Der Sommer der Apfelfrauen - Sissi Flegel - E-Book
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Der Sommer der Apfelfrauen E-Book

Sissi Flegel

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Beschreibung

Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad: Der turbulente Roman »Der Sommer der Apfelfrauen« von Sissi Flegel jetzt als eBook bei dotbooks. Ihr Verlag läuft tipptopp, die Kinder sind aus dem Haus – nun will Annabell ihre neue Freiheit in vollen Zügen genießen. Das denkt sich leider auch ihr Ehemann, den sie in einer äußerst peinlichen Situation ertappt. Noch dazu hat er gerade den Reiseroman eines Autors eingekauft, der Annabell ganz und gar nicht koscher ist: Franz Villons Lächeln kann noch so charmant sein – irgendetwas verheimlicht er! Und warum scheint er Annabell plötzlich auch noch Avancen zu machen? Gemeinsam mit ihren besten Freundinnen Julia und Ines ist sie fest entschlossen, ihm auf die Schliche zu kommen. Doch bei ihrer Reise durch das sommerliche Schwabenland entdecken sie noch ganz andere brisante Geheimnisse … Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der warmherzige Freundinnen-Roman »Der Sommer der Apfelfrauen« von Sissi Flegel, der Autorin des Bestsellers »Die Geheimnisse der Sommerfrauen«, wird alle Fans von Dora Heldt begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 337

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Über dieses Buch:

Ihr Verlag läuft tipptopp, die Kinder sind aus dem Haus – nun will Annabell ihre neue Freiheit in vollen Zügen genießen. Das denkt sich leider auch ihr Ehemann, den sie in einer äußerst peinlichen Situation ertappt. Noch dazu hat er gerade den Reiseroman eines Autors eingekauft, der Annabell ganz und gar nicht koscher ist: Franz Villons Lächeln kann noch so charmant sein – irgendetwas verheimlicht er! Und warum scheint er Annabell plötzlich auch noch Avancen zu machen? Gemeinsam mit ihren besten Freundinnen Julia und Ines ist sie fest entschlossen, ihm auf die Schliche zu kommen. Doch bei ihrer Reise durch das sommerliche Schwabenland entdecken sie noch ganz andere brisante Geheimnisse…

Über die Autorin:

Sissi Flegel (1944–2021) veröffentlichte zahlreiche Kinder- und Jugendbücher, die in 14 Sprachen erschienen sind und mehrfach preisgekrönt wurden, bevor sie begann, sehr erfolgreich auch für erwachsene Leser zu schreiben; darunter ihre Bestsellerreihe um »Die Geheimnisse der Sommerfrauen«.

Bei dotbooks veröffentlichte Sissi Flegel ihre Bestseller-Reihe um »Die Geheimnisse der Sommerfrauen« und »Die Träume der Sommerfrauen« sowie ihre heiteren Romane »Die Geheimnisse der Lavendelfrauen«, »Roter Wein mit Brombeernote«, »Der Geschmack von Wein und Liebe«, den historischen Roman »Die Keltenfürstin« und mehrere Kinder- und Jugendbücher.

»Die Geheimnisse der Sommerfrauen« sind auch in folgenden Einzelromanen erhältlich:»Vier Frauen und eine SMS«»Vier Frauen und ein Feuerwerk«»Vier Frauen und ein Baby«»Vier Frauen und ein Garten«

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Originalausgabe August 2021

Copyright © der Originalausgabe 2021 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Sabine Zürn

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Nella, Senata, CWIS

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96655-625-5

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Sissi Flegel

Der Sommer der Apfelfrauen

Roman

dotbooks.

APRIL

Kapitel 1

Es war der erste strahlend sonnige Samstagvormittag in diesem Frühling. Alle, die wie Annabell über den Flohmarkt am Stuttgarter Karlsplatz bummelten, waren sichtlich guter Laune, nur sie seufzte verhalten. Ihre Freundin Julia hatte zwar erst im Herbst Geburtstag, doch wie immer hielt Annabell lange vor dem Termin nach einem passenden Geschenk für sie die Augen auf. Mit einem Blumenstrauß oder einer Flasche Schampus würde Julia nämlich nicht zufrieden sein. Sie erwartete nichts Exotisches oder Kostspieliges, es musste nur in ihre Sammlung passen.

Eine von Annabells Bekannten sammelte Eierbecher, eine andere Eulen – tote und ausgestopfte, solche aus Holz, Glas, Lehm oder Metall, egal, es musste nur eine Eule sein. Verglichen mit den Eulen war Julias Sammlung harmlos und sogar nahrhaft – Julia sammelte Apfelrezepte – alles, was man aus und mit Äpfeln machen konnte: kochen, backen, schnitzeln, trocknen, pürieren oder zu Saft verarbeiten.

Natürlich besaß Julia alle gängigen Kochbücher, und sie schnitt aus jeder Zeitschrift Apfelrezepte und weitere aus, in denen sie Brombeeren, Feigen, Kirschen, Birnen oder gar Kastanien durch Äpfel ersetzen konnte – diesbezüglich war Julias Phantasie grenzenlos.

Auf der Suche nach einem Buch, das mit Äpfeln zu tun hatte, blieb Annabell im Antiquariat Häfele vor einem Karren mit gebrauchten Büchern stehen. Auf dem Tisch waren die kostbareren Exemplare gestapelt. Hinter dem Tisch beobachtete der recht beleibte Herr Häfele, eine Pfeife im Mundwinkel und die Hände in den Hosentaschen, zusammen mit seinem kleinen Hund die Passanten und Käufer. Annabell kannte die beiden schon lange, denn sie einte das Interesse an Büchern: Er verkaufte antiquarische, sie verlegte neue Bücher.

Der Hund bellte und rannte mit begeistert wedelndem Schwanz auf sie zu. »Hallo, Nero! Na, legst du dich immer noch mit den größten Hunden an?«

»Wuff!« Stolz streckte der Hund die Brust heraus.

»Suchen Sie etwas Bestimmtes?«, erkundigte sich Herr Häfele nach einer freundlichen Begrüßung. »Frau Holler, ich hab an Sie gedacht, weil …«

Er bückte sich und stellte eine Kiste auf den Tisch. »… weil ich da was gefunden habe … na, wo ist’s denn?«

In der Kiste befanden sich alte Ansichtskarten mit gezackten Rändern und einzelne Blätter. »Ist alles aus einer Haushaltsauflösung«, erklärte Herr Häfele. »Die Ansichtskarten sind wertvoll, die Blätter stammen aus Büchern, die sich aufgelöst haben. Ein Jammer, wie manche Leute … ah, da ist es ja!«

Freudestrahlend reichte Häfele Annabell ein einzelnes Blatt, dessen Ränder schon etwas abgegriffen und eingerissen waren. Annabells Augen wanderten über das Rezept.

»Feines gebackenes Apfelkompott«, las sie halblaut. »… dann werden zwei Eiweiß zu festem Schaum geschlagen, zwei stark gehäufte Esslöffel gesiebter Zucker und abgeriebene Citronenschale rasch durchgerührt und glatt über das Kompott gestrichen, welches bei Hitze von oben schön gelb gebacken und kalt zu feinem Braten gereicht wird.«

Erfreut hob sie den Kopf. »Herr Häfele, das ist ja wunderbar! Julia wird begeistert sein – ein Apfelmus als Beilage zum Braten!«

Herr Häfele reichte ihr einen Einband, auf dem in goldenen Buchstaben stand: Praktisches Kochbuch von Henriette Davidis. »Das Blatt«, meinte Häfele, »könnte aus diesem Buch stammen. Sehen Sie, Verlag Velhagen und Klasing, 1894.«

»Super! Wissen Sie was, Herr Häfele? Das Blatt werde ich rahmen lassen.«

Höchst zufrieden bedankte sich Annabell bei Herrn Häfele und Nero, dem Unerschrockenen. Nach kurzem Überlegen ging sie zuerst Richtung Bohnenviertel, wo sie das Blatt einem Kunsthändler zum Rahmen überließ, dann schaute sie auf die Uhr und stellte fest, dass sie noch Zeit für ein Gläschen Sekt in der nahe gelegenen Markthalle hatte.

Während sie an einem Stehtisch an ihrem Sekt nippte, beobachtete sie eine Kundin. Die Spargelernte hatte begonnen, garantiert war der hier angebotene Spargel am frühen Morgen auf den Feldern bei Schwetzingen oder Bruchsal gestochen worden, aber die Kundin mäkelte an jeder Stange herum: Die war zu dünn, die zu dick, und herrje, die war sogar ein bisschen krumm! Annabell erinnerte das ans Märchen vom König Drosselbart; da hatte die Königstochter auch an jedem Freier etwas auszusetzen gehabt – zu dünn, zu dick, zu krumm –, bis der leidgeprüfte Vater die Geduld verlor und ihr schwor, er würde sie dem nächstbesten Mann zur Frau geben. Was er auch tat. Doch die Königstochter hatte Glück im Unglück; der in Lumpen gekleidete Bettler war niemand anderer als der berühmte König Drosselbart.

Annabell fand die Königstochter absolut sympathisch. Die junge Frau wusste, was sie wollte, und was die Männer betraf, hielt sie an ihren Wünschen und Vorstellungen fest. Die Königstochter ließ sich von nichts und niemandem kleinmachen, außerdem, das nahm Annabell stark an, vermutete sie, dass in dem Mann kein Bettler steckte. Und dass die kluge Tochter den Vater längst durchschaut hatte – hinter all seinem Brummeln und dem herrischen Gehabe versteckte der Papa doch nur sein gutes Herz, niemals würde er seinem Liebling Böses antun!

Annabell überlegte, ob sie das Märchen auch deshalb so liebte, weil sie der alte König an den eigenen Vater erinnerte. Auch er hatte ausschließlich zum Wohle seiner geliebten Tochter gehandelt, was sich später als weitsichtig und klug erweisen sollte.

Nun, ihr Mann war zwar kein König, aber seit kurzem trug er ein Bärtchen. Es stand ihm, keine Frage, nur beim Küssen störte es. Aber gut, während ihrer fast 25 Ehejahre hatte sie wahrhaftig Schlimmeres erlebt. Und durchgestanden. Wenn sie nur an die Sturm-und-Drang-Zeit ihres Sohnes Constantin dachte. Oder an den drogensüchtigen Freund ihrer Tochter Amelie. Um seine Sucht zu finanzieren, hatte er ihr ein paar Scheine aus dem Geldbeutel geklaut, dabei kam er aus einer der wohlhabendsten Familien Stuttgarts. Und mit Jonas, ihrem Mann, hatte sie auch nicht immer schöne Tage erlebt. Im Verlag waren sie zwar ein gutes Gespann, aber privat … na ja, das Leben war halt kein Wunschkonzert. So hieß es doch, oder? Insgesamt gesehen war sie jedoch ausgesprochen zufrieden.

Als sie vor vielen Jahren den Verlag von ihrem Vater übernommen hatte, war zum Glück auch der alte Lektor in den Vorruhestand gegangen – ein verdienter Mann, keine Frage, aber jede neue Idee hatte er kleingeredet. Jemanden zu finden, der ihre oft unkonventionellen Vorstellungen nicht sofort verwarf, war schwierig gewesen; zwei Bewerber hatte sie nach der Probezeit entlassen. Aber dann hatte Julia sich beworben. Schon bei der ersten Begegnung hatte sie deren Sympathie, Verständnis und den Willen, aus dem Job was zu machen, gespürt. Für sie und den Verlag war Julia der absolute Glücksfall. Ohne sie wäre aus dem biederen Verlag, der sich auf Wanderbücher wie »10 Genusstouren rund um Stuttgart« oder »Wandern und Einkehren auf der Ostalb« spezialisiert hatte, nicht der angesehene »Peregrin« geworden – Peregrin, der Wanderfalke. Auch der Name war Julias Idee gewesen. Als Lektorin hatte sie angefangen, nun war sie längst die angesehene Programmdirektorin und Annabells Freundin. Die eine konnte sich ganz und gar auf die andere verlassen, und wenn eine sich wegen einer Sache unsicher war, holte sie sich bei der anderen Rat.

Deshalb wunderte sich Annabell auch nicht, als Julia sie am Montagmorgen anrief und eine Sprachnachricht hinterließ. »Mia hat mir ein Manuskript auf den Tisch gelegt. Es gefällt ihr, aber irgendetwas stört sie. Ich habe mir das Manuskript kurz angeschaut, und ehrlich gesagt geht es mir wie Mia. Es eilt nicht, du kommst ja montags immer später, aber könntest du bei Gelegenheit kurz bei mir reinschauen?«

Annabell war im Badezimmer, als sie die Mailbox abhörte. Was ihre Lektorin Mia wohl entdeckt hatte? Ein Bericht über die wundersamen Erlebnisse eines betulichen Studienrats während seiner sechswöchigen Ferientour durch den Schwarzwald würde es wohl nicht sein, dachte Annabell und verzog das Gesicht – seit dem Erfolg von »Ich bin dann mal weg« dachten unzählige Autoren, sie könnten das mit »Ohne Kompass und Karte auf den Feldberg«, »Meine Schlauchbootfahrt über den Baggersee« oder, noch schlimmer, »Durch eine finstere Höhle auf der Schwäbischen Alb« toppen.

Eine halbe Stunde später parkte Annabell auf dem für sie reservierten Platz vor dem mehrstöckigen Verlagsgebäude, das ihr Urgroßvater Friedrich Holler kurz nach 1900 hatte erbauen lassen: Im Erdgeschoss residierte damals der neu gegründete Verlag, im ersten Stock wohnte die Familie, die Dienstboten hatten ihre Kammern unter dem Dach. Annabells Urgroßmutter fand das Haus nicht standesgemäß, weshalb um 1920 die Villa in Degerloch gebaut wurde. Vor fünf Jahren hatte Annabel das Haus sanieren lassen, und nun wirkte es sehr gediegen. Das Verlagslogo über der Eingangstür signalisierte jedem, der vorbeiging oder das Gebäude betreten wollte: Hier ist ein erfolgreicher Verlag zu Hause.

Annabell klappte den Spiegel herunter und zog die Lippen nach. Dann klemmte sie die Handtasche unter den Arm, warf schwungvoll die Tür zu und eilte ins Haus. Im Erdgeschoss befanden sich die Büros kleinerer Firmen, in der ersten Etage arbeiteten die Kollegen aus Vertrieb und Marketing. Der vertraute, ja, geliebte Geruch nach Papier und Büchern umfing sie im zweiten Stock. An den Wänden hingen in einheitlichen Rahmen großformatige Fotos bekannter Autoren und Sehenswürdigkeiten, Landkarten und Cover erfolgreicher Natur- und Wanderführer. Der lange Flur ohne Tageslicht war früher recht düster gewesen; nun sah er mit dem Teppichboden in einem pudrigen, sanften Blau und der indirekten Beleuchtung sehr einladend aus. Die Erstausgaben aus den Gründerjahren lagen in einer indirekt beleuchteten Vitrine unter Glas. Das hatte Stil.

In der Teeküche holte sie sich einen Becher Kaffee, dann begrüßte sie Frau Gruner, ihre Verlagsassistentin. »Oh, wie gut es bei Ihnen duftet!«

Frau Gruner war nicht nur eine ausgesprochen tüchtige Person; wie niemand sonst wusste sie über den Verlag und die Autoren Bescheid. Außerdem liebte sie Blumen; an diesem strahlenden Frühlingsmorgen verströmten die blauen Hyazinthen auf ihrem Schreibtisch ihren betörenden Duft.

»Ihnen habe ich eine Vase mit gelben Narzissen ins Zimmer gestellt.«

»Oh, vielen Dank, Frau Gruner!«

Ein üppiger Strauß stand auf ihrem Schreibtisch. Erfreut atmete sie den unaufdringlichen Duft der Blumen ein, dabei registrierte sie mit leichtem Erstaunen, dass die Tür zum Büro ihres Mannes geschlossen war. Das kam so gut wie nie vor; ohne nachzudenken, drückte sie die Klinke nach unten …

Alle Farbe wich aus ihrem Gesicht. Nach einer Schrecksekunde schwankte sie und suchte Halt an der Wand. O Gott, mein Mann gibt den Clinton von Stuttgart, schoss ihr durch den Kopf, bevor sie nur noch entsetzt nach Luft schnappen konnte.

Ihr Mann hing mit heruntergelassenen Hosen in seinem ergonomisch geformten Bürostuhl, Britta, die rothaarige Praktikantin, kniete vor ihm und hatte wohl eben abrupt ihre »Behandlung« unterbrochen. Mit aufgerissenem Mund und schreckgeweiteten Augen starrte sie Annabell an. Ihre Gesichtsfarbe wechselte schlagartig zu Puterrot.

Wenn die jetzt noch sagt: Es ist nicht so, wie’s aussieht, geh ich durch die Decke, dachte Annabell, während ihr Mann hastig mit beiden Händen sein geschrumpftes bestes Stück bedeckte. »Es …«, stammelte er, »es ist nicht so, wie du …«

Die offensichtliche Lüge brachte Annabell die Sprache zurück. »Britta, Sie holen Ihre Papiere und verschwinden! Sofort!«, stieß sie mit eisiger Stimme hervor. Dann schloss sie die Tür, klemmte die Tasche wieder unter den Arm und hetzte mit zitternden Beinen zum Auto – unfähig, das eben Erlebte in seiner ganzen Tragweite zu erfassen. Als sie den Motor anließ, wurde ihr für einen Moment schwarz vor Augen. Fort! Nur weg von hier!

Kapitel 2

Als Ines für einen Moment erschöpft innehielt, den Schnuller in der einen Hand, eine volle Windel in der anderen, haderte sie wieder einmal mit ihrem Schicksal. Dabei wusste sie genau, welche Entscheidung zu all dem hier geführt hatte. Damals, vor 15 Jahren, hatte sich alles richtig angefühlt …

Niemand warnte sie, niemand sagte: Mädchen, den Kerl kannst du nicht heiraten, der stürzt dich ins Unglück! Pah! Im Gegenteil: Alle beneideten und beglückwünschten sie und prophezeiten ihr immerwährendes Glück sowie eine nie endende Liebe.

Lange Zeit ging auch alles gut, der Schlamassel begann mit ihrem Erfolg: Als typische Glucke und Hausfrau hielt sie ihrem Mann den Rücken frei, kümmerte sich um Haus und Garten, zog Rosi, ihre Tochter, groß, brachte sich in der Schule als Elternvertreterin ein und sang sogar im Kirchenchor. In ihrer freien Zeit schrieb sie Geschichten, kleine Szenen, die sie beim Bäcker, Metzger, Arzt oder auf dem Markt beobachtet hatte, und manche wurden sogar in der Zeitung gedruckt.

Als ihre Tochter ins Teenageralter gekommen war und ihr buchstäblich das Leben zur Hölle machte, tippte Ines deren Untaten in den PC. Obwohl eher als therapeutische Hilfe zur Selbsthilfe gedacht, fand sie das Getippte ganz amüsant, überarbeitete es mehrfach und schickte es schließlich einem renommierten Verlag. Sie konnte ihr Glück nicht fassen, als sie die Zusage erhielt und schließlich und endlich den Vertrag unterschrieb.

Sie schilderte die Erlebnisse mit ihrer heranwachsenden Tochter samt deren wechselnden Freunden ohne Jammern oder Frust; das Buch traf den Nerv der Zeit und entwickelte sich zum Bestseller. Voller Stolz erzählte Rosi ihren Freundinnen, die Mama sei jetzt eine Schriftstellerin.

Und ihr Mann?! Tja. Der mutete sich eine Geschäftsreise nach der anderen zu, kam praktisch nur noch zum Wäschewechseln nach Hause und behauptete, das stressige Leben halte er nur ihretwegen durch, um Geld zu scheffeln, damit sich die Tochter die Reitstunden und die Gattin die neueste Vuitton-Tasche leisten konnten.

Weder Ines noch ihre Tochter glaubten ihm. Als ihre Freundin Annabell die Frage aufwarf, ob der Mann wohl eine Geliebte habe, so selten, wie er sich zu Hause blicken lasse, lieferte er die Erklärung frei Haus: Zwar käme er fürderhin für das finanzielle Wohl von Frau und Tochter auf, in angemessenen Grenzen natürlich, jedoch würde er künftig mit seinem Freund zusammenleben. Weiter den angepassten Familienvater und Hetero zu geben, komme für ihn nicht mehr in Frage, die Entscheidung sei unumkehrbar, zu einer Diskussion sei er weder jetzt noch in Zukunft bereit.

Wie bitte? Der Mann und Vater hatte einen Geliebten? Ines fiel aus allen Wolken. Natürlich kannte sie den besten Freund ihres Mannes, aber sie hatte wirklich keine Ahnung, dass er auch sein Liebhaber war. Nach dem ersten Schock war ihr klar: Sie musste handeln, bevor sie in die tiefste Sinnkrise ihres Lebens stürzte. Weg von allem, was ihren Alltag ausmachte – raus aus Stuttgart, aufs Land, wo sie ihre Wunden lecken und zu sich kommen konnte!

Schon bei ihrer ersten Ausfahrt war Ines auf den Hügeln vor den Toren Stuttgarts fündig geworden. Viel Wald, viele Wiesen mit Kühen, Pferden, Ziegen und Schafen, alte Obstbäume, kleine Dörfchen ohne Bäcker, Metzger, Postamt, Arzt oder Supermarkt. Weit und breit keine Industrie. In Ödernrod hielt Ines an. Bei ihrem Rundgang durchs Dorf entdeckte sie bescheidene Häuschen, sauber und liebevoll renoviert, jedes mit Blumen davor und Gemüsegarten dahinter. Ein krähender Hahn, scharrende Hühner und schnatternde Gänse. Immerhin war die Dorfstraße asphaltiert, auch das Wasser kam schon aus dem Hahn und der Strom aus der Steckdose.

Über der Tür stand in verblasstem Rot: Schule. Unterrichtet wurde hier aber wohl schon lange nicht mehr. An der Mauer hingen ein gelber Briefkasten und eine Infotafel mit Aushängen, die vom sozialen und kulturellen Leben des Ortes kündeten: Treffen der Landfrauen, Frühlingsfest des Schützenvereins, Grillparty der Kleintierzüchter. Ein paar Meter weiter standen ein Backhäusle und ein ehemaliges Milchhäusle, das nun ein Heimatmuseum beherbergte. Den Beweis lieferte die verstaubte Dekoration im Fenster: ein morsches Wagenrad, zwei bemalte Tonkrüge, die Brille eines Schulmeisters, Schiefertafeln, Griffel, Schwamm und Rohrstock.

Hinter einem mächtigen Apfelbaum erspähte Ines den Giebel eines Häuschens. Obwohl sie keine Ahnung hatte, ob es noch bewohnt war oder zum Verkauf stand, wusste sie plötzlich mit absoluter Sicherheit: Das ist mein neues Zuhause! Hier will ich wohnen!

Entschlossen drehte sich um, marschierte zurück zum Schulgebäude, das die Außenstelle der Gemeindeverwaltung beherbergte, und erfuhr, dass die betagte Besitzerin des Häuschens erst vor ein paar Tagen das Zeitliche gesegnet hatte. Die Erben hatten in der größeren Nachbargemeinde ein Haus gebaut und wollten das alte Gebäude hinter dem Apfelbaum loswerden.

Rosi weigerte sich, mit der Mutter aufs Land zu ziehen, und zog zu ihrem Vater und seinem Lebensgefährten. »Mama, ich lass mich doch nicht bei lebendigem Leib begraben«, protestierte sie. »Mein Gott aber auch, das größte Ereignis in deinem Kaff besteht darin, die Nacktschnecken aus dem Salat zu klauben und in Bier zu ersäufen.«

Von örtlichen Handwerkern hatte Ines das Häuschen behutsam renovieren lassen und war eingezogen. Sie achtete darauf, dass das Bett im Zimmer ihrer Tochter immer frisch bezogen war, und da man mit S-Bahn und Bus problemlos und in weniger als einer Stunde Ödernrod erreichte, kam Rosi häufig zu Besuch. Eine rabenschwarze Katze lief ihr zu, die sie ziemlich einfallslos Mieze nannte, und alles in allem war ihr Rückzug aufs Land ein voller Erfolg. Ines war glücklich und gab sich ganz dem Schreiben hin. Der Verlag freute sich über jedes neue Manuskript, das Ines ablieferte.

Eines Tages fiel ihr Rosi – damals war sie im dritten Semester ihres Medizinstudiums in Tübingen – schniefend um den Hals. »Mama, ich bin schwanger!«

Zunächst hielt Ines das für einen Witz. Ein Mädchen, das heutzutage ungewollt schwanger wurde? Wie sollte das denn gehen?

Die Erklärung war einfach: Pillenpause, Party mit zu viel Alkohol, eine Nacht, die zum Kuscheln verführte. Und natürlich die Hormone …. Ach ja.

Rosi und der so überaus großzügige Samenspender hatten schon im Kindergarten miteinander gespielt. Sie trafen sich auf dem Schulweg, machten zusammen die Tanzstunde, verliebten sich und waren unzertrennlich. Dann fand jeder eine neue Liebe, sie gingen auseinander und begegneten sich wieder, nämlich in der Tübinger Mensa. Zwei Semester lang waren sie ein Paar, dann wurde Rosi schwanger.

Die Eltern des jungen Mannes befanden sich geistig im vorletzten Jahrhundert und erklärten am Telefon, mit einer finanziellen Unterstützung sei ihr Beitrag geleistet, außerdem müsse der liebe Sohn an die künftige Karriere denken, und überhaupt sei Gebären und Aufzucht Sache der Frau. Bei Licht betrachtet sei heutzutage eine ungeplante Schwangerschaft äußerst ungewöhnlich; könnte es sein, dass die Studentin Bodennebel bekommen und die Pille … nun ja … ohne Wissen und Billigung des Sohnes … abgesetzt habe?

Nach diesem Gespräch war der Freund samt seinen Eltern für Rosi und Ines gestorben. Damals war das verständlich gewesen; erst im Laufe der Monate sollte Ines begreifen, dass sie manipuliert worden war. Ihre Tochter und sie waren den Kolbs voll auf den Leim gegangen und hatten nun die ganze Last allein zu tragen.

So kam’s, dass die Zwillinge Paul und Line bei Oma Ines landeten, während deren Eltern weiter in Tübingen studierten. War ja genug Platz im Häuschen, dazu die gute Landluft, die Milch direkt von Kuh oder Ziege, und das Schreiben lief irgendwie nebenher.

Kapitel 3

Als Annabell vor Ines’ Haustür stand, lieferten sich die inzwischen sieben Monate alten Zwillinge gerade einen erbitterten Kampf, aus dem das Mädchen als Siegerin hervorging: Triumphierend kreischend hielt sie ein Büschel Haare im Fäustchen. Doch Paul gab sich nicht geschlagen, er biss seine Schwester ins Bein. »Herrgott noch mal!«, brüllte Ines und klemmte sich je ein wütend strampelndes Kind unter den Arm. Sie öffnete Annabell die Tür und fragte überrascht: »Was treibst du denn hier? Du solltest doch gemütlich in deinem Verlag sitzen.«

»Würde ich ja gern …«

»Aber?«

»Mein Mann und Britta, die Praktikantin …« Annabell sackte auf einen Stuhl. Tränen liefen ihr über das Gesicht.

Ines setzte die Kleinen in den Kinderwagen, stopfte ihnen den Schnuller in den Mund und schob den Wagen hin und her. Und als hätten die Kleinen ein Einsehen, nuckelten sie friedlich. Was Annabell leider an die Szene im Verlag erinnerte. »O Gott, Ines, du hättest die beiden sehen sollen …«

»Was war den los? Hast du sie in flagranti erwischt? Das glaube ich jetzt nicht.«

»Es war nicht so, wie du denkst.« Annabell konnte nicht fassen, dass sie jetzt gar selbst diesen idiotischen Satz sagte.

»Nein? Sie lag also nicht auf dem Schreibtisch, während dein Mann sein Bestes gab?«

»Es war noch schlimmer …«

Annabell presste die Hände vor die Augen, doch das half nichts; das Bild hatte sich ihr ins Hirn gebrannt. Ines wartete. Ein leiser Wind bewegte das zarte junge Grün am Apfelbaum, die allerletzten Blütenblättchen trudelten zu Boden, unverdrossen schob Ines den Kinderwagen hin und her. Noch ein, zwei verhaltene Schluchzer, dann schlummerten die Kinder ein.

»Tee? Kaffee? Was Stärkeres?«, flüsterte Ines, um den Frieden nicht zu gefährden.

»Das Stärkste, das du im Haus hast«, hauchte Annabell.

»Du schiebst so lange«, wisperte Ines.

Ines kam mit zwei Gläschen und einer Flasche unterm Arm zurück. »Birnenschnaps«, sagte sie im Flüsterton und goss ein. »Vom Nachbarn. Selbstgebrannt und hochprozentig. Prost. Nun erzähl!«

Ines schüttelte ungläubig den Kopf, nachdem Annabell geendet hatte. »Ist die Praktikantin denn so sexy, dass …«

»Im Gegenteil. Ich hielt sie immer für ein Mäuschen: mittelgutes Aussehen, Arbeit ohne große Eigeninitiative, Auftreten so lala. Mittelmaß, wohin du schaust. Diese Britta ist alles andere als ein heißer Feger, aber Jonas … na, du kennst ihn ja.«

Ines rümpfte die Nase. »Ich kenne ihn nur außerhalb des Bettes. Trotzdem kann ich ihn mir nicht als den besten Liebhaber aller Zeiten vorstellen. Kein graziös tänzelnder Lipizzaner, eher so schwäbisches Arbeitspferd, vermute ich mal. Oder täusche ich mich?«

»Offensichtlich hat er Qualitäten, die mir in den vielen Jahren unserer Ehe verborgen geblieben sind. Die spart er sich wohl für andere auf.«

»Entschuldige, ich wollte nicht spotten, die Lage ist ernst. Befindest du dich noch im Schockzustand oder denkst du bereits an die Zukunft?«

Annabell stöhnte. »Ich kann keinen einzigen Gedanken zu Ende denken, ich hab immer noch das Bild vor Augen. Und weißt du was? Mir ist regelrecht schlecht. Wie soll ich jemals meinen Mann ansehen, ohne an den feuchten Mund …«

»Schschsch«, machte Ines. »Zerfleisch dich nicht. Es gibt Schlimmeres. Immerhin zerreißt sich nicht die ganze Welt das Maul über deinen Mann …«

»Aber«, unterbrach sie Annabell, wobei sich die Lautstärke bei jedem Wort steigerte, »wer weiß, wie viele im Verlag davon wissen? Das ist ja so peinlich, so demütigend ist das!«

»Pssst! Bist du wahnsinnig? Weck die Kleinen nicht auf«, fauchte Ines und schob wieder den Kinderwagen. »Schätzchen«, fügte sie besänftigend hinzu, »nun sei mal realistisch. Nur du hast die beiden überrascht, und die werden schweigen wie das Grab. Ist doch klar. Und wenn sich jemand bei dir erkundigt, weshalb die nette kleine, fleißige, anpassungsfähige Praktikantin so plötzlich nicht mehr auftaucht, würde ich sagen, sie habe sich leider so unsäglich unfähig gezeigt, dass dir keine andere Wahl blieb, als sie vor die Tür zu setzen. Und was deinen Jonas betrifft …« Ines zögerte. »Da würde ich das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.«

»Mensch, Ines! Drück dich klar aus, und spiel nicht Orakel von Ödernrod.« Nur mühsam dämpfte Annabell die Stimme.

»Hör zu, meine Liebe«, sagte Ines langsam. »Wo Hillary Clinton politisch steht oder stand, ist mir völlig gleichgültig. Davon abgesehen bewundere ich sie wie keine andere – ich an ihrer Stelle hätte dem Kerl das Messer in den Unterleib gerammt. Dann hätte ich die Polizei angerufen und gesagt: ›Hier spricht die Ehefrau des Präsidenten! Hören Sie – ich war’s, und ich würde es wieder tun!‹ Obwohl Hillarys Visagist und Friseur damals bestimmt sein Bestes geben haben, hat man ihr angesehen, wie verletzt sie war. Aber sie hat sich nicht heulend im Bett verkrochen, sie hat der Welt trotzig die Stirn geboten, was ich unfassbar stark fand. Was ich damit sagen möchte, Annabell. Schau, als sich mein Mann gegen mich und für seinen Liebhaber entschied, war das eine endgültige Sache. Eine sexuelle Ausrichtung kannst du nicht ändern oder rückgängig machen. Aber lass du dir von einer kleinen Praktikantin nicht dein ganzes bisheriges Leben über den Haufen werfen. Das ist sie nicht wert. Mach erst mal nichts.«

Annabell schrie auf. »Wie bitte? Soll ich etwa mit Jonas Tisch und Bett teilen, als hätte ich nichts gesehen? Das ist ausgeschlossen!«

Annabells Schrei hatte die Zwillinge geweckt. Noch hielten sie still, aber es war die Ruhe vor dem Sturm. »Egal, was du sagst oder tust, Annabell. Pass einfach auf, dass du nicht verbrannte Erde hinterlässt. Das lohnt nicht, glaub mir, das verbaut dir nur ein anständiges Miteinander. So, aber jetzt muss ich die Kleinen füttern.« Sie legte den Arm um Annabell und zog die Freundin an sich. »Du kannst jederzeit zu mir ziehen. Kost und Logis gegen Babysitten. Das wär doch was, oder?«

Kapitel 4

Was für ein strahlend schöner Frühlingstag! Widerstrebend ging Julia zum Schreibtisch und griff nach dem Becher neben ihrem PC. Nachdenklich nippte sie am Kaffee, der inzwischen kalt geworden war. Sie würde frischen Kaffee machen und dann mit Annabell über dieses eigenartige Manuskript sprechen, das Mia aus den zahlreichen unverlangt eingesandten Manuskripten gefischt hatte.

Julia runzelte die Stirn – was, verdammt noch mal, stimmte nicht damit? Die Charaktere waren in Ordnung, die Logik auch, die Stimmungen waren lebendig beschrieben. Trotzdem. Lag es vielleicht an der Sprache? Wieder ließ sie ihren Blick über die erste Seite wandern: Franz Villon. Mitte 30, Dichter, Komponist und fahrender Sänger. Liedermacher also. So stellte sich der Autor vor. Klar, der Name war ein Pseudonym, der Mann trat in die Fußstapfen von François Villon.

Zur Sicherheit frischte Julia ihr Wissen mit Hilfe von Google auf. François de Moncorbier kam im 15. Jahrhundert als Sohn mittelloser Eltern in Paris zur Welt, verlor sehr früh den Vater, kam in die Obhut eines Stiftsherrn und Rechtsgelehrten und nahm dessen Namen an: Villon. Er begann ein Studium, brach es ab, wurde Mitglied einer kriminellen Bande und führte fortan ein unstetes Leben zwischen Freiheit und Kerker. Immer wieder verdankte er sein Leben unverhoffter Begnadigungen; er revanchierte sich mit Balladen voller Galgenhumor: »… und von dem Strick einer Elle/Wird mein Hals erfahren, was mein Hintern wiegt.«

Fast alle seiner Texte waren erhalten; 1489 wurde sein Werk gedruckt, dann immer wieder nachgedruckt. Villon geriet nicht in Vergessenheit, sondern sein Werk beeinflusste Literaten des Expressionismus und sogar der heutigen Zeit, auch Reinhard Mey vertonte und sang zu Beginn seiner Karriere einige Villon-Balladen.

Julia musste unbedingt mit Annabell sprechen; die hatte ein untrügliches Gespür dafür, was in einem Text nicht stimmte. Und hier stimmte was nicht, darauf würde sie die Flasche Wein verwetten, die sie gestern gekauft hatte. Mit dem Muskat-Trollinger wollte sie auf den Geburtstag ihrer Lebensgefährtin Edith anstoßen.

Seit mehr als einem Jahrzehnt waren sie und Edith nun ein Paar. Sie lebten und wohnten zusammen, und, das war natürlich das Wichtigste, sie liebten sich noch immer und würden bis ans Ende ihrer Tage zusammenbleiben. Mit keinem Mann wäre eine so innige und vertrauensvolle Liaison möglich, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Jetzt war Annabell da, Julia kannte den Sound ihres Autos. Sie hörte, wie Annabell in ihr Büro stöckelte, einen kurzen Augenblick lang herrschte Stille … dann klappte eine Tür zu, hastige Schritte waren zu vernehmen. Julia trat auf den Flur: Was war denn hier los? Sie sah gerade noch, wie Annabell zu ihrem Wagen stürmte. Julia stürzte ans Fenster und rief: »Annabell! So warte doch!«

Zu spät. Annabell legte den Rückwärtsgang ein, die Reifen quietschten hollywoodverdächtig, ihre Verlegerin und Freundin brauste von dannen. Irgendetwas lag im Argen, davon war Julia überzeugt. Sie griff nach ihrem Handy, rief Annabell an, hörte den Klingelton, einmal, zweimal, dann wurde die Verbindung unterbrochen.

Das gibt’s doch nicht, dachte Julia, ich muss Jonas fragen, vielleicht steckt eines der Kinder in Schwierigkeiten. Als sie in den Flur trat, kam die neue Praktikantin aus Jonas’ Büro. Ziemlich derangiert, mit hochrotem Kopf und schuldbewusster Miene. Verlegen drückte sie sich an Julia vorbei. Die schnupperte und roch Jonas’ Rasierwasser.

Nachdenklich blickte Julia dem Mädchen hinterher. Sie musste wissen, was im Verlag vorging, das war sie Annabell schuldig. Kurz entschlossen betrat Julia nach einem kurzen, scharfen Anklopfen Jonas’ Büro. Der starrte aus dem Fenster, aber das war es nicht, was Julia stutzig machte. Es war dieser … dieser Geruch, der in der warmen Luft des Zimmers hing. Es roch ganz leicht, aber eindeutig nach Schweiß. Und Sex.

Behutsam schloss Julia die Tür wieder, lehnte sich für einen Moment an die Wand und fragte sich, wie dämlich dieser Mann doch war. Erst diese nervige Pseudoautorin Eunike Galante, jetzt auch noch eine naive Praktikantin! In ihrem Büro fiel Julia auf ihren Schreibtischsessel, schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte verhalten: Annabell war viel zu gutgläubig! Alle Mitarbeiter im Verlag wussten von dieser unsäglichen Eunike, auch wenn Julia sie noch nie gesehen hatte. Die hatte sich Jonas so diskret, zartfühlend, leise und rücksichtsvoll wie ein gigantischer Schaufelbagger genommen. Natürlich hatte er es überaus willig geduldet, Jonas nahm auf diesem Gebiet wirklich jedes Angebot wahr. Schon zweimal hatte sie Annabell auf die Gerüchte aufmerksam gemacht, aber die hatte nur die Schultern gezuckt und gemeint, von einer kleinen Möchtegern-Autorin würde sie sich nicht das Leben vermiesen lassen.

Jetzt musste sie Annabell beistehen. Bedingungslos. Sofort. Sie musste sie auffangen, denn eines war klar – der Betrug würde sie im Innersten treffen. Erst vor kurzem hatten sie über einen Zeitungsartikel gesprochen, der Untreue als den ultimativen Betrug am Partner bezeichnete. Heute, wo jeder sich seinen Partner oder seine Partnerin selbst aussuchte, sich zwei Menschen absolut freiwillig zusammentaten und einander vertrauten, bekam Untreue umso mehr Gewicht.

Grübelnd sah Julia aus dem Fenster. Wohin war Annabell geflüchtet?

Kapitel 5

Annabell fuhr, wohin das Auto wollte. Verließ die Landstraße, bog auf einen geteerten Feldweg ein, erreichte ein Waldgebiet und stoppte schließlich, als der Weg im Morast endete. Wenden konnte sie nicht, nur noch rückwärtsfahren. Sie ging ein paar Schritte und fand am Waldrand eine Bank. Sie holte tief Luft. Was für eine Aussicht! Ihr gegenüber zog sich ein Hügelrücken entlang. Hier und da lugten ein Kirchturm und rote Dächer zwischen dem tiefen Grün hervor, vor ihr, auf der Sonnenseite, standen Apfel- und Birnbäume bis hinunter ins Tal. Ein Bach, vielleicht war es sogar ein Flüsschen, gesäumt von Erlen und Weiden, schlängelte sich hindurch. Weit und breit kein Mensch, kein tuckernder Traktor, keine Kettensäge, kein Lärm irgendeiner Maschine. Schön war das, so ruhig, friedlich und weltentrückt – und das eine halbe Fahrstunde von Stuttgart entfernt? Das grenzte an ein Wunder. Auf der Alb, im Remstal, im Schönbuch traten sich sogar werktags die wandernden Rentner auf die Füße. Oder wurden von Mountainbikern umgenietet. Dieses Fleckchen des Landes schien vergessen, vielleicht sogar noch gar nicht entdeckt worden zu sein. Sie hätte ja auch niemals hergefunden, wenn Ines nicht in Ödernrod wohnen würde.

Sie legte die Hände in den Schoß und versuchte, dasProblemJonas zu analysieren. Sie war ja nicht blind – auch wenn die Leute im Verlag das annahmen –, längst hatte sie die Schwäche ihres Mannes entdeckt. Hatte sich mit der Tatsache abgefunden, dass es Männer gab, die es nicht lebenslang mit einer einzigen Frau aushielten. Männer wie Jonas konnten keinem auffordernden Blinzeln widerstehen. Als sie von seiner ersten Affäre erfahren hatte, war die Welt für sie zusammengebrochen. Die Kinder waren noch klein gewesen; Amelie ging in den Kindergarten, Constantin in die 1. Grundschulklasse. Der Verlag hatte gerade Fahrt aufgenommen, sie hatten die Villa in Degerloch renovieren lassen, hatten eine Menge Schulden, und die wirtschaftliche Lage auf dem Buchmarkt war alles andere als rosig. Trotzdem wollte sie sich scheiden lassen: Ein Seitenspringer an ihrer Seite vertrug sich nicht mit ihren Vorstellungen von Ehe. Zudem – hatte sie ihm das nicht klargemacht, als er sie bat, ihn zu heiraten? Während des Studiums in Tübingen hatten sie sich kennengelernt. Sie, die Verlegertochter aus gut situiertem Hause, studierte natürlich Germanistik und Romanistik. Er, der Sohn einer Verkäuferin und eines Kraftfahrzeugmechanikers bei Daimler, der als Nebenerwerbsbauer sein Stückle bewirtschaftete, studierte Jura. Sie hatte sich keineswegs in sein attraktives Äußere verliebt; sein Witz, sein bissiger Humor, seine oft ätzenden Kommentare hatten es ihr angetan. Ihre Freunde waren ihr immer zu brav, zu angepasst, zu langweilig gewesen. Jonas war eine echte Herausforderung. Er hinterfragte ihre Meinung und ließ kein schwaches Argument und keine Unklarheit durchgehen. Das imponierte ihr. Seine Eltern sparten sich das Geld, das sie ihm monatlich überwiesen (nicht per Dauerauftrag, nein, es war immer eine neu ausgestellte Überweisung, der Bub sollte wissen, wie sehr sie sich für ihn krummlegten) zwar nicht vom Mund ab, aber üppig hatten sie’s wahrhaftig nicht. Trotzdem jobbte er nicht nebenher, irgendwie schlängelte er sich eben durch. Wenn sie ausgingen und sie die Rechnung übernehmen wollte, wehrte er sich lange und ernsthaft, schließlich und endlich gab er aber nach. Nicht mal da wurde sie misstrauisch, auch nicht, als eine wohlmeinende Kommilitonin ihr »im Vertrauen« mitteilte, sie habe ihren Jonas mit einer anderen gesehen. »Nicht nur einmal«, hatte sie geflüstert. »Immer, wenn du am Wochenende deine Eltern besuchst, sitzen die am Neckar und knutschen.«

Nachdenklich wurde sie allerdings, als er sie fragte, was denn mit dem Verlag passieren würde, sollten ihre Eltern ein gewisses Alter erreichen. »Na, was wohl?«, hatte sie erstaunt geantwortet. »Ich habe keine Geschwister. Den Verlag übernehme ich, ist doch klar, oder?«

»Klar«, hatte er geantwortet. »Deshalb studierst du ja auch Sprachen. Aber wer in eurem Verlag kümmert sich denn um die finanzielle Seite? Und um Verträge, Tantiemen und so?«

»Das macht der Karl Pfitzenmaier. Er ist Jurist.«

»Aha. Und – wie alt ist er?«

Annabell lachte schallend. »Den Karl hat mein Vater von seinem Vater übernommen, der ist ein Urgestein!«

»Dann wird er wohl irgendwann in Rente gehen«, stellte Jonas versonnen fest. Um mit blitzenden Augen hinzuzufügen: »Dann wären wir ja das ideale Gespann.«

So weit hatte Annabell noch gar nicht gedacht. »Kann schon sein.«

Von diesem Tag an war Jonas an ihrer Seite. Sie machten Examen, heirateten und traten in den Verlag ein. Dann wurden die Kinder geboren, ihr Vater zog sich mehr und mehr zurück – der Übergang vollzog sich recht problemlos, zumindest ohne größere Reibereien, und als er nach einem schweren Infarkt starb, standen sie bereit: Jonas, der Jurist, übernahm Karl Pfitzenmaiers Aufgabengebiet, Annabell die verlegerische Seite.

In die Zeit der Trauer, der beruflichen Herausforderungen und der Selbstzweifel, ob sie ihrer Aufgabe gewachsen sei, fiel Jonas’ Affäre mit Manuela, einer Juristin. Die beiden hatten miteinander studiert, sie arbeitete in einer Stuttgarter Kanzlei und war ebenfalls verheiratet.

Annabell stellte Jonas die gepackten Koffer vors Haus, und er zog zu einem Freund. Natürlich sahen sie sich täglich im Verlag, und da waren die Kleinen mit ihren Fragen, wann denn der Papa wiederkomme … Jonas schwor Stein und Bein, er habe sich von Manuela getrennt, nie mehr würde er sich auf eine andere einlassen. Trotz ihres Misstrauens glaubte Annabell ihrem Mann. Er zog wieder ein, und oberflächlich betrachtet ging alles gut. Aber Stuttgart war ein Dorf: Obwohl Jonas sehr diskret vorging, erfuhr sie immer mal wieder von einer Affäre. Annabell arrangierte sich allmählich damit. Jonas war kein Seelenverwandter, aber ein verlässlicher Freund und Partner. Die Kinder liebten ihn, er nannte seine Tochter »meine Prinzessin«, und für Constantin war er der Held, dem der Junge nacheiferte.

Man kann nicht alles haben – so hatte sich Annabell getröstet. Bis heute, als Jonas im Verlag den Bill Clinton von Stuttgart gab. Das, fand Annabell, ging zu weit. Das konnte und würde sie nicht dulden. Jetzt würde sie Fakten schaffen. Endgültig. Die Kinder studierten, der Verlag prosperierte, und überhaupt war Sex oder die Abwesenheit davon nicht alles. Morgen würde sie einen gigantischen Blumenstrauß aufs Grab ihres Vaters legen. Ihm hatte sie es zu verdanken, dass sie ihren Nachnamen beibehalten hatte und der Verlag ihr allein und nicht gemeinsam mit Jonas gehörte. Ihr Vater hatte nie viel von ihrem Mann gehalten, und deshalb hatte er sie vor die Wahl gestellt: »Entweder geht der Verlag nur in deine Hände, oder ich verkaufe ihn. Dann ist es mir nämlich gleichgültig, wer ihn ruiniert, Hauptsache, du hast nicht darunter zu leiden.«

Verliebt, wie sie damals war, hatte sie in einer rosaroten Zuckerwattewelt gelebt. Hatte die Augen fest verschlossen, obwohl sie schon damals irgendwie ahnte, Jonas könne ihrem Anspruch nicht genügen. Nach Abschluss ihres Studiums hatte ihr Vater sie sogar ins Ausland schicken wollen, nur damit sie den Mann vergaß, aber das hatte sie nur noch mehr an Jonas gebunden.

Ihr Vater hatte Jonas’ Charakter sofort durchschaut, vielleicht aus der Sicht eines Mannes heraus. Hatte mit seiner Meinung nicht hinterm Berg gehalten, aber sie hatte Jonas immer vehement verteidigt. Das hatte sie nun von ihrer Blauäugigkeit. Damit war jetzt Schluss. Endgültig!

Kapitel 6

Während Annabell auf der Bank am Waldrand über ihr Leben nachdachte, versuchte Julia verzweifelt, sie telefonisch zu erreichen. Entnervt warf sie das Handy auf den Beifahrersitz. Verdammt, wo war Annabell? Oben in Degerloch war sie nicht, die Haushälterin hatte sie am Morgen zum letzten Mal gesehen. Jonas wollte sie nicht anrufen, blieb nur noch Ines in Ödernrod. Kurz entschlossen rief sie deren Nummer auf, und nach einer Ewigkeit meldete sie sich mit einem knappen »Ja?«. Es dauerte, bis sie sich verständlich machen konnte, denn im Hintergrund tobte das ohrenbetäubende Gebrüll der Zwillinge.

Die drei Frauen waren richtig gute Freundinnen, die Liebe zu Büchern hatte sie trotz ihrer unterschiedlichen Lebenswege zusammengeschweißt.

»Annabell war hier«, sagte Ines, als es einen Moment ruhiger wurde, »wir konnten reden. Was weißt du?« Julia zögerte, denn Annabell war gleichzeitig auch ihre Chefin, und sie wollte keinesfalls illoyal sein. »Nun red schon«, sagte Ines hastig. »Ich weiß Bescheid.«

»Dann weißt du mehr als ich. Ich hab nur unsere kleine Praktikantin gesehen. Sie kam aus Jonas’ Zimmer, ihr Gesicht sprach Bände.«

»Jonas hat endgültig die rote Linie überschritten. Annabell wird jetzt endlich etwas unternehmen«, knirschte Ines. Das Kindergeschrei wurde wieder lauter.

»Ich störe nicht länger«, sagte Julia hastig. »Ich wollte nur wissen, wo Annabell steckt. Im Haus in Degerloch ist sie nicht, bei dir auch nicht …«

»Fahr zurück in den Verlag«, riet Ines. »So, wie ich Annabell kenne, wird sie früher oder später dort auftauchen. Kneifen und Schwäche zeigen passt nicht zu ihr.«

Ines sollte recht behalten. Kurz vor vier kam Annabell, einen Becher Kaffee in der Hand, zu Julia ins Büro und setzte sich ihr gegenüber. »Bitte frag jetzt nicht, wo ich gewesen bin. Es tut mir leid, dass ich mich verspätet habe. Worum geht es? Wobei brauchst du meine Meinung?«