Der Trotzkopf - Emmy von Rhoden - E-Book

Der Trotzkopf E-Book

Emmy von Rhoden

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Beschreibung

Die temperamentvolle, fröhliche und widerborstige Ilse kommt auf ein Internat, weil sie standesgemäß erzogen werden soll. Dort lernt sie ihre Grenzen kennen, findet Freude, aber auch Kummer. Alles Dinge, die die heranwachsende Ilse reifen last. Sie legt ihren Trotz ab, fügt sich in ihre Rolle als Frau und bleibt dennoch temperamentvoll, liebenswürdig und fröhlich … und verliebt sich in Leo verliebt. Trotz (im wahrsten Sinne des Wortes) althergebrachter Rollenbilder und angestaubten Erziehungsmethoden berührt diese alte Geschichte noch heute. Pubertät ist nach wie vor ein Thema, die Suche nach dem eigenen Ich und Zukunftspläne treiben auch heute die Jugendlichen um. Ganz zu recht ein Kinderbuchklassiker.

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Emmy von Rhoden

Der Trotzkopf

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhalt

1

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3

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5

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7

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10

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Impressum neobooks

Inhalt

Der Trotzkopf

von

Emmy von Rhoden

1

»Papa, Diana hat Junge!«

Mit diesen Worten trat ein junges, schlankes Mädchen von fünfzehn Jahren in ungestüm das Zimmer, in dem sich außer dem Angeredeten, seiner Frau und dem Pfarrer noch Besuch aus der Nachbarschaft, ein Herr von Schäffer mit Gattin und Sohn, befanden.

Alles lachte und wandte sich dem Mädchen zu, welches ohne jede Verlegenheit auf seinen Vater zueilte und ausführlich über das wichtige Ereignis berichtete.

»Es sind vier Stück, Papa«, erzählte sie lebhaft, »und sie sind braun, genau wie Diana. Komm, sieh dir sie an, es sind reizende Tierchen! Vorn an den Pfötchen haben sie weiße Flecke. Ich habe gleich einen Korb geholt und mein Kopfkissen hineingelegt. Sie müssen doch warm liegen, die kleinen Dinger!«

Gutsbesitzer Landrat Macket legte den Arm um Ilses Schultern und strich ihr das wirre Lockenhaar aus dem erhitzten Gesicht. Er sah sein Kind mit wohlgefälligen Blicken an, obwohl Ilses Aufzug durchaus nicht geeignet war, Wohlgefallen zu erregen.

Besonders jetzt nicht, da fremde Augen ihn musterten. Das abgetragene dunkelblaue Waschkleid, blusenartig gemacht und mit einem Ledergürtel gehalten, mochte wohl recht bequem sein, aber kleidsam war es nicht. Einige Flecke und Risse darin dienten ebenfalls nicht dazu, sein Aussehen zu heben.

Die hohen, plumpen Lederstiefel, die unter dem kurzen Kleid hervorblickten, waren voll Staub und eher grau als schwarz. Aber Herrn Macket störte dieser Aufzug nicht. Er sah in die fröhlichen braunen Augen seines Lieblings, die so wenig vorteilhafte Kleidung bemerkte er nicht.

Er war im Begriff, sich zu erheben, um den Wunsch seines Kindes zu erfüllen, als ihm seine Gattin, eine vornehme Erscheinung von ruhigem, aber energischem Wesen, zuvorkam.

Sie stand auf und trat auf Ilse zu. »Liebe Ilse«, sagte sie freundlich und nahm das Mädchen bei der Hand, »ich möchte dir etwas sagen. Willst du mir einen Augenblick in mein Zimmer folgen?«

Ruhig, aber bestimmt waren die Worte gesprochen. Ilse fühlte, dass ein Widerstand vergeblich sein würde. Ungern folgte sie der Mutter in den anstoßenden Raum.

»Was willst du mir sagen, Mama?«, fragte sie und sah Frau Macket trotzig an.

»Nichts weiter, mein Kind, als dass du sofort auf dein Zimmer gehen und dich umkleiden sollst. Du wusstest wohl nicht, dass wir Gäste erwarten?«

»Doch, ich wusste es, aber ich mache mir nichts daraus«, gab Ilse kurz zur Antwort.

»Aber ich, Ilse. Mir kann es nicht gleichgültig sein, wenn du dich in einem so unordentlichen Kleid blicken lässt. Du bist kein Kind mehr mit deinen fünfzehn Jahren. Bedenke, dass du seit Ostern konfirmiert bist! Eine angehende junge Dame muss den Anstand wahren. Was soll der junge Schäffer von dir denken! Er wird dich auslachen und dich verspotten.«

»Der dumme Mensch!«, fuhr Ilse auf. »Ob der über mich lacht oder spottet, ist mir ganz gleichgültig. Ich lache auch über ihn. Tut, als ob er ein Herr wäre mit seiner Hornbrille und geht doch noch in die Schule!«

»Er ist Student und neunzehn Jahre alt. Nun sei vernünftig und kleide dich um, Kind! Hörst du?«

»Nein, ich ziehe kein andres Kleid an!«

»Wie du willst. Aber dann bitte ich dich, dass du in deinem Zimmer bleibst und dein Abendbrot dort verzehrst«, gab Frau Macket ruhig zur Antwort.

Ilse biss sich auf die Unterlippe und trat heftig mit dem Fuß auf, aber sie schwieg. Schnell ging sie zur Tür hinaus und warf sie unsanft hinter sich zu. Oben in ihrem Zimmer ließ sie sich auf einen Stuhl fallen, stützte die Ellbogen auf das Fensterbrett und weinte Tränen des bittersten Unmutes.

»Oh, wie schrecklich ist es jetzt!«, stieß sie schluchzend hervor. »Warum musste auch Papa wieder eine Frau nehmen! Es war so schön, als wir beide allein waren. Ich will doch keine Dame sein, ich will es nicht, und wenn sie es zehn Mal sagt!«

Als Ilse mit ihrem Vater noch allein gewesen war, hatte sie freilich ein ungebundenes und lustiges Leben. Niemand durfte ihr Vorschriften machen oder ihre dummen Streiche hindern. Was sie auch unternahm, galt als unübertrefflich. Das Lernen wurde nur als langweilige Nebensache betrachtet und die Erzieherinnen fügten sich entweder dem Willen ihrer Schülerin oder sie gingen davon.

Beklagte sich je einmal eine von ihnen bei dem Vater und fasste dieser wirklich den festen Entschluss, ein Machtwort gegen sein unbändiges Kind zu sprechen, fiel sie ihm um den Hals, nannte ihn ihren einzigen, kleinen Papa, obwohl Herr Macket groß und kräftig war, und küsste ihn stürmisch.

»Ich weiß alles, was du mir sagen willst, und ich will mich ganz gewiss bessern!« Mit solchen und ähnlichen Worten und Versprechungen tröstete sie ihren Vater. Ach, wie gern ließ er sich doch trösten! Er konnte seinem Kind nie ernstlich zürnen, denn es war sein alles.

Als Ilses Mutter starb, legte sie ihm das kleine, hilflose Mädchen in den Arm. Ilse hatte die schönen, frohen Augen der früh Dahingeschiedenen. Wenn sie den Vater anblickte, dann war es ihm, als ob ihn die Gattin anlächele, die er so sehr geliebt hatte.

Viele Jahre blieb Herr Macket einsam und lebte nur für sein Kind. Dann lernte er seine zweite Frau kennen. Ihr kluges, sanftes Wesen fesselte ihn so sehr, dass er sie heiratete.

Frau Anne betrat das Haus ihres Mannes mit dem festen Vorsatz, seinem Kind die liebevollste Stiefmutter zu sein und alles aufzubieten, ihm die früh verlorene Mutter zu ersetzen. Aber jede herzliche Annäherung von ihrer Seite scheiterte an Ilses trotzigem Widerstand. Bald ein Jahr war sie nun schon im Hause, doch war es ihr bis heute nicht gelungen, Ilses Liebe zu gewinnen.

Die Gäste blieben zum Abendessen auf Gut Moosdorf. Als man sich zu Tisch setzte, befahl Frau Anne dem Stubenmädchen, das Fräulein zu Tisch zu rufen.

Ilse hatte sich eingeschlossen. Das Stubenmädchen musste erst tüchtig pochen, bevor sie sich bequemte, die Tür zu öffnen.

»Sie sollen herunterkommen, Fräulein! Die gnädige Mama hat es befohlen«, sagte Katharine und betonte das ›sollen‹ und ›befohlen‹ recht auffallend.

»Ich soll«, rief Ilse und wandte den Kopf hastig herum, »aber ich will nicht! Sag das der gnädigen Frau Mama!«

»Ja«, erwiderte Katharine, befriedigt von dieser Antwort. Auch sie war durchaus nicht damit einverstanden, dass wieder eine Frau ins Haus gekommen war, die der schönen Freiheit ein Ende bereitete. Sie ging hinunter in das Speisezimmer und richtete Ilses Bestellung wörtlich aus.

Herr Macket blickte seine Frau verlegen an. Er wusste nicht, was diese Antwort bedeuten sollte.

Die Hausfrau verstand die Frage. Ohne sich im Geringsten ihren Unmut anmerken zu lassen, sagte sie: »Ilse ist nicht ganz wohl, lieber Richard, sie klagte etwas über Kopfschmerzen. Katharine hat ihre Bestellung ungeschickt ausgerichtet.«

Alle Anwesenden errieten sofort, dass Frau Anne eine Ausrede gebrauchte. Nur Herr Macket glaubte, dass es sich in Wahrheit so verhielt. »Wollen wir nicht lieber eine Boten zum Arzt schicken?«, fragte er besorgt.

Die Antwort gab ihm seine Tochter selbst. Laut jubelnd und lachend trieb sie einen Reif mit einem Stock über den großen Rasenplatz. Tyras, der Jagdhund, sprang ihr nach.

Herrn Mackets Gesicht veränderte sich bei diesem Anblick. Er stand auf und trat in die offenstehende Flügeltür des Zimmers. Er war im Begriff, Ilse zu rufen, als Frau Anne ihn davon zurückhielt.

»Lass sie, ich bitte dich, Richard!«, bat sie. Zu den Gästen gewendet, setzte sie hinzu: »Es tut mir leid, nun doch die Wahrheit sagen zu müssen, aber Ilses Benehmen zwingt mich dazu.« Sie erzählte den kleinen Vorfall so gemildert wie möglich.

Es wurde darüber gelacht. Herr Schäffer behauptete, die Kleine habe Temperament und es sei schade, dass sie kein Junge sei. Seine Frau vermochte ihm jedoch nicht beizustimmen. Sie fand das wilde Mädchen geradezu entsetzlich.

Als die Gäste fortgefahren waren, blieb Pfarrer Wollert noch zurück. Er war ein modern denkender und klar blickender älterer Herr, der in seiner gütigen Art Ilse seit ihrer Kindheit eine wohlwollende Zuneigung bewahrte. Er hatte sie getauft und eingesegnet, unter seinen Augen war sie herangewachsen.

Seit dem Abschied der letzten Erzieherin leitete er ihren Unterricht. Es trat ein beinahe peinliches Stillschweigen ein. Jedem der drei Anwesenden lag etwas auf dem Herzen, doch jeder scheute sich, das erste Wort zu sprechen. Herr Macket saß rauchend am Tisch. Frau Macket beschäftigte sich eifrig mit einer Handarbeit. Pfarrer Wollert ging im Zimmer auf und ab, er sah ernst und nachdenklich aus.

Endlich blieb er vor dem Landrat stehen. »Es hilft nichts, lieber Freund«, sagte er, »das Wort muss heraus. Es geht nicht mehr so weiter. Wir können dieses unbändige Kind nicht zügeln. Es ist uns über den Kopf gewachsen.«

Der Landrat sah den Pfarrer verwundert an. »Wie meinen Sie das?«, fragte er. »Ich verstehe Sie nicht.«

»Meine Meinung ist, geradeheraus gesagt, die«, fuhr der Pfarrer fort, »das Kind muss fort von hier, in ein Internat.«

»Ilse in ein Internat? Aber warum? Sie hat doch nichts verbrochen!«, rief Herr Macket erschrocken.

»Verbrochen?«, wiederholte lächelnd der Pfarrer. »Nein, nein, das hat sie nicht! Aber muss denn ein Kind erst etwas Böses getan haben, um in ein Internat zu kommen? Es ist doch keine Strafanstalt! Hören Sie mich ruhig an, lieber Freund!«, fuhr er besänftigend fort und legte die Hand auf Mackets Schulter, als er sah, dass der Landrat heftig auffahren wollte. »Sie wissen, wie ich Ilse liebe. Und Sie wissen auch, dass ich nur das Beste für sie im Auge habe. Nun wohl, ich habe reiflich überlegt und bin zu dem Schluss gekommen, dass Sie, Ihre Frau und ich nicht Macht genug besitzen, das Mädchen zu erziehen. Sie trotzt uns allen dreien. Soeben hat sie wieder ein klares Beispiel ihrer widerspenstigen Natur gegeben.«

Der Landrat trommelte mit den Fingern auf dem Tisch. »Das war eine Ungezogenheit, die ich bestrafen werde«, sagte er. »Etwas Schlimmes kann ich nicht darin finden. Lieber Himmel, Ilse ist jung, noch halb ein Kind und Jugend muss sich austoben! Weshalb soll man einem übermütigen Mädchen so strenge Fesseln anlegen und es Knall und Fall in ein Internat bringen? Was sagst du dazu, Anne?«, wandte er sich an seine Frau. »Du denkst wie ich, nicht wahr?«

»Ich dachte wie du«, entgegnete Frau Anne, »vor einem Jahr, als ich dieses Haus betrat. Heute urteile ich anders. Heute muss ich dem Herrn Pfarrer recht geben. Ilse ist schwer zu erziehen, trotz aller Herzensgüte, die sie besitzt. Gewöhnlich geschieht das Gegenteil von dem, was ich ihr sage. Bitte ich sie, ihre Aufgaben zu machen, so tut sie entweder, als hätte sie mich nicht verstanden, oder sie nimmt unwillig ihre Bücher, wirft sie auf den Tisch, setzt sich davor und unterhält sich mit allerhand Unsinn. Nach kurzer Zeit erhebt sie sich wieder und fort ist sie. Da hilft kein gütiges Zureden, keine Strenge. Sie will nicht! Frage den Herrn Pfarrer, wie ungleichmäßig Ilses wissenschaftliches Interesse ist, wie sie zuweilen sogar noch orthografische Fehler macht!«

»Was kommt es bei einem Mädchen darauf an!«, entgegnete Herr Macket und erhob sich. »Eine Gelehrte soll sie nicht werden. Wenn sie einen Brief schreiben kann und das Einmaleins gelernt hat, weiß sie genug.«

Der Pfarrer lächelte. »Das ist nicht Ihr Ernst, lieber Freund. Oder würde es Ihnen Freude machen, wenn man von Ihrer Tochter sagen dürfte: ›Ilse Macket ist dumm und langweilig. Sie ist so ungebildet, dass man mit ihr über gar nichts sprechen kann.‹ Ilse hat gute Anlagen, es fehlt ihr nur der Wille, die Lust zum Lernen. Beides wird sich einstellen, sobald sie unter junge Mädchen ihres Alters kommt. Die gemeinsame Arbeit wird ihren Ehrgeiz wecken und ihr bester Lehrmeister sein.«

Die Wahrheit dieser Worte leuchtete Herrn Macket ein, aber die Liebe zu seinem Kind ließ es ihn nicht laut eingestehen. Der Gedanke, sich von Ilse trennen zu müssen, schien ihm furchtbar.

Frau Anne spürte, was im Herzen ihres Mannes vorging. Liebevoll trat sie zu ihm und ergriff seine Hand. »Denke nicht, dass ich hart bin, Richard, wenn ich für den Vorschlag unseres Freundes stimme!«, sagte sie. »Ilse steht jetzt an der Grenze zwischen Kind und Mädchen. Noch hat sie Zeit, das Versäumte nachzuholen und ihre unbändige Natur zu zügeln.«

»Ich wüsste ein Internat in W., das ich für Ilse bestens empfehlen könnte«, erklärte der Pfarrer. »Die Internatsleiterin ist mir gut bekannt, sie ist eine außerordentlich tüchtige und sehr gescheite Dame. Ilse würde dort den besten Unterricht und die liebevollste Pflege finden. Und welch ein Vorzug wäre die wunderbare Lage dieses Ortes! Die Berge ringsum, die herrliche Luft ...«

»Ja, ja«, unterbrach Herr Macket abwehrend, »ich glaube das alles gern! Aber lasst mir Zeit, bestürmt mich nicht weiter! Ein so wichtiger Entschluss, selbst wenn er notwendig ist, bedarf reiflicher Überlegung.«

Am andern Morgen, es war noch sehr früh, traf der Landrat sein Töchterchen, als es eben im Begriff war, auf die Wiese hinauszureiten, um das Heu mit einzuholen. Ilse saß auf einem der Pferde, die vor den Leiterwagen gespannt waren.

»Guten Morgen, Papachen!«, rief sie ihm schon von Weitem laut entgegen. »Wir wollen auf die Wiese fahren, das Heu muss herein. Der Hofmeister sagt, wir bekämen gegen Mittag ein Gewitter. Ich will gleich mit aufladen helfen.«

Herrn Macket fielen die Worte seiner Frau vom gestrigen Abend ein. Ilse sah in diesem Augenblick kaum wie ein Mädchen aus, eher glich sie einem wilden Buben. Wie ein richtiger Junge saß sie auf dem Pferd und ließ die Füße an beiden Seiten herunterhängen. Das kurze Kleid ließ die unordentlichen, bunten Strümpfe sehen. Die hohen plumpen Lederstiefel waren sichtlich seit Tagen nicht gereinigt. Das Mädchen bot kein anmutiges Bild.

»Steig ab, Ilse!«, sagte Herr Macket, dicht zu ihr tretend, um ihr zu helfen. »Du wirst jetzt nicht auf die Wiese reiten, hörst du, sondern deine Aufgaben machen!«

Es war das erste Mal in Ilses Leben, dass der Vater in so bestimmtem Ton zu ihr sprach. Sehr verwundert blickte sie ihn an, machte aber keine Miene, seiner Aufforderung Folge zu leisten. Sie schlug die Arme ineinander und fing an, herzlich zu lachen.

»Hahahaha, arbeiten soll ich! Du kleiner reizender Papa, wie kommst du denn auf diesen komischen Einfall? Mach nur nicht ein so böses Gesicht! Weißt du, wie du jetzt aussiehst? Gerade wie Mademoiselle, die letzte, Papa, von den vielen, wenn sie böse war. ›Fräulein Ilse, gehen Sie auf Ihr Simmer, mais tout de suite! Aben Sie mir compris?‹ Dabei zog sie die Stirn in Falten und riss die Augen auf so.« Ilse versuchte, es nachzuahmen. »Oh, es war zu himmlisch! Leb wohl, Papachen! Zum Frühstück komm' ich zurück.«

Sie warf ihm noch eine Kusshand zu, lachte ihn schelmisch an, und fort ging es im lustigen Trab hinaus auf die Wiese, in den taufrischen Sommermorgen hinein.

Herr Macket schüttelte den Kopf. Mit einem Mal stiegen ernstliche Bedenken in ihm auf. Er fand den Gedanken, Ilse in ein Internat zu geben, heute weniger unerträglich als gestern. Seine Tochter hatte ihm soeben den Beweis gegeben, dass sie auch ihm Widerstand entgegensetzte.

Er ging in das Speisezimmer und trat von dort auf die Veranda, die sich weinumrankt an der Vorderseite des Hauses entlang zog. Seine Frau erwartete ihn dort am gedeckten Frühstückstisch. Ganz gegen seine Gewohnheit war er still und einsilbig.

»Gab es Unannehmlichkeiten?«, fragte Frau Anne und reichte ihm den Kaffee.

»Nein«, entgegnete Herr Macket mürrisch. Er hielt einen Augenblick inne, als würde es ihm schwer, weiterzusprechen. »Ich habe über unser gestriges Gespräch nachgedacht und den Entschluss gefasst, Ilse zum ersten Juli in das Internat zu geben. Wirst du imstande sein, bis zu dem Zeitpunkt alles zu Ilses Abreise vorzubereiten? Wir haben heute den zwölften Juni.«

»Ja, das kann ich wohl, lieber Richard. Aber verzeih, mir kommt dein Entschluss etwas übereilt vor. Wird er dich nicht reuen? Lass Ilse die schönen Sommermonate noch ihre Freiheit genießen, und gib sie erst zum Herbst fort! Der Abschied wird ihr dann weniger schwer werden.«

»Nein, keine Änderung!«, sagte Herr Macket, der befürchtete, bei einem längeren Hinausschieben wieder schwach zu werden. »Es bleibt dabei. Zum ersten Juli wird sie angemeldet.«

2

Nach einigen Stunden kehrte Ilse wohlgemut, mit erhitzten Wangen und über und über mit Heu bestreut, zum zweiten Frühstück zurück. Ohne sich umzukleiden und die Hände zu reinigen, trat sie höchst vergnügt auf die Veranda.

»Da bin ich!«, rief sie. »Bin ich lange fortgeblieben? Ich sage dir, Papa, das Heu ist wunderbar! Nicht einen Tropfen Regen hat es bekommen! Du wirst deine Freude daran haben. Der Hofmeister meint, so gut hätten wir es seit Jahren nicht hereingebracht.«

»Lass das Heu jetzt, Ilse«, entgegnete Herr Macket, »und höre zu, was ich dir sagen werde!«

Es wurde ihm nicht leicht, von dem einmal gefassten Entschluss zu sprechen. Seine Stimme klang ernst. Ilse war vergnügt wie immer und schenkte seiner Stimmung keine Beachtung. Ihr Augenmerk war auf den reichgedeckten Frühstückstisch gerichtet. Sie war sehr hungrig von der Fahrt.

»Soll ich dir ein Brötchen richten?«, fragte die Mutter freundlich, aber Ilse lehnte es ab.

»Ich will es schon selbst tun«, sagte Ilse, nahm das Messer und schnitt sich ein tüchtiges Stück Schwarzbrot ab. Die Butter strich sie fast fingerdick darauf. Dann nahm sie ein großes Stück Wurst und fing an, unbekümmert zu essen, bald von dem Brot, bald von der Wurst, die sie in der Hand hielt, einen Bissen nehmend. Es schmeckte ihr köstlich.

»Ich denke, du wolltest mir etwas sagen, Papachen?«, rief sie mit vollem Mund. »Nun schieß los! Ich bin ordentlich neugierig darauf.«

Herr Macket zögerte etwas mit der Antwort. Noch war es Zeit, noch konnte er seinen Entschluss zurücknehmen. Einen Augenblick überlegte er, die Sekunde der Schwäche ging jedoch vorüber. Ruhig und fest teilte er Ilse seinen Entschluss mit.

Seine Annahme, dass sie sich dem Plan stürmisch widersetzen würde, erwies sich als Irrtum. Zwar blieb Ilse vor Überraschung und Schreck buchstäblich der Bissen im Munde stecken, aber ihr Auge flog zur Mutter hinüber, und sie unterdrückte den Sturm, der in ihr tobte. Um keinen Preis sollte sie erfahren, wie furchtbar es ihr war, die Heimat, den Vater vor allem, zu verlassen, denn die Mutter war doch sicherlich nur allein die Anstifterin dieses Planes. Der Papa nein, der würde sie niemals hergegeben haben.

»Nun, du schweigst?«, fragte Herr Macket. »Du hast vielleicht selbst schon eingesehen, dass du noch tüchtig lernen musst, mein Kind, denn mit deinen Kenntnissen hapert es noch überall, nicht wahr?«

»Gar nichts habe ich eingesehen!«, platzte Ilse heraus. »Du selbst hast mir doch oft genug gesagt, ein Mädchen braucht nicht so viel zu lernen. Das allzu viele Studieren macht auch nicht gescheiter. Ja, das hast du gesagt, Papa, und jetzt sprichst du auf einmal anders. Nun soll ich fort, soll auf den Schulbänken sitzen zwischen anderen Mädchen und lernen, bis mir der Kopf wehtut. Aber es ist gut, ich will gerne fort, ja, ich freue mich schon auf die Abreise. Wenn nur erst der erste Juli da wäre!«

Ilse erhob sich hastig, warf den Rest ihres Frühstücks auf den Tisch und eilte fort, hinauf in ihr Zimmer. Dort brachen die Tränen hervor, die sie bis dahin nur mühsam zurückzuhalten vermochte.

Frau Anne wäre ihr gerne gefolgt. Sie fühlte, was in dem jungen Herzen vorging, aber sie wusste genau, dass Ilse ihre gütigen Worte trotzig zurückweisen würde. So verzichtete sie darauf und hoffte auf die Zeit, wo Ilses gutes Herz den Weg zu ihrer mütterlichen Liebe finden würde.

Die wenigen Wochen bis zu dem für die Abreise festgesetzten Zeitpunkt vergingen schnell. Frau Anne hatte alle Hände voll zu tun, um Ilses Kleider in Ordnung zu bringen. Die Internatsleiterin des Internats beantwortete sofort Herrn Mackets Anfrage und erklärte sich gerne zur Aufnahme seiner Tochter bereit. Gleichzeitig übersandte sie ein Verzeichnis der Gegenstände, die jede Internatsschülerin bei ihrem Eintritt in das Internat mitbringen musste.

Ilse lachte spöttisch über die vielen nach ihrer Meinung unnützen Dinge. Besonders die Hausschürzen fand sie geradezu lächerlich. Schürzen zu tragen, hatte sie bisher immer mit Entrüstung abgelehnt.

»Die dummen Dinger trage ich doch nicht, Mama!«, sagte sie, als Frau Anne dabei war, den Koffer zu packen. »Die brauchst du mir gar nicht mitzugeben.«

»Du wirst dich der allgemeinen Sitte fügen müssen, mein Kind«, entgegnete die Mutter. »Warum solltest du auch nicht? Sieh einmal her! Diese blau und weiß gestreifte Schürze mit den gestickten Zacken ringsum ist ein reizender Schmuck für ein junges Mädchen, das sich im Haushalt nützlich machen wird.«

»Ich werde mich aber im Haushalt nicht nützlich machen!«, rief Ilse ungezogen. »Das fehlte noch! Ihr denkt wohl, ich werde in der Küche arbeiten oder die Zimmer aufräumen? Die Schürzen trage ich nicht, ich will sie nicht!«

»Übertreibe nicht, Ilse!«, entgegnete Frau Anne. »Wenn du die Schürzen nicht tragen magst, so kannst du deinen Wunsch der Internatsleiterin mitteilen. Vielleicht erfüllt sie ihn dir.«

»Ich werde die Leiterin nicht erst darum fragen. Solche Dinge gehen sie gar nichts an«, war Ilses unartige Antwort.

Sie erklärte ihrem Vater, dass sie ein kleines Köfferchen für sich selbst packen werde. Niemand sollte ihr dabei helfen, niemand sollte wissen, welche Schätze sie in das neue Heim mitnehmen würde.

»Das ist ein prächtiger Einfall, Ilschen«, stimmte Herr Macket bei. »Nimm nur mit, was dir Freude macht!«

Er ließ sofort als Überraschung für seinen Liebling einen neuen, kleinen Koffer kommen. Als Ilse ihm erfreut um den Hals fiel und sie ihn endlich wieder »mein kleines Pachen«, nannte, da wurde es ihm so weich ums Herz, dass er sich abwenden musste, um seine Rührung zu verbergen.

Am Tag vor ihrer Abreise schloss sich Ilse in ihr Zimmer ein und begann, zu packen. Aber wie! Bunt durcheinander, wie ihr die Sachen in die Hand kamen. Zuerst das geliebte Blusenkleid nebst Ledergürtel. Es wurde mit Schwung in den Koffer hineingeworfen und mit den Händen etwas festgedrückt. Dann folgten die hohen Lederstiefel mit Staub und Schmutz, wie sie waren, ferner eine alte Ziehharmonika, auf der sie nur ein paar Töne hervorbringen konnte, ein neues Hundehalsband mit einer langen Leine daran, ein ausgestopfter Kanarienvogel, und zuletzt griff sie nach einem Glas, in dem ein Laubfrosch saß.

Ilse liebte den Frosch sehr und so musste das arme Tier auch mit verpackt werden. Sie nahm ein hübsches gesticktes Taschentuch aus dem Schrank, band es über das Glas, legte Papier darüber und schnitt kleine Löcher in beide Hüllen. Dann steckte sie einige Fliegen hinein.

»So«, sagte sie höchst befriedigt, »nun bist du gut versorgt, mein liebes Tierchen, und wirst nicht verhungern auf der weiten Reise.«

Es war nicht leicht, das Glas in dem Koffer unterzubringen, aber schließlich gelang das Kunststück doch mit vieler Mühe. Endlich war sie so weit, dass sie den Deckel schließen konnte. Er klemmte etwas, und Ilse musste erst darauf knien, bevor er ins Schloss fiel. Den kleinen Schlüssel zog sie ab und befestigte ihn an einer schwarzen Schnur, die sie um den Hals band.

Als das Abendbrot verzehrt war und die Eltern noch am Tisch saßen, ging Ilse in den Hof und machte eine Runde durch die Ställe. Von ihren Lieblingen, den Hühnern, Tauben, Kühen, Pferden, nahm sie Abschied. Die Trennung von den Hunden wurde ihr am schwersten. Sie waren ihre besten Freunde. Dianas Sprösslinge, die schon allerliebst waren und sie zärtlich begrüßten, entlockten ihr heiße Abschiedstränen.

Neben ihr stand Johann. Er kannte Ilse vom ersten Tag ihres Lebens an und liebte sie abgöttisch.

»Wenn das kleine Fräulein wiederkommt«, sagte er mit kläglicher Stimme und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen, »dann wird es wohl eine große Dame sein. Ja, ja, Fräulein Ilschen, unsere schöne Zeit ist dahin! Ach und die Hunde, wie werden sie das Fräulein vermissen! Die sind gescheit. Beinahe menschlichen Verstand hat das dumme Vieh. Wie sie schmeicheln, als ob sie wüssten, dass unser kleines Fräulein morgen abreist!«

»Johann«, entgegnete Ilse unter Schluchzen, »sorge für die Hunde! Und wenn du mir einen großen, letzten Gefallen tun willst«, hier sah sie sich erst vorsichtig nach allen Seiten um, ob auch niemand in der Nähe war. »So nimm Bob«, diesen Namen hatte sie Dianas kleinstem Söhnchen gegeben, »morgen mit auf den Kutschbock, wenn du mich zur Bahn fährst, aber heimlich! Niemand darf es wissen. Ich will ihn mitnehmen. Ein Halsband und eine Leine habe ich schon eingepackt.«

Der Kutscher war glücklich, dass er dem kleinen Fräulein noch einen Gefallen erweisen konnte. Er lächelte verschmitzt und versprach, Bob so geschickt unterzubringen, dass keine menschliche Seele etwas merken würde.

Früh am andern Morgen stand der Wagen vor der Tür, der Ilse zur Bahn fahren sollte. Herr Macket begleitete sie bis W., um sie der Internatsleiterin, Fräulein Raimar, selbst zu überbringen.

Er wollte seinen Liebling nicht aus den Augen lassen, ohne vorher sein neues Heim gesehen zu haben. Frau Anne wollte Ilse zärtlich und liebevoll zum Abschied an sich ziehen, aber das Mädchen machte ein finsteres und trotziges Gesicht und entwand sich den Armen der Mutter.

»Lebe wohl!«, sagte sie kurz und sprang in den Wagen.

Als Ilse mit ihrem Vater im Zug saß, trat Johann mit Bob unter dem Arm und der Mütze in der Hand an das Fenster.

»Leben Sie recht wohl, Fräulein Ilschen, und kommen sie gut hin!«, sagte er verlegen. »Die Hunde werde ich schon besorgen, haben Sie nur keine Angst! Den hier nehmen Sie wohl mit. Es ist doch gut, wenn Sie nicht so allein im Internat sind!«

Ilse jauchzte vor Freude. Sie nahm den Hund im Empfang, liebkoste und streichelte ihn, dann reichte sie Johann die Hand.

»Leb wohl«, sagte sie, »und hab Dank! Ich freue mich so sehr, dass ich ein Hündchen mit mir nehmen kann.«

»Ja, aber Ilse, das geht doch nicht!«, wandte der erstaunte Landrat ein. »Du darfst doch keine Hunde mit in das Internat bringen! Sei vernünftig und gib Bob Johann wieder zurück!«

Doch daran war nicht zu denken. Ilse ließ sich durch keine Vorstellung dazu bewegen.

»Die einzige Freude gönn mir, Papachen! Willst du mich denn ganz allein unter den fremden Menschen lassen? Wenn Bob bei mir ist, dann habe ich doch einen guten Freund! Nicht wahr, Bobchen, du willst nicht wieder fort von mir«, wandte sie sich an den Hund, der sich bereits behaglich auf ihrem Schoß zusammenrollte. »Du bleibst nun immer bei mir.«

Es war dem Vater unmöglich, ein Machtwort dagegen zu sprechen. Schließlich überzeugte ihn der Gedanke, dass die Kleine doch einen heimatlichen Trost in die Fremde mitnahm.

Es war eine lange und nicht sehr abwechslungsreiche Fahrt durch meist flaches Land. Erst zuletzt kamen die Berge. Für Ilse tat sich eine neue Welt auf, sie hatte noch nie eine so lange, weite Reise gemacht. Über all den neuen Eindrücken, die sich ihr aufdrängten, trat der Trennungsschmerz in den Hintergrund.

Spät am Abend erreichten sie W. Sie übernachteten im Hotel und am nächsten Tag sollte Ilse in ihr neues Heim eingeführt werden.

Als es am andern Morgen neun Uhr schlug, stand Ilse fertig angezogen vor ihrem Vater. Sie sah in ihrem grauen Kostüm und den hübschen Sportschuhen ganz allerliebst aus. Unter dem hellen Strohhut schlängelten sich übermütig die braunen Locken hervor. Die schönen großen Augen blickten heute nicht so fröhlich wie sonst und zeigten einen ängstlich erwartungsvollen Ausdruck.

»Dir fehlt doch nichts, Ilschen?«, fragte Herr Macket und sah sein Kind besorgt an. »Du bist so blass. Hast du schlecht geschlafen?«

Die herzliche Frage des Vaters löste die unnatürliche Spannung in Ilses Seele. Sie fiel ihm um den Hals, und die bis dahin trotzig zurückgehaltenen Tränen brachen mit aller Macht hervor.

»Aber Kind, Kind«, sagte Herr Macket, »du wirst nicht lange von uns getrennt bleiben! Ein Jahr vergeht schnell, und zu Weihnachten besuchst du uns. Komm, Kleines, trockne die Tränen! Mach dir das Herz nicht schwer! Du wirst uns fleißig Briefe schreiben. Mama und ich werden dir täglich von uns Nachricht geben, von allem, was dich in Moosdorf interessiert!«

Er nahm sein Taschentuch und trocknete damit die immer von neuem hervorbrechenden Tränen seines Kindes.

»Mama soll mir nicht schreiben«, stieß Ilse schluchzend heraus, »nur deine Briefe will ich haben! Meine Briefe an dich soll sie auch nicht lesen!«

»Ilse«, verwies Herr Macket, »so darfst du nicht sprechen! Mama hat dich lieb und meint es sehr gut mit dir!«

»Sehr gut!«, wiederholte sie in kindischem Zorn. »Wenn sie mich lieb hätte, würde sie mich nicht verstoßen.«

»Verstoßen? Du weißt nicht, was du sprichst, Ilse. Werde erst älter, dann wirst du das große Unrecht einsehen, welches du heute deiner Mutter antust und deine bösen Worte bereuen.«

»Sie ist nicht meine Mutter. Sie ist meine Stiefmutter!«

»Du bist kindisch«, sagte der Landrat. »Aber merke dir, niemals will ich wieder solche Äußerungen von dir hören! Du kränkst mich damit.«

Ilse konnte nicht begreifen, wie es kam, dass ihr Vater sie nicht verstand. Er musste doch einsehen, wie unrecht ihr geschah.

»Komm jetzt!«, fuhr er beruhigend fort, »wir wollen gehen, mein Kind!«

Ilse ergriff den Hund, nahm ihn auf den Arm und wollte dem Vater folgen.

»Lass ihn zurück!«, befahl der Landrat. »Wir fragen erst, ob du einen Hund mitbringen darfst.«

Aber Ilse setzte ihren Trotzkopf auf. »Dann gehe ich auch nicht!«, erklärte sie mit Bestimmtheit. »Ohne Bob bleibe ich auf keinen Fall im Internat.«

Herr Macket gab nach, aus Furcht, neue Tränen hervorzulocken. Aber die Sache war ihm sehr peinlich. Was sollte Fräulein Raimar denken!

3

Eine Viertelstunde später standen Vater und Tochter vor einem stattlichen zweistöckigen Haus, welches etwas außerhalb der kleinen Stadt mitten im Grünen lag. Es war das Internat von Fräulein Raimar.

Der Gutsbesitzer blieb davor stehen. »Sieh, Ilse, welch ein schönes Gebäude!«, rief er höchst befriedigt. »Der Blick von hier aus in die nahen Berge ist wirklich prächtig.«

Was kümmerten Ilse die Berge! Sie fühlte sich so gedrückt vor Kummer, dass ihr die ganze Welt ein Jammertal dünkte.

»Wie kannst du dieses Haus schön finden, Papa!«, entgegnete sie. »Wie ein Gefängnis sieht es aus.«

Herr Macket lachte. »Glaubst du, dass in einem Gefängnis hohe, breite Fenster zu finden sind? Die armen Gefangenen sitzen hinter kleinen blinden Scheiben mit Eisengittern.«

»Ich werde jetzt auch eine Gefangene sein, Papa, und du selbst lieferst mich in dem Gefängnis ab.«

»Du bist eine kleine Närrin!«, sagte er lachend und brach das Gespräch ab, das ihm bedenklich zu werden schien.

Er stieg die breiten steinernen Stufen, die zum Eingang führten, hinauf und zog an der Klingel. Gleich darauf wurde die Tür von einem Mädchen geöffnet, das die beiden in das Empfangszimmer führte.

Sie durchschritten den Hausflur und einen langen Gang, von dem zwei Ausgänge in einen schönen, großen Hof führten. Es war gerade Frühstückspause in der Schule, und überall sah man lachend und plaudernd große und kleine Mädchen umhergehen. Sie verstummten, als sie die neue Mitschülerin erblickten, von der sie wussten, dass sie heute ankommen sollte.

Alle Augen richteten sich auf Ilse, der es plötzlich höchst beklommen zumute wurde. Sie glaubte, verstecktes Kichern hinter sich zu hören, und war herzlich froh, als sich die Tür des Empfangszimmers hinter ihr schloss und sie mit dem Vater allein war.

Ilse blickte sich in dem großen, elegant eingerichteten Raum um. Mit einem mal stieg ein ängstlich banges Gefühl wegen Bob in ihr auf. Fast wünschte sie, des Vaters Willen gefolgt zu sein. Nun wollte der Unartige auch noch hinunter auf den Boden, doch diesen Wunsch konnte sie ihm doch unmöglich erfüllen.

Wie durfte sie es wagen, das Tier auf den kostbaren Teppich zu setzen!

Die Tür öffnete sich, und Fräulein Raimar trat ein. Sie begrüßte Herrn Macket mit großer Liebenswürdigkeit. Dann blickte sie mit ihren stahlgrauen Augen, die einen zwar strengen und ernsten, aber sehr gewinnenden Ausdruck zeigten, auf Ilse. Das Mädchen trat dicht an den Vater und ergriff seine Hand.

»Sei willkommen, mein Kind!« Mit diesen Worten begrüßte die Internatsleiterin Ilse und reichte ihr die Hand. »Ich denke, du wirst dich bald bei uns heimisch fühlen.« Als sie den Hund sah, fragte sie: »Hat er dich begleitet?«

Ilse blickte hilfesuchend auf ihren Vater, der dann auch für sie das Wort nahm. »Sie mochte sich nicht von ihm trennen, Fräulein Raimar«, sagte er mit verlegenem Lächeln. »Meine Tochter hoffte, Sie würden die Güte haben, ihren kleinen Kameraden mit ihr aufzunehmen.«

Das Fräulein lächelte. Es war das erste Mal, dass ihr ein solches Anliegen zugemutet wurde.