Der Tote im Moor - Alex Wagner - E-Book
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Der Tote im Moor E-Book

Alex Wagner

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Beschreibung

Ein Urlaub mit tödlichen Folgen …
Der charmante Cosy Krimi für gemütliche Lesestunden

Nichts liebt Anna Pilgram mehr als ihre Krimisammlung. Als ihre Schwester sie zu einem Urlaub überredet, darf deshalb natürlich auch der richtige Lesestoff nicht fehlen. Doch in Dartmoor angekommen merkt Anna schnell, dass ihre Schwester sie hinters Licht geführt hat. Anstatt eines entspannten Urlaubs, erwarten sie andere Singles auf der Suche nach der großen Liebe. Genau das, worauf Anna gar keine Lust hat. Denn sie braucht keinen Mann, um glücklich zu sein! Zu ihrer Erleichterung begegnet sie schnell Frau Adele und Louis, beide ebenfalls eingefleischte Krimifans, die ihr die Tage versüßen. Zusammen machen sie die Gegend unsicher – bis plötzlich ein Toter auftaucht. Wer wäre für die Lösung dieses Falls besser geeignet als das ungleiche Trio?

Erste Leser:innenstimmen
„Schrullige, liebenswerte Charaktere und ein spannender Fall, was will man mehr von einem Cosy Crime?“
„Es hat wahnsinnig viel Spaß gemacht mit dem lustigen Trio mitzurätseln!“
„Ein absoluter Wohlfühlkrimi zum Abtauchen – habe jede Seite genossen.“
„Bücherfans als Ermittlerinnen? Muss man lesen!“

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Seitenzahl: 270

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Über dieses E-Book

Nichts liebt Anna Pilgram mehr als ihre Krimisammlung. Als ihre Schwester sie zu einem Urlaub überredet, darf deshalb natürlich auch der richtige Lesestoff nicht fehlen. Doch in Dartmoor angekommen merkt Anna schnell, dass ihre Schwester sie hinters Licht geführt hat. Anstatt eines entspannten Urlaubs, erwarten sie andere Singles auf der Suche nach der großen Liebe. Genau das, worauf Anna gar keine Lust hat. Denn sie braucht keinen Mann, um glücklich zu sein! Zu ihrer Erleichterung begegnet sie schnell Frau Adele und Louis, beide ebenfalls eingefleischte Krimifans, die ihr die Tage versüßen. Zusammen machen sie die Gegend unsicher – bis plötzlich ein Toter auftaucht. Wer wäre für die Lösung dieses Falls besser geeignet als das ungleiche Trio?

Impressum

Erstausgabe Juli 2022

Copyright © 2023 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-299-6 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-662-8 Hörbuch-ISBN: 978-3-98637-296-5

Covergestaltung: ARTC.ore Design unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Helen Hotson, © brickrena, © Helen Hotson, © Jones M Lektorat: Astrid Pfister

E-Book-Version 13.03.2023, 12:15:08.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Der Tote im Moor

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Der Tote im Moor
Alex Wagner
ISBN: 978-3-98637-296-5

Ein Urlaub mit tödlichen Folgen …Der charmante Cosy Krimi für gemütliche Lesestunden

Das Hörbuch wird gesprochen von Nina-Carissima Schönrock.
Mehr Infos hier

Prolog

Er ließ das Hotel mit seiner heimeligen Atmosphäre und den warmen Lichtern hinter sich, überquerte den Parkplatz und folgte einem der Trampelpfade, die hinaus aufs nächtliche Moor führten. Die Lage des Treffpunkts, den der anonyme Briefschreiber ihm genannt hatte, kannte er inzwischen auswendig. Er hatte sich zuvor den kürzesten Weg dorthin auf der Karte eingeprägt, die an der Rezeption erhältlich war. Jetzt musste er sich nur noch auf seinen hervorragenden Orientierungssinn verlassen.

Er war kein Spaziergänger und lief nachts nicht durchs Moor, um den Sternenhimmel zu bewundern. Er wusste, dass er achtgeben musste, wohin er seine Füße setzte, denn ganz in der Nähe des Treffpunkts befand sich laut der Karte eine der Danger Zones des Dartmoors.

Wenn man in diesen Gebieten nicht genau auf seine Schritte achtete, konnte man leicht auf Nimmerwiedersehen im Moor verschwinden. Kein schöner Tod.

War es bloß ein Zufall, dass der Briefschreiber den Treffpunkt ganz in die Nähe einer solchen Gefahrenzone gelegt hatte?

Darüber wollte er lieber nicht nachdenken – unter normalen Umständen hätte er einem solch merkwürdigen Treffen auch niemals zugestimmt. Nachts … im Moor … unter vier Augen. Das könnte genauso gut aus einem drittklassigen Horrorfilm stammen!

Doch er hatte die Behauptung des anonymen Schmierfinks einfach nicht ignorieren können.

Deine Frau hat einen Liebhaber. Ich werde dir die Beweise dafür übergeben. Zu einem günstigen Preis. Wir Kerle müssen schließlich zusammenhalten, nicht wahr?

Ein Freund.

Verflucht noch mal. Er kam sich wirklich so vor, als wäre er in einen schlechten Film geraten. War das Treffen eine Falle, in die er, blind vor Zorn, geradewegs hineinlief?

Wer hatte den vermaledeiten Brief geschrieben? Und entsprach die Behauptung wirklich der Wahrheit?

Es war seiner Frau, diesem Flittchen, auf jeden Fall zuzutrauen, dass sie ihn betrog. Er hegte schon lange den Verdacht, dass sie fremdging. Er hatte sie zu Hause in Hamburg sogar schon häufiger heimlich verfolgt wie ein gottverdammter Privatdetektiv, doch ohne Erfolg. Sie hatte sich stets nur mit irgendwelchen Weibern getroffen. Aber das musste nichts heißen. Sie war schlau, verschlagen und hinterhältig. Zum Teufel, sie hatte ganz bestimmt einen Liebhaber, was wollte er sich denn vormachen?

Welche Art Beweise ihm der anonyme Schreiberling wohl verkaufen wollte? Hoffentlich etwas Handfestes. Und was den Preis anging … nun ja, er wusste, wie man verhandelte. Notfalls mit Nachdruck. Er war schließlich kein Schwächling.

Anschließend würde er seiner Frau den Spaß am Fremdgehen ein für alle Mal austreiben! Wenn er mit ihr fertig war, würde sie für ein paar Wochen nicht mehr sitzen können, und erst recht nicht auf irgendeinem Lüstling herumhopsen.

Er beschleunigte seine Schritte. Schweiß sammelte sich in seinem Nacken. Der Abend war viel zu warm für englische Verhältnisse. War dieses gottverdammte Land nicht dafür berühmt, dass es hier andauernd regnete?

Nur ihr zuliebe war er überhaupt hierhergekommen und hatte dem Urlaub in diesem sogenannten Krimi-Hotel zugestimmt, der nicht gerade billig war. Und jetzt das. Ein anonymer Hinweis auf die Untreue der kleinen Schlampe.

Wie konnte irgendjemand hier in England überhaupt davon wissen? Sie waren gerade mal einen Tag im Hotel. Hatte ihm seine treulose Gemahlin in dieser Zeit bereits Hörner aufgesetzt? Oder bezogen sich die Informationen, die der anonyme Schreiberling zu verkaufen hatte, auf Vorgänge bei ihnen zu Hause? War dieser Unbekannte womöglich selbst der Liebhaber seiner Frau, der ihr bis nach England gefolgt war?

Er legte noch einmal einen Zahn zu und ignorierte die seltsamen Geräusche der nächtlichen Tierwelt, die sich hier im Moor ganz anders als zu Hause anhörten. Weit konnte es nicht mehr sein. Er brannte darauf, Antworten zu erhalten und das Flittchen danach gebührend zu bestrafen. Oh, er würde seine Rache auszukosten wissen, und wie!

Irgendwo hier musste der Treffpunkt sein. Er blieb stehen und sah auf die Uhr seines Mobiltelefons, das er als Taschenlampe benutzte. Wo steckte der …

In diesem Moment traf ihn ein brutaler Schlag auf den Hinterkopf. Schmerz durchfuhr ihn und seine Knie gaben nach. Nur mit eiserner Willenskraft und befeuert von der Wut, die in ihm hochkochte, konnte er sich auf den Beinen halten. Verflucht, er war also doch mitten in eine Falle gerannt!

Er wirbelte herum, konnte aber kaum etwas sehen. Vor seinen Augen tanzten nämlich Sterne wie in einem dämlichen Comic. Er schlug wild um sich. Wo war der Angreifer? Er bekam ihn einfach nicht zu fassen, und ruderte stattdessen nur hilflos mit den Armen. Die Fausthiebe, die er auszuteilen versuchte, gingen allesamt ins Leere.

Ein jäher brennender Schmerz im Bauch ließ ihn zusammenklappen. Er ging zu Boden, Übelkeit stieg in ihm hoch und ein Schwindelgefühl erfasste ihn.

Wieder schlug er um sich, besser gesagt, er versuchte es, doch seine Gliedmaßen gehorchten ihm nicht mehr. Etwas Heißes rann ihm in den Nacken, doch dieses Mal war es kein Schweiß, sondern Blut. Sein Blut.

Er sah, wie sich ein dunkler Schatten über ihn beugte; spürte, wie ihm das Mobiltelefon, das er noch immer umklammert hielt, aus den Fingern gezogen wurde. Das Licht erlosch, doch das bekam er kaum noch mit. Er sah nur noch schwarz.

Der Schatten entfernte sich hastig. Er flüchtete, dieser Feigling!

Jetzt bloß nicht das Bewusstsein verlieren. Er war am Leben, schwer verletzt, aber noch nicht tot. Er musste zurück zum Hotel. Überleben und Rache nehmen! Den Kerl in die Finger kriegen, der ihm das angetan hatte.

Dieser feige Angreifer, der ihn aus dem Hinterhalt attackiert hatte. Dieser Typ musste der Liebhaber seiner treulosen Frau sein. Der Mistkerl hatte nicht im Traum daran gedacht, ihm Informationen zu verkaufen. Er hatte ihn einfach nur loswerden wollen, und zwar auf die brutale Tour. Dessen war er sich jetzt fast sicher. Wer sonst sollte ihm nach dem Leben trachten? Er war vielleicht nicht der umgänglichste Kerl, kein Weichling und ganz bestimmt kein Schleimer. Aber er hatte auch keine Feinde. Jedenfalls keine, von denen er wusste.

Er brauchte einen Arzt – und das schnell.

Alles drehte sich um ihn. Das Heidegras des Moors, das niedrige Buschwerk, die Granitsteine, die hier überall herumlagen. Sogar der Sternenhimmel über ihm schien in gefährliche Schieflage geraten zu sein.

Er presste den Handballen auf die Stelle an seinem Bauch, die wie Feuer brannte. Sie war warm, nass …

Er blutete wie ein Schwein, wie ein abgestochenes Schwein. Der verfluchte Kerl musste ihm ein Messer in den Bauch gerammt haben, nachdem der Schlag auf den Kopf ihn nicht richtig getroffen hatte. Was für ein Loser! In einem fairen Kampf, von Angesicht zu Angesicht, hätte er ihn in Stücke gerissen!

Er atmete schwer, rappelte sich hoch und kam mühsam auf die Beine. Schwankend stand er da. Von seinem Angreifer war nichts mehr zu sehen. Irgendwo in der Dunkelheit konnte er noch Schritte hören, die sich jedoch rasch entfernten. Er war allein und ein ganz schönes Stück vom Hotel entfernt. Bis dorthin würde er es niemals schaffen. Abgesehen davon, dass er gar nicht mehr wusste, in welcher Richtung die Lodge lag.

Er stemmte die Hand in seinen Bauch und stolperte los. Die Erinnerung an die Danger Zones kam ihm in den Sinn. Er musste aufpassen, wo er hinlief. Aber das war verdammt noch mal leichter gesagt als getan. Er sah ja kaum den Boden unter seinen Füßen. Alles schwankte und versank immer wieder in vollkommener Dunkelheit, obwohl doch ein leuchtend heller Mond am Himmel hing. Mit seinem Kopf war eindeutig etwas nicht in Ordnung. Eine Gehirnerschütterung? Oder etwas noch Schlimmeres?

Für eine Zeitspanne, die sich endlos auszudehnen schien, taumelte er durch das Moor. Immer wieder strauchelte er, kam zu Fall, rappelte sich aber wieder hoch. Er war stolz auf seine Kraft und sein Durchhaltevermögen. Er war ein echter Mann, nicht so ein vermaledeiter Feigling, der seinen Gegner in eine Falle lockte, um ihn dann von hinten niederzuknüppeln.

Er hatte das Gefühl, dass er im Kreis lief, doch dann, endlich, entdeckte er etwas, das ihm neue Hoffnung schenkte. Eine Silhouette am Horizont. Die Umrisse eines Hauses.

Er mobilisierte seine letzten Kräfte und taumelte darauf zu. Das Haus war groß, doch es lag einsam im Moor. Ein weiteres Hotel vielleicht? Ein Gasthaus?

Nein, es brannte nirgendwo Licht. Das war unmöglich bei einem Hotel oder einer Schenke.

Befriedigt stellte er fest, dass er noch logisch denken konnte. Sein Verstand arbeitete also noch. Nur seine Beine spürte er fast gar nicht mehr. Er musste sich beeilen, ihm blieb nicht mehr viel Zeit, wenn er sich retten wollte.

Vermutlich befand sich das Haus in Privatbesitz, und die Eigentümer waren nicht zu Hause. Aber er würde sich schon Zugang verschaffen. In so einer riesigen Bude gab es hoffentlich ein Telefon. Einen Festnetzanschluss, auch wenn so etwas inzwischen ganz schön altmodisch war. Oder wenigstens einen Verbandskasten …

Kapitel 1

Ein Tag zuvor – Samstag, 4. Juni

Ich erreichte die Black Hart Lodge kurz vor Sonnenuntergang. Der Taxifahrer, der mich vom nächstgelegenen Provinzbahnhof abgeholt hatte, war durch enge Heckenstraßen gebraust und hatte Hügel erklommen, die bei uns in Österreich allenfalls als Bodenwellen durchgegangen wären, und war schließlich – als wir das Dartmoor bereits erreicht hatten – um ein Haar mit einer Schafherde kollidiert.

Dass ich mich auf einer Single-Reise befand, erfuhr ich erst, als der Fahrer mich mitsamt meines Gepäcks vor dem Hotel im Stich gelassen hatte. Zu diesem Zeitpunkt kam nämlich ein sehr gutaussehender junger Mann aus der Lodge auf mich zugeeilt, als hätte er nur auf meine Ankunft gewartet.

„Anna Pilgram, nicht wahr?“

Er nahm meine Hand und schüttelte sie energisch. „Ist es ok, wenn wir uns duzen und ich dich Anna nenne? Bei uns geht es sehr familiär zu, das hast du bestimmt schon auf unserer Website bemerkt, nicht wahr?“

Ich kam nicht dazu, ihm zu erklären, dass ich die Firmenwebseite niemals gesehen hatte. Bis heute Morgen, als meine Schwester Veronika mir endlich die nötigen Reisepapiere ausgehändigt hatte, wusste ich noch nicht einmal, wohin die Reise überhaupt gehen würde, die sie mir zum Geschenk gemacht hatte, oder bei welchem Unternehmen sie für mich gebucht hatte. Erst als sie mich bereits im Taxi zum Flughafen begleitete, verriet sie mir, dass sie eine Krimireise für mich gebucht hatte. Sie erzählte mir von der Black Hart Lodge im britischen Dartmoor, einem Hotel, das sich angeblich ganz der Spannungsliteratur verschrieb.

Sie trug mir den halben Sherlock Holmes Krimi über den Hund von Baskerville vor, der das berühmte Moor zum Schauplatz hatte, obwohl ich dieses Buch natürlich längst kannte. Anschließend schwärmte sie mir von Lesungen und Signierstunden in der Black Hart Lodge vor und von den Touren in die Umgebung, wo man unter anderem Agatha Christies berühmtes Ferienhaus besichtigen konnte.

„Dieses Hotel ist einfach perfekt für dich, Schwesterchen!“, hatte sie geendet. „Du bist immerhin die besessenste Krimileserin, die ich kenne. Du wirst dich garantiert königlich amüsieren.“

Ich unterließ es, Veronika darauf hinzuweisen, dass ich die einzige Leserin – egal welchen Genres – war, die sie überhaupt kannte, denn Bücher waren ihr so fremd wie Objekte von einem fernen Stern. Sie las noch nicht einmal ihren Kindern, die sie mit erstaunlicher Regelmäßigkeit zur Welt brachte, irgendwelche Gute-Nacht-Geschichten vor. Unglaublich, nicht wahr?

Wie auch immer, ich war jedenfalls gerührt, dass sie mir ein so tolles Geschenk machte und war voller Vorfreude ins Flugzeug gestiegen. Dort betrachtete ich den Voucher des Reiseveranstalters, den sie mir ausgehändigt hatte. Auf dem Wisch standen allerdings bloß der Firmenname, der Titel der gebuchten Reise, sowie die Adresse des Hotels im Dartmoor.

Perfect Company hieß der Veranstalter, und die Tour nannte sich Krimiwoche England. Ich fand es zwar originell, aber ein wenig unverschämt, dass ein deutsches Reiseunternehmen sich einen englischen Namen gab und sich selbst so vollmundig als perfect bezeichnete. Doch das würde meiner Vorfreude keinen Abbruch tun.

„Du bist unsere letzte Teilnehmerin, die wir noch erwartet haben“, erklärte mir der junge Mann, der mich vor dem Hotel in Empfang nahm. Seinem Akzent nach zu schließen, war er eindeutig Deutscher, doch er war angezogen, als spiele er die Hauptrolle in irgendeinem schottischen Highland-Drama. Wie in Outlander, Sie wissen schon.

Er trug einen Tweed Anzug, ein Seidentuch in seinem offenen Hemdkragen, und sein dunkles Haar war so elegant gescheitelt wie das eines Aristokraten. Breitschultrig und groß gewachsen war er natürlich auch – muss ich nicht erwähnen, oder?

„Herzlich willkommen, Anna! Schön, dass du da bist!“, intonierte er voller Leidenschaft. „Du wirst eine fantastische Zeit haben, so viel kann ich dir schon versprechen. Ich hoffe, du hattest keine allzu beschwerliche Anreise.“

Er stellte sich mir als Thomas Reichenbach, unser Reiseleiter und Animateur vor. Also eindeutig ein Deutscher, kein Engländer oder gar Schotte. Im nächsten Augenblick schnappte er sich meinen Koffer und wollte mich bereits zu meinem Zimmer begleiten.

Ich blieb jedoch wie angewurzelt stehen. Was hatte er da gerade gesagt?

„Animateur?“, echote ich ungläubig. Das hier war nicht Mallorca, und meine Schwester hatte mir ganz bestimmt keine Aktiv- oder Partyreise geschenkt.

Oder etwa doch? Gab es heutzutage sogar schon bei Reisen für Bücherwürmer Animateure? Sollte dieser Kerl, der aussah wie ein britischer Lord aus dem Feierabendprogramm, mich und die anderen Reiseteilnehmer zu höchsten literarischen Genüssen anstiften? Uns dazu animieren, eine maximale Anzahl von Krimis innerhalb einer Ferienwoche zu lesen? Los doch, meine liebe Anna, nur keine Müdigkeit vorschützen! Ein Mordfall geht noch. Du schaffst das! Und ich sollte dann entzückt stöhnen und eine weitere Seite umblättern?

Thomas strahlte mich an wie eine Hundert-Watt-Birne, während ich meine amoklaufenden Gedanken zu zügeln versuchte.

„Nun“, begann er mit einem verschwörerischen Lächeln, als wären wir bereits die allerbesten Freunde, „das trifft zwar auf dich bestimmt nicht zu, liebe Anna, aber manche unserer Singles sind – wie soll ich es ausdrücken? Na ja, sagen wir mal etwas schüchtern. Es fällt ihnen schwer, selbst den ersten Schritt zu tun, und da komme ich ins Spiel. Ich werde diese Woche dafür sorgen, dass ihr euch alle zwanglos kennenlernen könnt, und euch bestens amüsiert. Und vielleicht ist ja sogar der Traummann für dich dabei, meine liebe Anna. Wenn ich das sagen darf: Ein Mann kann sich glücklich schätzen, wenn er dich …“

Weiter kam er nicht, denn ich hob beide Hände. Oder vielmehr: Ich riss sie hoch, als hätte er den Lauf einer Waffe auf mich gerichtet. Seine Erklärung hatte mich so verwirrt, dass ich erneut nur ein einziges Wort hervorbrachte.

„Siiiingle?“, wiederholte ich gedehnt. Ich muss ihn angeguckt haben, wie die sprichwörtliche Kuh, wenn’s blitzt.

Er ließ sich davon allerdings nicht aus der Ruhe bringen. Keinen Millimeter weit. Stattdessen nickte er euphorisch und schraubte sein Strahlen noch etwas höher. Zweihundert Watt.

„Du bist doch alleinstehend, nicht wahr?“, fragte er augenzwinkernd. „Auf der Suche nach Mr. Right?“

Die Zähne, die er beim Lächeln entblößte, waren so weiß, dass sie mich beinahe blendeten. Und das im Abendlicht! Kaum, dass die Sonne hinter dem Hotel versunken war, dämmerte es nämlich bereits. Oder war es nur die Dunkelheit der Verzweiflung, die mich plötzlich einhüllte?

Das klingt ganz schön übertrieben, hm? Tut mir leid. Aber mir war tatsächlich – und ganz unvermittelt – hundeelend zumute, obwohl ich normalerweise wirklich keine Drama-Queen bin.

Ich wusste nicht, was ich zu dieser lebenden Glühbirne sagen sollte, die noch immer vor mir stand und mich hemmungslos gut gelaunt angrinste. Ich verspürte den dringenden Wunsch, einen Mord zu begehen. Nicht bloß an diesem Animateur, sondern vor allem an Veronika! Diese Hexe und heimtückische Fallenstellerin! Übelste aller Verräterinnen! Sie hatte mich hereingelegt.

Ich Blindschleiche hatte den Namen des Reiseveranstalters – den einzigen Hinweis auf Veronikas dunkle Machenschaften – vollkommen falsch interpretiert.

Perfect Company war kein unverschämtes Eigenlob. Es bedeutete nicht perfekte Firma, sondern perfekte Gesellschaft! Hoffnungsvolle Frauen und Männer wurden von diesem Reiseveranstalter – oder sollte ich lieber sagen übelsten Kuppelei-Laden? – hierher ins Dartmoor gekarrt, um das Dümmste zu tun, wozu Menschen in der Lage waren … sich zu verlieben!

Am liebsten hätte ich mir meinen Koffer geschnappt und wäre auf und davon gerannt.

Kapitel 2

Thomas ließ es sich nicht nehmen, mir persönlich mein Zimmer zu zeigen. Meine Suite, wie er es ausdrückte. Ich kann nicht leugnen, dass die Unterbringung diesem Namen mehr als gerecht wurde. Das Zimmer lag im Erdgeschoß auf der Rückseite des Hotels, war geräumig, luxuriös eingerichtet und verfügte über eine ebenerdige Terrasse, von der aus man direkt ins Moor hinauswandern konnte. Über der urtümlichen Landschaft lagen bereits die langen Schatten der hereinbrechenden Dämmerung.

Ich wurde Thomas so rasch wie möglich los, indem ich große Müdigkeit von der Reise vortäuschte, und ließ mich anschließend auf das Sofa neben dem Ausgang zur Terrasse sinken. Es war breit und mit weichen Kissen ausgestattet, ein herrliches Leseplätzchen.

Draußen auf der Terrasse befand sich ein Gärtner, der aussah, als ginge er schon auf die neunzig zu, und war damit beschäftigt, einige Pflanzkübel zu bewässern. Sie bildeten eine Art Abgrenzung zwischen den Steinplatten und dem Moor. Der gute Mann war so eifrig bei der Arbeit, dass er eine halbe Sintflut auf der Terrasse anrichtete. Als er den Kopf drehte und in meine Richtung blickte, hob er grüßend eine Hand und winkte mir zu. Er ergänzte den Gruß mit einem breiten, aber ziemlich zahnlosen Grinsen.

An der Decke meines Zimmers waren wuchtige braune Dachbalken zu sehen und über dem Nachttisch neben dem Bett hing doch tatsächlich ein kleines Bücherregal. Und zwar eines, das nicht bloß alibimäßig mit irgendwelchen verstaubten Schwarten gefüllt war. Stattdessen fanden sich zeitgenössische Thriller und Krimis auf den beiden Regalborden, auf Englisch natürlich, aber damit hatte ich kein Problem.

Schön und gut. Unter normalen Umständen hätte ich dieses Zimmer geliebt, und auch das, was ich bis jetzt vom Hotel gesehen hatte. Es war ein Vier-Sterne-Haus, ganz aus Stein gebaut und mit einem grauen Schindeldach gedeckt. Es war nur zwei Stockwerke hoch, zog sich dafür aber recht weit in die Länge und schmiegte sich dabei anheimelnd in die einsame und so mystisch anmutende Landschaft des Nationalparks.

Dennoch war mein erster Impuls, sofort wieder abzureisen und den ersten Flug nach Hause zu nehmen, um Veronika eigenhändig zu teeren und zu federn. Diese hinterhältige Kupplerin! Schickte mich einfach auf eine Single-Reise!

Ich war Single, aber ich war nicht allein. Mein Leben war verflixt noch mal in Ordnung! Nur über meine Leiche würde ich mich an irgendeinen Kerl binden.

Ich hob den Hörer des Telefons ab, das auf dem Nachttisch stand und drückte auf dem Display die Schaltfläche mit der Aufschrift Rezeption.

„Ja … hallo. Ich möchte, ähm, abreisen“, stammelte ich. „Ja, heute noch. Ich brauche einen Flug nach Wien.“

Ich lebte nicht in der österreichischen Hauptstadt, sondern eine halbe Stunde südlich davon, aber diese Distanz war ohne Probleme zu überbrücken, ganz egal, wann ich auf dem Flughafen in Wien Schwechat landete.

„Tut mir sehr leid, aber das wird heute Abend nicht mehr gehen“, erklärte mir die Rezeptionistin nach einer kurzen Wartezeit. Sie ratterte mir die Abfahrtszeiten der nächsten Züge herunter und wies darauf hin, dass es gute vier Stunden dauerte, halb Südengland zu durchqueren, um den Flughafen London Heathrow zu erreichen, von wo aus ich nach Wien Schwechat abheben konnte.

„Ich könnte Ihnen morgen Vormittag einen Zugplatz reservieren“, schlug sie vor, „und einen Flug am frühen Nachmittag, Miss Pilgram. Sie müssten allerdings mit der Fluggesellschaft klären, wie flexibel Ihr Ticket ist. Oft kostet eine Verschiebung leider fast so viel wie ein neu gebuchter Flug.“

Mein Blick fiel auf ein A4-Blatt, das auf einem der Kopfkissen lag.

Dein Wochenprogramm, lautete die Überschrift, und rechts daneben prangte das Logo von Perfect Company. Alles locker und informell per Du. Genauso wie der Reiseleiter mit dem Glühbirnenlächeln. Wie schön. So familiär.

Igitt!

Doch was soll ich sagen: Wie von selbst überflogen meine Augen ein paar der Einträge.

Sonntag, 5. Juni, 9 Uhr: Erste Erkundungstour des Moors.

15 Uhr: Krimi-Dating in der Bibliothek.

Nein danke!

Obwohl … sich mit anderen Menschen über Krimis auszutauschen, dazu hatte ich viel zu selten Gelegenheit. Ich war keine einsame Frau, ganz bestimmt nicht, aber durchaus eine einsame Leserin. Auf langweiligen Small Talk bei einem Date hatte ich gewiss keine Lust. Auf ein gemütliches Schwätzchen mit einem gleichgesinnten Büchernarren schon viel eher.

Montag, 6. Juni, 10 Uhr: Besichtigung von Agatha Christies Landhaus in Devon.

Wow, Agatha war eine meiner Lieblingsautorinnen! Ich wusste, dass ihr Landsitz ein Traumhaus war. Es hatte als Schauplatz für den Poirot-Krimi Wiedersehen mit Mrs. Oliver gedient.

Ich wechselte vom Sofa aufs Bett, das Programm noch immer in Händen und ließ mich auf das Kopfkissen sinken. Ein kleiner, wohliger Seufzer entfuhr mir. Das Kissen war wunderbar weich, knisterte leise in meinem Nacken und duftete nach Lavendel.

Ich hatte mich sooo sehr auf diese Urlaubswoche gefreut. In den letzten Monaten hatte ich kaum einen freien Tag gehabt, hatte geschuftet wie eine Wahnsinnige. Ich arbeitete selbst in einem Hotel, einem Vier-Sterne-Haus, wo ich mich in den letzten Jahren zur Rezeptionsleiterin hochgearbeitet hatte. Aber ich kann Ihnen versichern, der Job in einem Hotel – auch wenn es ein fürstliches Haus ist – hat absolut nichts mit Urlaub gemein. Auch wenn viele Menschen dieser Ansicht sind. Ich war wirklich reif für die Insel, oder, na ja, eben fürs Moor.

Am Dienstag, den 7. Juni, gab es gleich zwei Programmpunkte.

10 Uhr: Tatort-Spaziergang im Moor mit Robert Barnard.

Auch von diesem Autor hatte ich schon gehört, obwohl ich noch keinen seiner Thriller gelesen hatte. War er diese Woche tatsächlich hier im Hotel und würde uns an Schauplätze eines seiner Bücher führen? Das hörte sich verdammt spannend an.

16 Uhr: Das Dartmoor im Werk von Arthur Conan Doyle und Agatha Christie, mit Olivia Trefusis, Bloggerin.

„Miss Pilgram?“, ertönte es aus dem Telefon.

Die Rezeptionistin! Ich hatte sie schon beinahe vergessen.

„Soll ich die Reise morgen für Sie organisieren? Den Zug am Vormittag und anschließend den Flug nach Wien?“

„Was? Ja, bitte. Nein … warten Sie noch damit. Ich bleibe vielleicht doch ein paar Tage hier. Ich bin wirklich urlaubsreif.“

Bildete ich es mir nur ein oder lächelte sie am anderen Ende der Leitung? War sie sich des Charmes ihres Hotels und des Moors voll bewusst? Und vor allem des Angebots für Krimifans, mit dem die Black Hart Lodge lockte?

„Ich melde mich noch mal“, sagte ich zu der Frau, bedankte mich und legte auf.

Erst einmal eine heiße Dusche, beschloss ich, und dann Abendessen. Im Flugzeug hatte ich nur ein Sandwich gegessen, und das Bordrestaurant im Zug hatte so wenig vielversprechend ausgesehen, dass ich es sofort wieder verlassen hatte. Mein Magen knurrte jetzt also und forderte mich auf, gefüllt zu werden.

Während ich das herrlich heiße Wasser aus der Regenwalddusche im Badezimmer auf meine verspannten Schultern prasseln ließ, fasste ich einen Entschluss. Ich würde mir den wohlverdienten Urlaub, den ich so herbeigesehnt hatte, nicht verderben lassen.

Ganz im Gegenteil. Ich beschloss, Rache an meiner kuppelsüchtigen Schwester zu nehmen. Sie hatte bestimmt eine Stange Geld für diese Woche investiert. Die Black Hart Lodge war keine Billig-Absteige. Ich würde ihr großzügiges Geschenk also voll ausnutzen und gleichzeitig ihre teuflischen Pläne durchkreuzen. Niemand konnte mich dazu zwingen, an den Balzritualen der Single-Reise teilzunehmen. Thomas mochte mich animieren, wie er wollte, er war machtlos, wenn ich mich für keinen der Reiseteilnehmer interessierte.

Ich würde mich einfach auf die örtlichen Sehenswürdigkeiten konzentrieren. Auf die wunderschöne Moorlandschaft, das Hotel und sein Krimiangebot, das allen Gästen – nicht bloß den Teilnehmern von Thomas’ Balzrunde – offenstand. Ich würde das alles voll auskosten, um danach genauso frei und unabhängig zu meiner missratenen Schwester heimzukehren, wie ich diese Reise angetreten hatte. Single aus Leidenschaft. Auf immer! Jawohl!

Ein wunderbarer Plan. Mit neuem Schwung zog ich mich an, wobei ich aber bewusst eine ziemlich alte Jeans auswählte. Sie war bequem, und nur das zählte. Einen Aufriss würde ich damit eher nicht machen, aber das war ja explizit auch nicht mein Ziel. Dazu kombinierte ich einen dünnen, dunkelgrauen Pullover. Wir hatten zwar Juni, doch England war bekanntermaßen keine Tropendestination.

Das Restaurant der Lodge war Liebe auf den ersten Blick für mich. Dunkle Wandvertäfelungen, herrlich verschrobene alte Möbel, ein wild gemusterter Teppichboden und wunderschön restaurierte Sprossenfenster, die sich vom Boden bis zur hohen Decke des Raums erstreckten. Also waren es eigentlich eher Terrassentüren.

Zwei davon standen offen, und ein paar Hotelgäste hatten auch an den Tischen draußen Platz genommen. Am Himmel hatten sich zwischenzeitlich einige dunkle Wolken zusammengeballt, und ein frischer Wind war aufgekommen. Ich zog es also vor, drinnen zu essen.

Im hinteren Teil des Raumes, vor einem riesigen steinernen Kamin, in dem ein Feuer prasselte, entdeckte ich jene Tafel, die für die Gäste der Perfect Company vorgesehen sein musste. Einige deutschsprachige Frauen und zwei Männer hatten dort bereits Platz genommen, beäugten einander erwartungsvoll und versuchten sich an erstem, ziemlich unbeholfenem Small Talk.

Ich blieb kurz stehen, sah zu ihnen hinüber – bloß nicht zu auffällig – und lauschte ihren Gesprächen. Womit ich natürlich sofort ungewollte Aufmerksamkeit auf mich zog. Zwei oder drei Augenpaare wanderten zu mir herüber und taxierten mich glotzend wie einen Preis-Stier auf einer Landwirtschaftsschau.

Puh! Ich wandte rasch meinen Blick ab. Für nichts auf der Welt würde ich mich zu diesen Leuten gesellen.

„So schüchtern, meine Liebe?“, erklang plötzlich eine melodiöse Frauenstimme zu meiner Rechten.

Ich wirbelte herum, entdeckte eine elegant gekleidete Dame, die vielleicht sechzig Jahre alt sein mochte. Nein, vermutlich sogar noch etwas älter. Sie war sehr gepflegt, hatte goldblond gefärbtes, kurzes Haar und sehr lebendige braune Augen. Was sie jünger wirken ließ.

Sie saß allein an einem Tisch, der vor einer der geschlossenen Terrassentüren stand und lud mich jetzt mit einer schwungvollen Handbewegung dazu ein, doch an ihrem Tisch Platz zu nehmen.

„Akklimatisieren Sie sich erst einmal“, sagte sie lächelnd, „in den nächsten Tagen haben Sie ja noch genügend Zeit, die anderen Teilnehmer kennenzulernen.“

Ich ließ mich zögerlich auf dem Stuhl nieder, auf den sie gewiesen hatte. „Woher wissen Sie …“, begann ich stammelnd.

„Dass Sie auch zu der Single-Gruppe gehören, meinen Sie?“, vollendete Sie meinen Satz.

Ich nickte wortlos. Sah ich aus, als sehnte ich mich nach Gesellschaft? Als wäre ich auf der Suche nach einem Mann? Oh, Gott … bloß das nicht.

Sie legte eine Hand mit einem großen Diamantring und perfekt manikürten, dunkelroten Nägeln auf die meine. „Sie haben recht interessiert zu den Leuten dort drüben hinübergeblickt“, sagte sie mit einem Lächeln. „Neugierig, aber auch ein wenig zwiespältig, möchte ich meinen. Sie haben sich gefragt, ob Sie sich zu diesen Menschen gesellen sollten oder lieber nicht.“

„Das werde ich ganz bestimmt nicht tun!“, brauste ich auf.

Das Lächeln der älteren Frau wurde breiter.

„Oh? Dann sind Sie doch ein Individualgast des Hotels? Aber Sie stammen aus Deutschland, nicht wahr? Nein … aus Österreich, wie unaufmerksam von mir. Aus Wien, wenn ich nach Ihrem Akzent gehe? Ich selbst bin Deutsche, lebe aber in Kärnten, und das schon eine ganze Weile. Am Wörthersee.“ Noch ein breiteres Lächeln. Die braunen Augen musterten mich, als könnten sie auf den Grund meiner Seele blicken.

„Was? Nein … na ja, ich lebe in der Nähe von Wien und ich bin …“

Ich zögerte. In diesem Augenblick kam zum Glück eine Kellnerin herbeigeeilt, die meine Bestellung aufnahm.

Kaum, dass sie wieder gegangen war, ertappte ich mich dabei, dass ich dieser wildfremden Frau mein Herz ausschüttete. Ich beklagte mich über meine Schwester, die mich so hinterhältig in eine Falle gelockt hatte und für die der Inhalt des Lebens bloß darin bestand, einen heiratsfähigen Mann zu erobern und dann eine so reiche Kinderschar zu zeugen, als ob die Menschheit akut vom Aussterben bedroht wäre.

Anschließend bekräftigte ich noch einmal, dass ich ganz bestimmt nicht an einer Beziehung interessiert war. Nicht an einem Urlaubsflirt und schon gar nicht an etwas Ernsterem.

„Ist doch kein Problem, meine Liebe“, sagte die alte Dame, leichthin. „Machen Sie sich doch einfach eine schöne Zeit. Sie sind ja zu nichts verpflichtet.“

Ich nickte erleichtert, denn das, was sie da sagte, lag auf der Hand. Niemand konnte mich dazu zwingen, mich zu verlieben oder auch nur ein wenig zu flirten. Nicht Veronika, nicht dieser sogenannte Animateur, der aussah wie ein Highlander, und auch sonst kein Mensch auf diesem Erdball.

Warum war ich eigentlich so verkrampft?

Entspann dich, Anna, sagte ich mir im Stillen. Normalerweise überforderte mich so schnell nichts. Ich fühlte mich sonst jeder noch so kniffligen Situation gewachsen, egal ob ich zu Hause in meinem Provinznest hinter der Theke der Rezeption stand oder ob ich mich auf Reisen befand. Auch wenn Letzteres vielleicht nicht so oft vorkam, wie ich es mir gewünscht hätte.

Ich atmete ein paar Mal tief ein und aus, ließ den Blick durch den Raum wandern, aber bloß nicht zu dem Single-Tisch hinüber. Das Hotel war wirklich eine Pracht. Man hatte das Gefühl, zu Gast auf einem urtypischen britischen Landsitz zu sein, und die Liebe zur Krimiliteratur, der sich die Hoteleigentümer verschrieben hatten, war nirgendwo zu übersehen. Selbst hier im Restaurant fanden sich zwischen einigen altehrwürdigen Ölgemälden, die die Wände zierten, auch das eine oder andere Bücherbord.

Dieses Hotel war der Spannungsliteratur verschrieben, nicht dem krampfhaften Dating. Die Perfect Company hatte es sich nur als Destination für diese spezielle Tour auserkoren. Das bedeutete: Neben den Teilnehmern der Single-Reise gab es auch noch andere Gäste. Da waren zum Beispiel zwei junge Familien mit jeweils einem Kind, die im Eingangsbereich des Restaurants saßen. Außerdem noch einige Ehepaare.

Ich atmete weiter. Alles in Ordnung, Anna. Du wirst dir hier einen schönen Urlaub machen und dich erholen. Auf Veronikas Kosten! Je mehr du die Zeit genießt, desto süßer wird sich deine Rache anfühlen.

Kapitel 3

„Ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt“, sagte die ältere Dame, an deren Tisch ich Platz genommen hatte, und riss mich damit aus meinen Gedanken.

Sie streckte mir ihre Hand entgegen. „Adele Ottenfels. Wollen wir es so handhaben, wie unser, ähm, Animateur es vorgeschlagen hat? Sprich: Wollen wir per Du sein?“

„Was? Ja gerne“, sagte ich rasch. „Anna Pilgram.“

Ich schüttelte ihre Hand, die warm, aber ein wenig knöchern in meiner lag. Adele war eine sehr schlanke Frau. Ihre Schlüsselbeine traten im Ausschnitt ihrer violetten Seidenbluse auffällig hervor.

„Ich selbst hätte nichts dagegen, hier einem netten Mann zu begegnen“, sagte meine neue Bekannte nach einer kurzen Pause, in der jede von uns ihre Suppe löffelte. „Ich bin verwitwet und habe die Reise selbst gebucht. Ich wurde nicht hereingelegt“, fügte sie mit einem schelmischen Grinsen hinzu. „Aber ich fürchte, ich habe mich von dem Werbeslogan der Perfect Company ein wenig blenden lassen.“

Ihr Lächeln schlug ins Melancholische um, dann verblasste es ganz. „Die wahre Liebe. In jedem Alter“, zitierte sie. „Damit wird es wohl nichts werden, wenn ich mir unsere Mitreisenden so ansehe.“

Sie nickte mit dem Kopf in Richtung der großen Tafel, an der inzwischen weitere Teilnehmer der Single-Tour Platz genommen hatten. „Die meisten sehen nett aus, und wer hätte gedacht, dass so viele Männer dabei sein würden? Ich hätte einen gewissen Frauenüberschuss erwartet. Aber ich könnte die Mutter von jedem dieser Kerle sein. Wenn nicht sogar die Oma.“