Trilogie der Steine - Malu Cailloux - E-Book

Trilogie der Steine E-Book

Malu Cailloux

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Beschreibung

De Magie der Steine Teil 1 Seit zehn Jahren verschwinden auf der Welt wertvolle Schmuckstücke, unter anderem auch ein besonderes Rubinherz. Keene Davis übernimmt den Auftrag, das Rätsel zu lösen. Seine Spur führt ihn in die Schweiz. Dort trifft er auf die mysteriöse Goldschmiedin Lana Belmonti. Sie und ihre Familie sind die Hauptverdächtigen. Die gefälschten Steine Teil 2 Der Cousin von Lana Belmonti übernimmt einen Job als Museumsdirektor bei Keenes Onkel, Gareth Davis, in Maine. Dabei entdeckt er zufällig, dass in Gareths Sammlung einige besondere Exemplare mit erstklassigen Duplikaten vertauscht wurden. Die Kraft der Steine Teil 3 Die endlich vereinte Familie wird auf eine harte Probe gestellt. Ein exzentrischer Sammler, Samuel Whitaker, der das Rubinherz unbedingt besitzen möchte, erpresst Gareth Davis mit allen erdenklichen Mitteln.

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Inhaltsverzeichnis

Die Magie der Steine

PROLOG

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

EPILOG

Die gefälschten Steine

PROLOG

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

EPILOG

Die Kraft der Steine

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

EPILOG

Die Magie der Steine (Teil 1)

Du wirst mehr in den Wäldern finden als in den Büchern. Die Bäume und die Steine werden dich Dinge lehren, die dir kein Mensch sagen wird.

Bernhard von Clairvaux

PROLOG

Keene Davis ließ sich mit einem wohligen Seufzer auf die Liege in seinem Garten sinken. Er war ein großer, attraktiver Mann Anfang dreißig. Auch wenn seine vitale Verfassung auf Höchstleistung getrimmt war, merkte man ihm die Anstrengung an. Sein Atem kam in schnellen, heftigen Stößen. Der tägliche Fünfkilometerlauf mit seinem Hund durch die walisische Landschaft hatte ihm gefehlt. Choclat, der braune Labrador mit der rosa Nase, lag neben ihm auf dem gepflegten Rasen. Die Zunge hing ihm hechelnd aus dem Maul und aus den goldbraunen Augen strahlte große Zufriedenheit, endlich wieder zu Hause zu sein. Hier im Osten von Wales stand auf einem abgelegenen Hügel das märchenhafte Anwesen von Keene Davis. Ein wilder walisischer Garten, gepaart mit einem Hauch englischer Perfektion, war auf der Rückseite des alten mit Efeuranken überwachsenen Steinhauses angelegt. Der Landsitz glich einem kleinen Schloss. Einst war es das Ferienhaus der Familie Davis gewesen. Nun, seit acht Jahren, war es im Besitz von Keene und zu seinem Heim geworden. Ende Juni standen die Blumen in voller Pracht. Insekten summten emsig durch den Park, um den herrlichen sonnigen Tag zum Sammeln von Nektar zu nutzen. In der Stille hörte man den Gesang einzelner Vögel, die ihre Nester in den knorrigen alten Bäumen um das Anwesen herum errichtet hatten. Weit entfernt nahm man das leise Plätschern des Springbrunnens wahr, der den Seerosenteich mit Sauerstoff versorgte. Rosa und gelbe Lotusblüten streckten sinnlich ihre Blütenkelche dem wolkenlosen Himmel entgegen. Die friedvolle Stimmung und die Wärme der Sonnenstrahlen auf der Haut ließen den jungen Mann eindösen. Das Vibrieren des Smartphones in seiner Sporthose holte ihn schließlich aus den süßen Träumen in die Wirklichkeit zurück. Noch etwas benommen setzte Keene sich auf und klaubte umständlich das Telefon hervor. Die Sonne spiegelte sich so grell auf dem Display, dass er nicht entziffern konnte, wer der Anrufer war. „Davis“, meldete er sich mit einer tiefen autoritären Stimme, die er von seinem Vater geerbt hatte. Am anderen Ende erkannte er den Anrufer sofort. Sein Patenonkel musste sich nicht einmal die Mühe geben, seinen Namen zu nennen. „Hallo Keene! Wieder zurück von deiner Schatzsuche?“ „Hallo Gareth, ja, seit gestern, und ich bin sehr zufrieden mit der Ausbeute.“ „Was verschafft mir die Ehre deines Anrufes?“ „Ich komme am Mittwoch nach London und benötige dringend deine Hilfe. Hast du Zeit für mich? Um 12 Uhr treffe ich mich zum Lunch mit deinen Eltern im Waldorf und würde mich freuen, wenn auch du dich zu uns gesellen würdest.“ Gareth Matthew Davis war der Bruder seines Vaters und lebte in dem US-Bundesstaat Maine. Wie auch Keene war er Teilhaber von Davis & Sons, dem weltbekannten Luxusuhrenhersteller. Sein Patenonkel war zuständig für Amerika und Australien, während James Adam Davis II, Keenes Vater, die Kontakte zu den Kunden in Europa, im Nahen und Mittleren Osten, bis hin zu China pflegte. Gareth besaß eine gewaltige Edelsteinsammlung. Dieses Hobby teilte er gemeinsam mit seinem Neffen. Nebenbei holten verschiedene Versicherungsgesellschaften bei Gareth Davis Expertisen über gestohlenen oder vermissten Schmuck ein, und genau in dieser Sache hoffte der Geschäftsmann, dass Keene ihm weiterhelfen konnte. Sein Patensohn war nämlich mit einer außerordentlichen Gabe zur Welt gekommen. Er besaß den siebten Sinn. Seine Intuition und sein Spürsinn hatten ihm bei seinen Ausgrabungen von Edelsteinen schon oft weitergeholfen. Sogar die CIA zeigte ein reges Interesse an Keene und wollte ihn als Agenten anwerben, doch der junge Mann hatte dankend abgelehnt. Spionage war etwas, das ihm gar nicht lag, und er liebte sein zurückgezogenes Leben mehr als alles auf der Welt. „Natürlich werde ich dort sein. Wir können dann auch meine neusten Funde begutachten.“ Nach ein paar kurzen Abschiedsworten unterbrach Keene die Verbindung und schlenderte, gefolgt von seinem Hund, ins Haus.

1.

Früh am Mittwochmorgen brachte Keene den Labrador zu Jason McMorrow, der im kleinen Haus am Ende der Einfahrt wohnte. Der Mann hatte einen außerordentlich grünen Daumen und schnitt die Koniferen auf dem Anwesen jedes Jahr perfekt in Form. Wenn Keene Choclat nicht mitnehmen konnte, brachte er den Hund zu seinem Nachbarn und Freund. Dort liebte es der Labrador, mit der Golden-Retriever-Hündin Gypsy herumzutollen. Die beiden begleiteten Jason auf seinen Ausritten, denn der Mann kümmerte sich zusätzlich auch um den kleinen Pferdebetrieb, der zum Anwesen gehörte. Die Stallungen und Koppeln lagen im Tal, hinter den bewaldeten Hügeln. Der kleine Gutshof beschäftigte noch weitere drei Arbeiter und beherbergte vier prachtvolle Pferde. Keene war ein sehr guter Reiter. Schon als kleiner Junge hatte ihn der Großvater mit dem Sattel vertraut gemacht. Gelegentlich nahm er sich Zeit, um die Pferde zu reiten und genoss es, im Galopp durch die Landschaft zu preschen.

Pünktlich um neun Uhr landete der private Helikopter am Ende der großen Rasenfläche und flog Keene zum Gatwick Airport in London. Dies war ein Luxus, den er sich gönnte. Am Flughafen mietete sich der junge Mann ein Taxi. Die zwanzig Kilometer in die Innenstadt waren kurz und stressfrei. So fand Keene genügend Zeit, um seine Mutter zu besuchen. Charlotte Sophie Davis-Walsh besaß in der City ein bekanntes Juweliergeschäft. Der Name „Charlottes Special Jewellery“ genoss in den adeligen Kreisen der Londoner Society einen sehr guten Ruf. Als Keene das Geschäft in bester Laune betrat, wurde er mit einem strahlenden Lächeln begrüßt. Seine Mutter liebte es, wenn sie anwesend war, die Kunden selber zu bedienen. Entschlossen sich ganz ihrem Sohn zu widmen, winkte sie eine Angestellte herbei und entschuldigte sich bei dem älteren Ehepaar mit ein paar höflichen Worten. Zielstrebig eilte die hochgewachsene schlanke Frau auf Keene zu und ließ sich von ihm herzlich in die Arme schließen. Die perfekte weiße Leinenhose und die grüne Seidenbluse hoben sie von den Angestellten ab, die konservative dunkelblaue Anzüge trugen. Charlottes dunkelblondes Haar war mit einer edelsteinbesetzten Spange hochgesteckt und in ihrem Blick erschien ein Leuchten. „Darling, schön dich zu sehen.“ Charlotte musterte Keene voller Stolz. Mit seinem schwarzen Anzug, der violetten Krawatte, die zu seinen Augen passte, und dem leicht gewellten Haar, das er gepflegt aus der hohen Stirn nach hinten frisiert hatte, ließ er so manche Frauenherzen höherschlagen. Nach einem sanften Kuss auf die Wange der Frau, die ihn geboren, aufgezogen und von ganzem Herzen liebte, ließ er sich durch das Geschäft führen. „Ich muss dir unbedingt meine neuste Errungenschaft zeigen.“ In einer gläsernen Vitrine am Ende des Raumes lag auf dunkelviolettem Samt eine Brosche. Beim Anblick dieses Schmuckstückes verspürte Keene einen gewaltigen Energiestrom. Seine Augenfarbe verfärbte sich um die Iris herum noch dunkler und der Glanz wurde noch intensiver. Manche Menschen verglichen Keenes Augen mit einem Amethyst, was nicht so weit hergeholt war. Wenn er ein Mädchen geworden wäre, so hätte er den Namen Violett Victoria erhalten. Seine Mutter beobachtete ihn amüsiert und ließ ihm Zeit, sich an dem wunderschönen regenbogenfarbigen Mondstein zu ergötzen. Auch ihr hatte es beim Anblick dieser Brosche die Sprache verschlagen. „Und, was meinst du zu diesem Bijou. Ich musste es einfach haben.“ „Gewaltig“, äußerte sich Keene mit einer rauen tiefen Stimme, die zu vibrieren schien. „So etwas habe ich bisher noch nie gesehen und die Verarbeitung der Brosche ist einfach phänomenal. Wo hast du sie gekauft und wer hat sie hergestellt?“ Auch Charlottes dunkelblaue Augen glänzten und sie konnte sich ein verschmitztes Lächeln nicht verkneifen, als sie antwortete: „Ich wusste, das Stück würde dir gefallen. In New York an der Kunstmesse habe ich eine alte Bekannte getroffen. Margot Stauffer besitzt selber ein Juweliergeschäft in Zürich und wir kennen uns schon seit etlichen Jahren. Dieses Bijou hat sie extra anfertigen lassen. Sie arbeitet mit einer jungen Goldschmiedin zusammen, die ein unwahrscheinliches Talent zu besitzen scheint. Den Namen wollte sie mir nicht verraten. Ich war froh, dass sie nach drei Tagen intensivem Beharren meinerseits, mir die Brosche endlich verkauft hat.“ „Mom“, meinte Keene immer noch bis ins Tiefste berührt, „du darfst dieses Stück auf keinen Fall aus den Händen geben. Wenn, dann werde ich dir dieses Schmuckstück abkaufen. Bitte bewahre diese Brosche für mich auf.“ Charlotte kannte ihren Sohn nur allzu gut und wusste, diese Gemütserregung ernst zu nehmen. Wenn Keene sich einmal festgebissen hatte, so würde er niemals lockerlassen und als Experte für Edelsteine wusste er genau, wie viel Wert dieses Schmuckstück besaß. Aber nicht nur am Wert war ihm gelegen. Die mystische pure Reinheit des Steines hatte ihn mitten ins Herz getroffen. Dieser sehr alte Stein war von einer hohen geistigen Bedeutung. In der indischen Kultur schmückten Mondsteine die Schnitzereien an den Tempeltüren, als Symbol des Verschmelzens des männlichen mit dem weiblichen Aspekt. Yin und Yang nennen es die Chinesen. Der Mondstein wirkt beruhigend und ausgleichend, fördert die Intuition, als das innere Wachstum der menschlichen Seele. Vor Energie sprühend, wandte sich Keene von der Brosche ab und versuchte, seine innere Gefühlswallung zu harmonisieren. Er legte seiner Mutter die Hände auf die Schulter und zog die zierliche Frauengestalt in eine Umarmung. Ein ehrfürchtiger Kuss auf ihre Stirn sagte alles und das Funkeln in seinen Augen drückte Dankbarkeit aus. Der Anblick war die reinste Wonne für das pulsierende Mutterherz.

Später, als die Familie Davis an einem Ecktisch im Waldorf saß und speiste, schweiften Keenes Gedanken wieder zu diesem Mondstein, der ihn so faszinierte. Sein Vater lachte gerade mit seiner tiefen sonoren Stimme und holte seinen Sohn aus den weitschweifenden Träumereien. James Adam Davis teilte sein Aussehen mit seinem Sohn. In seinen blauen Augen jedoch erkannte man die typische Herkunft der Familie Davis. James, der erstgeborene Sohn, war ein kluger gerissener Geschäftsmann und führte das Unternehmen mit eiserner Hand. Charlotte begleitete ihren Gatten auf seinen Geschäftsreisen, denn er wollte seiner Frau, die er verehrte, nicht so lange fernbleiben. Noch heute, nach über dreißig Jahren Ehe, gaben die beiden ihre Zuneigung mit kleinen Gesten kund. Ein zärtlicher Handkuss, ein sanftes Streicheln über die Wange und verliebte Blicke, mit denen sie sich bedachten. James wiederholte die Frage an seinen Sohn noch einmal und klopfte ihm verständnisvoll auf die Schultern: „Passt dir das Datum für das gemeinsame Geschäftsmeeting?“ Keene, aus seinen Gedanken gerissen, antwortete nach einem kurzen Räuspern: „Natürlich werde ich bei der Sitzung dabei sein. Mail mir einfach das Datum und die Themen, die wir dann besprechen werden.“ Der geschäftliche Teil wurde nur kurz angeschnitten, denn wenn sein Patenonkel die Familie zum Essen einlud, blieben die Gespräche sehr amüsant und locker. In der Familie Davis, sowie bei der Familie Walsh, auf der Seite seiner Mutter, herrschte eine humorvolle, freundschaftliche Verbundenheit, mit der Keene aufgewachsen war und die ihn geprägt hatte. Später, als er mit seinem Onkel in dessen Suite weilte, erklärte ihm Gareth sein momentanes Problem. „Seit etwa zehn Jahren wird regelmäßig teurer Schmuck entwendet. Die Beute wurde bis anhin nie auf dem Schwarzmarkt verkauft, noch sonst irgendwo gesichtet.

Wir haben im Untergrund bestimmte Spitzel engagiert, die uns über das angebotene Diebesgut auf dem Laufenden halten. Die Versicherungsgesellschaften zeigen sich beunruhigt, da die Gauner in den letzten Jahren immer gewagter vorgingen und ihre weltweiten Diebstähle verdoppelten. Bei der letzten Zusammenkunft haben wir das gesamte Material zusammengetragen und die Polizeiakten nochmals durchgesehen. Per Zufall entdeckten wir drei verdächtige Personen, die jedoch nicht identifiziert werden konnten. Eine Frau und zwei Männer, meist gut getarnt, sind uns dabei aufgefallen. Interpol sind die drei Verbrecher bisher unbekannt und da sie ihr Unwesen weltweit treiben, wissen wir nicht, wo die Bande sich im Moment aufhält. Hier, in diesem Ordner findest du Fotos von all den gestohlenen Schmuckstücken. Der Wert, mit dem sie versichert waren, steht auf der Rückseite. Über die Vorgehensweise der Entwendung kann nur spekuliert werden. Die Versicherungsgesellschaften und die Polizei stehen vor einem unlösbaren Rätsel. Ich habe vorgeschlagen, dich einzubeziehen, was auf große Zustimmung gestoßen ist. Wenn du einverstanden bist, werden alle Aufnahmen der vorhandenen Kameras, die bei den Tatorten sichergestellt wurden, mit Datum und Beschreibung der Schmuckstücke, verschlüsselt auf deinen Computer gemailt.“ Keene konnte der Herausforderung nicht widerstehen und willigte ein. „Versuch herauszufinden, wer dahintersteckt und was mit der gestohlenen Ware passiert ist. Wenn dir das gelingt, lässt die Versicherung eine gewaltige Summe auf dein Konto überweisen. Du kannst damit dein teures Hobby finanzieren und dich in jungen Jahren zur Ruhe setzen.“ Gareth gab ein rumpliges Lachen von sich, denn er verstand seinen Neffen nur allzu gut. Seine eigene Edelsteinsammlung war wirklich erlesen, doch die Fundstücke hatte er nicht selbst aus der Erde geholt. Die körperliche Arbeit überließ der ältere Mann den Experten. Stolz zeigte Keene seinem Patenonkel seine neusten Errungenschaften, die er in einem kleinen Koffer mitgebracht hatte. Die exquisiten Bernsteine, die er an den Küsten der Ostsee mit seinen außerordentlichen Fähigkeiten gefunden hatte, waren eine Augenweide für jeden Liebhaber und Sammler. Der beliebte Bernstein war so gesehen kein echter Stein, sondern versteinertes Fichtenharz. Das Holz des Bernsteinbaumes wurde im Laufe der ungefähr 25 Jahrmillionen zu Kohle, sein Harz durch Alter und Hitze zu Bernstein. Der Volksmund sagt: Drei Bernsteinstücke stets am Körper getragen, schützen den Träger vor Gicht und Rheuma und helfen, Schmerzen zu lindern. Der sonnengoldene Bernstein wird in der Meditation verwendet, um der Seele auf ihrem Weg zur Erleuchtung behilflich zu sein. Er soll das innere Sehvermögen stärken und verschaffe seelisches Wohlbefinden. Die helleren Goldtöne des Bernsteins wirken mehr auf der seelischen Ebene, die dunkleren rötlichen Farben hingegen helfen mehr auf körperlicher Ebene. Bei Kleinkindern, die vom Zahnen geplagt werden, legt man seit jeher eine Bernsteinkette um das Handgelenk oder lässt sie eine Halskette tragen. Die Wirkung sei außerordentlich heilsam. Gareth bewunderte den Schatz seines Patensohnes und die zwei verloren sich noch ein wenig in der Philosophie über die Steine, bevor Keene wieder den Heimweg antrat. Es wurde bereits dunkel, als der Helikopter in Wales landete.

Nach einer erfrischenden Dusche marschierte Keene zu Jason, um Choclat abzuholen. Es tat gut, sich ein wenig die Beine zu vertreten und auch ein paar Worte mit seinem Freund zu wechseln. Die beiden kannten sich schon sehr lange. Jason hatte seine Ausbildung im Militär als Berufssoldat absolviert. Später jedoch trat er nach einer Verletzung aus dem Dienst aus und nahm den Job bei der Familie Davis an. Auch wenn der Altersunterschied der beiden Männer mehr als acht Jahre betrug, waren sie mit Geist und Seele auf gleicher Ebene.

Als Keene vor nicht allzu langer Zeit nach Brasilien reiste, um nach Amethysten zu suchen, wurde er von Jason begleitet. Das Abenteuer in Rio Grande do Sul würden die beiden ihr Leben lang nicht vergessen. Der Amethyst, eine violette Varietät des Minerals Quarz, wird in hydrothermalen Adern und in vulkanischen Gesteinen gefunden. Insider schreiben dem Stein reinigende, inspirierende Erkenntnisse zu. Rio Grande do Sul liegt im Süden von Brasilien und grenzt an Uruguay. In der tropischen Dschungelgegend, von Canyons und Wasserfällen umgeben, suchten sie mit einem hervorragenden Führer nach den begehrten Steinen. Das feuchtheiße Klima war eine Herausforderung und das Arbeiten in den drei Monaten brachte die Männer an ihre physischen und psychischen Grenzen. Zu all den Strapazen mussten sie noch das kriminelle Gesindel von ihrem Lager fernhalten. Jason, mit seiner militärisch strategischen Ausbildung, war Keene eine sehr große Unterstützung gewesen. Ohne den langjährigen kompetenten Führer und seine einheimischen Helfer wäre das Unterfangen unmöglich gewesen. Auf jeden Fall brachten sie einige wunderbare Schmuckstücke ans Licht. Wegen eines heftigen Tropensturms, der Erdrutsche auslöste, saßen sie einige Wochen in einem kleinen Dorf fest, wo Jason seine Frau Luciana kennenlernte. Keene, als stolzer Besitzer von drei wunderbaren Amethysten, und Jason, verheiratet mit einer bildschönen Brasilianerin, kehrten nach einem echt turbulenten Abenteuer wieder nach Wales zurück. Noch heute schätzten die beiden den ruhigen Ort und die Schönheit der Natur in ihrer Heimat. Es war bereits nach Mitternacht, als sich Keene von seinen Freunden verabschiedete. Luciana, die dunkelhäutige zierliche Brasilianerin mit den schwarzen langen Haaren und dem steten Lächeln im Gesicht, stand neben ihrem Ehemann an der Tür Jason, groß und imposant, lehnte sich lässig an den Rahmen. Stolz lag in seinen Augen, als er die Arme um seine Frau legte und seine große Hand ihren gewölbten Bauch sanft streichelte. Bald würden sie Nachwuchs bekommen. Wer hätte geglaubt, dass Jason mit beinahe vierzig Jahren noch Vater würde. Keene wurde als Patenonkel ausgesucht und im Stillen fragte er sich manchmal, wie das kleine Kind wohl aussehen würde.

2.

Nachdem Keene wieder einmal so richtig lange ausgeschlafen hatte, zog er seine alte ausgetragene Jogginghose an und während er vor dem Haus seine Dehnübungen machte, rannte Choclat bellend um ihn herum. Die Begeisterung, einen Fünfkilometerlauf mitzurennen, brachte den Labrador stets komplett aus dem Häuschen. Der Himmel war bedeckt und Wind kam auf. Am Abend würde ein Sturm die Insel erreichen und die nächsten Tage Regen mit sich bringen. So genossen sie das Laufen durch die wilde Natur und die hügeligen Waldabschnitte in schnellem regelmäßigem Tempo. Beinahe wieder zuhause, entleerte sich eine düstere Wolke. Mann und Hund mussten sich zuerst trockenreiben, bevor sie in der Küche hungrig nach etwas Essbarem Ausschau halten konnten. Choclat bekam eine halbe Portion Kibble und frisches Wasser. Geräuschvoll machte der Hund sich darüber her. Keene trank den Orangensaft direkt aus der Flasche, die er aus dem Kühlschrank genommen hatte. Auf der granitblauen gesprenkelten Ablagefläche entdeckte er eine gläserne Auflaufform mit Maisgratin. Luciana McMorrow, die einmal pro Woche bei Keene sauber machte, besaß ein großes Herz. Sie kochte oft zu viel, meinte sie jeweils lächelnd. Dass die Brasilianerin das mit Absicht tat, war anzunehmen, denn ihr Mitleid mit dem Junggesellen war ihr ins Gesicht geschrieben und brachte Keene oft zum Schmunzeln. Hungrig machte sich der junge Mann wenig später über das aufgewärmte Essen her. Danach wollte er sich im Arbeitszimmer mit den Dokumenten der Versicherung beschäftigen. Während er den Computer startete, legte draußen der Wind an Stärke zu. Den ganzen Nachmittag studierte er die Berichte, machte sich Notizen und als der Himmel sich am späten Nachmittag verdunkelte, musste er sogar die Schreibtischlampe einschalten. Choclat, der auf dem Teppich laut geschnarcht hatte, stand auf, gähnte und lief winselnd an die Tür. Keene ließ den Hund raus. Dabei hätte ihm beinahe eine starke Windböe die massive hölzerne Eingangstür vor der Nase zugeschlagen. Seine schnelle Reaktion kam ihm zugute und mit eisernem Griff hielt er die geschwungene Messingklinke fest. Der Labrador hob sein Bein am erstbesten Gebüsch und kam sofort wieder zurück. Eine Stunde später wärmte sich Keene eine Suppe auf und aß vom frischen Fladenbrot, das Luciana selbst gebacken hatte. Auch Choclat bekam seine zweite und letzte Ration Kibble des Tages. Mit einem heißen Minze-Tee machte sich Keene wenig später wieder an die Arbeit. Bis in die frühen Morgenstunden las er die Berichte, studierte Daten und Besitzer der entwendeten Schmuckgegenstände. Auch verglich er die verschiedenen Orte auf der Welt, wo die Taten stattgefunden hatten. Doch keine der Fakten zeigten irgendwelche Gemeinsamkeiten. Am Schluss schwirrte ihm der Kopf so doll, dass er den Überblick komplett verlor. Der orkanartige Sturm, welcher die Westküste heimsuchte, und der peitschende Regen, der gegen die Fenster prasselte, ließen seine Stimmung noch tiefer sinken. Erschöpft sank er auf das große Bett im ersten Stock und schlief sofort ein. Nach knapp drei Stunden Schlaf weckte ihn ein lautes Donnergrollen. Es folgte ein grelles Blitzgewitter. Choclat, aufgeschreckt, sprang winselnd auf das Bett und zitterte am ganzen Körper. Normalerweise schlief der Hund in der Ecke des großen Schlafzimmers auf seinem Hundebett. Keene streichelte dem verängstigten Labrador über das braune Fell und sprach beruhigend auf ihn ein. Nicht, dass Choclat ein Angsthase gewesen wäre, Helikopter fliegen, Segelboot fahren, Hängebrücken überqueren und Schwimmen liebte der Kerl, doch Gewitter hatten für ihn etwas Bedrohliches und er wurde jedes Mal wieder zu einem hilflosen winselnden Welpen.

Draußen war es noch dunkel, während Keene aufstand, weil er einfach keinen Schlaf mehr finden konnte. Der Sturm tobte erbarmungslos weiter. Dieses Mal begleitete er seinen Hund mit der Regenjacke in den Garten, wo Choclat in die Büsche verschwand, um sich zu versäubern. Ein wenig frische Luft einatmen tat gut. Die Temperatur war stark gesunken. Das warme Klima, das sich im Atlantik mit der Kaltfront vermischt hatte, war der Auslöser dieses orkanartigen Tiefs, das sich nur langsam gegen Osten fortbewegte. Wahrscheinlich würde sich auch dieser Tag regnerisch und trostlos zeigen. Keene brühte sich eine Tasse Kaffee auf und lehnte sich in seinem Ledersessel bequem zurück. Auf dem Schoß befand sich der Ordner mit den Fotos, die ihm Gareth mitgegeben hatte. Der Bericht begann mit den neusten gestohlenen Schmuckstücken. Letztes Jahr waren es drei an der Zahl. Ein Rubinring aus Weißgold, verziert mit sechs kleinen Diamanten, wurde im Juni in Moskau entwendet. Die Besitzerin, die Frau des russischen Botschafters in Deutschland, hatte eine privat arrangierte Vorführung des Staatszirkus für die obere Gesellschaftsschicht besucht. Der Diebstahl wurde erst am nächsten Tag bemerkt, da man in den abendlichen Schlummertrunk des Ehepaares ein Schlafmittel gemischt hatte. Der Einbrecher war durch die Lüftungsschächte des Hotels in die Suite eingedrungen. Man nahm an, dass derjenige klein und sehr schlank gewesen sein musste. Er hinterließ weder Spuren noch Fingerabdrücke. Die Versicherung zahlte dem verärgerten Paar eine halbe Million Euro. Kaum drei Monate später verschwand eine goldene Halskette im Wert von einer Million Dollar in einem Luxushotel in Dallas während einer rauschenden Party. Die dazu passenden Smaragdohrringe wurden der Dame auch noch abgenommen. Wie es dazu kam, wusste die holde Lady nicht mehr, da sie zu viel getrunken hatte. Keene schüttelte den Kopf bei dem abstrusen Gedanken und musste zugeben, dass die Aussage der Ehefrau des Ölmagnaten von Texas etwas suspekt klang. Beiliegend fand er einen kurzen zusätzlichen Bericht, der aber nicht für den Ehemann bestimmt war. Die viel jüngere Gattin erklärte einige Tage später dem Ermittler unter vier Augen: „Ich habe an diesem Abend einen Seitensprung mit einem Unbekannten begangen.“ Die Ehefrau sagte zusätzlich, dass dies das erstes Mal gewesen sei und sie ihre Schwäche zutiefst bedauere. Nachdem Keene das Bild der texanischen jungen Frau gegoogelt hatte, kam er zu der Einsicht, dass der Lebenswandel dieser betrügerischen Gattin nur so von Fremdgängen gezeichnet war. Doch der über sechzigjährige Ölmagnat ließ sich dummerweise an der Nase herumführen und glaubte die Geschichte seiner Frau. „Es ist nicht das erste Mal, dass meine liebe Franca zu sehr ins Glas geschaut hat“, war sein Kommentar dazu. Der Raub schmerzte ihn ja kaum, da die Versicherung nach Ablauffrist das Geld umgehend ausbezahlte. Angeekelt von der Gleichgültigkeit und dem unseriösen Lebensstil der Superreichen, welche den Wert eines wunderbaren Schmucksteines nicht zu schätzen wussten, legte Keene mit einem unterdrückten Seufzer den Ordner zur Seite. Inzwischen war die Morgendämmerung hereingebrochen. Auch wenn der Regen nachgelassen hatte, so trieb der Wind noch immer sein Unwesen und fegte in mörderischer Geschwindigkeit durch die Gegend. Der Himmel grau und verhangen machte den Tag noch trister. Nach einem vitaminreichen, üppigen Frühstück setzte sich Keene wieder an den Schreibtisch. Diesmal studierte er nur die professionellen Fotos der Schmuckstücke im Ordner. Die meisten davon, das musste er bedauerlicherweise erkennen, waren nur protzig. Die Art der Verarbeitung war ihm zu geschmacklos. Auch wenn die berühmten Goldschmiede, deren Namen ihm nicht fremd waren, eine herbe Enttäuschung bei ihm hinterließen. Wie konnte man nur solch wertvolle, seltene Steine so lieblos verarbeiten? Diese Tatsache war ihm schon früher bitter aufgestoßen. Klar war dies Ansichtssache, doch bisher konnte er sich stets auf seinen guten Geschmack verlassen. Keene bevorzugte, ohne Ausnahme, alle seine Edelsteine in einem ungeschliffenen rohen Zustand in seine Vitrinen zu stellen.

Natürlich hatte er Stunden damit verbracht, sie zu säubern und zu polieren. Diese Arbeit wollte er nicht missen. Die Ausstrahlung und Eigenschaften jedes einzelnen Steines hinterließen bei ihm eine Zufriedenheit und Erfüllung, die ihm bis anhin niemand geben konnte. Welche Art von Stein Keene auch in den Händen hielt, so spürte er danach noch Tage später die Energie in seinem Körper zirkulieren. An seinen Fingern trug er mehrere breite Ringe besetzt mit je einem Edelstein, die er selbst geschliffen hatte. Die Arbeit hatte ihm Spaß gemacht. Die ovale Form und die einfache Fassung gefielen ihm. Keene wechselte je nach Gemütszustand seine vielfältigen selbst gemachten Armbänder aus. Die ungeschliffenen Steine waren auf einer Seiden- oder Lederschnur aufgezogen und mit einem magnetischen Verschluss versehen. So wirkte der Schmuck einfach, schlicht und männlich. Am linken Handgelenk trug er die neuste Davis-Uhr. Die Luxusmarke hatte eine limitierte Ausführung aus Gold hergestellt und das Zifferblatt rundherum mit kleinen Diamanten besetzt. Schließlich sagte er sich, dass es als Teilhaber des Familienunternehmens nötig war, ein wenig Werbung zu betreiben und gratis als Testperson für die neusten Modelle zu fungieren. Sein luxuriöses Leben hatte er ausschließlich der Uhrenbranche zu verdanken. Keene James Davis III war im großen Ganzen ein zufriedener, optimistischer Mann, der mit sich und der Welt im Einklang weilte. Doch die Aufgabe, die ihn gerade beschäftigte, löste in ihm ein eigenartiges Prickeln aus. Diese mysteriöse Geschichte zog ihn in ihren Bann und erweckte in ihm eine unbeschreibliche Urkraft, die ihn sonst nur beim Ausgraben der Bodenschätze überkam.

Während Keene mit großem Interesse die Fotos der extravaganten Schmuckstücke durchblätterte, erreichte er das Jahr, als zum ersten Mal einer dieser Fälle bekannt wurde. Beim Anblick des Fotos verschlug es dem jungen Mann beinahe den Atem. Der regenbogenfarbige Mondstein in dem wunderschönen Amulett, das in Dubai einem Scheich – besser gesagt seiner Ehefrau – vor zehn Jahren gestohlen worden war, kam ihm allzu bekannt vor. Wie alle anderen Schmuckgegenstände war dieses Amulett bisher nirgendwo aufgetaucht. Gedankenverloren las er den Bericht. Der Scheich Abi Abdul Haman äußerte sich zornig bei der Befragung: „Die Verbrecher werden von Allah bestraft werden für ihre schändliche Tat.“ Seine fünfte Frau, die er im Alter von sechzehn Jahren kürzlich geheiratet hatte, war die jüngste aus seinem Harem und hatte ihm gerade einen Sohn geboren. Keene wollte gar nicht wissen, wie viele Kinder der Scheich bereits gezeugt hatte. Wahrscheinlich waren einige schon weit über das Alter der derzeitigen Frau heraus. Seinen Ekel darüber musste er verärgert herunterschlucken. In arabischen Ländern verhieß der Mondstein Kindersegen. Er sollte nicht von verschiedenen Menschen getragen werden, da sich der Stein den Gefühlen des Besitzers anpasst. Dieses Amulett jedoch hatte bei jeder Heirat des Scheichs zur nächsten Frau gewechselt. Dem Symbol der weiblichen und männlichen Verschmelzung wurde in Asien und dem ganzen Orient sehr hohe Achtung geschenkt. Da der Mondstein dem Mond und damit besonders dem weiblichen Aspekt unseres Gefühlslebens sehr verbunden ist, fördert er die träumerisch kreative Seite eines weiblichen Wesens. Eine gewaltige magnetische Energieströmung ließ den Körper von Keene erschauern. Seine plötzliche Intuition sagte ihm, dass dieses Amulett mit Gewissheit von einer Frau gestohlen worden war. Es musste reiner Zufall sein, dass dieser einzigartige regenbogenfarbige Mondstein gerade jetzt wieder auftauchte, nämlich verarbeitet zu einer wunderschönen Brosche. Dieses Schmuckstück weilte derzeit im Besitz seiner Mutter. Keene verspürte einen unwiderstehlichen Drang, diese Brosche sein Eigentum zu nennen.

Vielleicht würde es ihm helfen, damit die Diebe ausfindig zu machen. Der Plan, der sich in seinem Kopf allmählich entwickelte, erfüllte ihn mit Genugtuung. Noch nie zuvor war er von einer Sache so besessen gewesen und allmählich, so gestand er sich ein, schien ihn diese Aufgabe völlig zu faszinieren. Wer war diese mysteriöse Frau, die das Amulett gestohlen hatte, und wer waren die Komplizen, die ihr dabei halfen?

3.

Von einer alten Stadtbergvilla, deren Mauern hinter den dicht bewachsenen grünen Kletterpflanzen kaum mehr zu erkennen waren, konnte man direkt auf den Zürichsee blicken. Die Sonne spiegelte sich auf dem unergründlichen Grün des Wassers und die Wellen, die sich träge ans Ufer bewegten, wurden an den Spitzen mit kleinen Schaumkronen überdeckt. In der Nacht hatte ein Ausläufer des Sturms auch die Schweiz erreicht. Doch die Alpen hielten den größten Teil des Unwetters ab. Der Regen entlud sich sintflutartig über das kleine Land. Nach einer turbulenten Nacht war der Himmel nun klar und wolkenlos. Der Wind hatte nachgelassen und die Wolken vertrieben. Die Sonnenstrahlen zogen die Feuchtigkeit wie nebelhafte Geistergestalten aus der Erde und während die Gebilde in die Luft stiegen, lösten sie sich vor dem Auge des Betrachters auf. Zuoberst im Dachfirst des einst herrschaftlichen Anwesens, das von alten knorrigen Bäumen umgeben war, arbeitete eine junge Frau. Ihre langen schwarzen Haare, zu einem losen Pferdeschwanz gebunden, fielen ihr auf den Rücken. Den Kopf hielt sie konzentriert vornübergebeugt. Die kleine antike Schleifmaschine drehte sich und gab einen etwas kreischenden schrillen Ton von sich, welche an eine Zahnbehandlung erinnerte und bei manchen Menschen einen Knoten im Magen auslöst. Doch die schlanken langen Finger ignorierten den Krach und schliffen gekonnt den gelben Zitrin, der an einem Kitt-Holz befestigt war. Die Goldschmiedin wusste, dass sie mit einem Treppenschliff dem naturreinen gelben Stein die Krone der Perfektion aufsetzte. Die rechtwinklige, in die Länge gezogene Art des Schleifens wurde oft bei einem Ring eingesetzt. Das Schleifgerät verstummte. Die Künstlerin schob die abgewetzte Brille auf den Kopf. Kritisch musterte sie den nun fertiggestellten Stein und hielt ihn hoch. Die Sonne brach das gleißende goldene Licht in einer solchen Stärke, dass sogar die Künstlerin vom Schein geblendet war. Zufrieden begannen ihre Nervenenden zu summen und eine unglaubliche Zärtlichkeit breitete sich in ihrem Körper aus. Aus dem Solarplexus strahlte ein helles Licht, das ihre so empfindsame Seele wie eine Verdurstende aufsog. Nach einer solch gelungenen Arbeit erfüllte die Künstlerin eine tiefe Zufriedenheit und das enorme Kraftfeld gab ihr Sicherheit und Zuversicht. In ihrer lebhaften Fantasie sah sie den Ring schon fertig vor sich, in eine Fassung von Rotgold gebettet. Lana Belmonti war eine sehr hübsche, in sich gekehrte junge Frau. Eine Rarität in ihrem Metier. Ihre Talente waren bisher der Welt verborgen geblieben. Seit über zehn Jahren übte sie nun diesen Beruf aus und sie verbesserte sich von Jahr zu Jahr. Ihre Fähigkeit, die bisher im Stillen geschlummert hatte, begann Form anzunehmen. All die berühmten Goldschmiede würden, wenn sie diese perfekten Schmuckstücke sehen könnten, vor Neid erblassen. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht polierte Lana den Zitrin und legte den Stein ehrfürchtig in eine kleine Schachtel, die mit dunkelgrünem Samt ausgekleidet war. Ein wenig sportliche Betätigung nach der stundenlangen Feinarbeit würde ihr jetzt guttun. Sie streckte ihre angespannten Glieder und zog das knielange abgenutzte Herrenhemd aus. Neben der Tür stand ein freistehender Kleiderständer, an den sie die Arbeitskleidung hängte. Dann strich sie über die verwaschenen Jeans, um den Feinstaub zu entfernen, bevor sie in ihre kurze blaue Lederjacke schlüpfte. Vom Dachgeschoss musste sie drei Etagen hinuntersteigen. Der alte klapprige Lift hatte schon seit einigen Jahren den Geist aufgegeben und so benutzte sie die Treppe, deren abgewetzte Stufen bei jedem Schritt ein leises Knarren von sich gaben. Draußen, vor der imposanten verschnörkelten Eingangstür, die den Glanz vergangener Zeiten schon lange verloren hatte, trat sie zu ihrem Mountainbike, das an der von Efeu bewachsenen Mauer lehnte. Die Luft, noch kühl von dem gestrigen Gewitter, ließ sie frösteln.

Lana löste das Band aus ihren Haaren und steckte es in die vordere Tasche der engen Jeans, zum Schlüsselbund, der unter der kleinen Ausbuchtung zu erkennen war. Die lange Bluse, die unter der Lederjacke hervorlugte, verdeckte dies jedoch.

Das mörderische Tempo, das sie bei der Fahrt den Berg hinunter erreichte, fühlte sich gut und befreiend an. Sie liebte den Wind, der ihr ins Gesicht peitschte und die langen Haare wild herumwirbelte. Zum Bellevue und zur Seepromenade brauchte sie nur zehn Minuten. Dann überholte sie zickzackartig den Verkehrsstau über die Quaibrücke, wo die Limmat aus dem Zürichsee floss. Zielstrebig erreichte die Radlerin die Bahnhofstraße. Nach dem dritten Gebäude auf der rechten Seite parkte sie das Bike an eine Mauer und schloss es vorsichtshalber ab. Das Ziel war ein verschnörkelter Prachtbau, der eines der vielen alteingesessenen Geschäfte der Bahnhofstraße beherbergte. An der Tür prangte ein Schild mit der goldenen Anschrift „Stauffer Juwelier“ und darunter konnte der Kunde kleingedruckt die Öffnungszeiten lesen. Als Lana den Laden betrat, klingelte eine helle Glocke über der Tür und kündigte ihren Besuch an. Schon als kleines Mädchen hatte sie dieses Geschäft geliebt. Die Edelsteine, eine faszinierende Materie, hatten sie schon immer magisch angezogen. Seit dem fünften Lebensjahr durfte sie ihre Mutter zur Arbeit begleiten. Am Anfang reinigte Frau Belmonti täglich das Geschäft und später, als sie ein paar Kurse in Edelsteinkunde belegt hatte, durfte sie sogar einige Stunden in der Woche als Schmuckverkäuferin tätig sein. Lanas Gedanken schweiften in die Vergangenheit. Zu dieser Zeit war ihr Familienleben noch intakt gewesen. Im Alter von zehn Jahren begannen sich ihre Eltern aber immer heftiger zu streiten. Dazumal verstand sie den Grund dafür nicht, doch später, als ihre Mutter sie schließlich verlassen hatte, wurde ihr so einiges klar. Ihr Vater verdiente als Serviceangestellter bei einer Pizzeria, die in einer Seitengasse an die Bahnhofstraße grenzte, nicht gerade ein Vermögen. Deshalb musste seine Frau auch zum Unterhalt beisteuern. Melanie Belmonti bevorzugte schicke Kleider und einen wöchentlichen Besuch beim Frisör und bei der Kosmetikerin für eine Maniküre. Die Familie lebte zuletzt mit einem Schuldenberg und am Rande des Existenzminimums. Jeder der Ehepartner gab dem anderen die Schuld und das Ganze eskalierte. Melanie packte ihre eleganten Kleider in einen Koffer und war auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Nicht, dass Lana ihre Mutter sehr vermisst hätte, ihr Vater war immer der liebende Pol der Familie gewesen und hatte seine wenige Freizeit stets mit der Tochter verbracht. Zusammen hatten sie reihenweise Bücher über Edelsteine und Schmuckstücke verschlungen, die sie sich aus der Bibliothek ausgeliehen hatten. Frederico Belmonti teilte die Vorliebe seiner Tochter für Steine. Gemeinsam träumten sie von einem besseren Leben. Sie hofften, eines Tages den Geldproblemen entrinnen zu können. Frederico hatte noch einen Zwillingsbruder, Armando. Die beiden Brüder waren grundverschieden. Der eine war ein redegewandter Kerl, der wusste, wie man sich durch das Leben mogelte, während Frederico eine sensible schwermütige Ader besaß. Als dieser zuerst seine Frau, danach noch seinen Job verloren hatte, stürzte sein Leben gänzlich zusammen. Margot Stauffer, die Inhaberin des Juweliergeschäftes, nahm sich, in der schwierigen Zeit, seiner Tochter an. Als die kleine rundliche Frau mit den roten Pausbacken aus dem Büro trat, um den eintretenden Gast zu begrüßen, löste sich beim Anblick von Lana ihre höfliche Geschäftsmiene auf und auf ihrem Gesicht erstrahlte ein liebevolles Lächeln. Die beiden Frauen umarmten sich herzlich und Margot führte Lana durch den Ladenbereich. Am Ende des Raumes wand sich eine Wendeltreppe hinauf in den ersten Stock, wo die Juwelierbesitzerin ihr Büro eingerichtet hatte.

Bevor sie die verzierte gläserne Tür hinter sich schloss, wandte sie sich an ihre Angestellte: „Monique, würdest du uns bitte einen Tee zubereiten?“ „Selbstverständlich Margot. Möchtet ihr noch ein paar Kekse?“ Die Geschäftsführerin konnte keiner süßen Verführung widerstehen und nickte ihrer Angestellten eifrig zu. Das große Laster der Witwe waren die köstlichen Süßigkeiten, die sie in der Confiserie Sprüngli, einige Gebäude weiter, erstehen konnte. Die stets fröhliche Frau verdeckte ihre Leibesfülle mit eleganten weiten Kleidern und strahlte eine mütterliche Art aus. Hinter dieser Fassade steckte jedoch eine gerissene Geschäftsfrau. „Und, Margot, wie war die Ausstellung in New York?“, fragte Lana und setzte sich auf das Sofa in der Ecke des kleinen, aber gemütlich eingerichteten Büros. „Na ja“, begann die Juwelierbesitzerin mit einem Räuspern, „es gab ein paar wenige Schmuckstücke, die mich interessierten. Hingegen unter den rohen Edelsteinen brillierten wirklich exquisite Raritäten, die ich sehr gerne ersteigert hätte, aber mein Budget wäre damit weit überschritten worden.“ Ein hörbarer Seufzer entrang sich ihrer etwas trockenen Kehle. „Und du, Lana, was hast du in der Woche meiner Abwesenheit so getrieben?“ Ein Klopfen unterbrach ihr Gespräch und Monique Fischer, die Angestellte, brachte den Tee und die Kekse. Die Glocke an der Eingangstür klingelte, um einen neuen Besucher anzumelden. Die hellblauen Augen der aus Frankreich stammenden Frau blitzten kurz auf. Dann straffte sie die Schultern, strich sich über das kurze blonde Haar, das wie immer perfekt in Form saß, und meinte begeistert: „Nehmen wir den Besucher in Empfang.“ „Tu das, liebste Monique“, entgegnete Margot und zwinkerte ihr aufmunternd zu. Als die beiden wieder allein waren, meinte die Besitzerin des Juweliergeschäftes anerkennend: „Diese Frau besitzt ein ausgesprochenes Flair für das Geschäft. Mit ihrer kompetenten Art animiert sie beinahe jeden Besucher zu einem Kauf.“ „Ja, Monique ist nicht nur attraktiv“, meinte Lana anerkennend, „sie hat ein besonderes Geschick und weiß, wie man mit den Kunden umzugehen hat. Mit ihr hast du ein Glückslos gezogen.“ „Wem sagst du das, Schätzchen, genauso ist es mir bei dir ergangen. Also rück raus, was hast du mir heute mitgebracht?“ Lana holte die kleine Schachtel aus dem Rucksack und übergab sie Margot. Diese öffnete ehrfürchtig den Deckel und die Lippen spitzten sich zu einem stummen „Oh!“ Mit glänzenden Augen bewunderte sie den Zitrin und antwortete dann leise: „Ein wunderschöner Edelstein und meisterhaft geschliffen. Was für ein Schmuckstück gedenkst du mit dem Zitrin anzufertigen?“ Lanas Herz klopfte vor Erregung und ihr Atem beschleunigte sich heftig, als sie sprach: „Ich sehe den Stein als einen Ring in Rotgold gefasst.“ „Perfekt, meine Liebe! Was willst du für den Ring?“ Lanas bernsteinfarbene Augen wurden weich. Es war selten, dass sie ihre Arbeit jemandem zeigen konnte, der sie wirklich zu schätzen wusste. Margot Stauffer hatte von Anfang an das Potenzial ihrer Fähigkeiten erkannt und gefördert. Lana ließ lange auf ihre Antwort warten: „Gib mir, was du möchtest. Du weißt, Geld bleibt für mich nur eine Nebensache. Es ist die Arbeit, das Kreieren und das Ausschmücken von Schmuck, das mich glücklich macht. Der wirkliche Wert jedes einzelnen Edelsteines liegt mir am Herzen.“ Margot lächelte verständnisvoll, denn sie wusste schon seit langem, welch tiefe Verbundenheit mit den Steinen Lana in sich trug. Doch Margots Tonfall hörte sich etwas besorgt an, als sie sich äußerte: „Lana, mein Herz, du solltest endlich lernen, deine exklusive Arbeit für einen angemessenen Preis anzubieten. Was machst du, wenn plötzlich Anfragen von weiteren Juweliergeschäften auf dich zukommen? Ich werde nicht zulassen, dass du dich das ganze Leben in deinem Atelier verkriechst. Übrigens habe ich deine Brosche mit dem Mondstein für einen hohen Preis an eine Kollegin verkauft.“ Lana schnappte nach Luft, jedoch nicht aus Freude. Das Blut stieg ihr in den Kopf und sie spürte eine Hitze, gepaart mit Angst, in sich aufsteigen. „Mein Gott, du weißt doch, dass dies ein gestohlener Stein war. Wenn ihn nun jemand wiedererkennt?“ Beruhigend tätschelte Margot der jungen Frau die Hand und erwiderte mit einer großen Selbstverständlichkeit: „Sorge dich nicht, meine Kollegin Charlotte wollte ihn für ihre persönliche Sammlung. Drei Tage hat die Engländerin mich angefleht, ihr die Brosche zu verkaufen. Das Angebot war zu verlockend und du kannst dich geehrt fühlen, diese Frau schätzt deine Arbeit sehr. Den Namen der Goldschmiedin habe ich verschwiegen.“ Lana hatte sich inzwischen etwas beruhigt, doch tief im Herzen spürte sie dunkles Unheil auf sich zukommen. Ihre Bedenken behielt sie jedoch für sich. Sie wollte die Freude, die Margot so offensichtlich hegte, nicht trüben. Um das Thema zu wechseln, griff sie nach einem kleinen Keks mit Schokoladenfüllung und schob ihn genussvoll in den Mund. Nun griff auch Margot nach den Süßigkeiten und ihre gute Laune hob sich noch mehr durch die Gaumenfreude. Neuigkeiten wurden ausgetauscht und ein Treffen in der alten Stadtbergvilla für Samstag geplant. Margot versprach, für das Essen zu sorgen, und gab Lana den Auftrag, den Männern die Liste für die Getränke zu übergeben. Nach einem herzlichen Abschied schwang sich Lana wieder auf ihr Bike und fuhr ans Bellevue, wo sie noch ein paar Einkäufe tätigte. Mit vollem Rucksack machte sie sich an den steilen Anstieg. Keuchend vor Anstrengung erreichte sie die alte Villa. Ihre angespannten Muskeln brannten und sie verspürte ein leichtes Zittern in den Beinen. Lana war froh, ihr Ziel erreicht zu haben.

Es war früher Nachmittag, als sie sich in der Küche ein Sandwich zubereitete. Das frische knusprige Brot belegte sie gerade mit einer dünnen Schicht Mayonnaise, Gurkenscheiben und Käse, als ihr Cousin George, nach George Clooney benannt, den Raum betrat. Er war dem Schauspieler wie aus dem Gesicht geschnitten. Die braunen Augen mit dem Schlafzimmerblick hätten ihn glatt als Double der Berühmtheit durchgehen lassen. Jede Frau, welches Alter sie auch besaß, konnte George einfach nicht widerstehen. Der junge Mann schnappte sich eine Scheibe Gurke und fragte lächelnd: „Süße, machst du mir auch ein belegtes Brot?“ Lana schnaubte etwas verärgert. Durch zusammengebissene Zähne zischte sie: „Schönen guten Nachmittag, Cousin George. Du bist alt genug, um dir selber eines herzurichten.“ Sein Aussehen deutete an, dass er gerade erst dem Bett entschlüpft war. Sein schwarzes Haar war wild zerzaust und das halbgeöffnete Hemd hing ihm leger über die Jeans. „Na klar, Cousine Lana, ich werde mich natürlich selbst verköstigen.“ Ein kühnes Grinsen zeigte sich auf seinem hübschen Gesicht und Lana konnte sich ein Schmunzeln darüber nicht verkneifen. Eigentlich waren sie eher wie Geschwister. Gemeinsam aufgewachsen mit einem Altersunterschied von sechs Jahren. Auch seine Mutter hatte das Weite gesucht, wenn auch nicht aus den gleichen Gründen wie Melanie. Nun hörte sie von weitem die tiefe Stimme ihres Onkels. Mit dem Smartphone am Ohr trat Armando Belmonti in die Küche und nahm sich ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank. „Ja, meine Göttin, wir sehen uns am Samstag. Wird gemacht. Sie ist gerade hier in der Küche. Ich freue mich, tschüss.“ Armando beendete den Anruf und schraubte die Bierflasche auf. Lana zog aus ihrer Hosentasche den Zettel für den Einkauf der Weine und übergab ihn ihrem Onkel. Noch heute, wenn sie diesen Mann ansah, fühlte sie eine gewisse Trauer in sich aufsteigen. Die Ähnlichkeit mit ihrem Vater, der vor drei Jahren an einem Virus gestorben war, erweckte in ihr stets traurige Erinnerungen. Charaktermäßig war Armando jedoch seinem verstorbenen Zwillingsbruder Frederico in keiner Weise ähnlich. Das Auftreten und die Redegewandtheit hatte Armando ganz und gar seinem Sohn George vererbt. Beide studierten mit regem Interesse die Weinliste und mutmaßten, was Margot wohl am Samstag zum Essen mitbrachte. „Wenn ihr schon einkaufen geht, so nehmt doch noch die Liste, die am Küchenschrank hängt, mit“, meinte Lana und biss genussvoll in ihr Sandwich. Beide Männer schauten sie gleichzeitig an und fragten unisono: „Was gibt es heute zum Abendessen?“

Lana schluckte zuerst den Bissen herunter und entgegnete dann mit einem herausfordernden Lächeln: „Wenn ihr mir die Zutaten mitbringt, die ich auf den Zettel geschrieben habe, könnt ihr mit Spaghetti und einer selbstgemachten Tomatensauce rechnen.“ Die Begeisterung war den Männern ins Gesicht geschrieben und Lana ging beruhigt wieder an die Arbeit, denn sie wusste mit Sicherheit, dass der Einkauf erledigt würde.

In dem kleinen Dachzimmer neben dem Atelier öffnete die junge Goldschmiedin einen alten abgenutzten Schrank. Der Raum glich eher einer Abstellkammer und wirkte durch die Schräge der Decke noch kleiner. Das winzige Dachfenster ließ nur wenig Licht ein und die einzelne baumelnde Glühbirne verströmte eine matte Trübheit mit Gelbstich. Überall hingen Spinnweben und eine Staubschicht belegte den Holzboden. Im Inneren des verblichenen Möbelstücks jedoch kam, wenn man die Rückwand auf die Seite schob, ein gepanzerter Tresor zum Vorschein. Mit einer flinken Handbewegung gab Lana die Geheimzahl ein und drehte den Griff. Mit einem leisen Klick öffnete sich die schwere Metalltür und lauter kleine Schubladenfächer, die mit Zahlen und Buchstaben beschriftet waren, kamen zum Vorschein. Nach einem Klick am rechten Druckschalter erhellten spezielle Leuchtmittel den Innenbereich. Lana zog jede einzelne Schublade heraus und schaute andächtig hinein. Auf den samtbekleideten Flächen lagen funkelnde Steine nach Größen und Farben geordnet. Lana nahm eine Lupe und mit weißen Handschuhen bekleidet wählte sie gezielt einzelne Stücke aus. Die Reinheit und Schönheit dieser Edelsteine ließen die Expertin jedes Mal vor Ehrfurcht erschauern. Lana spürte die Wärme, die von diesen Steinen ausging und schloss für einen Moment die Augen. Ein gleißendes Licht durchflutete ihren Körper und sie vernahm leises Wispern. Ja, die Steine sprachen zu ihr, auch wenn sie es lange nicht hatte wahrhaben wollen. Das Geheimnis bewahrte sie in ihrer Seele. All diese Schätze waren gestohlen worden. Aus der Gefangenschaft der obszönen Besitzer, befreit und herausgelöst aus den protzigen, erdrückenden Einfassungen. Die Steine hatte die Goldschmiedin liebevoll vom Schmutz gesäubert, abgeschliffen und danach auf Hochglanz poliert. Lanas Ziel war es, jeden einzelnen Stein in einem besonderen Schmuckstück zu präsentieren. Mit der Vollendung würde sie den inneren Kern wieder zum Leuchten bringen. In ihren Gedanken brillierten die kleinen Saphire, die sie in der Hand hielt, schon an goldenen Ohrringen. An jedem Ende der drei zierlichen in sich verschlungenen kurzen Ketten sollten diese kornblauen Tropfen baumeln. Vielleicht würde sie mit dem großen Saphir später eine dazu passende Halskette kreieren. Diese tiefblauen Steine pflegten Könige, um den Hals zu tragen. Schon im 6. Jahrhundert wurde der Saphir als Schutzstein geehrt. Er besiege den Hass und öffne, so sagte man ihm nach, sogar geschlossene Türen. Ihre Farbe wird auch mit dem schönsten Blau des Himmels verglichen. Liebevoll legte Lana die Steine wieder zurück, knipste das Licht aus und verschloss den Panzerschrank. Die Inspiration, die sie erfüllte, ließ ihr Herz höherschlagen und ihre Finger begannen zu kribbeln, was für sie ein Zeichen war, die Arbeit am Ring wieder aufzunehmen. Nach drei Stunden hochkonzentrierter Feinarbeit an der Fassung beschloss Lana, dass es nun Zeit war, mit dem Abendessen zu beginnen. Bis am Samstag würde sie den Ring fertig gestellt haben und Margot konnte das Schmuckstück dann mitnehmen.

4.

In Wales studierte Keene, nach einem morgendlichen Ausritt mit Jason, die kopierten Aufnahmen der Kameras in Dubai. Choclat schnarchte auf dem Teppich vor dem großen verzierten Kamin. Das Knistern des brennenden Feuers übertönte das leise Summen des Computers. Es war eine enorm anstrengende und aufwändige Arbeit, die vielen Überwachungskameras zu durchstöbern. Immer wieder musste er von neuem zurückspulen und einige Aufnahmen sogar vergrößern. Er beobachtete, wie die kleine muslimische Frau, von Kopf bis Fuß in Seide gehüllt, den Aufzug benutzte. Im Arm wiegte sie einen Säugling. Es musste die jüngste Ehefrau des Scheichs sein, denn sie wurde von einem der typischen Haremswächter begleitet. In den Akten hatte er gelesen, dass die Frauen mit den Kindern jeden Tag zur gleichen Zeit den Pool im Untergeschoss benutzten. Da der Scheich sein privates Badevergnügen nicht mit den Gästen teilen wollte, durften in dieser Zeit keine Fremden den Wellnessbereich betreten. Seine Wachmänner waren für die private Sicherheit vor den Eingängen positioniert. Auch musste die Reinigungsmannschaft alles zuvor gründlich desinfizieren. Die Gesundheit der Familie lag dem Scheich sehr am Herzen. Die Frauen und Mädchen wurden von den Männern und Knaben getrennt. Der tägliche Badeplausch des Harems folgte zuerst und danach vergnügte sich der Scheich mit seinen männlichen Nachfahren. Die Regeln von Abi Abdul Haman wurden im Hotel während seiner Anwesenheit strikt eingehalten, denn ihm gehörten dieses Gebäude und noch mehrere Touristenhotels in Dubai. Auf dem Rapport der Polizei hatte gestanden, dass sieben Frauen des Putzteams wie gewöhnlich an diesem Tag erschienen waren. Nach getaner Arbeit jedoch nur sechs Personen den Poolbereich verließen.

Das Mondsteinamulett lag während dieser Zeit in der Penthouse-Suite in einem abgeschlossenen Schmuckkasten. Vor dem Haupteingang stand rund um die Uhr ein Wachmann und dieser hatte ausgesagt, niemanden hereingelassen zu haben, außer die jüngste Ehefrau mit dem weinenden Kind. Sie sei nach einer Viertelstunde jedoch wieder in Begleitung des Bodyguards nach unten gegangen. Mysteriös, dachte Keene für sich und studierte die Aufnahmen noch genauer. Wenn die verkleidete Frau die Diebin gewesen war, und da gab es keinen Zweifel, so konnte sie unbemerkt den Mondstein stehlen und wurde von den Haremswächtern herein- und herausgelassen. Sie ging jedoch wieder zurück in den Poolbereich. Wo hatte sich diese Person die ganze Zeit versteckt, um nicht gesehen zu werden? Man fand eine Puppe, die man mit einem kleinen Schalter zum Weinen bringen konnte, in dem winzigen Abstellraum der weiblichen Umkleidekabinen. Eine kleine Frau hätte sich dort ohne Probleme hineinquetschen können, doch woher hatte sie den Schlüssel? Der Raum war nämlich stets abgeschlossen. Zum wiederholten Male schaute er sich die Kameraaufnahmen dieses Tages an. Da entdeckte er etwas Merkwürdiges. Ein Angestellter mit gepflegtem Bart und schwarzen Haaren brachte einen Rollwagen, gefüllt mit orientalischen Häppchen und Getränken, in das Untergeschoss, wo der Türsteher des Scheichs das rollende Gefährt mit dem weißen überhängenden Tischtuch entgegennahm. Später, als der Bereich wieder für die Hotelgäste geöffnet war, kam derselbe Mann wieder und holte den Rollwagen ab. Keene fand es ominös, dass der Angestellte nicht den Warenlift benutzte.

Er fuhr mit dem Personenaufzug und legte dabei die Essensreste etwas zurecht. Sein Ziel war auch nicht die Penthouse-Suite. Im zehnten Stockwerk angelangt, schob er den Servierwagen hinaus und übergab das Gefährt einem Kollegen. Ohne ein Wort der Kommunikation fand der Austausch statt. Dann fuhr der Überbringer wieder nach unten. Als Keene die beiden Gesichter näher heranzoomte, entdeckte er verwundert eine bizarre Ähnlichkeit. Die Gesichtsform und Körpergröße war identisch. Auch Nase, Augen und Haare wirkten irgendwie gleich, als wären die Männer geklont worden. Er kopierte die Szene und schickte sie verschlüsselt an seinen Patenonkel. Unter dem überhängenden Tischtuch hätte sich eine kleine Person ohne Probleme verstecken können, vermutete Keene. Diese Bemerkung fügte er noch dem Mail an. Danach klickte er die Liste der Gäste dieser Etage an und druckte sie aus. Er wollte sich später mit den Namen beschäftigen. Zuerst überprüfte Keene noch einen jungen Mann, der damals als Verdächtiger eingestuft worden war. Der Kerl mit blonden Haaren, attraktivem Aussehen und teurem Armani-Anzug weilte während seiner Anwesenheit im Hotel etwas zu oft an der Rezeption. Seine intensive Beachtung schien der Managerin des Empfangsbereiches zu gelten. Denn jeden Abend nach Dienstende verließ die deutschsprachige junge Frau mit dem blonden Schönling das Hotel. Dies war auch der Polizei aufgefallen. Sein hinterlegter Pass an der Rezeption wurde später gefunden und als gefälscht gemeldet. Der Mann war nach dem Diebstahl wie vom Erdboden verschwunden. Seine Funktion, als Mitglied der Bande, so nahm man an, war es gewesen, Informationen zu sammeln und Schlüsselkarten zu fälschen. Irgendwie stimmte die Anzahl der Gauner nicht mit dem Rapport der Polizei überein. Keene war der Meinung, dass auf jeden Fall drei Männer und eine Frau involviert gewesen sein mussten. Müde rieb er seine strapazierten, brennenden Augen. Doch die Gästeliste der zehnten Etage musste er dringend noch durcharbeiten. Nach einem Sandwich und einem Glas Eistee machte er sich wieder an die Arbeit. Fünfzig Namen schwirrten ihm am Ende im Kopf herum, aber nur einer kam ihm bekannt vor: Margot Stauffer. Zu diesem Zeitpunkt fand offenbar auch eine Ausstellung für Edelsteine und Schmuck in diesem Hotel statt. Drei Tage lang konnte man spezielle Exemplare aus aller Welt besichtigen. Seine Mutter hätte sicher noch einige Berühmtheiten auf der Gästeliste persönlich gekannt. Jedenfalls war sie bei dieser Ausstellung nicht zugegen gewesen. Charlotte Davis hatte wie so oft ihren Ehemann auf einer Geschäftsreise nach Moskau begleitet. Keene besaß ein sehr gutes Gedächtnis und gerade vor drei Tagen war der Name der Besitzerin des Juweliergeschäftes in Zürich, Margot Stauffer, gefallen. Die Verbindung mit der Mondsteinbrosche war kein Zufall. Nun wusste Keene endlich, wo er beginnen musste. Nach einer ausgiebigen Laufrunde würde er eine Reise in die Schweiz planen.

5.

Während in der alten Stadtbergvilla ein gemütlicher Abend stattfand, ahnten die vier Personen dort nichts von der drohenden Gefahr, die bald anrücken würde. Das Essen, das Margot von dem bekannten vegetarischen Restaurant, dem Hiltl, in Zürich mitbrachte, begutachteten die Männer zuerst sehr skeptisch. Kein Fleisch, was sollte denn das wieder! Doch als man die verschiedensten Leckerbissen ausprobiert hatte, war man von den Köstlichkeiten äußerst angetan. Am Schluss war nicht ein einziger Bissen übrig. Auch bei den vielfältigen Nachspeisen fand jeder seine bevorzugte Geschmacksrichtung. Dazu servierte Lana Kaffee. Für gewöhnlich wurde noch eine Runde gepokert, das war so üblich bei ihren regelmäßigen Zusammenkünften. Das Kartenspiel war vor allem wegen dem Geldeinsatz so begehrt. Doch heute war Lanas Geburtstag und die Männer schleppten ein schweres voluminöses Paket in den Raum. Sie verfrachteten das ausladende Geschenk auf den nun leergeräumten Esstisch. Mit einer hübschen violetten Schleife verziert enthüllte sie eine Titan-Diamant-Pacific-Schleifmaschine mit sechs Schleifrädern, die einen Durchmesser von 20 Zentimetern hatten. Mit Tränen der Rührung in den Augen begutachtete die junge Frau ihr Präsent. Das Wasser wurde via zwei Vakuumpumpen immer wieder an die Räder gespritzt. Zusätzlich erhielt sie noch eine anschraubbare LED-Leuchte und was nicht fehlen durfte, eine hochwertige Schutzbrille. In einer weiteren bunten Schachtel entdeckte Lana etliche Säcke Polierpulver in verschiedenen Körnungen. Ein speziell angefertigtes Polierrad für den letzten Feinschliff vollendete das Ganze noch. Nachdem man auf das 26. Lebensjahr der Goldschmiedin angestoßen hatte, nahm man doch noch eine Runde des heißbegehrten Kartenspiels in Angriff. George und Margot lieferten sich ein erbittertes Endspiel und am Schluss triumphierte der junge Mann mit einem Sieg. Stolz über den ansehnlichen Gewinn nahm George das Geld entgegen und Lana konnte sich eine bissige Bemerkung nicht ersparen. Die Stimmung wurde langsam träge und die Müdigkeit drückte sich beim einen und anderen mit einem Gähnen aus. Zum Abschluss setzten sich alle relaxed in die Sofaecke. Während die Frauen einen Tee genossen, genehmigten sich die Männer einen teuren Grappa. Im Gespräch, das folgte, wurden die neuen Pläne aufgegriffen. „Im Oktober findet in London eine exquisite Ausstellung von erlesenem Schmuck und hochwertigen Juwelen statt. Ich habe euch eine Liste angefertigt, worauf ihr die Gäste mit ihren persönlichen Schmuckstücken findet. Natürlich werden Lana und ich anhand der Fotos entscheiden, was wir wem entwenden werden. Ihr zwei“, Charlotte zeigte mit ihrem manikürten Finger auf die dunkelhaarigen Männer, „werdet danach einen Plan austüfteln.“ Das anzügliche Grinsen der beiden war dabei nicht zu übersehen. Am liebsten hätten Vater und Sohn alle drei Monate einen Diebstahl geplant, doch Margot argumentierte: „Wenn man gierig wird, macht man Fehler und wer Fehler macht, landet eines Tages im Gefängnis.“ Auch Lana war der gleichen Ansicht. Die Goldschmiedin sah jedoch ihr Unterfangen noch von einem anderen Aspekt. Die Edelsteine hatten für sie einen unbezahlbaren Wert und erste Priorität. Bei den Diebstählen war das Wichtigste für sie, die gefangenen Steine zu befreien. Mit ihrer angeborenen Fähigkeit würde sie niemals prahlen. Vom Wesen her war die junge Frau ein sehr bescheidener Typ und lebte sehr zurückgezogen. Natürlich durfte man die gestohlenen Edelsteine, von denen Lana einen Anteil besaß, nicht vergessen. Ihr Vermögen wurde dadurch erheblich gesteigert.

Es war spät nach Mitternacht, als Lana in ihr großes Messingbett schlüpfte. Außer einem alten Schrank und einigen überfüllten Bücherregalen stand noch ein aufklappbarer Sekretär an der rechten Wand in der Dachschräge. Der alte Lehnstuhl in der Ecke, der einst ihrem Vater gehört hatte und den sie neu mit einem bunten Blumenmuster hatte überziehen lassen, gab der getäferten Außenwand ein wohnliches Flair. Den femininen dunkelblauen, rollenden Ledersessel benutzte sie zum Schreiben am antiken Sekretär. Der schlichte Kleiderständer neben der Tür war angehäuft mit Kleidungsstücken, die teils übereinander an den drei Rundhaken baumelten. Ansonsten war das Zimmer nur mit dem Nötigsten versehen. Lana hätte den Raum gerne mit Pflanzen dekoriert, doch diese bekämen durch die kleinen Dachfenster zu wenig Tageslicht und würden sich so nie entfalten. Deshalb bevorzugte es die Goldschmiedin, bei schönem Wetter mit Block und Kohlenstift im verwilderten Garten zu sitzen, die frische Luft zu genießen und dabei ihre Pläne zu entwerfen. Sie drehte die gedimmte Nachttischlampe auf die höchste Stufe und rückte das dicke Daunenkissen im Nacken zurecht. Dann nahm sie das Couvert, welches Margot ihr heute mitgebracht hatte, zur Hand. Hoch konzentriert und mit einem regen Interesse sah sie die Schmuckstücke auf den Fotos durch. Bei einigen Edelsteinen spürte sie das Leuchten, bei anderen wiederum war das Licht um den Stein nur ein fahler grauer Schatten. Dies bedeutete, dass der edle Schmuck keine Wertschätzung fand und von den Eigentümern im Heute oder zu früheren Zeiten lieblos behandelt wurde. Ein paar Haarkämme aus Gold und ein dazu passendes Collier, bespickt mit Smaragden, stachen ihr besonders ins Auge. Der matte Glanz, den die Schmuckstücke verströmten, erzeugte in Lana einen ziehenden Schmerz in der Bauchgegend. Sie blätterte weiter und entdeckte eine goldene Halskette, an der ein riesiger dunkelroter Rubin in Form eines Herzes prangte. In der Beschreibung stand, dass dieser Stein einer der größten der Welt sei und einen enormen Wert besaß. Dieses Mal war das Ziehen in Lana so stark, dass sie sich vor Schmerzen krümmen musste. Tränen aus Blut sah sie aus dem Stein sickern und leises Schluchzen, das nur für die sensiblen Wesen dieser Welt hörbar war, hallte hilflos durch den Raum. Lana atmete heftig und ihr Körper wurde von einem Schüttelfrost durchrüttelt. Die Luft fühlte sich für einen Moment so zähflüssig an, dass sie glaubte, ersticken zu müssen. Eine solch starke körperliche Reaktion hatte sie bisher noch nie erlebt. Lana schloss die Augen und schenkte dabei dem außergewöhnlichen Stein ihre ganze Liebe. Das imaginäre Schluchzen verstummte und die Luft wurde wieder klar und rein. Auch die Blutstropfen, die noch kurz davor aus dem Rubinherz flossen, waren für Lana nicht mehr sichtbar. Erschöpft legte sie den Umschlag zur Seite und löschte das Licht. Der Schlaf übermannte sie sogleich und ein Traum schlich sich in ihr Unterbewusstsein. Dutzende von wunderschönen Perlen strahlten ihr irisierendes Licht aus. Lana streckte ihre Hand aus und wollte diese einzigartigen Naturprodukte berühren, doch die Perlmuttkugeln rollten kichernd davon und verschwanden in einer riesigen überdimensionalen Muschel. Wohlig trieb Lana schwerelos auf dem klaren blauen Wasser mitten im Ozean. Unter sich die verzauberte Welt der Korallenriffe, über sich der weite wolkenlose Himmel. Die Perle als Symbol der Schönheit, der Reinheit und der großen Liebe. Eine unwahrscheinliche Zufriedenheit erfüllte die junge Frau. Sie wusste jedoch nicht, dass sie schon bald außergewöhnliche Perlen in der Hand halten würde.

6.

In Wales betrat Keene den Raum im unteren Bereich des Hauses, wo er seine Edelsteinsammlung aufbewahrte. Er hatte den Code eingegeben und seine Augen gescannt. Es war eines der besten Sicherheitssysteme, die es zurzeit überhaupt gab. Schließlich wollte er nicht, dass seine Schätze, die er selbst gefunden und mit Schweiß ausgegraben hatte, so einfach von einem Dieb entwendet würden. Keene genoss es stets, seine besondere Sammlung zu bewundern. Die Steine schenkten ihm alles, was er zum Leben benötigte, Erfüllung, Frieden und Gesundheit. Ja, er hatte bisher noch nicht einmal das Verlangen verspürt, eine Partnerschaft einzugehen. Keene brachte seinen Edelsteinen einen tiefen Respekt entgegen, der auf Gegenseitigkeit beruhte. Die Liebe und Dankbarkeit für seine Fähigkeit, von den Schätzen der Erde wie ein Magnet angezogen zu werden, hatte für ihn erste Priorität und begleitete ihn schon sein ganzes Leben. Nachdem er seine gewohnte Besichtigung um die beleuchteten Vitrinen vollzogen und seine Wertschätzung jedem einzelnen Stück im Stillen geschenkt hatte, öffnete er mit einem erneuten Sicherheitscode die letzte gläserne Vitrine in der Ecke. Dort fand er, was er suchte. Es waren Perlen, die er vor Jahren an der Nordostküste von Australien beim Tauchen gefunden hatte. Die Muschel Pinctada maxima, aus der diese Perlen stammten, wiegt über fünf Kilo und wird heute in Zuchtfarmen gehalten. Da Keene gute Beziehungen pflegte und ihm ein dickes Portemonnaie zur Verfügung stand, durfte er in einer dieser privaten Zuchtfarmen, nördlich von Queensland, in den natürlichen Riffen seine Muscheln selber sammeln. Dies war eine einzigartige neue Erfahrung für den jungen Mann gewesen. Die Perle ist ein organisches Produkt, das sich wie die Koralle im Meer entwickelt. Im östlichen