Der transgressive Charakter der Pornografie - Nathan Schocher - kostenlos E-Book

Der transgressive Charakter der Pornografie E-Book

Nathan Schocher

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Beschreibung

Viele Menschen nutzen täglich Pornografie. Doch was erregt, erregt auch Anstoß - aktuell vor allem im Rahmen zweier Debatten: der sogenannten Pornografisierung der Gesellschaft und der Popularisierung von alternativen Pornografien. Nathan Schocher zeigt, dass diese Debatten in einem transgressiven Charakter der Pornografie wurzeln. In der Auseinandersetzung mit den philosophischen Konzepten von Foucault und Bataille sowie feministischer Pornografie-Kritik von Butler und Preciado entwickelt er ein Instrumentarium, mit dem sich ein differenziertes Bild des transgressiven Charakters der Pornografie zeichnen lässt.

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Nathan Schocher, geb. 1978, hat an der Universität Zürich Philosophie, Deutsche Literatur- sowie Politikwissenschaft studiert und war Mitglied des Graduiertenkollegs am Zentrum Gender Studies der Universität Basel. Er lebt in Zürich und arbeitet als Programmleiter bei der Aids-Hilfe Schweiz.

Nathan Schocher

Der transgressive Charakter der Pornografie

Philosophische und feministische Positionen

Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Herbstsemester 2017 auf Antrag von Prof. Dr. Georg Kohler und Prof. Dr. Andrea Maihofer als Dissertation angenommen.

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution 4.0 Lizenz (BY). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell. (Lizenztext:

https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de)

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Erschienen 2021 im transcript Verlag, Bielefeld © Nathan Schocher

Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld

Korrektorat: Die Orthografen GmbH, Zürich

Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar

Print-ISBN 978-3-8376-5467-7

PDF-ISBN 978-3-8394-5467-1

EPUB-ISBN 978-3-7328-5467-7

https://doi.org/10.14361/9783839454671

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

1.Einleitung: Die Ambivalenz der Pornografie

1.1Gegenstand

1.2Verortung

1.3Vorgehen

1.4Ziel

2.Das Verhältnis von Pornografie und Transgression

2.1Überblick

2.2Definitionen

2.2.1.Pornografie

2.2.2.Transgression

2.3Normative Aspekte der Sexualität

2.3.1.Das Subjekt und die Wahrheit des Sex

2.3.2.Die Regulierung sexueller Beziehungen zwischen Männern

2.3.3.Zweigeschlechtlichkeit und die Objektivierung der Frau

2.3.4.Intimität und die Ablehnung des Obszönen

2.4Transgressive Aspekte der Sexualität

2.4.1.Erotismus und Transgression

2.4.2.Sexualität an der Grenze des Diskursiven

2.4.3.Triebunterdrückung durch Kulturanforderungen

2.4.4.Subjektivierung und Geschlechtsidentität

2.4.5.Subversive Handlungsspielräume

2.5Pornografie zwischen Normierung und Transgression

2.5.1.Das Problem der Masturbation

2.5.2.Die Pornografie der Viktorianer

2.5.3.Organisierte Transgression und utopisches Begehren

2.5.4.Die Relationalität des Begehrens

2.5.5.Das Verlangen nach Überschreitung

2.5.6.Die Interaktion zwischen Medium und Subjekt

2.6Fazit

3.Transgression in der feministischen Pornografiekritik

3.1Überblick

3.2Die feministische Kritik an der Pornografisierung

3.2.1.Der Begriff Pornografisierung

3.2.2.Bedingungen für Pornografisierung

3.2.3.Der pornografische Blick

3.2.4.Objektivierung, Selbstobjektivierung und Empowerment

3.3Die feministische Kritik an der Pornografie

3.3.1.Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung

3.3.2.Der Schutz der Redefreiheit

3.3.3.Verortungen und Bezugnahmen

3.3.4.Parallelen in der Argumentation

3.3.5.Parallelen in Methodik und Rhetorik

3.4Fazit

4.Transgression in alternativen Pornografien

4.1Überblick

4.2Strategien alternativer Pornografien

4.2.1.Eine weiblichere Pornografie

4.2.2.Die identitätsstiftende Funktion schwuler Pornografie

4.2.3.Camp als politisch-ästhetische Strategie

4.2.4.Transgender-Körper in der Pornografie

4.3Post-Pornografie

4.3.1.Ein subversives Potenzial

4.3.2.Kontra-Sexualität

4.3.3.Die Pornotopie

4.3.4.Alternative Körper, Gonzo und Post-Pornografie

4.4Fazit

5.Schlussteil

5.1Résumé

5.2Transgressive Aspekte der Pornografisierung

5.3Irreguläre Identifizierungen

5.4Für eine neue Ethik der Lüste

6.Dank

7.Literaturverzeichnis

1.Einleitung: Die Ambivalenz der Pornografie

1.1Gegenstand

Unsere Gesellschaft hat ein ambivalentes Verhältnis zu Pornografie. Auf der einen Seite finden viele Menschen Pornografie problematisch; deren zum Teil gewaltförmige, rassistische und frauenfeindliche Inhalte stoßen auf Kritik. Auf der anderen Seite wird Pornografie täglich von einer großen Anzahl Menschen genutzt; Angehörige sexueller Minderheiten empfinden sie zum Teil gar als ermutigend und bestärkend. Wie kommt es zu diesem ambivalenten Verhältnis der Gesellschaft zu Pornografie?

Die vorliegende Arbeit geht dieser Frage in der Analyse zweier aktueller gesellschaftlicher Phänomene nach: Das eine ist die sogenannte Pornografisierung der Gesellschaft, das andere ist das Aufkommen von zur Mainstream-Pornografie alternativen Konzepten wie etwa der Post-Pornografie. Beide Phänomene verweisen auf ein der Pornografie inhärentes Spannungsfeld zwischen Normierung und Transgression. Dieses soll in dieser Arbeit näher beleuchtet werden. Beginnen wir mit einem kurzen Überblick über die erwähnten Phänomene.

Was ist Pornografisierung? Hier ein Beispiel: Der Bachelor heißt eine aktuelle Fernsehshow im Privatfernsehen. Zwanzig leicht bekleidete Damen buhlen um einen begehrten Junggesellen, den Bachelor. Die Sendung, ein international erfolgreiches Format, oszilliert zwischen Märchen und Pornografie. Dem Märchen entsprungen ist die cinderellahafte Anlage der Sendung, in der Frauen auf nichts anderes warten, als von ihrem Traumprinzen erwählt zu werden. Pornografisch sind dagegen das Setting, die Posen, die Outfits, die Gespräche. Mehrere Kandidatinnen haben eine Karriere als Nacktmodell oder gar als Pornodarstellerin vorzuweisen. Ist eine solche Sendung ein Beleg für eine Pornografisierung der Gesellschaft? Ein Großteil der feministischen Kritik an der Pornografisierung ist dieser Ansicht, wobei unter dem Begriff nicht immer dasselbe verstanden wird. Teils wird der Begriff für Phänomene verwendet wie Der Bachelor, in denen Pornografie über Werbung, Reality-TV-Shows, Musikvideos etc. unsere Pop- und Alltagskultur unterwandert; teils beschreibt er ganz generell den erleichterten Zugang zu Pornografie über Internet und Smartphones, der zu einer größeren Verbreitung von Pornografie in der Öffentlichkeit geführt hat. Uneinigkeit besteht auch in der Bewertung der Pornografisierung. In der öffentlichen Debatte dominant sind kritische Stimmen wie die der feministischen Autorin und Aktivistin Gail Dines. Ihr letztes Buch hieß Pornland: How porn has hijacked our sexuality – die Metapher im Titel gibt einen deutlichen Hinweis darauf, worum es Dines geht. Sie behauptet, Pornografie raube insbesondere Jugendlichen ihre Sexualität, indem sie sie schon in einem frühen Entwicklungsstadium mit pornografischen Bildern überflute. Sie beeinflusse so Sexualverhalten wie auch Körperbild der Jugendlichen negativ. Sie propagiere gewalttätige und Frauen herabwürdigende Sexualpraktiken, und die perfekten und sexuell hyperleistungsfähigen Körper der Sexindustrie führten zu einem objektivierenden, sozusagen pornografischen Blick auf den eigenen und andere Körper.

Was ist dagegen unter alternativer Pornografie zu verstehen? Dieser relativ breite Begriff umfasst alle Formen von Pornografie, die nicht Mainstream sind, also nicht industriell für ein männliches, heterosexuelles Publikum hergestellt werden. Darunter fallen Amateurpornos, aber auch speziell für Frauen, Schwule oder Transmenschen produzierte Pornografie oder die in den letzten Jahren wachsende Szene der Post-Pornografie. Letztere verfolgt den Anspruch einer nicht sexistischen, nicht heteronormativen, nicht rassistischen Pornografie. Sie sollte im besten Fall subversiv, revolutionär sein und versuchen, die herrschende Geschlechter- und Gesellschaftsordnung zu verändern. Damit wendet sie sich direkt gegen Aspekte der Mainstream-Pornografie, die auch von feministischer Seite kritisiert werden: Frauenfeindlichkeit, Rassismus etc. Sie antwortet darauf jedoch nicht mit Zensurbestrebungen, sondern mit einer alternativen Form von Pornografie.

In dieser Einleitung möchte ich zunächst auf die Ambivalenz der Pornografie eingehen. Anschließend werde ich aufzeigen, wo sich meine Arbeit innerhalb der Pornografiedebatten verortet. Dann werde ich mein Vorgehen skizzieren, Methode und Material vorstellen. Zuletzt umreiße ich, welches Ziel ich mit dieser Arbeit verfolge.

Angenommen, Pornografie ist einfach eine Art und Weise, wie Wissen über Sexualität in der Gesellschaft zirkuliert: Was unterscheidet sie dann von anderen Arten der Wissensvermittlung zu Sexualität? Im Gegensatz etwa zu einer Aufklärungsbroschüre oder der Sexualerziehung in der Schule gibt die Pornografie eine erste Antwort auf eine Frage, die für das Leben der eigenen Sexualität wichtig ist: Was erregt mich? Die Antwort auf diese Frage dürfen offizielle Informationen über Sexualität nicht geben, da sie sonst in Verdacht kommen, Pornografie zu verbreiten. Sexualerziehung an Schulen sieht sich beispielsweise oft mit diesem Vorwurf konfrontiert. Auch wird immer wieder öffentlich diskutiert, wie explizit zum Beispiel HIV/Aids-Prävention zu erfolgen hat.

Woher kommt nun diese Frage, und weshalb ist sie so zentral? Der wichtigste Auslöser sind wahrscheinlich die körperlichen Veränderungen, die die Pubertät mit sich bringt. Veränderungen in intimen Bereichen des eigenen Körpers festzustellen, stellt die Jugendlichen vor Fragen, deren Antworten unmittelbar mit der Sexualität zusammenhängen. Diese Veränderungen geschehen zudem zeitgleich bei einer ganzen Gruppe von Gleichaltrigen, was die Diskussion zu sexuellen Themen zusätzlich anfacht. Zusammen mit in den Medien aufgeschnappten Informationen entsteht so bereits ein vages Wissen über eigene sexuelle Präferenzen, entstehen Fantasien und sexuelle Bilder, die in den allermeisten Fällen einem sexuellen Erstkontakt vorausgehen. Sexueller Kontakt erfolgt also in der Regel nicht, ohne dass vage Bilder davon, was ein solcher Kontakt bedeuten könnte, schon vorhanden sind. Diese ersten Bilder und Fantasien lösen Neugier auf sexuelle Praxis aus, haben jedoch auch Unsicherheiten und Ängste zur Folge. Das beste Mittel gegen diese Ängste ist Wissen, das über Sexualaufklärung, aber auch über Pornografie beschafft werden kann. Dieses Wissen liefern natürlich auch die ersten sexuellen Kontakte selbst. Nur sind solche Kontakte nicht für alle an diesem Wissen Interessierten unmittelbar verfügbar. Wenn Menschen zumindest ein Grundwissen darüber haben wollen, was sie erregt, bevor sie effektiv sexuellen Kontakt haben, sind sie auf Pornografie angewiesen.

Doch stellt Pornografie nicht gerade Bilder und Fantasien als erregend dar, die für die sexuelle Praxis sogar schädlich sind? Dies behauptet zumindest ein Teil der feministischen Pornografiekritik. Um diese Behauptung zu überprüfen, müssen wir uns detailliert mit den Inhalten, die Pornografie transportiert, auseinandersetzen. Vorläufig gehe ich davon aus, dass Pornografie die Macht hat, unterschiedlichste Reaktionen auszulösen in einer Spannbreite von Verlangen über Indifferenz bis zu Ekel und Widerwillen. Des Weiteren treffe ich die Annahme, dass Pornografie zwar sehr wohl sexuelle Fantasien erzeugen, formen und steuern kann, aber in der Regel bereits auf einen Nährboden von vagen Präferenzen und Bildern auftrifft. Die Inhalte der Pornografie und deren Manipulationsmacht treffen also immer schon auf einen gewissen Bestand an Wissen, den Jugendliche über sich, ihre Körper und sexuellen Präferenzen haben, so klein dieser Wissensbestand auch sein mag. Dies ist wichtig, da – falls diese These zutrifft – dieser Grundbestand an Wissen über Sexualität durch pornografische Inhalte zwar überformt, gelenkt und erweitert würde, aber nicht grundlegend gelöscht und ersetzt werden könnte.

In dieser Arbeit werde ich mich detailliert mit den Argumenten der feministischen Pornografiekritik befassen und ihr in vielen Punkten zustimmen. Es gibt jedoch einen zentralen Punkt, der mich in vielen Texten, die Kritik an Pornografie und Pornografisierung üben, befremdet und der in Dines’ eingangs genanntem Buchtitel explizit wird. Wenn Pornografie uns unserer Sexualität berauben kann, ist Sexualität etwas, was wir unabhängig von Pornografie bereits besitzen. Hier kommt eine essenzialisierende Vorstellung von Sexualität zum Vorschein: Sexualität ist etwas, was wie ein Pflänzchen möglichst unbeeinflusst von äußeren Eindrücken im Inneren des Individuums heranwachsen soll, bis es stark und kräftig genug ist, um dann dem verzerrenden Einfluss der Pornografie zu widerstehen. Ich halte es für sinnvoller, davon auszugehen, dass sich sexuelle Identität und sexuelles Begehren gerade im Austausch mit der Umwelt und so auch mit pornografischen Bildern, die sich da befinden, herausbilden. Eine ursprünglich reine, harmonische, nicht gewaltförmige Sexualität, die von der Pornografie geraubt werden kann, gibt es nicht.

1.2Verortung

Die Kritik an der Pornografie ist nicht neu. Sie existiert mindestens, seit Pornografie eine gewisse Verbreitung hat. Doch seit wann ist das der Fall? Die Historikerin Lynn Hunt begreift Pornografie als Phänomen der westlichen Moderne, das im 18. Jahrhundert zusammen mit der Verbreitung des Buchdrucks auftritt. Sie stehe in engem Zusammenhang mit typischen Merkmalen der Moderne: »Pornographie hängt mit Freidenkertum und Häresie, mit Wissenschaft und Naturphilosophie und mit Angriffen auf absolutistische politische Autoritäten zusammen.« (Hunt 1996, S. 9) Ihr Zweck lag Hunt zufolge nicht vorrangig im Stimulieren von Lust, sondern darin, Kritik gegen Autoritäten zu äußern. Erst im 19. Jahrhundert habe sich diese Gewichtung verschoben. Lange wurde Kritik an der Pornografie von staatlicher oder kirchlicher Seite geäußert und stellte insbesondere deren sittenwidrigen Charakter in den Vordergrund. Dies änderte sich durch die Frauenbefreiungsbewegung der 1960er- und 1970er-Jahre. Sie thematisierte sexuelle Gewalt und deren einschränkende Wirkung auf die Bewegungs- und sexuelle Freiheit von Frauen. Eine Reihe von feministischen Theoretikerinnen – die wichtigsten waren Andrea Dworkin und Catharine MacKinnon – machten in der Pornografie einen zentralen Auslöser für sexuelle Gewalt aus.

Wie die Pornografie selbst bewegt sich auch die Forschung über sie in einem stark moralisch und politisch aufgeladenen Feld. Der Queertheoretiker Paul B. Preciado schreibt dazu:

Porn is not yet considered a worthy subject for either cinematographic or philosophical study. Coupled with the academic scorn poured onto pornography – seen as mere cultural garbage – there is the persistence of what we might term the hypothesis of the brainless masturbator: pornography is seen as the zero degree of representation, a closed and repetitive code whose only function is and should be that of uncritical masturbation – with criticism understood as an obstacle to masturbatory success. In any case, as we are told, pornography does not deserve a hermeneutics. (Preciado 2009, S. 25)

So existiert erst seit ein paar Jahrzehnten eine nennenswerte akademische Forschung zu Pornografie, sei es aus kultur- oder medienwissenschaftlicher Perspektive, sei es aus philosophischer Perspektive. Einen großen Anteil daran haben feministische Autorinnen. Politischer Aktivismus gegen Pornografie hat im Lauf der Zeit zahlreiche Debatten angestoßen, die helfen, das Phänomen Pornografie in all seinen Facetten besser zu verstehen. Besonders virulent wurden in den letzten Jahren einerseits Fragen rund um die sogenannte Pornografisierung der Gesellschaft diskutiert, andererseits die Frage nach der Möglichkeit und dem Status von zum Mainstream alternativen Pornografien. Beide Fragen stehen deshalb im Fokus dieser Arbeit. Allerdings ist es mein Anspruch, auch über diese aktuellen Debatten hinaus Grundlagen sowie Grundbegriffe zu klären. Angelehnt an einen Aufsatz der Philosophin Alisa L. Carse (2000) möchte ich im Folgenden eine Auslegeordnung philosophischer Positionen in der Pornografiedebatte vornehmen. Auf dieser Grundlage verorte ich dann meine Arbeit.

Geht es um Pornografie, dreht sich die philosophische Debatte in der Regel um eine Frage: Soll man Pornos verbieten? Etwas philosophischer formuliert: Steht Pornografie unter dem Schutz der Rede- und Meinungsfreiheit, oder darf diese im Falle der Pornografie eingeschränkt werden? Ein protektionistisches Lager steht also einem restriktionistischen gegenüber.

Carse unterscheidet innerhalb des protektionistischen Lagers noch zwischen absolutem und gemäßigtem Protektionismus. Der absolute Protektionismus sieht in jedem Versuch, Pornografie staatlich zu regulieren, eine Bedrohung der Redefreiheit – eine Tyrannei des Moralismus. Der gemäßigte Protektionismus lässt Einschränkungen der Redefreiheit zu, wenn der aus der Redefreiheit entstehende Schaden größer ist als der durch die Einschränkung verursachte. Dies ist gemäß dieser Position aber bei Pornografie nicht der Fall.

Das restriktionistische Lager teilt Carse in Anstößigkeits- und Schadensrestriktionismus. Der Anstößigkeitsrestriktionismus erachtet Pornografie per definitionem als obszön und deshalb nicht von der Redefreiheit geschützt. Den Schadensrestriktionismus stört an Pornografie nicht der obszöne Gehalt. Er kritisiert die Schäden, die diese sowohl bei den an Entstehung und Konsum beteiligten Personen als auch in der Gesellschaft allgemein verursacht. Dieser Schaden sei groß genug, um die Regulierung der Pornografie zu rechtfertigen.

Carse befasst sich nicht eingehend mit der Position des Anstößigkeitsrestriktionismus, da sie die juristische Definition von Obszönität für so vage und problematisch hält, dass sie eine eigene Untersuchung verdient hätte. Sie hält jedoch fest, dass für den Anstößigkeitsrestriktionismus die sexuelle Explizitheit des Materials das Hauptkriterium für die Entscheidung darstellt, ob das Material pornografisch ist oder nicht. Sexuelle Explizitheit ist für diesen nur dann unproblematisch, wenn sie künstlerischen oder wissenschaftlichen Wert besitzt. Der Schadensrestriktionismus hingegen definiert Pornografie als Darstellung von Frauenhass, der die Erniedrigung des weiblichen Körpers bezweckt. Wenn eine sexuell explizite Darstellung Gewalt an Frauen nicht erotisiert, handelt es sich aus Sicht des Schadensrestriktionismus streng genommen nicht um Pornografie.

Carse selbst nimmt eine Position ein, die Argumente des gemäßigten Protektionismus mit solchen des Schadensrestriktionismus kombiniert. Gegen den absoluten Protektionismus führt sie an, dass Redefreiheit nicht als negative Freiheit auszulegen sei, also als Freiheit, uneingeschränkt alles zu sagen, was man wolle. Für Carse ist Redefreiheit ein Teilaspekt der positiven Freiheit, worunter sie in Anlehnung an Hannah Arendt Autonomie und Selbstbestimmung versteht. Diese Freiheit müsse geschützt werden, auch vor Exzessen der Redefreiheit, wie sie etwa rassistische oder antisemitische Hetzreden sowie Pornografie darstellten.

Gegen den gemäßigten Protektionismus wendet Carse ein, dass Pornografie Frauen sehr wohl erheblichen Schaden zufügen könne. Sie unterscheidet hierfür drei Arten: Pornografie könne Frauen erstens bei der Herstellung, zweitens in Darstellung oder Inhalt und drittens durch Verbreitung und Konsum schaden. Den Schaden, den die bei der Herstellung von Pornografie beteiligten Frauen erfahren, thematisiert Carse nicht. Der frauenfeindliche Gehalt steht für Carse ebenso wie für die gemäßigten Protektionisten außer Frage, nur rechtfertige er allein noch nicht die Einschränkung der Redefreiheit. Es müsse bewiesen werden, dass er sich auch schädlich auf die Nutzer und über diese auf die Gesellschaft auswirkt. Pornografie schade jedoch insofern, als sie eine Ungleichheit der Geschlechter propagiere und als natürliche Geschlechterdifferenz festschreibe:

Pornographische Materialien und die Gewohnheiten und Praktiken, die mit ihrem Konsum häufig einhergehen, stellen in sich eine Verletzung der Würde von Frauen dar, nicht zuletzt deshalb, weil Frauen als bloße Objekte gesehen werden, als entmenschlichte und entpersonalisierte Instrumente zur Befriedigung männlicher Wünsche und Launen. (Carse 2000, S. 187f.)

Wo liegen nun die Probleme in dieser Darstellung? Carse definiert Pornografie so, dass in ihr Frauen vorkommen müssen, die zu Sexualobjekten degradiert werden, und dass diese Erniedrigungen gutgeheißen oder sogar empfohlen werden. Schwule Pornografie zum Beispiel gibt es gemäß dieser Definition gar nicht.

Carse stellt dem negativen Freiheitsbegriff der absoluten Protektionisten einen positiven entgegen, der auf Autonomie und Selbstbestimmung basiert, in deren Namen untergeordnete Freiheiten wie die Redefreiheit auch mal eingeschränkt werden können. Ihr Argument lautet also: Pornografie beschneidet über die Formung der Vorstellungen von Geschlecht und Geschlechterdifferenz die Autonomie und Selbstbestimmung der Frauen, deshalb wäre eine Einschränkung der Redefreiheit in diesem Falle gerechtfertigt. Carse scheint mir hier von einem überdehnten Autonomiebegriff auszugehen. Gemäß ihrem Argument wäre Autonomie ein Freisein von den Vorstellungen der Gesellschaft, in der das Subjekt lebt. Eine alternative Annahme wäre, dass jedes Subjekt durch die Vorstellungen der Gesellschaft geformt wird. Da diese Vorstellungen zum Teil widersprüchlich sind, tut sich jedoch die Möglichkeit auf, zwischen den Vorstellungen und Rollenbildern zu wechseln oder sie sogar gegeneinander auszuspielen.

Carse wischt den Vorwurf der Obszönität etwas rasch als vage vom Tisch. Ich möchte dagegen in dieser Arbeit versuchen, im Begriff des Obszönen ein Kernmoment der Pornografie herauszuschälen, das in Carses einseitig auf Schaden fokussierter Definition verloren geht. Der Anstößigkeitsrestriktionismus definiert, dass sexuell explizites Material, um obszön zu sein, zwei Kriterien erfüllen muss: Es muss erstens nach den Maßstäben, die in einer Gesellschaft gelten, von einer durchschnittlichen Person als anstößig beurteilt werden. Es verstößt also gegen die herrschenden Konventionen des sogenannten guten Geschmacks, verletzt das gesunde Sittlichkeitsempfinden. Um die Wissenschafts- und Kunstfreiheit zu schützen, darf das Material zweitens auch keinen echten Wert für Wissenschaft oder Kunst darstellen.

Mir geht es hier darum, dass diese Definition eine Ausschlussbewegung vollzieht, bei der am Ende das als Obszönität dasteht, was eine Gesellschaft nicht mehr in ihre Vorstellungen einer natürlichen Sexualität integrieren kann. Das Obszöne wäre somit identifiziert als das sexuell explizite Material, von dem in einer gesellschaftlichen Runde niemand mehr sagt, dass es schön, normal, natürlich, Kunst oder zu wissenschaftlichen Zwecken eben notwendig ist. Genau daraus nährt sich der verbotene Reiz des pornografischen Materials, auch wenn es effektiv gar nicht verboten ist: Im Moment des Konsumierens weiß man genau um die soziale Nichtakzeptabilität dieses Konsums. Der Reiz der Übertretung sozialer Konventionen ist derart in die Pornografie eingeschrieben, dass er ein wesentliches Merkmal der Pornografie ausmacht. Dieses Merkmal erklärt, weshalb zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Gesellschaften je andere Dinge als Pornografie galten und gelten. Obszön ist sozusagen der Überschuss an sexuellem Begehren, der nicht sinnstiftend innerhalb gesellschaftlicher Konventionen Platz findet. Indem Carse dieses Moment der Pornografie außer Acht lässt, verfehlt sie den Kern des Störfaktors Pornografie.

1.3Vorgehen

Meine Leitfragen sind: Hat Pornografie einen transgressiven Charakter? Und wenn ja, worin besteht er? Mir geht es im Folgenden um keine Wertung des Phänomens Pornografie, also nicht um die Beantwortung der Frage: Ist Pornografie aus ethischer Perspektive gut oder schlecht? Ich werde auch keine soziologischen Untersuchungen vornehmen, also weder Statistiken auswerten noch Menschen zu ihren Erfahrungen mit und Einschätzungen zu Pornografie befragen. Schon gar nicht habe ich irgendwelche pädagogischen Intentionen; es geht mir nicht darum, beispielsweise Empfehlungen abzugeben, in welchem Alter Jugendliche in welcher Form mit Pornografie in Kontakt kommen sollten oder nicht. Alle diese Fragen werden zwar in den von mir untersuchten Debatten aufgeworfen, mich interessiert allerdings die hinter diesen Debatten liegende Ambivalenz in Bezug auf Pornografie. Was ist der Grund dafür, dass die Pornografie immer wieder Anlass zu diesen Debatten gibt?

Die vorliegende Arbeit ist insofern eine philosophische, als sie sich auf einer grundsätzlichen Ebene Gedanken über den Begriff Pornografie macht. Wenn ich den transgressiven Charakter der Pornografie nachzuweisen versuche, möchte ich in erster Linie zeigen, weshalb die Rede von Pornografie notwendigerweise ein transgressives Element voraussetzt.

Entsprechend sind mein Material in dieser Arbeit theoretische und analytische Texte zu Pornografie und Sexualität. Ich werde keine direkte Bild- oder Filmanalysen vornehmen. Zur Verdeutlichung werden zwar manchmal Beschreibungen pornografischer Inhalte herangezogen, aber es geht mir um eine Analyse von Sekundärtexten und nicht von primären Quellen – weil die Definition von Pornografie kontext- und diskursabhängig ist. Wenn ich also den transgressiven Charakter der Pornografie ergründen will, muss ich mich in erster Linie mit den Diskursen rund um die Pornografie beschäftigen. Oft fallen in diesem Zusammenhang Aussagen wie: »Pornografie ist die Theorie, Vergewaltigung die Praxis«; »Pornografie beraubt uns unserer Sexualität«; »Pornografie verdirbt die Jugend«. In solchen Sätzen stecken versteckte Essenzialisierungen sowie ein Determinismus, der meiner Ansicht nach dem Thema nicht gerecht wird. Beides scheint mir die Debatte rund um Pornografie zu prägen, weshalb ich im Folgenden dagegen argumentieren möchte. Ich werde also nicht empirisch beweisen, dass solche Aussagen falsch sind, sondern diskurskritisch aufzeigen, welche Vorstellungen von Sexualität und Pornografie sich in ihnen verbergen.

Als Erstes geht es mir darum, den transgressiven Charakter der Pornografie theoretisch zu begründen. Dazu dienen mir in Kapitel 2 philosophische Schriften zu Sexualität und Pornografie, mit denen ich mich anhand eines kritisch-hermeneutischen Ansatzes auseinandersetzen werde. In Kapitel 3 geht es dann um Transgression in der feministischen Pornografiekritik. Hier beschäftige ich mich vor allem mit pornografiekritischen Texten aus den letzten zehn, fünfzehn Jahren, die insbesondere das Phänomen der Pornografisierung kritisieren. Zum Vergleich ziehe ich wichtige klassische Texte der feministischen Pornografiekritik hinzu. Anschließend befasse ich mich in Kapitel 4 mit Transgression in alternativen Pornografien. Hier werde ich Stellungnahmen von Menschen, die an der Produktion alternativer Pornografien beteiligt sind, einbeziehen, aber auch Analysen aus der Queer Theory. Ich werde in den Kapiteln 3 und 4 diskursanalytisch arbeiten, denn es geht mir dort um die Frage: Wo spielt Transgression in diesen Debatten eine Rolle? Dabei werde ich mich vorwiegend auf die Metaebene konzentrieren und weniger zu den in den Debatten vorgebrachten Argumenten direkt Stellung beziehen. Ein Problem besteht darin, dass sich diese Texte nicht alle auf dieselben pornografischen Formen beziehen. Denn Pornografie bedient sich bekanntlich verschiedener Medien. Es gibt pornografische Texte, Bilder und Filme. Pornografie findet sich zwischen Buchdeckeln, am Kiosk, im Sexshop, im Museum oder im Internet. Dort, wo die Autoren und Autorinnen der von mir behandelten Texte diese Unterschiede thematisieren, werde ich ebenfalls den medialen Aspekt hervorzuheben versuchen, damit nicht eventuell wichtige Unterschiede verloren gehen. Dennoch geht es mir bei allen Unterschieden zwischen den verschiedenen medialen Formen von Pornografie um ein verbindendes Element, das diese als pornografisch auszeichnet.

Im Schlussteil fasse ich die Erkenntnisse noch einmal zusammen. Und ich frage in einem Ausblick nach den Folgen der Pornografisierung für eine neue Ethik der Lüste.

1.4Ziel

Mein Ziel ist es, überzeugende Argumente dafür zu liefern, dass Transgression ein wesentlicher Bestandteil der Pornografie ist – und zwar sowohl in der Mainstream-Pornografie als auch in den zu ihr alternativen Formen. Selbst wenn Sexismus, Gewalt und Heteronormativität in der Mainstream-Pornografie eine Realität sind, bietet sie bedeutsame Möglichkeiten zur Überschreitung.

2.Das Verhältnis von Pornografie und Transgression

2.1Überblick

In diesem Kapitel stelle ich meine zentrale These vor, die besagt, dass Pornografie einen transgressiven Charakter hat. Im Überblick stecke ich als Erstes den begrifflichen und theoretischen Rahmen ab, innerhalb dessen ich Pornografie und deren Verhältnis zur Transgression analysiere. Obwohl ich die Begriffe Pornografie und Transgression hier in einer deskriptiven Weise definieren werde, tue ich dies in einem normativen, politisierten Feld. Sowohl Pornografie wie auch Transgression sind in einer nicht auf Anhieb durchsichtigen Weise an Normen gebunden, mit deren Übertretung sie spielen. Grenze und Überschreitung, Verbot und Übertretung, Tabu und Tabubruch – diese Begriffspaare sind meines Erachtens für das Verständnis von Pornografie zentral. Sie stellen jedoch nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Gesellschaft vor die Herausforderung, einen analytischen Standpunkt zur Pornografie zu bewahren. Denn je nachdem, ob einem die Norm oder deren Verletzung sympathischer ist, liegt die Verdammung oder Verklärung der Pornografie nahe.

Damit sind wir mitten im Thema dieses Kapitels. In einem ersten Schritt werde ich den begrifflichen Rahmen klären und sowohl für Pornografie als auch für Transgression einfache, alltagssprachliche Definitionen zum Ausgangspunkt nehmen. Bevor ich allerdings auf den transgressiven Charakter der Pornografie selbst zu sprechen komme, werde ich das Verhältnis von Normierung und Transgression in Bezug auf Sexualität diskutieren. Denn meine These vom transgressiven Charakter der Pornografie setzt ein Verständnis von Sexualität voraus, das von einem Zusammenspiel normativer und transgressiver Elemente ausgeht. Dieses Zusammenspiel analysiere ich, indem ich Konzeptionen, welche Sexualität eher als Gegenstand von Normierung beschreiben, mit solchen vergleiche, die in ihr vor allem eine Quelle von Handlungen der Überschreitung sehen. Basierend auf dieser Gegenüberstellung wende ich mich dann verschiedenen Analysen zur Pornografie zu, die zeigen, wie diese zwischen einem normierten, warenförmigen Ausdruck von Sexualität und der Möglichkeit zur Überschreitung sexueller Beschränkungen schwankt.

2.2Definitionen

2.2.1.Pornografie

Der Begriff Pornografie leitet sich ab vom griechischen pornographos, was wiederum eine Zusammensetzung von porne und graphein ist. Porne heißt Hure und graphein heißt schreiben, pornographos bedeutet also über Huren schreibend. Wie viel ist von dieser ursprünglichen Bedeutung des Begriffs in der Alltagssprache erhalten geblieben? Der Duden beschreibt Pornografie als eine sprachliche oder bildliche Darstellung sexueller Akte unter einseitiger Betonung des genitalen Bereichs und unter Ausklammerung der psychischen und partnerschaftlichen Aspekte der Sexualität. (Dudenredaktion o.J.b) Auffälligerweise definiert der Duden Pornografie nicht einfach über die Fokussierung einer Darstellung auf den Genitalbereich, sondern nennt als Bedingung zusätzlich das Ausblenden der sozialen und emotionalen Aspekte von Sexualität. Damit bleibt er nahe bei der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs. Im Ausdruck »über Huren schreibend« steht die Darstellung von Frauen als in erster Linie sexuell verfügbaren Wesen und nicht als gleichberechtigten Partnerinnen im Vordergrund.

Jedoch droht hier bereits ein moralisierender Blick auf das Phänomen Pornografie. Es fällt schwer, in der Reduktion von Frauen auf sexuelle Verfügbarkeit keine verurteilenswürdige Abwertung zu sehen. Ein anderer möglicher Zugang wäre jedoch jener über die Ästhetik. Legitimiert würde dieser Zugang durch Betonung des graphein im Wort Pornografie, das ja sowohl schreiben als auch bildlich darstellen heißen kann. Ist das Pornografische also eine ästhetische Kategorie? Ist sie als künstlerischer Ausdruck selbst Kunst?

Der zeitgenössische Kunsttheoretiker Arthur Danto schreibt: »Etwas überhaupt als Kunst zu sehen verlangt nicht weniger als das: eine Atmosphäre der Kunsttheorie, eine Kenntnis der Kunstgeschichte. Kunst ist eine Sache, deren Existenz von Theorien abhängig ist.« (Danto 1999, S. 207) Wenn Wissen über Kunsttheorie und eine Kenntnis des kunsthistorischen Kontextes unabdingbar sind, um ein Kunstwerk als solches zu erkennen, was heißt das für die Definition von Pornografie? Wissen wir, dass wir es mit Pornografie zu tun haben, bevor wir beschlossen haben, dass wir es damit zu tun haben?

Die Definition der Pornografie ist ebenso wie die der Kunst abhängig von theoretischen und historischen Kontexten. Was unter Pornografie verstanden wird, ändert sich im Lauf der Zeit; Bilder, die zu einer bestimmten Zeit anstößig erscheinen, können in einem anderen Kontext völlig unproblematisch sein. Was ist aber jeweils nötig, damit in einem historischen Kontext etwas als Pornografie verstanden wird? Es ist, analog zur Kunst, ein gewisses theoretisches Wissen über ebendiesen Kontext erforderlich, genauer: über die in diesem Kontext geltenden Regeln, die definieren, was darstellbar ist, ohne gegen den guten Geschmack, die Sitte, die herrschende Moral etc. zu verstoßen.

Wie die Kunst wird also Pornografie gerahmt von Diskursen, die sie definieren und so erst erkennbar machen. Im Gegensatz zum mal affirmativen, mal kritischen Verhältnis der Kunst zum herrschenden Diskurs scheint sich die Pornografie jedoch innerhalb dieses Diskurses durch einen Verstoß auszuzeichnen. Sie wird vom herrschenden Diskurs als anstößig, problematisch empfunden. Nicht zufällig hat es unterschiedliche strafrechtliche Konsequenzen, ob etwas Kunst oder ob etwas Pornografie ist.

Pornografie ist also etwas, was zwar nur innerhalb eines bestimmten Diskurses wahrnehmbar ist, aber im gleichen Akt der Wahrnehmung an die Ränder dieses Diskurses oder darüber hinaus verwiesen wird. Diese Positionierung der Pornografie am Rand eines Diskurses, als eigentliche Grenze eines bestimmten Diskurses möchte ich genauer in den Blick nehmen. Sie lässt sich meiner Ansicht nach am besten mithilfe des Begriffs der Transgression charakterisieren.

2.2.2.Transgression

Der Begriff Transgression leitet sich vom lateinischen transgressio her, was Überschreitung, Übergang bedeutet. Laut dem Duden kennt das Deutsche keinen alltagssprachlichen Gebrauch des Begriffs; er nennt bloß zwei fachspezifische Bedeutungen: In der Geografie bezeichnet Transgression das Vordringen des Meeres über größere Gebiete des Festlands und in der Biologie das Auftreten von Genotypen, die in ihrer Leistungsfähigkeit die Eltern- und Tochterformen übertreffen (Dudenredaktion o.J.c). Immerhin finden wir in beiden Bedeutungen das Motiv der Überschreitung wieder.

Die Online-Enzyklopädie Wikipedia nennt dagegen alltagssprachliche Bedeutungen. So bedeute Transgression allgemein und je nach Zusammenhang Sünde, Verletzung, Verstoß, Überschreitung oder Übertretung; zudem beschreibe es das Überschreiten von Grenzen der Geschlechterrollen durch Verhaltensweisen, die traditionell als soziale Norm dem anderen Geschlecht zugeschrieben werden; schließlich bezeichne Transgression in der Linguistik den situationsbedingten Gebrauch einer für den Sprecher nicht identitätsstiftenden Sprachvarietät (Wikipedia 2015). Transgression scheint also ein Überschreiten von Grenzen, Normen und Identitäten zu beschreiben. Zudem verweist die Wikipedia auf das Cinema of Transgression, eine Undergroundfilm-Bewegung der späten 70er- und frühen 80er-Jahre, die den Begriff programmatisch im Namen führte. Diese Bewegung, zu der unter anderem die US-Filmemacher Nick Zedd oder Richard Kern zählten, war ideologisch und personell eng mit der Punk-Bewegung verbunden und berief sich auf avantgardistische Künstler und Filmemacher wie Andy Warhol, John Waters und Kenneth Anger. 1985 definierte Zedd unter dem Pseudonym Orion Jeriko in seinem Manifest des Cinema of Transgression den Begriff Transgression folgendermaßen:

Since there is no afterlife, the only hell is the hell of praying, obeying laws, and debasing yourself before authority figures, the only heaven is the heaven of sin, being rebellious, having fun, fucking, learning new things and breaking as many rules as you can. This act of courage is known as transgression. We propose transformation through transgression – to convert, transfigure and transmute into a higher plane of existence in order to approach freedom in a world full of unknowing slaves. (Sargeant 1995, S. 28)

Transgression wäre laut diesem Manifest also ein Akt der Auflehnung gegen Autoritäten, ein Akt der Befreiung. Sünde, Rebellion und Regelverstöße sollen Transformationen zu einer freieren Existenzweise einleiten. Co-Autorin Stephanie Watson weist jedoch darauf hin, dass es dem Cinema of Transgression nicht nur um Tabubrüche ging:

However it would be over simplified and inaccurate to say that these films do not highlight the connection between the maintenance of limits and the subjugation of areas of existence which are socially viewed as alternative, superfluous, or negative for a variety of reasons; these arise because the socioeconomic and systematic patterns of language and thought, which are seen to represent and to formulate social reality, can not tolerate or account for their own »failings« which allow them to function. (Ebd., S. 34)

Indem das Cinema of Transgression sich mit von der Gesellschaft abgelehnten Verhaltensweisen und Individuen befasst, macht es gleichzeitig Prozesse deutlich, durch die sich eine gesellschaftliche Realität als konform beziehungsweise nicht konform konstituiert. In den Akten der Transgression wird der herrschende Diskurs erst erkennbar.

Gemäß dem bisher Gesagten umfasst der Begriff Transgression Akte der Auflehnung gegen Autoritäten, Normen, Konventionen und Tabus. Neben der intendierten Auflehnung haben diese Akte auch die Funktion, die Grenzen des herrschenden Diskurses sichtbar zu machen.

Normen, Grenzen, herrschende Diskurse: Diese Begriffe und ihr Bezug zur Pornografie bedürfen der weiteren Erläuterung. Ich stelle im Folgenden einige Analysen vor, die auf die Konstruktion und Normierung der menschlichen Sexualität fokussieren. Denn um aufzuzeigen, wie Transgression und Pornografie zusammenhängen, muss zuerst klar werden, welche Normierungen das heutige Verständnis von Sexualität prägen. Die Basis für meine Rekonstruktion bilden die Schriften Michel Foucaults.

2.3Normative Aspekte der Sexualität

2.3.1.Das Subjekt und die Wahrheit des Sex

Das Werk des Philosophen und Diskursanalytikers Michel Foucault ist für diese Arbeit zentral. Er beschreibt, wie Sexualität produziert und reguliert wird. Ich werde zuerst auf Foucaults Subjektkonzeption eingehen und dann seine Schriften zur Sexualität analysieren.

Foucault geht in historischen Analysen der Frage nach, welchen Grenzen der Mensch als erkennendes Subjekt im Lauf der Geschichte unterworfen war. Diese Grenzen des Wissbaren sieht er je nach Epoche anders gezogen. Der Grund dafür seien die jeweiligen Machtverhältnisse, innerhalb derer bestimmt wird, was wissbar ist und was nicht, was sagbar ist und was nicht. Neue Erkenntnisse können laut Foucault jedoch umgekehrt auch Machtbalancen aus dem Gleichgewicht bringen. Das Zusammenspiel der Erkenntnisse und der Bedingungen, unter denen diese Erkenntnisse zustande kommen, nennt Foucault den »Macht/Wissen-Komplex« (Foucault 1976, S. 39).

In Überwachen und Strafen analysiert Foucault Verschiebungen im Macht/Wissen-Komplex am Beispiel des Strafvollzugs des 18. Jahrhunderts in der Entwicklung zu einer modernen Justiz. Bei dieser Entwicklung verlaufe eine wichtige Verschiebungsachse vom Körper hin zur Seele (vgl. ebd., S. 42). Sei im 18. Jahrhundert noch vor allem auf die Einschreibung der Strafe in den Körper der Verurteilten Wert gelegt worden, bemühe sich die Justiz heute besonders um die Seele der Verurteilten. Statt sie grausam zu martern, solle die Justiz sie bessern und zurück auf den Pfad der Tugend führen.

Im modernen Strafvollzug ist es laut Foucault nicht mehr die Macht des Königs, die straft, sondern die Macht juristischer, medizinischer und psychiatrischer Instanzen. Damit werde die Macht, die vorher am Ort des Königs noch genau lokalisiert werden konnte, zunehmend diffus. Aber sie durchdringe die Gesellschaft viel stärker. In Form von Disziplinartechniken niste sie sich in immer mehr Bereichen in der Gesellschaft ein: »Denn sie definieren eine bestimmte politische und detaillierte Besetzung des Körpers, eine neue ›Mikrophysik‹ der Macht; und seit dem 17. Jahrhundert haben sie nicht aufgehört, immer weitere Gebiete zu erobern – so als wollten sie den gesamten Gesellschaftskörper einnehmen.« (Ebd., S. 178) Foucault behauptet hier, diese »Mikrophysik der Macht« zeichne sich dadurch aus, dass sie lokal agiere, neue Kategorien von Bevölkerungsgruppen entwickle und gleichzeitig Techniken erfinde, um auf diese einzuwirken. Das Volk sei nun nicht mehr einfach beherrscht und unterworfen, nein, eine Bevölkerung werde reguliert, Schulkinder würden diszipliniert, Soldaten gedrillt et cetera. Eine nicht zentral angesiedelte, sondern verstreute Macht könne die Bevölkerung in einem viel größeren Ausmaß kontrollieren. Die ganze Gesellschaft erliege einem Zwang zur Normalisierung: »An die Stelle der Male, die Standeszugehörigkeiten und Privilegien sichtbar machten, tritt mehr und mehr ein System von Normalitätsgraden, welche die Zugehörigkeit zu einem homogenen Gesellschaftskörper anzeigen, dabei jedoch klassifizierend, hierarchisierend und rangordnend wirken.« (Ebd., S. 237) Wer nicht der Norm entspreche, werde ausgegrenzt. Dieses Bündel lokaler Machtstrategien, die Mikrophysik der Macht, erzeugt in Foucaults Analyse binär angeordnete Klassen von Subjekten: normale und abweichende, gesunde und kranke, vernünftige und wahnsinnige.

Mir ist hier wichtig, wie Foucault das Subjekt immer in Abhängigkeit von Normen denkt, die dessen Erfahrungshorizont eingrenzen. Es handelt nicht in einer Sphäre der Freiheit, unbeeinflusst von der Gesellschaft, sondern ist immer schon in Machtbeziehungen zu anderen Subjekten verstrickt. Aus Foucaults Erkenntnissen darüber, wie Machtdiskurse über Körper Einfluss auf Subjekte nehmen, ergeben sich Konsequenzen für das Verständnis von Sexualität. Denn wenn das Subjekt sich in Abhängigkeit von den herrschenden Macht/Wissen-Formationen bildet, ist auch die dem Subjekt mögliche Sexualität durch diese geprägt. Die Konstellationen im Macht/Wissen-Komplex schreiben Subjekten eine bestimmte Sexualität zu oder definieren sie über eine bestimmte Sexualität.

Die Klassifizierung von Subjekten als normal/abnormal oder vernünftig/unvernünftig macht nicht vor deren Sexualverhalten halt. Ein Sexualverhalten kann offensichtlich in einer historischen Epoche als vernünftig und normal gelten, in einer anderen als abweichend und krank identifiziert werden. Das Sexualverhalten von Subjekten ist also weniger eine private als eine politische Frage. Sexuelle Handlungen werden nicht autonom in einen leeren Raum hinaus ausgeführt, sondern finden immer im Einklang mit oder in Opposition zu herrschenden Normen statt.

Doch wie steuert eine Gesellschaft die Sexualität der Individuen, die an ihr teilhaben? In Der Wille zum Wissen (Foucault 1977) wehrt sich Foucault gegen die Repressionshypothese des Sex. Darunter versteht er ein Konzept, das davon ausgeht, dass die Sexualität seit Jahrhunderten unterdrückt werde und von dieser Unterdrückung befreit werden müsse. Zwar bestreitet Foucault nicht, dass Sexualität in ihrer Geschichte häufig durch Verbote und Zensur eingeschränkt wurde. Er vermutet jedoch, dass dieselben Mächte, die an der Repression der Sexualität beteiligt waren, in der Forderung nach deren Befreiung am Werk sind:

Alle diese negativen Elemente – Verbote, Verweigerungen, Zensuren, Verneinungen – die die Repressionshypothese in einem großen zentralen Mechanismus zusammenfasst, der auf Verneinung zielt, sind zweifellos nur Stücke, die eine lokale und taktische Rolle in einer Diskursstrategie zu spielen haben: in einer Machttechnik und in einem Willen zum Wissen, die sich keineswegs auf Repression reduzieren lassen. (Ebd., S. 22)

Hier stellen sich zwei Fragen: Was ist in der Forderung nach Befreiung der Sexualität eigentlich dasjenige, das befreit werden soll? Und wie wird diese Befreiung vollzogen?

Dem Subjekt soll laut Foucault eine Wahrheit des Sex entlockt werden, die versteckt und unterdrückt ist. Diese Wahrheit werde durch eine Vielzahl von Diskursen ans Licht gebracht, die sich über das Subjekt legten. Medizinische, psychiatrische und kirchliche Instanzen produzierten verschiedene Diskurse und innerhalb dieser Diskurse ein passendes Objekt, das mit dem zu untersuchenden Subjekt nicht mehr identisch sei. Der medizinische Diskurs sucht nach Krankem, der psychiatrische nach Pathologien, der kirchliche nach sündigem Verhalten. Das zu untersuchende Subjekt wird also laut Foucault erst zum kranken, pathologischen, sündigen Subjekt gemacht. Ihm lasse sich keine Wahrheit entlocken, weil es als solches durch ebendiese Diskurse überhaupt erst konstituiert werde. Wo kein Diskurs sei, sei auch kein Subjekt. Eine Wahrheit des Sex könne also ebenfalls nur eine von den beteiligten Diskursen konstituierte Wahrheit sein:

Man kann nicht davon ausgehen, dass es einen bestimmten Bereich der Sexualität gibt, der eigentlich einer wissenschaftlichen, interesselosen und freien Erkenntnis zugehört, gegen den jedoch die – ökonomischen und ideologischen – Anforderungen der Macht Sperrmechanismen eingerichtet haben. Wenn sich die Sexualität als Erkenntnisbereich konstituiert hat, so geschah das auf dem Boden von Machtbeziehungen, die sie als mögliches Objekt installiert haben. (Ebd., S. 119)

Es gibt offenbar keine objektive Wahrheit über Sexualität, die sich entdecken lassen würde. Die Wahrheit des Sex ist eine konstruierte. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen haben ein Interesse an der Definitionsmacht über den Körper und seine Begierden. Wenn ich davon ausgehe, dass schon hinter der Einführung der Sexualität als Erkenntnisobjekt Machtverhältnisse stecken, heißt das gleichzeitig, dass das Nachdenken über Sexualität nicht in einem politisch neutralen Bereich operiert. Auf dieser Grundlage ist meine im Überblick gemachte Aussage zur Schwierigkeit des analytischen Schreibens über Pornografie zu verstehen. Die Verquickung von analytischen und normativen Aussagen im Nachdenken über Sexualität ist demnach schon im Untersuchungsgegenstand angelegt.

Doch gab es nicht schon eine Sexualität vor deren Einführung als Erkenntnisobjekt? In den zwei folgenden Bänden von Sexualität und Wahrheit (Foucault 1986a, Foucault 1986b) widmet sich Foucault ganz diesem Thema, sprich: der Frage, wie geschlechtliche Beziehungen etwa in der Antike zu denken sind, bevor die Kategorie Sexualität eingeführt wurde.

2.3.2.Die Regulierung sexueller Beziehungen zwischen Männern

Foucault stellt für die Antike eine Problematisierung geschlechtlicher Beziehungen zwischen Männern in einem moralischen und politischen Diskurs fest. Diese Feststellung ist aus zwei Gründen nicht banal: Erstens wurden geschlechtliche Beziehungen zwischen Frauen nicht problematisiert, die antike Sexualmoral war laut Foucault eine Männermoral, »in der die Frauen nur als Objekte oder bestenfalls als Partner vorkommen, die es zu formen, zu erziehen und zu überwachen gilt, wenn man sie in seiner Macht hat, und deren man sich zu enthalten hat, wenn sie in der Macht eines andern (Vater, Gatte, Vormund) sind.« (Foucault 1986a, S. 33) Wo Frauen nur als Objekte für Männer vorkommen, sind gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Frauen unproblematisch.

Zweitens kritisiert Foucault mit dieser Feststellung die Vorstellung, Homosexualität sei in der Antike frei und unbehelligt von Verboten gelebt worden. Er schränkt ein, dass nur jene geschlechtlichen Beziehungen zwischen Männern problematisiert wurden, die sich zwischen freien Bürgern abspielten. Geschlechtliche Beziehungen mit Sklaven oder männlichen Prostituierten seien kein Gegenstand der Problematisierung gewesen. Weshalb diese Einschränkung? Moralische Problematisierung unterscheidet das sittlich angemessene vom unangebrachten Verhalten. Sie operiert also mit Binaritäten. Doch statt einer Binarität in der Objektwahl des geschlechtlichen Begehrens sei in der Antike eine Unterscheidung von Aktivität und Passivität moralisch relevant gewesen. Autonome moralische Entscheidungen trafen laut Foucault in der Antike nur freie Bürger – also besitzende Männer –, alle anderen wurden als zu solchen Entscheidungen unfähig und daher für unmündig erklärt. Da bei der Aufnahme geschlechtlicher Beziehungen zwischen freien Bürgern und Unfreien allein auf die Bedürfnisse der freien Bürger Rücksicht habe genommen werden müssen, hätten sich keine weiteren moralischen Probleme ergeben.

Foucault sieht allerdings auch die Beziehungen zwischen freien Bürgern durch dieselbe Binarität zwischen Aktivität und Passivität geprägt. Dies sei insofern problematisch gewesen, dass die freien Bürger, sofern sie geschlechtliche Beziehungen miteinander eingegangen seien, dabei jeden Anschein von Passivität hätten vermeiden müssen, um ihr gesellschaftliches Ansehen nicht zu gefährden. Um dieses Problem zu entschärfen, seien nur Beziehungen zwischen Männern und Knaben gesellschaftlich voll akzeptiert gewesen, denn Knaben befinden sich erst auf dem Weg zwischen der Unmündigkeit der Kindheit und der Mündigkeit der Erwachsenen (vgl. ebd., S. 247). Dieses Zwischenstadium zwischen Mündigkeit und Unmündigkeit lässt laut Foucault zu, dass der beteiligte Knabe ohne Gesichtsverlust das passive Objekt der Begierde des beteiligten Erwachsenen, der sein geschlechtliches Begehren aktiv verfolgt, sein kann.

Wie Foucault aufzeigt, bringt die gesellschaftliche Einschränkung der möglichen Gegenstände geschlechtlichen Begehrens zwischen Männern jedoch neue Probleme mit sich. Denn aus den Knaben als Objekte der Begierde werden im Lauf der Zeit erwachsene Männer, die als freie Bürger respektiert und geachtet werden wollen bzw. müssen. Um politische Instabilität zu vermeiden, dürfe die Erniedrigung durch Passivität während der Adoleszenz nicht allzu drastische Formen annehmen. Der Knabe sollte sich laut Foucault zwar dem Begehren seines erwachsenen Liebhabers unterwerfen, aber erst nach bestimmten Ritualen des Sich-Entziehens, und er sollte auch kein eigenes Vergnügen dabei empfinden (ebd., S. 268). Vom erwachsenen Liebhaber sei erwartet worden, dass er auf diese Zusammenhänge Rücksicht nehme und seine Zudringlichkeiten auf ein Maß beschränke, das die Ehre des Knaben nicht längerfristig beschädige.

Für mich sind hier zwei Erkenntnisse Foucaults besonders relevant: Sexuelle Beziehungen zwischen Männern waren auch in der Antike Gegenstand gesellschaftlicher Regulierung. Und sie waren über eine Binarität von Aktivität und Passivität strukturiert. Im dritten Band von Sexualität und Wahrheit (Foucault 1986b) untersucht Foucault Unterschiede im Denken über Sexualität zwischen Hellenismus und Antike. Einen bedeutenden Unterschied stellt laut Foucault die höhere Wertschätzung der Ehe dar (vgl. ebd., S. 194f.). Da gerade die Stoiker den Frauen im Prinzip dieselben Fähigkeiten zuschrieben wie den Männern, habe sich die Stellung der Frau in der Ehe als bloße Befehlsempfängerin, auf die keine besondere Rücksicht genommen werden müsse, nicht mehr länger rechtfertigen lassen (vgl. ebd., S. 211f.). Wie gestaltet sich nun diese Aufwertung der Ehe und die sich daraus ergebende Vorrangigkeit der Ehefrau? Foucault beschreibt diese Aufwertung als Neugestaltung der Ehe nach dem Vorbild geschlechtlicher Beziehungen zwischen Männern. Wie der erwachsene Liebhaber seinen jugendlichen Geliebten, so habe der Ehemann seine Ehefrau zwar anleiten und in guter Lebensführung unterweisen, aber eben neu auch respektieren und ehren sollen. Außerehelicher Geschlechtsverkehr etwa sei mit Rücksicht auf die Gefühle der Ehefrau einzuschränken gewesen. Geschlechtliche Beziehungen unter Männern seien zwar weiterhin erlaubt und angesehen gewesen, aber plötzlich als eher weniger wertvoll als die monogame Beziehung mit der Ehefrau erschienen. Denn weil in der strukturell gegebenen Passivität des Knaben laut Foucault für diesen immer etwas potenziell Entehrendes lag und der vom Begehren getriebene Liebhaber stets Gefahr lief, die Grenzen des Schicklichen zu überschreiten, sei die Ehe als sicherer Hafen für geschlechtliche Beziehungen vorzuziehen gewesen (vgl. ebd., S. 281). Da die Ehe auf Langfristigkeit angelegt ist, der Geschlechtsverkehr moralisch unproblematisch ist und dabei sogar noch für den Staat wertvoller Nachwuchs entsteht, sprechen nun drei gewichtige Gründe für die Ehe gegenüber der instabilen und moralisch ambivalenten gleichgeschlechtlichen Beziehung.

Wie Foucault beobachtet, waren Gefahren im Zusammenhang mit Sexualität in der Antike quasi nur im Bereich der Knabenliebe, und zwar zum Schutz des Knaben und dessen Ehre, thematisiert worden. Allgemeiner seien sexuelle Praktiken im Rahmen der Diätetik Thema gewesen, richtiger Zeitpunkt und Häufigkeit der sexuellen Handlungen seien im Dienste der körperlichen Gesundheit diskutiert worden (vgl. Foucault 1986a, S. 150). Im Hellenismus akzentuierte sich laut Foucault diese Sorge um den Körper. Da Seelenruhe und Ausgeglichenheit wichtige Werte der hellenistischen Philosophie darstellten, seien sexuelle Handlungen als gefährlicher Energieverlust und als Schwächung des Körpers wahrgenommen worden (vgl. Foucault 1986b, S. 157). Die Ehe habe sich als Rahmen für eine gewisse Regelmäßigkeit der sexuellen Handlungen empfohlen, die vor übermäßiger Erregung der Sinne bewahre. Diese neue Perspektive auf sexuelles Begehren als Unruhestifterin im sozialen Gefüge macht sie, wie Foucaults Analysen zeigen, im Laufe der Zeit immer mehr zum Gegenstand von Normierung und Kontrolle.

Es sind also zwei Verschiebungen, die im Hellenismus einen veränderten Status der geschlechtlichen Beziehungen unter Männern zur Folge haben: Ein vorher exklusiv den Männern vorbehaltenes Freundschaftsmodell wird auf die Ehe übertragen; und die Gefährlichkeit der Sexualität wird neu entdeckt.

Auf der Suche nach dem Zusammenspiel von Pornografie und Transgression habe ich bis jetzt mit Foucault herausgearbeitet, wie Normen sexuelle Subjekte hervorbringen. Das Subjekt handelt nicht in einer Sphäre der Freiheit, unbeeinflusst von der Gesellschaft, sondern ist immer schon in Machtbeziehungen zu anderen Subjekten verstrickt. Sein Erfahrungshorizont ist durch die herrschenden Normen eingeschränkt. Dieser Macht/Wissen-Komplex schreibt Subjekten eine bestimmte Sexualität zu. Sexuelle Handlungen werden nicht autonom in einem leeren Raum ausgeführt, sondern finden immer im Einklang mit oder in Opposition zu herrschenden Normen statt.

Seit dem Hellenismus wird sexuelles Begehren zunehmend als Gefahr für den Körper und die Seele des Individuums, aber auch für das soziale Gefüge wahrgenommen. Es wächst der Bedarf, es zu kontrollieren und einzugrenzen. Sexuelle Beziehungen zwischen Männern waren seit der Antike Gegenstand besonderer Regulierung. Zur besseren Kontrolle wurde im Hellenismus das den Männern vorbehaltene Freundschaftsmodell der Antike auf die Ehe übertragen. Damit wirkt die antike Strukturierung sexueller Beziehungen zwischen Männern über die Binarität zwischen Aktivität und Passivität bis heute prägend für Vorstellungen von Sexualität.

Diesen Prägungen möchte ich im Folgenden nachgehen. Denn was Pornografie mit dem Überschreiten sexueller Normen zu tun hat, lässt sich erst verstehen, wenn klar ist, was heute sexuelle Normen ausmachen. Dies möchte ich anhand der Stichworte Zweigeschlechtlichkeit und Intimität verhandeln.

2.3.3.Zweigeschlechtlichkeit und die Objektivierung der Frau

Zweigeschlechtlichkeit ist eine Norm, die für das Denken über Sexualität fast unhintergehbar scheint. Differenzen im sexuellen Begehren oder in sexuellen Praktiken werden heute reflexartig der Geschlechterdifferenz untergeordnet beziehungsweise in deren Rahmen eingeordnet. Foucault dreht dieses Verhältnis um. In einem unter dem Titel Das Spiel des Michel Foucault erschienenen Gespräch (Foucault 2003, S. 391-429) erläutert er diese ungewohnte Sicht auf das Verhältnis von Geschlecht und Sexualität: