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Kraft und Energie im Alltag Else Müllers Phantasiereisen, Märchen und Meditationen schenken Freiraum für die Phantasie und Anregung zum Weiterträumen. In den Märchen verbergen sich eine große Kenntnis, das Wissen um die menschliche Seele, ihre Verstrickungen, Irrungen und Verwirrungen, um Liebe, Leid, Leben und Tod. Die Meditationen und Haiku bieten sinnliche Reize, laden ein zum Assoziieren, Phantasieren und Träumen. Sie helfen, die Hektik des Alltags, Stress und Sorgen für eine erholsame Weile auszuschalten. Aus dem Zauber der Phantasie geboren, aus dem Stoff des Lebens gesponnen, laden sie ein zu bunten und erholsamen Träumen.
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Seitenzahl: 148
Else Müller
Der Wind bringt mir die Träume zurück
Phantasiereisen, Märchen und Meditationen
Sachbuch
FISCHER E-Books
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Die Phantasiereisen, Märchen und Meditationen habe ich nicht allein als Autorin erdacht und aufgeschrieben, sie entspringen auch meiner Erfahrung als Mutter und Großmutter. Märchen haben in meiner eigenen Kindheit eine nachhaltige Rolle gespielt. Meine lebhafte Phantasie verdanke ich wohl auch den Märchen, diesen wundersam-phantastischen Geschichten, die meiner Kindheit in Krieg und Nachkriegszeit trotz allem ein wenig Glanz und Zauber verliehen haben.
Die Phantasiereisen, Märchen und Meditationen in diesem Buch möchten anregend-entspannend unterhalten. Es sind kleine Inseln der Ruhe, auf denen es viel zu entdecken gibt. Meditationen mit den Farben des Regenbogens bieten sinnliche Reize, die zur Stärkung des Immunsystems beitragen. Die Haiku, eine vom japanischen ZEN-Buddhismus inspirierte Dichtkunst, die »kürzesten Kurzgeschichten« im Versmaß von drei Zeilen und 17 Silben, laden ein zum Assoziieren, Phantasieren und Träumen.
Alle verbindet eine sinnlich-emotionale, bilderreiche Sprache, die Medium für eigene, innere Bilder, für »Kopfbilder« ist.
Die Betrachtung dieser inneren Bilderwelt, die Fokussierung auf das innere Bildgeschehen, verbunden mit Gefühlen und Gemütsbewegungen, hilft, die Hektik des Alltags, Stress und Sorgen für eine erholsame Weile auszuschalten. Diese Distanz ermöglicht es, körpereigene »Batterien« wieder aufzufüllen. Eine kurze Erholungspause als Regenerationsphase. Die poetische Bildersprache dient der Entspannung und Ruhe, sie hat einen eher therapeutischen als lyrischen Auftrag.
Die Märchen und märchenhaft-phantastischen Geschichten skizzieren auch Situationen und Stationen im menschlichen Dasein, sie handeln von Grundthemen der Menschen, wie Liebe und Leid, Angst und Freude, Wünschen und Träumen, von Leben und Tod. In manchen der Märchen geht es um Wandlung und Verwandlung.
Beschrieben wird die Welt in ihrer Vielfalt, aber auch die »andere Seite des Mondes«, diese Welt voll Zauber und Magie. Manche Märchen gleichen alten Fabeln mit ihrer Sinnbildhaftigkeit und Symbolik. In ihnen verwoben sind subjektive Lebenserfahrungen, sie beschreiben die oft hellen und auch dunkleren Seiten und Zeiten eines Lebens.
Die Phantasiereisen, Märchen und Meditationen bieten Freiraum für die Phantasie und Anregung zum Weiterspinnen und Weiterträumen. Die Phantasie, unerschöpfliche und unverzichtbare Lebenskraft, hilft bei der Bewältigung des Alltags, bei der Lebensgestaltung, und sie spielt eine Hauptrolle in allen Märchen und Geschichten.
Phantasie, Imagination oder die Vorstellungskraft bergen ungeahnte, oft unentdeckte heilsame Potenziale. Phantasie und Kreativität brauchen die Ruhe, um sich entfalten zu können. Diese Ruhe ist ein Angebot der Märchen und Meditationen. Mäßige Spannungsbögen, am Ende immer aufgelöst, bieten die beste Voraussetzung zu wirksamen Gute-Nacht-Geschichten, nicht nur für Kinder. Eine positive Grundhaltung, trotz allen Widrigkeiten der Welt, eine Freude am Leben, die zur Lebenskraft werden kann, ist in allen Märchen und Meditationen zu spüren. Aus dem Zauber der Phantasie geboren, aus dem Stoff des Lebens gesponnen, laden sie ein zu bunten und erholsamen Träumen.
»Ohne Poesie lässt sich nicht auf der Welt wirken, Poesie aber ist Märchen.«
J.W. Goethe an Kanzler Müller
Märchen gehören zum ältesten Kulturgut der Menschheit. Wir finden sie bei fast allen Völkern, als Nachfahren von Mythen, diesen Götter- und Heldensagen aus der Frühzeit, aus der Urgeschichte eines Volkes, die aus einer naiven Schau eines Volkes geborene, sich in Bildern vollziehende Weltdeutung ist.
Jedes Volk hat seine eigenen Mythen und Märchen. In ihnen verbirgt sich eine große Kenntnis, ein Wissen um die menschliche Seele, von ihren Verstrickungen, Verwirrungen und Irrungen, von den Sorgen der Liebe, von Licht und Schatten des Lebens. Menschliche Grundmuster ähneln sich, sie überdauern die Zeiten. Menschliche Grundprobleme, wie Liebe, Leid, Angst und Freude, Leben und Tod, sind als archetypische Bilder in den Märchen widergespiegelt. In den Märchen finden wir die ganze Breite des Welterlebens. Archetypische Bilder sind völkerübergreifende, zeitlose Spiegelungen menschlicher Existenz. Ihre Urgründe finden sich auch im Unbewussten des Menschen.
Bei orientalischen Märchen denken wir zumeist an die Märchen Aus Tausend und einer Nacht, die wunder-vollen Geschichten der Scheherezade. Ich konnte vor vielen Jahren in Marokko, in der zauberhaften Stadt Marrakesch, noch leibhaftige Märchenerzähler erleben. Auf dem Platz inmitten der Stadt standen Trauben von Menschen, fast alles Erwachsene. Sie hörten gebannt den Märchen und Geschichten des alten Mannes zu, der mit seiner Kleidung und dem langen, weißen Bart einer Gestalt aus einem meiner Kindermärchen glich. Ich verstand seine Sprache nicht, war aber gefesselt von Gestik und Ausstrahlung dieses Erzählers. Und auch seine Stimme zog mich in den Bann.
Der Märchenerzähler spielte und spielt noch heute im Orient eine große Rolle. Orientalische Märchenerzähler, es sind immer Männer, sind gute Menschenkenner. Besonders in früheren Zeiten waren sie für viele Analphabeten Informanten und Lebensberater, einem heutigen Psychotherapeuten nicht unähnlich. Sie waren auch Berichterstatter verschlüsselter politischer Informationen.
In orientalischen Märchen findet sich eine pragmatische und praktische Sicht auf die Dinge des Lebens. Ihre Sprache ist sehr poesievoll. Die Wort-Bilder, die Symbolik der Märchen sind den Zuhörenden oder Lesenden vertraut. Die Märchengestalten sind meist trickreich und listig, bieten vielerlei Identifikationsmöglichkeiten, auch Strategien zur eigenen Lebensbewältigung. Die Faszination von Marrakesch gehört zu meinen unvergesslichen Reiseeindrücken.
Der Psychoanalytiker C.G. Jung beschreibt die Märchen als »Anatomie der Seele«. Märchen sind »Selbstdarstellungen seelischer Prozesse«.
C.G. Jung bezeichnet Phantasievorstellungen ebenso als primär und ursprünglich wie Triebe und Instinkte. Phantasie ereignet sich nach seiner Auffassung spontan und ist vor allem etwas Schöpferisches. Vieles finden wir im Märchen verschlüsselt in Form von Verdichtung, Verschiebung und Symbolisierung.
Sigmund Freud betrachtet Märchen als Triebrepräsentanten. Als Hilfe zur Triebregulierung im und mit Märchen zeigt sich die Bedeutung für die seelische Entwicklung eines Kindes.
Mythen und Märchen lassen wie Träume vielschichtige Deutungen zu. Die Phantasie ist ein wesentliches Element des Märchens. Jedoch braucht jeder »Empfänger« eines Märchens sie zu seiner eigenen, inneren Bilderschau und Bildgestaltung.
Tradiertes Lebenswissen im Märchen, seine Symbolhaftigkeit, wird von Kindern meist intuitiv verstanden. Kinder sind in ihrem Symbolverständnis offen, sie erkennen Bilder der Außenwelt als die ihrer eigenen Innenwelt, als Bilder in sich selbst. Sie haben meist einen emotionalen Zugang zum Märchen, versuchen nicht, ein Märchen rational, intellektuell zu verstehen oder eine Logik zu überprüfen. Märchen haben keine Logik, märchenhaft-phantastische Geschehnisse werden nicht erklärt. Kinder nehmen dies als etwas Selbstverständliches – Irrationalität ist ihnen nicht fremd. Das zeigt sich besonders in der sogenannten magischen Phase, sie dauert etwa bis zum siebten Lebensjahr, in der sich Realität und Phantastisches oft vermischen. Das erschreckt manche Eltern, die meist schon lange aus der Welt der Märchen und Wunder herausgefallen sind. Kinder reagieren spontan, mit allen Sinnen und Gefühlen auf märchenhafte Geschichten. Unaufgefordert analysieren oder deuten sie kein Märchen. Die sind in ihrer Eindimensionalität nicht rational erklärbar, sie berühren emotional und unmittelbar.
Von Kindern können wir lernen, uns vorurteilslos einem Märchen zu nähern, seinen Zauber, seine Magie und Poesie auf uns wirken zu lassen. Die Phantasie ist eine große Magierin, sie sucht sich Freiräume, versucht enge Fesseln des Bewusstseins zu sprengen. Diese Freiräume sind eine Art »Naturreservat«.
Viele Wissenschaftsdisziplinen beschäftigen sich mit der Analyse von Märchen, sie deuten, definieren und kritisieren, denn Märchen lassen wie Träume vielschichtige und tiefsinnige Deutungen zu.
Dies gilt im Besonderen für die Volks- und Hausmärchen der Gebrüder Grimm. Sie haben die meist mündlich überlieferten Märchen als Erste systematisch gesammelt und aufgeschrieben. Die Grimms suchten auch Spuren alter Volksweisheit. Ruhmreiche Vergangenheit und urdeutsche Mythen sollten beitragen, deutsche Identität zu stärken.
Einfache Frauen, aber auch adlige Damen der Hofgesellschaft waren die »Zubringerinnen« für die Grimms. Die sammelten nicht nur deutsche Märchen, ihnen waren zum Beispiel französische Märchen bekannt, in denen es keine Hexen gab, sondern nur gute oder böse Feen. Hexen waren Frauen mit Wissen und Macht, und sie wurden im Laufe der Zeit zu meist Unheil stiftenden Hexen verwandelt. Ein weiterer Aspekt ihrer »VerWandlung« war eine Verteufelung alter weiblicher Gottheiten, Göttinnen. Der Märchenfigur Frau Holle liegt die Göttin Diana zugrunde, die als Holda oder Holle in alten Mythen beschrieben wird. Im russischen Märchen finden wir die Baba Jaga, eine uralte slawische Gottheit, verwandelt in eine meist hilfreiche Frau oder Fee, vielleicht auch Zauberin oder Hexe.
Als Sammler und Neurer von Märchen waren die Gebrüder Grimm Kinder ihrer Zeit, sie haben sie umgeschrieben, umgestaltet, verändert und verfeinert, die oft derbe Sprache geglättet, Eros und Sinnlichkeit entschärft. Die Zeit der Romantik, ihre Normen und Werte, Religion und Moral blieben auch in den Märchen nicht ohne Wirkung. Damit ging manches an Ursprünglichkeit verloren. Das mindert jedoch nicht den Wert ihrer großartigen Arbeit.
Volksmärchen spiegeln immer den jeweiligen Zeitgeist. Sie haben ihre ureigene Struktur, Symbolik und Moral. Die konzeptierten Märchen in diesem Buch sind von der poetischen Bildersprache der Volksmärchen inspiriert und möchten wie diese phantasievolle Unterhaltung bieten. Darüber hinaus gibt es einige wesentliche Unterschiede. Ein pädagogisch-therapeutischer Anspruch hat umfassende Entspannung, Beruhigung und Erholung als Ziel.
Die Märchen und Geschichten eignen sich besonders als Gute-Nacht-Geschichten, denn ihre Spannungsbögen sind niedrig und werden am Ende immer aufgelöst. Weiterhin gibt es keinen pädagogischen oder moralisierenden Zeigefinger, angstmachende oder gar grausame Inhalte fehlen ganz. Alle Märchenfiguren sind schlau anstatt mächtig und beherrschend stark. Es gibt keine Gewinner auf Kosten von Verlierern oder Schwächeren. Gutes und Böses wird nicht polarisiert. Es gibt keine zeittypische Moral, eher eine Ethik, die für Gerechtigkeit, die Bewahrung der Natur und alles Lebendigen sensibilisieren möchte. Hauptfiguren sind Tiere, Pflanzen, Naturerscheinungen und die Elemente, wie z.B. Sonne, Mond und Sterne. Die sinnlich-emotionale Bildersprache ist bewusst eingesetztes Medium.
Märchen lesen oder vorgelesen zu bekommen bedeutet, sich wohlzufühlen. Das schüttet sogenannte Wohlfühl- oder Glückshormone aus (Endorphine), wie z.B. das Serotonin. Diese Glückshormone stärken das Immunsystem, aktivieren die Selbstheilungskräfte. Ruheformeln, Atemberuhigungen und Affirmationen aus dem Autogenen Training, innerhalb oder am Schluss eines Märchens, verstärken deren »heilsame« Wirkung.
In großer Ruhe, im erholsamen Zustand einer ganzheitlichen Entspannung, sind die Märchen und Geschichten »Inseln der Ruhe« oder »Oasen im Alltag«.
Das oft kritisierte »Grausame« im Märchen hat eine wichtige Funktion in der seelischen Entwicklung eines Kindes. Sogenannte böse Märchengestalten bieten eine breite Projektionsfläche für die kindliche Phantasie für Wünsche, Träume, Ängste und Allmachtsphantasien. Eine Bestimmung der Grausamkeit im Märchen ist, diffuse Ängste zu personalisieren und auch zu überwinden. Ist die »böse« Märchenfigur, der »Gegenspieler« bestraft, verschwunden oder gar getötet, bedeutet das für das Kind Katharsis, Reinigung, Läuterung.
Die Psychoanalyse spricht noch einen anderen Aspekt des Bösen an: das Elternimago kann übertragen werden. Die kindliche Ambivalenz den Eltern gegenüber kann über Hexen, Feen, Zauberer, Stiefeltern (eine Bezeichnung der Grimms) folgenlos ausagiert werden. Im natürlichen Spannungsverhältnis von Liebe und Hass kann das Kind ohne schlechtes Gewissen den entsprechenden Märchenfiguren Böses, ja sogar den Tod wünschen. Ohne Schuldgefühle, die oftmals Ursache neurotischer Grundierungen im späteren Leben sind. Aggressive Ohnmachtsgefühle in der Hierarchie Eltern-Kind, auch andere negative Gefühle können über die »Bösen« im Märchen abreagiert und Affekte gemindert werden. Das Kind kann durch das Märchengeschehen und seine Protagonisten seine eigene Gefühlswelt autonom inszenieren.
Die dargestellten Märchenfiguren sind nie konkrete Menschen, sie sind Symbolträger eines umfassenden Geschehens, und als solche haben sie einen symbolischen Stellenwert in einem unsichtbar gelenkten Prozess.
Märchen sagen viel über das Geheimnis des Menschen aus, über Untiefen und Unbewusstes. Das Leben wird in seiner ganzen Bandbreite vorgestellt, und mit Hilfe der Phantasie werden auch für spätere Lebensphasen Problemlösungsmöglichkeiten, eine Form von Lebenshilfe angeboten.
Phantasie kann aber auch einen negativen Aspekt beinhalten: Erwachsene, als so genannte Ver-rückte, versinken oft in magisch-phantastischen Welten.
Tagträume können für viele Menschen erholsame Oasen der Ruhe werden. Diese selbstbestimmten Ruhephasen unter gesteuerter Kontrolle bedeuten ein bewusstes Ab- und Ausschalten eines hektischen, belastenden Alltags. Doch für manche Menschen bedeutet Phantasie gleich Kontrollverlust, sie fürchten den freien Fall des Verstandes in die undurchschaubare, unbeherrschbare Welt der Phantasie, der Gefühle, die untrennbar mit jener verbunden ist.
Jean Paul sagte: »Phantasie ist das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.« Doch mancher verlässt es freiwillig.
Die Kritik der 68er Bewegung an Grimms Märchen besagte, dass dort soziale Strukturen festgeschrieben seien, die Macht immer den Herrschenden gehöre, und beklagte den Mangel eines emanzipatorischen Anspruchs. In den Märchen werde keine Aufhebung hierarchischer Strukturen und Geschlechterrollen geprobt. Es gäbe ein Oben und Unten in der Gesellschaft, eine enggefasste Moral und kaum Frauen mit Macht und Einfluss.
Das geschmähte »Grausame« in den Märchen wurde damals unreflektiert geschmäht.
Professor Bruno Bettelheim hat in seinem Buch »Kinder brauchen Märchen«, eine Antwort auf die studentische Märchenschelte, umfassend die Bedeutung der Märchen für die kindliche Entwicklung, dargestellt. Er rehabilitiert die Märchen und trug dazu bei, ihren Wert neu zu definieren und zu überdenken. Überzeugend beschreibt er als Analytiker, Therapeut, Pädagoge und Vater die Unverzichtbarkeit der Märchen.
Doch heute sind Märchen in Gefahr, aus dem alltäglichen Kinderleben zu verschwinden. Sie werden ersetzt durch MedienPhantasien, durch »moderne, mediale Märchen«. Videoproduktionen und Serien wie Superstar und Co. befriedigen eigene, meist unerfüllte soziale und emotionale Wünsche und Bedürfnisse, als Traum und Utopie zur oft banalen (eigenen) Wirklichkeit. Medienphantasien bieten der eigenen Phantasie wenig Freiraum, schüren ein Ausagieren von aggressiven Wünschen in der Wirklichkeit des Alltags. Die medialen Bildproduktionen aktivieren andere Gehirnareale als diejenigen, die durch Lesen oder Vorlesen eigene, authentische innere Bilder entstehen lassen.
In diesen »modernen Märchen« werden Versatzstücke aufgegriffen und eingebaut, und das mit kalkulierter Suggestionswirkung. Aber trotz allen Glanz’ und Scheins bleiben sie zu enge Äußerungen einer lebendigen Kreativität. Der Schaden dieser fast täglichen Suggestionen auf Kinder und Heranwachsende wird erheblich unterschätzt: »Fernsehen als zweite Mutterbrust«.
Es geht aber nicht nur um die Austrocknung der eigenen kreativen Phantasie. Bevor Kinder sich die Welt aneignen können, kommt ihnen die Wirklichkeit als Medien-Bild entgegen.
Entscheidung ohne Welterfahrung? Virtuelle Wirklichkeit als Lebensersatz? Der Konsum medialer Phantasien geschieht in sozialer und emotionaler Isolation, in einer trostlosen Einweg-Kommunikation. Das schließt jeden emotionalen und heilsamen Effekt einer liebevollen Nähe und Zuwendung eines Märchenerzählers oder -vorlesenden aus.
Märchen im Schutz, in der Nähe und Wärme eines zugewandten Menschen, gehören zu unvergesslichen Kindheitserlebnissen und sind oft Baustein eines phantasievollen Lebens.
Brauchen Kinder Märchen? Kinder brauchen Märchen!
Scheherezade konnte ihr Leben mit allnächtlichem Märchenerzählen retten und nach Tausend und einer Nacht den König zum Mann bekommen.
Märchen retteten ihr damals das Leben. Heute lassen wir uns noch immer von ihnen verzaubern. Auf den Flügeln der Phantasie lässt es sich voller Wunder wundervoll träumen.
Glückskinder sind Kinder, die eine reiche, farbige Phantasie haben und des Nachts die schönsten Träume träumen.
Eines Nachts schläft ein Glückskind ruhig und träumt einen schönen Traum. Die Phantasie lädt es ein, mit ihr auf Reisen zu gehen. Sie nimmt das Kind auf ihre samtenen Flügel und fliegt mit ihm zum nachtblauen Himmel. Von weitem schon funkeln und schimmern Sterne in allen Größen und Farben. Umgeben vom Nachtblau fliegen sie durch das Meer der Sterne.
Das Glückskind staunt und freut sich über die Schönheit der Nacht. Geborgen, gewärmt und geschützt liegt es auf den Flügeln der Phantasie. Langsam schiebt sich leuchtend der runde Mond durch all die vielen Sterne. Das Glückskind sieht ganz erstaunt, dass am Mond eine Schaukel hängt. Es ist die Mondschaukel, die nur Glückskinder sehen können. Die Schaukel hängt an silbernen Schnüren. Das Glückskind setzt sich auf die Schaukel, und sie beginnt sacht zu schwingen. Ganz ruhig schwingt sie hin und her, hin und her. Das ist wunderschön und ganz beruhigend. Das Glücksind hört, wie die Sterne sich Geschichten erzählen, von der Mondfee und den Wolkenkindern, vom goldenen Schlüssel des Petrus, dem Himmelswächter. Die Sterne erzählen, wie ein riesiger Komet eines Tages über den Himmel fegte, dass viel Sternenstaub zur Erde fiel, sie erzählen, wie ein Stern einen seiner Zacken verlor und ein Wolkenkind den goldenen Himmelsschlüssel versteckte.
Sie erzählen von dem Liebesleid der Mondfee, die sich unsterblich, aber aussichtslos in den Donnergott verliebte.
Das alles hört das Glückskind mit Staunen, bis die Phantasie es wieder auf ihre Flügel nimmt und mit ihm weiterfliegt. Auf dieser Himmelsreise sieht das Glückskind auf einmal an zwei Sternen ein goldenes Netz hängen. Wie eine Hängematte aus feinsten goldenen Fäden, von der Sternenkönigin geflochten. Die Phantasie lässt das Glückskind sanft hineingleiten. Sicher liegt es dort und schwingt darin hin und her, hin und her. Das ist sehr beruhigend, und das Glückskind wird von einem märchenhaften Traum umfangen.