Der Teufel ist ein Whistleblower 2 - Sebastian Schinnerl - E-Book

Der Teufel ist ein Whistleblower 2 E-Book

Sebastian Schinnerl

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Beschreibung

Auf der anderen Seite der Landstrasse war ein grosser Schneehaufen, und dort bauten wir Geschwister einen Schneemann, und dann sehe ich den Vater von der Arbeit kommen, und ich springe voll Freude über die Strasse auf meinen Vater zu, und die Distanz bleibt dieselbe. Ja, er will mich in die Höhe heben und in die Arme schliessen, doch werde ich ihn nicht erreichen, soviel ich auch gebe, was immer ich tue. Da ist ein winziges Zögern. Ich habe meinen Vater in diesem Leben nicht mehr erreicht. Eine schier brutale, opake Macht schlug mich aus der Kindheitswelt in diese Welt, die reale Welt. Sebastian Schinnerl erkundet in seinem Roman unter welchen Bedingungen ein alternativer Echoraum entstehen kann, in der jede Form von Gewalt möglich, und als normal gesehen wird.

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Für meine Mutter

Inhaltsverzeichnis

Ḿir dürfen nicht vergessen

Ḿir erinnern uns

Zorn ist eine Form der Begeisterung, eine Art Liebe

Das Nachzittern der geschlagenen Flanken

Die Ukrainer weigern sich die russische Seele zu umarmen

Vom Sssshutzbedarf der Säulenheiligen von Ṭùùrgistɘn

Die Transformation

Die Rückkehr ins Land der Rosaroten Kleinen Monster

Die Mutter ist über ihren Tod hinaus eine schöne Frau

Von der Fortpflanzung des Rosaroten Kleinen Monsters

Das Grosse Lachen meiner Mutter ist nicht immer lustig

Der Vogel in der Sackgasse

Auf der grünweissen Matte am Wannensee

Die Fliegenklappe – ein Witz

Die Konstruktion eines Whistleblowers

Siebzigtausend für den Arsch

Cancel-Culture für angehende Tyrannen

«Der Neue Arbeitsraum»

Und immer wieder kommt die Mutter

Die Umsiedlung ins Herz der Finsternis

Die Mutter erzählt vom Egon

Ein paar Worte zur Gesundheit

Mutter, erzähl zur Entspannung eine deiner Geschichten!

Drei Begegnungen mit Zadisten

Noch eine der Geschichten meiner Mutter

Postenschacher & Amtsmissbrauch & Speichelleckerei

Q&A Das besondere Forum

Das listige Füchslein

Die Einweihung der Gold-Premium-Welt all4schools

Wie ich aus diesem phantastischen Traum erwache

Too corrupt to fail

Naturbetrachtung

Meine Mutter erzählt

Ein Wort zur kollektiven Figur des Zadisten

Die Mobbing-Beratungsstelle als Fliegenfänger

Das alles ist nur ein dystopischer Albtraum

Der Professor erklärt es seinen Studentinnen

Der groteske Mensch

Das Zirkuszelt erinnert mich an Fellini

Die gnadenlose Härte des Spiegels

Der Nazi Strehle

Die Zielvereinbarung mit Kündigungsandrohung

Das Reinigen des Rinnsteins mit der Zahnbürste

Die Unterschrift unter die Zielvereinbarung

Das Kentucky Fried Chicken

Die Meldestelle-Springerstiefel

Daxin Yeats, Hacke Eliot, Zala Owprox und Nexus Six

Q&A Die wiederkehrenden Fragen

Professor Dr. Mikhaylokvich verliert den Kopf

Im Dunkelraum hängt ein Objekt von der Decke

John hätte den Gruppovukha-Prozess fliehen können

Der Vergleich mit historischen Parallelen

Die Nuance mit der Muttertag-Rose

Singenberg

Das kleine, mittlere und grosse Vergehen

Das unvorhergesehene Loch

Grossvater Mikel

Die Notfallstation

Die Landstrasse

Der grosse Sprung

Der Professor verabschiedet seine Studentinnen

Der Zustand der Welt

Das Waldmärchen

Fürstin Elizaveta Kulman

Das leere Landhaus

Ingenieure werden keine guten Schriftsteller

Elizaveta Kulman

Daxin Yeats, Hacke Eliot, Onyx Xorddos und Nexus Six

Der Psychoanalytiker Franz

Lange Gespräche an langen Abenden

Dem Schmerz ein Gesicht geben

Die mysteriöse Läuterung des John Matarishvan

Der zweite Kontakt

Der dritte Kontakt

Der vierte Kontakt

Der fünfte Kontakt

Der ausserirdische Purzelbaum

Kontakt mit dem Kommandanten des Raumschiffes

Gebrauchsanweisung zur Vernichtung von Ausserirdischen

Das Happyend total

Schöpfung braucht Zeugen

Das Stumme Gericht

Ḿir dürfen nicht vergessen

Der Schatten gleitet verlässlich mit. Es braucht Mut auszusprechen, was man zu sagen hat, wenn bis zu drei Jahre Gefängnis drohen.

Ḿir schreiben einen Roman.

Ḿir erinnern uns

Es war einmal. Das phantastische Märchen, das ich hier erzähle, ist recht bemerkenswert, und spielt in der Verwaltung-21st_SM der kaukasischen Volksrepublik Ṭùùrgistɘn ab, geschätzte achteinhalbtausend Meilen entfernt, südlich von Tyrgyztan, östlich von Tsyurikh, nördlich von Kazakhstan, und Tschigudschaki.

Alles in diesem Roman ist erfunden.

Um der Universalität Raum zu öffnen, die kaukasischen Volksrepublik Ṭùùrgistɘn existiert auf keiner Karte, und die Verwaltung-21st_SM ist eine, im Gleichschritt marschierende Stammeswelt, dessen Himmel eine Flugverbotszone. Jeder fliegende Gedanke wird abgeschossen.

Alles geschah so einfach und natürlich, wie es nur in der Wirklichkeit geschehen kann. Unser Bühnenheld John Matarishvan hatte innerhalb der Verwaltung etwas blauäugig Hinweis auf eine halbe Kellerleiche gegeben, und sein Hinweis auf Korruption blieb nicht ohne Reaktion. Sein Hinweis war ein Angriff auf die bestehende Ordnung, doch dachte er nicht einen Zentimeter weiter, als dass er seine Pflicht tat.

Will er nicht kämpfen, so steht ihm frei zu fliehen.

Irritiert von der einsetzenden Dynamik, und unfähig die Konsequenzen für seine berufliche Existenz abzuschätzen, war er in der Nacht, in einer von diffusen Gefühlen getränkten Stimmung, mit seiner Zhenshchina den Daseinsbereich der Hungergeister geflohen, den Berg hochgerast, und hatte den geschlossenen Grenzbalken der grünen Grenze erreicht, hatte die Wodkaflasche leergesoffen und gewartet.

Dort, am Ende der Welt, begegnete er seinen verstorbenen Eltern. Papa und Mama glauben nicht an eine Weiterexistenz, sie leben einfach weiter. Philosophien, Religionssysteme und Mausefallen sind dasselbe.

Der Zimmermann jenseits des Grenzbalkens geisterhaft verweht. Sein illuminierendes Licht zu kraftlos um im Scheinwerferlicht zu bestehen, nur der Hauch einer herzerwärmenden Erinnerung an eine linkische Umarmung zwischen Vater und Sohn, beide ein wenig betreten.

Die Mutter mit stämmigen Beinen an der Seite ihres Sohnes, die Fäuste nachdrücklich in die Hüften gestemmt, ein Zornlachen im Gesicht. Es war für meine Mutter unerträglich auch nur mit dem Gedanken zu spielen, sich zur unterwürfigen Verbündeten von Irgendjemand zu machen.

Sie stritten im Scheinwerferlicht um die Angelegenheiten ihres Sohnes, und erklärten dem Johannes den Weg durch das Dickicht des Lebens.

Ist der Zorn stärker oder schwächer als die Vernunft?

Es war dasselbe, wie in John’s Kindheitstagen. Die Mutter bestand darauf, dass Johannes sich der schwierigen Situation entgegenstelle. Der Vater schüttelte den Kopf. Von Verzagtheit und Kleinmut kann nicht die Rede sein. Der Einzelne verliere immer gegen das System. Sich alleine und mit offener Brust auf den Barrikaden der Revolte gegen eine opake Menschenfresser-Maschine zu stellen sei Wahnsinn. Menschenfresser-Maschine? Davon will die Mutter nichts wissen. Johannes könne vielleicht nicht gewinnen, aber verliere alles, wenn er sich nicht dem Kampf stelle. Der Vater schüttelt den Kopf. Kämpfen sei dumm bis oben hinaus und einen halben Meter dazu. Die Mutter bleibt auf ihrer Linie. Flucht oder Unterwerfung komme nicht in Frage. Ah, murrt der Vater, dumm soll er tun und aus der Deckung treten. Ja, sagt die Mutter, wieso soll Johannes sich von gesetzlosen Spitzbuben nehmen lassen, was er als IT-Projektleiter über Jahre aufgebaut? Da hält ihr der Zimmermann jenseits des Grenzbalkens den Meterstab vor, weil diese Barbaren in ihrer Rohheit den Johannes kaputtmachen werden.

Mutter schlägt die Autotür der Zhenshchina zu, schlägt auf die Hupe.

Johannes. Kommst Du.

John Matarishvan muss die Sache zu Ende bringen. Während der Rückfahrt hält die Mutter die Augen geschlossen und schweigen sie.

Fast schlagartig war der Morgen gekommen; oder doch wenigstens die Morgendämmerung. Es war die Stunde, in welcher die ersten Vögel zaghaft aufmerken. Wie Mutter und Sohn im taunassen Morgengrauen das Landhaus erreichen, es ist ein grosses, altes Holzhaus, ist die Haustür nur angelehnt. Hatte er sie nicht abgeschlossen? Während John und seine Mutter sich der Haustür nähern, hören sie seltsame Geräusche. Am Küchentisch sitzt Lucie mit einem Bündel, ein Hauch nur, in der Auflösung, nahe der Durchsichtigkeit. Erst wie das Bündel in die Stille klagend ruft, und Mutter die Tränen kommen, begreift John und sinkt auf den Küchenstuhl.

Zorn ist eine Form der Begeisterung, eine Art Liebe 1

Ḿir versuchen in unserem literarischen Denk-Experiment nachzustellen, welche Bedingungen herrschen müssen, damit eine alternative Parallelwelt entstehen kann, in der entfesselte Gewalt zur Norm wird.

In diesen Tagen hat die Realität uns belehrt.

24. Februar 2022. 4Uhr30. Russland greift die Ukraine an.

Die Tatsache, dass die putinischen Zadisten als Bedingung für Verhandlungen die vollständige Kapitulation der Ukraine fordern, und gleichzeitig als Kriegsziel die Auslöschung der Ukraine nennen, lässt den Ukrainern keine Wahl. Kampflos ergeben heisst Auslöschung.

Die Ukraine wird mit Blut übergossen, ukrainische Städte werden vernichtet. Da ein Pazifist zu sein, ist verantwortungslos. Verantwortungslos gegenüber der Welt und verantwortungslos gegenüber der Zukunft der Welt.2

Was will der Zadist? Das Ziel des Zadisten ist immer dasselbe, dass das Opfer vollkommen gehorsam wird, dass es jeden Widerstand aufgibt, und egal, was die Lust des Zadisten ihm abverlangt, sich völlig dem Willen des Zadist unterwirft, sich darin verliert.

Weil die Gräueltaten der putinischen Zadisten dermassen schockieren, stellt sich die Frage, können Ḿir beim Schreiben von unserem phantastischen Happy-Roman sachlich intelligent bleiben, oder erstarren Ḿir, oder verlieren Ḿir uns in der Empörung über stumpfsinnige Gewalt, oder stürzen Ḿir uns in den Vulkan? Ḿir denken an den grossen Camus, sein Zorn, seine Revolte.

1 Zitat von Peter Handke

2 Zitat von Swetlana Alexijewitsch

Das Nachzittern der geschlagenen Flanken

Ḿir erzählen hier in eher ungenauen Worten von den traumatisierenden Erlebnissen des US-amerikanischen IT-Ingenieurs John Matarishvan, der in der Verwaltung Hinweis auf Korruption in Millionenhöhe gab.

Korruption gibt es in jedem Winkel der Welt. Das ist eine Tatsache.

Korrupte Menschen in Führungspositionen müssen ihre Macht halten, den Bemühungen um mehr Transparenz im öffentlichen Sektor entgegenwirken, persönliche Freiheitsrechte missbrauchen, und fundamentale Menschenrechte beschneiden, müssen verhindern, dass das Netz des Strafrechtes über sie geworfen wird. Das ist ihre Tätigkeit.

Korruption ist eine Tatsache, die keiner, noch nirgends und niemals, und in keiner Verwaltung, hat offen aussprechen dürfen. Weil es Korruption in der Verwaltung nicht geben darf, existiert das Wort nicht. Wer das Wort trotzdem verwendet, macht sich strafbar. Das Ersatzwort ist Unregelmässigkeit. Korruption aber ist etwas Regelmässiges.

Ḿir möchten zu Beginn den Psychoanalytiker Pierre Janet zitieren.

„Ein Trauma, das nicht realisiert wird, muss stets aufs Neue reinszeniert werden. Realisiert, und damit wahr, wird ein Trauma, wenn der Mensch darüber sprechen kann, ohne gefühlsmässig darin zu versinken.“

Würden Ḿir hier schreiben, wie uns zumute, dann müssten Ḿir unseren Zorn ins Leere schreien. Folgen Ḿir aber dem Ansatz, dass Ḿir lernen müssen in ruhiger und sachlicher Herangehensweise Zeugnis zu geben, ohne gefühlsmässig darin zu versinken, dann steht hinter jedem einzelnen Wort der Schatten des Versagens, dass diesem Buch die literarische Magie, der Schwung, der Rhythmus und die Leidenschaft fehlen wird.

Lassen Ḿir unseren Helden John Matarishvan frei und offen berichten, wie er an die Wand gefahren und abserviert wurde, überschreiten Ḿir eine Grenze. Die Gesellschaft verlangt nach gedämpften Gefühlen, dem gehorsamen Seufzer des Gespurten, dem Heucheln des Maskierten.

Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass in dieser grotesken, orientalischen Humoreske alles, aber schon gar alles, alles, alles erdichtet, geträumt, phantasiert und zusammengesetzt. Ḿir fehlt es an Wahrnehmung um eine Grenzlinie zwischen Wahrheit und Dichtung zu ziehen.

Ist es ein ephemerer Traum?

Die Küche ist vom letzten Lichtschimmer der Abenddämmerung aufgehellt. Wird es Nacht, und sobald das Auge sich an das Dunkel gewöhnt, wärmt in der Küche Kerzenlicht. Im zitternden Gelb sitzt die Mutter mit dem schlafenden Kind am Küchentisch. Das Gesichtchen des Knaben leuchtet vor Frieden. Hinter der Mutter steht Lucie, kämmt der Mutter mit einem Holzkamm ihre bodenlangen Haare. Lucie ist eine fortwährende Zerstreuung und Entzückung. Und Mutter und Lucie erzählen John, dass Blumen und Bäume Wesen wie Vögel und Menschen sind, dass sie eine Seele besitzen und miteinander reden, und dass man sie reden hört, wenn man genug still ist.

Und für kurze Zeit tun alle nichts anderes, als genau hinhorchen. Lucie schaut auf John und lächelt. Unergründliche Sanftmut in ihren Augen.

John schenkt sich Cognac ins Glas.

Er macht es mechanisch, als träume er, und träumt es nicht in uns und mit uns und macht mit uns, dem Besucher der Traumwelt, was es will, und ist diese Traumwelt nicht ein Patchwork aller Welten, – und, warum vergisst er mit dem Erwachen, was er geträumt, und mit dem Einschlafen, was er gelebt hat? Wer ist der Regisseur unserer Träume?

Wie John mit der Überlegung spielt, wie er herausfinden könnte, ob er jetzt in einem Traum, wird ihm eine Nichtanwesenheit bewusst. John schaut den Raum in der Tiefe. John denkt, ich sehe mich, und ich sehe sie. Etwas ist anders. Eine Ingredienz hat sich verflüchtigt, Bestandteil von was? Als er sich umdreht ist der Küchentisch leer. Die Tür zum Schlafzimmer aber steht offen. Lucie entkleidet sich im Kerzenschein und begibt sich mit dem Knaben zu Bett. Er bläst die Kerze aus.

Die Ukrainer weigern sich die russische Seele zu umarmen

Kurz vor dem Aufwachen hatte ich einen Traum. Ich bin Besucher einer Stadt, alle Orte aller meiner Träume. Ich bin in einem Hotelzimmer eingemietet. Ich stehe in einer Nasszelle mit schwarzem Marmor und grossem Spiegel, dessen makellose Fläche eine zauberische Tiefe bildet. Warmes Wasser rinnt über meine Hände.

Wie rechts von mir der kalte Zorn erscheint.

Mich schaudert seine Brutalität. Im Spiegel ein grotesker Schatten. Der kalte Zorn und sein Spiegelbild sind über einen Glockenstrick am Hals verbunden. Der Glockenstrick tritt durch eine Öffnung in den Spiegel ein. Es beginnt ein Zerren und Ziehen am Glockenstrick, und ich höre die Kuhglocke einer nervösen Kuh, ohne Intervalle und Rhythmus.

Der kalte Zorn und das Groteske bewegen sich eigensinnig, und offensichtlich können sie sich nicht ausstehen, und keiner gibt nach, und die Sache wird hektisch. Zieht das Groteske mit angestemmten Beinen den Glockenstrick in den Spiegel, dann röchelt das Zornige mit der Wange am Glas. Reisst der kalte Zorn den Glockenstrick aus dem Spiegel, dann klebt das Groteske am Glockenstrick und japst nach Luft.

Dieses Hin und Her wird zur heftigen Sägebewegung. Als wolle der kalte Zorn nur gewalttätig, aber nicht grotesk, und das Groteske nur grotesk, aber nicht zornig sein.

Die entsetzlichen Kriegsbilder aus der Ukraine dringen in mein Leben, beeinflussen mein Schreiben. Es ist schrecklich. Sie berühren mich, sie vermengen sich mit meinen Empfindungen, sie sind wie Träume.

Wer erzählt Ḿir meine Träume, oder erlebe ich sie?

Vom Sssshutzbedarf der Säulenheiligen von Ṭùùrgistɘn

John nippt an seinem Cognac-Glas, spürt die Wärme im Magen.

Dieser Happy-Roman total spielt in der Volksrepublik Ṭùùrgistɘn. Ein dunkles Land irgendwo im schattenhaften Kaukasus, achteinhalbtausend Kilometer entfernt. Dieses Land erscheint auf keiner Landkarte, weil es in der Polargegend hinter dem Mond liegt.

Die Geschichte ist rätselhaft, doch einigermassen plausibel. Als Schriftsteller, Regisseur und Drehbuchautor muss ich den Hauptkonflikt meines Protagonisten nennen. Unsere dramatische Persönlichkeit, der US-amerikanische IT-Projektleiter John Matarishvan, steht in Ṭùùrgistɘn unter Amtsgeheimnis. Ui-verreckt. Dieser Satz lässt aufhorchen.

Was ist das: Amtsgeheimnis?

„Wer ein Geheimnis offenbart, das er in seiner amtlichen Stellung wahrgenommen hat, wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren bestraft.“Spricht John offen und freimütig, drohen ihm drei Jahre Gefängnis.

Aber. Wollen Ḿir in unserer Forschungsarbeit zu einem Resultat kommen, müssen Ḿir uns über den Gesamtkontext beugen, und die Wurzel aller Phänomene ansprechen. Für ein zählbares Resultat müssen Ḿir von extremer Gewalt erzählen, und in Gedankengebiete vordringen, die von der Verwaltung-21st_SM auf Strafe verboten worden sind.

Gegen das Licht gehalten, erscheint uns die dorische Verwaltung-21st_SM von allen Seiten tadellos und vollkommen ideal. Die Arbeit läuft ruhig, die Verwaltungsangestellte erreichen die Etappenziele in vorgegebener Zeit, – alles läuft nach Plan und wie am Schnürchen.

Verwaltungsangestellte sind Soldaten. Die Verwaltung verspricht ihren Soldaten die Vergebung all ihrer Sünden, wenn sie ihr Leben geben. Es herrscht ein Pakt. Verwaltungsangestellte befolgen Befehle, und geniessen dafür Wohlstand. Wenn sie den Befehlen der Obrigkeit nicht gehorchen, droht ihnen der Verlust ihrer Privilegien.

Forschende haben festgestellt, dass 97 Prozent der Verwaltungsangestellte Knochenschäden aufweisen. Diese Leute schlafen mit der Felddienstordnung. Die Haltungsschäden sind so harsch, dass bis zu 7 Prozent der Verwaltungsangestellten noch im Büro zu Ende kommen. Diese Abgänge gelten als normale Fluktuation.

So beginnen wir mit der leichtesten Frage. Was ist ein Geheimnis?

Die Zulässigkeit dieser Frage kann man bestreiten.

Geheimnisse sind Tatsachen, die nur einem begrenzten Personenkreis bekannt oder zugänglich sind, und die der Geheimnisherr geheim halten will und an deren Geheimhaltung er ein berechtigtes Interesse hat.

Weil solche Geheimnisse nicht klassifiziert, und offiziell eher selten Protokolle über Misswirtschaft angelegt werden, und sich selten Zeugen finden, weil nicht darüber gesprochen werden darf, kann niemand sagen, ob ein solches Geheimnis überhaupt existiert.

Alles was nicht aktenrelevant, kann nach eigenem Ermessen gelöscht werden. Wenn der Straftäter seine Akten löschen kann, und auf Strafandrohung nicht darüber geredet werden darf, und wird ein Geheimnis nicht klassifiziert, existieren keine Akten und Zeugen, dann gerät das Geheimnis in Vergessenheit, und wo ist es dann?

Das Geheimnis ist ein Geheimnis geworden.

So beschützt das Amtsgeheimnis das Geheimnis.

Es entsteht die paradoxe Situation, dass in der Verwaltung-21st_SM alle Verwaltungsangestellten ständig der Gefahr ausgesetzt zufällig und blauäugig das nicht bekannte Geheimnis auszuplaudern, und damit sich strafbar zu machen. Folglich entsteht ein Raum des Verstummens, und der Mittäterschaft, und des Wegschauens – eine Komplizenschaft.

Der Straftäter agiert im anonymen, vom Verhalten dem Tierchen ähnlich, dass in einem abgeschlossenen Getreide-Silo, wo kein Licht hineinfällt, ohne Scham und Eile sich seiner Grundbedürfnisse widmet.

Wir ahnen, das mit dem Geheimnis wird kompliziert.

Warum haben Volksvertreter Sssshutzbedarf?

Spricht man von rechtsfreiem Raum, dann antworten die Juristen mit der Rechtsunsicherheit. Einerseits hat jeder Verwaltungsangestellte die Pflicht auf eine Unregelmässigkeit hinzuweisen, andererseits rasselt das Amtsgeheimnis mit Kerkerketten, wenn das mysteriöse Geheimnis verraten wird. Rechtsunsicherheit ist Synonym für genutzte Schlupflöcher in der Gesetzgebung.

Was geschieht hinter dem geschlossenen Vorhang, in dieser alternativen Parallelwelt unseres literarischen Denk-Experimentes, das die Öffentlichkeit nicht wissen darf? Ist es eine shakespearesche Niedertracht, oder demokratisches Alltagsgeschäft? Warum braucht es das Amtsgeheimnis? Warum diese esoterische Geheimniskrämerei?

Ist diese Frage zulässig? Das darf man bestreiten.

Besteht der Konflikt, weil Ḿir uns an den Mythus der makellosen Verwaltung gewöhnt haben? Ist die Verwaltung-21st_SM eine ameisenfleissige Stammeswelt? Eine Welt der Menschen, die auf schwierigen Posten ihre Pflicht erfüllen, so gut wie es ihnen ihr Charakter und ihre Einsicht erlauben, und sich entzückend anständig verhalten?

Lesen Ḿir den Bohrkern der Weltbevölkerung, dann sind beim Menschen Bildungsstand und die píthēkosartige Intelligenz maximal gestreut. Deswegen ist es statistisch unausweichlich, dass sich desgleichen in der Verwaltung-21st_SM auch Schrmkelsk tummeln.

* Schrmkelsk ist Substitution. Wir pflegen den respektvollen Umgang, wollen niemand herabwürdigen, und vermeiden üble Nachrede, Ehrenbeleidigung, Verleumdung und Verhetzung. Wir verzichten auf Schimpfwörter, Fäkalsprache und obszöne Sprache. Das Wort Verbrecher wurde gelöscht.

Das ist kein Geheimnis, das ist Statistik. Die stiefmütterliche Ausstattung des inferioren Mängelwesens ist Norm, und wird in wissenschaftlichen Studien bewiesen. Das Unaufhebbare an der Sache mit der Schlauheit ist, dass die Verwaltung-21st_SM sich ins Ideal überhöht, und, eingeklemmt im Backenfutter der eigenen Ideale, diese überhohe Messlatte gehalten werden muss. Das Ideal der Makellosigkeit, der Verwaltungsangestellte als die Lichtgestalt der Demokratie, sein Leben gehört seiner Pflicht, ist eine verdammte Kampfansage.

Jeder Fehler, und der Verwaltungsangestellte begeht viele Fehler, wird sofort auf andere oder den Gegenstand geschoben, sodass er nicht schuldig, und sich nicht entschuldigen muss. In fünfzehn Jahren Verwaltung habe ich nicht ein einziges Mal erleben dürfen, dass ein Unrecht eingestanden worden wäre.

Wer macht keinen Fehler? Gott macht keine Fehler. Brave Hausfrauen um die Fünfzig machen keine Fehler. Aber sonst, wer macht sonst noch keine Fehler? Der Teufel macht keine Fehler. Und wer sonst noch? Der Verwaltungsangestellte darf keine Fehler machen, das setzt ihn gleich mit Gott und dem Teufel. Wer keine Fehler machen darf, und immer perfekt ist, der muss nicht weiterlernen. Korrekt? Ist das korrekt?

Wir sehen die grossartigen Militärparaden auf dem roten Platz in Moskau, und sehen die tatsächliche Performance der grössten, und stärksten Kampftruppe der Welt auf dem Kampffeld – dieser verlotterte, marodierende Haufen aus hirnlosen Kriegshunden, Kanonenfutter, Mördern.

Die Präsentation der Makellosigkeit ist die Kernkompetenz des vornehmen, bürgerlichen Haushaltes. Keine brave Hausfrau wird Gäste laden, wenn der Verwesungsgestank einer halben Kellerleiche über den Hackbraten mit Kartoffelstock streicht. Das ist im Leben einfach so. Was hinter der Fassade geschieht, bleibt hinter der Fassade.

So nähern Ḿir uns auf Zehenspitzen dem Geheimnis? N-nnnein.

Viele Leute, oder besser gesagt, die Mehrzahl, also der gewöhnliche Dutzendmensch, und dazu zählen die meisten Verwaltungsangestellten, widmen ihr gesamtes Leben mit braver Gehobenheit der Ausübung von makelloser Funktionstüchtigkeit, und finden darin ihre Bestimmung. Nun ist unter allen Scheusslichkeiten die hässlichste Scheusslichkeit die Gewöhnung an ein nicht erfüllbares Ideal. Ist es nicht so?

Das Ungesunde liegt in der Tatsache der unerfüllbaren Makellosigkeit.

Die Unfähigkeit eigene Fehler einzugestehen, führt zu einer erstarrten Form der Lüge, dem Wahrlügen. Wer ständig wahrlügen muss, um sich seine fehlerfreie Funktionstüchtigkeit zu bestätigen, der ist mit allem anderen beschäftigt, aber nicht mit Lernen. Die Wahrnehmung erfasst nicht die Realität, so wie sie ist, die Realität hat sich der Wahrnehmung anzugleichen, so wie es sein soll. Es entsteht in der Verwaltung ein Echoraum, ein geschlossener Silo, eine alternative Realität, ein Lügengebäude, gleich der illusionären Welt unseres Happy-Roman.

Jeder Roman, Film, Albtraum, jedes geschlossene System ist ein Echoraum. Der Echoraum ist schalldicht abgeschirmt, und wird einstimmig beschallt, damit die Einsitzenden tief davon überzeugt, dass die erzählte Geschichte der Wahrheit entspricht. Das ist wahres Wahrlügen. Wenn alle lügen, dann lügt keiner. Wenn alle verrückt, ist keiner verrückt. Wenn alle korrupt, ist keiner korrupt. Wenn die Unregelmässigkeit der Modus Operandi, dann ist das schon wieder regelmässig. Am Ende läuft es darauf hinaus, dass jeder jeden blufft. Ein Strauss an Eitelkeiten, Zwietracht und Gaukeleien, genannt Verwaltung.

Darum benötigen Volksvertreter Sssshutzbedarf.

Je höher die Verselbständigung der Bürokratie, und je geringer die institutionelle Möglichkeit der Öffentlichkeit zur wirksamen Kontrolle der Bürokratie, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit von Machtmissbrauch und Misswirtschaft. Hinter dem Amtsgeheimnis bilden sich amorphe Substrukturen heraus, in welchen Partikularinteressen den Vorzug erhalten, und welche die Gesetze ebenso unterlaufen, wie die Gewaltenteilung, die Sorgfaltspflicht, das Öffentlichkeitsprinzip.

Sind Ḿir dem Geheimnis auf der Spur? Langsam. Nicht zu voreilig. Ḿir sprechen von einer Filterblase. Warum variiert innerhalb der Filterblase das Strafmass für das Offenbaren von einem Geheimnis zwischen einer kleinen Geldstrafe und 1095 Tagen schwerem Kerker?

Faktencheck.

Welcher Geheimnisverrat rechtfertigt, dass der Hinweisgeber von der Justiz für einen Tag seines Lebens ins Gefängnis geschickt wird? Ein verdorrtes Blumentöpfchen? Entwendete Münzen aus der Keks-Dose? Ein offener Hosenstall? Ein kleiner Ausflug auf Spesen?

Welches offenbarte Geheimnis rechtfertigt, dass der Hinweisgeber zur Strafe 365 Tage im Gefängnis schmoren muss? Gefälschte Verträge? Splitterrechnungen? Pfusch? Unterlaufen des IT-Beschaffungsgesetzes? Stümperei? Postenschacher? Korruption?

Was muss hinter den Mauern der Verwaltung-21st_SM geschehen, dass der Hinweisgeber wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses für 1095 Tage ins Gefängnis geworfen wird? Amtsmissbrauch? Gruppovukha? Misswirtschaft? Aufträge ohne Ausschreibung? Unterschlagung? Verschwendung? Fünf Millionen? Zehn Millionen? Mobbing? Mobbing und Korruption?!

Das sind black patterns. Die Antwort wird immer Geheimnis sein. Die Wahrheit liegt ausserhalb unserer Wahrnehmung. Gesichert ist, es existiert ein Zusammenhang zwischen dem Geheimnis, der Strafe und dem Hinweisgeber. So dreister die Straftat, so grösser das Geheimnis, so härter die Strafe für den Hinweisgeber. Kein Geheimnisbruch lässt sich gerechtfertigen. Dehnen wir das Amtsgeheimnis ins Absurde, wird aus der Tragik-Komödie eine Groteske.

Die Verwaltung-21st_SM ist eine doppelgeartete Sphinx.

Unser Roman ist eine groteske, orientalische Humoreske. Damit Ḿir unseren Roman unbelastet schreiben können, müssen Ḿir darauf hinweisen, dass in dieser Humoreske alles, aber schon gar alles, alles erdichtet, geträumt, phantasiert, und aus dem Fundus der Weltliteratur kübelweise geschöpft. Sämtliche Geheimnisse sind erfundene Seeräuber-Kisten. Wer anderes behauptet, muss Beweise vorlegen, welches Verbrechen verübt, wie dieses vertuscht, und wer die Straftäter.

Es braucht keine Unschuldsvermutung. Nicht in diesem Roman.

Sämtliche Angaben lassen sich nicht von unabhängiger Seite prüfen.

Die Transformation

Lassen Ḿir unseren Helden John Matarishvan selber erzählen.

Im Nachhinein darf gesagt werden, es fand in jener schweren Zeit in Ḿir eine fliessende Wandlung statt. Die Metamorphose vom Meterstab meines Vaters in das zornige Herz meiner Mutter. Meine Eltern erlebten noch die klirrende Mechanik des Nationalsozialismus. Gewalt war damals weder Exzess noch Pathologie, sondern Teil der Norm.

Beide waren traumatisiert, und beide gingen unterschiedlich damit um.

Ich habe wenig Erinnerung an meine Kindheit. Dabei liegt diese Zeit gar nicht so lange zurück. Sechzig Jahre, was ist das schon. Damals war ich ein Kind, das sich im Leben behaupten musste, und seither hat sich so vieles ereignet, dass die Vergangenheit nur in farbiger Erinnerung vorhanden, als hätte diese Zeit nie existiert.

Mein Vater wurde als Jugendlicher im Verbund einer steirischen Volkssturmeinheit gegen den Vormarsch der Russen eingesetzt. Wie der Motorenlärm der T34-Panzer ohrenbetäubend, und aus dem dichten Nebel die Rotarmisten in unübersehbarer Zahl huschten, türmte das letzte Aufgebot, warfen die Kinder und Alten die untauglichen Waffen und Uniformen in die Jauchegruben, und versteckte sich in den Ställen.

Und meine Mutter hatte als Mädchen am Grenzfluss zur Schweiz die schlotternde Todesangst der Flüchtlinge und die Gnadenlosigkeit der SS-Schergen miterlebt, und dieses Erleben hatte ihr einen tief menschlichen Zorn auf die korrupten Uniformträger eingebrannt.

Diese zwei Menschen trafen sich in den Jahren nach dem Krieg vor dem Lichtspielhaus Hohenems, und weil der Mutter der elegante Mann im Anzug gefiel, der so still war, und weil er sie gleich am ersten Tag nach Hause begleitete und nobel ihr Fahrrad schob, und ein nie zuvor erlebtes Einvernehmen vorhanden war, haben sie geheiratet.

Wir wohnten an der Lustenauerstrasse.

Mein Vater war Zimmermann mit Leib und Seele. Mit seiner ruhigen bedächtigen Art, konnte er aus einem Baumstamm einen Tisch zimmern. Er mass die Welt mit seinem Meterstab. Der Krieg steckte in seinem Fleisch und seinen Knochen, er wollte seinen Frieden. Die Goldene Regel: Leben und leben lassen. Millimeter, Zentimeter, Meter.

Und dort lag der Crux. John füllt sich das Glas, bevor er weiterspricht.

In meiner Familie wurde weder musiziert noch Gedichte rezitiert. Dafür liess mich mein Vater als Knabe mit seinem Meterstab spielen. Misst man als Knabe die Höhe der Sitzfläche des Stuhls mit dem Meterstab, dann bleibt die Höhe konstant, misst man mit dem Seelengefühl, dann verschiebt sich die Höhe der Sitzfläche. Manchmal ist für den Knaben einfach hinaufzuklettern, und dann steht man auf dem Stuhl und kann die Küchentischlandschaft mit seinen Schätzen erobern. In anderen Momenten ist der Stuhl ein unüberwindbares Hindernis, bis an die Decke gewachsen, und von Oben starrt eine, nicht wohlgesonnene Autorität, obwohl – gemäss Meterstab ist die Stuhlhöhe konstant. Eine Irrationalität, die nur sinnlich-körperlich wahrgenommen werden kann.

Mit der Mutter war immer alles beisammen, der Vater aber schuf Ordnung. Hatte eines der Kinder etwas ausgebockt, dann kehrte sich der Vater nach Innen und werkelte an einem salomonischen Urteil. Während die Mutter trug das Herz auf der Zunge, und alles war vergessen.

Der Vater konnte nicht tanzen, was dem Zimmermann anzusehen war. Die Mutter stampfte dann mit ihren Beinen, und forderte ihn zum Tanz, und er musste dann tanzen, egal wie. Die Mutter war glücklich, wenn den Vaterbeinen die Meterstab-Ordnung verloren ging, auch mal übers Kreuz, dann war der Zimmermann menschlicher. Die lustige Musik und der Wein entfernen da einige Stifte aus dem Chaos-Pendel der Glieder und eröffnen eine neue Dimension … crazy man, crazy … mit Bill Haley und der klatschenden Aufmunterung der Kollegen, erwachte beim Vater, dessen Stolz sich hölzern gegen das Bewegtwerden durch erzwungene Lustigkeit gewehrt hatte, der Meterstab zur Schlange.

Da küsste Mutter den Tanzenden, und mit diesem Kuss war die Mutter unweigerlich die Seine, dann konnte der King schon mal so über die Stränge schlagen, dass die Kollegen ihn auf einer ausgehängten Tür nach Hause tragen mussten. Der Arme hatte sich einen Hexenschuss geholt, wie er die Mutter durch die Luft hatte wirbeln wollen. An dieser Familienlegende wurde zeitlebens gebaut.

Sie bewirtschafteten sieben Kinder, neun Teller und neun Betten.

Angst, Scham, Freude, Zorn, Liebe. Gefühle lassen kleine Dinge gross erscheinen, und sind so Subjekt wie Objekt, gedämpft wie übertrieben verzerrt, wie links, wie rechts, wie wahr und unwahr, sind Referenz zum abwägenden Hausverstand, und doch nicht fassbar.

Gibt man den Gefühlen selbstbemitleidend Gewicht, kann bei jedem Thema leicht dafür und dagegen argumentiert werden, und hat man sich dann nach gründlichem Nachdenken zu einer Meinung entschieden, kann man gut die entgegengesetzte Ansicht vertreten. Das Reden über Emotionen, Gefühle und Empfindungen sind ein wichtiger Ausdruck von Menschlichkeit. Ist wahr, was ich hier erzähle?

Die Rückkehr ins Land der Rosaroten Kleinen Monster

Das Leben lässt sich nicht mit dem Meterstab messen.

Ḿir wollen in diesem poetischen Erzähl-Experiment erforschen, welche Voraussetzungen herrschen müssen, damit eine alternative Parallelwelt entstehen kann, in der Gewalt als normal erlebt wird.

Wenn sie an unpassenden Stellen helles, dramatisches Gelächter hören, dann kann ich ihnen versichern, dass ich nie an den falschen Stellen lachen würde, dazu fehlt es Ḿir an Humor. Immer ist es meine Mutter, die voller Lachen ist, und sich nicht zurückhalten kann.

Die Ursache für ihr Gelächter, Ḿir sprechen hier von zwergwüchsigen Kunstfiguren, also lustigen Charakteren mit stämmigen Beinen, Haare spriessen aus den Ohren, in rosaroten Uniformen, keine der Bühnenfiguren grösser als 120 Zentimeter, welche hinter einem geschlossenen Bühnenvorhang die Arbeit von Verwaltungsangestellten nachstellen, und denen die roten Löffel wackeln, wenn Schneewittchen auftaucht.

Zur Einstimmung eine tausend Jahre alte Killerstory von Äsop.

Das Lamm und der Wolf

Ein Lämmchen löschte an einem Bache seinen Durst. Fern von ihm, aber näher der Quelle, tat ein Wolf das gleiche. Kaum erblickte er das Lämmchen, so schrie er: Warum trübst du mir das Wasser, das ich trinken will?

Wie wäre das möglich, erwiderte schüchtern das Lämmchen, ich stehe hier unten und du so weit oben; das Wasser fließt ja von dir zu mir; glaube mir, es kam mir nie in den Sinn, dir etwas Böses zu tun!

Ei, sieh doch! Du machst es gerade, wie dein Vater vor sechs Monaten; ich erinnere mich noch sehr wohl, dass auch du dabei warst, aber glücklich entkamst, als ich ihm für sein Schmähen das Fell abzog!

Ach, Herr! flehte das zitternde Lämmchen, ich bin ja erst vier Wochen alt und kannte meinen Vater gar nicht, so lange ist er schon tot; wie soll ich denn für ihn büßen.

Du Unverschämter! so endigt der Wolf mit erheuchelter Wut, indem er die Zähne fletschte. Tot oder nicht tot, weiß ich doch, dass euer ganzes Geschlecht mich hasst, und dafür muss ich mich rächen.

Ohne weitere Umstände zerriss er das Lämmchen und verschlang es.

Unser Roman spielt in der Volksrepublik Ṭùùrgistɘn. Kaukasus ist sehr, sehr weit entfernt. Achteinhalbtausend Kilometer. Das Land existiert hinter dem Mond auf einem anderen Planeten, weil Ḿir uns gedacht haben, je tiefer im Universum, so universaler.

Dieses Licht ist nicht dort, wo Ḿir stehen. Opa schreibt für Oma. Im Übrigen streiten Ḿir im Chor die Verfasserschaft ab. Der Werkstattgedanke ist zentral. Die Idee wird fühlbar gestaltet.

Unsere Romanfiguren improvisieren. Diese Gewaltmenschen sind in den Kasernen kriegsgemäss und herb erzogen worden. Die einen sind minderbemittelt, die anderen nicht viel feinspüriger, einige bauernschlau, alle korrupt. Diversifikation. Die Handlung muss sich entwickeln, ohne dass Ḿir wissen können, was tatsächlich im Dunkelraum der Verwaltung-21st_SM geschieht. Ḿir deuten zwar halbe Kellerleichen an, doch ist unser Vorgehen rein literarischer Natur.

Wandelnde Kellerleichen können im Märchen gebräuchliche Norm sein. Es muss sich keine Geschichte ergeben, doch hoffen Ḿir, dass die Sache nicht zu fade, zu anstrengend und gewöhnlich gelesen wird.

Die Eigenartigkeit und das Rollenspiel der Kunstfiguren der Art No 1 und No 2 und No 3, dem göttlichen, barbarischen, militarisierten Verwaltungsangestellten, wurde bereits ausführlich in Bd.1 besprochen.

Kunstfiguren sind nichtexistente Entitäten. Es wird uns nicht gelingen diese zwergwüchsigen Charaktere menschlich oder menschenähnlich zu erzählen. Dazu fehlt es uns an schriftstellerischem Atem. Trotzdem können Ḿir sagen, dass die Kunstfiguren sich eineindeutig verhalten.

Die Kunstfiguren marschieren im symmetrischen Gleichschritt. Ich würde mal sagen, neunzig Prozent sind Kleinkriminelle.

Um ihre hechtgrünen Reptiliengesichter, algenfarbenen Haare und jadegrünen Augen, die nicht zwischen Gut und Böse unterscheiden können, zu verbergen, tragen die Kunstfiguren schönlackierte Masken.

Weil es den eigenschaftslosen Menschen nicht geben kann, und weil Ḿir auf das Dramatische nicht verzichten können, haben Ḿir unseren zwergwüchsigen Charakteren eine Triebmechanik implementiert. Sonst funktioniert das Überleben nicht. Diese Darmpsychologie nennen Ḿir das Rosarote Kleine Monster, ein Synonym für Gier und Angst. Der Buddhismus nennen diese Dämonen Hungergeister. Eroberungsgier und Herrschsucht sind leicht zu programmieren.

Der Zwei-Takter Gier und Angst hat keinen Rückwärtsgang und keinen On-Off-Schalter. Der Motor läuft bis das Benzin alle. Zur Tarnung haben Ḿir den Zwei-Takt-Motor als Humanitäre Einrichtung rosarot lackiert und mit Bedürfnislosigkeit beschriftet. Wie’s gefällt.

Die Kunstfiguren No 1 und No 2 und No 3 werden durch Ɖirektoren, Amtsleiter, Minister, Departementsleiter und eine Handvoll gesetzloser Spitzbuben repräsentiert. Ein Soziopath ist ausserdem darunter.

Ihr Stammesgebiet ist die Verwaltung-21st_SM. Die Verwaltung ist eine militarisierte Autokratie.

Unsere theoretischen Menschen verhalten sich makellos. Sie wissen, wie sie sich in der Verwaltung zu verhalten haben. Vielleicht ein wenig spöttisch, wenn nicht sogar ein ganz wenig böse. Alle tragen sie rosarote Uniformen, lächeln freundlich, und beherrschen das ABC der Intrige, haben eine militärische Erziehung genossen, alle sind sie inferior, alle sind sie Partei-Mitglied im Cатана-Clan, folgen dem Selbsterhaltungstrieb, tragen schönlackierte Masken, und sind nützliche Idioten.

Um Himmels willen, werden sie sagen, was für billiger Trash ist das denn. Und sie haben Recht, definitiv Trash. Diese Verwaltungsangestellten sind das Grauenhafteste, dass die deutschsprachige Theaterbühne seit Schlingensief, Bernhard und Achternbusch an zeitgemässem Bühnenpersonal aufzubieten hat. Nach Jahrzehnten Absenz tauchen sie wieder auf den Kultur-Bühnen auf. Man darf sich schämen.

Das wird wirklicher als die Wirklichkeit selbst, das wird hart. Man schlägt hart mit dem Hammer, dass es dröhnt, und wenn es nicht mehr noch lärmiger geht, dürfen wir von einer perversen Gefühlslage sprechen, von etwas Obskurem, einer grotesken Humoreske, vielleicht.

Die Mutter ist über ihren Tod hinaus eine schöne Frau

John schenkt sich das Glas voll, und leert es in einem Zug.

Seine Mutter hatte das Herz auf der Zunge, und setzte ihren Willen durch. Mutter trug zeitlebens das sanfte schöne Mädchengesicht. Das hat der Tod ihr nicht nehmen können. So war der Ruhestand im Himmel für die Mutter von sieben Kindern nicht zu ertragen, weil sie keine Erfahrung mit Stillhalten und Seligsein und Harfenmusik hatte, und als aus einer anderen Sphäre Fetzen von Stimmen in ihre Welt wehten, wusste sie, ihr Sohn Johannes war in Schwierigkeiten, aus welchen er sich mit dem Meterstab nicht rausmessen kann, also huschte sie aus dem Kreis der Harfenspieler und Halleluja-Jauchzer, und stellt sich bescheiden als die allerunbedeutenste und allerbelangloseste Mutter in das Getriebe der Lebenden zurück, und keiner kann sagen, ist sie von dieser, oder von jener, oder gar einer dritten oder vierten Welt.

John lebt mit seiner Mutter im selben Haus. Sie steht am Fenster, schliesst sie langsam die Augen, lächelt selig in einem süssen Wohlbefinden, und ringt die Hände in den Stillstand, und deutet hinaus in die Dunkelheit, wo das erste Licht über der Bergsilhouette schimmert, und flüstert etwas, das John nicht verstehen kann.

Von der Fortpflanzung des Rosaroten Kleinen Monsters

Staatliches Handeln muss sich auf eine gesetzliche Grundlage abstützen, im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein.

Das öffentliche Interesse kann nicht abgefragt werden, weil es, wegen dem Amtsgeheimnis verboten ist die Öffentlichkeit zu informieren, und was hinter dem geschlossenen Vorhang an staatlichem Handeln abgeht, darüber muss geschwiegen werden, und was heisst schon verhältnismässig, wenn der Spitzbube selber darüber entscheiden kann, ob seine Straftat keine, eine kleine oder eine grosse Straftat, und der Skandal viel, viel grössere Wirkung, als die paar Millionen.

Ḿir wollen uns nichts vormachen und zugleich scharfsinnig und weitblickend die kommenden Risiken einschätzen. Ḿir sind verantwortlich für unser Tun. Erzählen Ḿir entlang der Wahrheit, werden Ḿir mit drei Jahren Gefängnis bestraft. Also, wie blöd muss man sein, um die Wahrheit zu erzählen? Glauben sie wirklich, dass es eine letzte Objektivität gibt? Man muss schon sehr blöd sein.

Ḿir schreiben Roman. Hier ist alles erfunden und phantasiert. Was in dieser Geschichte nicht geklärt werden kann, der US-amerikanische Ingenieur verstand sofort den fremden Akzent von Ṭùùrgistɘn.

Ḿir können jetzt nicht gleichzeitig vorwärts und rückwärts schauen.

Eine effiziente Strategie ist ständige Wiederholung. Wiederholung. So fragen Ḿir uns, was geschah bis zu diesem Zeitpunkt?

Der US-amerikanische IT-Ingenieur Matarishvan hatte im Jahr 2005 den Regierungsauftrag bekommen, in Gemeinschaftsarbeit mit den Nachbarländern Tyrgyztan, Tschigudschaki, Kazakhstan und Tsyurikh, die Entwicklung einer All-in-One-Schulverwaltungssoftware Ecoweb für die Berufbildungszentren voranzutreiben.

Es hiess Kostensparen. Standardisierung. Zentralisation.

Im Jahr 2010 wurden unserem Helden John Matarishvan irritierende Dokumente zugespielt, dass in den Berufbildungszentren, parallel zu seinem gesetzlich geregelten IT-Projekt Ecoweb, eine zweite Schulverwaltungssoftware entwickelt werde, ohne Regierungsauftrag, unter Umgehung der IT-Beschaffungsgesetze, durch Steuergelder und Splitterrechnungen phynanziert, und unter dem Tisch im Internet vermarktet. Das Besondere, die Software wurde gestückelt entwickelt. Jede der sieben Berufbildungszentrum entwickelte ein Modul, Noten, Absenzen, Qualifikation, Stundenplan etc. Dementsprechend bezahlte jede Schule ein Modul. Eine Unzahl von Splitterrechnungen, Scheinrechnungen, und nicht vorhandenen Rechnungen. Es existierte keine Projektdokumentation. Ein seriöses Controlling war wegen den Silo-Strukturen nicht möglich. Verträge existieren keine. Auftrag auch keiner. Diese Schulverwaltungssoftware wurde über das Internet vermarktet.

Soweit sprechen Ḿir noch entlang der Wahrheit.

Für sieben Berufbildungszentren zwei nahezu identische Schulverwaltungslösungen zu entwickeln, das darf als Verschwendung von Steuergeldern bezeichnet werden? N-nein? J-ja? In einem verrückten Land gilt als Norm, was in einem anderen Land Strafsache.

Faktencheck.