12,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 12,99 €
Wenn deine Liebe das Ende der Welt bedeutet: dramatische Romantasy um vier Göttergaben, einen ewigen Fluch und die Entscheidung zwischen Liebe und dem Überleben einer ganzen Welt Einst schufen vier Gottheiten das Land Alania und seine vier Völker. Damit die Menschen in Frieden gedeihen mögen, machten die Gottheiten jedem Volk ein mächtiges Geschenk. Doch eine Tafel, die jeden mit Blut geschriebenen Wunsch erfüllte, erwies sich als mächtiger als die anderen Göttergaben und weckte Neid und Krieg unter den Völkern – bis die Kriegerin Daria in einem verzweifelten Moment einen Wunsch notierte, der zum Fluch wurde. Seither ist der Palast gespalten, Männer und Frauen leben getrennt. Darunter leidet vor allem Kronprinzessin Malena. Sie will nicht glauben, dass alle Männer ihr Böses wollen, nur weil sie eine Frau ist. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, den Palast zu einen – und dabei ihre frisch entdeckten Gefühle für den Krieger Aries zu erkunden. Doch ausgerechnet das soll ihr Ziehbruder Valerian mit allen Mitteln verhindern. Denn nur er kennt den wahren Preis für Malenas Gefühle … Stefanie Hasses Fantasyroman »Der verbotene Wunsch« ist der erste Teil der Dilogie »Die vier Göttergaben« – opulente, romantische Fantasy in einer Welt, die von ihren Göttern verlassen wurde. Band 2 wird kurze Zeit später erscheinen!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 417
Stefanie Hasse
Roman
Knaur eBooks
Eine Prinzessin mit einem traurigen Schicksal, ein Herrscher mit einer grausamen Bestimmung. Eine Heilerin, die für die Rettung ihres Volkes kämpft, und eine Liebe, die das Ende der Welt bedeutet.
Der Palast von Dariana ist gespalten. Eine alte Fehde trennt Männer und Frauen und schottet sie in ihren Palasthälften ab. Darunter leidet vor allem Kronprinzessin Malena. Sie will nicht glauben, dass alle Männer ihr Böses wollen, nur weil sie eine Frau ist. Ihr einziger Vertrauter ist Valerian, mit dem sie das Reich nach ihrer Krönung führen soll. Doch ein alter Fluch sät Zweifel zwischen den beiden Vertrauten, und bald muss Malena feststellen, dass hinter den alten Geschichten mehr steckt, als ihr lieb ist.
»Der Wunsch von einer besseren Welt führt in einen grausamen Fluch. Stefanie Hasse baut langsam, Stein für Stein, eine Bedrohung auf, die zum Ende nicht nur eine große Liebe und ein mächtiges Imperium zerstören kann, sondern vor allem auch meine Nerven.« Jennifer Benkau
Karte
Widmung
Prolog
1 Malena
2 Malena
3 Valerian
4 Malena
5 Taipa
6 Malena
7 Taipa
8 Malena
9 Valerian
10 Taipa
11 Malena
12 Malena
13 Valerian
14 Taipa
15 Malena
16 Taipa
17 Taipa
18 Malena
19 Valerian
20 Malena
21 Valerian
22 Taipa
23 Malena
24 Taipa
25 Taipa
26 Malena
27 Malena
28 Malena
29 Malena
30 Malena
31 Taipa
32 Malena
33 Taipa
34 Malena
35 Malena
36 Malena
37 Malena
38 Malena
39 Valerian
40 Malena
41 Malena
42 Taipa
Glossar
Die alten Gottheiten und ihre Göttergaben:
Personenregister:
Nachwort
Für alle, deren Wünsche nicht
in Erfüllung gegangen sind.
Vielleicht war es besser so.
Von da an gab es im Zentrum des Imperiums, den ehemaligen Midlanden, zwei Herrscher: einen Princeps und eine Princepa. Sobald der Sohn des Princeps und die Tochter der Princepa ihre Wünsche schreiben dürfen, wird die neue Generation zu Princeps und Princepa gekrönt.«
Die weißhaarige Amme wartete aufmerksam, bis die beiden Achtjährigen verstanden. Die Augen des kleinen Valerian begannen zu leuchten, und er stupste Malena so fest an, dass sie beinahe von ihrem Sitzpolster fiel. Sie beschwerte sich lautstark, bis er sich entschuldigte. Zufrieden richtete sie sich wieder auf und zupfte ihre helle Tunika zurecht.
»Dann kann ich mir meinen Wunsch aufbewahren, bis ich Princepa bin, oder Nimh?«, schlussfolgerte Malena, und der Stoff ihres Gewandes raschelte, weil ihre kurzen Beine vor Aufregung wackelten. Bis sie nach wenigen Atemzügen enttäuscht zusammensackte. »Als Princepa habe ich doch bereits alles. Was soll ich mir dann noch wünschen?«
Valerian munterte seine Ziehschwester auf: »Wir werden etwas finden. Etwas, das sich keine Princepa vorher gewünscht hat – und auch kein Princeps. Wir werden die Ersten sein.«
Die beiden lächelten einander an, und in ihren Köpfen spannen sich die wildesten Gedanken zusammen. Daher achteten sie nicht auf die Amme, die niedergeschlagen zu Boden blickte und die Lippen fest zusammenpresste, um die Worte nicht herauszulassen, die sie der Erbin am liebsten zugerufen hätte. Sie hatte dieselben Aussagen bereits gehört, als der amtierende Princeps und die verstorbene Princepa in dem Alter der Kinder waren. Und doch hatte sich seither rein gar nichts verändert.
Die Amme sah den beiden mit sorgenvollem Herzen hinterher, räusperte sich, als die wutverzerrten Blicke von Valerians Wachen Malena streiften, die sie bereits wie ihre Ahninnen behandelten, dabei war sie noch ein unschuldiges kleines Mädchen. In ihrer kindlichen Naivität glaubte sie ein jedes Mal Valerians Ausflüchten, dass die Wachen – überwiegend seine männlichen Legionäre, aber hin und wieder auch Malenas Gardistinnen – nur schlechte Laune hatten. Oder zumindest wollte die Kleine es glauben. Der Amme zerriss es immer wieder aufs Neue das Herz.
Zwölf Jahre später
Die ersten Sonnenstrahlen krochen durch die mit Ornamentgittern geschmückten Rundbogenfenster ins Innere des Palastes. Malena hatte sich bereits eingekleidet und schlich aus ihren Gemächern auf den Flur, stets darauf bedacht, nicht den geringsten Laut zu verursachen. Der Geruch nach Sandelholz folgte ihr, während sie den Beutel mit den duftenden Holzspänen, einem Räucherschälchen und einer Kerze unter ihrer Toga verbarg. Es gab lediglich diesen Geruch, der ihr von ihrer Mutter geblieben war. Sie kannte die ehemalige Princepa nur von dem einzigen Porträt in der Ahnengalerie, von dem sie sicher war, der Maler hätte sie nicht annähernd richtig eingefangen. Der finstere Blick, mit dem er Anthea verewigt hatte, konnte niemals der Person gehören, von der ihre Amme Nimh ihr immer erzählt hatte.
Aber was wusste Malena schon? Sie war nicht einmal drei gewesen, als ihre Mutter das grausame Schicksal ihrer Ahninnen ereilt und sie einen frühen Tod gefunden hatte.
Heute jährte sich dieser Tod zum sechzehnten Mal. Für alle anderen im Palast war die ehemalige Princepa nur ein Porträt in der Ahnengalerie, wie es die Statuten vorsahen, wie es seit jeher gehandhabt wurde. Doch Malena hielt noch immer an ihr fest, dachte an sie, an ihr grausames Schicksal. Auf leisen Sohlen huschte Malena am Bildnis ihrer Mutter vorbei, ihre Finger strichen dabei sanft über die eine Stelle an der Schulter, an der sie laut Nimhs Erzählungen immer gehangen hatte, um den Duft nach Sandelholz einzuatmen. Dann eilte sie weiter, an einer endlosen Reihe von Porträts vorbei, die allesamt junge Frauen in der Blüte ihres Lebens zeigten. Die ehemaligen Princepas des vereinten Imperiums. Von weit entfernt erklangen Rufe, und Malena zuckte zusammen. Sie hoffte, dass Circe es geschafft hatte und ihre Worte wahr werden ließ, indem sie die Bediensteten aufhielt, die Malena einkleiden wollten. Malena beschleunigte ihre Schritte und erreichte das Ende des Palastflurs der Frauen. Vorsichtig linste sie um die Ecke auf die Galerie, von der eine breite geschwungene Treppe nach unten führte. Als sie niemanden entdecken konnte, warf sie einen schnellen Blick in den Gemeinschaftsraum unter ihr. Noch war es ruhig, der Morgenappell hatte bislang nicht stattgefunden, das Treiben in diesem Teil des Palastes würde erst beginnen. Malenas Finger glitten die Balustrade entlang, ein marmornes Geländer, das auf etlichen kleinen Palisaden ruhte. Die Galerie wurde von Säulen getragen, wie die Stützen des palasthohen Raums, die hoch über ihrem Kopf zusammenwuchsen. Lena stieg leise die Stufen hinab, sah sich wieder und wieder um, ihr Blick folgte jedem noch so entfernten Geräusch, während sie ihrem Ziel immer näher kam.
Sie presste den Beutel mit Sandelholzstücken fester an sich, der Duft ihrer Mutter wurde stärker, als würde sie ihr tatsächlich näher kommen. Genau so fühlte es sich für Malena an, als sie den Fuß der Treppe erreicht hatte. Kurz versicherte sie sich, dass auch unter der Galerie, in ihrem einstigen Lehrraum neben dem Zugang zu den Dienstbotengängen und zu ihrer Palastküche, alles verwaist war. Anschließend ging sie direkt auf das ehemalige Kinderzimmer, später Unterrichtszimmer, zu. Jenem Raum, in dem sie und Valerian mit ihrer Amme Nimh die meiste Zeit des Tages verbracht hatten, später dann in Geschichte, Sprachen, Gesellschaft, Kunst und mehr unterrichtet worden waren. Wie viele Stunden hatte sie in diesem Raum voller Lehrbücher verweilt? Doch er war nicht ihr Ziel. Sie strebte auf die hölzerne Verkleidung der Wand daneben zu. Die aufwendigen Schnitzereien aus dem dunklen Holz des Westens zeigten Szenen großer Kriege und hoben sich daumenbreit vom Stein dahinter ab. Malena kannte jedes dieser Bilder in- und auswendig. Auf ihrer Seite des Palastes, der Seite der Frauen, gab es hölzerne Abbildungen der glorreichen Daria, die das Imperium vor so vielen Jahrhunderten geeint hatte. Auf der anderen Seite der Tür, im männlichen Pendant des Palastes, schloss die Bilderserie mit Darias Bruder Decimus ab, mit dem Daria nach ihrem großen Sieg der Einheit gemeinsam regiert hatte. Von diesem in Holz gebannten Moment an gab es im Imperium zwei Herrscherlinien. Die ausschließlich weiblichen Nachkommen Darias bewohnten Malenas Seite des Palastes, die allesamt männlichen Nachfahren von Decimus die andere.
Malenas Finger streiften über die Schnitzerei von Darias Triumphzug in die Stadt, die ihr zu Ehren Dariana genannt wurde. Malena ging in die Hocke, grub ihren Finger eine Handbreit über dem steinernen Sockel hinter eine der Gardistinnen, die Darias Einzug in die neue Hauptstadt flankierten, und holte ein kleines goldenes Medaillon hervor, das einst ihrer Mutter Anthea gehört hatte.
Malena sah wieder vor sich, wie winzige Finger das Medaillon damals dort verborgen hatten. Es war der erste Todestag ihrer Mutter gewesen. Ihre Amme Nimh hatte sie sehr früh geweckt und aus ihren Gemächern gezogen. Nur in ihr Nachtkleid gehüllt, war sie schlaftrunken barfuß hinter Nimh hergetapst, die ihr leise flüsternd erklärt hatte, dass sie ihre Mutter nie vergessen dürfe. Nicht, wie es allen anderen aufgetragen wurde. Das Porträt in der Ahnengalerie sollte das einzige nüchterne Andenken an Anthea sein. Nimh hatte das anders gesehen. Sie hatte Antheas liebstes Schmuckstück noch vor der Totenzeremonie im Tempel an sich genommen und für Malena aufbewahrt. An ihrem ersten Todestag hatte sie es ihr geschenkt, hatte Malena, wie in all den nachfolgenden Jahren, Anekdoten über Anthea erzählt. Wie sie als Mädchen in ihrem Alter war. Malena sollte nicht glauben, was man sich später berichtete. Und Malena hielt sich noch heute daran.
Nimhs Geschichten, das Berühren des Medaillons und das Entzünden der Sandelholzspäne waren zu einem jährlichen Ritual geworden. Bis auch Nimh Malena verlassen hatte. Von da an hatte es keine Geschichten mehr gegeben, nur noch verblassende Erinnerungen. So wie die an ihre Mutter wurde auch das Andenken an Nimh immer mehr in Nebel gehüllt.
Circe, Malenas erste Gardistin, wurde von da an zu ihrer engsten Vertrauten, aber dieses Geheimnis konnte und durfte sie mit niemandem teilen, der nicht von Anfang an dabei gewesen war. Malena legte sich das Medaillon um den Hals, holte dann aus dem mitgebrachten Beutel die kleine Kerze, die sie schnell an einer der Fackeln an den die Galerie tragenden Säulen entzündete. Sie kniete sich wieder vor die Schnitzereien, holte die winzige metallene Schale aus dem Beutel, streute Sandelholzsplitter darauf und hielt die Flamme der Kerze dagegen. Der intensive Rauch lockte all die Geschichten von Nimh an. Malena ließ sich immer tiefer in Erinnerungen an die Erzählungen über ihre Mutter gleiten, die Bilder und Gefühle zutage förderten und Fragen aufwarfen, die sie ansonsten nicht zu stellen wagte.
Trotz der Tränen, die Malena bereits auf ihren Lippen schmeckte, trotz all der Trauer, die sie mit dem aufsteigenden Rauch einhüllte, schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen, als sie die Wärme einer Hand auf ihrer Schulter spürte. Sie wusste, dass es Valerian war, der gleich einem geräuschlosen Ifrit Stufe für Stufe die geschwungene Treppe hinabgeglitten war, die zu seiner Seite des Palastes führte, ehe er Schritt für Schritt näher gekommen war, um sie an diesem schweren Tag zu unterstützen wie in all den Jahren nach Antheas Tod.
Sanft strichen seine Finger über ihre Schultern, Malena entspannte sich sofort, hieß die wohlige Wärme, die sich wie eine schützende Rüstung um ihr Herz legte, willkommen. Valerians Gegenwart machte ihr wieder bewusst, dass sie eben nicht alle verloren hatte. Valerian war ihr geblieben. Seine damals kindlichen Finger, mit denen er ihr das Medaillon am Ende ihrer Trauerzeit wieder abnahm, waren Jahr für Jahr gewachsen, aber er hatte sich nie verändert. Er war von Kindesbeinen an immer an ihrer Seite gewesen, hatte sie wie Nimh einst vor den finsteren Blicken der anderen beschützt, von denen er immer behauptet hatte, sie wären nicht für sie bestimmt. Malena wusste es besser, hatte es immer gewusst.
Val war die einzige Familie, die ihr geblieben war. Gemeinsam löschten sie das Räucherwerk, Malena verbarg das Medaillon wieder hinter dem Pferd der Gardistin, ehe sie Kerze und Räucherschälchen in ihren Beutel packte.
Gemeinsam erhoben sie sich, nahmen einander noch einmal in den Arm. Geborgenheit flutete Malenas Körper, und erst als sie nicht länger von lautlosen Schluchzern geschüttelt wurde, schob Val sie sanft von sich, strich ihr zärtlich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und wischte die Tränen von ihren Wangen. Ohne Absprache gingen sie im selben Moment los, huschten die jeweilige Treppe zur Galerie empor und strebten auf ihre Flügel des Palastes zu. Das Gewicht, das nun auf Malenas Schultern drückte, war der Ungewissheit geschuldet. Noch in diesem Sommer würden Val und sie das Imperium für immer verändern. Ihr geheimes Ritual wäre dann nicht länger notwendig, und doch hing Malena fest daran. Trauer schnürte ihre Brust zusammen, als sie auf ihren Flügel zustrebte. Ehe sie ihn nicht mehr sehen konnte, drehte sich Malena ein letztes Mal um, wie immer. Valerian tat dasselbe an seinem Ende der Galerie.
Noch einmal hob er die Hand, lächelte ihr aufmunternd zu, als wüsste er genau, wie sehr sie es in diesem Moment brauchte. Die Gewissheit, dass sich für sie beide, für das ganze Imperium, noch in diesem Jahr alles zum Guten wenden würde, vertrieb den Rest des klammen Gefühls. Sie beide würden die Welt verändern. Wie sie es Nimh einst versprochen hatten. Bei der letzten Trauerzeremonie zu Antheas Todestag, ehe Nimh von ihnen gegangen war. Malena starrte etliche Herzschläge lang auf die inzwischen verwaiste Galerie, als erwarte sie, Valerian noch einmal zu sehen.
Empfand er ebenso wie sie? Hatte er dasselbe Gefühl von Verwirrung? Ein brausendes Gemisch aus Angst und Hoffnung? Hektische Schritte ließen Malena zusammenzucken, ihre Neugier siegte jedoch, und sie lugte noch einmal um die Ecke. Er war zurückgekehrt, nickte ihr über das Geländer hinweg zu und wartete, bis sie die Kraft aufbrachte, in ihre Gemächer zu gehen. Das war alles, was Malena an Sicherheit brauchte. Sie beide würden die Welt verändern. Für eine bessere Zukunft.
Drei Monde später
Die Veränderung lag in der Luft. Unsichtbar wie Staub, der sich im Laufe des Tages auf den zahlreichen Säulen und Ornamenten niederlegen würde, die Malena auf ihrem Weg in den Flügel der Männer passierte. Der große Tag war gekommen. Ihr großer Tag war gekommen. Wie viele Jahre hatte sie diesem Moment entgegengefiebert, geduldig gelernt, zahlreiche langweilige Stunden mit ihren Lehrmeisterinnen verbracht. Alle hatten sie auf diesen Tag vorbereitet. Den Tag von Valerians und ihrer Krönung, den Tag, an dem Princeps Sargon, Vals Vater, sein Amt übergeben und zu seinem Alterssitz reisen würde.
»Wenn du weiter trödelst, verpassen wir deine eigene Krönung!« Circe hakte sich bei Malena unter und zerrte sie beharrlich den Flur entlang.
»Ich bin noch nie hier gewesen, findest du nicht auch, dass es ganz anders aussieht als in unserem Flügel?« Malenas Blick glitt über die schmucklosen Wände zwischen den Bogenfenstern. Alles wirkte so kühl, zweckmäßig. Ihre Bediensteten brachten stets frische Blumen mit, stellten sie dekorativ auf, damit sie ihren Duft verströmten. Malena rümpfte die Nase. Hier roch es nicht nach Blumen, hier stank es fürchterlich.
Sie passierten gerade das Gymnasium, die große Trainingshalle von Vals Soldaten. Sie war verwaist, stellte Malena fest, als sie an Circes Arm riss, stehen blieb und neugierige Blicke hineinwarf. Alle Soldaten waren im Einsatz, bemerkte sie enttäuscht. Sie hätte zu gerne das Training beobachtet und herausgefunden, ob sich die Kampftechniken wirklich so unterschieden, wie Circe behauptet hatte.
Auch der Raum, den sie sich nun genauer ansah, könnte sich nicht stärker von seinem Pendant im Flügel der Frauen unterscheiden. Jede Waffe ihrer Gardistinnen hatte eine Haltevorrichtung an der Wand, ihre Schwerter lagen nicht wie hier lieblos und nur teils in ihren Scheiden steckend herum wie auf einem Schlachtfeld.
Malena war sich sicher, in die bessere Seite des Palastes hineingeboren worden zu sein.
Circe sah Malena herausfordernd an. »Können wir weiter, Princepa?« Trotz des förmlichen Titels, der Malena eigentlich erst nach der Krönung zu eigen sein würde, klangen Circes Worte schnippisch, während sie an der Tunika ihrer Gardistinnenuniform zupfte, ehe sie die Hand wieder auf den Schwertknauf an ihrer Seite legte.
»Bist du denn gar nicht aufgeregt?«, wollte Malena wissen und studierte ihre beste Freundin und oberste Gardistin ganz genau. Ihre hellbraunen Haare hatte diese ihrer Position entsprechend zu einem harten Knoten am Hinterkopf gebunden. Malena mochte es lieber, wenn sie ihre Zivilkleidung trug und die langen Haare ihre hohen Wangenknochen umspielten. Aber selbst die schäbigsten Lumpen würden Circes Schönheit keinesfalls schmälern können. Neben ihr verblassten all die vollkommenen Marmorstatuen im Badehaus.
»Warum sollte ich das jetzt schon sein? Ich mache mir eher Sorgen, was dort draußen passieren wird.« Sie sah sich um, als könnte plötzlich jemand durch eines der Fenster hier im obersten Stockwerk des Palastes aus dem Nichts auftauchen und Malena anfallen. Da sie Malena nach dem Gesagten stehen ließ, blieb dieser gar nichts anderes übrig, als Circe zu folgen, wenn sie etwas erwidern wollte.
»Es wird nichts geschehen«, sagte sie mit tiefster Überzeugung. »Es ist der Tag der Krönungszeremonie. Das Volk ist in Feierlaune.« Sie passierten gerade ein geöffnetes Fenster, das ihr einen Blick hinunter auf Dariana erlaubte, dessen Dächer und Kuppeln in der Mittagssonne glänzten. Ein warmer Wind trug die Stimmen des Volkes zu ihnen, das bereits seit Tagesanbruch im Kolosseum wartete.
»Sie feiern ihn, das weißt du genau. Männer werden für das gefeiert, wofür Frauen verunglimpft werden.« Circe sah Malena nicht an, aber ihre Stimme klang hart, beinahe verbittert. Wie die Personen, deren Bilder an der Wand aufgereiht hingen. Gerade gingen sie an der Ahnengalerie vorbei, ähnlich der auf Malenas Seite des Palastes.
»Sie sind alle so … alt.« Malena blieb stehen und fuhr mit der Hand über die raue Struktur des Gesichts vor ihr. Im Gegensatz zu den Gemälden ihrer Ahninnen, deren letzte jährlich angefertigte Porträts alle aus jungen Jahren stammten wie das von Anthea, hatten Vals Vorfahren fast alle graue Haare und etliche Falten, die von einem langen Leben zeugten. Malena schluckte. Sie kannte die Geschichten über die Erbinnen Darias, der Namensgeberin der Stadt. Wie auch Malenas Mutter holte der Tod sie alle sehr früh in sein Reich. Sie fielen in Kriegen, wurden Opfer von Attentaten oder starben durch eigene Hand. Sie sahen auf den zuletzt angefertigten Porträts nur wenig älter aus als Malenas Spiegelbild. Den Unterschied aber so deutlich zu sehen, vergegenwärtigte die geflüsterten Worte ihrer Amme Nimh und all die Ängste, die sie Malena trotz ihrer Umarmung nicht hatte nehmen können. »Das Volk behauptet, Darias Nachkommen seien verflucht.«
Die Worte folgten Malena bis zu Valerians Gemächer, vor denen Circe sich verabschiedete und regelrecht flüchtete. So kannte Malena ihre Freundin gar nicht.
Sie zwang sich zu einem Lächeln und betrat den Raum.
Val hörte sie nicht kommen. Er stand mit dem Rücken zu ihr und kontrollierte im Spiegel den Sitz seiner Toga. So konzentriert, dass er zusammenzuckte, als sich ihre Blicke im goldenen Rahmen trafen.
Er wirkte angespannt, gereizt, beinahe schon verärgert. Damit überspielte er seine Angst. Circe sagte immer, dass dies ein typischer Charakterzug von Männern war, aber Malena sah dasselbe ebenso bei ihren Freundinnen. Was für viele der laut Circe unverkennbar männlichen Eigenschaften galt. Malena kannte außer Val, dessen Vater, Princeps Sargon, ihrem gemeinsamen Lehrmeister Georgius und dem finsteren obersten Priester Lothair niemanden des anderen Geschlechts, sie musste sich also auf das verlassen, was die Gardistinnen – ihre Freundinnen – ihr sagten. Wobei sie sich nie sicher sein konnte, ob die von so vielen Mündern weitergetragenen Ratschläge überhaupt einen wahren Kern hatten. Einst verbreitete sich das Gerücht unter den Frauen, dass die Männer sich jeden Mondlauf aufs Neue bei ihren Blutungen in Steine verwandelten, um dem Schmerz zu entgehen. Val hatte sich beinahe an seinem Essen verschluckt, als sie ihm davon berichtet hatte. Sie war aber froh, es getan zu haben. Denn erst durch ihn hatte sie erfahren, dass Männer überhaupt keine Blutungen hatten – und sich somit natürlich nicht in Stein verwandelten. Gemeinsam hatten sie dafür gesorgt, dass auftretenden Gerüchten mit mehr Besonnenheit begegnet wurde und dadurch viele dieser alten Vorurteile entkräften werden konnten. Bis auf jenes, das sich seit Jahrtausenden immer wieder zu bestätigen schien: dass ihre Ahninnen allesamt bösartige Frauen waren, die das Volk wissentlich ins Unheil stürzten – was in der männlichen Seite des Palastes dann verallgemeinert und auf alle Frauen bezogen wurde. So oft Val es auch versucht hatte, kein Mann nahm ihm ab, dass Frauen – oder gar Malena – liebenswerte Menschen waren.
Malena wollte es ihnen allen beweisen und für eine Einheit des Palastes kämpfen, um all den Vorurteilen ein Ende zu bereiten. Ihre Meinung hatte sich nicht geändert. Sie würde ihren Traum eines vereinten Palastes alsbald mit ihrem Blut auf die Tontafel schreiben – mit deren Hilfe Vals und ihr Wunsch, den sie nach der Krönungszeremonie schreiben durften, erfüllt wurde. Doch wie stand es um Val? Hatte er seine Meinung geändert? Sie fing seinen Blick im Spiegel auf.
»Hältst du dich an das, was wir uns geschworen haben?«, fragte sie und verfolgte im Spiegel Vals Reaktion. Seine schmalen Lippen wurden zu einem Strich, ehe ihm ein Seufzen entfuhr – das sie geübt ignorierte. »Wir wollten eine Veränderung. Wir wollten, dass … es aufhört. Ich will nicht länger in meiner Palasthälfte eingesperrt sein.« Ihre Lippen bebten, als die Worte aus ihr hervorquollen, all die Sehnsüchte und Verzweiflung bahnbrachen. »Ich weiß einfach, dass du dich mit Circe und den anderen Frauen genauso vertragen wirst wie ich mich mit deinen Freunden.« Obwohl sie diesen Ton an sich verabscheute, klang sie nahezu flehend. Sie sehnte sich nach der Welt außerhalb ihres Palastflügels, dürstete nach einem Blick über die hohe Mauer, die ihre Hälfte der weitläufigen Gärten umgab wie ein Gefängnis. Es gab dort draußen eine ganze Stadt zu entdecken, eine ganze Welt. Gemeinsam mit ihrem Ziehbruder.
Val zupfte seine Toga wieder zurecht und sah Malena dann etliche Herzschläge lang an. So hatte sie Zeit, ihre beiden Spiegelbilder ebenfalls genau zu betrachten. Seine hellen Locken waren das absolute Gegenteil ihrer eigenen schwarzen Haare, die so dicht und lang waren, dass ihre Dienerinnen täglich einen regelrechten Kampf mit ihnen ausfochten. Auch zwischen ihrer und seiner Hautfarbe lagen sicher mehrere Farbtöne, ein deutlicher Beleg dafür, dass sie keine echten Geschwister waren, sondern den zwei getrennten Herrscherlinien des Imperiums entsprangen. Wo ihr Kunstlehrer Georgius Val vermutlich mit dem hellsten Beigeton malen würde, musste er für Malena spätestens zu Midsommer zu einem hellen Braun greifen, das er stets als Bronze bezeichnete, was Malena immer an die Repliken der früheren Princeps und Princepas im Forum erinnerte. Als sie klein gewesen waren, hatten sie sich in den Gesichtszügen ähnlich gesehen – wie vermutlich alle Kinder, behauptete Circe. Nicht, dass Malena je andere Jungen von Nahem zu Gesicht bekommen hatte. Vielleicht hatte Val damals ja nur ausgeprägte weibliche Züge besessen?
Doch selbst wenn: Die hatten sich in den letzten Jahren komplett verloren. Wo ihr Körper und der von Circe und den anderen Frauen zwar durchtrainiert, aber weich war, besaß Val Kanten und Muskeln, mit denen er ständig angab, nachdem ihn die Soldaten – Männer, die er Freunde nannte – täglich durch den Park des Palastes hetzten und ihm anschließend bei Körperübungen immer mehr abverlangten. Malena war es untersagt, mit ihm zu trainieren – sie musste ihr eigenes Training mit Circe und den anderen Gardistinnen absolvieren.
»Ich habe nicht vergessen, was wir uns alles erträumt haben, Malena.« Das sanfte Lächeln ließ seine Züge sofort weicher werden. »Und ich werde mein Versprechen halten und unseren Wunsch auf die Tontafel schreiben. Wir werden die Geschlechter im Palast vereinen, ich verspreche es dir.« Er schlug sich mit der Faust auf die Brust. Circe hatte diese Art Bekräftigung des Gesagten mit denen der wilden Tiere verglichen, die in den Wäldern zwischen den westlichen und südlichen Provinzen hausten – doch Val hatte ihr erklärt, dass es eine Geste des Respekts innerhalb seiner Legionen war, das Pendant zum respektvollen Nicken auf ihrer Seite des Palastes. Dennoch liebte Circe diesen Vergleich und zog ihn immer wieder heran.
Sie schob das Bild des behaarten Riesen, den sie nur aus Büchern kannte, von sich und suchte in Vals Mimik nach einer Lüge, wie Circe es sie gelehrt hatte. »Vertraue nie einem Mann«, hatte Malena öfter von ihr zu hören bekommen als alle anderen Weisheiten, und offenbar war sie ihr ins Blut übergegangen. In Vals Gesicht stand jedoch nichts als Aufrichtigkeit. Zufrieden sah sie ihr eigenes Spiegelbild an und raffte ihre Stola – ebenfalls mit der purpurnen Bordüre der Magistrate versehen – über ihrer linken Schulter etwas zusammen.
Heute war einer der beiden wichtigsten Tage ihrer Generation. Der Geburtstag ihres einzigen echten männlichen Kontakts, ihres besten – und einzigen – Freundes. Der Person, die dem für Malena abstrakten Begriff Familie am nächsten kam, dem Menschen, mit dem sie gemeinsam das Imperium regieren würde, bis sein Sohn oder ihre Tochter das zwanzigste Lebensjahr vollenden würden. Wie von selbst richtete sich Malena weiter auf, all die Lektionen aus dem Unterricht mit Nimh im Hinterkopf.
Jemand räusperte sich hinter ihnen, und Val wandte sich schnell um. Auch Malena konnte ihre Neugier nicht im Zaum halten. Abgesehen von diesem Moment kurz vor ihrer beider Krönung war es ihr verboten, sich in den privaten Gemächern ihres Bruders aufzuhalten. Gemächer im Palastflügel seiner Familie, wo es ausschließlich männliche Bedienstete gab und …
Malena stockte der Atem, als sie Vals besten Freund Aries erkannte, der aus der Entfernung, aus der sie ihn sonst zu sehen bekam, nicht von anderen Männern mit dunklen Haaren zu unterscheiden war. Niemals hatte sie sein Gesicht genauer betrachten können, wenn die Soldaten in der Nähe des Flügels der Frauen – weit unter den Gemächern der Princepa – die hohe trennende Mauer passierten. Zum ersten Mal fiel ihr auf, wie breit er im Vergleich zu Val war, der als zukünftiger Princeps kein echter Soldat war und nicht so hart trainierte. Aries trug die dunkelblaue Toga der Offiziere, seine Iris hatte nahezu dieselbe Farbe, soweit Malena diese erkennen konnte. Denn er beobachtete sie aus misstrauisch zusammengekniffenen Augen, sodass in Malenas Magen ein Knoten entstand und sie sich ohne erkennbaren Grund unwohl fühlte. Durch sein dunkles Haar, das sich leicht wellte, fiel der Bartschatten weit mehr auf als bei Valerian, er betonte die kantigen Züge und ließ Aries finster und regelrecht Furcht einflößend wirken. Die breiten Schultern gingen in Arme über, deren Umfang mindestens doppelt so groß war wie bei Malena. Gerne hätte sie Val, um sich abzulenken, damit geneckt, dass Aries weit mehr Muskeln besaß als ihr Bruder, aber sie konnte – nein wollte – den Blick nicht von Aries abwenden. In ihrem Bauch schien etwas zu erwachen, das ihren Herzschlag beschleunigte. Sie starrte ihn weiter an, sog jedes noch so kleine Detail auf und genoss diese so ungewohnte Lebendigkeit ihres Körpers.
Im Gegensatz zu ihm. Er knurrte nur ein knappes »Der oberste Priester ist so weit«, drehte sich so schnell um, dass sich seine Toga aufbauschte, und verließ mit flatterndem Gewand Vals Gemächer.
Auf sein Räuspern hin wandte sich Malena zu ihrem Bruder um, dem ein bisher nie da gewesenes Funkeln in den Augen stand.
»Aries ist mein bester Freund«, sagte er nur. Erst als er dazu noch seine helle Braue hob, begriff Malena, worauf er hinauswollte. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch die Worte kamen ihr erst nicht über die Lippen. Stattdessen färbten sich ihre Wangen in das Rot der Centurionen, und ihr Herz schlug so schnell in ihrer Brust wie die Flügel eines Kolibris. Bislang hatte sie nie mit Val über diesen Teil ihrer Zukunft gesprochen. Über die Auswahl der Gefährten und was nach der Krönung zu ihren Aufgaben gehörte. Natürlich hatte sie sich aus purer Neugier bereits mit Circe darüber ausgetauscht. Über den Akt der Notwendigkeit, um eine Tochter zu zeugen – den ihre Amme Nimh ihrerseits Verschmelzung von Körper und Geist genannt hatte. Malena war damals aber noch so klein gewesen, dass sie nicht näher nachgefragt hatte und Circes Beschreibung des körperlichen Kontakts hängen geblieben war, die für einen bitteren Geschmack in Malenas Mund sorgte, der nun so trocken wurde wie damals, als Val und sie Georgius’ Kreide gegessen hatten, weil sie wissen wollten, wie sich ihre Stimme dadurch veränderte.
Da sie nichts erwiderte, fuhr Valerian fort: »Seine Pflichtzeit im Palast endet bald, und er könnte zu seiner Familie zurück …« Scheinbar war es auch für ihren Bruder ungewohnt, über jene Details zu reden, was Malenas Anspannung etwas lockerte. Sogar ihre Mundwinkel zuckten. »So könnte er weiter im Palast bleiben«, sagte er dann nur knapp, eine logische Begründung, die diese Bitte jedoch nicht besser machte.
»Du willst, dass ich mit ihm Nachkommen zeuge, damit du ihn im Palast behalten kannst?« Nun überkam sie eine Hitze, die nichts mit Scham zu tun hatte. Wenigstens sah Val ein, dass er etwas Falsches gesagt hatte, und wich ihrem Blick aus.
»Tut mir leid, Lena.« Ihren alten Kosenamen hatte sie lange nicht aus seinem Mund gehört, und sofort flaute ihr Ärger über seinen Egoismus ab. »Es ist nur … Ich kann mir nicht vorstellen, dass innerhalb der nächsten Monde alle aus meinem Leben verschwinden, die mich seit Nimhs Tod begleitet haben. Ich habe …« Er suchte nach dem richtigen Begriff, daher vollendete Malena seinen Satz: »Angst.«
Die Erinnerung an das sanftmütige Lächeln ihrer ehemaligen Amme wärmte Malenas Brust, und sie trat einen Schritt näher an Valerian, legte ihre Hand auf seinen bloßen Unterarm. Ein zarter dunkler Fleck auf seiner hellen Haut. »Ich weiß, was du meinst. Circe, Vilana, Mameida … sie alle werden nach und nach aus meinem Leben verschwinden und ein neues beginnen. Sie können machen, was sie wollen, sie werden …« Nun war sie es, die das Wort nicht aussprechen konnte. Sie schluckte, sah ihrem Bruder in die hellen blauen Augen.
»Frei sein«, flüsterten sie gemeinsam, und mit einem Mal fühlte sie sich in ihre Kindheit zurückversetzt, in der sie begriffen hatten, dass ihre Herkunft sie zu Gefangenen machte und die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen, ihr oberstes Bestreben geworden war.
Bedrückende Stille legte sich über den Raum. Malena glaubte, ihr Herz schlagen zu hören, während sie unentwegt an ihrer beider Wunsch dachte: das Ende der Geschlechtertrennung im Palast und das Öffnen der Tore, um nicht länger gefangen zu sein.
Dann drangen Jubelschreie vom Kolosseum durch die Fenster. Der Hohepriester hatte offensichtlich mit seiner Ansprache begonnen.
»Wir sollten gehen«, sagte Val mit kratziger Stimme und trat einen Schritt zurück.
Malena nickte, und sie wandten sich beide der Tür zu, folgten dem langen Flur der Ahnengalerie, ein Wechselspiel von Licht und Schatten. Am Ende des Hufeisens angekommen, das den Grundriss des Palastes formte, stieg der Geräuschpegel. Die Blicke von Valerians Soldaten, die für die Zeremonie strammstanden, folgten ihnen. Malena spürte ihre Missgunst mit jedem Schritt und schluckte die Worte hinunter, die ihr auf der Zunge lagen. Die Soldaten waren wirklich so arrogant, wie Circe immer behauptete. Malena war der Hoffnung erlegen, dass sie wie so oft übertrieben hatte. Ein kurzer Blick zurück auf die geschnitzten Ornamente unter der Galerie gab ihr neuen Mut, der Missgunst zu begegnen. Val war an ihrer Seite. Und würde es immer sein.
Gemeinsam schritten Malena und Valerian die breite Treppe vor den Unterrichts- und Gemeinschaftsräumen der Galerie zur Empfangshalle hinab, die von Männern und Frauen gleichzeitig besucht werden durfte. Dennoch hielten sich alle Frauen auf der rechten und die Männer auf der linken Seite auf, niemand betrat freiwillig das Territorium des anderen Geschlechts. So oft Malena konnte, kam sie tagsüber hierher und hoffte, andere Gesichter zu erblicken als die ihrer Dienerinnen und Gardistinnen. Sie verstand nicht, warum nicht alle so neugierig waren wie sie selbst. Denn wann immer sie sich davonstehlen konnte, war die große Halle verwaist, als würden Ifrits der östlichen Provinz hier ihr Unwesen treiben.
Aries trat zu ihnen und sprach nur Val direkt an, als wäre Malena ebenfalls einer dieser Ifrits, denen man nie ins Antlitz blicken durfte – nur weil sie durch ihre Ahnenlinie das Blut des Ostens in sich trug. »Lothair erwartet euch im Kolosseum.« Ohne Malena auch nur einen kurzen Blick zu schenken, drehte er sich um und ging voran. Aries war der Inbegriff von Circes Beschreibung des anderen Geschlechts, und Malena ärgerte sich darüber. Ob mehr über die Tatsache, dass Männer wirklich den überheblichen, arroganten Wesen glichen, oder darüber, dass Circe augenscheinlich recht zu behalten schien, wusste sie nicht. Mit einem Seufzen schloss Malena zu Val auf.
Gemeinsam folgten sie Aries den breiten gepflasterten Weg entlang, rechts und links standen sämtliche Bediensteten des Palastes zwischen den Feuerschalen vor den zwei hohen Mauern, die an der Frontseite des Palastes die Männer von den Frauen trennten. Zu Malenas Rechten reihten sich die Frauen des Palastes aneinander, auf Vals Seite schlugen sich die Männer mit der Faust auf die Brust, als sie passierten. Sie stiegen die Treppe empor, die auch zum Wehrgang führte, aber Aries strebte dem direkten Zugang zur Loge des unterhalb von Vals Palastseite angeschlossenen Kolosseums zu.
Der Lärm der tosenden Bevölkerung im Kolosseum wuchs mit jedem Schritt an.
Als sie und Valerian auf dem mit hellen Stoffbahnen überschatteten Balkon ankamen, erschallten aus allen Richtungen »Princeps Valerian«-Rufe, die Val immer größer werden ließen. Nie zuvor hatte Val seinem Vater so sehr geglichen – was sie Val besser nicht sagte. Er gab stets nur ein Grummeln zur Antwort, wenn sie ihn auf den scheidenden Princeps ansprach. Beinahe hätte sie gelacht, aber die finstere Erscheinung des obersten Priesters mit seiner Lederkappe über dem faltigen Gesicht und der schwarzen Toga mit dem Goldrand erstickte jegliche Belustigung.
Malena fand Lothair schon immer unheimlich, Nimhs Lektionen über den Hohepriester waren da nicht besonders zuträglich gewesen. Selbst die strahlende Sonne konnte sein grimmiges Gesicht mit den unzähligen Runzeln nicht erhellen. Er besaß neben Princeps und Princepa die größte Macht im Land. Mit dem heutigen Tag – Valerians und ihrer Krönung – würde er sogar mächtiger sein als Vals Vater Sargon, der seinem Erben in wenigen Augenblicken die Würde des Princeps abtreten würde.
Noch stand Valerians Vater erhobenen Hauptes vorne am Balkon und ließ sich bejubeln. Seine goldenen verschlungenen Ästen nachempfundene Krone mit den blutroten Edelsteinen sorgte bei jeder noch so kleinsten Bewegung für tanzende Lichtflecken auf dem Leinendach des Balkons. Sein purpurfarbener Umhang bedeckte seine gesamte Toga.
Wie es das Protokoll vorsah, trat Valerian zu seinem Vater, der ihm die Hand auf den Rücken legte. Sargon sah seinen Sohn voller Bedauern an, als würde er ihm an diesem Tag die Last der Welt auf die Schultern legen anstelle der Möglichkeit zur Veränderung. Malena blendete die weiteren Jubelrufe aus, ihre Gedanken reisten zu ihrer Mutter, die in diesem Moment an ihrer Seite stehen sollte. Ihre Brust schnürte sich ein und strich über das von ihrer Schneiderin eingenähte Sandelholzstück auf Höhe der goldenen Brosche, die ihre Toga hielt. Der Geruch nach ihrer Mutter hüllte Malena ein und beschwor das Gefühl, sie sei an diesem so wichtigen Tag anwesend.
Lothair trat zwischen den amtierenden und den künftigen Princeps und sprach die göttlichen Worte. Er bat um den Segen aller vier Gottheiten der Himmelsrichtungen, übertrug die Macht des Princeps auf Val und setzte ihm Sargons Krone auf die hellen Locken, ehe er Sargons purpurfarbenen Umhang über Vals Schultern legte.
Sargon, nun nur noch mit einer purpurfarbenen Bordüre als Träger der Magisterwürde erkennbar, trat daraufhin zurück in die Schatten. Sein Blick streifte Malena, und erneut stand dasselbe tiefe Bedauern darin wie seinem Sohn gegenüber. Bedauerte Sargon, seinen Platz räumen zu müssen? Noch an diesem Tag würde er zum Landsitz der ehemaligen Princeps nahe der Grenze zur östlichen Provinz reisen und dort sein weiteres Leben im Ruhestand genießen. Fernab der Großstadt und der Politik, tagelangen Debatten mit dem Senat oder Vertretern der Provinzen. Für einen Moment betrachtete Malena den Mann voller Neid. Er war nun frei. So frei, wie Val und sie es sich immer gewünscht hatten. Um ihm nachzueifern, mussten sie nur in den nächsten Tagen ihre Wünsche auf die Tontafel niederschreiben, und sie würden wahr werden. Val und sie würden ebenfalls frei sein und nicht nur die Teilung des Palastes für immer beenden.
Lothair wandte sich Malena zu. Seine Augen waren von so blassem Blau, dass sie wie alles an ihm grau wirkten. In ihnen glomm jedoch etwas, das Malena nie in der Lage war zu beschreiben. Es war vielmehr ein Gefühl, ein Instinkt, der sie in seiner Nähe immer erschaudern ließ. Vielleicht lag es daran, dass er ein Mann war, auch wenn der oberste Priester offen mit beiden Geschlechtern interagieren konnte, ebenso wie die heilenden Frauen auch Männern beistehen konnten.
Mit Gänsehaut auf den Unterarmen ließ sich Malena zur Balustrade führen und versuchte zu lächeln, als die spärlichen »Princepa Malena«-Rufe zu ihr drangen. Sie verstummten völlig, als von irgendwo dort unten ein schriller Pfiff ertönte. Das so deutliche Zeichen von Ablehnung schmerzte in Malenas Brust, und sie fuhr instinktiv zusammen. Die weibliche Seite der Herrscherlinie genoss nicht gerade hohes Ansehen in der Bevölkerung, dessen war sie sich immer bewusst gewesen. Sie war sich all der Geschichten bewusst. Sie hatte jedoch nicht erahnen können, wie sehr es schmerzen würde. Diese Menschen dort unten kannten ihre Ahninnen, aber doch nicht sie!
Mit einem Kloß in der Kehle sah sie hinab in die Menge, verfolgte, wie sich Gardistinnen durch die Reihen schoben, aber die Quelle des Pfiffes war nicht auszumachen. Malena atmete den Schmerz hinfort und straffte ihre Schultern. Sie würde das Volk überzeugen. Gleich würde sie die Krone der Princepa erhalten, bald schon würden sie und Val ihre Wünsche mit ihrem Blut auf die uralte Tontafel schreiben und das Imperium für immer verändern. Und damit auch die Meinung des Volkes über die Princepas.
Nur halb bei der Sache, in Gedanken tief versunken in der Vorstellung einer Zukunft mit einer gemischten Gesellschaft im Palast und der Freiheit, all die Plätze zu besuchen, die sie von den Palasttürmen erspäht hatte oder von Illustrationen her kannte, reagierte sie lediglich auf Lothairs Anweisungen und ließ sich das Diadem mit einem etwas kleineren Rubin als der von Valerian auf ihr Haupt setzen und sich in den purpurfarbenen Umhang hüllen, den einst ihre Mutter getragen hatte. In dem Moment, in dem Lothair zurücktrat, hatte sie sofort das Gefühl, freier atmen zu können. Nun würden Valerian und sie die Veränderung bewirken, die sie immer ersehnt hatten. Nun besaßen sie beide die Macht dazu – und den freien Wunsch wie jede Generation vor ihnen. Sie zog tief die Luft ein und genoss noch einmal die wohlwollenden Rufe der Bevölkerung und ignorierte weitere Pfiffe, während der oberste Priester zu ihrem Bruder trat und auf ihn einredete. Malena verstand nur Wortfetzen. Es ging um Valerians Wunsch, der alsbald von ihm geschrieben werden sollte, da er nun das Recht dazu hatte.
Malena beobachtete die beiden aufmerksam, konnte aus Lothairs kontrollierter Haltung allerdings keinerlei Gefühlsregung herauslesen. Was sie jedoch Valerian ansah, sorgte für eine Kälte, die selbst die Hitze der Mittagssonne nicht vertreiben konnte. Ihr Bruder war noch bleicher als sonst, schüttelte immerzu fassungslos den Kopf und hörte zu, was der Diener der Gottheiten ihm zu sagen hatte. Wie vom Hohepriester geschlagen, taumelte Val zurück, sodass Malena instinktiv zu ihm strebte, um ihm zu helfen. So hörte sie auch Lothairs abschließende Worte: »Es ist die Pflicht des Princeps, den Wunsch so bald wie möglich zu schreiben – noch vor der Wahl der Gefährten. Oder wir alle haben die Konsequenzen zu tragen. Der Zorn der Götter wird uns treffen, und die Welt, wie ihr sie kennt, wird enden.«
Daraufhin nahm der Priester seine lederne Kopfbedeckung ab, strich sich über das lichte weiße Haar und stürmte davon. Dabei warf er Malena einen Blick zu, der noch weit finsterer war als der von Aries. Sein Hass auf sie war nahezu greifbar, und Malena schreckte zurück. Sie musste wissen, was zwischen den beiden gesprochen worden war. Kurz rieb sie sich über die Gänsehaut auf den Unterarmen und trat neben Valerian, der sich auf der Balustrade abstützte und ein gezwungenes Lächeln aufgesetzt hatte. Von unten im Kolosseum würde niemand sehen können, wie verzerrt, wie unecht es war, und Malenas Sorge wurde immer größer.
Sie blendete den begeisterten Jubel aus, der wohl eher ihm statt ihr galt, und holte tief Luft, ehe sie die Worte hinausließ.
»Was hat Lothair von dir verlangt?«
Val wandte sich ihr zu. Das Lächeln war von seinen Lippen verschwunden, seine Miene war ausdruckslos, in seinen Augen stand Verzweiflung.
Anstelle einer Antwort presste Val die Lippen zusammen, schlug auf die Balustrade ein, sodass Staub davon aufstob, und warf ihr einen unergründlichen Blick zu, ehe er davonstürmte. Malenas Knie gaben nach, und sie krallte sich am Geländer fest, um nicht zusammenzusacken. Seine Worte jedoch blieben bei ihr auf dem Balkon hängen und tanzten unter dem Leinendach. »Ich werde meinen Wunsch nicht schreiben.«
Malena kämpfte gegen die Tränen der Enttäuschung an, wollte ihm hinterherlaufen. Doch ihre Beine trugen sie noch immer nicht, und sie stolperte auf den Zugang zum Balkon zu, wo Val eben von Aries empfangen wurde. Sogleich waren sie außer Sicht, und Malena landete in den Armen von Circe, die auflachte.
»So stürmisch, Princepa?«
Ein kurzer Blick in Malenas Gesicht reichte aus, um ihr den humorvollen Ton zu nehmen. Sie straffte ihren Körper, wurde zur obersten Gardistin, war nicht länger Malenas beste Freundin.
»Was ist geschehen? Hat dir jemand etwas getan?« Sie suchte sofort nach Bedrohungen auf dem inzwischen leeren Balkon, ehe sie Malena aufmerksam ansah, die ihre Fassung zurückerlangt hatte und sich aufrichtete.
»Du hattest recht mit deiner Meinung über Männer. Sobald sie erwachsen sind, werden sie zu vollkommen anderen Menschen.« Sie hob das Kinn, straffte ihre Schultern und ging mit großen Schritten vom Balkon.
Willst du mir jetzt endlich verraten, was bei der Krönung passiert ist? Hat das Ding Dornen, und du leidest nun an unerträglichen Schmerzen?« Aries deutete auf Vals Krone und grinste ihn an, während er sich auf einem der Liegesofas in den Gemächern des Princeps niederließ und sich von dem Obst in den goldenen Schalen bediente. Vals erster Centurio versuchte stets, die Stimmung aufzulockern, doch heute würde es keiner seiner Sprüche schaffen, Lothairs Worte in irgendeiner Weise in den Hintergrund zu drängen. Sie pulsierten in Vals Gedanken, schwollen immer weiter an, bis Vals Kopf zu platzen drohte. Ein so kurzes Gespräch, eine einfache Aufforderung, der Hauch einer Erklärung – und sein komplettes Weltbild hatte sich verändert.
Er goss sich einen Kelch mit verdünntem Wein ein, verschüttete dabei so einiges und nahm mehrere Schlucke davon, um die Worte zu betäuben. All die Geschichten vergangener Princepas wirbelten durch seinen Kopf, Gerüchte über ihre Bosheit, ihre Kälte und die Strenge, mit der sie das Imperium regiert und selbst kleine Rebellionen blutig niedergeschlagen hatten. Er füllte einen weiteren Kelch und reichte ihn Aries, ehe er sich ihm gegenüber niederließ.
»Kanntest du Lenas Mutter?«, fragte er seinen besten Freund, bemühte sich, nicht zu interessiert zu klingen. Zur Ablenkung ließ er seinen Blick zum Fenster hinauswandern, wo sich etliche Tauben auf den Dächern der benachbarten Gebäude niederließen, ehe er ihn wieder auf Aries richtete, der sich gerade durch die handbreit langen dunklen Haare fuhr.
Er schien sichtlich irritiert über die Frage, griff sie jedoch sofort auf, um Val auf andere Gedanken zu bringen. »Ich war zu jung, als ich nach Dariana kam.« Er bemühte sich unverkennbar, nicht über die Umstände dieses Ankommens nachzudenken. Doch Val entging nicht, wie Aries’ Kiefermuskulatur hervortrat, und er gab sich in Gedanken einen Tritt dafür, Aries an sein früheres Leben erinnert zu haben.
Glücklicherweise fuhr sein Freund ungehindert fort: »Bei uns im Süden gab es keine besondere Bezeichnung für die ehemalige Princepa, aber in den östlichen Provinzen wird sie Ifrit genannt, Dämon, was ihre Boshaftigkeit erklärt.« Falten traten auf seine Stirn. »Das sagt man aber über jede Princepa, wenn ich mich recht erinnere.« Er zuckte mit den Schultern und nahm einen langen Schluck aus seinem Kelch. »Alle behaupten, Frauen seien bösartige Wesen, vor denen man sich in Acht nehmen muss.«
Bis vor der Zeremonie hatte Val jede derartige Aussage mit einem Lachen abgetan, hatte sie dementiert und war im festen Glauben gewesen, dass die Frauen, die er kannte, nicht so waren und die Männer einfach immer übertrieben hatten. Seine Schwester Malena war wie er: neugierig, lebenslustig, erfüllt von Träumen über eine Zukunft voller Wunder. Ihre gemeinsame Kinderfrau Nimh war eine besonnene Person aus der westlichen Provinz, gutmütig, liebevoll. Die wenigen Male, die er Malenas Mutter getroffen hatte, waren längst aus seiner Erinnerung verschwunden. Sie war zu früh gestorben, als dass er noch ein greifbares Bild von ihr hatte.
Aber er kannte – wie auch Aries’ Volk – die Geschichten über die grausamen Princepas des Imperiums. Dianara, das Fegefeuer, Ilya, die Todbringerin, Jovina, die Triumphierende. Er könnte diese Liste endlos fortsetzen. All diesen Frauen wurde während ihrer meist kurzen Amtszeit als Princepa des Imperiums Unmenschlichkeit nachgesagt – Grausamkeit und Gefühllosigkeit gegenüber jedem, der sich den Regeln des Imperiums widersetzte. Sie hatten die Männer in blutige Schlachten geführt, Horden von Kathen der südlichen Provinzen niedergestreckt, die Grenzen der ehemaligen Midlande immer weiter ausgebreitet und das Herrschaftsgebiet vergrößert. Sie hatten sogar selbst mit ihren Gardistinnen gekämpft, nur manchmal an der Seite des Princeps und seiner Centurionen. Noch heute wurden männliche sowie weibliche Erben in Kampf- und Kriegskunst unterrichtet. Valerian wusste jedoch von keinem einzigen Princeps, der zu einem Krieg oder zu einer Schlacht aufgerufen hatte. Jetzt kannte er den Grund dafür.
»Glaubst du, sie sind immer so gewesen, die Princepas?«, stellte er die Frage, die sich unter allen nach oben drängte. Er vertraute Aries sein Leben an, warum nicht auch seine Geheimnisse? Aries war ein intelligenter Mann, vielleicht wusste er Rat, wo Lothair nur Anweisungen bellte.
»Sie sind Frauen«, antwortete Aries sofort. Als Val den Mund verzog, sprach er jedoch weiter. »Nein, ich glaube nicht, dass sie immer so waren. Ich habe letztens zwei Boten belauscht, die von ihren Frauen und Töchtern geschwärmt haben. Dort draußen leben sie Seite an Seite – und hier drin …« Aries brauchte es nicht auszusprechen. Val wusste ganz genau, wie es war, nur unter Männern zu leben. Im Gegensatz zu Aries hatte Val immerhin noch Nimh gehabt – und Malena. Sie beide hatten ihn verstehen lassen, dass all das, was die anderen Jungen im Palast wieder und wieder als Tatsache darstellten, lediglich Vorurteile waren, weil sie es nicht besser wussten. Val und Malena hingegen hatten sich über diese Vorurteile ausgetauscht, sie entkräftet. Allen anderen Männern war der Kontakt zu Frauen verboten. Sie kannten nur die Geschichten. Jedes Mal, wenn diese weitererzählt wurden, kamen weitere Übertreibungen und Gerüchte hinzu. Val hatte damals, als Aries in den Palast kam, gehört, er habe eine kleine Schwester gehabt. Ob er sich noch an sie erinnerte?
»Danke«, sagte Val und wollte seinen Gedanken weiter freien Lauf lassen, aber Aries hatte andere Pläne: »Sagst du mir jetzt auch, warum du all diese seltsamen Fragen stellst? Was ist bei der Krönung geschehen?« Seine Augen flehten nahezu um Befriedigung seiner Neugier.
»Du kennst die Geschichten um den Fluch der Princepas, oder?« Aries nickte eifrig. Jeder im Imperium kannte sie. »Ich habe immer gedacht, dass es nur Geschichten sind«, fuhr Valerian fort, »eine Erklärung dafür, warum die Princepas so jung sterben und man dazu übergegangen ist, die Würde von Princeps und Princepa direkt weiterzugeben, sobald einer der beiden das zwanzigste Lebensjahr beendet.«
»Und das ist es nicht?« Aries brannte regelrecht vor Neugier. So gelöst hatte Val seinen Freund lange nicht gesehen. An jedem anderen Tag seines bisherigen Lebens hätte allein diese Tatsache Val glücklich gemacht, und er hätte diese unerklärliche Wärme, die sich seit einiger Zeit in Aries’ Gegenwart in seiner Brust ausbreitete, genossen. Nicht jedoch heute. Betroffen schüttelte er den Kopf.
»Der Fluch ist real, aber es ist ganz anders, als du denkst.«
Malena stürmte nach der Krönungszeremonie dicht gefolgt von Circe in Richtung Palast zurück, von wo aus sie direkt zu Val wollte, um ihn wegen seines seltsamen Verhaltens zur Rede zu stellen. Doch ihr wurde kein Zugang zum Flügel der Männer gewährt, obgleich heute der eine Ausnahmetag in ihrem Leben war. Malena befahl den Soldaten, nach ihrem Princeps schicken zu lassen, doch als sie zurückkehrten, folgte ihnen nur der oberste Priester. Lothair trat in seiner charakteristisch ruhigen Art zu Malena und Circe, die Abstand zu allen Männern hielt und mit dem typischen Argwohn im Gesicht sofort mehrere Schritte zurückwich.
»Du darfst den Flügel nicht betreten, Malena. Die Krönung ist vollzogen.« Seine Worte klangen für Malena geradezu abfällig, als wäre sie eine lästige Fliege. Malenas Finger zitterten vor Wut. Hitze brannte sich durch ihren Körper. Sie war jetzt die Princepa, stand in der Hierarchie des Imperiums über dem Priester, und er behandelte sie nach wie vor wie ein kleines Kind!
»Dann schick mir Val hierher«, forderte sie mit fester Stimme und machte eine fahrige Geste in Richtung des im Halbdunkel liegenden gemischten Saales, von dessen hoher Decke das Licht des einzigen mehrarmigen Hängeleuchters kaum nach unten reichte, eine Betonung der zwielichtigen Funktion des Raumes. Sie ärgerte sich darüber, dass Lothair sie durch seine bloße Anwesenheit so verunsicherte.
»Er ist heute nicht mehr zu sprechen«, erwiderte Lothair knapp, nickte ihr kurz zu, das Mindeste, was sich gegenüber der Princepa gehörte, ehe er sich umwandte und davonging. Malena wollte sich nicht so behandeln lassen. Sie war im Begriff, ihm zu folgen, doch die Soldaten traten wieder in den Durchgang und versperrten ihr den Weg.
In ihren Augen glaubte Malena wieder diese Abscheu zu erkennen, die an Hass grenzte, dieselbe, die ihr aus männlichen Gesichtern immer begegnete. Dabei kannten sie alle Malena nicht! Meist ließ sie diese Blicke an sich abprallen, beherrschte sich und ihre Gefühle, wie Nimh es Val und sie gelehrt hatte. Nicht jedoch heute. Sie hatte ihren engsten Verbündeten verloren – ohne eine Erklärung dafür zu bekommen! Und nun nahm der Priester ihr jede Möglichkeit zur Aussprache, wie sie es bisher immer gehalten hatten, um gegen all die Vorurteile und Gerüchte anzukämpfen, die ihnen tagtäglich begegneten. Aufrecht trat sie weiter auf die Männer zu, die nun sichtbar nervös wurden und unsicher ihre Schwerter zogen, die innerhalb des Palastes mehr Zierde denn Waffe waren.
Doch Malena hatte keine Angst vor einem Kampf. Sie besiegte selbst Circe hin und wieder, war ihrer stärksten Gardistin ebenbürtig. Und sie war gelenkig und schnell, ein Vorteil gegenüber Männern, wie Circe immer behauptete.
»Durch ihre körperliche Beschaffenheit sind Männer meist langsamer und weniger wendig als wir Frauen«, war eine ihrer ersten Lektionen gewesen. Nun konnte Malena endlich testen, ob die Aussage der Tatsache entsprach und ihr tägliches Training ausreichend war. Und ob sie in der untauglichen langen Toga kämpfen konnte. Sie sah es genau vor sich, plante, wie sie dem linken Soldaten, der sein Schwert vermutlich zum ersten Mal außerhalb des Gymnasiums in der Hand hielt, die Waffe abnehmen würde, um sie dann gegen den anderen zu richten, sollten sie weiter beschließen, sich ihr in den Weg zu stellen.