Des Falken Treue - Daniela Brotsack - E-Book

Des Falken Treue E-Book

Daniela Brotsack

4,8

Beschreibung

Fortsetzung des Romans „„Mit dem Mut einer Löwin – der lange Weg nach Hause“: Im zehnten Jahr nach dem unerklärlichen Zeitsprung ins 14. Jahrhundert und wieder zurück hat die inzwischen 36-jährige Laura den Verlust ihres geliebten Ritters Gordian noch immer nicht völlig überwunden, als während eines Ausritts in der Umgebung von Landshut ein geharnischter Mann mit dem ihr nur zu gut bekannten Falken-Wappen in ihr Leben tritt. Wer ist der geheimnisvolle Fremde und was verbirgt sich hinter seinem Auftreten und den vielen Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Lauras an die Vergangenheit verlorenen Liebsten? 3 in 1: Roman, Geschichtensammlung und Kochbuch in einem, das ist das neue Buch von Daniela Brotsack.

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3 in 1: Roman, Geschichtensammlung und Kochbuch in einem, das ist das neue Buch von Daniela Brotsack. Die etwas andere Fortsetzung des Erstlingswerkes „Mit dem Mut einer Löwin – der lange Weg nach Hause“:

Im zehnten Jahr nach dem unerklärlichen Zeitsprung ins 14. Jahrhundert und wieder zurück hat die inzwischen 36-jährige Laura den Verlust ihres geliebten Ritters Gordian noch immer nicht völlig überwunden, als während eines Ausritts in der Umgebung von Landshut ein geharnischter Mann mit dem ihr nur zu gut bekannten Falken-Wappen in ihr Leben tritt. Wer ist der geheimnisvolle Fremde und was verbirgt sich hinter seinem Auftreten und den vielen Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Lauras an die Vergangenheit verlorenen Liebsten?

Das Leben ist zu kostbar,um es mit Nichtigkeiten zu vergeuden!

INHALT

Constances Tagebücher

Schwammerlino

Gillamoos

Der kleine Kürbisgeist

Der größte Wunsch

Der Sternritt

Mae, das Sternenschaf

Der Wunschzettel

Der Mann im Mond

Christmette

Der Gewinn

Explosiv

Ein Mann zum Anbeißen

Rezepte aus dem Buch

Handelnde Figuren

Namen in den Geschichten

Worterklärungen

Danke

Liebe Leserin, lieber Leser!

Das vorliegende Buch ist die Fortsetzung des Romans „Mit dem Mut einer Löwin – Der lange Weg nach Hause“. Als Leser/in des ersten Teils werden Sie schnell merken, dass dieser Teil sich grundlegend vom Vorgänger unterscheidet.

Es gibt noch immer die Ich-Erzählerin Laura, jedoch wird in Form von Briefen bzw. E-Mails manches auch aus einer anderen Perspektive erzählt.

Der Roman wird aufgelockert durch mehrere Kurzgeschichten. Sie sind an der herausstechenden Überschrift erkennbar. Da diese Geschichten keine Relevanz für die allgemeine Handlung haben, können sie auch jederzeit außerhalb des Romangeschehens gelesen werden (Inhaltsverzeichnis auf Seite 309). Ihr Ende wird jeweils durch eine doppelte Spirale gekennzeichnet.

Selbstverständlich ist auch in diesem Buch die Fantasie nicht zu kurz gekommen. Die Beschreibungen der erwähnten Veranstaltungen sind jedoch sehr nah an der Wirklichkeit, wie ich sie erlebt habe, und geben dem einen oder anderen Leser evtl. einen Einblick in eine für ihn weniger bekannte Welt der Ritterbünde, Ritterfeste, Jagdhornbläser und Jagdreiter.

Neben der Geschichte um Laura möchte ich meinen Lesern die besonders schönen Seiten meiner Leidenschaften Pferde, Bücher und Musik sowie den Aufenthalt in geselligen Runden etwas näherbringen. Ich hoffe, ich kann Sie begeistern!

Viel Spaß bei der Lektüre wünscht Ihnen

Daniela Brotsack

25. APRIL 2009

„Ich glaub‘ es nicht!“, entfuhr es mir. „Jetzt habe ich gerade einen Tropfen auf der Nase gespürt.“ Liebevoll tätschelte ich mein Pferd am Hals. „Tja, Kumpel, heute stimmt wohl unser üblicher Wahlspruch nicht ganz: Wenn Engel reiten, lacht der Himmel. Na ja, vielleicht lachen die da oben auch so arg, dass ihnen die Tränen kommen.“ Ich trieb meinen Wallach zu einem schnellen Trab an und hielt die Augen nach einem geeigneten Unterschlupf offen, bevor der Regen heftiger wurde.

Wie an so vielen anderen Wochenenden war ich auch an diesem Samstag mit meinem Friesen Arwakr unterwegs. In aller Frühe hatte ich meinen Liebling in den geliehenen Anhänger verladen und war mit ihm Richtung Landshut gefahren. Ich wollte unbedingt eine Strecke reiten, die ich mir kürzlich auf der Landkarte ausgesucht hatte. Da ich in Reiterkreisen etwas verschrien war als diejenige, mit der jeder noch so kleine Ausritt zum Abenteuer werden konnte, konnte ich gerade bei solchen Erkundungsritten nicht mit Begleitern rechnen. Dabei konnte ich doch gar nicht beeinflussen, ob gerade unter den Hufen meines Pferdes ein morscher Brückenbalken nachgab oder uns auf der Strecke eine große Reitergruppe entgegen kam oder Enten direkt neben uns aufflogen. Wie sollte ich außerdem wissen, wessen Pferd wasserscheu war oder dass uns ein höhnisch grinsender Autofahrer mit schepperndem Anhänger entgegen kommen würde, so dass die Tiere Panik bekamen?

Es war bisher ein warmer Frühlingstag im Jahr 2009 gewesen. Die Wiesen waren sattgrün und auch die Bäume hatten schon zarte Blätter. Die Natur roch fantastisch nach Erde, Holz und Bärlauch. Wir waren schon längere Zeit unterwegs und hatten sogar ein kleines Picknick hinter uns. Und nun sah es plötzlich nach einem Frühlingsgewitter aus. Von weitem hörte ich Donnergrollen. Und ein paar erste sanfte Tropfen verstärkten diesen Eindruck auf mich noch.

Bald darauf fand ich tatsächlich, was ich suchte: Zwischen den Bäumen am Fuße eines Hügels schien es in diesem Waldstück eine Art Höhleneingang zu geben. Darauf steuerte ich Arwakr zu und fand tatsächlich einen mittelgroßen Raum unter einem vorhängenden Felsen vor, der uns beiden einen perfekten Unterschlupf bot. Nur der Eingang lag frei. Der Rest des Raumes war von Felsen und dichtem Buschwerk umgrenzt.

Noch konnte man die paar vereinzelten Tropfen nicht Regen nennen. Aber am Himmel türmten sich inzwischen bleigraue Wolken, die erahnen ließen, dass das Gewitter nicht an uns vorbeiziehen würde.

Ich nahm Arwakr den Sattel ab und ließ ihn das Gras vor dem Unterstand fressen, solange es nur tröpfelte. Dadurch, dass er nur mit einem Lindel1 statt einer normalen Trense mit Gebiss gezäumt war, konnte er ungehindert grasen. Die Zügel hatte ich so geknotet, dass sie ihm nicht vor die Füße fallen konnten.

Ich beobachtete den Himmel und dachte über mein Programm für die nächsten Tage nach.

In Gedanken versunken bemerkte ich nicht gleich, dass ein Hund auf mich zukam. Es war ein irischer Wolfshund. Felix2, schoss es mir durch den Kopf, als ich seine Anwesenheit spürte und aufsah. Aber nein, dieser hier sah anders aus. Eine modernere Züchtung. Ich war trotzdem irritiert. Der Hund trottete direkt auf mich zu und beschnüffelte mich. Dann schob er mir – wie es auch Felix unzählige Male getan hatte – seine Schnauze unter meine Hand als Aufforderung, ihn zu streicheln. Ich kam seinem Wunsch nach und dachte wieder an den Hund, den ich einmal gekannt hatte. Ob er noch lebte? Was für eine blöde Frage!

Ich rief mich zur Ordnung, denn Grübeleien brachten nichts. Das hatten die vergangenen neuneinhalb Jahre gezeigt. „Na, du Hübscher, bist du hier ganz alleine unterwegs?“

Ich meinte, einen Pfiff zu hören, aber der Hund reagierte nicht. Doch dann folgte ein ärgerlicher Ruf „Cajus, hörst du denn nicht?“ Der scharfe Ton in der Stimme hinter ihm ließ den Hund zucken und er lief unterwürfig zu seinem Herrn. Mir fiel die Kinnlade herunter, als ich aufblickte. Vor mir sah ich, auf einem Friesen reitend, einen Ritter wie aus dem Mittelalter. Sein Wams zierte ein Wappen mit dem Turmfalken. Ich konnte nur noch darauf starren. Gordian. Der Name beherrschte meine ganzen Gedanken. Ich rief mich zur Vernunft, richtete mich auf und sah ihn auf mich zureiten.

Plötzlich begann die Luft rundum zu knistern. Ich dachte, ich hätte sogar Funken zwischen dem Fremden – Das kann unmöglich Gordian sein – und mir sprühen sehen. Aber ich wollte meiner Wahrnehmung nicht trauen. Doch Tiere sind noch viel sensibler als wir. Das Pferd bemerkte die Spannung und ihm war die Situation offensichtlich nicht geheuer. Arwakr, links von mir, hob den Kopf und wieherte. In dem Moment stieg die Stute vor mir hoch. Ich sah die plötzliche Panik in ihren Augen und befürchtete, sie würde wegen ihres Reiters in vollem Harnisch das Gleichgewicht verlieren und nach hinten kippen. Ich erwischte einen Zügel gerade noch von unten und zog so den Kopf wieder herunter. Dabei redete ich beruhigend auf das Tier ein. Es stellte sich wieder mit allen Beinen auf den Boden, wenn auch noch leicht zitternd vor Aufregung. Der Ritter stieg ab, während ich noch die Zügel hielt.

„Danke für die Hilfe“, hörte ich es dumpf aus dem Blechtopf schallen, der auf den Schultern des Mannes ruhte. „Das hat sie noch nie getan. Eigentlich wäre das meine Aufgabe gewesen, das Pferd zu beruhigen.“ Ich musste grinsen. Solche ritterlichen Sinnlosigkeiten gab Gordian auch manchmal von sich. An der Gestalt vor mir erinnerte allerdings nichts weiter an ihn. Das Pferd hatte die falsche Rasse, die Rüstung war moderner, der Mann war definitiv ein ganzes Stück größer.

Und trotzdem: Gibt es Zufälle? Alleine schon die Tatsache, dass ich plötzlich auf einen Ritter mit Rüstung und Falkenwappen auf einem Pferd und in Gesellschaft eines Wolfshundes traf, und das auch noch ausgerechnet in unmittelbarer Nähe einer kleinen Höhle, gab mir zu denken. Und dann dieses Knistern. Oder war das wenigstens dem aufkommenden Gewitter zuzuschreiben?

Während ich immer noch die Zügel der Stute hielt und sie sanft streichelte, hatte sich mein Gegenüber inzwischen den Helm abgenommen und strich sich die Haare nach hinten. Etwas linkisch streckte er mir seine Hand zum Gruß entgegen „Ich heiße Raphael. Der Hund ist Cajus und das verschreckte Etwas von Pferd ist Rosella, manchmal auch die Furchtlose genannt. Aber ich glaube, ich werde ihr einen neuen Beinamen geben: die Schreckhafte.“

Ich studierte das attraktive Gesicht, das er enthüllt hatte. Markante, sympathische Züge, dunkle Augen, lange Wimpern, fast schwarzes, etwas längeres Haar. Ich schätzte ihn ein paar Jahre jünger als mein Alter. Bei mir stellte sich sofort ein Gefühl von Vertrautheit ein, obwohl ich diesen Mann gerade zum ersten Mal sah. Ich lächelte ihn an und meine Gedanken überschlugen sich. So etwas hatte ich ja noch nie erlebt! Aber ich musste mich ja noch vorstellen. „Ich bin Laura und dieser Schrecken aller Stuten und Ritter da drüben ist Arwakr.“

In dem Moment begann mit einem Donnerschlag der Wolkenbruch und wir sahen nur noch zu, dass wir ins Trockne kamen, was uns aus der anfänglichen Starre riss. „Was tut ein Ritter hier draußen so alleine – und dazu noch in voller Rüstung? Zu dieser Zeit im Jahr gibt es ja noch nicht einmal ein Mittelalterfest, oder?“ Ich war neugierig.

Raphael lachte, „Stimmt. Die Saison hat noch nicht begonnen. Aber wir üben schon auf unsere Auftritte hin.“ Mir fiel gleich das Erstbeste ein. „Natürlich, die Landshuter Fürstenhochzeit von 14753! So eine ritterliche Übung hatte ich mir anders vorgestellt. Also, mindestens, dass man zwei Leute dazu braucht. Oder kommt da noch jemand?“ Ich reckte den Kopf nach draußen, sah aber nur eine Regenwand.

„Ich bin allein mit meinen Tieren. Rosella muss sich erst wieder an mein Gewicht und die Geräusche der Rüstung gewöhnen, bevor ich mich an eine Zweikampfübung wage. Schließlich möchte ich ja <die Furchtlose> auf dem Turnierplatz haben und nicht <die Schreckhafte oder Verunsicherte>. Darum habe ich mich für einen Ausritt in voller Montur entschieden. Die Wahl des Tages war allerdings wohl nicht so schlau von mir.

Übrigens stellen meine Freunde und ich nicht die sechs Ritter in Landshut dar. Dort machen wir nur beim Ringelstechen mit. Wir haben diesen Sommer und Herbst einige Engagements auf verschiedenen anderen Mittelalterfesten. Und dort sind wir dann auch in voller Montur.“ Mit gefurchter Stirn starrte er in den Regen. Der störte mich dagegen im Moment gar nicht. Wir konnten nicht weg und ich würde mich noch länger mit einem wirklich interessanten Mann unterhalten können.

„Daraus schließe ich, dass du entweder richtiger Landshuter, oder besonders gut im Ringelstechen bist. Oder wurden inzwischen die Bedingungen zur Teilnahme gelockert?“

Meine neue Bekanntschaft sah mich schelmisch von der Seite an. „Sagen wir einfach, ich bin aus dem Landshuter Umland und wirklich gut.“ Der Schalk tanzte in seinen Augen und ich musste lachen, während ich in meinen Satteltaschen kramte. „Na ja, so furchtbar viele Reiter, die sich öfter mal vor viel Publikum blamieren wollen, gibt es auch wieder nicht.“

„Ach, ich weiß schon. Die meisten männlichen Reiter sind Turnierreiter und würden ihr kostbares Pferd für so was nicht hergeben und Frauen können sie bei der Veranstaltung nicht brauchen.“

„Wahrscheinlich ist es so ähnlich.“

Wir setzten uns beide auf die von mir ausgebreitete Picknickdecke und Raphael nahm einen heißen Becher Tee aus meiner Thermoskanne und ein paar selbstgebackene Kekse entgegen. „Danke. Ich hätte nicht gedacht, dass ich heute noch mit einer fremden Frau picknicken würde. – Nein, Cajus, das ist nichts für dich!“ Der Hund hatte es sich zwischen uns gemütlich gemacht und versuchte, einen Keks zu stibitzen. Ich entzog ihm die Dose mit den Leckereien und kraulte ihn hinter dem Ohr. Diese Ersatzhandlung ließ ihn zufrieden seufzen.

Es war schon eigenartig, wie mich dieser Mann plötzlich interessierte. Schließlich hatte ich mich in den letzten neun Jahren nicht besonders für einen interessiert. Doch irgendetwas war anders als sonst. Es fühlte sich an, als wenn er das Gegenstück zu meinem inneren Magneten wäre. Ich musste mich direkt beherrschen, ihn nicht zu berühren, ihm nicht mit den Fingern durchs dichte Haar zu fahren. Quatsch, rief ich mich zur Ordnung. Ich hatte in den letzten Wochen zu viel Zeit mit Menschen verbracht, die sehr tief in spirituellem Gedankengut verhaftet waren und die sicher gesagt hätten, unser Zusammentreffen wäre ein Zeichen für irgendwas.

Er war aber auch ein sehr attraktiver Mann. Groß, mit offensichtlich muskulösem Oberkörper und breiten Schultern. Er strahlte Kraft und ein natürliches Selbstbewusstsein aus. Ähnlich, wie Gordian gewesen war. Um ehrlich zu sein: Er faszinierte mich.

„Was machst du eigentlich, wenn du grad nicht als Ritter unterwegs bist?“

„Ach, da gibt es viele Möglichkeiten. Ich habe einen relativ großen Hof mit einigen gepachteten Heuwiesen dazu, den ich mit Unterstützung meiner Mutter als Nebenerwerbslandwirt bewirtschafte. Dann kümmere ich mich auch an Stelle eines Vaters um meine zwei Nichten, weil Caro, meine Schwester, sehr viel beruflich im Ausland ist. Hauptberuflich bin ich Landvermesser und habe viel Freude an meinem Beruf. Ich liebe die Natur und unterhalte mich auch gerne und viel mit den Bauern der Gegend. Manchmal muss ich auch deren Streitereien schlichten oder vor Gericht aussagen. Was machst du so?“

Unweigerlich hatte ich wieder den Gedanken im Kopf: wie Gordian. Mein Bericht fiel etwas karg aus, weil ich mich nicht konzentrieren konnte. Ich erzählte, dass ich den ganzen Tag mehr oder minder am Computer sitzen würde, ein wenig Marketing und ein wenig Grafik machte, Texte schreibe, Übersetzungen mittelalterlicher Schriften machte und vieles andere. In meiner Freizeit war Arwakr immer schon sehr wichtig als Mittel zum Bewegungsausgleich. Außerdem erzählte ich von meiner großen Freude, in einem Chor zu singen und Jagdhorn zu blasen. „Damit ist meine arbeitsfreie Zeit so ziemlich ausgebucht, wie du dir denken kannst.“

Ich merkte förmlich, wie Raphael an meinen Lippen hing. Vielleicht spürte er auch diese übermächtige Anziehungskraft, die mich in ihrem Sog hielt.

„Das war vermutlich etwas untertrieben. Wie alt ist dein Arwakr?“

„Oh, er ist inzwischen im besten Alter. Er wurde gerade 15. Also das Alter von manchen Olympiasiegern. Manchmal denke ich mir, wäre er Hengst geblieben, gäbe es sicher charakterstarke Fohlen von meinem Prachtkerl. Und deine Rosella? Sie ist ein sehr hübsches Mädchen.“

„Ich stimme dir zu. Dein Wallach ist wirklich eine Schönheit. Meine Rosella ist jetzt zehn Jahre alt und ich überlege mir schon ständig, ob ich sie doch noch heuer decken lassen soll. Allerdings bräuchte ich dann nächstes Jahr ein Ersatzpferd für die Ritterspiele.“

Wir unterhielten uns angeregt weiter über Nichtigkeiten. Aber die Anziehung von beiden Seiten schien sich immer noch zu steigern.

Das Gewitter dauerte ganz schön lange und war zeitweise ziemlich heftig, aber es hatte schon eine Weile aufgehört zu regnen, als ich auf die Uhr sah. Wie von der Tarantel gestochen schoss ich hoch. „Es ist schon 18:00 Uhr! Verdammt, ich hätte den Hänger schon längst zurückbringen sollen. Das ist mir ja noch nie passiert, dass ich so die Zeit vergessen habe.“

Hektisch räumte ich meine Sachen zusammen und stopfte sie in die Satteltaschen. Dann sattelte ich in Windeseile Arwakr, der mich verwundert ansah. Und dann passierte es. Als ich Raphael bat, mir beim Aufsteigen gegenzuhalten, fragte er mich überrascht „Woher weißt du meinen Nachnamen?“

Ich muss ihn völlig verdutzt angesehen haben, bei meiner Antwort. „Was? Den weiß ich doch gar nicht! Woher denn auch?“

„Aber du hast mich doch eben mit Gordian angesprochen.“ Ich fiel aus allen Wolken und mir wurde nacheinander heiß und kalt. Sollte das bedeuten, dass Raphael mit Nachnamen Gordian hieß? Wenn ich schon im Sattel gesessen wäre, wäre ich vermutlich wieder herunter geplumpst. So wurden meine Knie weich und ich hielt mich am Steigbügelriemen fest. Meine Gefühle waren im Aufruhr und ich konnte nicht mehr klar denken. Hatte ich Halluzinationen? Sollte ich noch total durchdrehen? Um etwas zu tun, stieg ich erst einmal wie in Trance auf.

Zu meinem Glück konnte dies – also das Denken – Raphael noch ganz gut. „Nächsten Samstag zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu einem gemeinsamen Ritt?“

Ich stellte mir meinen Terminkalender vor. „Tut mir leid, an dem Wochenende bin ich schon anderweitig verabredet. Wie wär’s die Woche darauf?“ „Also dann in zwei Wochen. Ich werde hier sein!“

Ich verabschiedete mich rasch und trabte auf Arwakr davon. Während des Ritts schaltete ich mein Handy wieder ein und rief meine Freundin Birgit an, von der ich den Anhänger geliehen hatte. „Sag mal Laura, wo bist du denn die ganze Zeit? Hallo, ich mache mir schon mords Sorgen um dich. So unzuverlässig habe ich dich noch nie erlebt!“ Sie hatte absolut Recht, mich auszuschimpfen.

„Es tut mir wirklich leid, Birgit.“, sagte ich kleinlaut. „Wir kamen hier in ein Gewitter. Zu dem Unterschlupf, den ich gefunden hatte, kam ein Landshuter Ritter mit seiner Friesenstute und einem Wolfshund. Wir haben uns so gut unterhalten, dass ich tatsächlich die Zeit vergessen habe. Ich weiß ja, dass du den Hänger brauchst. Ich bin auch schon auf dem Weg.“ Ich war wirklich zerknirscht.

„Na prima. Jetzt brauchst du dich allerdings nicht mehr zu beeilen. Du hast nämlich Glück. Da es auch hier ein Gewitter gab, wurde die ganze Sache verschoben. Es sei dir also vergeben. Und ich gehe davon aus, dass dir das nicht nochmals passiert.“ Dann herrschte ungefähr drei Sekunden Stille vor ihrem Ausbruch.

„Spinnst du überhaupt? Ein Landshuter Ritter? Wie soll ich das denn verstehen?“

„Hey, ich bin nicht verrückt. Na, eben ein Typ, der als Ritter bei Ritterspielen mitmacht und sein Pferd wieder an das Gewicht der Rüstung und alles gewöhnen will.“

„Ach so, na dann. Ich dachte wirklich, bei dir ist was nicht in Ordnung. Ich warte im Stall auf dich.“

Puh, das war mal wieder gut gegangen. Dass ich mich schon immer für vieles interessiert hatte, was mit dem Mittelalter zu tun hatte, wussten meine Reiterfreunde ja. Aber ein Ritter in voller Rüstung war nun doch keine Alltäglichkeit. Nicht mal in der Landshuter Umgebung. Ich hatte sogar doppeltes Glück, weil ich nicht gefragt wurde, ob der Ritter vielleicht was für mich wäre.

25. April 2009

Meine liebe Freundin Sarah,

ich glaube, du wirst gleich über mich lachen. Aber ich hatte eine Erscheinung. Na, vielleicht auch keine. Ich bin mir immer noch nicht sicher darüber. Wenn ich dir gleich schreibe, was genau passiert ist, kannst du dir selbst ein Bild machen.

Ich machte als Ritter gewandet einen Ausritt in meinem Lieblingsgelände, um meine Rosella wieder an das erhebliche Gewicht der Rüstung und der Waffen zu gewöhnen. Mit dabei war wie üblich Cajus, der immer voran lief und ganz aufgeregt überall schnüffelte. Du kennst mein Prachtstück. Er ist mir noch nie ausgebüchst oder ohne Befehl einem Wild hinterher und so kann ich ihn im Gelände auch jederzeit ohne Leine laufen lassen.

Leider hatte ich die Wetterlage falsch eingeschätzt und es zog ziemlich schnell ein Gewitter auf. Ich musste schnellstens zu dem überhängenden Felsen mit der kleinen Höhle, der mir schon öfter Schutz geboten hatte. Cajus kannte den Weg und rannte voraus.

Als ich mit Rosella vom Weg abbog, konnte ich nicht glauben, was ich sah. Cajus, der sonst jedem Fremden gegenüber sehr zurückhaltend und stur agiert, ließ sich von einer Frau mit rotbraunen Haaren hinter den Ohren kraulen und schien es zu genießen. Ich pfiff, aber beide reagierten nicht. Erst, als ich aufgebracht rief, lief der Hund zu mir und die Frau richtete sich auf. Sie sah mich mit einem völlig überraschten Ausdruck im Gesicht an. Und jetzt, im Nachhinein, kommt es mir vor, als hätte sie in ihrer Verblüffung ziemlich atemlos „Gordian“ gerufen und war etwas bleich geworden.

Rosella blieb direkt vor der Fremden stehen und ich spürte ein Knistern, das von ihr auszugehen schien und mich mit voller Wucht traf. Ich hatte das Gefühl, als würde ich diese Frau schon lange kennen und ich spürte vom ersten Augenblick ein tiefes Vertrauen zu ihr, so, wie ich es auch für dich habe. Auch mein braves Mädchen spürte wohl, dass etwas in der Luft war. Sie war verwirrt und machte etwas, was ich noch nie bei ihr erlebt hatte: sie stieg. Wenn die Frau ihr nicht in die Zügel gegriffen und sie beruhigt hätte… ich will mir lieber nicht vorstellen, was passiert wäre.

Zu allem Überfluss hatte ein Pferd gewiehert. Ihr Pferd – ein schöner Friesenwallach. Ich denke, der Artgenosse hatte mein Ellchen restlos aus dem Konzept gebracht. Ich stieg ab und sah der Fremden einen Moment lang in die Augen. Diese haben mich sofort in ihren Bann geschlagen und ich war so verwirrt, dass ich vermutlich nur Blödsinn erzählt habe. Noch nie hat mich eine Frau vom ersten Augenblick an so fasziniert und zugleich so erschreckt.

Sie stellte sich als Laura und ihren Wallach als Arwakr vor. Beide Namen in Verbindung mit ihren Augen brachten in mir etwas zum Klingen. Aber ich kann mich nicht erinnern, was. Kennst du das Gefühl, jemanden schon lange zu kennen, aber nicht sagen zu können, woher? Genau so musst du es dir vorstellen. Obwohl ich mir sicher bin, dass ich sie nicht kenne.

Als das Gewitter loslegte, stellten wir uns alle unter. Laura kam mit Satteltaschen aus dem hinteren Winkel des höhlenähnlichen Raums und packte eine Picknickdecke, Tee und Kekse aus. Sogar einen Schluck aus einem Flachmann bot sie mir an. Sie ist echt praktisch veranlagt.

Den Frauen, denen ich bisher immer auf den Leim gegangen bin, wäre es gar nicht eingefallen, Verpflegung auf einen Ausritt mitzunehmen. Und noch weniger wäre ihnen eingefallen, etwas mit Fremden zu teilen. Sie wären zum nächsten Biergarten geritten, hatten eine Heidenangst vor Pferden oder wollten einfach gar nicht die Verantwortung für ein Tier.

Wir unterhielten uns über dies und das und ich merkte gar nicht, wie die Zeit verging. Als ich erzählte, dass ich bei den Bauern oft Streit um deren Grenzverlauf schlichten muss, war mir wieder, als sagte Laura „Gordian“. Oder habe ich mir das auch nur eingebildet? Wäre ich ein wahrer Ritter von einst, würde ich behaupten, diese Frau hat mich verhext. Ich konnte meinen Blick kaum von ihren grünen Augen wenden und hatte ständig das Bedürfnis, sie zu berühren – und nicht nur das. Während ich ihr zuhörte, stellte ich mir in allen Facetten vor, was ich gerne mit ihr machen würde. Ich erschrak ehrlich über meine eigenen Gedanken. Meine Gefühlswelt hatte sich überschlagen.

Ich habe dir oft genug aus deinen Lieblingsromanen vorgelesen, um zu wissen, dass dir mein Erlebnis gefällt. Ich versichere dir, jedes Wort davon ist wahr, obwohl ich es selbst nicht ganz glauben kann.

Laura und ich erzählten uns gegenseitig ein wenig aus unserem Leben, wobei sie nicht viele private Dinge preisgab.

Eine wirklich verwirrende Situation kam, als Laura ihre Verspätung bemerkte. Gesattelt stand Arwakr zum Abritt bereit, als sie mich ansprach: „Bitte halt mir mal gegen, Gordian.“ Diesmal hatte ich es ganz deutlich gehört. Als ich sie darauf ansprach, schien es ihr gar nicht bewusst zu sein, dass sie meinen Nachnamen benutzt hatte und sie wurde ein zweites Mal bleich, als sie realisierte, dass Gordian mein Nachname ist.

Wir verabredeten für übernächste Woche ein weiteres Treffen. Dann ritt sie davon und ich musste an Cinderella denken, die überstürzt den Ball mit dem Prinzen verließ. Ich sah mich sogar nach einem Schuh um, bevor ich mich zur Ordnung rief. Reitstiefel verliert man nicht so einfach.

So etwas war mir wirklich noch nie passiert. Ich hatte die ganze Zeit richtig Angst, diese Frau könnte eine Erscheinung sein, im nächsten Moment verschwinden und nie wieder in meinem Leben auftauchen. Inzwischen bin ich mir nämlich gar nicht mehr so sicher, dass es keine Feen oder Hexen gibt.

Vielleicht haben wir gemeinsam zu viel über diese Wesen gelesen und gesprochen?

Was ist es, das Laura für mich so faszinierend macht? Sie ist hübsch und hat eine recht gute Figur, ist aber auf den ersten Blick kein Hingucker. Ich fragte mich also immer wieder und traute dabei meinen eigenen Empfindungen nicht. Bisher hatte ich ja bei Frauen immer, wie man so schön sagt, daneben gegriffen. Warum sollte es diesmal anders sein? Aber eine winzige Hoffnung keimt in mir auf und wird mich irgendwie durch die zwei Wochen tragen.

Ich verspreche, dir nach unserem zweiten Treffen wieder Bericht zu erstatten. Wenn es überhaupt stattfindet. Denn davon bin ich noch nicht überzeugt.

Halt die Ohren steif und alles Liebe für dich!

Raphael

BIS 08. MAI

In den folgenden Tagen war ich völlig durcheinander und zu kaum etwas zu gebrauchen. Zumindest kam es mir selbst so vor. Ständig drehten sich meine Gedanken um Gordian und Raphael.

Knapp zehn Jahre war es inzwischen her, dass ich mich während eines Ausritts im Altmühltal plötzlich im Jahr 1399 wiedergefunden hatte. Ein Jahr verbrachten Arwakr und ich in dieser Zeit, bevor uns das Schicksal wieder in unsere eigene Welt von 1999 entließ. In der Gegenwart war nach diesem Abenteuer noch kein Tag vergangen. So war es möglich, die ganze Geschichte geheim zu halten.

In unserem Jahr im Mittelalter hatte ich mich unsterblich in den Ritter Gordian verliebt. Er war der Traummann, den ich mir immer gewünscht hatte. Wir heirateten sogar und waren ein glückliches Ehepaar, bis zu dem Moment, als ich mich mit Pferd, aber ohne Mann, in der Jetztzeit wiederfand. Ich hatte es nie verwunden, ihn durch meine neuerliche und – wie auch die erste – nicht zu erklärende, bisher endgültige Zeitreise, zu verlieren. Mehrmals hatte ich versucht, wieder zu ihm zu kommen. Jedes Jahr an dem Tag unseres ersten Treffens hielt ich mich an jenem Ort auf. Aber ich blieb nach wie vor in unserer Zeit stecken. Irgendwann begann ich langsam, mich damit abzufinden. Aber der Verlust von Gordian war wie eine Wunde, die nur langsam heilte.

In meinen Gedanken war er immer noch täglich bei mir. Ich sah meine Welt teilweise durch seine mittelalterlichen Augen, überlegte oft, was er zu diesem oder jenem sagen würde und vermisste ihn schmerzlich. Und ich hatte oft sehr realistische Träume, in denen ich ihn traf, Ausflüge mit ihm machte, mit ihm intim war oder auch nur mit ihm diskutierte. Einmal hatte er zu mir gesagt, seine Liebe würde mich immer finden. Aus meiner Sicht stimmte das. Ich fühlte mich ihm immer noch so verbunden wie am ersten Tag unserer Liebe.

Und jetzt dieses Erlebnis. Vom ersten Augenblick an hatte ich mich Raphael überaus nah gefühlt. Als ob er Gordian wäre. Aber wie sollte das gehen? Er sah schon mal ganz anders aus – wenn er auch sehr attraktiv auf mich wirkte.

Raphael war ein moderner Mann und in meiner Welt geboren. Daran gab es keinen Zweifel. Und doch – irgendetwas war an ihm, das mich nicht mehr los ließ. Und dann hatte ich auch noch Gordian zu ihm gesagt und es stellte sich heraus, dass dies sein Nachname ist.

Das kann kein Zufall sein! Wenn ich mich nicht besser kennen würde, würde ich sogar behaupten, ich hätte mich Hals über Kopf in Raphael verliebt. Es wäre wohl besser, an etwas anderes zu denken. Also suchte ich nach Abwechslung – was mir noch nie schwer gefallen war.

Ein paar Tage später war Chorprobe. Danach saßen wir Sänger alle noch beisammen und unterhielten uns über die Begebenheiten der vergangenen Woche.

Gleich fragte eine Sopranistin neugierig „Laura, ich habe gehört, du warst letzten Samstag bei Landshut reiten? Das war doch der Tag, an dem das Wetter umschlug.“

„Stimmt. Wir kamen in ein Gewitter und konnten uns zum Glück noch unterstellen. Damit es uns nicht langweilig wurde, hat mir der Himmel auch noch einen Kavalier in Form eines Ritters geschickt.“ Warum war ich eigentlich immer so verdammt mitteilsam?

Da schaltete sich ein Tenor ein. „Du immer mit deinen schrägen Hobbies: Reiten, Mittelaltertreffen und so fort. Klar, dass irgendwann die Fantasie mit dir durchgeht. Wie sah er denn aus, dein Ritter?“

„Wie halt so ein Ritter im Allgemeinen aussieht: Pferd, Rüstung, Schwert, Schild und Helm. Einen Hund hatte er auch dabei. Hast du schon mal was von Ritterspielen auf Mittelaltermärkten gehört? Er ist einer von diesen Vertragsrittern. Ehrlich gestanden, hab ich ihn auch erst mal dumm angeredet.“

Die nächste lauernde Frage aus dem Bass.„Was habt ihr denn miteinander gemacht, du und der Ritter?“

„Wir haben uns bekannt gemacht. Was denn sonst?“ Ich sah den schelmischen Gesichtsausdruck. „Du schon wieder mit deiner dreckigen Fantasie, mein lieber Schwan!“ Ich drohte mit dem Finger.

Mein Nachbar sprang mir bei. „Ach, lass doch die Laura. Du weißt, dass sie bei ihren Ausritten immer irre Sachen erlebt. Ich finde das sehr spannend. Mir passiert nie was Aufregendes.“

„Ist auch viel gesünder, sag ich dir. Die Laura hat öfter mal blaue Flecken oder geprellte Knochen von ihrem Umgang mit den Pferden. Und wo solltest du schon Abenteuer erleben? Im Büro oder zu Hause? Dazu müsstest du schon unter Leute gehen.“

Das Geplänkel ging noch eine Weile weiter. Es stimmte, dass ich oft mit relativ skurrilen Begegnungen aufwarten konnte. Mir war das lange gar nicht aufgefallen. Bis meine Freundin Birgit zu mir sagte, ich würde ihr unheimlich mit meinen Wald- und Wiesen-Begegnungen.

Mein Termin am Samstag war eine Unterweisung in mittelalterliche Tänze von unserem Ritterbund, auf die ich mich schon wochenlang gefreut hatte. Wir übten verschiedene Tänze ein zu einer herrlichen Musik. Sobald wir die Schrittfolge kannten, war es sicher ein schönes Bild, da alle gewandet waren. Das gehörte natürlich bei diesen Treffen dazu. Alle hatten mittelalterliche Kleidung, mittelalterliche Namen und auch die dazugehörigen Wappen.

Man konnte zwar nicht behaupten, dass alle genau das gleiche Jahrhundert verkörperten, aber das wurde in unserem Fall nicht so eng gesehen wie bei anderen Gruppen. Wichtig war, dass sich jeder Einzelne in seiner Gewandung wohl und authentisch fühlte. Auf Brillen, Uhren und neumodisches Accessoire wurde – sofern möglich – verzichtet. Nur Digitalkameras waren unerlässlich, weil jeder von uns Fotos der Veranstaltungen wollte.

Anschließend wurde ein Kapitel4 unseres Vereins abgehalten. Im Gegensatz zu manch anderen Ritterbünden ging es allerdings bei uns nicht bierernst zu und es gab zwischendurch eine Menge Anlass, in tosendes Gelächter auszubrechen. Trotzdem war alles geregelt.

Private Gespräche kamen natürlich auch nicht zu kurz. Ich erzählte von meinem Erlebnis im „fernen“ Landshut und all meine Tischnachbarn waren ganz Ohr. „Unsere Reiterin und ihre Abenteuer!“ tönte einer der Freizeitritter. Er war ein guter Schwertkämpfer, aber Pferden gegenüber war er skeptisch. „Viel zu hoch und unberechenbar!“ Meine übliche Entgegnung darauf war: „Edler Recke, Ihr seht das falsch: No risk, no fun!5“

„Ich dachte erst, ich sei plötzlich in einem Film und wollte mich nach dem Kameramann umblicken“, erzählte ich ein wenig an der Wahrheit vorbei. Keiner meiner Freunde in dieser Runde wusste von meinem Jahr im Mittelalter oder Gordian. Das hatte ich nur meiner besten Freundin Ellen erzählt und die hielt dicht. Nicht mal meine Eltern hatte ich eingeweiht. Die hätten mich bestenfalls zum Psychiater geschleppt, mir aber auf keinen Fall geglaubt.

„Und, sieht er gut aus?“, fragte mich eine Freifrau sofort. „Ist er was fürs Bett?“

Ich lachte über ihre Direktheit. „Ja, ich würde ihn als attraktiv beschreiben. Er hat eine sehr männliche Ausstrahlung. Über die zweite Frage habe ich noch nicht nachgedacht. Und er wahrscheinlich auch nicht.“

„Wieso glaubst du das? Du bist doch eine absolut attraktive Erscheinung.“

„Schmarrn, ich sehe ganz passabel aus, aber gegen andere kann ich nicht anstinken.“

„Dann solltest du dich gleich mal im Spiegel betrachten!“

„Heute bin ich auch in Mittelaltergewandung. Da sehe ich auch viel besser aus als in staubiger Reiterkluft.“

Während ein Tag dieser zwei Wochen quälend langsam in den nächsten überging, war ich mir irgendwann gar nicht mehr sicher, ob es dieses eigenartige Erlebnis mit dem Landshuter Rittersmann wirklich gegeben hatte. War es vielleicht einer meiner üblichen äußerst realistischen Tagträume gewesen? Ich hatte zwar mein Tagebuch, aber… Obwohl ich nicht mehr recht daran glauben konnte, lieh ich mir zwei Wochen später wieder am Samstag den Pferdeanhänger von Birgit und fuhr, von guten Wünschen begleitet, bei besten Wetteraussichten ein weiteres Mal gen Landshut.

Eine Hälfte in mir freute sich auf ein Wiedersehen mit Raphael. Die andere Hälfte in mir glaubte an einen Tagtraum und verhöhnte mich und all meine Hoffnungen. So ritt ich mit gemischten Gefühlen zum Felsen. Mit Absicht hatte ich meine Ankunft wenige Minuten nach der Zeit gewählt. Meine bisherigen Erfahrungen hatten gezeigt, dass Männer kaum jemals pünktlich zu einem Rendezvous erschienen. Ich wollte mir ersparen, warten zu müssen.

Als ich vom Weg abbog und Rosella zum Willkommen wieherte, machte mein Herz einen Sprung. Raphael war schon da! Das erste Mal in meinem Leben, dass ein Mann vor mir an einem Treffpunkt war. Das konnte ich nur als ein gutes Zeichen werten.

Während ich abstieg und meine erste Hälfte der zweiten gerade die Zunge heraus streckte, kam mir Raphael strahlend entgegen. „Griaß di God!6“ Irgendwie sah er so erleichtert aus, wie ich mich fühlte. Diesmal war Raphael normal gekleidet: Hemd und Jodhpur-Reithose7 mit Stiefeletten. Er sah einfach zum Anbeißen aus.

Halleluja! Ein Mann, der auf dem Pferd schon ein Hemd trug, würde hoffentlich auch sonst nicht viel in T-Shirts herumlaufen. Ich jubelte innerlich. Steck einen der gefeierten Filmstars in ein x-beliebiges T-Shirt mit Rundhalsausschnitt und kaum eine Frau wird ihn bemerken. Trägt er dagegen ein Hemd mit Kragen, wirkt selbst der normalste Mann um Welten attraktiver und zieht sämtliche Blicke auf sich.

Ich selbst trug eines meiner ausrangierten Büroshirts mit Carree-Ausschnitt und eine ärmellose Reiterweste mit kleinem Stehkragen darüber. Dazu normale Reithosen mit Stiefeletten und Mini-Chaps8. Um den Hals trug ich meinen Lieblingsschmuck: eine Bergkristallscheibe mit einer silbernen Spirale.

Nach einer kurzen Begrüßung, bei der wir beide tunlichst vermieden, uns zu berühren, bestieg auch er sein Ross und wir ritten los. „Ihr habt hier eine schöne Gegend für Ausritte.“

„Stimmt, haben wir. Aber ich habe mir sagen lassen, dass auch das Altmühltal recht schön ist.“

„Mir gefällt es auch gut, aber ich bin dort nicht so oft. Ich muss extra mit einem geliehenen Hänger hinfahren und das ist ein ziemlicher Aufwand. Meistens reite ich irgendwo in den Donauauen zwischen Vohburg und Weltenburg oder auf Feldwegen und in den Wäldern der Gegend. Die Auen sind traumhaft schön und der Fluss fasziniert mich. Ich sehe oft Wild. Manchmal sind auch die Schäfer mit ihren Herden dort. An den Wochenenden kommen wir im Sommer häufig an Zelten vorbei. Wenn dann einer seinen Kopf herausstreckt und uns um 6:00 Uhr früh schon sieht, gibt es meistens ein ungläubiges Kopfschütteln für uns.“

Raphael lachte. „Das kann ich mir gut vorstellen. Wer steht schon so früh auf wie die irren Reiter?“

„Bergsteiger? Normale Menschen, die frei haben, im Allgemeinen jedenfalls nicht. Im Übrigen kenne ich genügend Reiter, die noch nie erlebt haben, wie die Sonne den Frühnebel über den Auen wegleckt und ihre Strahlen erst zögerlich wärmer werden. Genau, wie es genug Reiter – und deren arme Gäule – gibt, die noch nie im Gelände unterwegs waren und nur die Reithalle und vielleicht noch den Außenplatz kennen.“

Raphael sah mich zweifelnd an. „Ich schwöre!“, bekräftigte ich meine Worte. „Es gibt da einige Leute in verschiedenen Ställen, die an und für sich gute Reiter sind – oder sich auch nur dafür halten –, aber bei einem Ritt in unbegrenzter Weite zu viel Angst vor ihrer eigenen Courage und vor allem vor dem Temperament ihrer Pferde haben. Dafür kennen sie aber jeden Turnierplatz in der Umgebung und sind geübte Hängerfahrer.“

Raphael hatte nun einen entsetzten Ausdruck im Gesicht. „Und diese Pferde dürfen nie ins Gelände? Das ist ja Tierquälerei. Bin ich froh, dass ich von all dem nichts mitbekomme auf meinem Hof. Meine Rosella steht mit den zwei Kleinpferden meiner Nichten im Stall. Wir haben zwar einen Reitplatz, sind aber alle viel lieber draußen in der Natur. Ich dachte bisher eigentlich, dass das der Normalfall sei. Mit Reitställen habe ich mich noch nie richtig befasst.“

„Wenden wir uns doch einem erfreulicheren Thema zu: Wie oft warst du schon auf der Landshuter Fürstenhochzeit dabei?“ Raphael überlegte kurz. „Heuer wird es das vierte Mal sein. Als ich mir mit 18 Jahren ein Pferd kaufte, hatte ich ein paar Freunde, die mich in die Pflicht nahmen. Sie waren damals schon als Darsteller für die nächsten Spiele engagiert und behaupteten, sie bräuchten noch jemandem, mit dem sie üben könnten. Mir machte das alles einen Mordsspaß und bis ich mich umschaute, war ich auch gemeldet für die Ritterspiele. Mit 21 Jahren war ich also erstmals dabei. In Landshut gestalten wir die Spiele wie Ringelstechen und so weiter, bei anderen Turnieren auf Mittelaltermärkten sind wir Darsteller bei den richtigen Ritterspielen.

Beim ersten und zweiten Mal in Landshut hatte ich noch meinen Donner, einen hübschen braunen Wallach. Der hatte dann aber einen bösen Tumor und wir mussten ihn einschläfern lassen. Später kaufte ich mir diese schöne Dame hier und übte mit ihr so lange, bis sie ein richtiges Kriegspferd wurde. Sie kann fast alles, was das Pferd eines Ritters vor einigen hundert Jahren können musste. Meine Süße darf heuer zum zweiten Mal teilnehmen.“

Ich rechnete kurz. Raphael musste also jetzt 33 Jahre alt sein. Ich hatte mir natürlich auch schon mal den Hochzeitszug und die Ritterspiele angesehen und war durchaus angetan gewesen.

„Ich brauche unbedingt in diesem Jahr eine Karte für die Spiele. Euch beide muss ich sehen!“

Er strahlte mich an. „Ich besorge dir gerne eine Karte. Du musst mir nur sagen, für welches Wochenende. Wenn du dich dann auch mittelalterlich gewanden willst, hätte ich vielleicht eine Quelle für dich.“

Ich freute mich, er sich um eine Karte kümmern wollte. „Danke für das Angebot. Das ist sehr nett von dir, dass du dich um eine Karte für mich bemühen willst. Das nehme ich gerne an. Für die Gewandung habe ich allerdings selbst eine Quelle.“ Ich sagte nicht, dass diese mein Kleiderschrank war, in dem diverse mittelalterliche Modelle, darunter sogar ein Original aus dem Jahre 1400, hingen. Im Moment war mir nur wichtig, dass mich Raphael für eine ganz normale Frau hielt, die zwar mal auf dem einen oder anderen Ritterfest gewesen war, aber ansonsten nichts mit der Materie zu tun hatte. Ich hatte zwar keine Ahnung, warum mir das so wichtig war, aber ich hielt diese Vision für ihn aufrecht.

„Soll ich dir das Geld für die Karte gleich geben?“ Ich wollte keinen Zweifel lassen, dass ich sie selbstverständlich zahlen würde.

Aber er winkte ab. „Ich weiß die genauen Preise nicht.“

Wir sprachen noch über dies und das, ließen die Pferde eine ganze Weile schweigend und entspannt nebeneinander galoppieren und nahmen dann den Gesprächsfaden wieder auf. Nach einem ausgedehnten Ausritt von etwa drei Stunden mit Biergartenunterbrechung kamen wir wieder am Ausgangspunkt an.

„Wo steht dein Auto? Wir bringen euch noch hin und dann mache ich mich mit Ella auf den Heimweg.“ Also wurden wir noch zum Auto begleitet. Ich verlud Arwakr, der sich nur schwer von seiner neuen Freundin trennen konnte. Beide wieherten herzzerreißend. Dann standen Raphael und ich uns unsicher gegenüber. Ich brach schließlich das Schweigen zwischen uns. „Danke für den schönen Nachmittag. Ich habe den Ausritt und die Gespräche sehr genossen.“

„Ja, das habe ich auch. Und deshalb auch ein Dankeschön an dich. Ich würde dich gerne nächsten Samstag erneut sehen. Allerdings habe ich da nachmittags noch berufliche Termine. Was hältst du davon, wenn wir uns wieder am bewährten Treffpunkt verabreden? Aber besser dann ohne Pferde. So um 18:00 Uhr? Wir können dann vielleicht einen Spaziergang machen und uns ein wenig unterhalten.“

Spaziergang? Und das aus dem Mund eines jungen Mannes? Egal, wir würden sehen. Ich musste nicht lange überlegen. Ob nun in meinem Terminkalender schon was stand, oder auch nicht, ich wollte Raphael wiedersehen und sagte zu. Mich hatten die letzten zwei Wochen zu viele Nerven gekostet, als dass ich nochmals so lange hätte warten können.

09. Mai 2009

Liebe Sarah,

du wirst nicht glauben, was ich zu erzählen habe. Aber: Sie ist mysteriös wie eine Elfe und sie hat mich verzaubert. Ich muss sie unbedingt wiedersehen!

Etwas anderes konnte ich gestern nicht denken, als Laura mit Arwakr im Hänger und ihrer Kelheimer Autonummer wegfuhr. Der Nachmittag mit ihr war für mich wie ein wahr gewordener Traum. Und trotzdem glaube ich immer noch, nicht aufgewacht zu sein. Ich erinnere mich daran, dass ich meinem besten Freund Richard gegenüber einmal ganz ernsthaft behauptet hatte, ich würde meiner Traumfrau eines Tages im Wald begegnen. Und jetzt ist es eingetroffen und ich bin doch total skeptisch.

Laura übt eine wahnsinnige Anziehungskraft auf mich aus und trotzdem verhielt ich mich ihr gegenüber wie ein unerfahrener Junge und hielt sie auf Distanz. Gleichwohl hätte ich sie am Liebsten in die Arme genommen, sie von oben bis unten geküsst und ihr die Welt zu Füßen gelegt. Ich hatte von Beginn an das Gefühl, als würde ich sie schon Jahrhunderte lang kennen. Als bräuchten wir keine Sprache, um uns zu verständigen, weil wir alles voneinander wussten, was relevant war.

Einen solchen Aufruhr in meinen Gefühlen hatte bisher noch keine Frau bei mir bewirkt. Ich war immer ziemlich kopfgesteuert in eine Beziehung gegangen und hatte mich dann gewundert, dass es kein Fundament gab, auf das man bauen konnte.

Mit Laura ist das anders. Wenn ich nur an sie denke, hüpft mein Herz. Und als sie mir gegenüber stand, bekam ich Schweißausbrüche und konnte nicht mehr klar denken. Ich glaube, wenn sie etwas verlangt hätte von mir – ich hätte alles für sie getan.

Ja, vielleicht ist das des Rätsels Lösung! Sie hat bisher noch keine Ansprüche angemeldet, mich um nichts gebeten. Alle anderen Frauen, die bei einem ersten Treffen bemerkt hatten, dass ich ihnen zumindest körperlich zugetan war, verlangten von mir gleich dies und das.

Ich sollte dieses tun und jenes lassen. Nein, das mit der Karte fürs Ritterspiel war sicher keine Aufforderung. Sie hatte nur gesagt, was sie dachte. Denn auf mein Angebot, eine zu besorgen, reagierte sie etwas verlegen, wenn auch erfreut. Und sie ließ keinen Zweifel daran, sie auch bezahlen zu wollen. Das werde ich natürlich nicht zulassen.

Ich hatte ehrlich nicht gedacht, dass Laura zu unserem zweiten Treffen kommen würde und ich hatte Angst, dass ich mir Hoffnungen auf einen Traum gemacht hatte, der sich nicht erfüllen konnte. Das machte mich so unruhig, dass ich schon eine Stunde vor der verabredeten Zeit an Ort und Stelle war. Ich machte mich mit meinen Zweifeln fast selbst verrückt.

Meine Uhr zeigte schon einige Minuten nach der verabredeten Zeit. Und plötzlich saß sie vor mir auf ihrem Friesen und lächelte mich an. Ich hätte jubeln können. Ihre Entschuldigung, dass sie sich wegen eines Missgeschicks verspätet hatte, glaubte ich ihr allerdings nicht. Sie hatte es genau so geplant. Warum, das werde ich auch noch herausfinden. Aber das war alles erst mal Nebensache.

Schlau werde ich aus ihr jedenfalls nicht. Sie war mir gegenüber einerseits herzlich, andererseits distanziert. Ich konnte nicht umhin, zu bemerken, dass sie es vermied, mich zu berühren.

Doch noch nie hat mir ein einfacher Ausritt so gut gefallen. Ständig musste ich mich beherrschen, Laura nicht zu lange anzustarren. Ihre vermutlich gefärbten dunkelroten Haare stehen ihr sehr gut zu den meist grün, manchmal auch grau schimmernden Augen. Sie ist nicht besonders groß, aber schlank und mit Rundungen genau an den richtigen Stellen.

Der Ausschnitt ihres Shirts endete gerade über dem Brustansatz und ließ darüber eine herrlich glatte Haut erkennen, die ich nur zu gerne berührt hätte. Die typische Damenreitweste wirkte, wie für sie maßgeschneidert und die Hosen ließen einen knackigen Po und ihre stämmigen, aber wohlgeformten Beine eindeutig erkennen. Insgesamt eine erfreuliche Erscheinung für einen Mann wie mich.

Laura hat manchmal einen etwas schrägen Humor und kann offensichtlich auch über sich selbst lachen. Das gefällt mir an ihr so sehr. Andererseits gibt sie sich manchmal etwas stachelig.

Du wirst jetzt lachen, denn es klingt wie in einem deiner Bücher: Für unser drittes Treffen kam mir die zündende Idee letzte Nacht. Ich träumte von einem Paar, das sich an unserem Ort traf. Sie waren beide mittelalterlich gekleidet. Die Frau hatte beinahe Lauras Gesichtszüge, aber braunes Haar und sie war definitiv jünger. Der Mann war nur wenige Zentimeter größer als sie und schwarzhaarig. Auch er war relativ jung und sah sehr gut aus. Er hatte sie offensichtlich überrascht damit, einen höhlenartigen Raum wie den unsrigen zu dekorieren und sie gab ihm dafür einen innigen Kuss. Ich spürte im Traum förmlich die Liebe zwischen den beiden und fühlte mich ihnen eng verbunden. Sie würde in den starken Armen des Mannes in wenigen Minuten dahin schmelzen, dessen war ich mir sicher.

Und dann geschah etwas Außergewöhnliches. Der Ritter blickte plötzlich in meine Richtung und machte eine einladende Geste. So, als sage er mir, ich solle es gleich ihm tun.

Als ich aufwachte, war mir der Traum so präsent, dass ich ihn aufschrieb. Alle Einzelheiten hatte ich mir gemerkt. So werde ich es auch machen. Wenn ich viel Glück habe, erziele ich damit zumindest eine ähnliche Wirkung wie dieser fremde Recke mit seiner Maid.

Wünsch mir Glück!

Alles Liebe

Raphael

16. MAI

Während der Woche war ich ziemlich transusig und einsilbig. Ellen, der ich sonst wirklich fast alles erzählte, schalt mich, weil ich nicht viel sagen wollte. „Ich weiß, dass es mit diesem Rittersmann aus Landshut zu tun hat. Da kannst du mir nichts vormachen. Ach, ich würde mich ja so freuen, wenn du endlich mal einen passenden Super-Mann hättest! Aber bitte erzähl mir von ihm! Ich komme sonst um vor Neugier.“

„So schnell stirbt man nicht daran.“, war meine trockene Antwort darauf. Und dann ließ ich mich erweichen. „Du hast Recht, aber mehr gibt es im Moment noch nicht zu sagen.“

Sie wusste, wann sie aufhören musste und meinte nur noch „Bitte lass mich die Erste sein, die es erfährt.“

„Wem sollte ich es denn sonst erzählen?“

Am Samstag stand ich dann vor einem Problem. Was sollte ich anziehen? Ich hatte keine Ahnung, was sich Raphael ausgedacht hatte. Und mein Schrank gab wie üblich nicht wirklich her, was er sollte.

Nach langem hin und her entschied ich mich für ein rotes Kleid aus einem schön fallenden Jerseystoff mit einem weiten Rock und einem tiefen Ausschnitt. Dazu wählte ich eine Halskette mit einem Bergkristall, den Armreif von meinem letzen Ausflug mit Gordian und bequemes Schuhwerk. Da es abends noch recht frisch war, nahm ich ein Plaid aus Yakwolle mit.

Ich wollte vor allem mir selbst gefallen und mich wohlfühlen. So gewappnet fuhr ich wieder Richtung Landshut. Ohne Anhänger konnte ich ganz in der Nähe des Treffpunkts parken und stellte fest, dass schon ein Auto dort stand. Das musste Raphael gehören. Ich war froh, dass ich diesmal pünktlich sein durfte, weil ich ja wusste, dass er schon dort war.

Gespannt ging ich zum Treffpunkt. Im Kofferraum hatte ich wohlweislich ein paar Dinge zum Essen und eine Flasche sehr guten Weins sowie einen Korkenzieher und zwei Silberbecher. Aber ich wollte erst mal sehen, wie sich der Abend entwickelte und meinem Gastgeber nicht ins Handwerk pfuschen.

Als ich um die Ecke ging, kam mir Raphael schon entgegen. „Hallo, schöne Frau!“ Seine Augen leuchteten bewundernd. Ich hatte also richtig entschieden und lächelte ihn freudig an. Er sah klasse aus in seinem dunkelroten Hemd und den schwarzen Hosen.

„Gehen wir ein paar Schritte?“, fragte er mich. Ich hatte nichts dagegen. Also spazierten wir den Waldweg entlang. Schweigend gingen wir eine ganze Weile nebeneinander her. Jeder in die eigenen Gedanken versunken.

Ich merkte, dass mich Raphael unverwandt ansah und blickte zu ihm auf. Sehnsucht stand in seinen Augen. Die gleiche Sehnsucht, die ich selbst verspürte. Aber auch Zurückhaltung. Ich denke, er wusste instinktiv, dass noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen war.

„Ich habe mich die ganze Woche auf diesen Augenblick gefreut“, begann er unsere Konversation. „Fast hätte ich Cajus mitgenommen, als moralische Unterstützung. Aber der Kerl hat die Macke, immer im falschen Augenblick zu nerven. Dazu ist er auch noch verfressen. Und die Kombination konnte ich heute nicht riskieren.“ Ich stellte mir ein paar solcher falschen Augenblicke vor und lachte.

„Da hätte ja meine beste Freundin auch gut dazu gepasst. Die hat nämlich auch eine Begabung dafür, zu nerven. Sie löchert mich schon seit drei Wochen, wer denn der Ritter sei und kommt zu den unmöglichsten Schlussfolgerungen, weil ich ihr nichts erzähle.“

Wir verfielen immer wieder in Schweigen und ich fand es schön. Die Vögel zwitscherten ihren Abendgesang und wir sahen uns das glühende Abendrot über den Feldern an. Wir standen am Waldrand und blickten auf eine wunderschöne Landschaft, die im Rot der untergehenden Sonne ertrank. Da wir eine Schleife gegangen waren, hatten wir nur noch wenige Meter zurück zum Ausgangspunkt.

Mit einem „Warte bitte ein paar Minuten. Ich hol dich gleich ab“, ließ mich Raphael kurzzeitig an der Wegbiegung alleine. Ich setzte mich ins weiche Gras und machte mir einen Haarkranz aus Gänseblümchen. Als er wieder kam, verneigte er sich vor mir.

„Darf ich bitten, schöne Elfe?“ Er gab mir lächelnd die Hand und half mir auf. Sofort stand ich in Flammen durch die Berührung seiner warmen Finger. Er führte mich in den kleinen Höhlen-Raum und sah mich dann intensiv an. Ich stand nur da und glaubte zu träumen.

In den Felsnischen rundum standen flackernde Kerzen, am Boden lagen eine große Picknickdecke und zwei Kissen. Ein mehrarmiger Kerzenleuchter gab ein warmes Licht und beschien eine Varieté von Speisen, Teller, Besteck und zwei Weinkelche. Dazwischen lagen Efeuranken und weiße Stoffservietten mit Serviettenringen.

In dem Moment hatte ich ein Bild von Gordian vor Augen, der es auch hin und wieder geschafft hatte, mich zu überraschen. So etwas wäre vielleicht auch ihm eingefallen. Ich war verwirrt und meine Gefühlswelt brauchte einige Sekunden, um mich wieder in die Gegenwart zu bringen.

Vor Rührung brachte ich keinen Ton heraus, hatte ich doch in dem Moment ganz schön nah am Wasser gebaut. Solange mir noch die Tränen in den Augen standen, weigerte ich mich, Raphael anzusehen. Ich musste mich erst wieder fassen. Als ich ihn kurz berührte, spürte ich wieder dieses Knistern wie bei unserem ersten Treffen und vorhin. Es war überraschend angenehm und in keiner Weise beängstigend, aber sehr intensiv. Irgendwie ein Gefühl von Heimkommen und Geborgenheit.

Dann glaubte ich mich wieder halbwegs unter Kontrolle zu haben und sah ihn an. „Der Raum sieht wunderschön aus.“ Einer plötzlichen Regung folgend, umarmte ich ihn und drückte ihm einen schwungvollen Kuss auf die Wange. Sofort schlossen sich seine Arme um meine Taille und er zog mich näher zu sich. In dem Moment hatte ich das Gefühl, von Gordian umarmt zu werden und spürte dessen unendliche Liebe. Er hielt mich erst nur so und es fühlte sich wundervoll an. Ich wähnte mich wieder bei meinem Mann. Als Raphaels Lippen allerdings nach den meinen suchten und ich mich wiederum in der Gegenwart wiederfand, wich ich ihm verwirrt aus und wand mich aus der Umarmung, um mich zu sammeln, brach jedoch die Verbindung nicht ganz ab. Ich wollte ihn nicht noch mehr verletzen.

Mühevoll musste ich meine Sinne sortieren.

„Bitte gib mir Zeit.“

Ich räusperte mich und sah mich um. „Heißt das, du lädst mich zum Essen ein?“

Raphael sah mich voller Verlangen, aber auch Enttäuschung an, dann klärte sich sein Blick, als wenn er erkannt hätte, dass noch nicht alles verloren sei. „Ja, genau das hatte ich vor.“

„Seid bedankt, edler Recke, für eure Gastfreundschaft.“ Mit seiner Hilfe ließ ich mich auf eines der Kissen nieder. Er gab mir einen grünen Glaskelch mit etwas Wein in die Hand.

„Das sind ja böhmische Gläser! Die Kelche sind wunderschön. Warst du zum Einkaufen über der Grenze?“ Raphael lächelte mich stolz an. „Ein Freund von mir – ich kenne ihn aus der Mittelalterszene – ist Glasbläser und macht solche Herrlichkeiten.“

„Daraus schmeckt der Wein sicher gleich noch viel besser. Wohlsein!“ „Wohlsein. Auf uns und auf eine hoffentlich blühende Freundschaft.“

„Darauf trinke ich gerne“, entgegnete ich ihm.

Raphael reichte mir Brot und Käse. „Die Speisen munden vorzüglich, wohledler Ritter. Ihr habt Euch sehr ins Zeug gelegt und unsere Hochachtung und Zuneigung ist Euch gewiss. Das muss Euch für den Moment genügen, denn wir sind uns unserer sonstigen Gefühle noch nicht sicher.“

„Ihr seid zu gütig, vielminnigliche Dame unseres Herzens. Dies ist nur ein bescheidener Beitrag, um Eure Gunst zu erlangen.“ Mit diesen Worten hielt er mir unvermittelt eine weiße Lilie entgegen.

Gordian hatte mir einmal eine Lilie als Liebesgabe überreicht. Damals hatte er mir zu verstehen gegeben, dass die Lilienblätter, wie sie in vielen Wappen dargestellt wurden, Glaube, Ritterlichkeit und Weisheit symbolisierten mit den Worten „ich glaube an unsere Liebe, ich werde mich immer als dein Ritter würdig erweisen und habe hoffentlich immer die Weisheit, zu wissen, wie ich dir eine Freude machen kann“.

Nun konnte ich nicht mehr an mich halten und die Tränen begannen, mir übers Gesicht zu kullern. Raphael rückte näher zu mir, legte seine Arme von hinten um mich und hielt mich. Ich lehnte mich an ihn und empfand dies wunderbar tröstlich.

Nach einer Weile hatte ich mich wieder gefangen. „Danke!“, sagte ich nur.

„Wofür?“

„Für die Lilie, für deinen Halt, und dass du keine Fragen stellst.“

Wir aßen und unterhielten uns über unverfängliche Themen. „Wurde dein Pferd schon mal auf einer Flussfähre transportiert?“

Raphaels Gabel schwebte auf dem Weg zum Mund in der Luft. „Wie käme ich auf die Idee?“

„Na ja, zwischen Eining und Hienheim sowie zwischen Weltenburg und Stausacker gibt es jeweils eine Fähre auf der Donau. Man kann so mit Auto, Rad, zu Fuß oder eben mit dem Pferd die Donau überqueren. Es gibt nämlich zwischen Neustadt an der Donau und Kelheim keine Brücke.“

„Und du hast mit Arwakr so schon mal die Ufer gewechselt?“ „Ja, sicher. Und ich bin ganz stolz auf meinen großen Buben. Er hat sich nur sehr nah an mich gedrückt und stand ganz still, bis wir auf der anderen Seite wieder Land gewannen.“

„Hm, das wäre schon mal eine Herausforderung. Aber dieses Abenteuer möchte ich nur mit dir und Arwakr gemeinsam wagen. Meine Rosella besteht sicher auch darauf, von so erfahrenen Seeleuten wie euch betreut zu werden.“

Wir fanden noch zahlreiche andere Themen. Der Abend war trotz meiner Gefühlswallungen sehr schön und ich lernte Raphael noch besser kennen. Er ist überaus männlich, aber auch sensibel. Und er scheint das andere Geschlecht als gleichwertig zu würdigen. Das machte ihn für mich vom ersten Augenblick an sehr attraktiv.

In dieser Nacht träumte ich wieder von Gordian. Er hielt mich ganz fest in seinen Armen, als wolle er mich trösten. Ich wollte ihm so gerne erzählen, dass es mir nun besser ging und weshalb. Allerdings schien es uns nicht möglich, uns Informationen über unsre Zweisamkeit hinaus zu geben. Es war, als wenn wir alleine auf einem einsamen Stern wären. Sobald ich ihn zu Juliana und Martin fragen oder Raphael erwähnen wollte, verblasste der Traum. Ich wusste also nicht, was auf dem Gut passierte und sprach auch nicht über den neuen Mann in meinem Leben.

17. Mai 2009

Liebe Sarah!

Deine Wünsche haben mir Glück gebracht! Der Raum sah genau aus, wie in meinem Traum und ich war immens stolz darauf. Als Laura zu unserer Verabredung kam, verspürte ich einen Kloß im Hals. Sie sah umwerfend aus mit dem Kleid, dessen weiter Rock ihre Beine umschmeichelte. Rot steht ihr vorzüglich.

Sie ist so natürlich und hat eine Ausstrahlung, die einen sofort für sie einnimmt. Dieser spontane Kuss beim Anblick des festlichen Raumes – ich hätte beinahe die Beherrschung verloren und sie nicht mehr losgelassen. Aber ich war wohl zu ungestüm, denn sie machte plötzlich einen verlorenen und ernüchterten Eindruck, wie ein Kind, das sich verlaufen hat und dies in dem Moment realisierte. Dabei hatte ich das Gefühl, dass sie mir wirklich zugetan war.

Wir plänkelten ein wenig und übten uns in der mittelalterlichen Sprache. Als ich ihr eine weiße Lilie überreichte, begann Laura zu weinen. Ich beschloss, nichts zu sagen und wurde dafür belohnt. Um sie zu trösten, schlang ich meine Arme um sie, und sie ließ mich gewähren und lehnte sich sogar an mich. Ein riesiger Erfolg für mich. Was steckt hinter ihren Tränen?

Sie dankte mir dafür, keine Fragen gestellt zu haben. Also gibt es sicher eine interessante Geschichte dahinter. Ich glaube, ich muss bei ihr ziemlich geduldig sein. Das wird mir schwer fallen. Aber ich bin überzeugt, es wird sich irgendwann lohnen.

Für den Rest des Abends hatte Laura das Heft fest in der Hand. Sie hielt mich immer ein wenig auf Distanz, sorgte aber dafür, dass ich genug Hoffnung auf eine Erfüllung meiner geheimsten Träume mit nach Hause nahm. Überschwänglich dankte sie mir für den wundervollen Abend.

Diesmal ließ ich mir ihre Telefonnummer geben und gab ihr meine. Wir wollen uns auch nächstes Wochenende wieder sehen. Bei der Gelegenheit werden Rosella, Cajus und ich mit ihr und Arwakr die Donauauen erkunden.

Bis ich nicht ganz sicher bin, dass diese Frau zu mir gehört, will ich sie nicht meinen Freunden vorstellen. Nicht mal dir. Ich glaube, ich habe immer noch Angst, dass sie sich plötzlich als Traum entpuppt und ich alleine dastehe und mich lächerlich mache – wieder. Das wäre ja nicht das erste Mal, wie du weißt.

Viele liebe Grüße

Raphael

19.–23. MAI

Dann kam am Dienstagabend ein Anruf von Raphael. „Hallo Elfe! Störe ich?“

„Nein, du hast es richtig erwischt. Gerade habe ich das letzte Teil gebügelt und das Eisen ausgeschaltet. Jetzt habe ich Zeit. Freut mich, dass du anrufst.“ Ich spürte förmlich sein Lächeln und sah seine blitzenden Augen vor mir.

„Ich habe gerade an dich gedacht und mir überlegt, ob wir am kommenden Samstag ein Frühstück mit einbauen sollen in unseren Ausritt.“

Ich schmunzelte. „Die Idee hatte ich auch schon. Da du die weite Anreise hast, werde ich mich diesmal um das Kulinarische kümmern. Gibt es etwas, was du nicht verträgst oder nicht magst?“

„Ich bin nicht unbedingt scharf auf Filterkaffee, aber ich esse fast alles.“

„Dann lass dich einfach überraschen.“

Somit war dieser Punkt abgehakt. Anschließend plauderten wir ein wenig über dies und das und verabschiedeten uns dann bald, bevor einer von uns Peinlichkeiten ins Telefon schmachten konnte.

Es ist schon eigenartig, dass wir uns nie an öffentlichen Orten treffen. Aber Raphael will es anscheinend genauso wenig wie ich. Bis ich mir sicher über meine Gefühle zu ihm bin, und was das in Bezug auf Gordian heißt, möchte ich nicht mit ihm von meinen Freunden gesehen werden. Außerdem, was machte mich denn so sicher, dass er das gleiche wollte wie ich? Das waren auch Gründe, warum wir uns schon um 6:00 Uhr früh in den Auen treffen wollten.

Samstag früh stand ich um 4:00 Uhr auf, kochte Tee und buk Scones9. Dann packte ich alles, was ich sonst noch brauchte, in eine kleine Kühltasche, gab den leicht aromatisierten Grüntee mit etwas gerührten Blütenhonig in eine große Thermoskanne und verpackte die Scones gut, damit sie nicht gleich auskühlen würden. Anschließend wurde alles mitsamt Picknickgeschirr in meinen Satteltaschen verstaut und so gerüstet fuhr ich über einen kleinen Umweg beim Bäcker vorbei zum Stall. Zuerst fütterte ich die Pferde, für die so eine Zeit an Sommerwochenenden gar nicht ungewöhnlich war. Die anderen Pferde brachte ich gleich mal auf die Weide.

Während Arwakr fraß, putzte ich ihn schon. Es hatte etwas meditatives, ihn zu striegeln, während seine Kaugeräusche den Raum erfüllten. Arwakr hörte immer wieder kurz auf zu fressen und legte dann seinen Kopf auf meine Schulter oder knabberte mit seiner weichen Lippe an meinen Haaren. In solchen Momenten machte mich mein Pferd glücklich. Er zeigte mir sein Vertrauen und seine Zuneigung.

Als wir beide fertig waren, wurde er gesattelt und aufgetrenst10. Zuletzt befestigte ich die Satteltaschen. Ich ritt mit meinem Liebling zu der Stelle, die wir als Treffpunkt ausgemacht hatten. Dort stand schon Raphaels Auto mitsamt Hänger und Rosella wurde gerade gesattelt. Cajus lief uns entgegen und begrüßte uns freudig bellend.

Ich stieg ab, kraulte den Hund kurz und begrüßte dann Raphael mit einer herzlichen Umarmung. „Schön, dass ihr hier seid. Ich freue mich, dass uns auch der Wettergott hold ist.“

Nur wenige Minuten später waren wir auf dem Weg. Noch strahlte die Sonne uns nicht entgegen, aber sie arbeitete sich schon tapfer durch die etwas diesige Morgenluft. Dort, wo wir über Gras ritten, hinterließen wir eine sattgrüne Spur in den taunassen Wiesen. Wir schreckten ein paar Vögel auf, die ihrerseits unsere Pferde aus dem Tritt brachten und einmal querten zwei Rehe unseren Weg.