. »Nun ja, irgendwie schon – mehr oder minder.« Und wieder fasste er Mr.Button mit diesem merkwürdigen Blick ins Auge.
»Ist mit meiner Frau alles in Ordnung?«
»Ja.«
[8] »Ist es ein Junge oder ein Mädchen?«
»Also da hört sich doch alles auf!«, rief Dr.Keene, und nun brach der Unmut geradezu aus ihm heraus. »Gehen Sie gefälligst hinein und schauen Sie selbst. Unerhört!«, blaffte er, und dieses letzte Wort hörte sich beinah wie eine einzige Silbe an. Dann wandte er sich murrend ab. »Meinen Sie etwa«, brummte er, »ein Fall wie dieser ist meinem Ruf als Arzt zuträglich? Noch einmal so eine Geschichte, und ich wäre ruiniert – und jeder andere genauso.«
»Was ist denn nur los?«, fragte Mr.Button entsetzt. »Drillinge?«
»Nein, keine Drillinge!«, erwiderte der Doktor mit schneidender Stimme. »Im Übrigen gehen Sie doch gefälligst hinein und schauen Sie selbst. Und suchen Sie sich auch gleich einen neuen Arzt. Junger Mann, ich habe Ihnen auf die Welt geholfen, und ich bin seit vierzig Jahren der Hausarzt Ihrer Familie, aber jetzt bin ich fertig mit Ihnen! Ich möchte Sie nie mehr wiedersehen, weder Sie noch irgendeinen Ihrer Angehörigen! Gehaben Sie sich wohl!«
Und damit drehte er sich zackig um, stieg ohne ein weiteres Wort in seinen am Straßenrand wartenden Zweispänner und fuhr entschlossen davon.
Wie vor den Kopf geschlagen, am ganzen Leibe [9] zitternd, stand Mr.Button an der Bordsteinkante. Was mochte das bloß für ein grauenvolles Missgeschick sein, das sich da ereignet hatte? Sein Verlangen, das Maryland Private Hospital for Ladies and Gentlemen zu betreten, war mit einem Mal wie weggeblasen – nur mit äußerster Anstrengung bezwang er sich, stieg endlich die Vortreppe hinauf und trat durch die Eingangstür.
Hinter einem Tisch, im trüben Licht des Vestibüls, saß eine Krankenschwester. Mr.Button schluckte seine Scham hinunter und ging auf sie zu.
»Guten Morgen«, sagte sie und blickte freundlich zu ihm auf.
»Guten Morgen. Ich – ich bin Mr.Button.«
Als die junge Frau diese Worte vernahm, breitete sich ein unaussprechliches Entsetzen auf ihrem Gesicht aus. Sie sprang auf, als wollte sie die Flucht ergreifen, und es war nicht zu übersehen, dass sie allergrößte Mühe hatte, sich zu bezähmen.
»Ich möchte gern zu meinem Kind«, sagte Mr.Button.
Die Krankenschwester stieß einen kleinen Schrei aus. »Oh – selbstverständlich!«, rief sie hysterisch. »Die Treppe hinauf. Gleich da oben. Gehen Sie – nach oben!«
Sie deutete in die genannte Richtung, und Mr.[10] Button, der in kalten Schweiß gebadet war, drehte sich zögernd um und machte sich auf den Weg nach oben in den ersten Stock. Dort sprach er eine andere Krankenschwester an, die mit einer Schüssel in der Hand quer durch die Halle auf ihn zukam. »Ich bin Mr.Button«, brachte er mühsam heraus. »Ich möchte zu meinem –«
Boing! Die Schüssel schepperte zu Boden und rollte auf die Treppe zu. Boing! Boing! trat sie Stufe für Stufe ihren Weg nach unten an, ganz so, als wollte auch sie einfallen in das allgemeine Entsetzen, das dieser Herr hier ausgelöst hatte.
»Ich möchte zu meinem Kind!«, rief Mr.Button fast schon kreischend. Er war einem Zusammenbruch nahe.