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Jules Verne bei Null Papier Komplett neu überarbeitet; reichhaltig illustriert und kommentiert Der junge Ingenieur Méré will in Afrika seinen zukünftigen Schwiegervater beeindrucken, einen knorrigen und sehr misstrauischen Diamantenschürfer. Méré plant, den größten künstlichen Diamanten der Welt herzustellen – und hat damit zunächst sogar Erfolg. Natürlich macht sich Méré damit unter den anderen Minenbesitzern keine Freunde. Aber das wahre Abenteuer beginnt erst, als der Diamant plötzlich verschwindet. Es folgt eine Jagd durch das wilde, unbekannte Afrika. Eine geradezu aberwitzige Geschichte mit Elefantenjagden, Giraffenreiten und zahmen Straußen. Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 382
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Jules Verne
Der Südstern
oder: Das Land der Diamanten
Jules Verne
Der Südstern
oder: Das Land der Diamanten
(L’Étoile du sud)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung und Fußnoten: Jürgen SchulzeIllustrationen: Léon Benett EV: A. Hartleben, Leipzig, 1886 2. Auflage, ISBN 978-3-962815-15-8
null-papier.de/neu
Inhaltsverzeichnis
Jules Verne – Leben und Werk
Erstes Kapitel – Rein toll, diese Franzosen!
Zweites Kapitel – Zu den Diamantenfeldern
Drittes Kapitel – Ein wenig Wissenschaft, gelehrt in aller Freundschaft.
Viertes Kapitel – Vandergaart-Kopje
Fünftes Kapitel – Erste Abbauversuche
Sechstes Kapitel – Lagergebräuche
Siebentes Kapitel – Der Einsturz
Achtes Kapitel – Das große Experiment
Neuntes Kapitel – Eine Überraschung
Zehntes Kapitel – Worin John Watkins nachdenkt.
Elftes Kapitel – Der Südstern
Zwölftes Kapitel – Vorbereitungen zum Aufbruch
Dreizehntes Kapitel – Durch den Transvaal
Vierzehntes Kapitel – Im Norden des Limpopo
Fünfzehntes Kapitel – Ein Komplott
Sechzehntes Kapitel – Verrat
Siebzehntes Kapitel – Eine afrikanische Steeplechase
Achtzehntes Kapitel – Ein sprechender Strauß
Neunzehntes Kapitel – Die Wundergrotte
Zwanzigstes Kapitel – Die Rückkehr
Einundzwanzigstes Kapitel – Venezianische Justiz
Zweiundzwanzigstes Kapitel – Eine Mine ganz neuer Art
Dreiundzwanzigstes Kapitel – Unterbrochene Festfreuden
Vierundzwanzigstes Kapitel – Ein verlöschender Stern
Ein Nachwort
Danke, dass Sie dieses E-Book aus meinem Verlag erworben haben.
Jules Verne gehört zu den Autoren, die jeder schon einmal gelesen hat. Eine Behauptung, die man nicht über viele Schriftsteller aufstellen kann. Die Geschichten von Verne sind unterhaltend, lehrreich und immer sehr atmosphärisch.
In unregelmäßiger Folge wird mein Verlag die Werke von Verne veröffentlichen – die bekannten wie die unbekannten. Immer in der überarbeiteten Erstübersetzung, um den (sprachlichen) Charme der Zeit beizubehalten.
Korrigiert und kommentiert werden Orts- und Personennamen oder offensichtlich falsche Angaben. Sie finden die Erläuterungen in Fußnoten.
Ich habe es mir auch nicht nehmen lassen, die ursprünglichen Namen zu verwenden: Aus dem Johann wird so wieder der ursprüngliche Jean, aus Ludwig wieder Louis und aus Marianne wieder Marie. Ich denke, das tut den Geschichten nur gut.
Sollten Sie Hilfe benötigen oder eine Frage haben, schreiben Sie mir.
Ihr Jürgen Schulze null-papier.de/kontakt
Reise um die Erde in 80 Tagen
Michael Strogoff - Der Kurier des Zaren
Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer
Eine Idee des Doktor Ox
Eine Überwinterung im Eis
Schwarz-Indien – Oder: Die Stadt unter der Erde
Fünf Wochen im Ballon
Robur der Eroberer
Der Herr der Welt
Von der Erde zum Mond
und weitere …
Beinahe wäre Klein-Jules als Schiffsjunge nach Indien gefahren, hätte eine Laufbahn als Seemann eingeschlagen und später unterhaltsames Seemannsgarn gesponnen, das vermutlich nie die Druckerpresse erreicht hätte.
Jules Verne
Verliebt in die abenteuerliche Literatur
Glücklicherweise für uns Leser hindert man ihn daran: Der Elfjährige wird von Bord geholt und verlebt weiterhin eine behütete Kindheit vor bürgerlichem Hintergrund. Geboren am 8. Februar 1828 in Nantes, wächst Jules-Gabriel Verne in gut situierten Verhältnissen auf. Als ältester von fünf Sprösslingen soll er die väterliche Anwaltspraxis übernehmen, weshalb er ab 1846 in Paris Jura studiert.
Viel spannender findet er schon zu dieser Zeit allerdings die Literatur. Verne freundet sich sowohl mit Alexandre Dumas als auch mit seinem gleichnamigen Sohn an. Gemeinsam mit Vater Dumas verfasst er Opernlibretti und erste dramatische Werke. Nach dem Abschluss seines Studiums beschließt er, nicht nach Nantes zurückzukehren, sondern sich völlig der Dramatik zu widmen.
Zwar schreibt er nicht ganz erfolglos – drei seiner Erzählungen erscheinen in einer literarischen Zeitschrift. Doch zum Leben reicht es nicht, weshalb der junge Autor 1852 den Posten eines Intendanz-Sekretärs am Théâtre lyrique annimmt. Immerhin wird diese Arbeit zuverlässig vergütet und Verne darf sich als Dramatiker betätigen. In seiner Freizeit verfasst er weiterhin Erzählungen, wobei ihn abenteuerliche Reisen am meisten interessieren.
Als er 1857 eine Witwe heiratet, die zwei Töchter in die Ehe mitbringt, muss sich der Literat nach einer besser bezahlten Einkommensquelle umsehen. Während der nächsten zwei Jahre schlägt er sich als Börsenmakler durch, wobei er genug Zeit findet, längere Schiffsreisen zu unternehmen, bevor 1861 sein Sohn Michel geboren wird.
Verliebt ins literarische Abenteuer
Letztlich ist es einer besonderen Begegnung im Jahr 1862 geschuldet, dass alles, was der Autor bisher »geistig angesammelt« hat, in seinen künftigen Romanen kulminieren darf: Der Jugendbuch-Verleger Pierre-Jules Hetzel veröffentlicht Vernes utopischen Reiseroman »Fünf Wochen im Ballon«. Dieses von ihm ohnehin bevorzugte Sujet wird den Schriftsteller nie wieder loslassen – die abenteuerlichen Reisen, auf welcher Route auch immer sie absolviert werden. Hetzel verlegt Vernes noch heute beliebteste Schriften: 1864 »Reise zum Mittelpunkt der Erde«, im folgenden Jahr »Von der Erde zum Mond«, 1869 »Reise um den Mond« und »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer«. Mit »Reise um die Erde in 80 Tagen« erscheint 1872 Jules Vernes erfolgreichster Roman überhaupt.
Die Zusammenarbeit mit Hetzel, der gleichzeitig als sein Mentor fungiert, sorgt in den späten 1860er Jahren dafür, dass der höchst produktive Schriftsteller seiner Familie einigen Wohlstand bieten und sich selbst »jugendtraumhafte« Reisewünsche erfüllen kann. Sein Verleger stellt ihn namhaften Wissenschaftlern vor – in Kombination mit den erwähnten Reisen entsteht auf diese Weise ein ungeheurer Fundus der Inspiration: Jules Vernes Zettelkasten enthält angeblich 25.000 Notizen!
Zwar ist er seit »Reise um den Mond« gleichermaßen wohlhabend und geachtet; er engagiert sich seit den späten 1880er Jahren sogar als Stadtrat in Amiens, wohin er 1871 mit seiner Familie übergesiedelt war. Der »Ritterschlag« aber bleibt aus: In der Académie française möchte man den Jugendbuchautor nicht haben, er gilt als nicht seriös genug.
Den Zenit seines Schaffens hat der Literat bereits überschritten, als er 1888 bleibende Verletzungen durch den Schusswaffen-Angriff eines geistesgestörten Verwandten davonträgt. Dennoch arbeitet der Autor ununterbrochen weiter. Als Jules Verne im März 1905 stirbt, hinterlässt er ein gewaltiges Gesamtwerk: 54 zu Lebzeiten erschienene Romane, weitere elf Manuskripte bearbeitet sein Sohn Michel nach dem Tod des Vaters. Ergänzt wird Vernes Œuvre durch Erzählungen, Bühnenstücke und geografische Veröffentlichungen.
Geliebt und missachtet
Jenes zwiespältige Verhältnis, das sich bereits in der Ablehnung der Akademiemitglieder äußert, kennzeichnet die akademische Rezeption bis heute: Jules Verne ist eben »nur ein Jugendbuchautor«. Weniger befangene Rezipienten freilich schreiben ihm eine ganz andere Bedeutung zu, die dem Visionär und leidenschaftlichen Erzähler besser gerecht wird.
Wenngleich der alternde Literat zum Ende seines Schaffens durchaus nicht mehr in gläubiger Technikbegeisterung aufgeht, bleiben uns doch genau jene Werke in liebevoller Erinnerung, in denen technische und menschliche Großtaten die Handlung bestimmen: »Reise um die Erde in 80 Tagen« oder »Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer« beispielsweise. Wer als Kind von Nemo und seiner Nautilus liest, wird unweigerlich gefangen von diesem technischen Wunderwerk und dessen Kapitän. Vernes Romane gehören zu jenen Jugendbüchern, die man als Erwachsener gerne nochmals zur Hand nimmt – und man staunt erneut, erinnert sich, lässt sich wiederum einfangen und fragt sich, warum man eigentlich so selten Verne liest…
So wie der Autor sich selbst durch Reisen und Wissenschaft inspirieren lässt, dienen seine Werke seit jeher der Inspiration seiner Leserschaft. Wie präsent dieser exzellente Unterhalter in den Köpfen seiner Leser bleibt, belegen Benennungen in See- und Raumfahrt: Das erste Atom-U-Boot der Geschichte ist die amerikanische USS Nautilus. Ein Raumtransporter der Europäischen Raumfahrtagentur heißt »Jules Verne«, ein Asteroid und ein Mondkrater tragen ebenfalls den Namen des Schriftstellers. Die »Jules Verne Trophy« wird seit 1990 für die schnellste Weltumsegelung verliehen, was dem begeisterten Jachtbesitzer Verne gewiss gefallen hätte.
Der kommerzielle Literaturbetrieb sowie die Filmwirtschaft betrachten den französischen Vater der Science-Fiction-Literatur ebenfalls mit Wohlwollen: Unzählige Neuauflagen der Romanklassiker, Hörbücher und Verfilmungen der rasanten, stets mitreißenden Handlungen sprechen Bände. Mittlerweile gelten die ältesten Verfilmungen selbst als kulturelle Meilensteine, die keineswegs nur ein junges Publikum erfreuen.
Jules Vernes Bedeutung für die Literatur
Der Einfluss Vernes auf nachfolgende Science-Fiction-Autoren ist gar nicht hoch genug einzuschätzen: Aus heutiger Sicht ist er einer der Vorreiter der utopischen Literatur Europas, der noch vor H. G. Wells (»Krieg der Welten«) und Kurd Laßwitz (»Auf zwei Planeten«) das neue Genre begründet. Seinerzeit gibt es diesen Begriff noch nicht, weshalb Hetzel die Romane seines Erfolgsschriftstellers als »Außergewöhnliche Reisen« vermarktet
Der Franzose sieht, anders als Wells und ähnlich wie Laßwitz, im technischen Fortschritt das künftige Wohl der Menschheit begründet. Trotzdem ist Jules Verne vor allem Erzähler: Er will weder warnen wie Wells noch belehren wie Laßwitz, sondern in erster Linie unterhalten. Im Vergleich zum spröden Realismus eines Wells wirken seine Romane für moderne Leser ausufernd, vielleicht sogar geschwätzig. Dennoch sind sie leichter zugänglich als das stilistisch ähnliche Schaffen des Deutschen Laßwitz, weil sie Utopie und Technikbegeisterung nicht zum Zweck ihres Inhalts machen, sondern lediglich zu dessen Träger: Schließlich ist es einfach aufregend, in einem Ballon eine Weltreise anzutreten oder Kapitän Nemo in sein geheimes Reich zu folgen.
Der Südstern oder Das Land der Diamanten
»Reden Sie, mein Herr, ich höre!«
»Ich erlaube mir um die Hand Ihrer Fräulein Tochter, der Miss Watkins, anzuhalten.«
»Um die Hand Alices?«
»Ja, mein Herr. Meine Bitte scheint Sie zu überraschen, doch werden Sie verzeihen, wenn ich nur schwer begreife, warum Ihnen diese so außerordentlich erscheinen kann. Ich bin sechsundzwanzig Jahre alt und heiße Cyprien Méré. Meines Standes Mineningenieur, ging ich mit Nummer zwei aus der polytechnischen Schule ab. Meine Familie genießt ein verdientes Ansehen, wenn dieselbe auch nicht reich ist. Der französische Konsul in Kapstadt würde das, wenn Sie es wünschen, bezeugen, er und mein Freund, Pharamond Barthès, der Ihnen wohlbekannte unerschrockene Jäger, dessen Namen ganz Griqualand nennt, würden es bekräftigen können. Ich befand mich jetzt hier im Auftrage der Akademie der Wissenschaften und der Regierung Frankreichs. Letztes Jahr hab’ ich vom Institut den Preis Houdart für meine Arbeiten über die chemische Zusammensetzung der vulkanischen Felsen der Auvergne errungen. Meine Abhandlung über das Diamantengebiet des Vaal, welche nahezu beendet ist, wird von der gelehrten Welt jedenfalls mit Freuden begrüßt werden. Nach der Heimkehr von meiner Mission werd’ ich zum Hilfslehrer an der Bergwerksschule von Paris ernannt werden und habe mir schon eine Wohnung, Universitätsstraße Nr. 104, drei Treppen, vorbehalten. Meine Einkünfte belaufen sich vom nächsten ersten Januar ab auf 4800 Francs. Ich weiß, dass das kein Reichtum ist; doch durch Privatarbeiten, Untersuchungen, akademische Preise und Mitarbeiterschaft an wissenschaftlichen Zeitungen wird sich dieses Einkommen bequem verdoppeln lassen. Ich füge hinzu, dass ich bei meiner bescheidenen Lebensweise nicht mehr brauche, um glücklich zu sein. Ich erlaube mir also, um die Hand Ihres Fräulein Tochter, der Miss Watkins, anzuhalten.«
Schon aus dem sicheren und entschlossenen Tone dieser Anrede war leicht zu entnehmen, dass Cyprien Méré die Gewohnheit hatte, in allen Dingen gerade aufs Ziel loszusteuern und frei von der Leber weg zu reden.
Sein Gesichtsausdruck strafte die Wirkung seiner Worte auch nicht Lügen. Es war der eines jungen, gewohnheitsgemäß mit ernsten wissenschaftlichen Fragen beschäftigten Mannes, der den minderwertigen Dingen dieser Welt nur die unumgänglich notwendige Zeit opfert.
Seine kastanienbraunen, sehr kurz geschnittenen Haare, sein blonder, aber auch kurz gehaltener Bart, die Einfachheit seines Reisekostüms aus grauem Zwillich, der Strohhut für zehn Sous, den er beim Eintritte höflich auf einen Stuhl abgelegt hatte – während sein Gegenüber mit der gewöhnlichen Ungeniertheit der angelsächsischen Rasse immer den Kopf bedeckt hielt – alles an Cyprien Méré deutete auf einen ernsthaften Geist, ebenso wie sein klarer Blick auf ein reines Herz und unbeschwertes Gewissen hinwies.
Hierbei verdient bemerkt zu werden, dass der junge Franzose so vollkommen englisch sprach, als habe er sehr lange Zeit in den innersten Teilen des britannischen Königreichs gewohnt.
In einem Holzlehnstuhle sitzend, das linke Bein auf einem Strohsessel ausgestreckt, den Ellbogen auf die Ecke eines groben Tisches gestemmt und gegenüber einer Flasche mit Gin, nebst einem mit dieser starken alkoholischen Flüssigkeit halbgefüllten Glase, hörte ihn Mr. Watkins, eine lange Pfeife rauchend, gelassen an.
Bekleidet war der Mann mit weißer Hose, einer Weste aus grober blauer Leinwand und einem gelblichen Flanellhemd ohne Brustlatz und Kragen. Unter dem gewaltigen Filzhut, der gleich für immer auf seinem grauschimmernden Schädel festgeschraubt schien, zeigte sich ein ziemlich rotes, etwas aufgedunsenes Gesicht, welches wie mit Johannisbeergelee gefüllt erschien. Dieses wenig einnehmende Gesicht mit einzelnen Bartflocken war von zwei grauen Augen durchbohrt, welche nicht eben Geduld und Wohlwollen verrieten.
Zur Entschuldigung des Mr. Watkins muss freilich angeführt werden, dass derselbe heftig an Gicht litt, was ihn eben zwang, den linken Fuß wohl verpackt zu halten und die Gicht ist – im südlichen Afrika ebenso wie in anderen Ländern – keineswegs dazu angetan, den Charakter der Leute, deren Gelenke sie peinigt, zu mildern.
Der hier geschilderte Auftritt ging im Erdgeschoss der Farm des Mr. Watkins vor sich, etwa unter dem 29. Grade südlicher Breite und dem 25. Grade östlicher Länge von Greenwich, an der Westgrenze des Oranje-Freistaates, im Norden der englischen Kapkolonie, d. h. in der Mitte des südlichen oder englisch-holländischen Afrikas. Dieses Land, dessen Grenze gegen den Südrand der großen Wüste von Kalahari das rechte Ufer des Oranjeflusses bildet, trägt auf älteren Landkarten noch den Namen Griqualand; wird aber seit etwa zehn Jahren richtiger »Diamonds-Field«, das Diamantenfeld, genannt.
Das Zimmer, in welchem diese diplomatische Verhandlung gepflogen wurde, war ebenso bemerkenswert wegen des auf einzelne Stücke seiner Ausstattung verschwendeten Luxus, wie wegen der Ärmlichkeit anderer Teile seiner Einrichtung. Der Fußboden zum Beispiel bestand nur aus festgeschlagenem Lehm, war aber da und dort wieder mit dicken Teppichen und kostbarem Pelzwerk belegt. An den Wänden, welche niemals eine Rolle Tapeten kennengelernt hatten, hing eine prachtvolle Pendule in ziseliertem Kupfer, reiche Waffen verschiedenen Fabrikats und bunte englische Bilder in teuren Umrahmungen. Ein Sammetsofa stand zur Seite eines weißen, hölzernen Tisches, der mehr für den Gebrauch in einer Küche bestimmt sein mochte. Direkt von Europa bezogene Lehnstühle streckten dem Mr. Watkins vergeblich ihre Armlehnen entgegen, da dieser ihnen einen alten, einst von eigener Hand geschnitzten Sessel vorzog. Im Ganzen verlieh diese unverständige Anhäufung von Wertgegenständen, vorzüglich aber das Durcheinander von Panther-, Leoparden-, Giraffen- und Tigerkatzenfellen, die über allen Möbeln ausgebreitet lagen, dem Raume den Charakter einer gewissen barbarischen Opulenz.
Die Gestalt der Decke wies deutlich darauf hin, dass das Haus kein weiteres Stockwerk hatte und nur aus dem Erdgeschoss bestand. Wie alle hierzulande, war es zum Teil aus Planken, zum Teil aus Lehm errichtet und mit Zinkwellenblech, das auf leichtem Sparrenwerk ruhte, abgedeckt.
Übrigens sah man, dass diese Wohnung erst vor nicht langer Zeit fertig geworden war. Man brauchte nur durch eines der Fenster zur Rechten hinauszusehen, um zur Rechten und zur Linken fünf oder sechs verlassene Baulichkeiten wahrzunehmen, welche sich alle glichen, aber von ungleichem Alter und offenbar dem raschen gänzlichen Verfall preisgegeben waren. Diese bildeten ebenso viele Häuser, welche Mr. Watkins nacheinander gebaut, bewohnt und verlassen hatte, je nach der Zunahme seines Wohlstandes, und welche also gewissermaßen die Stufen desselben bezeichneten.
Das entlegenste war nur aus Rasenstücken errichtet und verdiente kaum den Namen einer Hütte. Das nächstfolgende bestand aus Lehm, das dritte aus Lehm und Planken; das vierte aus Lehm und Zink. Man sieht hieraus, wie der Fleiß des Mr. Watkins ihm gestattet hatte, in der Herstellung seiner Wohnung immer höhere Ziele zu verfolgen.
Alle diese mehr oder weniger verfallenen Baulichkeiten erhoben sich auf einem kleinen, nahe dem Zusammenflusse des Vaal und der Modder – dem Hauptarme des Oranjeflusses in diesem Teile Südafrikas – gelegenen Hügels. In der Umgebung sah man, so weit der Blick nur reichte, nach Südwesten und Norden nichts als eine traurige, nackte Ebene. Der Veld – wie man sich im Lande ausdrückt – besteht aus rötlichem, trockenem, unfruchtbarem und staubigem Boden, den nur da und dort etwas mageres Gras bedeckt oder ein Dornengebüsch unterbricht. Das völlige Fehlen von Bäumen ist der entscheidende Zug in diesen Gegenden. Rechnet man hierzu, dass es ebenso an Steinkohle gebricht, dass die Verbindung mit dem Meere eine langsame und beschwerliche ist, so wird man sich nicht wundern, dass es hier sehr an Brennmaterial mangelt und dass man sich genötigt sieht, für häusliche Zwecke den Mist der Herden zu verfeuern.
Auf diesem einförmigen Grunde von wirklich jämmerlichem Aussehen verliefen die Betten zweier Flüsse, aber so flach, so wenig eingedämmt, dass man kaum begreift, warum sie sich nicht gleich über die ganze weite Ebene ausbreiten.
Ein Mädchen mit einem Präsentierteller trat ein.
Nur nach Osten hin wird der Horizont durch die entfernten Gipfel von zwei Bergen, dem Platberg und Paardeberg, unterbrochen, an deren Fuß ein sehr scharfes Auge vielleicht Rauchsäulen, Staubwirbel, kleine weiße Punkte – nämlich Hütten oder Zelte – und ringsum ein Gewimmel von lebenden Wesen erkennen kann.
Hier in diesem Veld liegen die in Ausbeutung begriffenen Diamantengruben, der Du Tois Pan, der New Rush und, vielleicht der reichste Platz von allen, die Vandergaart-Kopje. Diese verschiedenen, frei zutage und fast in gleicher Ebene mit dem Boden liegenden Minen, welche man unter dem Namen Dry-Diggings oder trockene Gruben zusammenfasst, haben seit 1870 Diamanten und andere kostbare Steine im Werte von etwa vierhundert Millionen geliefert. Sie liegen alle in einem Umkreise von höchstens zwei bis drei Kilometern, und von den Fenstern der Farm Watkins, welche davon nur vier englische1 Meilen entfernt ist, konnte man sie mit dem Fernrohre schon recht deutlich erkennen.
»Farm« erscheint hier übrigens als ein recht unpassendes Wort, denn auf diese Niederlassung angewendet, würde man in der Umgebung wenigstens vergeblich nach irgendwelcher Kultur gesucht haben. Wie alle sogenannten Farmer in Südafrika war Mr. Watkins vielmehr Schäfer, d. h. Eigentümer von Ochsen-, Ziegen- und Schafherden, als wirklicher Leiter eines landwirtschaftlichen Betriebs.
Mr. Watkins hatte inzwischen noch nicht auf die ebenso höfliche, wie bestimmt ausgesprochene Anfrage Cyprien Mérés geantwortet. Nachdem er sich drei Minuten Zeit zur Überlegung gegönnt, kam er endlich dazu, die Pfeife aus dem Mundwinkel zu nehmen, und sprach den folgenden Satz aus, der offenbar mit dem Anliegen des jungen Mannes in sehr zweifelhafter Verbindung stand.
»Ich glaube, die Witterung wird umschlagen, lieber Herr. Noch nie habe ich von meiner Gicht heftiger zu leiden gehabt, als seit heute Morgen!«
Der junge Ingenieur runzelte die Augenbrauen, wandte einen Moment den Kopf ab und musste sich wirklich zusammennehmen, um seine Enttäuschung nicht gar zu sehr merken zu lassen.
»Sie würden guttun, auf den Gin zu verzichten, Herr Watkins«, antwortete er trocken, und zeigte dabei nach dem Steingutkrug, dessen Inhalt die wiederholten Angriffe des Trinkers schnell verminderten.
»Auf den Gin verzichten? By Jove, da geben Sie mir einen schönen Rat!« rief der Farmer. »Hat der Gin schon jemals einem ehrlichen Mann Schaden getan? … Ja, ich weiß schon, wo Sie hinauswollen! … Sie denken mich mit dem Rezepte zu beglücken, das einst einem Lord Mayor2 verordnet wurde. Wie hieß doch gleich der betreffende Arzt? Abernethy, glaube ich. ›Wollen Sie sich wohl befinden‹, sagte dieser zu dem an Gicht leidenden Patienten, ›so leben Sie für einen Shilling täglich und verdienen Sie sich diesen durch körperliche Arbeit!‹ – Das ist ja ganz gut und schön! Aber bei dem Heile unseres alten England, wenn man, um gesund zu bleiben, für einen Shilling täglich leben sollte, wozu hätte man sich dann überhaupt ein Vermögen erworben? Solche Dummheiten sind eines Mannes von Geist, wie Sie, Herr Méré, unwürdig! … Bitte, sprechen wir nicht mehr davon. Was mich angeht, halten Sie sich überzeugt, dass ich dann lieber gleich in die Grube fahren würde! Gut essen, tüchtig trinken, eine gute Pfeife rauchen, wenn mir die Lust dazu ankommt, eine andere Freude kenne ich auf der Welt nicht, und dieser wollen Sie mich noch berauben!?«
»Oh, das lag mir gewiss gänzlich fern«, erwiderte Cyprien offenherzig. »Ich erinnerte Sie nur an eine gesundheitliche Vorschrift, welche mir richtig erschien. Doch schweigen wir von diesem Thema, wenn Sie es wünschen, Herr Watkins, und kommen wir lieber auf den eigentlichen Grund meines heutigen Besuches zurück.«
So wortreich Mr. Watkins eben noch gewesen war, verfiel er jetzt doch sogleich in merkwürdiges Stillschweigen und blies stumm Rauchwolken in die Luft.
Da öffnete sich die Tür. Mit einem Glase auf silbernem Präsentierteller trat eben ein junges Mädchen ins Zimmer.
Das hübsche Kind, der die große, auf den Farmen des Veld beliebte Haube ganz reizend stand, war mit einem einfachen, kleingeblümten Leinenkleide angetan. Neunzehn bis zwanzig Jahre alt, von sehr zartem Teint, mit schönem blonden, sehr feinem Haar, großen blauen Augen und sanften, aber heiteren Zügen, war sie ein Bild der Gesundheit, der Grazie und des frohen Lebensmutes.
»Guten Tag, Herr Méré«, sagte sie auf französisch, aber mit leichtem englischen Anklange.
»Guten Tag, Fräulein Alice«, antwortete Cyprien Méré, der sich bei dem Eintritte des jungen Mädchens erhoben und vor ihr verneigt hatte.
»Ich hatte Sie kommen sehen, Herr Méré«, fuhr Miss Watkins fort, wobei sie unter liebenswürdigem Lächeln die schönen weißen Zähne sehen ließ, »und da ich weiß, dass Sie den abscheulichen Gin meines Vaters nicht lieben, bringe ich Ihnen ein Glas Orangeade, mit dem Wunsche, dass es schön frisch sein möge.«
»Sehr liebenswürdig von Ihnen, mein Fräulein.«
»Ah, da fällt mir ein, denken Sie sich, was Dada, mein Strauß, heute verzehrt hat«, fuhr sie unbefangen fort. »Meine Elfenbeinkugel zum Ausbessern der Strümpfe. Und die war übrigens ziemlich groß. Sie kennen sie ja, Herr Méré, ich erhielt sie erst direkt vom Billard in New Rush … Und dieser Vielfraß, die Dada, hat sie verschluckt, als wenn’s eine Pille wäre! Wahrlich, dieses böse Tier wird mich noch früher oder später vor Ärger umbringen.«
Während sie so sprach, bewahrte Miss Watkins im Winkel ihrer blauen Augen einen kleinen lustigen Strahl, der nicht auf besondere Lust, jene düstere Vorhersage, nicht einmal später, zu rechtfertigen, hinwies. Mit dem den Frauen eigenen Feingefühl bemerkte sie doch sehr bald das Stillschweigen ihres Vaters und des jungen Ingenieurs, sowie deren offenbar infolge ihrer Gegenwart verlegenen Mienen.
»Es sieht ja aus, als ob ich die Herren belästigte«, sagte sie; »Sie wissen, dass ich sofort gehe, wenn Sie Geheimnisse haben, die für mein Ohr nicht bestimmt sind. Übrigens hab’ ich auch gar keine Zeit übrig. Ich muss noch eine Sonate üben, bevor ich das Essen zurechtmache. Ja, ich sehe schon, Sie sind heute zum Plaudern nicht aufgelegt, meine Herren! – Gut, ich überlasse Sie Ihren schwarzen Anschlägen!«
Damit ging sie schon hinaus, kehrte jedoch noch einmal um und sagte gelassen, obwohl sie einen sehr ernsten Gegenstand berührte:
»Wenn Sie mich nun über den Sauerstoff fragen wollen, Herr Méré, stehe ich gern zu Ihrer Verfügung. Das Kapitel der Chemie, welches Sie mir zum Lernen aufgaben, hab’ ich nun dreimal durchgenommen, und jener ›gasförmige, farb-, geruch- und geschmacklose Körper‹ hat für mich kein Geheimnis mehr.«
Dabei machte Miss Watkins eine graziöse Verbeugung und verschwand wie ein lichter Meteor.
Gleich darauf erklangen aus einem entfernten Zimmer her die Akkorde eines vortrefflichen Pianos und verrieten, dass das junge Mädchen mit allem Eifer ihren musikalischen Übungen oblag.
»Nun also, Herr Watkins«, nahm Cyprien, dem diese liebliche Erscheinung seine Frage wieder in Erinnerung gerufen hatte, wenn er sie überhaupt hätte vergessen können, das Wort, »wollen Sie mir gefälligst Antwort geben auf die Frage, welche ich die Ehre hatte, an Sie zu richten?«
Mr. Watkins nahm die Pfeife feierlichst aus dem Mundwinkel, spuckte einmal auf die Erde aus, und warf dann schnell den Kopf zurück, während seine Augen einen forschenden Blick auf den jungen Mann schossen.
»Sollten Sie, Herr Méré«, fragte er, »mit ihr zufällig schon davon gesprochen haben?«
»Gesprochen, worüber? … Gegen wen?«
»Über das, was Sie eben sagten? … Gegen meine Tochter?«
»Für wen halten Sie mich, Herr Watkins!« erwiderte der junge Ingenieur mit einer Wärme, die keinen Zweifel aufkommen ließ. »Ich bin Franzose, Herr Watkins! … Ich brauche Ihnen also wohl nicht zu versichern, dass ich mir nie erlaubt haben würde, ohne Ihre Zustimmung gegen Ihr Fräulein Tochter von einer Verheiratung zu sprechen!«
Mr. Watkins’ Blick wurde wieder sanfter, und damit schien sich auch seine Zunge besser zu lösen.
»Das ist am besten! … Brav, junger Mann! Ich erwarte von Ihrer Diskretion gegenüber Alice nichts anderes!« antwortete er in ziemlich trockenem Tone. »Und da man zu Ihnen Vertrauen haben kann, werden Sie mir Ihr Wort geben, ihr in Zukunft auch nichts davon zu erwähnen.«
»Und warum, mein Herr?«
»Weil diese Heirat unmöglich und es am besten ist, wenn Sie dieselbe gänzlich aus Ihren Plänen streichen«, antwortete Mr. Watkins. »Sie sind ein ehrenwerter junger Mann, Herr Méré, ein vollkommener Gentleman, ein ausgezeichneter Chemiker, ein hervorragender Lehrer Ihres Faches, von großer Zukunft – daran zweifle ich nicht im mindesten – meine Tochter aber werden Sie nicht erhalten, aus dem einfachen Grunde, weil ich bezüglich derselben ganz andere Absichten habe.«
»Indes, Herr Watkins …«
»Kommen Sie nicht darauf zurück … Es wäre unnütz! …« erwiderte der Farmer. »Und wären Sie Herzog und Pair von England, so würden Sie mir doch nicht passen. Nun sind Sie nicht einmal englischer Untertan und erklären eben mit größter Unbefangenheit, dass Sie auch kein Vermögen besitzen. Nun aufrichtig, glauben Sie, ich hätte meine Alice so erzogen, wie es geschehen ist, hätte ihr die besten Lehrer von Victoria und Bloëmfontain gehalten, um sie mit kaum vollendetem zwanzigsten Jahre aus dem Hause zu schicken, um in Paris, Universitätsstraße, im dritten Stockwerke zu leben, und das mit einem Manne, dessen Sprache ich nicht einmal verstehe? … Überlegen Sie sich das, mein Herr Méré, und denken Sie sich an meine Stelle! … Nehmen Sie an, Sie wären der Farmer John Watkins, Eigentümer der Mine der Vandergaart-Kopje, und ich, ich wäre Herr Cyprien Méré, ein junger französischer Gelehrter, der zu Forschungszwecken nach dem Kap der Guten Hoffnung gekommen wäre. Malen Sie sich’s aus, Sie säßen hier im Zimmer, in meinem Lehnstuhle, und schlürften Ihren Gin bei einer Pfeife, des besten Hamburger Tabaks; würden Sie dann eine Minute, ja nur eine einzige, daran denken, Ihre Tochter unter diesen Verhältnissen heiraten zu lassen?«
»Ganz gewiss, Herr Watkins«, antwortete Cyprien, und ohne zu zögern, »wenn ich an Ihnen diejenigen Eigenschaften gefunden zu haben glaubte, welche das Lebensglück meines Kindes gewährleisten könnten.«
»So! Dann täten Sie unrecht, mein lieber Herr, sehr unrecht!« erwiderte Mr. Watkins. »Sie handelten dann wie ein Mensch, der nicht würdig wäre, die Mine von Vandergaart-Kopje zu besitzen, oder Sie könnten diese vielmehr gar nicht besitzen. Denn glauben Sie vielleicht, sie wäre mir als gebratene Taube zugeflogen? Meinen Sie etwa, es hätte keiner Intelligenz, keines eisernen Fleißes bedurft, um sie anzulegen und vorzüglich mir deren Besitz zu sichern? … Nun also, Herr Méré, diese verständige Einsicht, von welcher ich damals, bei jener denkwürdigen und entscheidenden Angelegenheit Beweise an den Tag gelegt habe, ziehe ich gern bei allen Vorkommnissen meines Lebens zu Rate, und vorzüglich dann, wenn diese auch meine Tochter betreffen. Eben deshalb aber wiederhole ich Ihnen, streichen Sie diese Pläne aus Ihren Papieren. Alice ist nicht für Sie geschaffen!«
Nach diesen mit triumphierendem Tone ausgesprochenen Schlussworten ergriff Mr. Watkins sein Glas und tat daraus einen herzhaften Zug.
Der junge Ingenieur war wie vom Donner gerührt und wusste keine Antwort zu finden. Als der Farmer das bemerkte, trieb er ihn noch weiter in die Enge.
»Sie sind doch sonderbare Schwärmer, die Franzosen!« fuhr er fort; »sie halten wahrlich gar nichts für unmöglich. Sie kommen an, als wenn sie vom Monde herabgefallen wären, erscheinen im Herzen vom Griqualand bei einem grundehrlichen Manne, der bis vor drei Monaten noch kein Sterbenswörtchen von ihnen gehört, und den sie selbst kaum zehnmal in diesen neunzig Tagen gesehen haben. Sie suchen denselben auf und sagen ohne Umstände zu ihm: ›John Stapleton Watkins, Sie haben eine reizende, vortrefflich erzogene Tochter, welche allgemein als die Perle des ganzen Landes angesehen wird, und die, was nicht eben schädlich ist, Ihre einzige Erbin zu der reichsten Diamant-Kopje der beiden Welten ist! Ich, ich bin Cyprien Méré, Ingenieur aus Paris, und habe 4800 Francs jährliches Einkommen! … Sie werden mir also gefälligst diese junge Dame als Gattin überlassen, damit ich sie in meine Heimat entführe, und Sie nichts wieder von ihr hören – höchstens aus der Ferne durch die Post oder den Telegrafen …‹ Und das würden Sie natürlich finden? … Ich, ich halte es für die reine Tollheit!«
Ganz bleich geworden, hatte Cyprien sich erhoben. Er ergriff seinen Hut und bereitete sich, fortzugehen.
Der Weg führt über diesen Kamm.
»Ja, die reine Tollheit«, wiederholte der Farmer. »Ah, ich überzuckere die Pille nicht, junger Freund. Ich bin eben Engländer von altem Schrot und Korn. Wie Sie mich hier sehen, bin ich zwar genau so arm gewesen wie Sie, ja, eigentlich noch weit ärmer. Ich habe mich in allem versucht! … Ich war Schiffsjunge an Bord eines Handelsschiffes; war Büffeljäger in Dakota, Minengräber in Arizona, Schafhirt im Transvaal! … Ich habe Hitze und Kälte, Hunger und Strapazen kennengelernt! Im Schweiße meines Angesichts habe ich zwanzig lange Jahre hindurch das bisschen Zwieback verdient, das mein Mittagsmahl bildete. Als ich die selige Mistreß Watkins, die Mutter Alices und die Tochter eines Buren von französischer Abstammung wie Sie3 – um Ihnen das beiläufig mitzuteilen – heiratete, hatten wir beide zusammen nicht so viel, um eine Ziege ernähren zu können! Aber ich habe gearbeitet … habe nie den Mut sinken lassen! Jetzt bin ich reich und denke die Früchte meiner Anstrengungen gemächlich zu genießen. – Meine Tochter will ich jedenfalls in der Nähe behalten – um mich bei den verteufelten Gichtanfällen zu pflegen und mir des Abends zum Zeitvertreib etwas vorzuspielen! … Wenn sich dieselbe jemals verheiratet, so wird das hier an Ort und Stelle sein, und mit einem Sohne des Landes, der ihr ein entsprechendes Vermögen zubringt, der Farmer oder Diamantengräber ist, wie wir andere, und der mir nicht davon spricht, fortzugehen, um im dritten Stockwerk am Hungertuche zu nagen in einem Lande, wohin ich doch nimmermehr einen Fuß setzen werde. Sie könnte zum Beispiel den James Hilton oder einen anderen Burschen seines Schlages zum Manne nehmen. An Bewerbern fehlt es ihr nicht, das dürfen Sie mir aufs Wort glauben. Kurz, es muss ein guter Engländer sein, der nicht vor einem Glase Gin Reißaus nimmt und der mir Gesellschaft leistet, wenn ich eine Pfeife Knaster rauche.«
Es war eine arge, zusammengelaufene Gesellschaft.
Cyprien hatte schon die Hand auf den Drücker der Türe gelegt, um diesen Raum zu verlassen, in dem er fast erstickte.
»Na, nichts für ungut!« rief ihm Mr. Watkins zu. »Ich habe gegen Ihre Person sonst gewiss nicht das Geringste, lieber Méré, und werde Sie immer gern als Abmieter und Freund in meinem Hause sehen. Halt, warten Sie einmal, heut’ abend werden gerade einige Personen zu uns zu Tische kommen … wollen Sie uns vielleicht Gesellschaft leisten? …«
»Nein, ich danke, Herr Watkins!« antwortete Cyprien kühl. »Ich muss bis zum Abgange der Post meine Korrespondenz fertigstellen.«
Damit verließ er leicht grüßend den gichtbrüchigen Farmer.
»Rein toll, diese Franzosen … rein toll!« wiederholte noch öfter Mr. Watkins, während er mit einem, ihm stets zur Hand liegenden Schwefelfaden seine Pfeife wieder in Brand setzte.
Und mit einem tüchtigen Glase Gin suchte er sich wieder vollständig in Ordnung zu bringen.
Die englische Meile misst 1609 Meter. <<<
Oberbürgermeister <<<
Eine große Anzahl von Buren oder afrikanischen Holländer-Bauern stammen ursprünglich von Franzosen ab, welche infolge der Aufhebung des Edikts von Nantes erst nach Holland und dann nach dem Kap auswanderten. <<<
Was dem jungen Ingenieur in der ihm von Mr. Watkins zuteil gewordenen Erwiderung auf seinen Antrag am meisten zu Herzen ging, war der Umstand, dass dieselbe – von der Rauheit ihrer Form einmal abgesehen – im Grunde gar nicht so ungerechtfertigt erschien. Bei näherer Überlegung erstaunte er jetzt selbst, nicht schon vorher die Einwendungen erwogen zu haben, die ihm der Farmer fast notwendig machen würde, und wunderte sich, wie er sich überhaupt einer solchen Zurückweisung auszusetzen vermocht hatte.
In der Tat hatte er freilich bis zum jetzigen Augenblicke niemals an die Kluft gedacht, die ihn wegen des Unterschiedes in Vermögensverhältnissen, Abstammung, Erziehung und Umgang von dem jungen Mädchen trennte. Schon seit fünf bis sechs Jahren gewöhnt, die Mineralien nur von rein wissenschaftlichem Standpunkte zu betrachten, besaßen z. B. Diamanten in seinen Augen nur den Wert eigentümlicher Exemplare von Kohlenstoffkörpern, die nur dazu geschaffen schienen, in den Sammlungen der Bergwerksschule ihren Platz auszufüllen. Da er in Frankreich überdem eine die der Familie Watkins weit überragende soziale Stellung einnahm, hatte er den kaufmännischen Wert der im Besitz des reichen Farmers befindlichen Fundstätte ganz aus den Augen verloren. Infolgedessen war ihm auch niemals in den Sinn gekommen, dass zwischen der Tochter des Eigentümers der Vandergaart-Kopje und ihm als französischen Ingenieur ein trennendes Missverhältnis herrschen könne. Selbst wenn diese Frage vor ihm aufgetaucht wäre, würde er, in seinem gewohnten Vorstellungsgange als Pariser und ehemaliger Zögling der berühmten polytechnischen Schule daselbst wahrscheinlich zu dem Schlusse gelangt sein, dass vielmehr er mit jener Bewerbung einen Schritt tue, der ihn nahe an eine »Mesalliance«1 führte.
Die ganz unverblümte Strafpredigt des Mr. Watkins riss ihn jetzt sehr schmerzlich aus seinen Träumen. Cyprien besaß jedoch viel zu viel nüchternen Menschenverstand, um die sachlichen Einwürfe derselben nicht gebührend zu würdigen, und viel zu viel Ehrenhaftigkeit, um sich durch eine Entscheidung, die er im Grunde für richtig anerkannte, beleidigt zu fühlen.
Der Schlag, den ihm jene versetzte, wurde deshalb freilich nicht minder empfindlich, und gerade jetzt, wo er auf Alice verzichten sollte, bemerkte er plötzlich desto deutlicher, wie lieb und wert ihm diese während der verflossenen drei Monate geworden war. In der Tat kannte Cyprien Méré das junge Mädchen seit kaum drei Monaten, d. h. seit seiner Ankunft im Griqualand.
Wie fern lag ihm das jetzt schon alles! Er sah sich noch, nach einer durch Hitze und Staub höchst beschwerlichen Landreise am Ziele seiner langen Fahrt von einer Erdhalbkugel zur anderen eintreffen.
Nachdem er mit seinem Freunde Pharamond Barthès – einem alten Studiengenossen, der nun schon zum dritten Male einen Jagdausflug nach dem südlichen Afrika unternahm – gelandet, hatte sich Cyprien bereits am Kap von diesem getrennt. Pharamond Barthès war nach dem Lande der Bassutos aufgebrochen, um dort eine kleine Schar bewaffneter Neger anzuwerben, die ihn bei seinen Jagdexpeditionen begleiten sollten. Cyprien dagegen hatte in dem mit sieben Paar Pferden bespannten schwerfälligen Wagen Platz genommen, der auf den Straßen des Veld als Postomnibus dient, und war nach dem eigentlichen Diamantengebiete gereist.
Fünf oder sechs große Kisten und Koffer – ein vollständiges chemisches und mineralogisches Laboratorium bergend, von dem er sich nicht gern hatte trennen wollen – bildeten das Reisegepäck des jungen Gelehrten. Die Postkutsche gestattet jedem Reisenden aber nicht, mehr als fünfzig Kilo an Effekten mit sich zu führen, und so war er gezwungen gewesen, seine kostbaren Koffer einem Büffelfuhrwerk anzuvertrauen, das dieselben jedenfalls mit ganz merowingischer Langsamkeit nach dem Griqualande befördern sollte.
Der Postwagen, wie gesagt eine Art zwölfsitziger Omnibus mit Leinwandplane, war auf einem rohen Gestell mit vier ungeheuren Rädern aufgebaut, welche immer von dem Wasser der Flussläufe, die durch eine Furt passiert wurden, nass blieben. Die paarweise vorgespannten Pferde, welche im Notfall noch durch Maultiere Unterstützung fanden, wurden von zwei auf dem Bocke nebeneinandersitzenden Kutschern mit großer Geschicklichkeit geleitet; der eine Kutscher führt dabei die Zügel, während der andere mit Hilfe einer sehr langen, mehr einer Angelrute mit Schnur gleichenden Bambuspeitsche das Gespann nicht nur nachhaltig antreibt, sondern es auch gleichzeitig mit lenken hilft.
Die Straße verläuft über Beaufort, eine hübsche, am Fuße der Nieuweld-Berge erbaute Stadt, über den Kamm der letzteren, wendet sich dann nach Victoria und führt endlich nach Hopetown – der Stadt der Hoffnung – am Ufer des Oranjeflusses, und von da nach Kimberley und nach den bedeutendsten Diamantenfundstätten, welche nur wenige Meilen davon entfernt sind.
Durch den öden Veld hat man eine traurige, höchst einförmige Fahrt von acht bis neun Tagen. Die Landschaft bietet fast überall einen geradezu trostlosen Anblick – rötliche Ebenen, mit ähnlich wie Moränen darauf verstreuten Steinen, graue Felsmassen im Niveau des Erdbodens, gelbliches, spärliches Gras und halbverhungerte Gesträuche, das ist alles! Nirgends eine Spur von Kultur oder natürlichem Reiz. In weiteren Zwischenräumen eine elende Farm, deren Inhaber, wenn er von der Regierung die Landeskonzession erhält, auch die Verpflichtung übernimmt, Reisende zu verpflegen. Das geschieht freilich nur in der primitivsten Weise. In diesen eigentümlichen Herbergen gibt es weder Betten für die Menschen noch Lagerstätten für die Pferde; höchstens einige Büchsen mit konservierten Nahrungsmitteln, die womöglich schon ein paarmal die Fahrt um die Erde mitgemacht haben, und die man fast mit Gold aufwiegen muss.
Infolgedessen werden die Zugtiere in den Ebenen freigelassen, um sich selbst Futter zu suchen, wovon sie indes nur magere Grasbüschel zwischen den Feldsteinen finden. Wenn die Fahrt dann weitergehen soll, macht es nicht geringe und mit ziemlichem Zeitverlust verknüpfte Mühe, jene wieder einzufangen.
Und welche Stöße gibt es in dem höchst primitiven Wagen auf den noch primitiveren Wegen! Die Sitze werden einfach von den Kastendecken gebildet, welche zur Unterbringung der Gepäckstücke dienen und auf denen der unglückliche Insasse eine endlos lange Woche lang die Rolle einer Mörserkeule spielt. Wie zur Wiedervergeltung rauchen die Reisenden Tag und Nacht wie Fabrikschlote, trinken unmäßig und speien nach Belieben aus. An ein erquickendes Schlafen ist unter solchen Umständen natürlich nicht zu denken.
Cyprien Méré befand sich also hier in Gesellschaft einer ausreichenden Musterkarte jener flottierenden Bevölkerung, welche aus allen Enden der Welt nach Gold- oder Diamantfundstätten zusammenströmt, sobald von solchen etwas verlautet. Hier war ein lendenlahmer großer Neapolitaner mit rabenschwarzem Haar, lederbraunem Gesicht und wenig Gutes versprechenden Augen, der Annibal Pantalacci zu heißen vorgab; ein portugiesischer Jude namens Nathan, der sich als Aufkäufer von Diamanten in seiner Ecke immer sehr still verhielt und die Menschheit als Philosoph betrachtete, ein Bergmann aus Lancashire, Thomas Steel, ein großer Kerl mit rotem Barte und mächtigen Hüften, der von der Steinkohle desertierte, um sein Glück im Griqualand zu versuchen; ein Deutscher, Herr Friedel, der gleich einem Orakel sprach und offenbar sehr bewandert in der Diamantengräberei war, ohne jemals einen solchen Stein in seiner Gangart gesehen zu haben; ferner ein Yankee mit sehr dünnen Lippen, der nie mit jemand anderem als mit seiner Lederflasche sprach und auf den Konzessionen jedenfalls eine jener Kantinen errichten wollte, wo die Steinesucher einen Löwenanteil ihrer Beute sitzen zu lassen pflegen; ein Farmer vom Ufer der Hart; ein Bure aus dem Oranje-Freistaate; ein Elfenbeinhändler, der nach dem Lande der Namaquas ging; zwei Ansiedler aus dem Transvaal-Gebiete und endlich ein Chinese namens Lî – wie es einem Sohne des Himmlischen Reiches zukommt – vervollständigte die höchst scheckige nacktbrustige, zusammengelaufene und lärmende Gesellschaft, mit der ein anderen Umgang gewöhnter Mann nur je in die Lage kommen konnte, sich abfinden zu müssen.
Nachdem sich Cyprien eine Zeit lang mit den Gesichtern und dem Benehmen der Leute beschäftigt, wurde er dessen doch bald müde. Es blieben ihm nur Thomas Steel mit seiner mächtigen Gestalt und dem erschütternden Lachen, und der Chinese Lî mit seinen geschmeidigen, katzenartigen Bewegungen übrig, für die ihn einiges Interesse erfüllte. Der Neapolitaner dagegen mit seinen Narrenspossen und der Galgenphysiognomie machte auf ihn einen völlig widerwärtigen Eindruck.
Seit zwei oder drei Tagen schon lief einer der Lieblingsspäße des Kerls darauf hinaus, dem Chinesen an seinen längs des Rückens hinabfallenden Zopf, den er entsprechend den Sitten seines Landes trug, eine Menge nichtsnutziger Gegenstände zu knüpfen, wie Grasbüschel, Krautstrünke, einen Kuhschweif oder ein vom Erdboden aufgelesenes Pferdeschulterblatt.
Ohne sich zu erhitzen, löste Lî den seiner langen Flechte heimlich hinzugefügten Appendix ab, gab aber weder durch ein Wort noch durch eine Bewegung zu erkennen, dass der ihm gespielte Scherz die erlaubten Grenzen überschreite. Sein gelbes Gesicht wie die kleinen geschlitzten Augen bewahrten eine unerschütterliche Ruhe, als ständ’ er dem, was um ihn her vorging, gänzlich fremd gegenüber. Man hätte glauben können, dass er kein Wort von dem verstand, was in dieser Arche Noah auf dem Wege nach dem Griqualande gesprochen wurde.
Annibal Pantalacci unterließ auch niemals, seine Späße niederer Ordnung in schlechtem Englisch mit dem nötigen Kommentar zu begleiten.
»Glauben Sie, dass seine gelbe Hautfarbe anstecken könnte?« fragte er seinen Nachbarn ganz laut.
Oder auch:
»Wenn ich nur eine Schere hätte, ihm den Zopf abzuschneiden, da sollten Sie staunen, was er für ein Gesicht dazu machen würde.«
Die meisten anderen lachten herzlich darüber. Die Heiterkeit wurde dadurch noch verdoppelt, dass die Buren immer einige Zeit brauchten, ehe sie verstanden, was der Neapolitaner eigentlich sagen wollte; dann überließen sie sich – gegen die übrige Gesellschaft meist um zwei bis drei Minuten im Rückstand – einer lärmenden, unbändigen Heiterkeit.
Endlich fing Cyprien an sich zu ärgern über diese Hartnäckigkeit, den armen Lî als Zielscheibe fader Späße zu benützen, und sprach sich Pantalacci gegenüber dahin aus, dass sein Betragen nicht besonders wohlanständig sei. Dieser schien zwar schon eine unverschämte Antwort auf der Zunge zu haben, aber ein einziges Wort Thomas Steels genügte, ihm den Mund zu schließen und den Stachel seines giftigen Spottes einziehen zu lassen.
»Nein, das ist kein ehrliches Spiel, so mit dem armen Teufel umzuspringen, der nicht einmal versteht, was Sie sagen!« meinte der wackere Bursche, der sich schon Vorwürfe machte, mit den anderen gelacht zu haben.
Die Sache war damit also vorläufig abgetan. Bald nachher wunderte sich Cyprien einigermaßen, einen leichten ironischen Blick – in dem sich jedenfalls dankbare Anerkennung ausdrücken sollte – zu bemerken, den der Chinese ihm zuwandte, sodass er auf die Vermutung kam, Lî möge doch vielleicht mehr Englisch verstehen, als er durchblicken zu lassen wünschte.
Vergeblich suchte Cyprien jedoch bei der nächsten Haltestelle ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Der Chinese blieb teilnahmslos und stumm. Mehr und mehr reizte der eigentümliche Mann den Ingenieur, ebenso wie ein Rätsel, dessen Lösung er finden müsse. Cyprien konnte sich infolgedessen auch nicht enthalten, seine Aufmerksamkeit wiederholt diesem gelblichen, platten Gesicht zuzuwenden, den feingeschnittenen Mund zu betrachten, der sich über einer Reihe sehr weißer Zähne öffnete, sowie die kurze, weit offene Nase, die breite Stirn und die schiefen Augen, welche der Mann fast immer niedergeschlagen hielt, als wolle er einen boshaften Blick verbergen.
Wie alt mochte Lî wohl sein? Fünfzehn Jahre oder sechzig? Das hätte man unmöglich entscheiden können. Wenn seine Zähne, sein Blick, die kohlschwarzen Haare noch auf die Jugend desselben hinzudeuten schienen, so sprachen doch die Falten der Stirn, wie die der Wangen und um den Mund für ein schon vorgeschritteneres Alter. Er war klein und schwach von Gestalt, lebhaft in seinen Bewegungen, hatte aber doch etwas Altmütterliches, überhaupt etwas Weibisches an sich.
War er reich oder arm? Wieder eine zweifelhafte Frage. Seine Beinkleider aus grauer Leinwand, die Bluse aus gelbem Seidenstoff, die Mütze aus geflochtener Schnur und die Schuhe mit Filzsohlen, welche Strümpfe von untadelhafter Weiße bedeckten, konnten ebenso gut einem Mandarin erster Klasse, wie einem Manne aus dem Volke angehören. Sein Reisegepäck bestand in einem einzigen Koffer aus rotem Holz mit der in schwarzer Tinte angebrachten Aufschrift:
H. Lî from Canton to the Cape
d. h. H. Lî aus Canton, auf der Reise nach dem Kap.
Der Chinese erschien überdies ausgezeichnet reinlich, rauchte nicht, trank nur Wasser und ließ keine Haltestelle vorübergehen, ohne sich den Kopf mit größter Sorgfalt zu rasieren.
Mehr konnte Cyprien nicht in Erfahrung bringen, und verzichtete also bald darauf, sich mit diesem lebendigen Rätsel zu beschäftigen. Inzwischen verfloss Tag um Tag und reihte sich eine Meile an die andere. Manchmal trabten die Pferde ziemlich schnell dahin, ein andermal schien es unmöglich, ihren Schritt nur einigermaßen zu beschleunigen. Immerhin wurde der Weg nach und nach zurückgelegt, und eines schönen Tages kam der Personenwagen in Hope-town an. Noch eine Etappe, dann war Kimberley erreicht. Hinter diesem zeigten sich Holzhütten am Horizonte.
Das war New Rush.
Der Lagerplatz der Minengräber unterschied sich kaum von den provisorischen Städten, wie sie in allen der Zivilisation unlängst erschlossenen Ländern fast durch Zauberschlag aus der Erde emporzuwachsen scheinen.
Es war eine gewaltige Aushöhlung.
Häuser aus sehr dicken Brettern, meist sehr klein und etwa den Hütten entsprechend, wie man sie auf den Flößen europäischer Ströme findet; einige Zelte, ein Dutzend Kaffeehäuser oder Schänken, ein Billardsaal, eine Alhambra oder Tanzsalon, einige »Stores« oder Handelsläden mit den notwendigsten Lebensbedürfnissen – das war der Anblick, der sich zunächst dem Auge des Fremdlings bot.
Alle Männer füllten die Erde in Ledereimer.
In diesen Läden gab es alles: Kleidungsstücke und Hausgeräte, Schuhe und Fensterscheiben, Bücher und Sättel, Waffen und Stoffe, Besen und Jagdmunition, Lagerdecken und Zigarren, frische Gemüse und Arzneien, Pflüge und Toiletteseifen, Nagelbürsten und konzentrierte Milch, Backöfen und Steindruckbilder – mit einem Worte alles – nur keine Einkäufer.
Die Insassen des Lagerplatzes waren zur Zeit noch in dem drei- bis vierhundert Meter entfernten New Rush in den Minen bei der Arbeit.
Wie alle neuen Ankömmlinge, beeilte sich Cyprien Méré, dahin zu gehen, während man in der prunkhaft mit dem Schilde »Hotel Continental« geschmückten Hütte das Essen zurecht machte.
Es war jetzt gegen sechs Uhr nachmittags. Schon hüllte sich die Sonne am Horizonte in einen feinen, goldigen Dunst. Der junge Ingenieur beobachtete hier noch einmal den besonders großen Durchmesser, den die Sonne und der Mond in südlicheren Breiten zu haben scheinen, ohne dass es bisher gelungen wäre, eine zufriedenstellende Erklärung dieser auffälligen Erscheinung beizubringen. Dieser Durchmesser beträgt nämlich mindestens das Doppelte von dem, den man in Europa wahrnimmt.
Cyprien Méré erwartete aber ein noch weit ungewohnteres Schauspiel in der Kopje, das heißt in dem eigentlichen Diamantenfelde.
Beim Anfang der Arbeit bildete die Mine einen flachen Hügel, der hier die im übrigen gleich der Meeresfläche glatte Ebene überragte. Jetzt aber erschien sie in Form einer gewaltigen Aushöhlung mit steilen Wänden, einer Art Zirkus von elliptischer Gestalt und vierhundert Quadratmeter Seitenfläche, der an derselben Stelle ausgehoben war. Auf dieser Fläche verteilt lagen nicht weniger als drei- oder vierhundert »Claims« oder Konzessionen von je einunddreißig Fuß Breite, welche deren Inhaber ganz nach Belieben ausbeuteten.
Die Arbeit dabei besteht ganz einfach darin, mittelst Spitzhaue und Schaufel den Boden auszuheben, der im Allgemeinen aus rotem Sande mit Kieseln gemischt besteht. An den Rand der Minen befördert, wird diese Erde nach Erzscheidetischen geschafft, um gewaschen, zerkleinert, gesiebt und endlich mit größter Sorgfalt auf ihren etwaigen Gehalt an kostbaren Steinen untersucht zu werden.
Da diese Claims alle unabhängig voneinander ausgegraben wurden, bilden sie natürlich Gruben von sehr verschiedener Tiefe. Die einen reichen wohl hundert Meter und noch mehr hinunter, während andere nur fünfzehn, zwanzig oder dreißig Meter tief sind.