Der spanische Chefarzt - Sarah Morgan - E-Book

Der spanische Chefarzt E-Book

Sarah Morgan

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Beschreibung

Die erste große Liebe bleibt! Das spürt Dr. Katy Westerling, als sie nach elf Jahren Dr. Jago Rodriguez wiedertrifft. Während sie Seite an Seite in der Notaufnahme Leben retten, kann Katy sich dem Charme des heißblütigen Spaniers nicht entziehen. Aber warum verließ er sie damals so plötzlich?

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Seitenzahl: 183

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IMPRESSUM

Der spanische Chefarzt erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

© 2004 by Julie Dixon Originaltitel: „The Spanish Consultant“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.

© Deutsche Erstausgabe in der Reihe BIANCA ARZTROMANBand 69 - 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Nicole Selmer

Umschlagsmotive: Harlequin Books S.A.

Veröffentlicht im ePub Format in 11/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733735876

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL, TIFFANY

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1. KAPITEL

Sie hatte vergessen, wie sehr sie es hasste, nach Hause zu kommen.

Katy atmete schneller, als sie sich in dem sorgfältig gepflegten Garten umsah, wo Menschen in Grüppchen zusammenstanden, Champagner schlürften und plauderten. Der Duft der Blüten vermischte sich mit dem Geruch frisch gemähten Grases – ein perfekter englischer Sommertag.

Katy jedoch fühlte sich erschöpft und angespannt. Sie sehnte sich nach der Geborgenheit ihres Londoner Apartments am Fluss.

Nur wegen ihrer Mutter war sie hergekommen.

„Herzlichen Glückwunsch, Dr. Westerling!“

Als sie die vertraute Stimme hinter sich hörte, drehte Katy sich erleichtert um. Beim Anblick ihrer Schwester blieb ihr der Mund allerdings offen stehen.

„Was hast du denn mit deinem Haar gemacht?“

Elizabeth, genannt Libby, schüttelte ihre lange Mähne und grinste etwas boshaft. „Das soll eine Überraschung für Dad sein. Der Farbton nennt sich Erdbeerblond. Gefällt er dir?“

„Es ist pink“, stellte Katy mit schwacher Stimme fest. Libbys Grinsen wurde breiter.

„Ich weiß. Großartig, oder?“ Ihr Blick wanderte herausfordernd über die durchweg konservativ gekleidete Menge. Kopfschüttelnd betrachtete Katy die für gewöhnlich leuchtend blonde Haarpracht ihrer Schwester.

„Wäscht sich das raus?“

„Na klar.“ Schnell griff Libby sich ein Glas Champagner von einem der Tabletts, die die Kellner durch den Garten trugen. „Aber bestimmt nicht, bevor ich unserem verehrten Vater damit einen Heidenschreck versetzt habe.“

Bei dem Gedanken an den Zorn ihres Vaters verstärkte sich Katys Anspannung. „Du legst es immer darauf an, ihn zu provozieren. Hättest du nicht wenigstens ein etwas längeres Kleid anziehen können?“

„Auf keinen Fall.“ Demonstrativ bewegte Libby die Hüften. „Meinst du, er weiß es zu würdigen?“

Katy musterte das eng anliegende Kleid, das Libbys schlanke Beine beinahe in ihrer ganzen Länge enthüllte. In einem Nachtclub wäre es vielleicht ein angemessenes Outfit gewesen, aber ganz sicher nicht auf dieser Gartenparty.

„Er wird vermutlich einen Tobsuchtsanfall bekommen.“ Sie warf einen kurzen Blick zu Westerling senior, der in ein ernstes Gespräch mit einigen Kabinettsmitgliedern vertieft war und die Ankunft seiner Töchter noch nicht bemerkt hatte. Es würde garantiert Ärger geben. Katy biss sich auf die Lippen. „Warum musst du dich immer so aufführen, Lib? Warum kannst du dich nicht wenigstens einmal zusammennehmen?“

„Warum sollte ich?“ Sanft berührte Libby die Perlenkette um Katys Hals. „Ich bin nun einmal keine Perlenkettenträgerin. Und das bist du auch nicht, du willst es dir nur nicht eingestehen.“

Katy schaute zur Seite.

Sie hatte keine Ahnung, wie sie wirklich war.

Die Direktheit ihrer Schwester hatte sie wie so oft aus dem Gleichgewicht gebracht. „Nur weil ich mich für die Gartenparty unserer Eltern passend anziehe, heißt das noch lange nicht …“

„Unsere Geburtstagsparty“, unterbrach sie Libby. „Wir haben heute Geburtstag, schon vergessen? Du, ich und Alex.“ Sie drehte sich um, blickte über die gestutzten Hecken und die elegant gekleideten Gäste und verdrehte die Augen. „Ich wette, wir sind die einzigen Drillinge auf der Welt, zu deren Geburtstag die Eltern eine Party schmeißen, bei der sie nur ihre eigenen todlangweiligen Freunde einladen, und das Ganze hinterher als Firmenveranstaltung von der Steuer absetzen. Nun ja, ich zumindest weigere mich, bei dieser Farce mitzuspielen. Und du tust es nur, weil du so ein lieber Mensch bist und schreckliche Angst vor Konflikten hast.“

Das Funkeln in Libbys Augen verunsicherte Katy. „In ein paar Stunden sind wir wieder zu Hause“, versuchte sie ihre Schwester zu besänftigen. „Nimm doch ein bisschen Rücksicht, Libby. Mum zuliebe.“

„So wie du?“ Libby blickte Katy direkt in die Augen. „Hast du nie den Wunsch, diese ganze aufgeblasene Bande zu schockieren? Dich sinnlos zu betrinken, laut zu fluchen oder dir die Kleider vom Leib zu reißen und nackt im Springbrunnen zu tanzen?“

„Alles zugleich?“ Katy lächelte leicht und sah dann zu einer Gruppe von jungen Männern hinüber, die den Champagner wie Wasser herunterkippten.

„Oh, entschuldige, ich vergaß. Natürlich kannst du so etwas nicht tun. Lord Frederick Hamilton würde dieses Verhalten gar nicht billigen.“ Libby schwieg einen Augenblick, dann seufzte sie, und ihr hübsches Gesicht wurde ernst. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du diesen Mann wirklich heiraten willst.“

Katy schluckte.

Manchmal konnte sie es selbst nicht glauben.

Aber es war die richtige Entscheidung.

„Ich meine, schau ihn dir doch an! Ihr habt euch seit Tagen nicht gesehen, warum zerrt er dich nicht für eine wilde Knutscherei hinter ein Gebüsch?“ Libby legte den Kopf zur Seite und musterte ihren zukünftigen Schwager skeptisch. „Er ist so damit beschäftigt, Kontakte zu knüpfen, dass er nicht einmal gemerkt hat, dass du hier bist. Auch wenn du splitternackt und mit Schlagsahne bedeckt vor ihm stündest, würde er sich lieber mit diesen unheimlich wichtigen Leuten unterhalten.“ Der Sarkasmus in ihrer Stimme war unüberhörbar.

Ihre Schwester hatte mit allem, was sie sagte, recht, und Katy fragte sich, warum es ihr so wenig ausmachte. Vielleicht lag es daran, dass sie überhaupt nicht wollte, dass Freddie sie hinter ein Gebüsch zerrte und wild küsste. Es war ihr sehr viel lieber, wenn er sich mit seinen Geschäftsfreunden unterhielt und sie in Frieden ließ.

Mit Freddie war sie auf der sicheren Seite.

In diesem Moment schaute ihre Mutter zu ihnen herüber, und ein entsetzter Ausdruck trat in ihr Gesicht. Sichtlich in Panik, warf sie einen Blick auf ihren Ehemann, der jedoch immer noch in sein Gespräch vertieft war.

Libby atmete hörbar ein und grinste dann. „Bereit zum Abheben? Zehn, neun, acht …“

Die beiden warteten, während ihre Mutter auf sie zueilte: Katy nervös und angespannt, Libby trotzig und amüsiert.

Entnervt schaute Katy ihre Schwester an. Wieso nur hatte sie so gar keine Angst vor ihrem Vater?

Auseinandersetzungen mit ihm vermied sie nicht, nein, sie schien sie sogar zu genießen.

Als hätte sie ihre Gedanken gehört, zog Libby jetzt an ihrem Kleid, um den ohnehin weiten Ausschnitt noch zu vergrößern.

„Elizabeth.“ Lady Caroline Westerling blickte nervös zwischen ihren Töchtern und ihrem Ehemann hin und her. „Dein Haar ist unmöglich, und was um Gottes willen hast du da an?“

„Ein Partykleid“, entgegnete Libby munter. „Für meine Geburtstagsparty.“

Bei dieser mehr als deutlichen Anspielung auf den eigentlichen Anlass der Feier zuckte Katy zusammen, aber ihre Mutter wirkte gänzlich unberührt von der Spitze.

„Es sieht unanständig und billig aus.“ Caroline schüttelte den Kopf. „Dein Vater wird sich fürchterlich aufregen.“

Libbys Augen funkelten. „Das will ich hoffen.“

„Warum nur, Elizabeth? Warum musst du dich so benehmen?“ Caroline wies mit der Hand über die Gästeschar. „Es sind einige junge passende Männer gekommen, die ich dir gerne vorgestellt hätte. Aber nicht in diesem Aufzug. Geh bitte ins Haus, und lass dir von Sally etwas anderes zum Anziehen heraussuchen.“

Libbys Grinsen wurde noch breiter. „Mum, ich interessiere mich nur für unpassende junge Männer, das weißt du doch. Ich mag dieses Kleid, und es interessiert mich nicht, was Dad denkt. Und dich sollte es auch nicht interessieren. Du lässt dich viel zu sehr von ihm einschüchtern.“

„Lass es jetzt gut sein, Lib“, mischte Katy sich ein.

Aber Libby wandte den Blick nicht von ihrer Mutter. „Du solltest ihm nicht immer nachgeben.“

Caroline Westerling ignorierte die Worte ihrer Tochter und schaute nervös zur Seite. „Euer Vater hat heute einige wichtige Leute eingeladen.“ Mit einem gezwungenen Lächeln schaute sie Katy an. „Freddie ist wirklich wunderbar. Er kommt so gut mit allen zurecht. Dein Vater ist sicher, dass er es noch weit bringen wird.“

„Sehr weit weg, hoffe ich“, murmelte Libby, woraufhin Katy ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.

Was würde sie nur ohne Libby tun? Sie liebte die impulsive und furchtlose Art ihrer Schwester.

Niemand würde Libby dazu bringen, etwas zu tun, das sie nicht wollte.

Nicht einmal ihr Vater.

Währenddessen war Caroline noch immer beim Thema. „Freddie ist eine großartige Partie, Katy. Jetzt müssen wir uns nur noch um deine Arbeit kümmern. Ich hoffe doch sehr, dass du diesen Unsinn mit der Medizin sein lässt, wenn du erst verheiratet bist.“

Katy richtete sich auf. „Das werde ich nicht.“

„Aber Liebes, du hast jetzt deine Ausbildung beendet. Du hast allen bewiesen, dass du etwas leisten kannst. Es ist wirklich nicht nötig, jetzt noch weiterzumachen. Freddie ist äußerst wohlhabend, du hast die Einkünfte aus deinem Treuhandfonds und bist wirklich nicht auf einen Beruf angewiesen. Freddie wird erwarten, dass du dich um euer Heim kümmerst. Du wirst gar keine Zeit für einen Beruf haben.“

„Und was ist mit mir?“, fragte Libby. „Ich bin Krankenschwester – ist das etwas anderes? Und Alex ist ebenfalls Arzt. Wollt ihr, dass wir auch unsere Arbeit aufgeben?“

„Aber Katy wird doch bald heiraten“, wiederholte Caroline.

Mit einem unterdrückten Stöhnen entgegnete Katy: „Ich werde nicht aufhören zu arbeiten.“

Manchmal hatte sie das Gefühl, ihre Arbeit wäre das Einzige, das sie bei Verstand hielt.

Nervös rieb sich Caroline die Hände. „Aber du kannst doch nicht weiter dauernd Überstunden machen und die Nächte durcharbeiten, wenn du verheiratest bist.“

Katy liebte Nachtschichten und Überstunden. Sie waren die perfekte Ausrede für ihr fehlendes Privatleben.

„In zwei Wochen fängt mein neuer Job an“, erinnerte sie ihre Mutter. „Ich werde als Notfallärztin in der Unfallambulanz arbeiten.“

Und sie konnte es kaum abwarten.

„Oh Katherine, wie kannst du nur?“ Entsetzt verzog ihre Mutter das Gesicht. „All diese gewalttätigen und betrunkenen Menschen, die man in den Nachrichten sieht. Warum willst du das nur tun, wenn du es doch gar nicht musst?“

Weil sie die Medizin liebte. Und weil sie sich so weit wie möglich von der Welt der Finanzen und des Hochadels entfernen wollte, in der ihre Eltern lebten.

„Es ist doch eine echte Verschwendung“, sagte ihre Mutter. „Ich erzähle noch immer all meinen Freundinnen, wie erfolgreich du mit siebzehn als Model warst. Du warst auf allen Titelseiten und wenn du dir das mit dem Medizinstudium nicht in den Kopf gesetzt hättest, wärst du jetzt eines von diesen Supermodels.“

„Ach Quatsch“, mischte Libby sich ein. „Katy hat inzwischen zum Glück ein bisschen Fleisch auf den Knochen, für so eine Karriere hätte sie sich zu Tode hungern müssen.“

Caroline presste die Lippen aufeinander. „Versprich mir, dass du diesen Unsinn mit der Notfallambulanz aufgibst. Freddies Eltern machen sich auch ihre Gedanken. Es ist einfach keine passende Tätigkeit für dich, Katy.“

Passend. Da war wieder dieses Wort.

Katy hatte das Gefühl, als würde ihr Kopf gleich explodieren.

Was war nur mit ihr los?

Für gewöhnlich tat sie alles, um ihrer Mutter zuliebe den Hausfrieden zu wahren, aber heute wäre sie am liebsten schreiend davongelaufen.

„Tritt die Stelle an, wenn du unbedingt musst“, fuhr Caroline fort. „Aber in drei Monaten heiratest du Freddie, und dann wirst du auf jeden Fall kündigen müssen. Oh, schau nur, da ist Freddies Mutter. Ich muss mit ihr noch einige Dinge für die Hochzeit besprechen.“ Mit einem weiteren verzweifelten Blick auf Libbys Kleid drehte sie sich um und bahnte sich mit einem strahlenden Lächeln ihren Weg durch die Menge.

Laut seufzte Libby auf. „Sieh sie dir nur an“, sagte sie mit einer Kopfbewegung zu ihren Eltern, die jetzt nebeneinander standen. „Sie wirken immer so, als würden sie sich nicht einmal besonders mögen. Manchmal glaube ich, ihre Ehe ist eine rein geschäftliche Vereinbarung. Kein Wunder, dass wir beide und Alex völlig beziehungsgestört sind. Wir hatten keine besonders positiven Vorbilder.“

Katy fuhr sich mit der Zunge über ihre ausgetrockneten Lippen. Diese Party wurde langsam zu einer völligen Katastrophe. „Wir sind doch nicht beziehungsgestört.“

„Oh doch, das sind wir. Du verbringst dein Leben so sehr damit, Dad zu gefallen, dass du nicht mehr weißt, wer du eigentlich bist. Ich bin so damit beschäftigt, mich ihm und Mum in allem zu widersetzen, dass ich auch schon ganz verwirrt bin. Und was Alex angeht …“ Libby drehte sich um, und ihr Blick schweifte auf der Suche nach ihrem Bruder über die Menge. „Alex ist so desillusioniert von der Ehe, dass er jede Beziehung zu einer Frau nach drei Monaten beendet, nur um sicherzugehen, dass nichts Ernstes daraus wird. Er ist die perfekte Verkörperung des Wortes ‚beziehungsgestört‘.“

„Das bist du auch“, entgegnete Katy.

„Sag ich doch.“ Mit einer dramatischen Geste breitete Libby die Arme aus und wies auf ihre Eltern. „Kein Wunder. Wenn ernste Beziehungen so aussehen, dann sterbe ich hoffentlich als Single.“

„Wie kannst du so etwas nur sagen, Libby.“

Ihre Schwester wurde jedoch von dem Surren einer Biene abgelenkt. Schnell trat sie einen Schritt zurück. „Oje, Killerinsekt im Anflug.“

Katy schaute besorgt. Libby war allergisch gegen Bienenstiche. „Hast du dein Kortison dabei?“

Lächelnd klopfte Libby auf ihre winzige Handtasche. „Lippenstift und Kortison – die Lebensretter der modernen Frau.“

Trotz ihrer leichtfertigen Antwort nahm sie ihre Allergie sehr ernst. Die ganze Familie tat das. Vor einigen Jahren hatte Libby eine äußerst heftige Reaktion auf einen Bienenstich gehabt und wäre beinahe erstickt. Nur Alex’ rascher Hilfe war es zu verdanken, dass sie überlebt hatte. Seitdem hatte auch Katy immer ein Gegenmittel dabei und ihr Bruder ebenfalls. Nur zur Sicherheit.

Die Biene flog davon, und Katy schaute wieder über den sorgfältig gepflegten Rasen zu Freddie hinüber, der gerade in sein Handy sprach.

Ein Schatten zog über Libbys Gesicht. „Heirate ihn nicht, Katy“, sagte sie mit leiser Stimme. „Es ist noch nicht zu spät, deine Meinung zu ändern.“

„Ich will meine Meinung nicht ändern.“

Ungläubig schüttelte Libby den Kopf. „Das Leben mit Lord Frederick wird eine endlose Reihe von Abendgesellschaften mit langweiligen Bankern sein. Er heiratet dich nur wegen Daddy.“

„Das ist mir klar.“ Die harten Worte ihrer Schwester hätten sie empören müssen, aber sie taten es nicht. Schließlich war es die Wahrheit. Der Einfluss und das Vermögen ihres Vaters waren der Grund für Freddies Heiratsantrag.

Erschüttert starrte Libby sie an. „Aber warum heiratest du ihn, Katy?“

„Weil ich es will.“

Weil diese Beziehung sicher und vorhersehbar war.

„Es ist nicht richtig. Willst du nicht einen Mann heiraten, den du liebst?“

Unwillkürlich atmete Katy schneller. Nein. Nein, das wollte sie nicht. Liebe war gefährlich.

Die Liebe hätte sie beinahe umgebracht.

„Na ja, vielleicht kannst du auf Liebe verzichten, aber was ist mit Leidenschaft?“ Mit schmalen Augen betrachtete Libby Freddie. „Mal ehrlich, dieser Mann lässt mich völlig kalt. Ich will jemanden, der so verrückt nach mir ist, dass er mich gegen eine Wand presst, mein Kleid hochschiebt und …“

„Da gibt es aber nicht viel hochzuschieben“, erklang eine trockene Männerstimme hinter den beiden Schwestern. „Dieses Kleid bedeckt ja kaum deinen Po.“

„Alex!“ Mit einem kleinen Freudenschrei umarmte Libby ihren Bruder. „Da bist du ja endlich.“

Sein attraktives Gesicht verriet kaum eine Regung. „Ich war beschäftigt.“ Er ließ sie los, wandte sich Katy zu, und seine Augen schauten plötzlich besorgt. „Hallo, Kleine. Alles in Ordnung?“

Nein.

Katy umarmte ihren Bruder ebenfalls, während sie sich wünschte, seinem durchdringenden Blick ausweichen zu können. „Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Alex.“

Er hob ihr Kinn an und zwang sie, ihn direkt anzusehen. „Also, was ist los? Sag’s deinem großen Bruder.“

Katy lächelte kurz. Gerade mal drei Minuten machten Alex zum erstgeborenen Drilling.

„Sie lässt sich in eine Ehe mit diesem Deppen Freddie drängen, das ist los“, murmelte Libby düster. „Das macht sie nur, um Dad nicht zu verärgern. Zeit für einen Drillingsrat, wenn ihr mich fragt.“

Katy löste sich von ihrem Bruder. „Das ist doch Unsinn. Mir geht’s gut. Wirklich. Ich bin nur ein wenig müde. Und auch ein bisschen nervös wegen der neuen Stelle.“

„Die Arbeit in der Notaufnahme wird dir gefallen“, sagte Alex. „Ich wünschte mir, du hättest dich nicht nur in London beworben. Wir hätten in unserer Klinik auch eine gute Ärztin gebrauchen können.“

Mit einem weiteren schwachen Lächeln entgegnete Katy: „Du bleibst doch nirgends lange, Alex. So arbeite ich im gleichen Krankenhaus wie Libby, und wegen Freddies Job in der City muss ich auf jeden Fall in London bleiben.“

„Oh ja, natürlich.“ Libby war noch immer aufgebracht. „Das wollte ich gerade sagen, als du kamst, Alex. Der ehrenwerte Lord Frederick ist so mit seiner Arbeit beschäftigt, dass er für Sex und Leidenschaft keine Zeit hat. Wahrscheinlich musst du dafür mit seiner Sekretärin einen Termin absprechen. Willst du wirklich so leben?“

Katy fühlte sich völlig elend. Sie schloss die Augen, um die besorgten Gesichter ihrer Geschwister nicht mehr sehen zu müssen.

Sie wollte nicht so leben, aber sie wollte auch keinen Sex mit Freddie.

Alex runzelte die Stirn und wollte gerade etwas sagen, als seine Mutter nach ihm rief.

„Bin gleich wieder da.“ Er strich Katy leicht über die Wange und wechselte einen bedeutsamen Blick mit Libby, bevor er mit energischen Schritten über den Rasen zu seinen Eltern ging.

„Er sieht verdammt gut aus. Wieso sind wir beide eigentlich blond und er dunkelhaarig? Mit seinen blauen Augen sieht das wirklich toll aus.“ Libby beobachtete, wie Alex locker mit den Geschäftsfreunden ihres Vaters plauderte. „Er wirkt immer ein bisschen gefährlich, findest du nicht?“

Wieder schloss Katy die Augen, und ein dumpfes Gefühl machte sich in ihrem Magen breit.

Ein anderer gefährlicher Mann war ihr Verhängnis gewesen.

Es herrschte angespanntes Schweigen. „Du denkst immer noch an ihn, nicht wahr?“ Libby schaute sie mit einem eindringlichen Blick aus ihren blauen Augen an. „Es ist elf Jahre her, dass er dir das Herz gebrochen hat, aber du denkst noch immer an ihn.“

Katy musste nicht fragen, wen ihre Schwester meinte. „N…nein, ich …“

Das dumpfe Gefühl wurde stärker, und ihr Herz schlug heftiger.

„Lüg mich nicht an, Katy.“ Libbys Stimme war weich. „Es scheint so lange her. Unser achtzehnter Geburtstag … erinnerst du dich noch an diesen Sommer?“

Regungslos stand Katy da. Ob sie sich noch erinnerte? Jede Minute war in ihr Gedächtnis eingebrannt.

Mit träumerischer Stimme fuhr Libby fort. „Weißt du, dass ich dich beneidet habe? Ich wäre liebend gern an deiner Stelle gewesen.“

„Hör auf, Lib“, sagte Katy schnell.

„Wie hat Dad ihn noch beschrieben?“ Libby legte den Kopf zur Seite. „Brillant, aber gefährlich? Ich werde nie vergessen, wie er zum ersten Mal bei einem von Dads Geschäftstreffen auftauchte. Da waren wir sechzehn, weißt du noch? Alle trugen Anzug und Krawatte, nur Jago Rodriguez kam in schwarzer Lederkluft auf einem Motorrad an. Kein Respekt für die Konventionen der englischen Gesellschaft.“

„Er ist ja auch Spanier“, murmelte Katy. Warum musste Libby eigentlich gerade heute über ein Thema reden, das sie seit Jahren vermieden hatten?

„Das sprach nicht gerade zu seinen Gunsten“, fuhr Libby ungerührt fort. „Er war kein Brite, und er hatte nicht den richtigen Stammbaum. Ich dachte, Mum würde in Ohnmacht fallen. Ich fand es immer toll, dass er sich nicht um die Vorurteile der Leute geschert hat. Als Sohn unserer Haushälterin war er es schließlich nicht gewohnt, sich in diesen Kreisen zu bewegen, aber das hat man ihm nie angemerkt.“

„Das lag daran, dass Mrs. Rodriguez so eine wundervolle Mutter war.“ Katy sprach fast gegen ihren Willen, sie wollte sich nicht an diese Zeiten erinnern. „In Spanien werden die Familienbande sehr gepflegt, und er war immer stolz auf seine Herkunft. Und als Dad ihm eine Chance in der Bank gegeben hat …“

Libby lachte spöttisch. „Sei nicht albern, Katy. Dad hat in seinem Leben noch nie etwas getan, ohne dass er selbst davon profitiert hätte. Er hat Jago Rodriguez eingestellt, weil er sein Talent und wahrscheinlich auch ein paar verwandte Charakterzüge erkannte. Beide können rücksichtslos, ehrgeizig und herzlos sein.“

Die kühle Analyse ihrer Schwester ließ Katy zusammenzucken. „Zu mir war Jago anders, sanft und liebevoll.“

„Er hat dich ohne ein Wort des Abschieds verlassen“, stellte Libby trocken fest. Dieser Aussage hatte Katy nichts entgegenzusetzen. Ihre Schwester hatte recht und wollte sie nur beschützen. Sie hätte umgekehrt genauso gehandelt. Libby, Alex und sie standen sich so nahe, wie es nur möglich war.

Libby hatte Grund genug, Jago gegenüber negative Gefühle zu hegen. Die Monate, nachdem er Katy verlassen hatte, waren die schlimmsten ihres Lebens gewesen, und Libby hatte ihr geholfen, sie durchzustehen.

Aber hatte er ihr nicht immer gesagt, dass er nicht auf der Suche nach einer dauerhaften Beziehung war?

War es denn seine Schuld, dass sie den Fehler begangen hatte, sich trotzdem in ihn zu verlieben?

„Auch wenn er ein mieser Kerl ist, ich kann verstehen, weswegen er dir immer noch im Kopf herumspukt.“ Verschwörerisch schaute Libby ihre Schwester an. „Jago war der mit Abstand schönste Mann, den ich je gesehen habe. Und du hast tatsächlich mit ihm …“

„Das reicht jetzt, Lib!“ Katy presste die Nägel in ihre Handfläche, während die Erinnerungen über sie hereinbrachen.

Keuchender Atem, das raue Kratzen seiner Bartstoppeln an ihrer Wange. Die erotische Spannung zwischen ihnen. Heiß und brennend.

„Du … die Ruhige und Schüchterne und der böse und gefährliche Junge. Wo hast du nur den Mut hergenommen, dich auf ihn einzulassen?“ Jetzt sprach deutliche Bewunderung aus Libbys Stimme. „Ich habe mich immer gefragt, was passiert wäre, wenn Dad es nicht herausgefunden hätte? Wäre es weitergegangen?“

Feste Muskeln und weiche Haut, glühendes Verlangen. Hungrige Münder und verschwitzte Körper in leidenschaftlicher Umarmung …

„Natürlich nicht.“ Katy presste die Hände auf die Schläfen und versuchte, die Bilder zu vertreiben. „Wir waren vollkommen verschieden.“