Der Sucher - Katja Brandis - E-Book

Der Sucher E-Book

Katja Brandis

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Beschreibung

Sucher werden. Jemand, der durch seine besonderen Fähigkeiten Dinge, Menschen und manchmal auch Träume finden kann, die verlorengegangen sind. Das ist der sehnlichste Wunsch von Tjeri ke Vanamee aus der Wasser-Gilde. Nach dem Motto "Frechheit siegt" erobert er sich eine Lehre beim Großen Udiko, dem berüchtigsten Sucher Dareshs. Nach seiner ungewöhnlichen Ausbildung tritt er in den Dienst seiner Gilde, um für sie schwierige Aufgaben in ganz Daresh zu lösen. Sein erster großer Auftrag: Unter strenger Geheimhaltung soll er für den Rat eine unscheinbare silberne Schale finden, die schon lange verschollen ist. Tjeri ahnt nicht, dass der Rat ihm etwas verschweigt: Die Schale birgt ein tödliches Geheimnis und ist der Schlüssel zur Macht in Daresh... Zur gleichen Zeit lebt und arbeitet eine Katzenfrau namens Mi´raela, genannt Staubflocke, als Sklavin in der Felsenburg, dem Regierungszentrum Dareshs. Sie erlebt mit, dass die alte Regentin kränkelt und die Intrigen um ihre Nachfolge voll in Gang kommen. Mi´raela weiß nicht, dass ihre einzige Hoffnung auf Freiheit ein junger Mann der Wasser-Gilde ist, dem die Halbmenschen den Namen Jederfreund geben: Tjeri ke Vanamee… "Der Sucher" ist ein abgeschlossener Einzelroman, der zeitlich vor der Daresh-Trilogie spielt, also ein "Prequel". Tjeri ke Vanamee spielt ab dem "Ruf des Smaragdgartens" eine wichtige Rolle in Renas Leben und ist auch in Feuerblüte eine wichtige Figur.

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Der Sucher

Katja Brandis

Ein Daresh-Roman

Impressum

Der Sucher wurde erstmals 2007 im Otherworld-Verlag, Graz, veröffentlicht.

E-Book: Version A

Cover-Gestaltung: Lea Faiß

Copyright Illustrationen: TamaraTen (Pixabay)

Copyright 2020

Katja Brandis

c/o Agentur RumlerNotburgastr. 580639 Mü[email protected]

Alle Rechte vorbehalten

I.Der Große Udiko

Prolog

Machtlos war er und wütend und furchtbar hungrig. In alten Zeiten hatte er sich in jede Gestalt verwandeln können. Er hatte vernichtet, wenn ihm danach gewesen war, und nur seine Verbündeten verschont.

Doch jetzt war er wie gelähmt, und die einstigen Verbündeten hatten ihn längst vergessen. Nie hatte er sich damit abgefunden, dass ein Mann – ein einfacher Mensch, Rivas Tan wurde er genannt – ihn besiegt hatte. Dass er gewagt hatte, sich gegen ihn aufzulehnen und ihn zu bannen. Wie hatte das passieren können?

Hunderte von Wintern waren schon vergangen, und mit jedem schwand ein winziger Teil seiner Kraft. Aber seine Wut wuchs und wuchs. Und noch war er mächtig.

Eines Tages, wenn er es geschafft haben würde, wieder freizukommen, würde er Rache nehmen. Dann würden die einfachen Opfer von früher nicht mehr genügen, um ihn zu besänftigen. Diesmal nicht!

Der beste Sucher von ganz Daresh

Im ersten Monat meiner Wanderschaft durch das Seenland wurde ich dreimal übers Ohr gehauen, zehnmal zum Essen eingeladen, zweimal bei einer Wette besiegt und einmal beinahe von einer jungen Händlerin verführt. Aber nur beinahe. Als sie hörte, dass ich erst fünfzehn war, beließ sie es zu meiner Enttäuschung beim Küssen.

Die Reise erfüllte ihren Zweck. Immer öfter schaffte ich es, den hässlichen Streit mit meinem Vater zu vergessen, dessentwegen ich meine Sachen gepackt hatte und noch in der gleichen Nacht verschwunden war. Aber ich wusste auch, dass Vergessen nichts helfen würde. Mein Vater hatte mit dieser schrecklichen Frau, deren Namen ich nicht mal denken mochte, den Bund geschlossen; er würde mit ihr wegziehen. Es gab kein Zurück mehr. Ich musste meinen eigenen Weg finden.

Fortschritte dabei machte ich, als ich in der Nähe eines Krötenmenschen-Nests unterwegs war. Weil ich wusste, dass in dieser Gegend oft Skagaroks jagten, sichtete ich den Schwarm rechtzeitig. Lautlos glitten die wolfsköpfigen Raubvögel auf ihren dunklen Schwingen über die Wasseroberfläche hinweg. Sieht so aus, als hätten sie schon irgendeine Beute gesichtet, dachte ich und zögerte noch mit dem Abtauchen, um Ausschau zu halten. Zehn Baumlängen weiter entdeckte ich einen einzelnen Reisenden, der in einem Kanu vor sich hinpaddelte, ohne nach rechts oder links zu schauen.

»Achtung – Skas!«, brüllte ich. Der Fremde hörte mich, sah sich um, ließ sich erschrocken aus dem Kanu fallen und verschwand unter der Oberfläche. Hastig tat ich es ihm gleich – gerade noch rechtzeitig. Scharfe Krallen streiften über mich hinweg, konnten mich aber nicht mehr packen.

Der Fremde konnte unfassbar schlecht die Luft anhalten und musste immer wieder hoch, was den Skas noch ein paar Mal Gelegenheit zu Angriffen gab. Ich tauchte auf den Fremden zu, so schnell ich konnte, und zog ihn zur winzigen Schutzkuppel am Boden des Sees. Die Luft darin war verbraucht und stickig, aber für zwei Menschen reichte sie gerade so.

»Bist du verletzt?«, fragte ich. Schade, dass der Fremde sein Gildenamulett unter der Schwimmhaut verborgen trug. Ich hätte gerne gewusst, zu welcher der Gilden Dareshs er gehörte – Erde, Luft oder Feuer. Dass er keiner von uns – den Wasserleuten – war, hatte ich schon gemerkt.

»Nein, es geht mir gut – danke für die Warnung«, keuchte der Fremde, ein junger Mann mit rotblonden Haaren, Sommersprossen und abstehenden Ohren. »Beinahe hätte ich die Biester nicht bemerkt. Das kommt davon, wenn man zu viel nachdenkt.« Er zögerte. »Dabei habe ich mir selbst vorhergesagt, dass heute irgendetwas passieren wird in meinem Leben. Aber eigentlich sollte etwas Gutes geschehen, deshalb war ich unvorsichtig.«

»Du bist ein Vorhersager?« Mein Vater behauptete zwar, dass die wenigsten Vorhersager etwas taugten, aber interessant klang das schon. »Vielleicht war das Gute, dass du keine kostenlose Gesichtsverschönerung von einem Skagarok bekommen hast.«

»Kann schon sein«, sagte der Mann und wurde rot. »Ich bin noch kein Meister, meine Vorhersagen sind noch nicht allzu genau. Aber ich mache dir trotzdem gerne eine Deutung, wenn du willst. Ach, übrigens, ich heiße Janor ... äh, ke Nerada.«

Wahrscheinlich gehörte er zur Luft-Gilde wie die meisten Menschen aus der Provinz Nerada. Das würde einiges erklären. Wahrscheinlich war er erst seit ein paar Wochen bei uns in Vanamee. »Ich heiße Tjeri«, stellte ich mich vor. »Tjeri ke Vanamee aus der Wasser-Gilde. Eigentlich könnte ich eine Deutung gebrauchen. Ich weiß immer noch nicht, was meine Berufung ist. Das hat mir mein Vater oft genug unter die Nase gerieben. Alle meine Freunde, die so alt sind wie ich, sind längst bei einem Meister.«

»Was machen denn deine Eltern?«

»Mein Vater ist Züchter. Als Kind bin ich viel mit ihm auf den Fischfarmen unterwegs gewesen. Aber das reizt mich heute nicht mehr. In der Familie meiner Mutter gibt's einige Künstler, aber ich fürchte, das Talent habe ich nicht geerbt.« Ich zuckte die Schultern und streichelte den Salamander, der auf meinem Arm hockte. Eigentlich hatte ich ihn mir gekauft, um Botschaften zu überbringen, doch inzwischen hatten wir uns so aneinander gewöhnt, dass ich es nicht übers Herz brachte, ihn wegzuschicken.

»Gib mir deine Hand«, forderte Janor mich mit einem verlegenen Lächeln auf.

Ich pflückte mir den Salamander vom Handgelenk, setzte ihn mir auf die Schulter und gab Janor die Hand. Der Mann aus der Luft-Gilde hatte lange, sensible Finger, und ich spürte, dass er nervös war. Janor schloss die Augen.

Hoffentlich beeilt er sich, dachte ich. Die Luft in der kleinen Kuppel wurde immer schlechter, wir mussten bald wieder nach oben tauchen. Vielleicht waren die Skas inzwischen weitergezogen.

»Ich sehe eine große Stadt«, sagte Janor, und sein Gesicht zuckte. »Die Felsenburg der Regentin. Einen dunklen Raum tief unter der Erde.«

»Guck noch mal hin«, sagte ich und musste grinsen. »Ich mag weder Städte noch geschlossene Räume. Wenn das meine Berufung ist, sollte ich mich vielleicht gleich ertränken.«

»Du bist auf der Suche«, fuhr Janor fort. Er hatte die Augen noch immer geschlossen. »Ein Suchender. Immer und immer wieder.«

Zeitverschwendung, ging es mir durch den Kopf. Dass ich auf einer Suche bin, weiß ich schon seit einem Winter. »Was meinst du damit, immer und immer wieder?«

Janor öffnete die Augen. Er sah verwirrt aus. »Keine Ahnung. Das kam mir einfach so in den Kopf. Man lernt als Vorhersager, das auszusprechen, was einem als Erstes in den Sinn kommt.«

In diesem Moment zündete etwas in mir. Aufgeregt entriss ich die Hand Janors Griff. »He, Moment mal! Sucher. Du meinst Sucher. Ich könnte ein Sucher werden.«

»Du meinst, jemand, der durch die Gegend zieht und Leuten hilft, verlorene Dinge und Menschen wieder zu finden? Der Fremde durch die Provinz begleitet?«

»Ja, genau.« Mein Herz pochte wie nach einer Länge schnellen Schwimmens. »Warum bin ich nicht schon längst darauf gekommen? Ich bin gerne unterwegs, kann tiefer tauchen als die meisten Leute und komme gut mit Menschen zurecht. Mit dem richtigen Meister, der mir ein bisschen was beibringt, wäre ich bestimmt ein brauchbarer Sucher.« Mein Ehrgeiz war geweckt. »Sag mal, wer ist eigentlich der beste Sucher von Daresh?«

Janor dachte nach. »Der Große Udiko, glaube ich. Jedenfalls war er das mal. Inzwischen hat er sich zur Ruhe gesetzt.«

Ja, natürlich. Das war ein Name, den ich auch schon gehört hatte. Als junger Mann hatte Udiko, der so wie ich zur Wasser-Gilde gehörte, die alten Schriften der Daniquaa entdeckt, später hatte er den Dolch des Gibra Jal gefunden, der Generationen lang verschwunden gewesen war. Und natürlich hatte er zahllosen Menschen geholfen, welche die Dienste eines Suchers gebraucht hatten. Jedes Kind kannte die Geschichten, wie Udiko der Witwe Julika unter Lebensgefahr ihre zauberkräftige Muschel zurückgeholt hatte. Wie er den abtrünnigen Kurier aufgehalten hatte, bevor er das Seenland verraten konnte. Und wie er durch sein Geschick und seine Klugheit im berühmten Wettstreit der Sucher gesiegt hatte.

Aber ich wusste auch, was für einen Ruf der Alte sonst noch so hatte. »Stimmt es, dass er kleine Kinder zum Frühstück frisst und nur noch Aufträge annimmt, die andere als hoffnungslos abgelehnt haben?«

»Keine Ahnung.« Janor blickte mich neugierig an. »Willst du's herausfinden? Ich habe gehört, dass er jetzt in der Nähe der Xanthu-Seen lebt.«

»Immerhin: Ich bin kein Kind mehr und zum Fressen zu groß«, sagte ich, bedankte mich bei Janor für die Deutung und machte mich auf den Weg.

Ich fand den Großen Udiko ohne Schwierigkeiten; auf meinen Reisen war ich schon einmal in der Nähe von Xanthu vorbeigekommen. Der berühmte Sucher wohnte, wie ich herausfand, in einem kleinen See, der aus dem nahen Vulkangebiet ständig Nachschub an heißem, leicht schwefelig riechendem Wasser bekam. Ich verzog das Gesicht. Hier drin zu schwimmen, war bestimmt furchtbar gesund – für alte Knochen. Mir waren die tiefen, kalten Seen der Colaris-Region, in denen ich aufgewachsen war, sehr viel lieber.

Eine silbrig schimmernde, altmodisch hohe Luftkuppel war das einzige Gebäude auf dem sandigen Grund des Sees. Ich tauchte hinunter und schlüpfte in den Vorraum der Kuppel. Jetzt bin ich ja mal gespannt, dachte ich gut gelaunt und stieß den traditionellen Begrüßungsruf aus. Seit Tagen hatte ich im Kopf formuliert, was ich sagen würde, wenn ich dem Großen Udiko gegenüberstünde. Natürlich weiß ich, dass Ihr Euch schon zu Ruhe gesetzt habt, aber ich habe schon so viel von Euch gehört und will unbedingt von einem Meister wie Euch lernen ...

Der Vorhang wurde zurückgerissen, und der Große Udiko stand vor mir. Ein Koloss mit buschigem, weißem Haar, durchdringenden eisblauen Augen und wulstigen Lippen, der eine abgewetzte Schwimmhaut trug. Er überragte mich um einen ganzen Kopf – außerdem war er fast so breit wie hoch. Fasziniert fragte ich mich, wie um alles in der Welt dieser Kerl überhaupt noch tauchen konnte – all das Fett musste ihn an der Oberfläche halten wie ein halbes Dutzend Schwimmringe. Oder waren das alles Muskeln?

»Was willst du, Kleiner?«, fragte der Große Udiko. Er klang nicht unfreundlich. »Geht es um etwas, das du verloren hast?«

Ich hatte den eingeübten Spruch schon auf den Lippen. Aber die Frage brachte mich aus dem Gleichgewicht. Verloren. Eine plötzliche Traurigkeit packte mich. Ja, ich habe etwas verloren, dachte ich. Meine Mutter an den Tod. Meinen Vater an die Frau, mit der er jetzt zusammen ist. Lourenca an meinen ehemals besten Freund. Und selbst der beste Sucher von Daresh konnte mir keinen von ihnen zurückbringen.

Der Große Udiko sah mich mit zusammengekniffenen Augen an und wunderte sich wohl, warum er keine Antwort bekam. Jetzt reiß dich zusammen, sagte ich mir verzweifelt und zwang mich, die schwarzen Gedanken wegzuschieben. Es hätte gerade noch gefehlt, dass ich vor dem Großen Udiko zu heulen anfing! Ich atmete einmal tief durch und sagte einfach: »Mein Name ist Tjeri ke Vanamee. Ich will Sucher werden.«

Das wuchtige Gesicht, das auf mich herabblickte, verfinsterte sich schlagartig. »Brackwasser! Schon wieder einer von denen. Hat man dir nicht gesagt, dass ich keine Lehrlinge mehr nehme, schon seit zehn Wintern nicht mehr? Verschwinde!«

Mit einem Rascheln fiel der Vorhang wieder zurück und versperrte mir die Sicht.

Gequirlte Schnepfengalle, das hast du ja ganz schön vermasselt, schalt ich mich und schwamm zur Oberfläche zurück. Doch ich dachte gar nicht daran, aufzugeben. Neuer Tag, neues Glück!

Ich blies die Schwimmhaut, die ich trug, ein Stück auf und machte es mir im Wasser um die Insel bequem. Während ich auf dem See driftete und mich in den leichten Strömungen treiben ließ, fragte ich mich, wieso die Traurigkeit, die ich monatelang erfolgreich unterdrückt hatte, gerade jetzt herausgekommen war. Ich fand keine Antwort darauf.

Erst am nächsten Morgen tauchte der Große Udiko wieder auf. Er beachtete mich nicht und kletterte auf den schmalen Landsaum, der an den nächsten, weit größeren See grenzte – wohl um zu schauen, ob ein paar Honigblüten reif geworden waren.

»Na, geht's zum Frühstücken?«, rief ich ihm fröhlich zu. »Ich komme mit.«

Der Große Udiko blickte mich finster an. »Habe ich dir nicht gesagt, du sollst verschwinden, Junge?« Er stieß sich von dem Fels ab, auf dem er hockte, und verschwand erstaunlich geschmeidig unter der Wasseroberfläche. Ich folgte ihm. Ich merkte, dass der Alte vorhatte, mich abzuschütteln – er schwamm sehr schnell und tauchte fast senkrecht in die Tiefe. Ich schaffte es gerade noch, ihm zu folgen.

Nahe der Oberfläche war das Wasser klar und grün. Doch je tiefer wir kamen, desto dunkler wurde es um uns. Bald ist es so finster, dass er in der Dunkelheit entwischen kann, dachte ich besorgt. Ich hielt mich knapp hinter Udiko, um die Wasserwirbel seiner Bewegungen fühlen zu können – und merkte so noch rechtzeitig, wie der Meister scharf nach rechts abbog.

Wir waren mittlerweile so tief, wie ich noch nie zuvor in meinem Leben gewesen war. Ich spürte, wie mir der Atem knapp wurde. Wenn ich nicht bald auftauchte, riskierte ich, beim Aufstieg zu ertrinken. Meine Brust begann zu schmerzen, und mir wurde schwindelig. Zum Glück stellte ich kurz darauf fest, dass wir am Grund angelangt waren. Meine Füße wirbelten Sand auf und streiften glitschig-weiche Algenstränge. Blindlings griff ich mir ein paar davon und schoss nach oben, so schnell ich konnte.

Der Große Udiko warf mir einen kurzen, verblüfften Blick zu, als ich direkt neben ihm auftauchte. Ich versuchte, nicht allzu laut nach Luft zu schnappen, und warf einen Blick auf das, was ich in der Hand hielt. »He, das sind ja Blaue Tarlas! Die konnte ich mir auf dem Markt noch nie leisten!«

»Was meinst du, warum ich meine Kuppel hier gebaut habe?«, brummte der Große Udiko und kaute eine der Algen, die er für sich geholt hatte.

Ich machte es ihm nach. Kaum zu glauben, die Dinger prickelten auf der Zunge. Trotzdem schuldete ich dem Alten noch eine kleine Revanche. »Esst Ihr die Dinger die ganze Zeit? Ich wusste gar nicht, dass man von Algen und Fisch so dick werden kann.«

»Pah!«, knurrte der Große Udiko. »So was kann nur einer sagen, der nichts von gutem Essen versteht!« Er steckte seine restlichen Algen ein und schwamm davon.

Schade – auch einer, der nicht über sich lachen konnte. Ich war zu erschöpft, um dem Alten weiter zu folgen. Morgen, dachte ich und streichelte den Salamander, der sich in meine Halsbeuge schmiegte.

Am nächsten Tag verließ der Große Udiko seine Luftkuppel noch vor Sonnenaufgang. Doch ich hatte mir schon so etwas gedacht und wartete bereits auf ihn.

»Brackwasser, hast du denn nichts Besseres zu tun, als in meinem See herumzupaddeln?!«, schnauzte mich Udiko an.

»Nicht in den nächsten sechs Monaten oder so«, erwiderte ich höflich.

Der Meister stöhnte.

Wenn der Große Udiko dachte, dass mir das Warten vor seiner Kuppel irgendwann langweilig werden würde, täuschte er sich gewaltig. Mir war fast nie langweilig, und in einem fremden, unerforschten Gewässer, das vor Leben wimmelte, erst recht nicht. Ich schwamm eine Weile mit einem Schwarm Grashechten, bis ich in einer Unterwasserhöhle ein Nest von Großen Karo-Nattern fand. Ich beobachtete, wie zwei Dutzend Junge schlüpften, und nahm mir eines davon mit. Am Nachmittag hatte ich Glück und entdeckte im Ufergestrüpp einen Mondreiher, der bewegungslos auf Beute lauerte. Sein durchscheinendes, milchigweißes Gefieder sah tatsächlich aus, als würde es aus Mondlicht bestehen. Ich beobachtete ihn lange und fühlte eine tiefe Freude darüber, dass ich dieses seltene und wunderschöne Tier sehen durfte.

Ich war so vertieft in den Anblick des Reihers, dass ich Udikos Aufbruch fast übersehen hätte. Ich bemerkte gerade noch, dass Udiko um eine der Inseln herumschwamm, die den Übergang zum nächsten See markierten. Brackwasser, gleich würde ich ihn verlieren! So schnell ich konnte, kraulte ich hinter ihm her. Hastig umrundete ich die Landzunge ... und prallte fast gegen die massige Gestalt des Suchers. Udiko stand mit gekreuzten Armen im flachen Wasser und sah aus wie einer, dessen Berufung es war, dreimal täglich gegen Raubquallen zu kämpfen. »So langsam habe ich die Faxen dicke«, donnerte er. »Wieso denkst du eigentlich, dass du ein guter Sucher werden könntest?«

Hoffnung keimte in mir auf. Endlich kam ich voran! Aber eines war klar, ich konnte dem Großen Udiko nicht von der Deutung erzählen. Wenn er auch zu denen gehörte, die Vorhersager für Scharlatane hielten, hätte ich damit meine letzte Chance verspielt. »Ich kenne mich in Vanamee gut aus, ich habe es den ganzen letzten Winter über erforscht«, antwortete ich nicht ohne Stolz. »Besonders die Gegenden von Colaris, Uskali und Yanai sind mir so vertraut wie meine eigene Handfläche.«

Der Große Udiko sah nicht beeindruckt aus. »Ja, und? Das ist nicht so wichtig.«

Ich war verblüfft. Nicht so wichtig? Musste man sich nicht auskennen, um etwas finden zu können? Oder wenn es darum ging, Reisende zu ihrem Ziel zu führen? Na ja, machte nichts. Ich war noch nicht fertig. »Wenn in unserer Siedlung etwas oder jemand verloren gegangen ist, sind die Leute immer zuerst zu mir gekommen und haben mich um Hilfe gebeten. Und es hat mir Spaß gemacht, ihnen zu helfen.«

Der Große Udiko machte sich bereit zum Wegschwimmen.

»He!«, schrie ich. »Wie wär's mit einem Hinweis? Ich meine, gut, Ihr könnt wahrscheinlich durch Gedankenkraft Dinge finden, aber es gibt doch bestimmt auch ganz normale Sucher ... Mehr will ich ja gar nicht werden ...«

Ganz plötzlich wandte sich der Große Udiko mir zu. »Ich sag dir was, Kleiner. So was wie eben – das wäre einem Sucher nicht passiert.«

Eben? Ich wusste nicht mal, wovon die Rede war.

»Du bist eben auf mich geprallt, weil du nicht gemerkt hast, dass ich hinter der Biegung angehalten habe. Ein Sucher hat gelernt zu sehen. Wirklich zu sehen. Und er weiß, wie man durch die Augen von anderen sieht.«

»Verstehe ich nicht.«

»Das war mir klar.« Wieder wandte sich Udiko um, aber er blickte noch einmal über die Schulter zurück. »Ach übrigens: Du hast eine Karo-Natter am Arm. Beweg dich besser nicht zu rasch, sonst beißt sie dich.«

»Sie wird mich nicht beißen«, sagte ich, und diesmal war es an Udiko, verdutzt dreinzublicken.

Am nächsten Tag begannen dicke Wolken, den Himmel zu bedecken. Ich ließ mich an der Oberfläche treiben und genoss den kühlen Wind. Der Regen prasselte auf mein Gesicht, und ich öffnete den Mund und fühlte, wie die Tropfen auf meiner Zunge kitzelten. Regen ist, wie das Wasser der Quellen, ein Geschenk von Erin, dem Gott der Erneuerung; ohne ihn würden die Seen austrocknen.

Doch Erin schien schlechter Laune zu sein. Als ich sah, wie die Wolken sich immer dunkler ballten, wurde mir mulmig zumute. Wenn ein Gewitter kam, wurde es gefährlich in den Seen, dann musste man raus aus dem Wasser oder in eine Wohnkuppel flüchten. Doch die einzige Kuppel in der Gegend gehörte dem Alten. Sollte ich ihn um Gastrecht bitten? Niemals, dachte ich trotzig. Ich mochte hartnäckig sein, aber ich hatte meinen Stolz. Blieb also nur die Insel, die eine schmale Landbrücke zwischen den Seen bildete.

Ich schwamm auf den felsigen Strand zu, kletterte an Land und balancierte mit verzogenem Gesicht über die scharfen Steine des Ufers. Mein linker Fuß blutete schon. »Verdammtes Festland«, murmelte ich und schaute mich nach einer geschützten Stelle um. Inzwischen peitschte der Regen so hart und eiskalt herunter, dass es nicht einmal für jemanden, der zur Wasser-Gilde gehörte, angenehm war. Das laute Rauschen übertönte alle anderen Geräusche.

Es gab keine geschützte Stelle, die Insel bestand nur aus Fels und niedrigem Gestrüpp. Schließlich kauerte ich mich unterhalb einer kleinen Anhöhe auf den Boden, wo die Gefahr, von einem Blitz getroffen zu werden, am geringsten war. Ich zog die Knie an, legte den Kopf darauf und richtete mich auf eine ungemütliche Nacht ein. Zum ersten Mal, seit ich den Großen Udiko belagerte, überlegte ich, ob ich nicht besser aufgeben sollte. Vielleicht war Udiko wirklich ein gemeiner Mistkerl, wie die Leute behaupteten. Es war eine idiotische Idee gewesen, herzukommen ... Immerhin gab es noch viele andere Sucher in Vanamee; einer von ihnen würde mich schon nehmen, und diesen pisswarmen See würde ich sowieso nicht vermissen ...

Ich schrak auf, hob den Kopf. War da nicht eine Stimme gewesen ...? Ja, ich hatte mich nicht getäuscht. Doch über dem Prasseln des Regens und dem Donner verstand ich kein Wort.

Zehn Atemzüge später sah ich ungläubig, dass eine riesige Gestalt, von der das Wasser herunterströmte, aus der Dunkelheit auf mich zukam. Es war der Große Udiko, und er zog ganz ähnliche Grimassen wie ich vorhin, als er sich über die spitzen Steine vorantastete. »Bei allen sieben Göttern der Tiefe, diese Insel ist eine Zumutung! Los, komm mit. Hier ist es zu gefährlich.«

Ich war so erstaunt, dass mir keine Antwort einfiel. Ich hinkte hinter dem Alten her zum Wasser zurück und tauchte mit ihm zu der Behausung am Boden des Sees. Dann stand ich verlegen im Vorraum der Luftkuppel, rieb mir das Wasser aus den Augen und wartete darauf, dass meine Schwimmhaut trocknete. Der Große Udiko schob den Vorhang beiseite und ging in den Wohntrakt, ohne sich noch einmal umzuschauen. Ich folgte ihm.

Hier am Grund des Sees war es so still, dass ich mir einbildete, das Blut in meinen Ohren rauschen zu hören. Es roch nach feuchtem Stoff, Gewürzen und ganz entfernt nach einer appetitlichen Suppe.

Neugierig blickte ich mich im Inneren der Luftkuppel um. Sie wurde durch zwei Leuchttierchen, die genauso alt und rundlich waren wie ihr Herr, mehr schlecht als recht erhellt. Soweit ich erkennen konnte, waren alle Räume voll gestopft mit Gegenständen. Überall standen und lagen achtlos gestapelt wunderschön gestaltete Essschalen, Glasgefäße, Schnitzereien, Kästchen aus wertvollen Metallen, Schriftrollen. Der Teppich war aus Buntalgen gewebt. Alles war bester Qualität, aber nichts passte zusammen. Wahrscheinlich waren es alles Geschenke von Leuten, denen er geholfen hatte.

Der Große Udiko beachtete mich immer noch nicht. Er goss Trinkwasser in eine große Schale, murmelte eine Formel, die es erhitzte, und streute Cayoral hinein. Wir schwiegen beide, während wir darauf warteten, dass der Sud kochte. Dann goss Udiko einen Teil davon in einen Becher und reichte ihn mir.

»Danke«, sagte ich, nahm den Becher mit beiden Händen und beugte kurz den Kopf, wie es Sitte war. »Auch fürs Gastrecht. War nicht so gemütlich da draußen.«

Der Alte brummte etwas, das ich nicht verstand, und warf mir eine Rolle Stoff zu. »Hier, für deinen Fuß. Bevor du auf meinem Teppich noch mehr Blutspuren hinterlässt.«

Ich verband meinen Fuß und schaute mich unauffällig weiter um. Schräg neben mir stand eine kleine silberne Statue, die ein fauchendes echsenähnliches Wesen darstellte. Ich betrachtete sie aus den Augenwinkeln. Schließlich gab ich meiner Neugier nach und ließ die Finger darüber gleiten. »Wo habt Ihr die her? Und was ist das für ein Tier?«

»Hast du noch nie ein Tass gesehen?«, brummte Udiko. »Sie leben in der Provinz der Feuer-Gilde. Die Statue hat mir ein Schmied geschenkt, dessen Sohn ich halb ertrunken aus dem Akjat-Fluss gezogen habe. Der Junge hatte sich beim Versuch, bei einer Gildenfehde mitzumischen, böse verschätzt.«

»Ich wusste gar nicht, dass auch Feuer-Leute nach Vanamee kommen. Ist für die das viele Wasser nicht unerträglich? Was war das denn für eine Gildenfehde? Und was ist eigentlich das da – und das?« Ich deutete auf ein Kästchen mit eigenartiger Form, das aus tiefschwarzem Holz geschnitzt war, und auf eine unterarmlange grüne Klaue, die daneben hing.

Der Große Udiko grunzte. »Du bist ein neugieriger Bursche, was?«

Ich musste lachen. »Geht die Sonne im Osten auf?«

»Zumindest war es heute noch so.« Zu meiner Überraschung sah ich, dass der Große Udiko lächelte. »Das ist gut. Ein Sucher ohne Neugier ist wie ein Fisch ohne Flossen.«

Ein Sucher? Mein Herz begann heftig zu pochen. Hatte ich doch noch eine Chance?

Der Große Udiko schwieg lange. Seine eisblauen Augen ruhten auf mir. Schließlich sagte er: »Was war es, was du sagen wolltest – bei deinem ersten Besuch?«

»Nichts Besonderes«, erwiderte ich, drehte die kleine silberne Statue des Echsenwesens in der Hand und betrachtete sie. Ich wollte nicht darüber sprechen. Vielleicht irgendwann mal. Aber nicht jetzt. Es roch zu sehr nach Selbstmitleid und Jammerei. »Nur, dass ich wirklich etwas verloren habe. Aber hat das nicht jeder?«

»Jedenfalls muss man wissen, wie es ist, um ein guter Sucher werden zu können.« Einen Atemzug lang lag ein Schatten auf Udikos Gesicht, doch dann kehrte die Wärme in seine Augen zurück. »Hm. Du bist frech, du bist aufdringlich und du hast die dumme Angewohnheit, dich mit gefährlichen Tieren abzugeben. Aber ich glaube, ich werde dich trotzdem als Lehrling annehmen. Unter drei Bedingungen.«

Ich konnte nicht anders, ich strahlte über das ganze Gesicht. »Die wären?«

»Erstens – keine dummen Bemerkungen über meine Essgewohnheiten mehr.«

»Geht klar. Und zweitens?«

»Du musst in dieser Zeit alles tun, was ich sage. Wirklich alles. Auch wenn es dir verrückt erscheint oder du Angst davor hast.«

Hm, das klang anstrengend. Aber die Herausforderung reizte mich. Schließlich war ich genau deswegen hier. »So soll es sein.«

Der Große Udiko musterte mich von Kopf bis Fuß. »Und drittens: Ich will hier keinen Ärger mit Mädchen. Du bist ein Bursche, wie er den Frauen gefällt, aber solange du mein Lehrling bist, liebäugelst du nicht mit Frauen, die mit einem Anliegen zu mir kommen. Klar?«

Das war schon schwieriger. Mädchen faszinierten mich. Sie waren so anders. So geheimnisvoll. Ich liebte ihre Bewegungen. Die Art, wie man mit ihnen reden konnte. Und natürlich die Art, wie sie sich anfühlten. Andererseits war diese Ecke von Daresh so abgelegen, dass ich in dieser Zeit sowieso nicht allzu viele von ihnen zu Gesicht bekommen würde – und ganz sicher keine, die es mit Lourenca aufnehmen könnte. Außerdem ging es ja nur um Frauen, die mit einem Anliegen zu Udiko kamen.

»In Ordnung«, sagte ich.

Am nächsten Tag, als sich das Gewitter verzogen hatte, holten wir gemeinsam eine handtellergroße Andreasmuschel aus dem See, aus der tiefsten Stelle. Udiko schickte einen Salamander in die nächste Siedlung und bat eine Frau, die er kannte, als Zeugin herzukommen. Schon einen halben Sonnenumlauf später war sie da, eine stille, bescheidene Meisterin in mittleren Jahren. Ich bemerkte ihre neugierigen Blicke. Wahrscheinlich fragte sie sich, wer dieser fremde Junge war, der den Großen Udiko dazu gebracht hatte, ihn als seinen letzten Lehrling anzunehmen. Die Neuigkeit würde sich schnell herumsprechen.

Die Zeremonie war kurz. Mit meinem Messer schnitzte ich mein Namenszeichen in die flache schwarze Schale der Muschel. Der Große Udiko schnitt sein Zeichen daneben und verband die beiden Symbole mit den traditionellen Ornamenten für Meister/Lehrling. Wir sprachen beide den Eid und waren einander damit verbunden, bis ich nach drei Wintern ausgelernt hätte oder einer von uns sich entschiede, die Muschel zu zerbrechen.

Am nächsten Morgen streichelte ich meinen zahmen Salamander zum vorerst letzten Mal und befestigte eine silberne Hülse mit einer Botschaft an seinem Hals. Es war Zeit, ihn auszuschicken.

Und Tad ke Vanamee mitzuteilen, dass sein Sohn seinen Weg gefunden hatte.

* * *

Manche riefen sie einfach »He, du, Katze!«, andere nannten sie »Staubflocke«, weil ihr Fell hellgrau war wie die Stäubchen, die sich in ungeputzten Ecken sammeln. Nach ihrem wirklichen Namen hatte in den zwanzig Wintern, die sie mittlerweile in der Burg diente, noch kein einziger Mensch gefragt. Vielleicht wissen sie nicht, dass Halbmenschen überhaupt Namen haben, dachte Mi'raela.

Sie hörte das Signal, das sie rief, und erhob sich lautlos. Mit ihren vierzig Wintern war sie für einen Katzenmenschen schon alt, und sie bewegte sich längst nicht mehr so geschmeidig wie in ihrer Jugend. Das unterirdische Leben ließ sie und ihre Brüder früh altern.

»He, Katze, wo bleibst ...«

Doch da stand Mi'raela schon in den Gemächern des Herrn, den sie Spinnenfinger getauft hatte, und wartete auf Anweisungen. Die schwarze Kutte, die er sonst immer trug und die seine Gestalt und sein Gesicht verdeckte, hing über der Rückenlehne seines Stuhls. Auch wenn er sie übergestreift hatte und mit seinen eigenartig gleitenden Schritten durch die Gänge eilte, hatte Mi'raela keine Probleme, ihn zu erkennen – er roch immer etwas schimmelig, wie Wäsche, die man zu lange nicht gelüftet hat, und nach den bitteren Kräutern, die er kaute, damit seine Zähne nicht ausfielen.

»Bring Polliak für zwei!«, befahl der Mann kurz, ohne sie anzusehen.

Mi'raela huschte davon. Sie sprach nicht viel, und es wurde nicht von ihr erwartet. Als sie in die Burg gekommen war, hatte sie kein Daresi beherrscht, und man hatte ihr nur die einfachsten Befehle beigebracht. Mehr brauchte sie in ihrer Stellung als Sklavin nicht zu wissen, und mehr konnten Halbmenschen nach Meinung vieler ohnehin nicht erlernen. Doch Mi'raela hörte gut zu, und schon nach wenigen Jahren in der Burg verstand sie die Sprache der Vollmenschen perfekt. Aber das brauchte niemand zu wissen.

Mi'raela kannte alle Geheimgänge und Abkürzungen; sie brauchte nicht lange bis zu einer der Küchen. Weil sie als schnell, zuverlässig und ziemlich dumm galt – als jemand, der keine Geheimnisse weitertratschen konnte –, diente sie inzwischen weit oben in der Burg, dort, wo man wenigstens ab und zu den Himmel sah. Die Küchen dort, hohe, aus dem dunklen Fels gemeißelte Räume, in denen es immer brütend heiß war, bedienten die wichtigen Dörflinge und die Regentin – Großfrau – selbst. Es roch meistens gut nach Braten oder frischem Brot, und alles war blitzblank. Man kannte Mi'raela natürlich längst – sie brauchte nur »Polliak« zu sagen, dann drückte ihr irgendein Küchenjunge das Gewünschte in die Pfotenhände.

Mi'raela huschte über Treppen und schräge Ebenen, bis sie wieder bei Spinnenfingers Gemächern eintraf. Spinnenfinger nahm ihr die Krüge ab und versuchte, ihr einen Fußtritt zu versetzen. Mi'raela wich geschickt aus. Liebend gerne hätte sie ihre spitzen Eckzähne in diesen knochigen Fuß gegraben, aber das ging nicht. Die gleiche Kraft, die sie dazu zwang, jeden Befehl zu befolgen, hinderte sie daran und ließ ihr nur hilflose Wut. Schon oft hatte Mi'raela daran gedacht, ihrem elenden Dasein ein Ende zu bereiten und sich aus Spinnenfingers Fenster zu stürzen, hinter dem es sieben Baumlängen in die Tiefe ging. Aber auch das ließ die unsichtbare Macht nicht zu.

Inzwischen war ein weiterer Mann eingetroffen; für ihn war der zweite Krug bestimmt. Noch bevor er die Kapuze seines schwarzen Umhangs zurückwarf, hatte Mi'raela ihn an seinem Geruch nach Steinstaub und Haaröl erkannt. Er war einer der Berater von Großfrau; die Halbmenschen nannten ihn Steinherz.

Heute wirkte er vielgroß wütend; wäre er ein Katzenmensch gewesen, hätte sich sein Fell gesträubt wie eine Bürste. »Ich war gerade bei ihr, Cyprio«, hörte Mi'raela ihn gerade noch sagen, bevor Spinnenfinger sie hinausscheuchte. Sie setzte sich in den Flur, obwohl sie die kalten Steine unter sich hasste, und spitzte aus reiner Gewohnheit die Ohren. Ihr Gehör war so scharf, dass sie das Gespräch mühelos durch die Tür hindurch verfolgen konnte – auch etwas, das Spinnenfinger nicht ahnte.

»Ich habe ihr gesagt, dass es höchste Zeit ist, ihre Nachfolge zu regeln. Aber sie ist seit neustem stur wie ein Hirschmensch. Meint, sie sei noch jung und das alles habe noch Zeit.«

»Jung! Das ist lächerlich, ihr Haar ist längst grauer als ein Herbstnebel. Wir müssen aufpassen, Nemur, dass sie uns nicht wegstirbt, bevor sie Hetta offiziell als Nachfolgerin bestätigt hat. Du hast es ihr doch vorgeschlagen?«

»Früher hätte ich ihr einfach gesagt, dass sie es tun soll, und damit wäre die Sache erledigt gewesen. Aber in letzter Zeit bildet sie sich ein, dass sie alleine entscheiden kann. Also habe ich dafür gesorgt, dass Hetta oft in ihrer Nähe ist und sich als Liebenswürdigkeit in Person zeigt. Sie ist in der Burg aufgezogen worden, kennt die Wege der Macht. Die Alte muss blind sein, wenn ihr nicht klar wird, dass sie die beste Anwärterin ist. Natürlich haben auch die Hohen Räte der Gilden ihre Mädchen geschickt, aber bisher ist keine ernsthafte Konkurrenz in Sicht.«

»Weiß die Alte, dass Hetta deine Tochter ist?«

»Ja, natürlich. Sie kennt mich schon zu lange. Aber ich sehe nicht, dass es einen Unterschied macht. Sie hat keine weiblichen Verwandten, bis auf diese Nichte, die wir früh genug aus dem Weg geschafft haben. Sie wird Hetta wählen, dafür werden wir schon sorgen.«

Mi'raela ließ den Kopf auf die Pfotenhände sinken und döste ein. Das Gespräch langweilte sie. Was interessierte sie es, wer die nächste Regentin wurde? Was ging es sie an, was die Menschen untereinander ausheckten? Auch die nächste Regentin würde Halbmenschen versklaven wie alle Regentinnen vor ihr, und sich zu wehren, war unmöglich. Es gab keine Hoffnung. Nirgendwo.

Sehen lernen

Ich merkte schnell, was es bedeutete, Lehrling beim berüchtigtsten Sucher Dareshs zu sein. Und mir wurde bald klar, dass Udiko sich seinen Ruf verdient hatte. Am nächsten Tag, nachdem ich meine Lehre begonnen hatte, wagte ein Dörfler aus einem Nachbarsee, wegen eines verlorenen Armreifs zum Großen Udiko zu kommen. Schüchtern erklärte er, dass ihm das Ding beim Gewitter neulich über Bord gegangen war.

»Bei allen sieben Göttern der Tiefe, wegen so was wagt Ihr, mich zu stören? Habt Ihr nicht gehört, dass ich mich zur Ruhe gesetzt habe?«, knurrte Udiko und warf den armen Mann einfach raus.

Demnach schien zu stimmen, dass er nur noch praktisch unmögliche Aufträge annahm. »Wieso habt Ihr mich's nicht einfach machen lassen?«, wagte ich einzuwenden. »Der Armreif scheint ihm sehr wichtig zu sein. Und wahrscheinlich hätte ich das Ding schnell gefunden.«

Udiko schnaubte. »Das ist der Nachteil, wenn man einen Lehrling hat, der zwei Winter älter ist als üblich«, brummte er und stapfte in den Wohntrakt zurück. »Je älter, desto mehr Widerworte!«

Fast hätte ich ihn daran erinnert, dass ich zwar versprochen hatte, ihm in allen Dingen zu gehorchen – aber nicht, ohne Fragen zu stellen. Doch dann hielt ich lieber den Mund. Der Alte sah so aus, als würde er unsere Muschel bei meinem nächsten dummen Spruch mit einem Fußtritt in zwei Dutzend Teile zerlegen.

Am Nachmittag schickte Udiko mich aus, Blaue Tarlas zu sammeln. Das gehörte von nun an zu meinen Aufgaben. Ich beeilte mich dabei und packte die Ernte in eine Sammeltasche, während mein Salamander zu seiner Lieblingsstelle auf meiner Schulter hochkroch. Normalerweise kehren Botentiere, die eine Nachricht überbracht haben, zu ihrem Händler zurück, sodass er ihre Dienste wieder und wieder anbieten kann. Doch der Salamander hatte anscheinend entschieden, dass er lieber bei mir leben wollte.

Als ich mich von dem anstrengenden Tieftauchen erholt hatte, schwamm ich in Richtung des Dorfs. Wenn ich mich beeilte, war der Mann mit dem verlorenen Schmuckstück vielleicht noch in der Gegend.

Ich fand ihn in einer Schänke, die fünf Menschenlängen tief im Flachwasser eines Nachbarsees stand. Trübsinnig starrte der Mann in seinen Krug Polliak. Die anderen Besucher blickten mich neugierig an, als ich hereinkam. Würde einer von ihnen mich bei Udiko verpetzen?

»Wer zum Brackwasser bist du?«, fragte der Fremde misstrauisch, als ich mich neben ihn auf den Boden setzte.

»Das tut nichts zur Sache«, sagte ich schnell. »Ich bin hier, um Euch zu helfen. Wie sieht dieser Armreif aus, den Ihr verloren habt, und wo genau ist er Euch ins Wasser gefallen?«

»W-wenn du ihn stehlen willst, wirst du kein Glück haben«, lallte der Mann. »Er ist irgendwo in der Mitte des Sees, da, wo es am tiefsten ist ... Der ist weg ... Verdammtes Pech ...«

Ich schaute mir die drei leeren Polliak-Krüge an, die neben ihm auf dem niedrigen Tischchen standen. Drei, beim Brackwasser! Bei einer wilden Feier mit Jarco hatte ich mal einen geschafft, danach einen kompletten Sonnenumlauf geschlafen und einen so hässlichen Hautausschlag bekommen, dass ich mich bis zum nächsten Vollmond nicht unter Menschen gewagt hatte. »Vielleicht geht Ihr jetzt besser nach Hause«, empfahl ich ihm.

Der Mann stöhnte auf. »Bevor ich das Ding nicht zurück habe, brauche ich mich gar nicht erst daheim blicken lassen ... Es war ein Erbstück ... Zilja hat es geliebt ...«

Nach und nach bekam ich alles aus ihm heraus, was ich wissen musste. Es war auch höchste Zeit, die Sonne neigte sich schon Richtung Horizont. Wenn ich nicht bald zurückkäme, würde Udiko vor Wut das Wasser um seine Kuppel herum zum Kochen bringen.

Ich tauchte in der Mitte des Sees und suchte immer ein paar Menschenlängen auf einmal ab – so oft, bis mir schwindelig wurde und ich verschnaufen musste. Es war schwieriger, als ich gedacht hatte. Der Grund bestand an dieser Stelle aus dickem Schlamm. Vielleicht wäre es das Beste, einfach zurückzuschwimmen und die ganze Sache zu vergessen. Der Kerl wusste nicht mal, wie ich hieß, und ich hatte ihm nichts versprochen.

Aber etwas in mir sträubte sich dagegen, so leicht aufzugeben, und schließlich gab mir ein neugierig im Boden herumschnobernder Wels den entscheidenden Hinweis. Kurz darauf glänzte der Armreif in meiner Hand – er bestand aus gehämmertem Kupfer und war mit kleinen blauen Chrysopalen besetzt.

So schnell ich konnte, kehrte ich zu der Schänke zurück und drückte dem Mann, der inzwischen einen vierten Polliak-Krug vor sich hatte, den Armreif in die Hand. »Hier. An Eurer Stelle würde ich jetzt aber wirklich heimgehen.«

Als er sich von seiner Überraschung erholt hatte, rief er mir etwas über Belohnung und Finderlohn nach, aber ich hatte nur noch eins im Kopf – so schnell wie möglich zum Alten zurückzukehren. Ein halbes Dutzend mögliche Ausreden kreiste mir im Kopf herum. Aber ich kam gar nicht dazu, sie über die Lippen zu bringen.

Als Udiko mich sah, begann er sofort zu toben. »Bitte sag mir, dass du es nicht getan hast! Bitte sag mir, dass du ihm nicht den Armreif zurückgebracht hast!«

Woher wusste er ...? Aber das war ja auch egal. »Doch, das habe ich«, sagte ich trotzig. »Er war ein Stück im Schlamm eingesunken, wahrscheinlich hat er ihn deswegen nicht selbst entdeckt.«

Udiko stöhnte. »Du verdammte Kaulquappe. Da hast du ja was angerichtet.«

Ein eisiges Prickeln lief mir über den Rücken. »Wieso?«

»Wenn du richtig hingeschaut hättest, dann wäre dir auf drei Längen Entfernung aufgefallen, dass der Mann ein Säufer ist. Und wenn du nachgedacht hättest, dann hättest du dich vielleicht gefragt, warum der Mann mit einem Armreif, der offensichtlich nicht ihm, sondern einer Frau gehört, auf der Mitte eines Sees unterwegs gewesen ist.«

So langsam dämmerte mir etwas. »O nein. Ihr meint, er wollte den Armreif seiner Gefährtin gegen Polliak eintauschen?«

»Das hat er vermutlich inzwischen.« Als Udiko meine betretene Miene sah, wurde sein Ausdruck wieder etwas milder. »So, und jetzt ruhst du dich gefälligst aus. Du bist ja völlig fertig.«

Ich warf mich auf meine aus Schilf gewobene Schlafmatte und fühlte mich elend. Düstere Gedanken zogen durch meinen Kopf. Am liebsten wäre ich in die Schänke gegangen und hätte dem Kerl den Armreif wieder abgenommen. Aber dann blieb ich doch einfach liegen.

Der Raum, in dem meine Schlafmatte lag und den Udiko zu meinem Zimmer erklärt hatte, war vorher ein Lager gewesen und noch immer genau wie der Rest der Kuppel voll gestopft mit den unwahrscheinlichsten Dingen, die Udiko im Laufe seines Lebens geschenkt bekommen hatte. Wenn ich nicht einschlafen konnte, beschäftigte ich mich damit, sie mir anzuschauen und mir vorzustellen, wozu sie gut sein mochten.

Aber selbst dazu hatte ich jetzt keine Lust. Ich starrte einfach hoch an die gewölbte Decke der Kuppel, durch die man das grüne Wasser des Sees und die vorbeiziehenden Fischschwärme sehen konnte. Von außen war das Material der Kuppel spiegelnd, deshalb beachteten die Fische mich nicht.

Nach und nach merkte ich, dass sehr leckere Düfte Udikos Wohnkuppel zu durchziehen begannen. Irgendwann machte ich mich auf den Weg zur Küche, die wie die anderen Räume nur durch eine dünne Stoffwand vom großen Wohnraum abgeteilt war. Fasziniert blieb ich im Eingang stehen und beobachtete Udiko. Er glitt hin und her wie ein Magier auf der Bühne, kostete hier, rührte da um, sprach eine Formel, um den Inhalt eines Topfs noch etwas mehr zu erhitzen, rieb ein paar Gewürze. »Ich hoffe, du magst ein Mousse aus Viskarienblättern, Kleiner.«

Ich wusste noch nicht mal, was das war. Wahrscheinlich irgend so ein Zeug der Erd-Gilde. Aber ich nickte trotzdem.

Als wir im Hauptraum mit den Tellern auf den Knien auf dem Boden saßen, stellte ich fest, dass es köstlich schmeckte. Wahrscheinlich musste ich aufpassen, dass ich während dieser Lehrzeit nicht rund wie eine Kugel wurde.

Schweigend aßen wir. Dann setzte Udiko seinen Teller ab und blickte mich streng an. Mir blieb fast die Blätterpaste im Hals stecken. Kam jetzt die Quittung für meine Blödheit? Aber er sagte nur: »Ich verstehe natürlich, warum du's gemacht hast.«

»Vielleicht solltet Ihr mir einfach diejenigen Besucher überlassen, die ein ganz normales Anliegen haben«, wagte ich vorzuschlagen. »Damit ich ein bisschen Übung bekomme.«

»Dafür ist es noch zu früh. Erst ist es höchste Zeit, dass wir deine Ausbildung beginnen«, sagte Udiko. »Deine erste Lektion ist: Jede Suche hat eine verborgene Wahrheit, die unter der Oberfläche liegt. Sie ist es, die du erkennen musst, sonst hat deine Arbeit keinen Sinn.« Er fasste hinter sich und holte ein schwarzes, aus dünnen Terlizzi-Algen gewobenes Stück Stoff hervor. »So, jetzt zu deiner ersten Übung. Bind dir das um die Augen.«

»Moment mal – ich soll Sehen lernen, indem ich mir die Augen verbinde?!«

»Du stellst zu viele Fragen, Junge«, knurrte der Große Udiko, und ich tat, was er befohlen hatte. Mir war ein bisschen mulmig zumute. Jetzt war es so finster um mich herum wie bei Neumond an Land.

»So«, sagte Udiko. »Das behältst du jetzt zwei Wochen lang an. Tag und Nacht. Das wird dein Gehör, deinen Geruch- und Tastsinn schulen.«

Ich erschrak. Zwei Wochen! Das war eine verdammt lange Zeit, um in Dunkelheit zu leben! Wollte er mich etwa so in den See hinausschicken ... Wie, beim Brackwasser, sollte ich mich da orientieren?

»Mach dir keine Sorgen – dazu hast du später noch genug Zeit«, brummte Udiko. »Atme jetzt mal ganz langsam und bewusst. Fühlst du deinen Herzschlag, merkst du, wie die Luft durch deine Lungen hinaus- und hineinströmt?«

»Ja.« Ich merkte, wie ich ruhiger wurde, mich entspannte.

»Gut. Dann konzentrier dich jetzt auf deine Sinne, darauf, was du von deiner Umgebung wahrnimmst.«

Langsam drehte ich den Kopf. Der würzige Viskariengeruch hing noch in der Luft, aber es roch auch nach alten Schriftrollen und dem Schlamm, den ich unfreiwillig von meiner Expedition in den Nachbarsee mitgebracht hatte. Es war sehr still, und ich konnte Udikos Atem hören, die Geräusche, als er aufstand, das Klappern, als er unsere hölzernen Essschalen ineinander stellte. Ich spürte den leichten Luftzug, als der Alte an mir vorbeiging, und mir wurde bewusst, wie seidig weich der Buntalgenteppich unter meinen Füßen sich anfühlte. Er war immer ein wenig kühl auf der Haut, weil die Algen unsere Luft rein hielten und auffrischten.

»Was ist, hilfst du mir nicht beim Abräumen?«, knurrte Udiko.

»Klar«, sagte ich, griff nach den Schalen – und begann mein Leben als Blinder auf Zeit, indem ich die Finger in die Blättermousse-Schüssel tunkte.

* * *

In den Stunden nach dem Aufgang des dritten Monds war Mi'raela oft in den Höhlen und Gängen der Burg unterwegs, tief unten, dort, wohin sich höchstens Halbmenschen und besonders mutige menschliche Diener verirrten. Manchmal schaffte sie es auf diesen Ausflügen, einen Nachtwissler zu reißen, der sich in die Burg verirrt hatte. Die kleinen, schwarzfelligen Nachtwissler konnten sich auf ihren vier dünnen Pfoten so rasch bewegen wie kaum ein anderes Tier, und sie wussten, wie man sich verbarg. Oft verrieten sie sich nur durch ihr ständiges Quietschen, das so hoch war, dass Menschen es kaum hören konnten. Ihnen aufzulauern und sie zu überlisten, war genau die richtige Herausforderung für Mi'raela. Im heißen Rausch der Jagd und wenn sie das salzige Blut auf der Zunge spürte, fühlte sie sich wenigstens ein paar Momente lang lebendig ...

Sie schlich durch eine Höhle, in der sich wie ein schwarzer Spiegel einer der Speicherseen ausbreitete. Es war kühl und feucht hier und roch nach nassem Stein und Algen. Ab und zu fielen Wassertropfen. Mi'raela mochte diesen Ort nicht, aber sie musste hier durch, um in die hinteren Winkel des Südtrakts vorzudringen. Geschickt balancierte sie einen schmalen, glitschigen Sims entlang, eine Pfotenhand vor der anderen. Doch heute war irgendetwas anders in ihrem Revier. Mi'raelas Schnurrhaare tasteten vor; wachsam hob sie den Kopf, und ihre Schwanzspitze zuckte. Wenige Atemzüge später hatte sie festgestellt, was sie störte. In einer Nische der Wand saß jemand, bewegungslos wie eine Statue. Ein Mensch!

»Hallo«, sagte eine helle Mädchenstimme, die ein wenig zittrig klang. »Du hast mich ganz schön erschreckt. Ich bin übrigens Jini.«

Mi'raela antwortete nicht, witterte nur misstrauisch. Was wollte dieses Mädchen von ihr? Elegant drehte sie sich auf dem schmalen Sims, um zu verschwinden. Sie erinnerte sich dunkel, dass sie schon einmal etwas über dieses Mädchen gehört hatte. Es war erst seit ein paar Wochen in der Burg. Es war einfach hier gelassen worden von den Männern, die es mitgebracht hatten.

»He, warte doch!«, rief ihr das Mädchen hinterher. »Ich kenne dich. Du bist doch Staubflocke, oder? Dienerin dieser Kerle in den schwarzen Kutten?«

Nein, nein, nein, dachte Mi'raela wütend. Bei ihren nächtlichen Ausflügen war sie nicht Staubflocke, und sie wollte auch nicht daran erinnert werden, dass sie in dieser verwünschten Burg Sklavendienste verrichten musste. Sie machte kehrt und huschte davon.

Trotzdem zog es sie in der nächsten Nacht wieder zu dem unterirdischen Teich. Nur mal schauen, dachte sie. Sie konnte ja gleich wieder verschwinden, wenn das Mädchen da wäre.

Schon von weitem hörte sie Geräusche – ein Planschen, das hohl von den Wänden widerhallte. Mit entsetzt zuckenden Schnurrhaaren sah Mi'raela, dass das Mädchen in den Teich gefallen war und nun mit den Armen ruderte, um sich daraus zu retten. Das sonst so spiegelglatte Wasser war in Aufruhr, schwappte an den dunklen Steinwänden hoch.

Das Mädchen verschwand unter der Wasseroberfläche. Ich muss ihr helfen, dachte Mi'raela, aber ihr Körper war wie gelähmt beim Gedanken an dieses furchtbar nasse Zeug. Gerade, als sich ihre Muskeln doch noch zum Sprung spannten, tauchte das Mädchen wieder auf. Unmittelbar vor ihr. Und es wirkte keineswegs, als sei es in Not.

»Du wirst mich doch nicht verpetzen, oder?«, fragte das Mädchen verlegen. »Ich weiß, dass es nicht erlaubt ist, im Speichersee zu schwimmen, aber es macht einfach so viel Spaß ...«

Mi'raela war entsetzt. Spaß? »Das hier Trinkwasser«, sagte sie und tat so, als spräche sie nur ein paar Worte Daresi.

»Ach, du weißt doch selber, dass die meisten Leute sowieso aus den Tiefbrunnen trinken, das hier ist nur für den Notfall oder einen Brand gedacht.«

Das stimmte. Mi'raela verlor das Interesse. Sie wandte sich ab, um davonzuschleichen. Noch hatte sie die Hoffnung nicht aufgegeben, heute einen Nachtwissler zu erbeuten ...

»Warte doch!«, rief das Mädchen hinter ihr her. »Wollen wir nicht noch ein bisschen reden?«

»Nein«, gab Mi'raela zurück. Aber sie blieb trotzdem stehen. Sie kannte den Ton, der in der Stimme des Mädchens mitgeklungen hatte. Einsamkeit. Dieser Ton berührte ihr Herz einen kurzen Moment und ließ sie zögern.

Doch dann trugen ihre Pfoten sie davon. Nein, so leicht würde sie sich nicht einwickeln lassen. Wer wusste, was dieses Mädchen vorhatte! Trau den Dörflingen nie – sie werden dich tausendmal enttäuschen und dann noch einmal mehr.

* * *

Den ersten Tag mit verbundenen Augen verbrachte ich drinnen und erforschte Udikos Wohnkuppel mit Ohren, Fingerspitzen und Nase. Was nicht immer angenehm war. In einer Ecke meines Zimmers fand ich die Leiche eines Flusskrebses, der anscheinend aus Neugier hier hereingekrochen war, den Ausgang nicht mehr gefunden und sein Leben ausgehaucht hatte. Er stank schon. Auch die anderen abgelegenen Ecken der Kuppel hatten eine Grundreinigung dringend nötig.

Zu Anfang lief ich oft gegen die Wände der Kuppel, die zum Glück federnd nachgaben. Ich gewöhnte mir an, die Arme auszustrecken, wenn ich mich durch die Gegend bewegte. »Das machen nur Anfänger«, schalt mich Udiko. »Wenn du so rumläufst, siehst du aus wie ein Wanderprediger.«

»Gequirlte Schnepfengalle, ich bin ein Anfänger ...«

»Dann hör gefälligst zu, weil ich dir jetzt etwas beibringe!«, knurrte mein Meister – und erklärte mir, wie man auf das feine Echo von Geräuschen lauschen und so feststellen kann, wie groß der Raum ist, in dem man sich befindet, wo die Wände sind und wo Hindernisse lauern. In jeder Umgebung klingen Geräusche anders, mal flach, mal dumpf, mal hallend – wer das nutzen lernt, kann sich mit etwas Übung in völliger Dunkelheit orientieren.

Trotz dieser Schulung holte ich mir Beulen. Als ich Udikos Sammlung von Merkwürdigkeiten abtastete, fiel ein ganzer Turm davon in sich zusammen und knallte mir auf den Kopf. Zum Glück waren keine schweren Statuen dabei.

Mitleid bekam ich natürlich keines. »Wie kann man nur so blöd sein und das Kästchen herausziehen, das den Stapel zusammenhält«, raunte Udiko und brummte mir neue Übungen für den Tastsinn auf.

Am zweiten Tag ging's raus in den See, und ich genoss das Gefühl des Wassers auf der Haut. Bei diesen Übungen hatte ich weniger Probleme, als ich befürchtet hatte. Seit meiner Kindheit tauchte ich in den Seen von Vanamee, ich war es gewöhnt, ihre dunklen Abgründe zu erforschen. Auch die Kunst, nachts einem schwimmenden Menschen zu folgen, indem man seinen Wasserwirbeln nachspürt, hatte ich oft genug mit meinen Freunden geübt.

Schwieriger wurde es, als Udiko mich alleine losschickte und mir Aufgaben stellte, die ich blind bewältigen musste – zum Beispiel, eine reife Honigblüte von der Landbrücke zu holen, ohne sie dabei zu zertreten. Oder einen Gegenstand zu finden, den er an einer bestimmten Stelle des Sees deponiert hatte. Ich übte, Schwimmzüge zu zählen, um Zeiten und Entfernungen zu schätzen, und mir jede meiner Bewegungen zu merken, um sie auf einer Landkarte in meinem Gedächtnis einzutragen.

Nach einer Woche verirrte ich mich auch mit verbundenen Augen immer seltener. Ich konnte an dem Gefühl der Sonne auf meiner Haut abschätzen, welche Tageszeit es war. Meine Ohren schienen viel schärfer geworden zu sein und meldeten mir Dinge, die ich zuvor einfach überhört hatte.

Doch in der Nacht legte ich manchmal die Hände auf meine nutzlosen Augen und wünschte mir, die Sonne sehen zu dürfen, die ruckartigen, scheuen Bewegungen des Mondreihers, das Glitzern des Wassers an einem hellen Tag. Lachende Augen hast du, hatte Lourenca mir einmal gesagt. Wenn du mich anschaust, dann ist das für mich wie der Geschmack von Quellwasser ...

Das Dumme an verbundenen Augen ist, dass man sich noch nicht mal Tränen wegwischen kann.

Udiko schien zu spüren, dass es mir schon mal besser gegangen war. »Heute schwimmen wir auf den Markt«, verkündete er am achten Tag.

Zuerst freute ich mich über die Abwechslung. Nach einer Woche allein mit dem Alten würde es Spaß machen, mal wieder andere Leute zu treffen. Dann erinnerte ich mich daran, dass ich das schwarze Tuch noch immer nicht ablegen durfte. »O je. Ich werde mir vorkommen wie ein Idiot.«

»Sei nicht albern, Kleiner. Du bist nicht der erste Lehrling, den ich ins Dorf mitnehme.«

Wir machten es uns einfach und ließen uns den Xanthu-Fluss hinuntertreiben, bis wir den Südlichen Markt erreichten. Schon von weitem hörte ich das Stimmengewirr, das Geräusch von Paddeln, die durchs Wasser gezogen wurden, das Blubbern von Suppen an den Kochständen. Verlockende Gerüche nach frischen Goldalgen, geräuchertem Aal und scharf gewürzten Fischbällchen durchzogen die Luft. Wir kletterten auf die Plattform und mischten uns unter die Menge. Ständig streiften mich Arme, spürte ich Körper an mir vorbeidrängen. Obwohl ich eigentlich ein geselliger Mensch bin, fand ich das nach der Einsamkeit des Xanthu-Sees anstrengend. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, aber ich konnte die Blicke förmlich spüren, die sich auf mich richteten. Es wurde fast unerträglich, nichts sehen zu können, und ich fühlte mich so hilflos wie lange nicht. Blind hätte ich in dieser lärmenden Menge keine Chance, meinen Meister wieder zu finden, sollte ich ihn verlieren.

»Ganz ruhig«, raunte mir Udiko zu. »Lausch auf die Stimmen. Hörst du, wie die dunklen Töne daraus verschwinden, wenn jemand aufgeregt ist? Achte nicht so sehr auf das, was gesagt wird, sondern auf das, was in der Stimme mitschwingt ...«

Wir blieben den ganzen Tag auf dem Markt. Ich verbrachte die Zeit mit Zuhören, Udiko damit, sich an den Fressständen durchzuprobieren. Etwas vorsichtiger folgte ich seinem Beispiel. Ich war gerade in einer Phase, in der ich mir nicht mehr sicher war, ob ich überhaupt weiterhin Fleisch – tote Tiere! – essen wollte.

Unschlüssig ging ich an den Ständen vorbei und versuchte, mit der Nase festzustellen, was es dort gab. Da Udiko natürlich nicht daran dachte, mich am Händchen zu nehmen, passierte das Unvermeidliche: Ich stolperte über eine Kiste, die jemand hatte stehen lassen, und schlug der Länge nach hin.

»Alles klar?«, fragte eine helle Stimme besorgt. Eine schmale Hand ergriff meinen Ellenbogen und half mir, wieder auf die Füße zu kommen.

»Danke«, keuchte ich und versuchte, mich neu zu orientieren. Ich hatte mir zwar kaum wehgetan, aber durch den Unfall wusste ich nicht mehr, in welche Richtung ich gegangen war. Mit etwas Pech spazierte ich jetzt ahnungslos zum Ende der Plattform zurück und fiel über die Kante ins Wasser. Nicht, dass mir das etwas ausgemacht hätte ...

»Wieso trägst du dieses ... Ding? Bist du an den Augen verletzt?« Das Mädchen war immer noch da.

»Zum Glück nicht – ich bin Sucher-Lehrling«, erklärte ich und versuchte, sie anzulächeln. Aber anscheinend guckte ich in die falsche Richtung, denn sie begann zu kichern. Ich drehte mich ihrer Stimme zu. »Tja, schade, ich weiß gar nicht, wie du aussiehst.«

Das Mädchen lachte. »Schau doch selbst ...«

Sie nahm einfach meine Hand und legte sie auf ihre Wange. Ich war so verblüfft, dass ich erst einen Wimpernschlag später begriff, was sie meinte. Dann begann ich, sanft ihr Gesicht abzutasten. Sie hatte eine kleine, ein bisschen knubbelige Nase, unglaublich zarte Haut und kurze Haare, wie wir sie fast alle trugen, weil sie nicht so lange zum Trocknen brauchten. »Fühlt sich alles ziemlich gut an«, sagte ich. Sie roch auch gut, nach frischem Wasser und Baumharz und den Nüssen, die sie wahrscheinlich vorhin gegessen hatte.

»Na, schade, dass du auf diese Art nicht sehen kannst, wie schön der Himmel heute aussieht. Er ist von weißen Wölkchen richtig gesprenkelt.«

»Das muss ich mir eben vorstellen«, erwiderte ich und versuchte es gleich mal.

Gerade wollte ich dem Mädchen davon erzählen, da sagte es hastig: »Ich muss gehen. Da ist mein Bruder, er wartet schon auf mich. Friede den Gilden!«

»Äh, und Wohlstand ganz Daresh«, brachte ich gerade noch heraus und ärgerte mich, weil ich vergessen hatte, sie nach ihrem Namen zu fragen.

Udiko und ich verbrachten die ganze nächste Woche auf verschiedenen Märkten, in Schänken und Handelsposten. Meist unterhielten wir uns kaum dabei, hörten nur zu und verglichen ab und zu unsere Eindrücke oder machten Bemerkungen. Ob Udiko wusste, dass ich nach einer ganz bestimmten Stimme lauschte? Aber sie war nie dabei. Keine Chance, dachte ich. Du weißt nicht, wie sie heißt, du weißt nicht genau, wie sie aussieht ... Vergiss es einfach!

Abends, zurück in der Wohnkuppel am Grund des Sees, unterhielten Udiko und ich uns ausführlicher über die Gespräche, die wir mitgehört hatten. Unter seiner Anleitung lernte ich, die feinen Schwingungen aus Stimmen herauszuhören, die eine Lüge verrieten. Nach zwei Tagen hatte ich auch keine Probleme mehr damit, mehrere Gespräche gleichzeitig zu verfolgen, indem ich mal hier, mal dort ein paar Atemzüge lang mithörte. Udiko brachte mir bei, aus dem Akzent festzustellen, aus welcher Gegend von Daresh jemand stammte, und durch die Redeweise und Anhaltspunkte im Gespräch innerhalb von kurzer Zeit herauszufinden, was für einer Gilde derjenige angehörte, was für eine Berufung er hatte, in welchen Verhältnissen er aufgewachsen war, wie er lebte und dachte.

Manchmal versuchte ich, meine neuen Fähigkeiten auf Udiko selbst anzuwenden. Ich wusste kaum etwas über ihn, und er war natürlich der Mensch, der mich im Moment am meisten interessierte. Doch Udiko schaffte es auf irgendeine Art, gleichzeitig völlig ehrlich zu sein und sehr wenig über sich zu verraten. Ich konnte den Nebelschleier, den er über seine Persönlichkeit legte, förmlich spüren. Natürlich war es mein Fehler – ich traute mich noch nicht, ihn einfach auszufragen. So, wie auch er mir keine Fragen stellte, obwohl ich sein Lehrling war und mit ihm in einer Kuppel lebte. Ich glaube, er wartete darauf, bis ich bereit war, ihm freiwillig etwas über mich zu erzählen.

An einem regnerischen Abend kurz nach Sonnenuntergang verkündete der Große Udiko: »Die zwei Wochen sind um. Du kannst das Tuch nun wieder abnehmen, wenn du willst.«

Ob ich wollte? Was für eine Frage! Allerdings hatte sich der Knoten so festgezogen, dass ich mein Messer zu Hilfe nehmen und das Tuch zerschneiden musste. Langsam zog ich es mir vom Kopf – und war froh, dass Udiko eines seiner beiden Leuchttierchen abgedeckt hatte. Selbst der schwache Schein tat mir in den Augen weh.

»Morgen gehst du nicht raus – du musst dich langsam wieder ans Licht gewöhnen«, befahl Udiko. Er legte mir kurz die Hand auf die Schulter. »Glückwunsch. Diese erste Zeit war nicht leicht, aber du hast dich gut gehalten, Tjeri.«

In diesem Moment hatte ich das Gefühl, dass ich alles durchstehen konnte, was jetzt noch kommen würde. Das lag nicht nur an dem Lob. Ich hatte eine Ahnung davon bekommen, was ein Sucher ist, was ich aus mir machen könnte – und ich war wild darauf, mehr zu lernen.

Damals wusste ich nicht, dass Udiko und mir die wahre Zerreißprobe noch bevorstand.

Auf der Kippe

Unter der Erde gab es keine Nacht und keinen Tag. Aber in der Felsenburg gab es Zeiten, in denen es ruhiger war, weil die meisten Dörflinge schliefen, und diese Zeiten nutzten die Halbmenschen, um sich davonzuschleichen von ihren aufgezwungenen Arbeiten. Auch Mi'raela ging hin und wieder zu den Treffen, meist nachts, wenn Spinnenfinger hinter seiner Tür schnarchte. Über wenig benutzte Gänge und geheime Tunnel schlich sie sich zu den Lagerräumen tief, tief unten, in denen sich ihre Leidensgenossen versammelten.

Hier waren sie vor Entdeckung so sicher, wie es in der Felsenburg überhaupt möglich war – nur sehr selten kam jemand hierher, der nicht zur Bruderschaft aller Halbmenschen gehörte. Und wenn doch einmal ein Dörfling die Treppen hinab polterte, um Vorräte zu holen, dann fand er nichts außer leeren Räumen und einem leichten Raubtiergeruch, der noch in der Luft hing. Denn Katzenmenschen hatten feine Ohren, und Iltismenschen noch feinere, und beide verstanden etwas davon, sich zu verstecken. Auch belauschen konnte ein Mensch die heimlichen Versammlungen nicht. Dabei wurde kein Wort Daresi gesprochen, und die Sprachen der Halbmenschen klangen für Fremde wie scheußliches Kauderwelsch.

In dieser Nacht hatten sich ein halbes Dutzend Katzen eingefunden, zehn Iltisse, ein Natternmensch, dessen Aufgabe darin bestand, die Wasserspeicher unter der Burg frei von Parasiten zu halten, und drei Krötenmenschen, die ebenfalls das Reservoir pflegten. Wie üblich saßen die Krötenmenschen verschüchtert beieinander, denn die Iltismenschen machten sich nicht selten einen Spaß daraus, üble Witze auf ihre Kosten zu erzählen und sich darüber auszutauschen, wie Kröte schmeckte. Mi'raela wunderte sich, dass die Krötenmenschen überhaupt noch kamen. Sie schienen mehr Mumm zu haben, als die meisten ihnen zutrauten.

»... halb totgeschlagen hat ihn ein Aufseher, und nur weil mein Bruder ihn angeknurrt hat«, berichtete ein Iltismensch gerade die neusten Neuigkeiten aus den Küchen, Kellern und Dienstbotenräumen der Burg. »Ach, ich könnte sie in Stücke reißen, in Stücke! Wenn nur die Quelle nicht wäre.«

Ja, die Quelle. Der geheimnisvolle Stein der Regentin, der bewirkte, dass kein Halbmensch ihr und ihren Schergen den Gehorsam verweigern konnte.

»Irgendwann wird wieder jemand kommen, der die Quelle berührt, und dann sind wir frei«, meinte der Krötenmensch sehnsüchtig.

Niemand antwortete ihm. Es war schon sehr, sehr lange her, dass ein Mensch die Quelle berührt hatte. Mi'raela gab sich wenig Illusionen darüber hin, dass es während ihrer Lebenszeit noch einmal einen Versuch geben würde, geschweige denn einen erfolgreichen. Sie entschied sich, das Thema zu wechseln.

»Eine Menschenwelpin treibt sich bei den Teichen herum«, sagte sie. »Nachts auch noch, nachts. Sie macht viel Lärm.«

»Ich habe sie bemerkt«, meinte ein Iltis, und ein paar der anderen nickten. »Sehr jung noch und neu in der Burg.«

»Lästig ist das – sie bringt alles durcheinander, alles. Ich kann dort keine Wasserkäfer jagen, ehe sie wieder weg ist«, beschwerte sich Zz'eldan, der Natternmensch. »Hast du mit ihr gesprochen, Mi'raela?«

»Ja. Sie wirkt harmlos.«

»Wer weiß. Vielleicht spioniert sie für die Dörflinge, warum soll sie sonst um diese Zeit in der Burg unterwegs sein?«, meinte ein alter Iltismensch namens Cchrnoyo. »Fern halten solltest du dich von ihr, fern, sonst erfährt sie zu viel über uns.«