Der Zufluchtsort - Malu Cailloux - E-Book

Der Zufluchtsort E-Book

Malu Cailloux

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Beschreibung

Irland 1578. Red Hugh O`Domhnaill ist König von Tyrconnell. Die Geschichte handelt von seinem Leben und parallel dazu vom Leben seiner Nachfahren in Amerika. 2016, Conor O`Neill, geboren in New Haven, ist einer der Erben Red Hugh O` Domhnaill. Findet er den Weg an seinen Ursprungsort nach Donegal? Eine Geschichte basierend auf teilweise wahren Begebenheiten. Tauchen sie ein in das mystische wunderschöne Irland.

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In Gedenken an meinen geliebten Bruder Robi, der mir die Schönheit Irlands nahegebracht hat

Inhaltsverzeichnis

Dhun na nGall, 1578

New Haven, 2016

Dhun na nGall, September, 1578

Donegal, 2016

Dhun na nGall, 1586

New Haven, Herbst 2016

Spanien, 1587

Spanien, 2016

Epilog

Dhun na nGall, 1578

Dichte Nebelschwaden erhoben sich entlang des Lough Eske. Der Himmel verwandelte sich von einem dunklen Blau in eine märchenhafte Morgenröte, während die Mondsichel am Horizont verblasste und die Nacht hinter sich liess. Die Vögel erwachten und begrüssten den neuen Tag mit ihrem fröhlichen Gesang. Ihre Melodien trug der Wind mit sich fort. Säuselnd strich seine Brise über die Oberfläche des Sees und hinterliess tanzende Wellen.

Ein einsamer Reiter stand bewegungslos am Ufer, vom Nebel umhüllt. Die regungslose grosse, männliche Gestalt, in einen grünen Samtmantel gekleidet, wirkte wie eine aus Marmor gehauene Statue. Sein prächtiges Pferd liess ein lautes Schnauben durch die Nüstern ertönen und der heisse Atem wirbelte wolkenähnliche Ballen durch die Luft. Der scharfe Ritt war ihm anzusehen. Das schwarze Fell glänzte verschwitzt in dem aufgehenden Sonnenlicht. Der Mann, dessen kupferrotes, gewelltes Haar unter dem wollenen Federhut bis auf die Schultern reichte, beugte sich nieder und klopfte dem Rappen anerkennend den muskulösen Hals, der von einer vollen, lockigen Mähnenpracht geziert wurde. Die Ohren neugierig gespitzt, lauschte das Pferd der tiefen murmelnden Stimme, die liebevoll zu ihm sprach. Ein lautes Rascheln drang aus dem Dickicht und alte, herabgefallene Äste, die schon zu lange auf dem Boden gelegen hatten, knackten entzwei. Mit einem eleganten Sprung kam ein grosses, wolfsähnliches Untier aus dem Gebüsch, gefolgt von einem zweiten. Die beiden braungrauen Riesenhunde mit ihrem halblangen struppigen Fell besassen die Grösse eines ausgewachsenen Kalbes. Freudig wedelnd tänzelten sie um den Reiter herum, die lange rosa Zunge hechelnd heraushängend. Nach der Begrüssung stürzten sich die irischen Wolfshunde ans Wasser, um ihren Durst zu stillen. Das Pferd, dessen Zügel schlaff herunterhingen, tat es ihnen gleich. „So“, sprach der Gebieter, mit einem Anflug eines Lächelns auf dem edlen Gesicht, „seid ihr unserer Spur gefolgt?“ „Gut gemacht“, lobte er die Tiere und nahm die Zügel wieder auf, „nun nehmen wir es ein wenig gelassener.“ Ein unmerklicher, leichter Fersendruck in die Flanken des Hengstes genügte, um ihn anzutreiben, und so bewegte sich der Trupp gemächlich auf dem kleinen Weg am See entlang. Die ersten Wildgänse tummelten sich im abgelegenen Schilf, während verschiedene Entenarten durch das Sumpfgebiet watschelten, wo sie ihre Bäuche mit Insekten, Schnecken und Würmern vollstopften. Auch der Fuchs schlich durch die Gegend, um seinen Jungen eine fette Beute mit nach Hause bringen zu können. Als Red Hugh das offene Weideland erreichte, um Richtung Wald und Hügel zu gelangen, balzten Fasanen mit ihrem bunten Gefieder. Auf den grasgrünen Wiesen äste das Wild, hob beim Kauen den Kopf und liess sich sonst nicht weiter von den Eindringlingen stören.

Red Hugh O`Domhnaill liebte die frühen, einsamen Morgenstunden, in denen er die unschätzbaren Werte der Natur auskosten und dabei die frische, heilsame Luft tief in seine Lungen einatmen konnte. Er empfand innige Dankbarkeit für den Gott und die Naturwesen, die ihm zur Seite standen. Er war als Prinz geboren worden und regierte nun seit sechs Jahren als „King of Tyrconnell“ vom Norden bis in den Westen von Sligo. Seine ersten Lebensjahre, die ihn stark geprägt hatten, durfte er bereits in dieser Gegend verbringen. Im Alter von zwölf Jahren schickte man ihn nach England zu einem entfernten Verwandten, der sich um seine Ausbildung kümmern sollte. Privatlehrer unterrichteten ihn in Latein, Englisch, Französisch und Spanisch. Man lehrte ihn auch königliches Benehmen. Seine Leidenschaft für den Kampf mit Schwert und Bogen brachte ihm bei Turnieren grossen Ruhm ein. Er war kräftig und gross gebaut, besass ein eisernes Durchhaltevermögen und die Gerüchte kursierten, dass er eines Tages unbesiegbar sein würde. Nicht nur durch seine Tapferkeit und seinen Mut war er in der Öffentlichkeit berühmt. Genauso flogen ihm durch seine Schönheit und seinen Reichtum die Frauenherzen zu.

Mit 22 Jahren kam er nach Tyrconnell zurück, um seine Mutter zu begraben. Nuala war eine herzensgute Frau gewesen. Sie starb bei der Geburt ihres sechsten Kindes, einer Tochter. Der starke Glaube an die Gerechtigkeit und das Gute im Menschen hatte ihren ältesten Sohn entscheidend geprägt, während sein Vater Magnusa O`Domhnaill ihm Aussehen und Tapferkeit vererbt hatte. Magnusa hatte seine einzige Frau Nuala so sehr geliebt, dass er an ihrem Tod fast zerbrach. Das Caisleàn Dhun na nGall liess er für sie und seine Familie erbauen, während Nuala ganz in der Nähe am River Eske den Bau einer franziskanischen Monasterie bewerkstelligte. Als Red Hugh O`Domhnaill die Krone antrat, um seinen erkrankten Vater zu unterstützen, erfüllte er den Wunsch seiner Mutter und heiratete ein junges irisches Mädchen. Das Glück war Brianna aber nicht hold. Ein Jahr darauf verstarb sie an einer komplizierten Schwangerschaft. Kurz darauf musste der junge Herrscher auch noch seinen Vater zu Grabe tragen. Im Stillen erwies er ihm die letzte Ehre und gab ihm das Versprechen, Tyrconnell gut und gerecht zu führen und das Land vor Plünderern und machtgierigen Fremden zu schützen. Engländer und Schotten versuchten nämlich immer wieder Übergriffe. Bei den benachbarten Dörfern zettelten sie Unruhen an und lockten das gutgläubige Volk mit Geld und Lügen. Im ganzen Land regierten die Clans der O`Domhnaills und der O`Neills auf Anweisung des King of Tyrconnell. Wer sich seinen Regeln widersetzte, wurde vom König und Richter verurteilt.

Der kleine Trupp durchstreifte den Wald und überquerte einen kleinen Bach, der sich gurgelnd den Abhang hinabschlängelte. Moosbewachsene Steine, Klee und dichter Farn bedeckten den Boden. Ein Teppich voller blauer wilder Glockenblumen schmückte die Lichtungen am Waldrand. Nach einem kurzen, steilen Anstieg erreichten sie eine der vielen Hügelkuppen. Der Anblick war gigantisch. Der leuchtende Feuerball am Horizont liess seinen Puls höherschlagen. Die ersten Sonnenstrahlen wärmten seine Haut und drangen hinein in sein Herz. Für einen kurzen Moment schloss Red Hugh seine goldbraunen Augen. Dann sog er den würzigen Duft der Natur, gemischt mit dem kaum wahrnehmbaren Salzgeruch, tief in seine Lungen ein. Dabei hob und senkte sich seine muskulöse Brust unter dem Umhang. In solchen Momenten fühlte der junge Monarch, wie sich sein Geist und sein Körper mit neuer Energie und Kraft füllten. Vergessen waren die Lasten und Bürden, wenn auch nur für kurze Zeit. Die Verschmelzung mit dem Inneren genoss er so sehr, dass ein wohliger Schauer seinen Körper erzittern liess. Ein Jagdhorn ertönte aus der Ferne und holte ihn zurück in die Wirklichkeit. Seine scharfen Augen erblickten weit unten eine Schar von Reitern in Richtung Wald galoppieren. Nicht umsonst nannte man ihn auch den „Adler des Nordens“. Vorsichtig begann er den Abstieg und traf seine ergebenen Verbündeten, noch bevor diese den Wald erreichten. An der Spitze ritt Niall Gave O`Domhnaill, sein Schwager und weit entfernter Cousin, der vergangenen Herbst seine jüngste Schwester Nuala geheiratet hatte. Zurzeit lebten sie unter seinem Dach in Caislèan Dhun na nGall. Niall stoppte sein Pferd auf der Höhe von Red Hugh und gab seinen Begleitern mit einer kurzen Handbewegung zu erkennen, dass sie ihren Weg fortsetzen sollten. Schwer atmend vom schnellen Ritt sprach der jüngere Mann aufgeregt: „Die schottische Flotte ist eingetroffen! Ein Fischer sah sie heute Morgen am Eingang der Bay ankern. Wir werden ihnen heute Abend, wenn sie mit der Flut einlaufen, einen angemessenen Empfang bereiten. Für das Essen sorgen die Frauen. Die Bediensteten sind in der Küche schon eifrig am Backen. Nuala richtet ein Gemach, das nahe dem deinen liegt, für Ineen her.“ Red Hugh bedankte sich bei seinem Schwager mit einem kameradschaftlichen Schlag auf die Schulter, nickte anerkennend und liess ihn davongaloppieren. Einen kurzen Augenblick verkrampften sich seine Bauchmuskeln so sehr, dass ihm die Magensäfte sauer aufstiessen. Dies passierte stets, wenn er an Ineen dachte. Nicht dass er ein Feigling gewesen wäre. Seine Entscheidung hatte er über die langen Wintermonate gefällt, nachdem seine Familie und die Verbündeten ihm ans Herz gelegt hatten, endlich wieder zu heiraten. Eine schottische Frau zu nehmen sei taktisch und strategisch das Beste, was er machen könne. Das Bündnis mit Schottland würde sich somit verstärken und die Übergriffe der Engländer sich dadurch in Grenzen halten. Der Entscheid war ihm sehr schwergefallen. Ineen war ein sehr schönes junges Mädchen gewesen, als er sie vor zwei Jahren zum ersten Mal gesehen hatte. Die Heirat war schon damals ein Thema, doch Red Hugh schob seine Entscheidung immer wieder auf. Nicht dass es unangemessen war, sie zur Frau zu nehmen, doch tief in seinem Innern spürte er keine Zuneigung zu ihr. Er hatte auch Brianna nicht geliebt. Dennoch hatten sie einander während der kurzen Ehe gegeben, was sie konnten. Gegenseitige Anerkennung und Achtung hatten damals die Oberhand gewonnen und er hoffte, auch dieses Mal seine Sehnsucht nach wahrer Liebe, die ihn manchmal vor Verlangen fast erdrückte, zum Wohle seines Volkes auf die Seite schieben zu können.

Es war Zeit, den Heimweg anzutreten und sich um seine täglichen Pflichten zu kümmern. Die Hunde folgten seinem langsamen Ritt. Die saftigen grünen Weiden der Vieh- und Schafherden waren eingesäumt von dichten Hecken und nicht allzu hohen, bewachsenen Steinmauern, die der Hengst leichtfüssig übersprang. Es blühten Rhododendron-Büsche, welche diesen torfhaltigen Boden liebten, in verschiedenen Farben. Kleine Hütten mit Strohdächern verteilten sich über das Land. Jeder Farmer grüsste den Gebieter freundlich und der King of Tyrconnell winkte ihnen lächelnd zu. Er war ein beliebter, gerechter Herrscher, und seit die O`Domhnaills das Land regierten, lebten die Einwohner auf einem hohen Standard. Es gab weder Armut, noch musste man je Hunger leiden. Red Hugh war ein kluger und weiser Geschäftsmann. Er hatte mit den Schotten, Engländern, Portugiesen und Spaniern einen Vertrag geschlossen. Sie durften seine fischreichen Gewässer nutzen, mussten ihm jedoch alljährliche Gebühren entrichten. Er tauschte Salz, Gewürze, feine Stoffe und Talg ein. In den tiefen Seen von Tyrconnell gab es Lachse im Überfluss, die er zu hohen Preisen verkaufte. Die Flüsse und Bäche brachten von den Quellen der Berge das Torfwasser herunter. Die goldbraune Flüssigkeit war angereichert mit Mineralien und trug dazu bei, die Haut geschmeidig und die Seele gesund zu halten. Die dichten Felle, üppigen Pelze und das wertvolle Fleisch der Tiere wurden dem nahrhaften Grünfutter und dem besonderen Wasser zugutegeschrieben. Eine kleine Siedlung stand ausserhalb von Dhun na nGall. Dort lebten die Krieger und Bediensteten mit ihren Familien.

Die Fischerhütten lagen näher an der See und somit fast beim Castle. Nachdem Red Hugh eine grosse Wiese überquert hatte, erreichte er das Caisleàn. Die massive Zugbrücke war während des Tages heruntergelassen. Die bewaffneten Wächter positionierten sich so, dass sie die Gegend gut überblicken konnten. Die Rückseite wurde vom River Eske geschützt und die hohen Burgmauern konnten deswegen nicht so leicht überwunden werden. In der Nacht patrouillierten regelmässig Wachposten. Caisleàn Dhun na nGall war die grösste und sicherste Festung auf der ganzen Insel. Vom linken äussersten Wachturm aus konnte man die ganze Bay überblicken und jede Gefahr von der See her sofort erkennen. Die graubraune Farbe der aus Kalk und Sandsteinen gemörtelten Mauern verlieh der Festung ihr imposantes Aussehen. Mit den zwei rechteckigen Türmen auf dem mehrstöckigen Haupthaus und den langgezogenen vielen Fenstern, die die hohen Räumlichkeiten erhellten, glich der Prachtbau eher einem Schloss. Deshalb auch der Name Caisleàn.

Der Stallmeister eilte zu dem ankommenden Reiter und nahm den schwarzen Rappen entgegen. Er versprach seinem Gebieter das Pferd noch ein wenig herumzuführen, es dann trocken zu reiben und es mit einer Portion Hafer zu füttern. Zum Abschied strich Red Hugh dem Hengst über die von langen, gewellten Haaren bedeckte Stirn bis hinab zu den weichen Nüstern. Mit einem leichten Anstossen und einem liebevollen Knabbern an seiner Hand bekundete das Pferd ihm seine Zuneigung. In den grossen, dunklen Augen sah man das Feuer lodern. Reiter und Pferd waren eine ungebändigte, kraftvolle Einheit, wie es kaum eine gab. Jeder, der die beiden reiten sah, blieb stehen und hielt für einen Augenblick den Atem an.

Von den Stallungen, die etwas abseits lagen, gab es einen Weg, der an den Vorratskammern und dem Ziehbrunnen vorbei direkt zum Eingang der Küche führte. In den Kochräumen gab es lange Holztische, an denen Frauen und Mädchen emsig arbeiteten. Junge Burschen brachten Wasser und trugen die schweren Körbe und Säcke herbei. Auf zwei grossen Feuerstellen standen riesige schwarze Töpfe, die mit Ketten und Haken an der Decke befestigt waren. Fladenbrote bräunten vorne auf den Rosten über der heissen Glut. Zufrieden schaute Red Hugh dem Treiben zu und nahm sich einen Apfel aus dem Weidenkorb, der neben der offenen Tür stand. Dann schlenderte er gemächlich zum gewölbten Eingang, wo eine Steintreppe in die oberen Räume führte. Im grossen Saal stand ein langer massiver Tisch, der wie die vielen Stühle aus Holz mit aufwendigen Verzierungen geschnitzt war. Die Wände und den Boden belegten wollene Teppiche in farbigen Mustern. An der längsten Wand stand ein beeindruckendes Regal aus dunklem Holz. Red Hugs Magen liess ein lautes Grummeln hören, und nachdem er den Umhang abgelegt hatte, setzte er sich an den Tisch. Ein Krug mit Wasser und ein Teller gefüllt mit Brot, Käse und Dörrfleisch war sein Frühstück. Seine Hunde, die ihm auf Schritt und Tritt gefolgt waren, lagen ausgestreckt neben dem gewaltigen Wandkamin. In den eingemauerten hellen Steinen, auf denen verschiedene Ornamente und das Wappen der O`Domhnaill eingemeisselt waren, brannte ein gemütliches Feuer. Auch wenn die Augen der Riesenhunde halb geschlossen waren, so nahmen sie wachsam jede Bewegung um sich wahr. Sie beobachteten Red Hugh beim Essen und wussten genau, dass ihr Gebieter kein Betteln duldete. Wenn es Reste gab, so wurden sie den Tieren mit den Knochen zusammen am Abend verfüttert. In Tyrconnell schätzte man den Wert der Esswaren hoch ein und es durfte nichts verschwendet werden. Die Leute, welche zu viel davon hatten, gaben es den Nachbarn. Red Hugh schob den leeren Teller gesättigt zur Seite und füllte den Becher mit Wasser auf. Er lehnte sich wohlig im Stuhl zurück, dabei streckte er seine langen Beine von sich und verschränkte seine Arme vor der Brust. So fand ihn seine Schwester, die wie ein Wirbelwind in den Raum stürmte. Nuala war eine energiegeladene junge Frau mit langen, rot gewellten Haaren. Der hübsch geflochtene Zopf schwang bei jeder Bewegung auf ihrem graziösen Rücken umher. Lachend küsste sie ihren Bruder auf die Wange und plauderte aufgeregt, während sie sich vor ihn hinkniete, um seine Lederstiefel aufzuschnüren. „Deine Schuhe müssen geputzt werden und du musst dich hübsch anziehen, wenn du deine Braut empfängst.“ Red Hugh liebte seine kleine Schwester von ganzem Herzen. Als er so auf sie herabschaute und ihr zuhörte, erinnerte sie ihn sehr an seine Mutter. Die helle Haut mit den Sommersprossen, die sich über die Nase bis hin zu den runden, rosa Wangen verteilten. Dieselben strahlenden blauen Augen und der volle üppige Mund. „Bist du auch so aufgeregt wegen der Hochzeit?“ Erwartungsvoll hob sie den Kopf und richtete den Blick auf ihren Bruder, dabei strahlte sie ihn mit leuchtenden Augen an. Red Hugh beugte sich nach vorn und strich seiner Schwester liebevoll über den Kopf, zupfte sanft an einer einzelnen wilden Locke, die sich gelöst hatte und verspielt um ihr herzförmiges Gesicht tanzte. „Ja, es wird sicher sehr schön werden und ich freue mich schon dich im neuen Kleid zu sehen. Du wirst die schönste Frau sein und Niall hat alle Hände voll zu tun, die vielen Männer von dir abzuwehren.“ In seiner Stimme schwang eine tiefe Zärtlichkeit. „Das glaube ich nicht“, meinte sie lachend, „deine Braut Ineen muss so hübsch sein, dass sie uns alle in den Schatten stellt.“ Nuala zerrte an seinen Stiefeln herum, um sie von seinen langen muskulösen Unterschenkeln zu ziehen, und Red Hugh half ihr dabei. Dann nahm er ihr Kinn in die Hand, schaute sie lange an und sprach aufrichtig und ernst: „Du wirst immer einen Platz in meinem Herzen haben. Niall und ich werden dich unser Leben lang beschützen.“ Freudentränen stiegen ihr in die Augen und sie drückte ihrem Bruder einen Kuss in die Innenfläche seiner grossen Hand. „Danke!“ Dann nahm Nuala die Stiefel unter die Arme und wirbelte singend davon. Der zurückgebliebene König rollte seine Füsse und Zehen und seufzte zufrieden. Seiner Schwester gelang es immer wieder, ihn zum Lächeln zu bringen. Die fröhliche Unbeschwertheit und das grosse mitfühlende Herz waren ihr angeboren.

Mit der Flut lief auch das Schiff ein. Die schottische Brigade wurde feierlich empfangen. Ineen war unendlich erleichtert den schwankenden Boden verlassen zu können. Ihre Haut war noch blasser als gewöhnlich. Die Braut knickste höflich vor dem König. Die grosse bedrohliche, mit dem kunstvoll verarbeiteten Schwert bewaffnete Gestalt nahm die zierliche Hand entgegen und hauchte zart einen Kuss darauf. Ineen war beeindruckt von der Erscheinung ihres zukünftigen Gatten. In den zwei Jahren, seit sie ihn zuletzt gesehen hatte, schien er noch interessanter geworden zu sein. Seine markanten Wangenknochen, die gerade, schmale Nase und die gebräunte Haut gaben ihm ein kriegerisches Aussehen. Nur in den schön geschwungenen Lippen und den goldbraunen, warmen Augen war eine Spur von Sinnlichkeit zu erkennen. Der King of Tyrconnell erhob den Kopf, warf das kupferrote Haar stolz in den Nacken und musterte die makellose Schönheit interessiert. Jede andere Frau wäre unter seinen Blicken verlegen geworden. Ineen jedoch mit ihrem angeborenen Stolz und dem Hang zur Eitelkeit genoss sichtlich die anerkennende Musterung. Ihr blondes langes Haar, verflochten mit einem Seidenband, hing ihr bis zur schlanken Taille, die das bodenlange samtene Kleid mit einer gestickten breiten Stoffbahn betonte. Ihre blauen Augen wirkten auf Red Hugh wie ein gefrorener See. Der Name Eiskönigin kam ihm in den Sinn und ein Schauder durchschüttelte das Innere seines Körpers. Er hatte gelernt seine Gefühle niemandem zu offenbaren und schenkte ihr ein Lächeln, welches seine weissen makellosen Zähne aufblitzen liess. Ineen erwiderte seinen Blick mit einem genauso strahlenden Lächeln, das allerdings fast schon gekünstelt wirkte. Nach einem kurzen Räuspern, um seine Stimme zu festigen, machte Red Hugh seine Schwester mit ihrer zukünftigen Schwägerin bekannt. Während Nuala Ineen und ihre Bedienstete zur Kutsche begleitete, begrüsste der King of Tyrconnell mit Niall Gave O`Domhnaill die drei Brüder, die ihre Schwester begleitet hatten. Die zwei bärtigen, gutgebauten Männer waren um einiges älter als Ineen, während der Dritte ein Jüngling war, dessen Flaumhaare erst zu wachsen begannen. Man spürte die Anspannung der schottischen Belegschaft, denn sie waren in der Unterzahl und dem Rivalen ausgeliefert. Red Hugh und sein Schwager genossen ihren Vorteil, liessen sich jedoch nichts anmerken. Sie fuhren mit den Gästen, die bald zur Familie gehören sollten, zum Castle. Dort zeigte man ihnen ihre Unterkünfte und führte sie danach in den Speisesaal, wo sie königlich bewirtet wurden. Nach dem Essen sassen die Männer am Tisch zusammen und sprachen über geschäftliche Angelegenheiten, während die Frauen am kleinen Wandkamin etwas abseits einen Tee zu sich nahmen. Nuala versuchte verzweifelt eine Unterhaltung mit Ineen zu führen. Sie war in der englischen Sprache nicht so geübt, umso mehr fühlte sie sich betroffen und gedemütigt von dem herablassenden Benehmen der schottischen, jungen Frau. Es stimmte sie traurig im Herzen, wenn sie daran dachte, dass ihr Bruder ein solch eingenommenes, eitles Weibsbild heiraten würde.