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Mensch ärgere dich! Entdecken Sie das Universum des Zornkönigs und lernen Sie einen positiven produktiven Umgang mit Ärger, Zorn, Wut und Empörung. Davon werden alle profitieren: Sie selbst, Ihr Partner, Familie und Freunde genauso wie Ihr Chef und die Kolleginnen und Kollegen. Ein besonderer Ratgeber, humorvoll erzählt in einzelnen Geschichten mit vielen bildhaften Episoden rund um den Zornkönig.
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Seitenzahl: 370
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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Nachdruck 2013© 2007 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbHNymphenburger Straße 86D-80636 MünchenTel.: 089 651285-0Fax: 089 652096
„Zornkönig“ ist eine geschützte Wortmarke
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Vermittelt: Agentur Gorus, Engen und BerlinUmschlaggestaltung: Münchner Verlagsgruppe GmbHRedaktion: Dr. Rainer Schöttle, Neufinsing Satz: Jürgen Echter, Redline GmbHDruck: Books on Demand GmbH, Norderstedt
ISBN Print 978-3-86882-312-7ISBN E-Book (PDF) 978-3-86415-104-0
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unterwww.mvg-verlag.deBeachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.muenchner-verlagsgruppe.deFür Hedda
Krach mit den Kollegen, Ärger mit dem Chef, Streit mit der Partnerin, dem Partner oder den Kindern, der ganz private Wutanfall: Kennen Sie das? Oder vermeiden Sie lieber jede Auseinandersetzung und treffen dennoch manchen Streithahn und Wutbolzen? Dieser Ratgeber zeigt, dass Ärger und Konflikte mehr als akzeptabel sind. Sie sind unverzichtbar für Veränderungen. Dabei ist gleichgültig, was Sie erreichen wollen. Sie können von Ihrer energiereichen Emotion immer profitieren. Erfahren Sie, wie Sie Ihren Groll positiv nutzen: Als Treibstoff für Ihre Karriere, als Jungbrunnen für Ihre Partnerschaft, als Erziehungshilfe für Ihre zornköniglichen Kinder. Entdecken Sie den Esprit des Zornkönigs!
Sie verdanken das Buch den Leuten von mvg, der Programmleiterin Heike Neumann und der Lektorin Katharina Tschopp, die dem Zornkönig einiges zutrauten. Oliver Gorus und Jörg Achim Zoll von der Agentur Gorus, die das Material schon kannten, bevor der Zornkönig dazustieß, halfen ausgesprochen kompetent, fachlich souverän und menschlich angenehm, geduldig und mit hohem Anspruch, die ersten Ansätze in die Form eines vermarktbaren Konzeptes zu gießen, und stellten gemeinsam mit Ulrike Tomassek den Kontakt zum mvg-Verlag her. Ihnen allen, ohne die dieses Buch nicht in dieser Form zustande gekommen wäre, möchte ich herzlich danken. Geschrieben habe ich es selbst, weshalb die Genannten keine Verantwortung trifft, sondern Sie sich bitte bei berechtigter Empörung an mich wenden (bei Gefallen auch, ich werde es weitergeben). Herzlichen Dank an Hedda, Linnea, Jorrit für ihre Liebe, an Marlies und Bernhard für die liebe Unterstützung, an Mascha und Ursula für ihre Begleitung, den Butzweilerern und Verdenern für prägende Zeiten und nicht zuletzt allen einen herzlichen Dank, die mich die letzten 40 Jahre ordentlich geärgert haben. Ohne sie wäre dieses Buch nicht entstanden.
Kardinal Colombo übersah die neuesten Listen. Blitzschnell überschlug er die Kosten der letzten Tobsuchtsanfälle des Herrschers, ein kleines Vermögen. Der noch junge Kardinal, von hagerer Gestalt, wie stets in einer schwarzen Kutte steckend und mit einem spitzen Bart unterm Kinn als einziger Zierde, war zu Recht erster Berater des Königs von Zorn. Sein scharfer Verstand und seine kalte Konsequenz waren weithin gefürchtet. Colombo strich seinen Bart zu einem schwarzen Dreieck. Er musste hinter das Geheimnis des Zorns kommen. Schwierig gerade für ihn, das wusste er, aber er musste. Zorn und Grimm waren kostspielige Schlüssel zur Macht. Jedoch: Wie unterschiedlich wirkten sie! Das Haus Protzburg, wo die Furcht regierte und der Herrscher tobte, musste einiges davon verstehen. Im Reich des Königs von Zorn …
Wie es im Haus Zorn um den Ärger bestellt ist, werden Sie in diesem Buch genauer erfahren. Insbesondere wird vom künftigen Zornkönig zu berichten sein, der es in Sachen Ärgernutzung zu wahrer Meisterschaft brachte und letztlich des Kardinals Fragen beantwortete. Schon jetzt war Colombo bewusst: Ärgeranlässe gibt es genug.
So war es damals, so ist es heute. Wir kommen manchmal gar nicht aus dem Haus, ohne uns zu erregen. Verschlafen aus dem Fenster blickend, werden wir gewahr, dass der Lärm draußen von der Müllabfuhr kommt, die gerade die Tonne der Nachbarn leert und unseren übervollen Eimer nicht, weil wir ihn wieder mal im Schuppen vergessen haben. Das Kind schafft es auch heute kaum aus dem Bett und trödelt im Bad. Von gestern stehen noch Bierflaschen auf dem Tisch und den Blumen sieht man deutlich an, dass sie unser Partner nicht gegossen hat.
Sie können sich über andere ärgern oder über sich selbst. Manchmal auch über Automaten, das jedoch nur, wenn sie Menschen dahinter erspähen, die ihn aufstellten. Sollten Sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein, kennen Sie diese Automaten gut, die nicht funktionieren. Wenn Sie die Bahn schon zuvor für kundenfeindlich hielten oder den Hersteller als schlampig eingeschätzt haben, werden Sie mit Ihrem Urteil sofort fertig, da kommt eins zum anderen. So oder so pflegen wir unsere Schubladen und Ärger ist immer mit einer Bewertung verbunden. Neutralen und objektiven Ärger gibt es nicht. Wenn Sie das nicht glauben, stellen Sie sich einfach einen meditierenden Yogi vor, dem alles Irdische reichlich egal ist. Solch einem Yogi kann keiner dumm kommen, er bewertet nicht und ihn belästigt nichts. Umgekehrt schaffen Sie es auch. Gleich, welches Glück Ihnen begegnen will: Sie bestehen auf Ihrer miesen Laune. Mit Karl Kraus gesagt: »Er lässt sich seinen Ärger beim Essen durch keinen Appetit verderben …«
Noch sind Sie nicht an der Arbeit, da gibt es schon weiteren Verdruss. Der Zug ist zu spät. Dann kommt er endlich, Sie stehen drin und fragen sich vielleicht, ob es einen tieferen Sinn dafür gibt, dass die Bahn den Pendlerzügen zu wenig Wagen anhängt. Wer zu spät einsteigt, den bestraft die Bahn durch Sitzplatzentzug.
Oder sind Sie mit dem Auto unterwegs? Hier gibt es für jede Vorliebe passende Ärgeranlässe. Den Durchschnittsfahrer nerven die Drängler, die ihm wild gestikulierend und mit der Lichthupe blinkend auf der hinteren Stoßstange hängen. Wer gern zügig unterwegs ist, den peinigen umgekehrt jene Trödler, die unvermittelt ausscheren und dann mit 120 auf der linken Spur parken. Weiteren Anlass zum Groll geben uns die von der Polizei als »Mittelspurschleicher« bezeichneten Fahrer. Statt auf der rechten Spur zu kriechen, schleichen Sie in der Mitte voran, wofür sie fantasievolle Begründungen anbieten und dennoch heftige Strafen zahlen müssen, wenn sie erwischt werden. Eine andere besondere Spezies sind die »Reinschneider«. Sie quetschen sich nach dem Überholen direkt vor Ihnen dorthin, wo keine Lücke ist.
Auf der Landstraße begegnet man vorsichtigen Typen, die Tempo 70 für das Äußerste halten. Sobald sie von ferne ein gelbes Ortseingangsschild erblicken, reduzieren sie ihr Tempo drastisch, damit sie der Gefahr begegnen, in den Ort hineinzurasen. Hierin unterscheiden sie sich von denen, die ich als »falsche Siebziger« bezeichne. Sie bewegen sich ebenfalls mit höchstens 70 über die Landstraße, brettern aber dann mit demselben Tempo durch die Ortschaft. Seit ich diese Unterscheidung treffe, ärgere ich mich nicht mehr über diese Fahrstile, sondern beobachte gespannt, zu welcher Kategorie sich der Wagenlenker vor mir bekennt – Humor ist eine Möglichkeit, den Fährnissen des Alltags zu begegnen.
Ihr Computer mit seinen Tücken und Macken, seinen Viren und immer wieder verblüffend eigenwilligen Aktivitäten bietet selbstverständlich eine reichhaltige Ärgerquelle. Ebenso Ihr
allzu lässiger Kollege, Ihre qualitätsbewusste und sauberkeitsfanatische Nachbarin und alle anderen, denen Sie den Tag über begegnen. Der Mensch ist immer noch des Menschen liebstes Ärgernis. Dreh- und Angelpunkt ist dabei die Bewertung. Ihre Einteilung in Lieblinge und Brechbrocken unterliegt Ihrer persönlichen Einschätzung. Ob Ihre Botschaft beim anderen ankommt, hängt wiederum an dessen Blickwinkel. Mit den Worten Friedrich von Schlegels ausgedrückt: »Es ist unmöglich, jemandem ein Ärgernis zu geben, wenn er es nicht nehmen will.«
Sollten Sie einmal komplett zufrieden in einem bequemen Sessel sitzen, es Ihnen dabei zu langweilig werden und Sie den Kitzel des Grolls vermissen: Rufen Sie einfach eine Service-Hotline an. Bei der Telekom schaute ich neulich auf die Uhr. Nachdem ich der Computer-Stimme zu Anfang einige Fragen zu meinem Anliegen beantwortete – die sie übrigens sogar sofort verstand –, hörte ich ein Warte-Gedudel und sonst nichts mehr. Nach zehn Minuten verlor ich die Geduld und legte auf. Noch ein Versuch: Diesmal sagte ich der Computer-Dame, dass ich die Störungsstelle sprechen wolle. Schon nach drei Minuten wurde ich für die Annahme belohnt, dass Störungen der Telekom wichtiger sind als anderes, und ein leibhaftiger Mensch präsentierte sich am anderen Ende der Leitung. Ich erklärte der Mitarbeiterin, dass ich eben zehn Minuten in der Warteschleife zugebracht hatte und das jetzt mal als Störung definiere, und was ich wollte. Natürlich konnte sie mich nicht weiterverbinden, war ja eigentlich klar.
Gerade geht durch die Medien, dass die Telekom Mitarbeiter ausgliedern will: in Service-Gesellschaften!? Allgemein scheint es heute so, dass, je weniger Menschen sich um einen kümmern, die Unternehmen desto häufiger das neudeutsche Wort »Service« vor sich hertragen.
Im Reich des Königs von Zorn konnte man sich zu jeder Zeit über alles aufregen. Colombo hörte über sich seinen König wüten. Das Gebrüll war so laut, dass es mühelos durch die massive Schlossdecke drang. Colombo hörte einen Moment versonnen zu. Ja, das hiesige Königsgeblüt hatte die Bedeutung des Zorns für die Weltgeschicke erkannt. Im Goldstaat dagegen …
Wie wichtig Ärger und Zorn sind, scheint heute immer deutlicher bewusst zu werden. Schon von jeher haben sich gewichtige Denker gerne mit dem »Phänomen Wut« befasst. Der Reigen beginnt spätestens mit dem alten Griechen Aristoteles. Jüngstes Beispiel ist das im Herbst 2006 erschienene Werk »Zeit und Zorn« von Peter Sloterdijk. Der bekannte Philosoph und Professor an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe entfaltet dort auf 350 Seiten seine These, dass der Zorn in entscheidender Weise das gesamte Weltgeschehen prägt. Bereits im ersten Satz der europäischen Überlieferung, die mit der Ilias beginnt, findet sich das Wort »Zorn«, und die Geschichte reicht bis zu den heutigen zornstrotzenden Islamisten, die uns mit ihren Selbstmordanschlägen das Fürchten lehren. Einig im Interesse und dem grundsätzlichen Denkansatz dazu hätten sich Sloterdijk und der Kardinal Colombo wohl bestens verstanden.
Entscheidend und wenigstens nicht tödlich ist folgende Geschichte. Im Sommer 1958 gab auf einem Fußballplatz in München ein kräftiger Junge einem kleineren eine Ohrfeige – und entschied damit das Schicksal des deutschen Fußballs. Der Kleine spielte ziemlich gut. Eigentlich hatte er vorgehabt, sein Talent beim damals führenden Verein, dem TSV 1860 München, zu entwickeln. Aber von einem Fußballer dieses Klubs hatte er eben mitten auf dem Spielfeld eine Ohrfeige bekommen. Also zog Franz Beckenbauer zum FC Bayern München und überzeugte gleich noch drei Freunde, ebenfalls talentierte Spieler, mit ihm zu gehen.
Auch diese Geschichte dreht sich letztlich darum, wie Ärger wirkt. Der Auslöser für die Ohrfeige war, dass der spätere Kaiser Franz seinen Gegenspieler zu oft mit fußballerischen Mitteln genarrt hatte, was diesen ordentlich wurmte. Zudem schoss der kleine Beckenbauer auch noch ein Tor und krönte seine Leistung mit den Worten »Na, da schaust, du Depp«. Da wurde aus dem Ärger seines Gegners eine Ohrfeige, was den Zorn an den späteren Fußball-Kaiser weiterreichte, der ihn, schon ganz kaiserlich, nicht passiv hinnahm, sondern seinem Unmut Taten folgen ließ.1 Eine umwälzende Wirkung entfaltet der Ärger also besonders da, wo er zum Handeln motiviert.
Der Beginn der mächtigsten Organisation der Welt, einer Vereinigung mit einer Milliarde Mitglieder weltweit, der katholischen Kirche, war das Leben Jesu, das seine Zeitgenossen vor allem nachhaltig verärgerte. Als Jesus den Pharisäern kluge und häufig unbotmäßige Antworten gab, als er ihre Gesetze brach, indem er den Sabbat nicht heiligte und vor Wut rasend im Tempel Tische umwarf, riss er die herrschende theologische Klasse aus ihrer Gleichmütigkeit. Jesus reizte sie dermaßen, dass sie ihn schließlich ans Kreuz nagelten. Hätte er sie nicht so in Rage gebracht, wäre er deutlich weniger beachtet worden.
Heftig verärgert haben alle Menschen, die das Weltbild ihrer Zeit erschütterten. Darwin kränkte mit seiner Theorie, dass der Mensch vom Affen abstamme, die Gesellschaft zutiefst. Nicht anders Sigmund Freud mit seiner These, das Unbewusste bestimme uns weitgehend. Auch Karl Marx, der selbst von sich sagte, er sei kein Marxist, fand eine Menge Anhänger – und noch mehr Feinde. Aus vielen Ländern Europas wurde er ausgewiesen. Seine vermutliche ursprüngliche Motivation findet man auf zahlreichen Seiten in seinen Texten, auf denen er keine politischen oder wirtschaftlichen Theorien entfaltet, sondern schlicht die schrecklichen Verhältnisse schildert, in denen die Arbeiter im frühindustriellen Zeitalter lebten. Wie seine Zeitgenossen sich über Marx’ Schriften erregten, erhitzte er selbst sich also über dieses kärgliche Dasein. Er empörte sich, schrieb Artikel, mit denen er seine Mitmenschen verärgerte, die wiederum ihn anprangerten, was seine Anhängerzahl steigerte. Einmal mehr drehte sich die Geschichte um persönlichen und gesellschaftlich erregten Groll.
Gleichgültigkeit ist das Gegenteil von Ärger. Wer die Gleichmut der Gesellschaft nicht stört, der wird auch nicht verfolgt oder angefeindet, selbst wenn es ein schlauer Kopf ist. Über Jesu erste dreißig Lebensjahre weiß man so gut wie nichts. Erst als die Juden sich über ihren Glaubensbruder echauffierten, wurde er bekannt. In der Bibel heißt es: »… und selig ist, der sich nicht an mir ärgert« (Matthäus 11,6). Die einen regten sich über ihn auf, die anderen folgten ihm nach. Je mehr sich aufregten, desto mehr folgten ihm. Oder, mit anderen Worten ausgedrückt: Wer Anstöße geben will, sollte anstößig sein. Das entsetzte Publikum steigert dann die Popularität und die Anhänger finden leichter zu einem.
Prüfen wir die Annahme Kardinal Colombos, dass sich alles am Ärger entscheidet, anhand der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik. Im Jahre 1995 stand Rudolf Scharping der SPD vor. Scharping, vom Kabarettisten Matthias Deutschmann als Versuch der Sozialdemokraten bezeichnet, sich mit einer einzigen Schlaftablette umzubringen, hatte die Partei bereits in den Halbschlaf versetzt. Da hielt Oskar Lafontaine auf dem Parteitag eine flammende, mitunter wutentbrannte Rede. Die Emotion sprang über. Am nächsten Tag kandidierte Lafontaine in einer Kampfabstimmung überraschend als neuer Vorsitzender und wurde mit überwältigender Mehrheit gewählt. 1998 wählten die Deutschen mehrheitlich SPD, Gerhard Schröder wurde Kanzler und Lafontaine Super-Minister. Das ging nicht lange gut, Lafontaine schied nach nur 186 Tagen frustriert aus der Regierung aus, trat zugleich als SPD-Vorsitzender zurück und gab sein Bundestagsmandat ab. Als er in die Politik zurückkehrte, gründete er seine eigene Partei und trat damit 2006 gegen Schröders SPD an. Nach der Wahl entschied der persönliche Ärger der Streithähne über die künftige Regierung. SPD, Grüne und Linke hätten sie rechnerisch stellen können, aber die Vorgeschichte warf einen zu mächtigen Schatten. Lafontaine und Schröder waren sich spinnefeind, das Bündnis hatte keine Chance. Es gab die große Koalition und Schröder verabschiedete sich aus der Politik. Merke: Der persönliche Ärger entscheidet unter anderem Fragen der Weltpolitik.
Auch durch die internationale Politik von heute würde sich Kardinal Colombo bestätigt fühlen. So soll sich Putin weiß geärgert haben, weil sein Widersacher, der russische Milliardär Chodorkowskij, ohne Krawatte im Kreml erschien. In einem politisch motivierten Prozess wurde Chordorkowskij zu acht Jahren Haft verurteilt. Nicht folgenlos: Er schickt sich an, zum Märtyrer zu werden, und bereitet von der chinesischen Grenze aus die Machtübernahme im Kreml vor.2 Da die Russen Märtyrer bewundern, dürfte er gute Chancen haben.
»Ich kann mich an nichts erinnern – außer an die Sachen, die mich zum Lachen, Weinen oder auf die Palme gebracht haben. Das ist alles, was dir bleibt.«3 – so sagte die Großmutter des amerikanischen Bestsellerautors John Irving, die ihn sein Leben lang prägte. Bedenken Sie also, wie sensibel andere auf Kleinigkeiten reagieren können, die ihnen wichtig sind, und seien es fehlende Krawatten. Setzen Sie sich außerdem sehr sorgsam und gründlich damit auseinander, wenn Ihnen jemand über seinen Ärger berichtet. »Maria bewegte es in ihrem Herzen« steht in der Bibel. Das heißt: Weisen Sie Kritik nicht zurück und verteidigen Sie sich nicht. Das ist die beste Methode, mit Vorwürfen umzugehen. Den Verdruss, den Sie anderen bescheren, können Sie nicht hoch genug einschätzen. Widmen wir uns nun der Frage, wie unsere heutige Gesellschaft mit Ärger – und anderen unangenehmen Emotionen und Situationen – umgeht.
… schien der Groll dagegen abgeschafft, während die königlichen Geschäfte ausgezeichnet liefen. In Panien war es wieder anders: Seit dem Thronwechsel wurde der Ärger dort verteufelt. Der neue Herrscher hasste es, wenn andere energischer wirkten als er selbst, und liebte ruhige Geschäfte. Von oben hörte Colombo indessen, wie ein Fenster zu Bruch ging. Gleich darauf flog ein Porzellanengel an seinem Arbeitsgemach vorbei und zersprang im Garten. Der Kardinal beschloss, es auch einmal zu probieren, und schleuderte einen Wandteller hinterher. Nein, er war einfach kein Mann der Gefühle. Vielleicht sollte er nach Panien auswandern?
Vergleicht man unsere Gesellschaft mit den erwähnten Reichen der Zornkönig-Geschichte, lässt sich zweifelsfrei feststellen, wohin wir heute tendieren. Wir lieben es ebenfalls, unsere Geschäfte reibungslos abwickeln zu können wie die Goldstaatler, und im Grunde ist uns der Ärger ähnlich verhasst wie denen im Königreich Panien.
So stellt Günther Beyer, Geschäftsführer des Instituts für Creatives Lernen in Lindlar, fest, dass wir heute nur noch ausnahmsweise offen und ehrlich streiten. Stattdessen gilt: »Konflikte werden verdrängt, ignoriert oder von oben unterdrückt.«4 Dazu passend empfehlen gängige Ratgeber: Streichen Sie den Satz »Ich bin überlastet«. Sagen Sie »Ich werde gefordert«. Auch wer »stinksauer« ist, soll sich lediglich »verstimmt« zeigen. Wo man früher »enttäuscht« war und damit das Ende der Täuschung sowie den Beginn klarer Sicht erleben konnte, darf man sich heute nur noch »wundern«.5
Wir halten unsere Welt zunehmend keimfrei und sie gerät immer seichter. Wir picken uns heraus, was angenehm ist, und schaffen Unbequemes ab. Auf der einen Seite die Stars: Glück, Zufriedenheit, Erfolg. Aber Ärger? Nein, das ist ja ein negatives Gefühl. Not charming. Esprit hat er schon, aber er ist kein Verkaufshit. Die Verpackung ist nicht gut genug designt, sagt das Marketing. Die Vertriebsleute wurden beauftragt, die Sache mal zu begutachten. Die haben gesehen: Ein Wutanfall beim Kunden ist nicht gut, der Kunde ärgert sich und kauft nicht mehr. Daraufhin haben sie kurz nachgedacht und die Analogie gezogen. Dann kann Ärger im Unternehmen auch nicht gut sein. Sie haben sich mit der internen Revision zusammengesetzt und den Ärger abgeschafft. Können wir ausschließlich das Angenehme wählen? Oder hängen positive und negative Emotionen und Erlebnisse zusammen?
Der Psychotherapeut und Autor Michael Mary enthüllt in seinem sehr lesenswerten Buch »Die Glückslüge« den Kern der Methoden moderner Glücksmacher, jener Autoren, die sich ganz dem Positiven widmen. Ihr Ausgangspunkt sei gewöhnlich ein höchst geheimer Trick, den sie auf besondere Weise erfahren haben wollen und nun aus reiner Menschenliebe zum Verkauf freigeben. Sie versprechen, dass Glück, Reichtum und Erfolg für jeden dauerhaft möglich seien. Wozu also warten? Schnell ein Motivationsseminar buchen oder ein Glücksbuch lesen und fertig. Neuerdings können Sie sogar Ihre Wünsche beim Universum aufgeben, das klappt auch. Dank eines besonderen Kniffes sind die »Glücksmacher« in eigener Sache stets erfolgreich. Wahre Motivation setze nämlich einen festen Glauben an sich selbst voraus, sagen sie – und eben an die Methode! Wenn es dann nicht zur Zufriedenheit läuft, haben Sie halt nicht fest genug daran geglaubt. Wenn es dagegen gut geht, haben Sie daran geglaubt.
Praktisch für die Heilsverkünder; egal, wie es ausgeht, die Methode ist immer richtig. Das erinnert an einen Sketch von Anke Engelke. Sie erzählt darin im Hippielook, sie verhüte nach einer alten indianischen Methode. »Dazu muss man getrockneten Sauerampfer unters Kopfkissen legen. Und zwei Tage vor dem Sex alle zwei Stunden einen Liter Branntweinessig trinken. Und eine Knoblauchzehe essen.« Pause. »Und natürlich ein Kondom benutzen, sonst ist es doch zu unsicher.« Die Lacher sind sich darin einig, dass es letztlich auf das Kondom ankommt und damit auf eine Methode, die unabhängig vom Glauben funktioniert.
Sicherlich ist der Glaube an den Erfolg hilfreich, aber nicht alle gehören zu den Glücksgläubigen und Optimisten. Einen interessanten Beitrag zur Frage, ob alle Erfolgreichen Optimisten sein müssen, bieten Forschungen zum sogenannten »Defensiven Pessimismus«6. Dieses Konzept untersucht Menschen, die vor Herausforderungen stehend alle möglichen Unwägbarkeiten im Kopf hin und her wälzen und dafür Handlungsmöglichkeiten ersinnen. Sie sind nicht nur erfolgreich, sondern benötigen dieses Grübeln sogar. Hindert man sie daran, schneiden sie schlechter ab. Vielleicht ist gar der Basketballer Dirk Nowitzki so ein Typ. Er sagt: »Pychologen wollen dir natürlich vermitteln: Wenn du aufs Feld gehst, bist du der Größte und Allerbeste. Aber meine Einstellung war immer, dass alle anderen besser sind als ich.«7 Ein absoluter Siegertyp bekennt sich ganz entgegen dem üblichen »Tschaka-Motivationsgebrüll« zur Bescheidenheit, interessant. Optimismus und Siegermentalität müssen nicht sein, man kann auch anders erfolgreich werden.
Insgesamt gesehen, scheint der Wille zur Veränderung wichtig, aber die konkrete Taktik persönlich wählbar. Kardinal Colombo testet in der einleitenden Geschichte, welcher Typ er ist, und stellt fest: Es sind nicht alle gleich. Eben deshalb füllt dieses Buch eine Lücke: den Weg zum Erfolg für alle, die sich den Ärger nicht abgewöhnen wollen oder können. Wenn Sie dazugehören, sollten Sie sich nicht verbiegen und ein Dauerlächeln aufzwingen – damit überzeugen Sie weder sich selbst noch andere.
Ärger ist eng verbunden mit Misserfolgen. Wir wollen aber keinen Misserfolg, sondern Erfolg. Erfolg? Ja, den hätten wir gerne in der XXL-Portion und auf Lebenszeit. Aber Misserfolg? Einer, der es wissen muss, nämlich Thomas Alva Edison, Weltmeister der Patente, sagt: »Erfolg ist ein Gesetz der Serien, und Misserfolge sind Zwischenergebnisse. Wer weitermacht, kann gar nicht verhindern, dass er irgendwann auch Erfolg hat.« Ganz entgegen dem heute verbreiteten Motto – »Suche den Erfolg, meide den Misserfolg« – gehören beide für Edison untrennbar zusammen. Ähnlich sieht es Steffi Graf, die wohl erfolgreichste Tennisspielerin des letzten Jahrhunderts: »Mit Glück hat Erfolg auch wenig zu tun. Auf Dauer wird jeder, der eine gute Leistung bringt, auch Erfolg haben.«8 Der Weg zum Erfolg ist also mit Misserfolgen gepflastert, nicht mit Erfolgen.
Wir glauben häufig an Glück ohne Krise, an Erfolg ohne Mühe und an Motivation, Leistung und Kreativität ohne Ärger. Wir sollten den Misserfolg würdigen, das Unglück als Zwischenstation ansehen und den Ärger wohlwollend erforschen. Momentan behandeln wir ihn als Krankheit, so als ob wir etwas Ekliges im Garten zwischen den Blumenrabatten entdeckten, schwarz und klebrig und stinkend. Wir sollten einfach merken, dass es sich um eine Erdölquelle handelt, und sie sinnvoll nutzen. Zorn ist, laut Immanuel Kant, »für sich allein betrachtet jederzeit unklug«. Deshalb kommt es darauf an, ihn einzuordnen, schlau damit umzugehen. Wenn Sie eine Datei löschen wollen, tun Sie das gewöhnlich auch nicht, indem Sie den Computer wegwerfen.
Nein, auf keinen Fall, nicht nach Panien. Sein König brauchte ihn, den Gedankenreichen. Zorn war mit Schaden verbunden, aber die Herrschaftsgrundlage. Colombo strich sich den Bart, dann ballte er die Faust. Plötzlich glitt ein Lächeln über das scharfe Antlitz des Kardinals, wenn es auch sofort wieder den entschlossenen Zügen wich. Colombo sah ein Fest vor sich, das die befreundeten Herrscher versammelte und um Rat fragte. Hier sollte es nebenbei gelingen, eine Frau für den König zu finden, nachdem die erste kinderlos gestorben war. Passend wäre eine Protzburg, aber sollte er sie einladen? Nein, der Ausgang wäre zu ungewiss. Das letzte Fest im Reich Protzburg hatte der jetzige Despot genutzt, um alle Königstreuen zu meucheln und fortan selbst zu regieren. Colombo horchte einen Moment. Über ihm schien es nun ruhig. Er war sicher, dass sein Vorschlag Anklang finden würde, und ging nach oben.
Interessant und nachahmenswert, wie der Erste Berater des Königs von Zorn hier mit dem negativen Gefühl der Unzufriedenheit umgeht. Statt die Fakten ein wenig zu verbiegen und abzuschleifen, sodass die Wirklichkeit bequemer wird, statt sich zu bescheiden und das Geheimnis des Zorns eben nicht zu lüften, hält er an den Tatsachen fest – Ärger als Herrschaftsgrundlage, aber auch als Kosten- und Katastrophenfaktor. Er hat keine Lösung parat, aber er vertraut darauf, sie unter Mithilfe anderer zu finden.
Die Tatsachen sind: Ärger ist häufig, Ärger ist wichtig und er steckt voller Energie. Schon diese Fakten machen den Versuch sinnvoll, die Kraft des Grolls zu nutzen. Dazu kommt die Vermutung, dass uns die Natur wohl kaum mit einer so starken Anlage ausgestattet hätte, wenn sie sinnlos wäre. Wie Sie sehen werden, trifft Kardinal Colombos Vermutung zu: Ärger lässt sich nutzen. Sie können ihn sogar als Schlüssel Ihres Lebens betrachten. Um diesen Lebens-Turbo anwerfen zu können, klären wir im nächsten Kapitel, was Ärger genau ist, und »hoppeln« einmal kurz durch die neuere Geschichte der Gehirnforschung – ich verspreche Ihnen, dass es interessant wird; vor allem ist dieser kleine Ausflug nötig.
Der Vorreiter labte sich bereits an einem Trunk, da erschallte Musik. Der wartende Hofstaat von Zorn linste zwischen den Wimpern hindurch. Das Strahlen der Gewänder des Despoten von Goldstaat und seines Gefolges überwältigte ihre Augen. Als die Prunkumhänge abgeworfen waren, begrüßte der König von Zorn seine Gäste aufs Herzlichste. »Wir sind schon sehr gespannt, alles über den Zorn zu erfahren, Majestät.« »Und uns drängt es zu vernehmen, wie Ihr damit umgeht, Majestät.« Scherzend und sich Komplimente spendend schritten die Könige zum Tee. Plötzlich gesellte sich auch der Herrscher von Panien dazu, der das Schloss auf gleichem Weg wie die Goldstaats, aber praktisch unbemerkt erreicht hatte.
Zu Beginn jeder Diskussion sollte man sich bewusst sein, worüber diskutiert wird, und ein paar Begriffe klären. Dies werden Sie im nächsten Abschnitt tun können, bevor wir eingehend behandeln, woher die Wut eigentlich kommt und wozu sie demnach gut sein kann.
Ärger ist eine negative Emotion, die unterschiedlich stark sein kann. Sie erkennen einen Missstand, in der Regel wurde eines Ihrer Ziele blockiert oder ein Bedürfnis verletzt, und Sie sehen die Möglichkeit zu handeln. Wenn Sie die Dinge dagegen unaufhaltsam wie eine Dampfwalze auf sich zurollen sehen, spüren Sie Angst.
Im Deutschen lässt sich die Stärke der Emotion mit verschiedenen Begriffen ausdrücken. Man kann den Ärger vom Unbehagen, dem Unmut oder dem Missmut über die Verärgerung bis hin zur Wut und zum Zorn steigern. Traditionell wird die Wut meistens als heiß, manchmal auch als blind angesehen. Dem Zorn kommt zuweilen die Rolle zu, kalt und berechnend zu sein. Immer jedoch gibt es die Möglichkeit, vom »heiligen Zorn« zu sprechen (während es eine heilige Wut nicht gibt). Dieser Zorn wird in der Philosophie häufiger besprochen und wird auch in der Bibel öfter erwähnt. Darin zürnt Gott über die Sündhaftigkeit des Menschen. Den Begriff »Empörung« werfen die meisten in den gleichen Topf. Eine Unterscheidung ist jedoch sinnvoll. Bei der Empörung sind Sie nicht selbst betroffen, sondern erregen sich über die Benachteiligung anderer.
Folgende Geschichte klingt wie für ein Lehrbuch über die Emotion Empörung erfunden, obwohl sie der Autor selbst erlebt hat.1 Die Frau des Erzählers hatte an einem sehr heißen Sommertag ihre neun Monate alte Tochter mitsamt dem Schlüssel im Auto eingesperrt. Verstört lief sie mit der anderen, zweijährigen Tochter an der Hand die Straße entlang. Als sei er vom Himmel geschickt, traf sie wenige hundert Meter entfernt auf einen Mitarbeiter ihres Straßennotfalldienstes. Sie erklärte ihm ihr Missgeschick. Daraufhin fragte er sie, ob sie denn Mitglied in seiner Organisation sei. »Ja, glücklicherweise.« – »Gut, haben Sie einen Mitgliedsausweis dabei?« – »Ja, im Auto.« – »Aber Sie kommen nicht dran? Tja, dann kann ich leider nichts für Sie tun.« Ganz serviceorientiert lieh er der Verzweifelten sein Handy, damit sie zu Hause anrufen konnte, ihr Mann mit dem Ersatzschlüssel herfahren konnte – und den Mann vom Straßennotfalldienst höchstpersönlich zur Schnecke machen, was er auch ausgiebig tat. Hauptsächlich weil er empört war.
Fünf Teile bilden eine Emotion: eine kognitive Bewertung, körperliche Veränderungen, das Drängen zu einer Handlung, der Emotionsausdruck (für andere sichtbare Veränderung) und das Gefühl (subjektives Erleben). Im Rahmen dieses Ratgebers unterscheide ich in der Regel nicht zwischen Emotion (vollständig, alle fünf Merkmale) und Gefühl, nur dort, wo es andernfalls zu Missverständnissen käme.
Noch zwei Begriffe sollen kurz geklärt werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Erstens: Stimmungen sind unspezifischer, weniger auf den konkreten Anlass ausgerichtet, als Emotionen. Zweitens: Aggression ist keine Emotion, sondern eine mögliche Handlung, die häufig aus der Wut heraus entsteht, aber eben nicht entstehen muss. Der nächste Abschnitt zeigt Ihnen, wie heutige Ärgerexperten gewöhnlich arbeiten.
»Erfolgreiche Dekrete zur Zornregulierung? So erläutert Eure Politik!«, forderte der König von Zorn von seinen Gästen. »Einige klare Dekrete und der Zorn geht zurück«, sagte der Herrscher des Goldstaats, »die Geschäfte lassen sich aufs Trefflichste tätigen, der Handel blüht.« – »Genau. Und Uns gelang es sogar, den Ärger weitgehend aus dem Palast zu drängen. Wir erhoffen hierdurch üppige Zuwächse«, pflichtete der König von Panien bei. Colombo beobachtete skeptisch den Zornkönig, dessen Haut sich zu röten begann.
Die meisten heutigen Herrscher in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft würden sich prächtig mit den Königen Paniens und des Goldstaats verstehen. Sie möchten den Zwist weitmöglichst abschaffen und verbünden sich dazu mit Experten. Gängige Ratgeber und die dazugehörigen Trainer vermitteln deshalb im Wesentlichen: Ärger ist Teufelszeug, er schadet, reduziert ihn, so gut es geht. »Jeden Tag weniger ärgern«, »Mensch ärgere dich nicht«, »30 Minuten für die Auflösung von Ärger und Frustration« oder ähnlich heißen die Titel und Trainings. Manchmal wird mit keiner Silbe darauf hingewiesen, dass Ärger positiv sein könnte. Kommt dann einer aus dem Publikum mit dieser These daher, wird gesagt: »Ja, ja, schon, aber im Wesentlichen ist er negativ.« Häufig wird die positive Seite in einem knappen Satz erwähnt, um dann zweihundert Seiten lang zu schreiben, wie man den Ärger loswird. Bevor es dazu kommt zu klären, wozu er gut ist, wird er abgeschafft, der Arme. Wenigstens ist er hartnäckig genug, immer wieder zu kommen …
Ganz sicher gibt es Menschen, die einfach mal runterkommen sollten. Hierzu können sie die oben genannten Titel nutzen. Für die meisten Menschen gilt eher: »Komm rauf auf die Palme, von oben siehst du besser!« Interessant sind auch Bücher, die beipflichten, dass der Ärger gut ist, wie der Titel »Ärgern ist gesund« oder ein Band, der meint, »Ärger verleiht Flügel«. Wer dort hineinliest, stellt allerdings schnell fest, dass die Autoren eher eine Art von Ehrenrettung betreiben. So etwa: »So schlecht ist er doch gar nicht, ist sogar ganz gut, guckt mal.« Im Schwäbischen gibt es den Spruch »Nicht gemeckert ist genug gelobt«. Was den Ärger angeht, ist mir das eindeutig zu wenig.
Sieht man vorbehaltlos auf die positiven Aspekte, lautet die Alternative: Ärger verteidigt unsere Grenzen, er motiviert, er macht kreativ, er bereichert die Persönlichkeit – oder er schadet. Wenn Sie Ihren Ärger nicht positiv nutzen, schadet er tatsächlich, da haben die Experten völlig recht. Dann sollten Sie ihrem Rat folgen und diesen negativen Ärger so gut es geht vermeiden. Die Frage ist nur: Wollen Sie ihn nicht lieber für all das Gute nutzen? Zudem gaukelt unsere moderne Welt uns immer wieder vor, dass wir Unangenehmes einfach streichen können, aber vergisst dabei die Kehrseite. Die lautet hier: Wer sich den Ärger abtrainiert, wird gleichgültig, verliert an Kreativität und pendelt sich persönlich auf eine diffuse, konturlose Erscheinung ein (vergleiche den Abschnitt »Ärger: Eine Definition mit Loch«).
Unvermittelt begannen die Goldstaats über die kleine Prinzessin zu klagen, bei der alle Verordnungen gegen den Zorn nichts halfen. »Ach, interessant«, sagte die Schwester des Königs von Panien. »Da haben Ihre kleine Prinzessin und ich ja etwas gemein.« Da verschwand die Röte aus dem Gesicht des Königs von Zorn, er grinste. Colombo wandte sich beruhigt wieder der Analyse des Gesprächs zu.
Die Königsschwester aus Panien hat vermutlich das Fest gerettet, denn wäre der König von Zorn vor seinen Gästen explodiert, hätte er wohl alleine feiern können. Überhaupt: Wozu brauchen wir den Ärger, wenn die Geschäfte ohne ihn so hervorragend laufen? Können wir uns nicht auch am Positiven orientieren und freudig motiviert von Erfolg zu Erfolg eilen?
Meine Antwort umfasst drei Punkte. Erstens habe ich nichts dagegen, dass Sie frohgemut und frei von jedem Ärger durchs Leben wandern. Wenn Sie so ein Glückspilz sind: Herzliche Gratulation, stellen Sie diesen Ratgeber einfach in die Vorratskammer. Wenn Sie, zweitens, nicht zu diesen Gesegneten gehören, aber sich, soweit es geht, gerne am Positiven entlanghangeln, kann es nur nützlich sein, falls nötig, auch mit dem Negativen umgehen zu können. Drittens heiligt Michael Mary aus systemtheoretischer Sicht die Missgeschicke. Sie seien notwendig für jede Veränderung, sagt er. Sein Buch zum Thema2 trägt den Untertitel »Wer etwas ändern will, braucht ein Problem« und der Autor entpuppt sich als Mischung einer frechen und etwas querdenkerischen Königsschwester aus Panien und eines immerzu analysierenden Kardinals Colombo.
Nach gängiger Meinung kann man den Menschen als ein System auffassen, das sich selbst reguliert. Mit anderen Worten – dies ist eine Aussage mit erheblichen Folgen –, der Mensch steht nicht direkt mit seiner Umgebung in Kontakt. Er lebt nach eigenen Gesetzen, solange sie funktionieren. Wenn sie nicht mehr funktionieren, passt er die Gesetze seines eigenen Systems an. Ein direkter Zugang zur Umwelt fehlt. Damit sind wir auf Störungen angewiesen, um zu erfahren, dass etwas zwischen uns und der Umwelt nicht mehr passt. »Kein System kann auf direktem Weg herausfinden, wie es irgendetwas richtig machen könnte, wie es sich verändern sollte, zu welchem Zweck und mit welchem Ziel. Systeme finden ihre Fortsetzung allein durch ununterbrochen durchgeführte Fehlerkorrekturen, durch die Bewältigung des Scheiterns.«3 Damit ist die Krise viel mehr als eine Chance. Sie ist nicht ein Übel, aus dem man das Beste macht, sondern das Scheitern liefert den wichtigsten Beitrag zum (Weiter-)Leben.
Wir bilden Erwartungen über die Welt und finden sie häufig bestätigt. Doch die Welt verändert sich ständig. Der Kollege, den wir an seinem Arbeitsplatz erwarten, wurde in einem anderen Projekt aktiv, die Nachbarin ist in der Klinik, die Freundin ist nicht zu erreichen, weil sie einen Halbtagsjob angenommen hat. Mit anderen Worten: Wir werden enttäuscht, unsere Erwartungen werden gestört und nur so bekommen wir mit, dass sich die Umwelt veränderte und können nötige Anpassungen vornehmen. Sind Anpassungen nötig? Ja, denn wer mit dem Kollegen spricht, obwohl der gar nicht an seinem Arbeitsplatz sitzt, landet in der Psychiatrie. Sind Störungen nötig? Ja, denn sie sind notwendige Bedingung für fällige Anpassungen. Bekommen wir keine Störung gemeldet, verharren wir regungslos, wo wir handeln sollten. Wir bleiben blind für die Unterschiede zwischen unseren Konstruktionen und der Welt. Der Grund dafür ist sehr einfach: Es gibt diese Störungen für uns dann nicht. Da geht es uns wie dem Frosch, der nur Bewegungen wahrnimmt. Er hätte große Lust auf eine Fliege, die in einer Zungenlänge Abstand vor ihm sitzt. Die Fliege indessen bleibt ungefressen, denn sie sitzt still. Ärger ist eine Störung und unangenehm und lebenswichtig.
Viele sehen im Ärger den überflüssigen Rest aus vergangener Zeit, als der Mensch sich noch in der Wildnis behaupten musste; eine Art Blinddarm-Gefühl. Nach dem bisher Darge-
stellten haben Sie wohl schon eine Ahnung davon bekommen, wieso diese Emotion für mich eher ein Mozart der Gefühle ist (Klassikkenner werden vielleicht einen Anton Bruckner der Gefühle erkennen, nach dem Komponisten des dramatischen Ausdrucks).
Im folgenden Kapitel werden wir die Bedeutung des Ärgers genauer ausloten und einkreisen – ohne weitere Hintergründe, insbesondere aus der Gehirnforschung, ist dies nicht möglich. Weit über das Ansinnen hinaus, den Begriff genauer zu bestimmen, werden Sie viel Wichtiges darüber erfahren, wie wir Menschen ticken und was Sie am besten daraus machen.
Kardinal Colombo und der König von Zorn traten in den Festsaal, der noch davon zeugte, welch rauschendes Fest er gestern erlebt hatte. »Nun wollen wir hoffen, dass Euer Majestät Gäste aus Goldstaat und Panien eine glückliche Rückreise haben«, sagte Colombo gerade, als der König des fettesten Überrests vom gestrigen Gelage gewahr wurde. Wie um seinen König noch zusätzlich aufzubringen, entfuhr dem Hofnarren, der da am Fuß einer Marmorsäule schlief, ein gewaltiger Rülpser. »Entfernt diesen Narren!«, schrie der König aufbrausend. In Rage verließ er den Saal. Als das Geläut zur Abendmesse rief, hörte Colombo ihn immer noch toben. Warum, fragte er sich, war des Königs Grimm immer noch so deutlich zu vernehmen? Schließlich war der Hofnarr seit dem Morgen auf einem Heuwagen gelegen, der unter Colombos Gemächern stand, von wo der Kardinal es seither regelmäßig dröhnend schnarchen hörte. In diesem Moment trat ein Diener herein. Der König schicke nach ihm. Der König wisse nicht, warum er den ganzen Tag wütend zugebracht habe. Normalerweise würden doch zwei oder drei Stunden genügen. Colombo ließ die Messe Messe sein und folgte dem Diener, um Rat zu geben.
Wieder einmal regt sich der König von Zorn gehörig auf – ohne den Grund zu kennen. Vielleicht auch, weil die Wissenschaft damals noch nicht so weit war, wie sie heute ist. Im Folgenden erfahren Sie mehr darüber, wo der Zorn in Ihrem Gehirn zu Hause ist und wie Ihre Gedanken und Gefühle dort miteinander Bad und Bett teilen. Stellen Sie sich darauf ein, dass Ihr Weltbild durcheinandergeraten könnte – und heißen Sie diese Verunsicherung willkommen; denn sie öffnet den Blick in die Zukunft und gibt eine Aussicht darauf, wie der Mensch sich selbst in einigen Jahren einschätzen wird.
Ohne unser Gehirn wären wir praktisch nichts. Wir brauchen es ständig. In jeder Sekunde ist unser Oberstübchen mit irgendetwas beschäftigt, sei es nun scheinbar unwichtig und primitiv, wie die Organisation unserer Verdauung, oder wichtig und edel, wie die Frage nach dem Sinn allen Seins. Auch im Schlaf ist das Gehirn aktiv; wir träumen und verarbeiten so noch einmal die Erlebnisse des Tages. Pausenlose Aktivität also, und sie macht uns Menschen aus, unsere Fähigkeiten und unsere Persönlichkeit. Dabei wissen wir wenig über unser wichtigstes Organ und nicht nur dem König von Zorn brächte es eine Menge, besser darüber unterrichtet zu sein, was der Mensch so im Kopf hat.
Wenn Sie sich bisher noch nicht näher mit der neueren Gehirnforschung beschäftigt haben, werden Sie sehr wahrscheinlich von sich denken, dass Sie weitgehend rational entscheiden. Wir glauben gewöhnlich sogar, dass die Rationalität den Menschen überhaupt erst ausmacht, während die Gefühle eher ein Erbe der Affen sind. Ein Erbe, das mal mehr, mal weniger geglückt in unser Leben einbricht.
Diese bis heute verbreitete Vorstellung geht bis auf das Ende des 18. Jahrhunderts zurück. Später erlangte vor allem der amerikanische Gehirnforscher Paul D. MacLean mit seiner Idee des »dreieinigen« Gehirns Popularität. Diese 60 Jahre alte Theorie besagt, dass wir drei unterschiedlich alte Gehirnteile in uns tragen. Zuerst schuf die Natur das Reptiliengehirn (Stammhirn) für Reflexe und Instinkte, danach ein einfaches Säugergehirn (limbisches System) und startete damit den ersten Versuch, ein Bewusstsein zu etablieren. Da hatte es aber nur für die Gefühle gereicht. Dann endlich kam der dritte, wahrhaft menschliche Gehirnteil: der Neokortex, der abstraktes Denken ermöglicht. Diese drei Teile arbeiten weitgehend unverbunden. Mit anderen Worten: Wir Menschen sind üblicherweise vernünftig und handeln rational, nur manchmal schießt eine Emotion quer und bringt uns durcheinander.
In ein ähnliches Horn blies auch Sigmund Freud. »Wo Es war, soll Ich werden«, forderte er und meinte damit: Das typisch menschliche, rationale »Ich« soll über das tierische »Es«, den Hort der Triebe und Gefühle, siegen, damit wir wahrhaft zum Menschen werden.
Diese Theorien haben den Vorteil, hervorragend zu unserem subjektiven Erleben zu passen. Sie haben nur den Nachteil, falsch zu sein.4 Das wissen wir heute, weil Ende des letzten Jahrhunderts neue Techniken die Gehirnforschung umwarfen. War man früher darauf angewiesen, aus Untersuchungen an Hirnverletzten und Operationen bzw. Obduktionen zu lernen, beobachtet man heute das lebende Gehirn bei der Arbeit, also beim Denken und Fühlen. Dank der modernen Medizintechnik können wir auf Bruchteile von Sekunden genau feststellen, welche Regionen im Gehirn aktiv sind, und wir können den Ort der Aktivität auf Millimeter genau bestimmen. Es ist möglich, feine Elektroden zu setzen, die messen, wann eine einzelne Gehirnzelle Signale sendet, und vieles mehr. Kardinal Colombo hätte davon geträumt, über solche Methoden zu verfügen.
Heute können die Forscher herausfinden, wann jemand still zu sich spricht, sich unhörbar Musik vorspielt, im Kopf rechnet und sogar ob er dabei addiert oder subtrahiert. Dasselbe gilt für das Erleben emotionaler Zustände wie Schmerz, Furcht und Erwartung. Man kann feststellen, ob jemand »echte« Schmerzen hat oder sich Schmerzen einbildet (die genauso wehtun können).5 Kurz gesagt: Versuchen Sie zu glauben, was ich Ihnen jetzt über Ihr Gehirn sage, auch wenn es kaum glaubhaft erscheint.
Anfang der Siebzigerjahre saß in einem Büro in Amerika ein Mann an seinem Schreibtisch und scheiterte an dem Vorhaben, seine Papiere zu sortieren. Elliot, so nannte man ihn, war krank gewesen, aber wieder genesen. Man hatte bei ihm einen gutartigen Hirntumor festgestellt und entfernt. Elliot war vor wie nach der Krankheit intelligent, er wusste, wie man sich zu benehmen hatte, und war doch völlig unfähig, sein Leben zu meistern. Innerhalb kurzer Zeit verlor er seinen Job und sein Vermögen, er ruinierte seine Ehe und wenig später die zweite und war doch körperlich völlig gesund, bis auf die Tatsache, dass ihm hinter der Stirn etwas Hirngewebe fehlte.
Antonio R. Damasio, Elliots Arzt und Hirnforscher, ging bei der Erforschung der rätselhaften Ausfälle seines Patienten zunächst den üblichen Weg. Er führte sehr viele Tests mit ihm durch und Elliot bestand sie alle mit Bravour. Er präsentierte sich als schlau und informiert, mit normaler Persönlichkeit und moralischen Überzeugungen. Es bestand kein nachweisbares Defizit und doch funktionierte nichts mehr in Elliots Leben. Warum? Damasio knackte die Nuss und wurde mit seinen Büchern weltberühmt. Elliots Gefühlswelt war beschnitten worden. Heute sind die Thesen Damasios, die er in Werken mit Titeln wie »Ich fühle, also bin ich« formulierte, in Fachkreisen anerkannt: Kognition und Emotion durchdringen sich vollkommen. Rein rationales Denken beschränkt sich auf das Lösen von Rechenaufgaben oder Sudokus. Fürs Leben taugt es nicht.
Wie arbeiten die verschiedenen Hirnteile nun daran, die Aufgaben des Alltags in den Griff zu bekommen? Zuständig für die Gefühle ist das limbische System, ein Verbund verschiedener Gehirnstrukturen, der zwischen Stammhirn und Neokortex liegt. Das System ist praktisch allen höheren Tieren eigen und bei Primaten baugleich mit dem des Menschen. In der menschlichen Entwicklung reift dieser Gehirnteil früh aus. Das bedeutet, dass Babys sich zunächst mal um die elementaren Bedürfnisse und Gefühle kümmern. Alle Eindrücke werden danach bewertet, ob sie gut oder schlecht sind, und die Kleinen merken sich ihre Bewertung in folgender Form: Sie bilden grundsätzliche Überzeugungen aus, woran sich letztlich Positives erkennen lässt und wie sie es mehren können. So ordnen sie das Daten-Chaos, welches ihr Gehirn nach der Geburt erreicht.
Mit der Ausreifung des Hippocampus und der darüber liegenden Neokortex-Teile (mit zwei bis drei Jahren) erlangen Kinder die Fähigkeit, einzelne Erlebnisse mitsamt emotionaler Bewertung und den dazugehörigen körperlichen Zuständen dauerhaft