Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels - Karolin Freund - kostenlos E-Book

Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fastnachtspiels E-Book

Karolin Freund

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Beschreibung

Hans Sachs gilt als der produktivste deutschsprachige Dichter des 16. Jahrhunderts. In seinen 85 Fastnachtspielen integriert er das Selbstgespräch einer Bühnenfigur, den Theatermonolog, ca. 350 Mal. Diese literarische Technik fehlt im älteren Bestand der Nürnberger Fastnachtspielüberlieferung indes gänzlich. Der Band geht der Frage nach den literarhistorischen Voraussetzungen und der kulturhistorischen Bedeutung des Theatermonologs nach. Die Analyse ausgewählter Fastnachtspiele wird u.a. von Untersuchungen der Aufführungsbedingungen in Nürnberg und des Autorschaftskonzepts von Hans Sachs umrahmt.

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Karolin Freund

Der Theatermonolog in den Schauspielen von Hans Sachs und die Literarisierung des Fasnachtspiels

Narr Francke Attempto Verlag Tübingen

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.

DOI 10.2357/9783772056659

 

 

Dieses Werk ist lizensiert unter einer Creative Commons Lizenz: Namensnennung – Nicht kommerziell – keine Bearbeitungen 4.0 International (CC BY-NC-ND 4.0)

 

 

© 2018 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 • D-72070 Tübingen www.francke.de • [email protected]

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

E-Book-Produktion: pagina GmbH, Tübingen

 

ePub-ISBN 978-3-7720-0091-1

Inhalt

VorwortTeil A: Grundlegung1 Einleitung1.1 Vorgehen und Thesen1.2 Forschungsstand zum Monolog und zur Dramentechnik von Hans Sachs2 Monolog2.1 Typologie2.2 Monologanalyse in G 57 Die alt verschlagen Kuplerin mit dem Thumbherrn im Vergleich zur vorreformatorischen Fastnachtspiel-VorlageTeil B: Poetologiehistorische Untersuchung1 Gattungsverständnis in der humanistischen Gelehrtenkultur1.1 Komödie1.2 Tragödie2 Gattungsverständnis von Hans Sachs3 Tragedis und Comedis der Jahre 1527–15363.1 Nichtadaptierte Monologformen: Überbrückungsmonolog und Affektdarstellung in Lucretia und Virginia3.2 Expositionsmonolog, Simultanmonolog, Auftrittsmonolog und Fremdcharakterisierung im Pluto3.3 Zutrittsmonolog, Abgangsmonolog, Enthüllung, Selbstcharakterisierung, Zeitsprung, Ortswechsel und Komik im Henno3.4 Auftritt-Abgangs-Monolog im Judicium Paridis und Hester3.5 Zwischenfazit4 Tragedis und Comedis 1545–15494.1 Dekameron4.2 Komik im Monechmo5 ZusammenfassungTeil C: Einzelanalysen ausgewählter Fastnachtspiele1 Exemplarisches Erzählen in G 23 Der jung Kauffman Nicola mit seiner Sophia2 Figurenkonzeption in G 22 Der farendt Schuler im Paradeiß3 Ort und Zeit in G 51 Der Ewlenspiegel mit den blinden4 Komik in G 40 Der ParteckensackTeil D: Kulturhistorische Untersuchung1 Aufführungsform und Monolog1.1 Die Bühnenform1.2 Meistersinger und Theater1.3 Simultanbühne und sukzessive Verwandlungsbühne1.4 Lese- oder Aufführungstext1.5 Die Bühne des Fastnachtspiels1.6 Einzelanalysen2 Rezipient und Autor2.1 Mehrfachbearbeitung des Stoffes das Kälberbrüten2.2 Mediale VermittlungsformenSchlussLiteraturverzeichnisAusgaben und DruckeSekundärliteraturAnhang: Auflistung aller Monologe1. Von der Eygenschafft ...

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Herbstsemester 2014/15 als Dissertationsschrift an der Universität Basel angenommen. Sie ist im Rahmen des SNF-Projektes „Der Theatermonolog und die Literarisierung des Fastnachtspiels bei Hans Sachs“ entstanden. Für die Drucklegung wurde sie gekürzt und geringfügig überarbeitet. Der Schweizerische Nationalfonds hat das Projekt und die Drucklegung finanziell gefördert.

Guter Gewohnheit folgend soll an dieser Stelle der Erstbetreuer die gebührende Anerkennung finden. Mein langjähriger Förderer und Doktorvater Gert Hübner wird die Arbeit indes nicht mehr in gebundener Form in den Händen halten können. Doch ohne seine ausdauernde Unterstützung wäre die Arbeit nicht zustande gekommen. Gert Hübner hat sowohl mein Studium als auch die Promotionsphase wie kein anderer geprägt. Er ließ keinen Zweifel daran, in welche Richtung das Projekt gehen sollte, gewährte mir jedoch die nötigen Freiheiten und – das scheint mir aus heutiger Sicht das Wichtigste – schenkte mir stets sein Vertrauen.

Das Korreferat hat umstandslos und ohne zu zögern Cora Dietl übernommen. Für das unkomplizierte und keinesfalls selbstverständliche Vorgehen möchte ich ihr herzlichst danken. Zu Dank verpflichtet bin ich auch den Herausgebern der Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur, die den Band in ihre Reihe aufgenommen haben.

Katharina Weber, Sophia Gröschke, Gunter Heiß und Germain Keogh danke ich für die mühsame Arbeit des Korrekturlesens, Michael Schaffhauser für die vielen kritischen Nachfragen und anregenden Diskussionen über das Projekt.

 

Der plötzliche Tod meines Doktorvaters hat mich gelehrt, dass die Menschen, die mich täglich begleiten, für ein erfülltes Leben wichtiger sind als die Länge der Publikationsliste. In diesem Sinne gilt mein letzter Dank meinen Freunden und meiner Familie, insbesondere Vinzenz mit meinen Kindern Marlene, Jonathan und Karl.

 

Jena, im November 2018    K.F.

Teil A:Grundlegung

1Einleitung

Hans Sachs galt bei seinem Tod 1576 als der bekannteste deutschsprachige Dichter. In der Gegenwart blüht das Interesse an seinem Werk regelmäßig zu seinen großen Jahrestagen auf, zuletzt im Jahr 1994. Die Beiträge des Pirckheimer-Jahrbuchs Hans Sachs im Schnittpunkt von Antike und Neuzeit geben einen aktuellen Überblick, wie der humanistische Einfluss auf die Dichtung von Sachs eingeschätzt wird: stoffliche Anleihen aus der antiken und humanistischen Literatur sind eindeutig, jedoch stellen die inhaltlichen und formalen Unterschiede zwischen der humanistischen Dichtung und der von Sachs eine unüberwindbare Grenze dar.1

Probleme, die sich aus dieser strikten Grenze für das humanistische Sachs-Bild ergeben, hat Dieter Wuttke angesprochen. Seine Ausführungen von einem gemeinsamen „Wertekanon“2 bilden die Grundlage, nach der auch der Einfluss der humanistischen Gelehrtenkultur auf die Gattung Fastnachtspiel untersucht wird.

Trotz der im Pirckheimer-Jahrbuch beschriebenen Grenze, sind die Adaptionen vom Humanistendrama auf die Tragedis und Comedis, wie sie zuletzt Barbara Sasse für die Veränderungen der textuellen Struktur in den Dramen von 1527–1536 nachgewiesen hat,3 Forschungsgegenstand. Das Fastnachtspiel wird von diesem Adaptions-Prozess jedoch ausgenommen.4 Stattdessen werden, auch in neueren Arbeiten, die Fastnachtspiele von Sachs in Kontinuität mit dem vorreformatorischen Fastnachtspiel gesehen, eine Sichtweise, die zuletzt Martin Przybilski anbot:

Sachs bedient sich des gleichen Figurenrepertoires und der gleichen rhetorischen Mittel wie seine Vorgänger – insbesondere wiederum wie Folz – und er schöpft auch ganz ähnliche literarische und außerliterarische Wissensarchive aus wie sie schon in den älteren Spielen, auch hier vor allem von Folz, genutzt worden waren. Letztlich ist auch seine Intention nicht allzu weit von derjenigen der früheren Autoren entfernt, dient doch eine ganze Reihe folzscher wie sachsscher Spiele sowohl dem subversiven Verlachen tatsächlicher oder angemaßter Herrschaftsmacht und Herrschaftswissens als auch der Präsentation divergenter Bestände gelehrter Tradition […].5

Diese Arbeit geht grundlegend einer entgegengesetzten Annahme nach. Danach knüpfte Sachs 1517, als er sein erstes Fastnachtspiel6 verfasste, zwar an eine lebendige Nürnberger Tradition an. Nachdem im Zuge der Reformation die Fastenzeit 1525 faktisch abgeschafft wurde, verlor das Fastnachtspiel aber seine daran gebundene Funktion. Damit endete eine Tradition, die vor allem im Hinblick auf die frühe Verschriftlichung im deutschsprachigen Raum ihres gleichen sucht. Aus vorreformatorischer Zeit sind 130 Fastnachtspiele erhalten, wovon 109 aus Nürnberg stammen.7 Sachs dichtete seine Fastnachtspiele allerdings mehrheitlich erst in den 1550er Jahren. Als er in der ab 1558 erschienenen Folio-Ausgabe seiner Werke das Fastnachtspiel als ‚nützlich‘ und ‚kurtzweilig‘ charakterisiert,8 gibt er eine Zuordnung, mit der er das Fastnachtspiel explizit als eigene schwankhafte Dramengattung herausstellt. Das von Sachs maßgeblich eingebrachte gattungskonstituierende Merkmal soll in dieser Arbeit mit dem Begriff ‚Literarisierung‘ beschrieben und analytisch greifbar gemacht werden.

Anhand einer Zusammenfassung von Eckehard Catholy zur Entwicklung des Fastnachtspiels lässt sich einerseits zeigen, wie der Begriff ‚Literarisierung‘ zu verstehen ist, und andererseits, worin der wesentliche Unterschied zu Catholy und Przybilski liegt:

Wenn sich ein neuer Typus, wie er für die künftige Entwicklung des Dramas schlechthin charakteristisch werden sollte, gerade im Fastnachtspiel herausgebildet hat, so liegt es daran, daß Sachs im Handlungsspiel des 15. Jahrhunderts jene Ansätze fand, die ihm erlaubten, in Richtung auf ein geschlossenes Drama weiterzugehen.9

Unter Literarisierung ist ein Entwicklungsprozess des Fastnachtspiels zum Literaturdrama zu verstehen, der mit Hans Rosenplüt und Hans Folz begann, als sie „literarisch Geformtes“10 in eine rituelle Spielform einbrachten, und der von Sachs unter Einfluss von Literaturtraditionen weiterentwickelt wurde. Im Unterschied zu Catholy wird in dieser Arbeit hingegen gattungspoetologisch die Entwicklung des Fastnachtspiels unter dem Einfluss der humanistischen Gelehrtenkultur herausgearbeitet, die für die Präsentation von Inhalt und Struktur erst das Formenrepertoire bereitstellte, mit dem Sachs das Fastnachtspiel zur schwankhaften Dramengattung wandeln konnte. Demzufolge ist dieser innovative Transfer poetologischer Techniken durch Sachs vor dem Hintergrund eines grundlegend gewandelten Verständnisses von Fastnacht und Fastnachtspiel zu sehen, der wesentliche Gründe dafür liefert, dass es keine kontinuierliche Entwicklungslinie vom vorreformatorischen Fastnachtspiel zu Sachs gab, wie sie Catholy und Przybilski sehen.

Die Bedeutung der humanistischen Gelehrtenkultur für die Literarisierung des Fastnachtspiels ergibt sich aus den markanten strukturellen und inhaltlichen Veränderungen im Vergleich zu den Fastnachtspielen, die bis 1549 entstanden. Im Zeitraum 1527–1549 widmete sich Sachs weniger dem Fastnachtspiel, sondern hauptsächlich der Dichtung seiner Tragedis und Comedis, die vor allem auf neulateinischen und antiken Vorlagen und dem Dekameron beruhen. Daraus folgt die Annahme, dass Sachs nicht nur stoffliche, sondern auch formale Anleihen aus der humanistischen Gelehrtenkultur im direkten Übertragungsprozess in seine Tragedis und Comedis übernahm und weiterführend selbstständig ohne Bindung an die Vorlage in das Fastnachtspiel integrierte.

Die Erarbeitung einer historischen Tiefendimension, die die tatsächliche produktionspoetische Kompetenz plausibel nachzeichnet, setzt die Beschränkung auf ein Einzelphänomen voraus. Hierfür eignet sich der Theatermonolog in besonderer Weise, weil das monologische Selbstgespräch einer Bühnenfigur in großer Zahl und Vielfalt in den Werken von Sachs vorzufinden ist – im älteren Bestand der Nürnberger Fastnachtspielüberlieferung fehlt diese literarische Technik dagegen ganz; hier gibt es nur Ansprachen ans Publikum, vor allem in Prologen und Epilogen.11

Unter allen Literarisierungsphänomenen ist das Selbstgespräch als ausgesprochen ‚künstliche‘ Technik der Innenweltdarstellung auf der Bühne das markanteste, das sich in den erhaltenen 85 Fastnachtspielen von Sachs 347 Mal nachweisen lässt.

1.1Vorgehen und Thesen

Teil A dieser Arbeit entfaltet im Anschluss an definitorische Fragen eine phänomenologische Beschreibung dieser Monologe, indem eine Typologie bereitgestellt wird, die aus allen Fundstellen monologischer Figurenreden in den Fastnachtspielen erarbeitet wurde. Sie kategorisiert die handlungsbezogenen und strukturell-gliedernden Funktionen, die im Anschluss in einer exemplarischen Vergleichsanalyse des Fastnachtspiels G 57Die alt verschlagen Kuplerin mit dem Thumbherrn mit seiner vorreformatorischen Fastnachtspiel-Vorlage dargestellt werden.

Die exemplarische Beschränkung auf den Monolog ermöglicht die Berücksichtigung weiterer literarhistorischer Horizonte und ihrer Traditionszusammenhänge, wie sie die Untersuchung der Tragedis und Comedis aus den Jahren 1527–1549 und ihrer Vorlagen in Teil B dieser Arbeit liefert. Aufschlussreich ist hier der Vergleich des jeweiligen Spieltextes mit seiner unmittelbaren Textvorlage indes nur in Relation zur postulierten Entwicklung der poetologischen Kompetenz, verstanden als einem sowohl rezeptiven als auch produktiven Aneignungsprozess. Entsprechend wird dafür die in den Fastnachtspielen verwendete Monologtechnik auf ihre mögliche Grundlegung in den Comedis und Tragedis hin befragt. Als Untersuchungsfolie dient die aus den Fastnachtspielen abgeleitete Monolog-Typologie. Den für die Fastnachtspiele maßgeblichen Aneignungsprozess in den Jahren vor 1550 zu sehen, gründet darin, dass Sachs 1544 den Monolog im Fastnachtspiel zum ersten Mal verwendete und bis 1549 nur weitere sechs Male einsetzte, danach hingegen extensiv.

Teil B der Arbeit begründet die These: Hans Sachs hat die verschiedenen Monologfunktionen aus den neulateinischen und antiken Vorlagen und aus dem Dekameron in die Tragedis und Comedis der Jahre 1527–1549 transferiert und für sich soweit adaptiert, dass er sie selbstständig im Fastnachtspiel, hier nun auch ohne Monologvorlagen, einsetzen konnte. Unter dem Aspekt der Verfahrensweisen verdankt sich die Literarisierung des Fastnachtspiels deshalb poetologiehistorisch den Angeboten der humanistischen Gelehrtenkultur.

 

Teil C dieser Arbeit wendet sich der exemplarischen Analyse der Monologfunktionen in Fastnachtspielen zu, davon haben drei Fastnachtspiele eine epische Vorlage – Johannes Paulis Schimpf und Ernst, Ulenspiegel und das Dekameron – und eines keine Vorlage. Die Differenzierung zwischen schwankhaft-unterhaltsamer Handlung (delectatio) und expliziter Moralisierung (utilitas) kann in diesem Zusammenhang durch poetologisch genauere Analysen abgelöst werden, so dass jeweils an einem Fastnachtspiel exemplarisches Erzählen, die Figurenkonzeption, die Vermittlung von Zeit und Ort und die Erzeugung von Komik nachgezeichnet wird.

Teil C liegt die These zugrunde: Weil die Texte ihre Vorlagen eher aus der volkssprachlichen Literaturtradition beziehen oder, im Unterschied zu den Comedis und Tragedis, gar keine unmittelbare Textvorlagen haben, wird die poetologische Dimension nun gewissermaßen von der stofflichen Bindung an die Rezeption antiker und neulateinischer Dramen abgelöst. Sachs setzt die poetologischen Kompetenzen für die Monologtechnik im Fastnachtspiel weitgehend selbstständig ein, um schwankhafte Handlungskonstruktionen mit lehrhaftem Gehalt zu vermitteln.

Damit wird ein Prozess greifbar, bei dem die über die Textvorlagen der Comedis und Tragedis vermittelte humanistische Formkultur und die reformatorisch geprägte Wissensvermittlung auf durchaus eigenständige Weise zu funktionaler Konvergenz gebracht werden.

 

Das Jahr 1550 markiert eine Grenze, die eine Erweiterung des poetologiehistorischen Anteils der Untersuchung um einen kulturhistorischen erfordert. Von diesem Zeitpunkt an ist es Sachs und seiner vom ihm geleiteten Spieltruppe möglich, seine dramatischen Werke auf einer festen Bühne aufzuführen. Von der Rekonstruktion der Bühne und Spielorte abgesehen, stellt sich damit die Frage, wie sich in der Anlage der Fastnachtspiele Form und Funktion des Monologs zu einer vom Zuschauerraum abgegrenzten Bühnenform verhalten.

Die These für den ersten kulturhistorischen Untersuchungsabschnitt D (1) lautet: Der in der Comedi- und Tragedi-Produktion vollzogene Aneignungsprozess der poetologischen Techniken findet in der festen Bühnenform die notwendige Grenze zum Publikum, um mittels Sukzession und Konzentration eine geschlossene Handlungskonstruktion mit fiktiver Spielrealität aufführbar zu machen. Der Monolog sichert das Verständnis der Rezipienten für den Fortgang der Handlung.

Der zweite kulturhistorische Abschnitt greift die zwischen Autor und Rezipienten wechselseitig vermittelten Konventionen und Codes auf. Das Fastnachtspiel wird in eine vergleichende Untersuchung einbezogen, mit der die Mehrfachbearbeitungen desselben Stoffes – das Kälberbrüten – analysiert werden: Als Meisterlied, Spruchgedicht und Fastnachtspiel. Gefragt wird, in welcher Weise Sachs unterschiedliche mediale Vermittlungsformen und Rezipientengruppen bediente und welche Funktionen dem literalisierten Fastnachtspiel dabei zukommen.

Die These für Untersuchungsabschnitt D (2) lautet: Die Literarisierung des Fastnachtspiels gewinnt ihre kulturelle Bedeutung zusätzlich zur Vermittlung von Stoffen aus der gelehrten Bildungstradition an ein bildungsferneres Publikum aus der Einübung davon abgelöster, auf Stoffe einfacherer volkssprachlicher Gattungen projizierter literarischer Verfahrensweisen. Neben die Übereinstimmungen in den tugendethischen Konzeptionen mit der humanistischen Gelehrtenkultur tritt die produktive Rezeption literarischer Verfahrensweisen, mit der der poetologisch kompetente Autor auch die Rezeptionskompetenz seines Publikums schult.

 

Ausgehend von einer Typologisierung der Monologfunktionen wird somit in dieser Untersuchung anhand der Aneignung und der Anwendung des Monologs als wesentliches Signum der Literarisierung des Fastnachtspiels ein Prozess rekonstruiert, der Teil einer literalen Strategie und damit auch eines Autorschaftsbildes wird, bei dem der Autor neben der Stoffvermittlung auch eine Formvermittlung im Sinn hat.

Dokumentiert wird eine sicher nicht hochkomplexe, aber doch als solche identifizierbare verfahrenstechnische Humanismusrezeption durch Sachs, mit der er sich in der Spannungssituation eines ‚hypoliteralen‘ Publikums zwischen Oralität und Literalität auch als ‚medialer Übersetzer‘ gelehrter Literaturtraditionen in die Theatralität zeigt.

Die phänomenologische Bestimmung des produktionspoetologischen Prozesses basiert auf der jeweiligen Textgestalt der Fastnachtspiele und macht den Aneigungsprozess einer Literaturtradition anhand des Einzelphänomens ‚Theatermonolog‘ greifbar.

Die Analyse poetischer Techniken in Fastnachtspielen ist in älteren quellengeschichtlichen Untersuchungen, die alle drei Dramentypen in den Blick nehmen, und der bisherigen jüngeren Forschung, die sich auf die Dramentechnik in den Comedis und Tragedis einschließlich ihrer historischen Voraussetzungen fokussiert, ein Forschungsdesiderat geblieben, wenngleich es anschlussfähige Grundlagen gibt.

1.2Forschungsstand zum Monolog und zur Dramentechnik von Hans Sachs

Von der frühen Sachs-Forschung1 des beginnenden 20. Jahrhunderts sind die Arbeiten von Eugen Geiger Hans Sachs als Dichter in seinen Fastnachtspielen im Verhältnis zu seinen Quellen betrachtet (1904), Erwin Roessler The soliloquy in German drama (1905) und Helene Fernau Der Monolog bei Hans Sachs (1922) zu besprechen. Leonhard Lier hebt zwar die Unterschiede innerhalb der dramatischen Gattungen hervor, führt aber nicht weiter aus, weshalb Sachs im Fastnachtspiel „dem Begriffe des Dramas näher“ gekommen ist, „als in seinen anderen dramatischen Werken.“2

Geigers Untersuchung nimmt sich zum Ziel, die Leistung von Sachs als Dramatiker darzulegen. Dafür vergleicht er die Fastnachtspiele, welche er als die „dramatisch vorzüglichsten Produkte“3 sieht, mit deren Quellen. In ihnen habe Sachs das Wesen des Dramas erkannt, weil er Gefühle erst auf der Bühne entstehen lasse. Die Darstellung der Reflexe und des Wollens seien für das Drama ebenso entscheidend wie die Motivation, nach der Katastrophe zu einem schnellen Ende zu finden, bewusste Spannungserzeugung und die Darstellung der Figuren als Charaktere.4 Einschränkend sei das Fehlen von theoretischen Kunstregeln der Dramatik, weshalb Geiger schlussfolgert, Sachs habe von keinem „wichtigeren Gesetz eine bewußte Ahnung“5 gehabt, so dass eine Dramentechnik nur in Anfängen zu finden sei. Die Funktion des Monologs sieht Geiger in der Ausarbeitung von Reflexen und Motivationen, weil es Sachs wichtig gewesen sei, „den Charakter der wichtigeren Personen wenigstens in Umrissen bekannt zu geben, und zwar am liebsten in einem Monologe.“6

Erwin Roessler behandelt in seiner Untersuchung zur Entwicklung des Monologs im deutschen Drama7 alle drei dramatischen Gattungen. Sein Hauptaugenmerk liegt auf dem Expositionsmonolog, dessen einfachste Form bei Sachs und seinen Zeitgenossen zu finden sei, denen er eine unreife Technik unterstellt.8 Der Monolog finde immer dann Verwendung, wenn Unklarheiten beseitigt werden müssten. Damit antworte der Autor auf mögliche Fragen, bevor sie entstehen könnten. Zusätzlich ersetze der Monolog die nicht vorhandene Szenerie und helfe dadurch dem Verständnis der Rezipienten.9

Im Gegensatz zu den Vorgenannten hat einzig Helene Fernau dem Monolog bei Hans Sachs in den Tragedis, Comedis und Fastnachtspielen eine komplette Untersuchung gewidmet. Ihre Arbeit bildet den Grundstein für weitere Auseinandersetzungen auf der figurenbezogenen Ebene. Für sie unterscheiden sich die Monologe der Fastnachtspiele und der Tragedis und Comedis voneinander wegen der Handlungssphäre, der Ausdehnung der Handlung, dem Grundcharakter der Fabel und der äußeren Struktur der Stücke.10

Ihr grundsätzlicher Ansatz, den Monolog nach Funktionen zu ordnen, wird auch in der vorliegenden Arbeit – allerdings mit Änderungen – übernommen. Fernau unterscheidet technisch bedingte und auf die Handlung bezogene Monologe. Für die Handlung nennt sie acht Typen: Anfangsmonolog, Schlussmonolog, Selbsteinführungsmonolog, Berichtmonolog, Offenbarungsmonolog, Reflexionsmonolog, Affektmonolog und Entschlussmonolog.11 Die technisch bedingten lassen sich auf drei Typen eingrenzen: Eckmonolog, Brückenmonolog und Verknüpfungsmonolog.

Mit Blick auf handlungsbezogene Monologe bemerkt Fernau richtig, dass sich die wenigsten auf eine Funktion reduzieren ließen, so etwa der Berichtmonolog, der „immer in eine Reflexion über die eigene Lage, einen Affekt oder einen Entschluss“12 übergehe.

Der letzte Teil von Fernaus Untersuchung widmet sich der Frage, ob Sachs den Monolog aus anderen dramatischen Vorlagen entlehnt haben könnte. Zur Beantwortung bezieht sie sich sodann allein auf die Tragedis und Comedis der Jahre 1527–1531 und kommt zu dem Ergebnis, dass Sachs, abgesehen vom Eckmonolog, den sie auf Reuchlin zurückführt, bei allen anderen Monologtypen in Gestaltung und Anwendung selbstständig gewesen sei.13 Nur mit Einschränkungen sieht Fernau den Monolog als Teil einer Dramentechnik. Für sie ist das Vorhandensein der technisch bedingten Monologe ein Zeugnis der „noch unentwickelten Dramentechnik“14. Zwar vermag sie, wie schon Geiger und Roessler, damit verschiedene Funktionen der Monologe herauszuarbeiten, nicht aber diese in eine literarische Tradition zu stellen, obwohl sie, im Gegensatz zu früheren Untersuchungen, den Bezug zu Reuchlin erkennt.

 

Eckehard Catholy widmet sich in drei Arbeiten der Entwicklung der Gattung Fastnachtspiel. Die Besonderheit der Fastnachtspiele von Hans Sachs sei ihre „geschlossene dramatische Struktur“15, die sie in die Nähe des Lustspiels rückten. Allerdings habe Sachs auch hier keine „klare Vorstellung vom Wesen des Dramas“16 gewonnen. Es existiere kein „übergeordnetes Abstractum ‚Drama‘“.17 Weil Catholy eine bruchlose Entwicklung vom vorreformatorischen Fastnachtspiel zu dem von Sachs erkennen will, verortet er es eher beim Schwank und Dialog als bei den Tragedis und Comedis. Die Fastnachtspiele und Schwänke stünden mehr in der mittelalterlichen, die Comedis und Tragedis hingegen in der humanistisch-gelehrten Tradition.18

Zum Monolog meint Catholy, dass die Eingangsrede, die im vorreformatorischen Fastnachtspiel vom Praecursor gesprochen wurde, bei Sachs „zu einem echten Monolog innerhalb der Handlung [wird], der außerdem oft eine dramaturgische Funktion hat: Exposition, Spannungserregung etc.“19 Die Beziehung zwischen Publikum und Schauspielern sei nicht so eng verwoben wie im 15. Jahrhundert; im Gegenteil: Die Monologe innerhalb der Handlung bewirkten ein Trennung von Publikum und Spiel, womit Sachs versucht habe, die Realitätsfiktion zu festigen.20

Könneker schließt sich weitgehend Catholy an.21 Neu in ihrer Arbeit ist die Unterteilung der Fastnachtspiele in drei Gruppen: 1. Spiele mit betont lehrhaftem Charakter, 2. Spiele mit realistischem zumeist schwankhaftem Inhalt und 3. Gestaltung von Szenen aus dem alltäglichen Leben.22 Dabei folgt sie nicht Catholys Abgrenzung zu den Comedis und Tragedis, sondern hebt vielmehr deren Gemeinsamkeiten hervor. Die Fastnachtspiele der zweiten Gruppe wiesen „formal und aufbautechnisch ähnliche Charakteristika wie die Sachsschen Komödien und Tragödien“23 auf und die der dritten Gruppe wiesen eine „vollkommene Gestaltung des dramatischen Spiels“24 auf, weil sich Sachs hier auf eine einzige Situation beschränke und so die Einheit von Zeit und Ort wahre, womit er eine Geschlossenheit der Darstellung erreiche.

Zur Dramentechnik äußert sich Könneker nur in Bezug auf die Tragedis und Comedis. Ihre Entwicklung teilt sie in drei Epochen auf, wobei sie für die zweite Epoche, die sie von 1545–1556 ansetzt, eine vollständige Ausbildung seiner „eigentümliche[n] dramatische[n] Technik“25 feststellt.

 

Erst nachfolgende Arbeiten untersuchen die Dramentechnik, gehen hierbei aber nicht auf das Fastnachtspiel ein. Eine Ausnahme ist hier die Untersuchung von Ingeborg Glier, die den Stellenwert der Fastnachtspiele nur im „Verband der anderen Spieltypen“26 beurteilt. Nach Glier könne Sachs für alle drei Dramengattungen eine „eigenständige Poetik“27 für sich reklamieren. Er gehe konsequenter als seine Zeitgenossen und nachvollziehbar mit den Bezeichnungen Fastnachtspiel, Tragedi und Comedi um, weil sie auf einer „Reihe von normativen Zielvorstellungen“28 gründeten. Das Fastnachtspiel sei hiervon am stärksten geprägt, während die Comedi in Richtung Tragedi und Fastnachtspiel am durchlässigsten sei.29 Die Funktion der dramatischen Werke sei letztlich „Gebrauchskunst“30.

Florentina Dietrich-Bader weist in ihrer Arbeit zur dramatischen Bauform vom 16. Jahrhundert bis zur Frühaufklärung an Sachs und Wickram die ‚nicht-aristotelische‘ Dramatik des 16. Jahrhunderts mit dem hohen Grad an Tendenzdichtung nach.31 Dafür bezieht sie sich auf Spieltexte und Brechts Schriften zum epischen Theater, dem der Begriff ‚nicht-aristotelische Dramatik‘ zuzuschreiben ist. Wenn Niklas Holzberg dazu bemerkt, „daß die Verfasserin mit ihrer vordergründigen Analogie zwischen Brecht und der Dramatik des 16. Jahrhunderts deutlich Gefahr läuft, unter umgekehrten Vorzeichen denselben Fehler zu begehen wie die ältere Forschung, nämlich die Dramen einer vergangenen Epoche am Theatergeschmack der eigenen Zeit zu messen“,32 so ist dem nur zuzustimmen. Die dramatische Technik von Sachs analysiert Dietrich-Bader anhand von punktuell ausgewählten Schauspielsequenzen. Ob sie dabei die Fastnachtspiele mit einbezieht, ist unklar, weil sie sie nicht explizit von anderen Formen abgrenzt.33 Vorherrschend für die Dramentechnik, so Dietrich-Bader, sei die „Nutzanwendung für das tägliche Leben“, an der sowohl die Ansprachen an die Rezipienten in Prolog und Epilog als auch die Auswahl des Stoffes und seiner Handlung ausgerichtet seien.34 Vor dem Hintergrund, dass der Stoff „nur Veranschaulichung für die Moraltheorie der Autoren“35 sei, müssen auch ihre Ausführungen zur Gliederung der Spielhandlung gesehen werden. Dietrich-Baders richtige Feststellungen, dass im Drama von Sachs und Wickram die Figuren es sind, die große Teile der Handlung erzählen, kulminieren jedoch in der Brechtschen Auslegung, dass „durch das Ausschalten visueller Hilfsmittel einer Lähmung der Ratio entgegengearbeitet wird, [was] die besten Voraussetzungen dafür [sind], dass sich der rationale Charakter auf die gesamte Ausgestaltung des stofflichen Vorwurfs ausdehnen kann.“36 Damit liegt Dietrich-Baders Arbeit ein Fehlschluss zugrunde, der es nahezu unmöglich macht, ihre durchaus richtigen Ansätze zur Gliederung der Handlung37 und zum lehrhaften Gehalt der Dichtung weiterführend zu verwenden.

 

Allein die Dramentechnik sich zum Untersuchungsgegenstand nehmend, bewerten die Arbeiten von Helmut Krause und Dorothea Klein den Zusammenhang von Lehre und Technik entgegengesetzt. Während nach Krause die Technik zum Verständnis der abschließenden Lehre beitrage, sieht Klein die Lehre losgelöst von der Dramenhandlung.

Nach Krause ist für Sachs das Theater ein Medium der Gesellschaftslehre. Der hierfür erforderlichen rationalen Bewusstseinshaltung entspreche eine rationale Dramaturgie.38 Im Zentrum aller dramaturgischen Überlegungen stehe der Zuschauer, auf den alle dramentechnischen Überlegungen verwiesen;39 so auch der Monolog, der eine „Zusammenfassung vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Geschehens“40 sei. Mit der Einfügung der Lehre in den Monolog und damit in die Handlung werde „der Zuschauer durch die Zusammenfassung des vorangegangenen Spielgeschehens zu einer kritischen Reflexion desselben angehalten“, soll aber auch „durch den so gewonnen Kausalzusammenhang und die Andeutung kommenden Handlungsgeschehens zu einer distanzierten Beurteilung der folgenden Darstellung veranlasst werden.“41

Klein zufolge orientiert sich die dramatische Technik von Sachs formal am Humanistendrama. „Prolog und Argument, Botenbericht und Monolog als Möglichkeit von Standortbestimmung, die Aufteilung des dramatischen Gesamtgeschehens auf dargestellte und szenisch ausgesparte Handlungsteile, das Nacheinander von Schauplätzen und Aktgrenzen“ seien jene dramaturgischen Mittel, die Sachs verwende und „mit denen die Humanisten bei ihren theatralischen Versuchen operierten.“42 Die formale Trennung von einem erzählenden und einem deutenden Teil sei, so Klein, die eigentliche Dramentechnik. Diese Zweiteilung finde sich sowohl in den Meisterliedern, Spruchgedichten und Fabeln als auch in den Fastnachtspielen, Comedis und Tragedis. Delectare und prodesse verteilten sich auf Hauptteil und Epilog, wobei die Freude dem Spielgeschehen und die Lehre dem Epilog zugerechnet werde.43

Anhand der von Klein vorgenommenen Analyse werden zwei Bearbeitungstechniken sichtbar:44 Handelt es sich um eine längere Prosavorlage, kürze Sachs die Handlung auf die wichtigsten Momente der Erzählung zusammen, so dass das Drama „eine versifizierte Paraphrase in groben und gröbsten Zügen“45 ist. Handelt es sich bei der Vorlage jedoch um eine kurze Passage, zum Beispiel aus der Bibel, dann diene diese als „Kern, um den sich ausschmückende, erläuternde oder verdeutlichende Passagen anlagern.“46 Dabei werden einfache Feststellungen oder Andeutungen aus der Vorlage zu langen Monologen, die Gefühle und Gedanken der Figuren zeigen. In beiden Vorlagen-Typen gehe es darum, die Vorlagen „genau nachzuerzählen und gleichzeitig den Gegebenheiten des Dramas, seiner Ökonomie, Rechnung zu tragen.“47

 

Gegen die Arbeiten von Krause und Klein hat Brigitte Stuplich eingewendet, dass nicht die Dramentechnik insgesamt, sondern nur ein Aspekt betrachtet werde.48 Dagegen sei es ihr Anspruch, für „das Drama konstituierende Merkmale zu untersuchen“ und „Sachsens eigenständige Dramentechnik herauszuarbeiten“.49 Stuplichs dreiteilige Arbeit ist die neueste und zugleich ausführlichste Untersuchung zur Dramentechnik der Tragedis und Comedis. Im ersten Teil ordnet sie diese u.a. im Verhältnis zum Humanistendrama und Fastnachtspiel ein. Anders als die hier vertretene These, wonach Sachs mit der produktiven Rezeption des Humanistendramas seine poetologische Kompetenz erlangte, kommt Stuplich dabei zu dem Ergebnis, dass Sachs trotz einiger Adaptationen die Struktur und Technik der Vorlagen nicht übernommen, sondern mit seinen eigenen dramentechnischen Mitteln umgesetzt habe.50 In ihren Ausführungen zum Fastnachtspiel bezieht sich Stuplich grundsätzlich auf Catholy, stellt im Gegensatz zu ihm aber fest, dass „Sachs in seinen Fastnachtspielen dramentechnische Mittel einsetzt, die wir auch in seinen Dramen finden“ und es somit eine gewisse „Durchlässigkeit der einzelnen Gattungen“51 gebe. Außerdem „sei ein Einfluß seitens der Dramen auf das Fastnachtspiel möglich“52, weil erst in den 1550er Jahren die rege Fastnachtspielproduktion eingesetzt habe und die meisten Fastnachtspiele somit in einer Zeit entstanden seien, in der Sachs bereits Erfahrungen als Dramenautor besessen habe.

Im zweiten Abschnitt behandelt Stuplich die Grundlagen der Dramentechnik. Neben der Strukturierung geht sie auf die Aufführungstechnik, die Figuren- und Handlungskonzeption und die Kommunikation, d.h. Monolog und Dialog, ein. Ihre Ausführungen zum Monolog bauen auf einer Auseinandersetzung mit der Arbeit Fernaus und dem Ansatz von Pfister, der Monologe in aktionale und nicht-aktionale unterteilt, auf. Hier, wie bei Stuplichs Unterscheidung des Monologs in die drei Ebenen szenische Struktur, Handlungsstruktur und Figurenkonzeption, folgt ihr die vorliegende Untersuchung.53 Stuplichs grundlegende These, dass Sachs schon früh seinen eigenen technischen Stil gefunden hat, untermauert sie im dritten Abschnitt mit sechs ausführlichen Einzelanalysen, wovon Lucretia, Monechmo und Concretus in dieser Arbeit ebenfalls, allerdings mit Fokus auf den Monolog, untersucht werden.

 

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Fastnachtspiele in den vergangenen Jahrzehnten aus dem Fokus der Forschung gerieten, weil sie sich auf die historisch innovativen Potentiale der Comedis und Tragedis konzentrierte. Die Literarisierung des Fastnachtspiels, die Catholy in groben Zügen charakterisierte, einschließlich ihrer historischen Voraussetzungen bedarf nach wie vor einer Beschreibung. Die jüngeren Untersuchungen zu den Comedis und Tragedis liefern dafür eine brauchbare Grundlage, weil sie die historischen Horizonte der dramentechnischen Kompetenzen von Hans Sachs in der teils durch Übersetzungen vermittelten Rezeption antiker und neulateinischer Dramen freigelegt haben.

Die untersuchungsleitende These, dass Sachs seine poetologische Kompetenz aus der humanistischen Gelehrtenkultur erlangt hat, setzt die Durchlässigkeit der Dramengattungen voraus. Weil Stuplichs Arbeit die Dramentechnik an ein Strukturierungsprinzip des Stoffes nach Handlungseinheiten bindet und so die Darstellung der Relation von Kommunikation und Figur für die Handlungsentwicklung aufzeigen kann,54 ist sie für dieses Unterfangen eine geeignete Grundlage.

2Monolog

Die Dramenforschung gebraucht den Begriff Monolog in unterschiedlichen Bedeutungen,1 die sich aus der Abgrenzung zum Dialog erklären, weil sich bei unscharfer Definition dialogische Passagen als monologisch werten lassen. Obwohl von seinem griechischen Wortursprung her Monolog ‚Alleinrede‘ bedeutet,2 muss ein Monolog in gewissem Sinne immer dialogisch sein, damit er überhaupt gehört werden kann. Deshalb geht mit dem Monolog im Drama immer eine ausgesprochene Künstlichkeit einher. Die von Pfister erarbeiteten Kategorien des inneren und äußeren Kommunikationssystems ermöglichen eine genaue Zuordnung für den Grad der Dialogisierung, den Monologe aufweisen können.3 Dass ein Monolog im äußeren Kommunikationssystem einen Ansprechpartner – den Rezipienten – hat, bedeutet nicht zwingend, dass dieser direkt angesprochen wird.

Eine direkte Adressierung des Publikums findet sich im vorreformatorischen Fastnachtspiel. Die ad spectatores gerichteten Reden sind appellativ und konstituieren ein Gegenüber, bei dem das reale oder ein fiktives Publikum gemeint sein kann. Kennzeichnend ist die herbeigeführte Entwicklung semantischer Kontexte, eine zumindest potenzielle Eröffnung der Relation von Rede und Gegenrede. Mit der Wendung an ein Publikum verlässt die Figur die innere Spielebene, womit die Aufgabe der für den Monolog konstitutiven Selbst-Adressierung einhergeht.4 Dabei handelt es sich für die vorliegende Untersuchung um ein definitorisches Ausschlusskriterium, weshalb eine weitergehende Betrachtung der ad spectatores-gerichteten Reden hier unterbleibt.5 Das steht nicht im Widerspruch zu der Aussage, dass Monologe immer an ein Gegenüber gerichtet sind. Auch wenn Monologe nicht ohne Adressierung an ein äußeres Kommunikationssystem zu denken sind, so bleibt doch die monologisierende Figur mit ihrer Rede in der inneren Spielrealität.

Der Gegensatz zwischen Dialog und Monolog innerhalb der Spielrealität lässt sich mit dem situativen und strukturellen Differenzkriterium überwinden. Das situative Kriterium kennzeichnet eine Figurenrede, die, als ein „Sprechen im Zustand des Alleinseins“, an kein Gegenüber auf der Bühne gerichtet ist und somit die „Einsamkeit des Sprechers“6 voraussetzt. Das strukturelle Kriterium bezieht sich auf Umfang und Geschlossenheit einer Replik, wonach sich längere Solo-Reden auch als Monolog bezeichnen lassen.7 Die englische Terminologie bietet für diese unterschiedlichen Konzeptionen von Monolog die beiden Begriffe monologue und soliloquy8:

monologue is distinguished from one side of a dialogue by its length and relative completeness, and from the soliloquy […] by the fact that it is addressed to someone. […] A soliloquy is spoken by one person that is alone or acts as though he were alone. It is a kind of talking to oneself, not intended to affect others.9

Monolog als soliloquy ist das Konzept, welches der weiteren Darstellung zugrunde liegt. Ihm entspricht der Monologtyp self-addressed speech, den Hirsh wie folgt bestimmt: „The character is unaware of playgoers and speaks only to himself.“10 Voraussetzung für einen solchen Monolog im Drama ist die unausgesprochene Übereinkunft zwischen Rezipient und Autor, dass einerseits eine Dramenfigur laut denkt und dabei mit sich selbst spricht, andererseits solches Verhalten nicht pathologisch ist. Der Monolog ist folglich eine theatrale Konvention, deren Darstellungs- und Verständnisweisen bei Autor, Darsteller und Publikum vorausgesetzt werden müssen.11 Die Konvention erhält ihre Berechtigung aus den zu erfüllenden Funktionen, die in narrativen Texten das vermittelnde Kommunikationssystem des Erzählers übernimmt, während das Drama auf Figuren als sprechende Subjekte rekurriert: „Daher kann der Monolog als eine Konvention betrachtet werden, die die Abwesenheit dieses vermittelnden Kommunikationssystems im Drama kompensieren soll.“12

Als vorgängige Konvention des Dramas ist der Monolog Teil der Codes im äußeren, sekundären Kommunikationssystem, die die Kommunikation zwischen Autor und Rezipient bzw. zwischen Bühne und Publikum regeln. Das Selbstgespräch oder ‚laute Denken‘ der Figuren eines Dramas kann jedoch in Ausnahmefällen auch Teil der Informationsvergabe im inneren Kommunikationssystem, zwischen den dramatis personae, sein, etwa als Form des ‚belauschten‘ Monologs. Im Kern stellt jedoch auch diese Form ein Selbstgespräch dar, für das die Einsamkeit des Sprechers angenommen wird und das grundsätzlich nicht an andere gerichtet ist.13

Für alle Monologe gilt die Annahme: Je mehr die referentielle Funktion einer narrativen Rede im äußeren Kommunikationssystem angesiedelt ist und je weniger die Rede in der inneren Spielebene motiviert erscheint, desto stärker baut sich eine epische Vermittlungsebene auf und desto intensiver empfindet sich das Publikum als primärer Rezipient der Rede.14 So dienen bestimmte Monologtypen mehr noch als andere der Informationsvermittlung und können als ‚dramentechnische‘ Konventionen gelten, etwa zur Stückeröffnung oder der Präsentation einer ‚verdeckten Handlung‘. Grundsätzlich aber sind auch sie im inneren Kommunikationssystem verankert.

 

Daneben lassen sich alle Selbstgespräche mit Pfister in aktionale und nicht-aktionale Monologe differenzieren. Sein Vorschlag einer Dichotomisierung als Ansatz zur Klassifizierung erfolgt in Bezug auf Handlung und Situation. Das Differenzkriterium ist dabei die Relation von Rede und Handlung. „In einem aktionalen Monolog vollzieht sich im Sprechen Handlung als Situationsveränderung“,15 dies kann zum Beispiel das Entscheiden zwischen Handlungsalternativen oder auch die Aufhebung einer getroffenen Entscheidung sein.

Aktionale Monologe haben die jeweilige dramatische Situation als Ausgangspunkt der Rede und entwickeln eine Handlungsankündigung oder Handlungsvorwegnahme. Dem gegenüber stehen Monologe, die in der Rede die gerade erreichte dramatische Situation thematisieren. Nicht-aktionale Monologe vermitteln zwar Handlung, in ihnen vollzieht sich diese indes nicht unmittelbar.16Untergliedert werden müssen die nicht-aktionalen Monologe in kommentierende und informierende:

Sie unterscheiden sich durch ihren unterschiedlichen Handlungsbezug, indem in informierenden Monologen dem Zuschauer Handlungen und Sachverhalte erst zur Kenntnis gebracht, während in kommentierenden Monologen eine dem Zuschauer bereits bekannte Handlung in figurenperspektivlicher Brechung gespiegelt wird.17

Diese grundlegende Unterscheidung betrifft die textuelle, vom Autor intendierte Anlage von Monologen und nicht nur die bisher in den Mittelpunkt gerückten adressatenspezifischen, sondern auch inhaltsbezogenen Typisierungen. Insbesondere der nicht-aktionale Charakter ermöglicht es, ein eigentlich im Drama nicht vorhandenes vermittelndes Kommunikationssystem entstehen zu lassen. Es baut sich auf, „sobald die Reflexion und der Kommentar von der gegebenen dramatischen Funktion weitgehend abstrahieren und zur allgemeingültigen Maxime oder Sentenz gerinnen, oder wenn Reflexion und Kommentar den Bewusstseinsstand der Figur überschreiten.“18 Nicht-aktionale Monologe bieten dem Autor die Möglichkeit, nicht im Drama situierte Inhalte zu kommunizieren, möglicherweise gerade mittels der dem Monolog per Konvention ‚erlaubten‘ und funktional begründbaren epischen Formen der Rede.

In der Auseinandersetzung mit den funktionalen Bezügen finden sich verschiedenste Formen der begrifflichen Klassifikation, wie sie in der folgenden Typologie vorgestellt werden. Alle diese Ansätze einer Klassifikation von Monologen betonen die inhaltstragende Seite der Rede. Jedoch überlagern sich Information, Kommentar und Handlungsvollzug in je eigener Weise. Die Spezifik der situativen Einbettung kann zudem von ‚technischen‘, d.h. strukturell-gliedernden Funktionen des Monologs bestimmt oder mitbestimmt sein und ist daher bei jedem Monolog mit zu bedenken.19

2.1Typologie

Die Arbeiten von Fernau, Krause und Stuplich haben gezeigt, dass das Ordnen und Kategorisieren von Monologen dort seine Grenze findet, wo eine einzige Zuschreibung alle Merkmale eines Monologs enthalten soll.1 Pfisters Unterteilung in aktionale und nicht-aktionale Monologe ist dieser Unschärfe geschuldet und ist als Einordnung hilfreich. Sie umgeht das Problem insoweit, als hier die Einteilung der Monologe nicht mit Blick auf ihren Inhalt, sondern auf ihre Funktion hin erfolgt. Damit erfasst sie, vom Expositionsmonolog abgesehen, jede Monologform sowohl im szenischen Gefüge und als auch in Bezug auf die Handlung.

Um alle Bereiche der Funktionen abdecken zu können, muss die kategoriale Ordnung auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen. Eine erste Ebene betrifft die Position im szenischen Gefüge. Dem Monolog kommt hier eine strukturell-gliedernde Funktion zu. Sie ist nicht handlungsbezogen, sondern erfasst die Gesamtstruktur bzw. die Szenen und Akte der Schauspiele und Fastnachtspiele, weshalb für sie auch keine Beispiele angegeben werden können. Gleichwohl ermöglicht dieses Klassifizierungsschema einen ersten Überblick über die Verteilung und Positionierung.

Neben die strukturell-gliedernden treten handlungsbezogene Funktionen, die figurenspezifisch und auf der Ebene von Raum und Zeit zu klassifizieren sind. Auf der Ebene von Raum und Zeit sind es Funktionen, die nach dem Schema Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft den Stand der Handlung in Beziehung zu Zeit und Raum setzen.2

 

Tabellarischer Überblick:

strukturell-gliedernde

Funktionen

 

handlungsbezogene Funktionen

Zeit und Ort

Figur

 

 

 

Auftritt-Abgangs-Monolog

Zukunft/proleptisch

zukunftsungewiss

zukunftsgewiss

Entschluss

 

 

 

Auftrittsmonolog

Zutrittsmonolog

Expositionsmonolog

Vergangenheit/ analeptisch

Zeitsprung

Enthüllung

 

 

 

Abgangsmonolog

Gegenwart

Teichoskopie

Reflexion

 

 

 

Überbrückungsmonolog

Simultanmonolog

Ort

Ortswechsel

Selbstcharakterisierung

 

 

 

 

 

Fremdcharakterisierung

 

 

 

 

 

Affektdarstellung

2.1.1Strukturell-gliedernde Funktionen

Das Klassifizierungsschema für die funktionale Einordnung im szenischen Gefüge, nach dem eine vollständige Zuordnung aller Monologe stattfinden kann, geht grundlegend auf die Arbeit von Bruno Denzler Der Monolog bei Terenz zurück. Denzler benennt für die Differenzierung der Monologe im szenischen Gefüge fünf Monologtypen: Auftritt-Abgangs-Monolog, Auftritts-Monolog, Abgangs-Monolog, Übergangs-Monolog und Zutritts-Monolog.1 Stuplich wählt einen ähnlichen Ansatz und unterteilt die Monologe nach Eingangsmonolog bzw. einleitendem Monolog, abschließendem Monolog, Überleitungsmonolog, Überbrückungsmonolog und Monolog als eigene Szene.2 Diese Arbeit folgt den Klassifizierungsschemata von Denzler und Stuplich weitestgehend.

 

Betritt eine Figur allein die Bühne und verlässt diese wieder, nachdem sie ihren Monolog gesprochen hat, handelt es sich um einen Auftritt-Abgangs-Monolog. Durch die Abgrenzung nach beiden Seiten mit einer leeren Bühne bildet er eine eigenständige Szene und ist „für den Zuschauer deutlich als selbständige Handlungseinheit erkennbar“.3 Nachweisbar ist er in den Fastnachtspielen 66 und in den Schauspielen 113 Mal. Er dient häufig zur Darstellung eines Zeitsprungs oder eines für den Handlungsverlauf wichtigen, aber ohne Vollzug bleibenden Entschlusses. Wesentliches Merkmal des Auftritt-Abgangs-Monologs ist darum sein nicht-aktionaler Charakter.

 

Der Auftrittsmonolog stellt im szenischen Gefüge einen weniger starken Bruch dar als der Auftritt-Abgangs-Monolog, weil er nicht nach beiden Seiten abgetrennt ist, sondern in einen Dialog übergehen kann. Er dient bevorzugt der Präsentation eher „undramatisch“4 gehaltener Inhalte und eignet sich darum besonders gut für Berichte.5

Sachs lässt 30 Fastnachtspiele mit Monologen beginnen, die in der Regel expositorische Funktionen haben und in die Situation und Handlung einführen. Dieser Umstand rechtfertigt es, hier vom Expositionsmonolog zu sprechen. Zu beachten ist dabei jedoch, dass der Monolog „nie allein die Funktion der Exposition [erfüllt]. Das heißt umgekehrt, die Exposition besteht nie nur aus einem Monolog.“6

Daneben finden sich die Auftrittsmonologe zu Beginn eines Aktes oder einer Szene. Sie bieten die Möglichkeit, in Form einer Fremd- oder Selbstcharakterisierung neue Figuren einzuführen, in Form eines analeptischen Berichtes dramaturgisch relevante Informationen zu übermitteln, den Schauplatz zu etablieren oder einen Zeitsprung zu signalisieren.7 Im Fastnachtspiel bildet der Auftrittsmonolog die mit 146 Nachweisen am häufigsten zu findende Monologart. Gleiches gilt für die Tragedis und Comedis, in denen Sachs 401 Auftrittsmonologe integriert. Im Vergleich zu den Fastnachtspielen beginnen weniger Schauspiele mit Monologen: Von den insgesamt 128 sind es 35 mit Monolog am Beginn.8 Dies liegt möglicherweise am vorangehenden Prolog, dessen narrativer Gehalt eine Exposition mittels Monolog weniger notwendig macht als im Fastnachtspiel.

Eine Variante des Auftrittsmonologs ist der Zutrittsmonolog. Die monologisierende Figur betritt die Bühne, auf der sich bereits eine Figur befindet. Die monologisierende Figur sieht in den meisten Fällen die andere Figur, wird selbst jedoch nicht bemerkt. Sachs verwendet diesen Monologtyp relativ selten. Die Mehrzahl hat Sachs aufrund der antiken und neulateinischen Dramenvorlagen in seine Schauspiele integriert. Während die Tragedis und Comedis 32 Zutrittsmonologe aufweisen, sind im Fastnachtspielkorpus lediglich 9 zu finden. Davon sind drei im Fastnachtspiel G 57, das auf einer Fastnachtspielvorlage beruht und im Anschluss analysiert werden soll, eingesetzt.9

 

Der Abgangsmonolog bildet das Ende einer Szene oder das Ende des Fastnachtspiels, das, anders als die Schauspiele ohne Epilog endet. Der das Fastnachtspiel beschließende Monolog ist jedoch einem Epilog ähnlich, indem er in einigen Fällen das Publikum mit einbezieht, häufig mit Lehren aufwartet und in jedem Fall die Autorschaft von Sachs benennt. Anders als in den Schauspielen spricht den epiloghaften Abgangsmonolog immer ein Figur des Fastnachtspiels und nicht der Herold.

Der Monologtyp Abgangsmonolog, der nicht das Fastnachtspiel beschließt, entsteht durch das vorzeitige Verlassen des Dialogpartners bzw. anderer Figuren. Der Monologisierende bleibt allein auf der Bühne zurück und beendet somit die Szene.10 Der Abgangsmonolog fügt sich in den szenischen Fluss gut ein, weil er sich inhaltlich an das zuvor geführte Gespräch anschließt.11 Das Verhältnis der Anzahl von Abgangsmonologen in den Fastnachtspielen und Schauspielen ist ähnlich dem Verhältnis von Auftrittsmonologen: In den Fastnachtspielen lassen sich 65 und in den Schauspielen 133 Abgangsmonologe finden, die damit weitaus weniger verwendet werden als die Auftrittsmonologe.12

 

Eine weitere eigenständige strukturelle Funktion von Monologen ist die Überbrückung, die 70 Mal in Fastnachtspielen und 138 Mal in Schauspielen nachgewiesen werden kann. Der Überbrückungsmonolog „ist ein beidseitig verhaktes, gelenkartiges Überbrückungselement zur Ermöglichung durchgehender Bühnenhandlung“.13 Stuplich unterscheidet zwei Typen von überleitenden Monologen: Zum einen spricht sie von ‚Überleitungsmonologen‘, wenn Monologe am Ende einer Szene stehen und auf die nächste vorbereiten. Zum anderen führt sie den Terminus ‚Überbrückungsmonolog‘ für Monologe ein, die im Inneren einer Szene angesiedelt sind und die rein technisch motiviert sein sollen: Der Zurückbleibende sei zum Monolog gezwungen, bis sein Gesprächspartner wieder zurück sei.14 Die Unterscheidung der beiden Monologtypen durch Stuplich trifft zwar zu, wird aber nicht benötigt. Wenn sich ein Monolog am Ende einer Szene befindet und es sich um seine Klassifizierung im szenischen Gefüge handelt, ist er ein Abgangsmonolog. Seine überleitende Funktion kommt entsprechend auf der handlungsbezogenen Ebene zum Tragen. Bei den von Stuplich als Überbrückungsmonologe bezeichneten Typen handelt es sich hingegen um strukturell-gliedernde Monologe, weil in der Regel ein von Stuplich als Überbrückungsmonolog bezeichnetes Selbstgespräch thematisch-inhaltlich an den vorhergehenden Dialog anschließt, zugleich aber in einen neuen Szenengehalt einführt. Wenn der Dialogpartner des Monologisierenden abtritt, um verdeckt im Off eine Handlung zu vollziehen und im Anschluss an den Monolog wieder aufzutreten, leitet der Monolog nicht in eine neue Szene über, sondern überbrückt den Abgang des Dialogpartners.

Eine Sonderform des Überbrückungsmonologes ist die simultane Variante. Im Simultanmonolog „monologisiert ein Sprecher ohne direkten Adressaten, aber in Anwesenheit anderer Spieler, ohne jedoch von diesen registriert zu werden“,15 d.h. der Monologisierende befindet sich nicht allein auf der Bühne. Im Fall des Zutritts zu Beginn der Szene kann der Zutrittsmonolog darum auch als simultane Monologform gewertet werden. Seine Stellung im Szenengefüge spricht jedoch eher dafür, ihn als gesonderte Form des Auftrittsmonologs zu klassifizieren. Während der Simultanmonolog in den Schauspielen 25 Mal vertreten ist, findet er sich in den Fastnachtspielen nur 2 Mal.

2.1.2Handlungsbezogene Funktionen

Die handlungsbezogenen Funktionen, die Zeit und Ort zum Gegenstand haben, sind an dem auf strukturellen Prinzipien basierenden Ansatz von Manfred Pfister, erweitert um die Terminologie von Gérard Genette1, orientiert. Zusätzlich ist es notwendig, das auf figurenspezifische Funktionen orientierte Klassifizierungsschema von Fernau heranzuziehen, um ein rein auf den jeweiligen Monolog ausgerichtetes Begriffsinventar bereitzustellen, das ohne den Blick auf die dramaturgische Konstruktion auskommt.

Ein strukturalistisches Kategoriensystem, das die Differenzierung entlang der Achse aktional – nichtaktional und, davon abhängig, Information – Kommentar ermöglicht, bietet sich für die orts- und zeitbezogene Funktion an, weil es ganz auf die funktionslogische Resonanz von geäußerten Inhalten und Handlungen fokussiert ist. Die Beobachtung der emotiven oder expressiven Funktion der Selbstdarstellung, d.h. der Haltung des Sprechers dem Gegenstand der Rede gegenüber, ist dabei aus systematischen Gründen zunächst zu vernachlässigen und bedarf als eigene Ebene der zusätzlichen Betrachtung. Für die Auslassung dieser Art von Typologisierung konstatiert Pfister richtig, dass der „Nachteil solcher Klassifizierungsansätze“ darin liegt, dass „aufgrund der dabei verwendeten disparaten Kriterien Abgrenzungen nur sehr unscharf vorgenommen werden können und daß sich die Reihe der Klassen beliebig erweitern läßt“.2 Gleichwohl bedarf es dieser Kriterien für das systematische Ordnen der inhaltlichen Sequenzen im Text und der Referenzen der vermittelten Informationen.

Für die Bezugspunkte der Funktionen Figur, Handlung und Situation hat Fernau eine klassifikatorische Unterteilung in ihrer Untersuchung vorgestellt, worin sie die Monologtypen Selbsteinführungsmonolog, Reflexionsmonolog, Affektmonolog, Entschlussmonolog, Berichtmonolog und Offenbarungsmonolog unterscheidet. Fernaus Kategoriensystem ist soweit zu reduzieren, dass es mit den strukturalistischen Kategorien, die die Dramaturgie betreffen, in Einklang gebracht werden kann.

Da es irreführend ist, einen Monolog in seiner gesamten Textgestalt nur einer einzigen Funktion zuzuordnen, sind die nachfolgend erläuterten Begriffe Reflexion, Affekt, Entschluss und Enthüllung3 so zu verstehen, dass damit regelmäßig nicht der gesamte Monolog einer Figur vollständig beschrieben wird, sondern bspw. ‚Reflexion‘ den Anteil der Gesamtrede meint, der entsprechend der konstitutiven Merkmale für ‚Reflexionsrede im Monolog‘ dieser Funktion zugeordnet werden kann. Eine ‚Alleinrede‘ kann demnach aus Abschnitten oder Sequenzen bestehen, die mehreren unterschiedlichen Funktionen zuzuordnen sind.

Anstelle des Terminus ‚Selbsteinführungsmonolog‘ findet hier der Begriff ‚Selbstcharakterisierung‘ Verwendung; an die Stelle des Terminus ‚Affektmonolog‘ tritt die ‚Affektdarstellung‘ und an die Stelle des Terminus ‚Offenbarung‘ tritt die ‚Enthüllung‘. Alle Ansätze der Funktionsordnung betonen die inhaltstragende Seite der Rede. Information, Kommentar und Handlungsvollzug überlagern sich jedoch in jedem Monolog in je eigener Weise.

 

Zur Vermeidung von Doppelungen bei der Erläuterung der handlungsbezogenen Funktionen werden anhand eines Monologbeispiels eine figurenspezifische und eine orts- bzw. zeitbezogene Funktion jeweils vorgestellt und typologisiert.

2.1.2.1Entschluss

Wesentliches Merkmal des Entschlusses ist, dass sich in der Rede eine Situationsveränderung vollzieht, herbeigeführt durch eine Entscheidung oder ihre Aufhebung. Die Kategorie des Entschlusses trägt darum das Merkmal des ‚aktionalen‘ Monologs.1 Als weitere Merkmale können hinzukommen: ein enger ‚Ich-Bezug‘ zur Figur, die klare Äußerung zur gefassten Intention, eine geäußerte zeitnahe Ausführungsabsicht, Bezug auf eine konkret zu vollziehende Handlung sowie Zukunftsorientierung und Selbstversicherung. Kennzeichnend für den Entschluss ist zudem, dass er Informationen vergibt, die unmittelbar die Handlung weiter führen.

Kongruent dazu verhält sich die Zeitvermittlung: Der Entschluss ist grundsätzlich proleptisch. In Anlehnung an Genette untergliedert Holger Korthals die zu den Anachronien zählenden Prolepsen (und Analepsen) zunächst in extern und intern, um in einem weiteren Schritt die internen in kompletiv und repetitiv zu untergliedern.2 Externe Prolepsen beziehen sich auf Geschehen, das außerhalb der Basiserzählung liegt, interne auf das Geschehen innerhalb der Basiserzählung. Kompletiv sind Prolepsen, wenn das erzählte Geschehen nicht noch einmal an der ‚richtigen‘ Stelle aufgegriffen wird und repetitiv, wenn das Geschehen ein weiteres Mal vorkommt. Für die Dramaturgie heißt das, dass insbesondere die internen repetitiven Prolepsen von Relevanz sind. Sie tragen wesentlich zur Spannungserzeugung bei und werden in die für das Drama entscheidenden Ebenen untergliedert: einerseits in zukunftsgewisse Vorgriffe, ‚annonces‘, und andererseits zukunftsungewisse Vorausdeutungen, ‚amorces‘.3

Ein Ereignis, das im späteren Handlungsverlauf stattfindet, zuvor in einer Figurenrede zu berichten oder zu evozieren, stellt genau jenes Moment dar, das einen Entschluss im Monolog bewirkt, weshalb ein Entschluss immer proleptisch ist.

Beispielhaft lässt sich die Funktionalisierung durch Entschluss ohne vorangehende Reflexion, die insgesamt nicht so häufig wie die Verbindung aus Reflexion und Entschluss in den Fastnachtspielen von Sachs zu finden ist, in G 45Der groß Eyferer, der sein Weib Beicht hoͤret (vv. 85–96) aufzeigen:

85

Das wird eben ein spiel fuͤr mich;

Beym Caplan wil entlehnen ich

Ein Pfaffenrock vnd Kappenzipffel,

Den schlag ich vmbs maul mit dem gipffel

Und setz mich hintern Altar rund,

90

Nimb kleine steinlein in den Mund,

Daß sie mich an der Red nicht kenn.

Wenn mein Weib kombt zu beichten denn,

Da will ich gwissen grund erfahrn,

Was sie hat than bey iren Jarn,

95

Auch was sie noch treib vber tag.

Die kunst mir gar nit fehlen mag.

Dem Monolog geht ein Dialog des Mannes mit seiner Frau voraus, in dem sie sagt, dass sie am nächsten Tag zur Beichte gehen will. Weil der Entschluss ohne Reflexion auskommt, wird die Handlung beschleunigt. Der ‚Eyferer‘ beschließt sofort, sich als Geistlicher zu verkleiden. Die Erklärung, wie er an die Kleidung des Geistlichen kommen und seinen Platz in der Beichte einnehmen wolle, ermöglicht es Sachs, diesen Teil nicht dramatisch darstellen zu müssen. Weil die Entscheidung für zukünftiges Handeln fällt, erzeugt der Monolog Spannung, ob es dem ‚Eyferer‘ gelingen wird, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Die größte Schwierigkeit der typologischen Einordnung des Entschlusses besteht in der Abgrenzung zur Enthüllung, da in beiden Kategorien oftmals die Ich-bezogene Formulierung „ich will“ Verwendung findet. Während jedoch die Enthüllung eine bereits feststehende Absicht vorstellt oder berichtet, initiiert der Entschluss eine neue Handlung der Figur.

2.1.2.2Enthüllung

Wesentliches Merkmal der Enthüllung ist die motivationale Grundhaltung einer Figur, die sich in bereits feststehenden Absichten, Plänen und Einstellungen zeigt. Im Gegensatz zum Entschluss ist die Enthüllung nicht-aktional, da sich in ihr kein situationsverändertes Handeln vollzieht. Vielmehr können Enthüllungen aufgrund ihres nicht-aktionalen Charakters sowohl informierend als auch kommentierend sein.1

Damit ist eine enge Verbindung zur Figurenzeichnung, d.h. zu charakteristischen Eigenschaften oder Eigenheiten der Figur gegeben, die dazu führt, dass der Ich-Bezug eine Fremd- oder Selbstcharakterisierung implizieren kann.

Die im Monolog geäußerte Absicht wird in einem Kontinuitätsbogen von vergangenen und auf die Zukunft gerichteten Intentionen vermittelt. Das bedeutet für die Zeitvermittlung, dass sowohl proleptische als auch analeptische Konstruktionen vorzufinden sind. Die Analepse ist ein Rückblick auf vergangenes Geschehen. Beinhaltet sie eine Enthüllung und wandelt sich damit die monologisierende Figur durch den „Erzählakt temporär vom Geschehensteilnehmer zum Geschehensvermittler“,2 erhält der Monolog einen berichtenden Charakter.

Wie die Prolepsen sind Analepsen in interne und externe sowie kompletive und repetitive untergliedert. Bei externen Analepsen handelt es sich um nachträglich vermitteltes Geschehen, das vor dem Einsetzen der Handlung, dem point of attack, liegt; bei internen Analepsen liegt die nachgeholte Handlung nach dem point of attack.3 Die Unterteilung der internen Analepsen in kompletiv und repetitiv ist für die Monologanalyse insofern relevant, als mit den kompletiven Analepsen Zeitsprünge und Ortswechsel nachträglich vermittelbar sind. Bleibt das Geschehen zwischen Szenen und Akten durch Ellipsen zunächst verborgen, wird es im Monolog der auftretenden Figur nachträglich vermittelt.4 Repetitive Analepsen dagegen greifen ein bereits dargestelltes Geschehen erneut auf.5

Beispielhaft für eine Enthüllung ist der Monolog Gittas (vv. 61–74) aus dem Fastnachtspiel G 46Das Weib im Brunnen:

Nun hab ich mein Saw bracht in Stal.

Nun wil ich gehn aber ein mal

Auff meinen alten Finken strich.

Heint bin aber gantz sicher ich,

65

Das mein voller Man nicht erwacht,

Biß ein zwo stund nach Mitternacht.

Erst greifft er vmb nach mir allwegen,

Meint, ich sey die gantz nacht da glegen.

Diß Affenspiel ich vorwar

70

Mit jm fast trieben ein halb jar.

Weil jm so wol ist mit dem Wein,

Ist mir wol mit der Bulschafft mein.

So bricht er Haͤssn, so brich ich Kruͤg,

Und wo ich anderst redt, ich luͤg.

Gittas Entüllung erfüllt als Auftritt-Abgangs-Monolog eine zeitraffende Funktion zwischen dem Zubettgehen des Ehemannes, der vortäuscht betrunken zu sein, und seinem Wiederauftritt. Die enthüllende Funktion zeigt sich sowohl in den analeptischen als auch in den proleptischen Passagen, in denen Gitta über bereits feststehende Absichten informiert. Mittels externer Analepse enthüllt Gitta, dass sie ihren Mann schon ein halbes Jahr auf dieselbe Art und Weise hintergeht, proleptisch erläutert sie mit Zeitangaben die weitere Vorgehensweise ihres Betruges. Neben der externen Analepse und der Prolepse weist der Monolog eine interne kompletive Analepse auf, die sich lediglich auf den ersten Vers beschränkt, aber als Vermittlung des Zeitsprungs hervorgehoben werden muss. Nachdem Gitta mit ihrem Mann die Bühne verlassen hat, tritt sie monologisierend mit den Worten „Nun hab ich mein Saw bracht in Stal“ wieder auf. Damit wird verständlich, dass zwischen Ab- und Auftritt eine nichtgezeigte Handlung geschehen und somit Zeit vergangen ist. Die kompletive Analepse zur Vermittlung des Zeitsprungs ist ein häufig am Anfang eines Monologs stehendes Mittel, mit dem Sachs die Rezipienten über die neue Ausgangslage für die folgende Szene informiert.

2.1.2.3Ortswechsel

Häufig fallen Zeitsprung und Ortswechsel zusammen. Der Ortswechsel ist dabei ebensowenig figurenspezifisch wie der Zeitsprung. Ihre Nähe zeichnet sich besonders durch die vorhergehende Ellipse in den Szenen- bzw. Aktpausen aus, die mit der Nennung im Monolog ausgefüllt wird. Dabei handelt es sich um eine explizite handlungsleitende Funktionalisierung der Monologe, mit der Sachs das Verständnis der Rezipienten sichert und Leerstellen innerhalb der Dramaturgie umgeht, gleichzeitig aber auch komprimiert den neuen Ort präsentieren kann. Mit dem Ortswechsel geht gehäuft eine Selbstcharakterisierung oder Enthüllung einher, d.h. die neu aufgetretene Figur befindet sich an einem für sie typischen Ort und erfährt dadurch eine Kennzeichnung. In anderen Fällen, wie im Monolog Gittas zu sehen war, kann dem Monolog eine Leerstelle voraus gehen, die zu Anfang gefüllt wird und die Figur in einer neuen Szenerie situiert.

2.1.2.4Reflexion

Mit der Reflexion ist es möglich, das ‚Innenleben‘ der Figur zum Ausdruck zu bringen, weil das wesentliche Merkmal das Nachdenken über die vergangene und zukünftige Handlung sowie die gegenwärtige Situation aus der Perspektive der Figur ist. Die Diskussion von Handlungsalternativen sowie implizite oder explizite Selbst- oder Fremdcharakterisierungen können mit der Reflexion einhergehen und unterstützen maßgeblich die Figurenzeichnung. Aufgrund der analeptischen Konstruktion vollzieht sich in Reflexionen nicht unmittelbar situationsveränderndes Handeln, d.h. sie sind nicht-aktional.

Beispiele für Reflexionen, die alle genannten Merkmale einschließlich des Abwägens einer Handlung in Für und Wider beinhalten, lassen sich im Fastnachtspiel selten finden. Ein Grund dafür ist die häufige Ergänzung der Reflexion durch einen Entschluss in der Gesamtrede.

Im Fastnachtspiel G 84Die juͤng witfraw Francisca, so durch ain list zwayer pueler abkom1 kommt die für Sachs eher untypische abwägende Reflexion zwei Mal vor. Dies lässt sich durch die Vorlage, DekameronIX, 1, erklären, in der an gleicher Stelle beide Monologe stehen, die Sachs etwas verkürzt überträgt. Eine ausführliche Reflexion zeigt einer dieser Monologe (Rinuczo vv. 290–321), der systematisch in vier Schritte aufgeteilt ist. Dem Monolog geht die Anweisung seiner Angebeten voraus, sich in ein Grab zu legen und die Kleidung des Toten anzuziehen. In vv. 290–296 beschreibt Rinuczo, dass er auf dem Weg ist, um in das Grab zu steigen, worauf eine Fremdcharakterisierung des Toten folgt, die den Toten als zu Lebzeiten schlechten Menschen darstellt:

290

Ich pin aufm weg vnd sol hinab,

Den doten holen auͤs dem grab,

Der doch der aller poͤst man war,

Zenkisch vnd hedrisch imerdar.

Niemant het gern mit im zv schaffen,

295

In flohen leien vnd die pfaffen,

Die weil er noch war lebentig.

Von vv. 297–310 an geht die Fremdcharakterisierung in eine Reflexion über die eigene Dummheit und ihre Folgen über. Rinuczo bezeichnet sich als „narr“ (v. 297) und bemerkt, sich selbst charakterisierend, dass auch alle anderen ihn für dumm halten. Er reflektiert über das Handeln der Freunde des Toten und stuft es als große Gefahr für sich ein:

Ich groser narr, was zeich ich mich,

Das ich wil zw im steigen nab,

In zihen auͤs dem doten grab?

300

Es ist werlich ein grose gfar,

Mir stent gen perg alle mein har,

Vor forchtent zittert al mein leib.

Sol ich das wagen durch ein weib?

Der dot sol mir woln hals abrechen.

305

Als den so wuͤrt idermon sprechen:

Dem narren ist nicht vnrecht gschehen.

Was wuͤrt Stanadio freuͤntschaft jehen,

So ich in auͤs dem grab het gstoln,

Die weil int leng nichs pleibt verholn?

310

Die wuͤrn mich in als ungluͤck pringen,

In vv. 311–314 wägt er unter konkreter Nennung das Für und Wider zwischen der angebeteten Frau und der drohenden Gefahr ab. Der Monolog endet mit einem Entschluss: In vv. 315–321 entscheidet sich Rinuczo, nicht zuletzt aufgrund eines Sprichwortes, für die Geliebte. Während die Reflexion situationsaffirmativ bleibt, bringt der Entschluss durch seine zukunftsungewisse proleptische Ausrichtung die Handlung voran.

Ich weis nit, wie ich thet den dingen;

Thw ichs, so stet darauf gros gfar,

Thw ichs nit, hab ich vrlob gar

Meinr lieb vnd dienst, die ich ir trueg.

315

Weil ich icz hab zv kumen fueg

Zw der, der mein herz hat pegert

Wil ich gleich wagen die gefert,

Weil doch ein sprichwort sagt pekant,

Ein doter man der peis niemant.

320

Gerecz, so schwer ich pey mein trewen,

Sol mich die reis mein lebtag frewen.

Reflexionen sind im Fastnachtspiel die häufigsten Monologfunktionen. Sie stehen in kausalem Verhältnis zur Handlung, weil sie entweder die Folge einer vorhergehenden Handlung oder die Vorstufe einer folgenden Handlung bilden. Der Dramatiker kann durch Reflexionen „seinen Figuren einen impliziten oder expliziten Eigen- oder Fremdkommentar in den Mund legen“.2

Auffällig ist, dass Sachs in den Fastnachtspielen oft Nebenpersonen über eine Situation reflektieren lässt. Fernau nennt dafür zwei Gründe: Zum einen rufe der Eindruck eines Ereignisses in der Hauptperson eher einen Affekt hervor, zum anderen bleibe die Nebenperson nach einem Dialog aus technischen Gründen häufig auf der Bühne und reflektiere über den abgegangenen Dialogpartner.3

Neben möglicher Spannungserzeugung dient die Reflexion am Ende einer Szene häufig als retardierendes Moment. Damit kann Sachs die Handlung anhalten und „auf die Rezeption des Stückes Einfluß“4 nehmen. Aus der Gesamtschau der Fastnachtspiele lassen sich als Objekte der Reflexion in Monologen u.a. benennen: soeben gemachte Erfahrungen, bevorstehende Ereignisse, bestimmte Handlungsweisen bzw. Äußerungen, bekannt gemachte Absichten und Charaktereigenschaften oder Verhaltensweisen von anderen Figuren.

 

Dadurch, dass Sachs die abwägenden Reflexionen eher selten in seinen Fastnachtspielen und Schauspielen einsetzt, lässt sich eine Leerstelle innerhalb der Funktionalisierung von Monologen erkennen. Entwickelte Sachs nämlich die aus dem Dekameron entlehnten dilemmatischen Gedanken eigenständig weiter, müsste er letztendlich von einer typenhaften Figurenzeichnung abrücken. Es sticht nicht nur in den Fastnachtspielen, sondern auch in den Tragedis und Comedis ins Auge, dass er Ansätze einer individuellen Konstruktion nur zulässt, sofern sie in der Vorlage zu finden sind, diese aber nie selbstständig einsetzt. Die daraus entstehende Leerstelle bringt umso deutlicher das Anliegen von Sachs für die Fastnachtspiel- und Schauspielproduktion zutage: Indem die Reflexion so gut wie immer ein Überdenken einer vorhergehenden Situation oder einer aufgetretenen Person ist und nie, es sei denn vorlagenbedingt, ein Überdenken des eigenen Handelns, das unbeantwortete Fragen bei den Rezipienten zurücklassen könnte, erhält sie eine kommentierende und auslegende Funktion, mit der Sachs Verständnisprobleme vermeiden und Handlungszusammenhänge herstellen kann. Auch wenn die Reflexion eigentlich eine Funktion ist, um Figurensichten darzustellen, dient sie Sachs hauptsächlich zur Ausgestaltung der Handlungskonstruktion.

2.1.2.5Teichoskopie

Die bisher genannten zeitbezogenen Monologfunktionen richten sich auf zukünftiges oder vergangenes Geschehen. Als Funktion, die sich dem spielinternen gegenwärtigen Geschehen widmet, steht maßgeblich die Teichoskopie, auch ‚Mauerschau‘ genannt. Sie zählt zu den Typen der narrativen Vermittlung, denen ein aktionaler Charakter zugrunde liegt, und bezieht sich „auf Vorgänge, die sich im Augenblick der jeweiligen Bühnensituation abspielen, ohne daß sie vom Publikum wahrgenommen werden“.1 Sachs setzt die Teichoskopie vor allem ein, um herannahende Figuren zu beschreiben und damit in den Dialog überzuleiten, aber auch, um unspielbare, aber für die Handlung relevante Sequenzen im Off spielen zu lassen und trotzdem in die Handlung zu integrieren. Wenn die herannahende Figur beschrieben wird, ist es mit Blick auf die Bühnenrealität unklar, ob sie bereits auf der Bühne ist und die Zuschauer sie sehen. Die Teichoskopie soll allein die Information der Rezipienten über den Dialogpartner sicherstellen.

Die für Sachs typische Anwendung der Teichoskopie in einer auf Komik zielenden Variante findet sich im Fastnachtspiel G 54Der Bawer mit dem Plerr (vv. 149–169). Die dem Monolog vorangehende Szene endet mit einem Dialog zwischen der Ehefrau und der Nachbarin, in dem die Nachbarin kund gibt, den Ehemann vom Zorn gegen die eigene Frau abbringen zu wollen. Die darauf folgende Szene lässt Sachs mit dem hier wiedergegebenen Auftrittsmonolog beginnen. Die ersten drei Verse dienen der Vermittlung des neuen Schauplatzes und der vergangenen Zeit:

Es ist nun auff den tag gar weit,

150

Es wer je nun wol Suppen zeit.

Wann mirs mein heyllos Weib nur brecht!

Daran schließt sich direkt der teichoskopische Einschub an, gefolgt von einem zweiten am Ende des Monologs. Beide Male beschreibt der Ehemann die herankommende Figur, die den nächsten Dialogpartner darstellt:

Dort gehts her, sih ich anderst recht.

Bald sie mir setzt die Suppen dar,

Wil ichs erhaschen bey dem Haar,

155

Auff daß sie mir nicht thu entlauffen,

Vnd wil sie nider reissn zu hauffen,

Wils blewen mit dem Hackenhelb,

Daß jr Leib wird schwartz, blaw vnd gelb;

Ich wil sie vmb jr vnzucht straffen

160

Und wil jr warlich gebn deß Pfaffen,

Sie solt drey Schreiber darfuͤr nemen.

Ich wil zwar auch den Pfaffen bschemen

Biß Sontag, er geb drey Heller drummen,

Daß er nit in mein Hauß wer kummen.

165

Ey schaw nur, botzleichnam angst schaw,

Jhenes Weib ist gar nicht mein Fraw,

Es triegen mich denn all mein sinn,

So ist es vnser Nachbaͤwrin,

Wil mich mit einer Suppn versorgn.

Anders als bei der ‚typischen‘ Mauerschau geht es in diesem Fall der Teichoskopie nicht darum, nicht inszenierbare Handlungen verdeckt zu halten, sondern eine Überleitung in den Dialog zu schaffen und für die Rezipienten zu erläutern, wer der Dialogpartner ist. Die Überleitung in den Dialog enthält in diesem Fall ein komisches Moment, da der Ehemann davon ausgeht, eine andere Figur anzutreffen und deshalb eine wütende Rede beginnt. Ihre Absurdität tritt mit dem Erkennen der Nachbarin offen hervor.

2.1.2.6Selbstcharakterisierung

Wesentliches Merkmal der Selbstcharakterisierung ist, dass eine Figur in zusammenhängender Darstellung Aussagen über sich selbst trifft, z.B. sich vorstellt, Charaktereigenschaften benennt, biographische Angaben macht, Tätigkeiten erläutert und Besonderheiten der eigenen Person herausstellt. Kennzeichnend sind die deskriptive Aussagenstruktur und die Darstellung der eigenen Lebenssituation, die mit einer Affektdarstellung einhergehen kann.

Beispielhaft ist ein Monolog aus dem 1539 entstandenen und damit frühen Fastnachtspiel G 13Die 5 elenden wandrer (vv. 1–20) zu nennen, den Sachs für den zweiten Folioband von 1560 wie folgt verändert hat:

Ich pin ain wirt der armen gest,

Den ich doch thw das aller pest.

So vil der kumen in mein haus,

Der treib ich kainen von mir aus,

5

Sundr ich gieb im drincken vnd essen.

Vnd wen er ain weil ist gesessen

Int nacht, gieb ich im ain schlaffdrunck

Und leg in darnach warm genunck.

Vor er aufstet von seiner rw,

10

Schenck ich im drey pazen darzw,

Wo er die nacht in meinem haus

Der ermest gast ist vberaus

Vnter alln gestn, die pey mir waren.

Das hab ich trieben pey zwainzg jaren,

15

Hab an mein gesten nichs gewunen,

Idoch ist mir nie gelz zerunen;