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Heinrich Seidels Werk "Der Zwergenwald und andere Märchen" ist eine Sammlung von zauberhaften und fesselnden Erzählungen, die von der Welt der Märchen und Fantasie inspiriert sind. Die Geschichten, die in diesem Buch präsentiert werden, zeugen von Seidels einfallsreicher und poetischer Sprache, die sowohl Kinder als auch Erwachsene in ihren Bann zieht. Mit einer Mischung aus Humor, Spannung und Moralität erweckt Seidel die Figuren und Landschaften seiner Märchenwelten zum Leben. Sein Schreibstil, der von einer tiefen Liebe zur Natur und einer Vorliebe für das Phantastische geprägt ist, bietet Lesern einen einzigartigen und magischen Lesegenuss. Heinrich Seidel, ein deutscher Schriftsteller und Ingenieur, zeigt in "Der Zwergenwald und andere Märchen" sein Talent sowohl für das Erzählen von Geschichten als auch für das Schreiben von Lyrik. Seidel, der bekannt ist für seine Vielseitigkeit in der Literatur, schöpft aus einem reichen Erfahrungsschatz, der sowohl seine ingenieurwissenschaftlichen als auch seine literarischen Fähigkeiten beeinflusst hat. Sein tiefes Verständnis für die menschliche Natur und seine Fähigkeit, zeitlose Themen auf kreative Weise zu präsentieren, machen ihn zu einem einzigartigen Autor in der deutschen Literaturgeschichte. Empfohlen für Liebhaber von Märchen und Fantasiegeschichten, bietet "Der Zwergenwald und andere Märchen" einen faszinierenden Einblick in Seidels kreative Welt und lässt die Leser in eine magische und poetische Realität eintauchen. Dieses Buch ist ein wahrer Schatz für diejenigen, die auf der Suche nach Geschichten sind, die sowohl das Herz erfreuen als auch zum Nachdenken anregen.
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Seitenzahl: 211
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Books
Am Rande eines breiten Wiesentales, das in vielen Windungen von einem klaren Bach durchströmt wurde, lag ein ausgedehnter Wald, wo dieser Bach seinen Ursprung nahm, indem er dort aus vielen rieselnden Quellen zusammenströmte. Dort war es lustig und grün, die Vögel wohnten da gern und sangen gar eifrig den Frühling und Sommer hindurch, und wenn man dort wanderte, so freute man sich der vielen plätschernden Wässerchen, die allerorten wie spielend einherliefen und freundlich aus Farnkraut und üppigen Pflanzen hervorblitzten. So herrschte denn im Sommer eine rechte grüne Kühlung in diesem Walde, und das mochte wohl den Zwergen besonders gut gefallen, von denen hier ein kleines Völkchen seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte. Sie hausten in den höher gelegenen Teilen des Forstes, wo man hinter bemoosten Granitblöcken oder zwischen den knorrigen Wurzeln mächtiger Eichbäume die Eingänge zu ihren Höhlen bemerken konnte.
Ein Holzhauer hatte einmal erzählt, er sei spät in der Nacht durch den Wald gekommen und habe aus einem Spalt in einer uralten Eiche Licht schimmern sehen. Neugierig sei er hinzugetreten und habe hineingeblickt. Da sei die ganze Eiche inwendig hohl gewesen, und darin um einen runden Tisch hätten eine Menge Zwerge mit spitzen grünen Hüten und grauen Röcklein gesessen. Sie hätten aus kleinen Kalkpfeifen geraucht und aus zinnernen Deckelkrügen Braunbier dazu getrunken. Eben hätte er sagen wollen, sie sollten ihm auch einen Trunk lassen, da hätte eine Stimme gerufen: »Er guckt!«, und auf einen Schlag sei alles finster gewesen. Nachher sei es aber gar nicht richtig im Wald gewesen, und immer sei ihm etwas zwischen die Füße gelaufen wie Katzen und junge Hunde und habe gewinselt, wie kleine Kinder weinen, und er habe große Not gehabt, nach Hause zu kommen.
Die kleinen Zwerge waren den Menschen sonst günstig gesinnt, und wenn man sie in Frieden ließ, taten sie niemand etwas zuleide. Ja, man erzählte sich mancherlei Geschichten von Wohltaten und Gefälligkeiten, die sie den Menschen erzeigt hatten. Auch beruhte nicht auf Wahrheit, was böswillige Menschen über sie ausgebreitet hatten, nämlich daß sie Gänsefüße hätten und ängstlich bestrebt wären, dies zu verbergen.
Im Winter nämlich, wenn ein leichter Schnee gefallen war, konnte man ihre Spuren finden, die denen von ganz kleinen, feinen Kinderfüßen glichen, so daß es offenbar war, nur schnöde Verleumdung hatte solche Gerüchte ausbringen können. Wenn der Schnee jedoch höher lag, kamen sie nicht hervor, sondern saßen in der Tiefe ihrer warmen Höhlen, zehrten von ihren gesammelten Vorräten und arbeiteten fleißig allerlei künstliche Dinge von Gold und Silber und köstlichen Steinen.
Außerhalb des Waldes wurden sie niemals in ihrer natürlichen Gestalt gesehen, aber man erzählte sich, sie vermöchten allerlei Zauber und verstünden die Kunst, sich in verschiedene Tiere zu verwandeln, auch wollten manche sie in solcher Verkleidung auf der Wiese, den Feldern und in den Gärten gesehen haben. Sie sollten sich als Hamster den geringen Kornvorrat einheimsen, den sie brauchten, und als Eichhörnchen in die Nußbäume kommen. Man gönnte ihnen dies gern, denn in den Feldern und Gärten, von denen die Sage ging, daß die Zwerge ihren Anteil davon nähmen, pflegte es also zu gedeihen, daß sie immer noch mehr Frucht brachten als andere.
Im Laufe der Zeit trat aber mit diesem lustigen, grünen, quelldurchrieselten Walde eine große Veränderung ein, denn er verwandelte sich in seinen tiefgelegenen Teilen allmählich in einen Sumpf. Dies ging von einem Moorbruch aus, der in der Nähe gelegen und ringsum wegen seiner Gefährlichkeit übel berüchtigt war, und zog sich allmählich immer weiter. Auf unerklärliche Art veränderte und hob sich der Boden, so daß die Quellen, in ihrem Laufe abgedämmt, sich zu trägen, breiten Morastflächen ausdehnten. Giftgrünes Kraut schoß an den Rändern üppig empor, und ein trügerischer Pflanzenwuchs bedeckte die schlammigen Flächen, so daß schon mancher, der, durch den Anschein getäuscht, solche Orte zu betreten wagte, nur mit Mühe dem Tode durch Versinken im Morast entgangen war. Viele Bäume erkrankten, starben ab und wurden vom nächsten Sturme in den Moder geschleudert, wo sie ihre nackten, weißgebleichten Äste emporragen ließen. An den trockneren Stellen vermehrten sich die giftigen Kreuzottern, und eine Unzahl von Stechmücken ward durch die Sonne in den stehenden Sümpfen ausgebrütet, so daß man zu gewissen Zeiten vor ihrer schwärmenden Menge kaum zu atmen vermochte. Der Wald kam zuletzt so in Verruf, daß sich selbst die Kundigsten nicht mehr hineinwagen mochten, denn schon mancher war dort ohne jegliche Spur verschwunden, und man wollte dort in den Sümpfen schauerliche Geschöpfe gesehen haben, menschenähnlich gestaltet, aber mit einer Haut, schwarz und glänzend wie die der Schnecken, mit kleinen tückischen, roten Augen und mit Armen, die sie blutegelartig verlängern oder an sich ziehen konnten. Sie sollten Saugewarzen an den Fingern haben wie ein Polyp und sich entweder mit widerlichem Quäken im weichen Schlamm wälzen oder unter dem Kraut verborgen, daß nur die stielartig verlängerten Augen hervorschimmerten, auf Menschen und Tiere lauern, um sie zu sich auf den Grund zu ziehen.
Wie sich die kleinen Zwerge zu dieser unliebsamen Veränderung ihres lustigen Wohnortes verhielten, das hatte man nicht erfahren. Sie mochten wohl kaum damit zufrieden sein, denn außer dem kleinen Teil des Waldes, der höher gelegen war und ihre Höhlen und Wohnungen enthielt, war nichts von dem Schicksale der Versumpfung verschont geblieben. Dies war auch der einzige Ort, den man noch mit Sicherheit betreten konnte, und hier sah auch ein Besenbinder eines Tages eines der kleinen Männchen auf einem Steine sitzen. Sein Hütlein, das nicht grün wie gewöhnlich, sondern purpurrot und mit einer feinen Goldkrone geziert war, lag neben ihm, und der Kleine hatte seinen Kopf in beide Hände begraben, als ob er schwer nachdenke. Als der Besenbinder ein Geräusch machte, blickte er auf, und während sonst die Zwerge feine rosige Gesichter zu haben pflegten, sah dieser jetzt erdgrau und traurig aus, und als der Besenbinder fragte, was ihm fehle, da seufzte er und schüttelte mit dem Kopfe, als wollte er sagen: »Du kannst mir doch nicht helfen!« Dann griff er nach seinem Hütlein, glitt an dem Steine herab und verschwand im Gebüsch. Ein anderer hatte einmal unter den Wurzeln einer uralten Eiche, wo sich der Eingang zu einer Zwergenhöhle befand, einen traurigen Gesang und viele klagende Stimmen gehört, und ein Bauer, der sich bei einem anhaltenden Platzregen unter denselben Baum geflüchtet hatte, wollte gesehen haben, wie sie in blanken Eimerchen eilfertig Wasser aus der Höhle getragen und dieses mit betrübten und sorgenvollen Gesichtern draußen ausgeschüttet hätten.
In einem Dorfe, dessen Felder an diesen Wald angrenzten, lebte ein armer Musikant, der einen einzigen Sohn namens Johannes hatte. Dieser war ein Sonntagskind und zwar eins von ganz besonderer Art, denn er war an einem neunundzwanzigsten Februar, der auf einen Sonntag fiel, des Mittags zwölf Uhr bei dem Läuten der Kirchenglocken geboren worden. Man sagt, daß dergleichen Sonntagskinder zu besonderen Dingen bestimmt sind und seltene Gaben besitzen. Dies verriet sich bei Johannes nicht gerade in besonderer Art. Allerdings hatte er ein hübsches Aussehen und schönes, goldgelbes Haar, allein sonst zeigte er keine auffallende Begabung und ward von den anderen Knaben im Dorfe oftmals wegen seines träumerischen Wesens verspottet. Sein Vater war oft viele Tage lang vom Hause entfernt, da er in anderen Dörfern zum Tanz aufspielte, und dann trieb sich Johannes einsam in der Umgegend umher und hing seinen Gedanken nach. Er konnte stundenlang am Bache liegen und dem unablässigen Glitzerspiel der Wellen zuschauen oder in die Wolken blicken und die wechselnden Gestalten verfolgen, zu denen sie sich auf dem blauen Grunde des Himmels ruhelos bildeten.
Sein Lieblingsplatz war eine alte Kopfweide, die am Anfang des großen Wiesentales hart am Ufer des Baches stand. Im Laufe der Jahre hatte das unablässig fließende Wasser ihr Wurzelgeflecht freigespült, und sie war schräg über den Bach hingesunken, so daß ihr dicker, spärlich mit Zweigen bewachsener Kopf mitten über dem Wasser schwebte. Was ihr jedoch an eigenem Grün abging, das ward durch fremdes Wachstum reichlich ersetzt, denn aus dem hohlen Stamm hing mannigfaches Rankenwerk hernieder, und auf ihrem geräumigen Haupte war eine ganze Kolonie fremder Pflanzen aufgeschossen. Diese Weide war gleichsam ein Obstgarten für Johannes, denn von diesem wunderbaren Baum hatte er schon Himbeeren, Johannisbeeren und Brombeeren gegessen, und manche freundliche Blume zierte im Sommer den alten grauen, vermorschten Stamm.
Hier saß er eines Morgens zwischen den Zweigen und spähte nach dem nahen Walde hinüber, der schon immer ein Gegenstand unheimlicher Anziehung für ihn gewesen war. Heute bemerkte er dort ein merkwürdiges Treiben, das er sich nicht zu erklären vermochte. Unter den Büschen am Waldrand huschte und bewegte sich etwas, von dem er nicht ganz genau zu erkennen vermochte, ob es Zwerge oder Tiere waren. Als er so spähte und seine Augen umherschweifen ließ, bemerkte er, daß es auch auf der Wiese nicht richtig war, denn zwischen dem hohen blumendurchwirkten Grase sah er hie und da etwas hervorschauen und schnell wieder verschwinden, und an der Bewegung der Halme merkte er, daß sich ihm verschiedene lebende Geschöpfe nähern mußten. Zudem ging ein seltsames Schüttern und Beben durch die alte Weide, und an ihren Wurzeln knirschte es, als ob jemand daran eifrig nage.
Auf einmal senkte sich der Baum sanft auf den Wasserspiegel nieder, und einige Hamster wurden sichtbar, die eifrig die letzten Wurzelfasern zerbissen und sich dann an die Stümpfe anklammerten. Zugleich ward die alte Weide mit dem Kopfe gegen den Strom gedreht und schwamm langsam bachaufwärts. Johannes sah nun, daß eine Anzahl Fischottern die Zweige mit den Zähnen erfaßt hatten und den Baum schwimmend hinter sich her zogen. Der Bach war nicht breit, und das Ufer war mit einem tüchtigen Sprunge zu erreichen, allein als sich der Knabe, dem das Ding unheimlich wurde, erheben wollte, um die Flucht zu ergreifen, fühlte er sich festgehalten. Eine Menge von Wieseln, die sich in den Höhlungen verborgen hatten, waren hervorgekommen, hatten sich in seine Kleidung verbissen und hielten ihn. Jetzt sprangen von der Wiese aus nacheinander eine Reihe von Eichhörnchen mit mächtigen Sätzen auf den Baum, darunter war ein schönes schneeweißes, das setzte sich vor Johannes auf die Hinterbeine, hielt wie flehend seine Pfötchen zu ihm empor und sah ihn so ausdrucksvoll an, daß der Knabe wohl verstand, es bitte ihn, zu bleiben, wo er sei. Seine Furcht minderte sich bei dem Anblick dieses schönen Tieres, das so sanft und freundlich aussah, und er wartete nun mit Verwunderung, wie die Dinge ablaufen würden.
Kaum war dies seltsame Fahrzeug in dem verrufenen Walde angelangt, als es die Fischottern an das Land führten und sich sämtliche Tiere eilfertig an das Ufer begaben, wo sie sich in demselben Augenblick in Zwerge verwandelten. Sie trugen graue Röcklein und spitze grüne Hüte, nur der, der als weißes Eichhörnchen erschienen war, hatte ein purpurrotes Hütchen, das mit einer feinen Goldkrone geziert war. Dieser sprach zu Johannes: »Wir haben auf diese Weise versucht, dich in den Wald zu bringen, weil wir außerhalb dessen nur als Tiere erscheinen dürfen und dann der Sprache nicht mächtig sind. Wir müssen dich aber um einen Dienst ersuchen, den nur ein Sonntagskind deiner Art vollbringen kann, denn du vermagst uns aus großer Not zu befreien. Allein es muß freiwillig und ohne Hoffnung auf Lohn geschehen. Bist du deshalb gesonnen, uns zu helfen, so folge uns, wir flehen dich darum an.«
Alle die kleinen Zwerge machten so rührende Gesichter und hoben die Hände bittend empor, daß Johannes nicht widerstehen konnte und ans Land stieg. Seine kleinen Führer trippelten und liefen vor ihm her, und so gingen sie auf einem schmalen und niedrigen Erdrücken entlang, der von der Versumpfung verschont geblieben war, zu dem höher gelegenen Orte, auf dem wie auf einer Insel die Wohnungen der Zwerge gelegen waren. Ängstlich schaute der Knabe unterwegs seitwärts auf die trügerisch begrünten Schlammflächen, zwischen denen an einzelnen Stellen schwarzes Wasser hervorblinkte, denn ein seltsam unheimliches Gären und Rühren war darin bemerkbar, und widerliches Gurgeln und Schmatzen tönte daraus hervor. Einmal, als einer der kleinen Zwerge stolperte, ein wenig den Abhang hinabtaumelte und dabei dem Morast zu nahe kam, fuhr blitzschnell ein langer, glänzend schwarzer Arm daraus hervor, ergriff das Männchen am Fuß und wollte es mit sich ziehen, allein dieses hatte zu seinem guten Glück einen Strauch erfaßt, langte mit der anderen Hand in ein Täschchen an seinem Gürtel und streute ein rotes Salz auf den Arm, worauf dieser eiligst losließ und wieder untertauchte, während an demselben Ort ein Prusten und Schnauben und Gewinsel ertönte und Wasser und Morast hoch aufspritzten. Zugleich rührte und regte es sich nah und fern in der schlammigen Fläche; widerliche, flache Köpfe wie von ungeheuren Fröschen tauchten hie und da auf und stierten mit gierigen roten Augen auf die Zwerge hin, während sie ein häßliches, bellendes Gequäk anstimmten und sich zuweilen schwarze, triefende Fäuste drohend aus dem Schlamme reckten.
Unterdes hatte sich der Weg bereits verbreitert, und bald langte der kleine Zug auf dem ausgedehnten, flachen Hügel an, wo sich die Wohnsitze der Zwerge befanden. Hier lagen zwischen uralten Eichen mächtige, bemooste Steinblöcke neben-und übereinander, und als der kleine Rothut an einen mit seinem Stäbchen klopfte, drehte sich dieser wie eine Tür zur Seite und legte den dunklen Eingang in eine unterirdische Höhle frei.
Als Johannes eine Reihe von Stufen hinabgestiegen war, gelangte er mit dem Zwerge in eine niedrige Säulenhalle, deren Wände und Decke im Lichte der brennenden Lampen gar wunderbar schimmerten und blitzten, denn sie waren mit natürlichen Kristallbildungen in allen Farben und bunten, geschliffenen Steinen sehr zierlich und künstlich ausgelegt. An der Wand, die der Tür gegenüberlag, stand ein kleiner Thronsessel, mit Purpursammet und Goldbrokat überzogen, und davor im Halbkreis eine Reihe von geringeren Lehnstühlen. Johannes mußte sich in der Mitte dieser Reihe auf eine Anzahl von Polstern setzen, dem Rothut, der den Thron bestieg und offenbar der König der Zwerge war, gerade gegenüber.
Als nun alle saßen und eine Zeitlang feierliche Stille geherrscht hatte, begann der König wie folgt: »Du hast soeben selbst gesehen, lieber Johannes, welchen Gefahren wir ausgesetzt sind und welche widerliche und häßliche Gesellschaft sich in unserem Walde angesiedelt hat. Statt des rieselnden Geplauders fröhlicher Quellen findet man jetzt nur das brodelnde Gären des Ungeziefer brütenden Schlammes, statt des lustigen Gesanges lieblicher Vögel das häßliche Quäken und Gurgeln greulicher Unholde, statt der frischen, von Blumen und Kräutern würzig duftenden Luft dumpfen Modergeruch und schädliche Fieberdünste. Ich will dir erzählen, wie dies gekommen ist. In jenem seit alter Zeit verrufenen und gemiedenen Moorsumpf, den ihr das Teufelsmoor nennt, lebt schon lange ein Volk von Sumpfgnomen unter der Herrschaft ihres Königs Egelborst. Schon lange hatte dieser seine Begierde zur Ausdehnung seines widerlichen Reiches auf unseren grünen Quellwald gerichtet, allein solange wir uns im Besitze des goldenen Handringes befanden, vermochte er keine Macht über diese Gegend zu gewinnen, da ihr Besitz an dieses Kleinod gebunden ist. Wir wußten, daß er bestrebt war, diesen Ring in seine Macht zu bringen, und waren auf unserer Hut. Wir hatten ihn in unserer Schatzkammer hinter sieben eisernen Türen, wie wir meinten, sicher genug, verborgen. Jedoch eines Tages fand sich ein fremder Stammesgenosse bei uns ein, der vorgab, von seinem Volke ausgeschickt zu sein, um Edelsteine einzutauschen, da es dort an solchen mangele. Er führte einen Sack voll kostbarer Perlen mit sich, dergleichen wir damals wenig in unserem Besitze hatten, während unser Schatz an Edelsteinen sehr reich war. Zwar hatte dieser Fremde ein finsteres und tückisches Aussehen und eine seltsam schwärzliche Gesichtsfarbe, auch auffallend glatte und schlangenhafte Bewegungen, allein wir schrieben dies auf seines fremden Stammes Art und schenkten ihm dennoch Vertrauen, zumal da seine Perlen ohne Tadel waren und er seine Worte gar gut und zierlich zu setzen verstand. Nachdem wir ihn also nach Gebühr bewirtet hatten, nahmen wir ihn mit in unsere Schatzkammer, wo er große Verwunderung über unsere Reichtümer bezeigte und nicht genug des Lobes finden konnte über die Zierlichkeit der goldenen und silbernen Geräte und die ausgesuchte Herrlichkeit der edlen Gesteine. Da wir keinen Argwohn hegten, so zeigten wir ihm alles, auch den kostbaren Handring, ohne ihm allerdings dessen Bedeutung mitzuteilen. Er schien ihm auch wenig Beachtung zu schenken, und dann begann der Handel, wodurch wir uns in den Besitz seiner Perlen setzten, während er eine Anzahl auserlesener Edelsteine dafür in Empfang nahm. Wir glaubten einen guten Kauf gemacht zu haben und begaben uns darauf aus der Schatzkammer in unseren festlichen Speisesaal, um den Handel nach alter Sitte mit einem Trunk von unserem hundertjährigen Kometenwein zu beschließen. Doch als wir dort anlangten, vermißten wir plötzlich den Fremden. Niemand hatte gesehen, wo er hingekommen war, und alles Suchen und Rufen war vergebens. Eine düstere Ahnung bemächtigte sich meiner, ich kehrte mit den Meinen in die Schatzkammer zurück und fand meine Befürchtung nur zu sehr begründet, denn der goldene Handring, unser bestes Besitztum, war fort. Es war offenbar, daß der Fremde ein Abgesandter des Königs der Sumpfgnomen, wenn nicht dieser selbst gewesen war, der sich auf diese Art unter der Maske eines Zwerges unseres Schatzes bemächtigt hatte. Wir wußten ja, daß er im Besitze des Steines Mutabilis war, der ihn befähigte, jegliche beliebige Gestalt anzunehmen, wenn auch nicht in dem Maße, daß alles Gnomenhafte aus seinem Wesen verwischt wurde. So erklärte sich uns auch sein tückisches, schwärzliches Aussehen, die schlangenhafte Beweglichkeit und die kalte Feuchte seiner Glieder, die mich, als ich ihm die Hand reichte, bis ins Innerste durchschauert hatte.
Die schnellfüßigsten unserer Genossen waren ihm sofort in der Richtung des Moorsumpfes nachgesetzt, allein vergeblich, denn es gelang ihnen nur, seiner ansichtig zu werden, als er bereits dort angelangt war und jauchzend, den blitzenden Ring über dem Haupte schwingend, in das schwarze Schlammwasser sprang, während seine scheußlichen Untertanen überall die platten Köpfe hervorgestreckt hatten und ein höhnisches Gezeter und quäkendes Triumphgeheul anstimmten.«
Als der König der Zwerge seine Geschichte so weit erzählt hatte, schwieg er eine Weile, und es entstand eine Stille, während derer die anderen Zwerge mit bedrückten Mienen vor sich hin sahen. Dann fuhr der König in seiner Erzählung fort: »Von dieser Zeit an begann das Unheil in unserem Walde. Die Sumpfgnomen, durch kein Machtgebot mehr behindert, dämmten allmählich die Quellen ab und verstopften die Abflüsse, so daß sich die frischen, duftenden Gründe in gärende Moräste verwandelten, die jetzt dem widerlichen Volke erwünschte Wohnsitze darbieten. Und immer weiter dehnen sie ihr Reich aus. Einige unserer tiefer gelegenen Wohnungen stehen bereits unter Wasser, so daß wir genötigt waren, sie zu verlassen, und nicht lange mehr wird es dauern, so wird auch der schmale Erdrücken, der uns noch mit der Außenwelt verbindet, überschwemmt, und wir werden veranlaßt sein, noch vorher unsere geliebten Wohnsitze zu räumen und auszuwandern in eine andere Gegend. Wir sind machtlos gegen unsere Gegner, wir haben nur das aus geheimen Kräutern bereitete rote Salz, das uns als Waffe gegen einen Angriff dient, denn es brennt und frißt wie Feuer auf ihren schleimigen Gliedern und tötet sie, allein trotzdem haben sie schon manchen unserer Genossen, der die Vorsicht nicht bewahrte und dies Mittel nicht mehr anzuwenden vermochte, hinabgezogen und umgebracht.
Dies ist die große Not, in der wir uns befinden, und dies ist der Grund, weshalb wir dich auf so besondere Weise veranlaßt haben, unsere Klagen anzuhören, denn dir ist es gegeben, uns zu retten; du vermagst es, uns den kostbaren Ring wiederzuschaffen, weil du ein Sonntagskind von ganz besonderer Art bist und Dämonenzauber über dich keine Macht hat. Wenn du den Mut hast, unsere Gegner in ihrem eigenen Reiche aufzusuchen, so wollen wir dir Mittel und Wege angeben, wie du es anfangen kannst, ihnen den Handring zu entreißen, der uns Frieden und Glück zurückbringt.«
Johannes dachte an die Erlebnisse auf dem Wege ins Zwergenreich und schauderte zusammen. Er hegte ein tiefes Grauen vor den entsetzlichen Geschöpfen, die er dort im Schlamm gesehen hatte. Als der Zwergenkönig dies bemerkte, lief er von seinem Throne zu Johannes hin, und indem er niederkniete, hob er flehend die Hände zu ihm empor, während alle anderen Zwerge eilig dasselbe taten. Zugleich bat der König so beweglich und schilderte das Unglück seines Volkes in so ergreifender Weise, daß Johannes nicht widerstehen konnte und endlich beschloß, die Tat zu wagen. Als die Zwerge dies vernahmen, leuchteten ihre Gesichter vor Freuden, und nun gingen sie mit ihm in ihren Festsaal, wo ein prächtiges Mahl angerichtet war. Die köstlichsten Gerichte, die Johannes nicht einmal dem Namen nach kannte, wurden aufgetragen, und der Wein, der dazu in Goldpokalen gereicht wurde, schien aus eitel Duft und Glut zu bestehen. Zugleich sah man aus diesem Saal durch eine Wand von Kristallglas in die Küche hinein, wo geschwinde kleine Köche in weißen Mützen und Jacken eifrig mit blinkendem Küchengeschirr hantierten und noch immer neue, schöne Dinge zubereiteten, was alles dem Johannes gar wohl gefiel.
Er blieb die Nacht bei den Zwergen und schlief gar herrlich auf seidenen Kissen. Am anderen Morgen teilte ihm der König den wohlausgedachten Plan mit, den Ring von dem Gegner zu erlangen, und fuhr dann fort: »Eine Gefahr ist für dich nur vorhanden, lieber Johannes, wenn du dich durch teuflische Künste verblenden läßt. Der schlaue Gnomenkönig wird sofort ahnen, was deine Absicht ist, und alles aufbieten, diese zu verhindern. Damit du aber zu erkennen vermagst, was Wahrheit und was Gaukelspiel ist, so nimm dieses Augenglas und bewahre es wohl, denn wenn du hindurchblickst, so wirst du sogleich das Echte vom Falschen zu unterscheiden wissen.« Damit hängte er ihm ein rundes, in Gold gefaßtes Glas um den Hals und sprach weiter: »Ich werde dir jetzt eine Probe geben von der Macht dieses Zauberglases. Betrachte dadurch das Tier, das dir gleich vor Augen treten wird!«
Damit schrumpfte die Gestalt des Zwerges zusammen, und er verwandelte sich in ein weißes Eichhörnchen. Als aber Johannes dieses durch sein Glas betrachtete, sah er deutlich den Zwergenkönig mit dem roten Hütchen vor sich; jedoch wenn er es fortnahm, war wieder das weiße Eichhörnchen da.
Nachdem der König sich in seine eigentliche Gestalt zurückverwandelt hatte, sagte er: »Du hast den Plan, den ich dir vorhin mitteilte, wohl gemerkt und behalten; wenn du mutvoll und unbeirrt meinen Anweisungen Folge leistest, so kann er nicht mißlingen. Das Glück eines harmlosen und friedlichen Volkes liegt in deiner Hand. Nun handle klug und furchtlos, wie du versprochen hast!«
Am anderen Morgen machte sich Johannes in Begleitung eines Zwerges, der ihm als Führer dienen sollte, auf, um sein Abenteuer zu bestehen. Außerhalb des Waldes verwandelte sich sein Begleiter in ein Wiesel und schlüpfte vor ihm her, indem er ihm so den nächsten Weg zum Teufelsmoor anzeigte. Dies war ein unergründlicher Morast, in dem blankes, unheimlich schwarzes Wasser mit weichen Schlammflächen und einzelnen, kleinen Erhöhungen, auf denen Weidengestrüpp und etliche knorrig verkrüppelte Föhren wuchsen, abwechselte. Einzelne Flächen waren mit einer verfilzten, schwimmenden Decke von Graswuchs bedeckt, die wohl imstande war, eine leichte Person zu tragen, jedoch weithin zitterte und Wellen schlug, wenn man sie betrat. Wer jedoch diese trügerische Decke durchbrach und in den weichen, unergründlichen Schlamm geriet, war unrettbar verloren. Die ganze Gegend war einsam und gemieden, und niemand wagte sich gerne an dies verrufene Moor heran. An seinem Rande stand eine ungeheure, hohle, von Alter und Blitzschlag halb zerstörte Weide, die zwischen abgestorbenen, weißgebleichten und zackigen Ästen nur noch ein spärliches Grün zeigte. Durch die Höhlung dieses Baumes ging der Weg in das unterirdische Reich des Königs der Sumpfgnomen. Das Wiesel lief jetzt an Johannes in die Höhe und schwand zu einer Spitzmaus zusammen, als die es sich unter der Weste des Knaben verbarg.
Johannes unterdrückte das Grauen, das ihn befiel, als ihm die feuchte, dumpfe Luft aus der schwarzen Höhlung entgegenhauchte, er befahl seine Seele Gott und stieg mutvoll die Stufen hinab. Bald gelangte er in einen finsteren, modrigen Gang, der nur durch das phosphorische Leuchten verfaulten Holzes ein mattes Licht erhielt.
Endlich kam er an ein Tor, vor dem zwei riesige Kröten wie Hunde an Ketten lagen und sich allsofort aufbliesen und ein bellendes Quaken von sich gaben. Daraufhin öffnete sich das Tor, und einer der abscheulichen, schwarzen Gnomen stierte hervor, wurde aber im Gesicht ganz grün vor Schreck, als er Johannes erblickte. Das Tor ward schnell zugeschlagen, und bald hörte er ein Summen und Gemurmel und seltsames Quäken dahinter, das aber allmählich verstummte.
Dann wurden plötzlich beide Torflügel aufgetan, und ein heller Schimmer leuchtete daraus hervor, während statt des schwarzen Scheusals ein herrlich gekleideter Diener dastand, der mit einer abgrundtiefen Verbeugung Johannes aufforderte, einzutreten. Zugleich bemerkte dieser mit Verwunderung, daß es gar keine Kröten waren, die an den Ketten lagen, sondern kurzbeinige Hunde, die, obgleich ihre Augen ziemlich tückisch blickten, gar freundlich mit den Stummelschwänzen wedelten.
Johannes gelangte durch einen flimmernden und blitzenden Vorraum in einen runden Kuppelsaal, über dessen seltsame Pracht er ganz erstaunt war. Die Wände waren gebildet aus unzähligen Seerosenstengeln, die sich nach oben zusammenwölbten und dort mit ihren Blättern die Decke bildeten. Aber alles dies schimmerte und glänzte wie grünes Gold, und dahinter flimmerte es von buntem Blattwerk und glitzernden Fischen, die in allen Farben köstlicher Edelsteine leuchteten. Diese Wände waren anzuschauen, als blicke man in ein von der Sonne durchschienenes klares Wasser, das mit dem schönsten und seltensten Getier erfüllt war.