Wege durch das Tal der Träume - Daniela Brotsack - E-Book

Wege durch das Tal der Träume E-Book

Daniela Brotsack

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Beschreibung

Lucienne ist 12 Jahre und ein ganz normaler Teenager – bis Ruth in ihr Leben tritt. Das tut diese auf eine besondere Art und Weise. Die neue Freundin nimmt Lucienne mit ins Tal der Träume, wo sie mit Bräuchen und Traditionen ihrer Heimat vertraut gemacht wird. Plötzlich ist das bisher langweilige Thema für Lucienne höchst interessant und sie erwartet ungeduldig den nächsten Ausflug mit Ruth. Die Autorin erzählt über unterschiedliche Bräuche und Traditionen im Jahreskreis – vorwiegend aus Nieder- und Oberbayern – anhand eigener Erfahrungen sowie Überlieferungen verschiedener Quellen. Ein Buch, das als unterhaltsame Hinführung zum Thema Bräuche und Traditionen gerade für junge Leser ideal ist.

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Lucienne ist 12 Jahre und ein ganz normaler Teenager – bis Ruth in ihr Leben tritt. Denn das tut diese auf eine besondere Art und Weise. Die neue Freundin nimmt Lucienne ins Tal der Träume mit, wo sie mit Bräuchen und Traditionen ihrer Heimat vertraut gemacht wird. Plötzlich ist das bisher so langweilige Thema für Lucienne höchst interessant und sie erwartet ungeduldig den nächsten Ausflug mit Ruth.

Die Autorin erzählt verschiedene Bräuche und Traditionen im Jahreskreis – vorwiegend aus Nieder- und Oberbayern – anhand eigener Erfahrungen aber auch Überlieferungen verschiedener Quellen auf unterhaltsame Weise nach.

Ein Buch, das als unterhaltsame Hinführung zum Thema Bräuche und Traditionen gerade für junge Leser ein idealer Einstieg ist.

Für alle, die sich noch ein Stück Kindheit bewahrt haben

Vorwort und Danksagung

Von Kindheit an haben mich Bräuche und Traditionen meiner Heimat immer fasziniert und interessiert. Mit einigen sehr schönen Bräuchen bin ich aufgewachsen. Dann hat es mich irgendwann beruflich von Niederbayern nach Oberbayern verschlagen. Erst zu dieser Zeit habe ich realisiert, dass es gewaltige Unterschiede gibt, wie Bräuche überdauern und gelebt werden.

Bayern ist reich an Brauchtum – doch in jedem Dorf sieht es etwas anders aus. Daher gibt es auch zahlreiche Bücher zum Thema. Diese sind teilweise wundervoll bebildert und sehr gut recherchiert. Für mich hatten sie jedoch immer zwei Nachteile: Es handelt sich mehr um Sachbücher, die dadurch etwas „trockener“ zu lesen sind, und sie umspannen immer nur eine kleine Region oder gar nur einen Ort.

Mein persönlicher Anspruch an dieses Buch war, die einzelnen Bräuche zu verweben und sie mit einer Geschichte zu umspannen. Mit der Auswahl der geschilderten Traditionen folgte ich meinen eigenen Erfahrungen und der Neugierde. Ich erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder absolute Richtigkeit. Versuchen Sie einmal, einem einzigen Brauch auf den Grund zu gehen – Sie werden viele verschiedene Versionen von Entstehung und Weiterführung dafür finden. Daher war ich so frei, mich jeweils für die Version zu entscheiden, die mir besser gefiel.

Zum Schluss noch ein großes Dankeschön all jenen, die dazu beigetragen haben, dass dieses Buch veröffentlicht wird: meinen Eltern und Freunden, die meine Geschichten für interessant und lesenswert erklärten und mich drängten, diese einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen. Danke außerdem meiner Korrektorin und Lektorin Carola Eckl, die den Text nach Tipp-, Umbruch- und Denkfehlern durchforstet hat.

Viel Spaß bei der Lektüre wünscht

Daniela Brotsack

Das Leben ist zu kostbar, um es mit Nichtigkeiten zu vergeuden.

INHALT

Der Jahreskreis

21.Dezember:Wintersonnenwende

25. Dezember–06. Januar: Rauhnächte oder Raunächte

06. Januar: Drei Hl. Könige/Frau Holle oder Percht

Januar

02. Februar: Imbolc/Lichtmess

Karneval – Fasching

14. Februar: Valentinstag

Februar

21. März: Ostara

März

Palmsonntag

Ostersonntag

April

30. April: Beltane/Walpurgisnacht

1.Mai:Der Maibaum

Mai

24. Juni: Johannisfeuer

Juni

Das Feuer

31. Juli/01. August: Lammas

Juli

10.–15. August: Laurentitränen

August

Erntedank

September

Kirmes oder Kirchweih

Oktober

31. Oktober/1. November: Halloween und Allerheiligen

3. November: Hubertustag

6. November: Leonhardiritt

11. November: Sankt Martin

30. November: Andreastag

November

5./6. Dezember: Sankt Nikolaus

13. Dezember: Luziatag

Adventsbräuche

24. Dezember: Heiliger Abend

26. Dezember: St. Stephaniritt

Dezember

Literaturliste

Wochentage

Monatsnamen

Namens-/Wortverzeichnis

Früher dachte Lucienne immer, alles wäre normal. Was sie erlebte, so meinte sie, würden alle anderen Menschen auch in ähnlicher Weise erleben. Zuerst erzählte sie nichts davon, weil ihre Freundin sie darum gebeten hatte und Lucienne nie jemanden absichtlich enttäuschen würde. Später dann bewahrte sie ihr Geheimnis auch, weil sie irgendwann herausfand, dass sie über etwas Besonderes verfügte, dem die Menschen ihres Umfeldes vermutlich irritiert, wenn nicht sogar abweisend begegnet wären.

Schon in ihrer Kindheit war Ruth eines Nachts in ihren Träumen aufgetaucht. Das Mädchen war ungefähr in Luciennes Alter, aber sie wusste häufig über Dinge Bescheid, von denen Lucienne noch nie etwas gehört hatte. Beide unterhielten sich oft die ganze Nacht miteinander oder spielten selbstkreierte Spiele.

Alles das passierte immer nur in Luciennes Träumen, weshalb sie morgens genauso erfrischt aufstand wie andere Menschen – aber sie konnte sich im Gegensatz zu „normalen Träumen“ immer an jede Einzelheit erinnern. Diese Ereignisse wiederholten sich auch nie. Sie waren fortlaufend wie das Leben selbst. Ruth und Lucienne wurden beide älter und Lucienne auch klüger.

Eines Nachts, Lucienne war gerade zwölf Jahre alt geworden, kam Ruth wieder und nahm ihre Freundin bei der Hand. „Komm mit. Ich will dich in das Tal der Träume führen. Bisher haben wir uns immer nur in einer Zwischenwelt getroffen. Nun wird es Zeit, dass du das Tal endlich kennenlernst. Im Tal der Träume werden alle Erinnerungen der Menschheit aufgehoben und gepflegt. Dort geht nie etwas verloren, und wenn man den Weg weiß, kann man dort auf alle Fragen, die man sich ausdenken könnte, Antworten finden.

Im Tal laufen alle Zeiten der Welt zusammen und man kann jeden Weg, den es jemals gab oder geben wird, betreten. Ich will dir Dinge aus der Vergangenheit zeigen, an die sich die Menschen in deiner Umgebung wieder erinnern sollen. Vieles ist zwar in irgendwelchen Sachbüchern verzeichnet, aber diese werden nur selten gelesen.

Es ist bei einem großen Teil der Menschen schon viel in Vergessenheit geraten. Aber ich weiß, dass du dich für diese Dinge sehr interessierst. Du wirst dir sicher vieles merken und auch weitergeben an andere. Es gibt nur einen Haken bei der Sache – ich bin keine Erlöserin. Das heißt, ich bin nicht allwissend und darf selbst nicht jeden Weg beschreiten. Darum muss ich mich unter anderem auch auf menschliche Quellen beziehen. Was davon wirklich wahr ist und was nur Theorie, kann auch ich nicht immer erkennen.“

So ging also Lucienne zum ersten Mal mit in das Tal der Träume. Es war kleiner, als sie es sich aufgrund der Erklärung ihrer Freundin vorgestellt hatte. Das grasige Tal war umgeben von sanften Hügeln und einem Wald, dessen Bäume ganz dick mit Raureif überzogen waren, da dort gerade Winter war. Ein kleiner, flinker Bach zog mitten durch und gurgelte, wenn das Wasser über Steine hinwegfloss. Die Sonne stand noch nicht sehr hoch und ihre Strahlen begannen sanft, den Reif abzulecken, was dazu führte, dass sich kleine Tropfen sammelten, die irgendwann glitzernd zur Erde fielen.

„Ist die Jahreszeit hier gleich mit unserer?“, fragte Lucienne, da hier die gleichen Temperaturen herrschten wie in ihrer wahren Welt. „Ja, aber nur im Tal an sich. Die Wege jedoch können verschieden gewählt werden. Ich bevorzuge es jedoch, dich immer zur richtigen Zeit ans Ziel zu bringen, nicht zu einer anderen Jahreszeit.“

Aus früheren Träumen wusste Lucienne, dass Ruth sie zu jeder gewünschten Tageszeit abholen konnte, auch wenn in Luciennes Zeit gerade tiefste Nacht herrschte.

Doch erst wollte Ruth ihr ein paar grundlegende Dinge erklären. Dazu gingen die beiden ein paar Schritte weiter auf eine wundervolle Sommerwiese. In deren Mitte stand eine ausladende Linde mit einer Bank darunter. Dort setzten sich die Mädchen.

DER JAHRESKREIS

„Wenn man möchte, kann man das Jahr in acht (du weißt ja, die Zahl 8 steht für unendlich) ziemlich gleich große Teile aufteilen, an deren Eckpunkten jeweils ein bedeutsames Datum steht. Ich gebe dir dazu jeweils mindestens zwei mir bekannte Bezeichnungen mit auf den Weg – verschiedene Schreibweisen gibt es dazu meist auch. Lass dich nicht verwirren dadurch. Einen Teil der Feste kennen wir aus der christlichen Welt. Vier davon haben auf jeden Fall in unseren Breitengraden mit dem Stand der Sonne zu tun. Sie sind auch verschieden alt.

WINTERSONNENWENDE ODER JULFEST

Sonnenfest: 21./22. Dezember

Dieses Fest markiert den kürzesten Tag und die längste Nacht im Jahr.

LICHTMESS, IMBOLC ODER LATHAT NA BRIGID

Mondfest: 01./02. Februar oder 2. zunehmender Mond (nach der Wintersonnenwende)

An dem Tag werden Kerzen angezündet.

FRÜHLINGS-TAG-UND-NACHTGLEICHE,

FRÜHLINGSÄQUINOKTIUM ODER OSTARA

Sonnenfest: auch Äquinoktium oder Frühlingsäquinox genannt; fällt im 21. Jahrhundert auf einen Tag vom 19. bis 21. März Das Datum ist abhängig vom Jahresstand zum nächsten Schaltjahr.

Wird nur von bestimmten Gesellschaftsgruppen gefeiert.

1. MAI UND BELTA(I)NEODER CETSAMUIN

Mondfest: 30. April (Beltane) bzw. 1. Mai

Beltane wird teilweise mit dem zweiten Vollmond nach der Frühlings-Tag-und-Nachtgleiche in Verbindung gebracht. Unsere Maifeiern sind daraus entsprungen – Fruchtbarkeitssymbole wie der Maibaum.

SOMMERSONNENWENDE, LITHA ODER MITTSOMMER

Sonnenfest: wird üblicherweise in unseren Breitengraden um den 21. Juni gefeiert

Dies sind der längste Tag und die kürzeste Nacht des Jahres.

LAMMAS ODER LUGHNASADH (LUGNASSAD)

Mondfest: 01./02. August, variiert je nach Quelle, bzw. soll auf den 8. abnehmenden Mond fallen

Dieses Fest hat in unserer Gesellschaft kaum mehr Bedeutung. Früher war das ein Erntedankfest, welches wir schon seit langer Zeit später feiern.

HERBST-TAG-UND-NACHTGLEICHE, HERBSTÄQUINOKTIUM

Sonnenfest: Auch als Äquinoktium, Herbstäquinox oder Mabon bezeichnet. Fällt im 21. Jahrhundert auf den 22. oder 23. September. Das Datum ist abhängig vom Jahresstand zum nächsten S chaltjahr. Wird nur von bestimmten Gesellschaftsgruppen gefeiert.

ALLERHEILIGEN UND SAMHAIN

Mondfest: 31. Oktober (Samhain) bzw. 1. November (Allerheiligen) oder 11. Neumond

Das bedeutendste Fest, in dessen Nacht angeblich das Tor zur Anderswelt offen steht.

Bei den Mondfesten musst du bedenken, dass sie nach dem Mond berechnet werden, also nicht wie die Heiligen-Gedenktage jedes Jahr am gleichen Tag stattfinden. Je nach Berechnungsmethode gäbe es da erhebliche Unterschiede.

Entweder man rechnet nach dem ersten Neumond, der zwischen den 20. Dezember und den 18. Januar fällt, oder man hält sich an den ersten Vollmond nach der Wintersonnenwende. Es gibt auch Varianten, bei denen die Mondfeste an Neu-, Voll-, zunehmendem und abnehmendem Mond, also wechselnd, gefeiert werden sollen.

Vermutlich wurden zum Beispiel bei den Kelten deren Mondfeste immer an Vollmond gefeiert. Was natürlich sinnvoll ist, weil diese Feste im Freien stattfanden und man bei Vollmond einfach besser sieht. Außerdem war für die Kelten Vollmond eine besonders heilige Zeit.

Nach manchen Quellen sind die Sonnenfeste immer fix am 21. des jeweiligen Monats, bei anderen verschieben auch diese Daten sich um ein paar Tage. Aber egal, wie man diese Tage berechnet; wichtig sind die Tage selbst. Und darüber – und auch über viele weitere Tage im Jahr – wirst du von mir so einiges zu hören bekommen.“

„Das ist alles sehr spannend. Habe ich richtig gerechnet, dass ziemlich genau alle eineinhalb Monate ein Fest ist?“

„Ja, genau. Die Feste teilen das Jahr in acht beinahe gleich große Stücke – wie die Speichen eines Rades. Dieses Symbol wird uns sicher einige Male begegnen.

Allerdings dürfen wir nicht davon ausgehen, dass seit Urzeiten die acht gerade angesprochenen Feste gefeiert wurden. Sie kommen aus verschiedenen Kulturen und unterschiedlichen Zeiten. Wir sehen uns einfach mal alles an.“

Ruth nahm wiederum Luciennes Hand und führte sie auf einen Weg, der – vorher anscheinend gar nicht vorhanden – in einen kleinen Ort führte, der erst jetzt vor ihren Augen erschien.

Überhaupt hatte sich die Gegend rundherum komplett verändert. Nichts war mehr vom Tal der Träume zu sehen.

„So, hier ist schon der erste Weg, den wir zusammen gehen werden. Du wirst bemerken, dass wir beide hier nur stille Zuschauer sind.

Die Menschen werden uns nicht sehen und auch direkt durch uns hindurchgehen können. Wir wiederum können auf diesen Wegen durch Wände gehen und in die Gedanken der Menschen sehen, da wir eigentlich nur geistig hier verweilen.

Am Ende unserer Ausflüge wirst du wie immer in deinem Bett aufwachen und dich an alles erinnern können, was du erlebt hast. In dieser Richtung wird sich also nichts ändern.

Von nun an werde ich dich öfter auf solche Reisen mitnehmen, damit du deine bayerische Heimat besser kennenlernst. Manchmal sind Zeit und Ort nicht wichtig. Dann werden wir uns auch nur auf das Geschehen konzentrieren. Doch ab und an werde ich dir mehr darüber erzählen. Und vielleicht werden wir auch den einen oder anderen Weg in einem anderen Land begehen.

Falls einmal etwas passiert, was dir nicht gefällt, so nimm es dir nicht zu Herzen. Es musste dann einfach sein. Wir beide können an den Ereignissen nichts verändern, nur Schlüsse für die eigene Zukunft ziehen.

Ja, und noch etwas: Was wir erfahren, ist immer nur das Erlebnis der dort versammelten Personen. In einem anderen Dorf kann schon wieder ein ganz anderer Brauch vorherrschen. Weißt du, es gibt so viele verschiedene Bräuche und Auffassungen zu einem einzigen Ereignis, dass ich dir immer nur eine Version oder vielleicht noch eine zweite zum Vergleich zeigen oder erzählen kann.

Du musst immer daran denken, dass du nur einen kleinen Ausschnitt von einem großen Ganzen siehst und hörst. Ich kann dir nicht alles beibringen, was es zu diesem Thema zu wissen gibt. Es wäre auch viel zu verwirrend.“

So begannen die wirklich interessanten nächtlichen Ausflüge von Lucienne, von denen sie jeden einzelnen als unbeteiligte Person sehr genießen konnte.

Zuallererst wurde das Mädchen von Ruth zu der Kate einer alten Frau gebracht, deren Leben schon bald vorbei sein würde. So hatte Lucienne einen ruhigen Traum, der doch vieles erklärte.

21. DEZEMBER: WINTERSONNENWENDE

Die kleine Brigitta saß auf dem Schoß von Oma Tina und fragte dieser schon zum wiederholten Male Löcher in den Bauch. „Warum ist es so früh dunkel und warum ist nächste Woche Weihnachten und nicht im Sommer? Warum musste denn Jesus unbedingt im kältesten Monat geboren werden?“

Oma Tina überlegte kurz. „Weißt du, Brigittchen, so ganz genau kann keiner sagen, wann das Jesuskind geboren ist. Aber du musst auch überlegen, dass es in dem Land, in dem Jesus lebte, kaum solch strenge Winter gibt wie bei uns. Dort kennt man Schnee beinahe nicht. Aber ich werde dir etwas über die dunkle Zeit im Jahr erzählen, die wir hier kennen.

Als die Leute noch an andere Götter glaubten, war der 21. Dezember – also morgen – ein ganz wichtiger Tag. Da ist nämlich die längste Nacht und somit der kürzeste Tag des Jahres.

An diesem Tag wurde immer ein großes Fest mit viel Kerzen und Lichtern gefeiert, die das Licht symbolisieren sollten, das an eben diesem Tag – in Gestalt der Lichtgeburt des Mannes der großen Göttin – wiedergeboren wird. Er verkörpert dieses Licht und auch das bevorstehende Frühjahr. Die Kammern wurden zu seinen Ehren mit immergrünen Zweigen geschmückt – z. B. Misteln oder Stechpalmen.

Wahrscheinlich kommt auch der Brauch des Christbaumes von dem alten Brauch, in der dunkelsten Jahreszeit grüne Zweige in die Wohnung zu nehmen, um dem Leben zu huldigen.“

„Ja, Oma, aber das war doch der 21. Dezember, wir feiern aber erst an Weihnachten. Aber auch mit Kerzen und Baum und so. Warum ist das so?“ Ungeduldig rutschte die Kleine auf ihrem Hosenboden hin und her.

„Warte noch ein kleines Weilchen, dann verstehst du es schon. Als nun der christliche Glaube schon weit in die Welt vorgedrungen war, feierte man nicht die Geburt des Retters, sondern seine Taufe, die angeblich am 6. Januar war, also am Dreikönigstag.

Im 4. Jahrhundert wurde zum ersten Mal Weihnachten als die Geburt Christi am 25. Dezember gefeiert und der Jahresanfang auf den 1. Januar gelegt. Vielleicht wollte die Kirche einfach das heidnische Fest an Wintersonnwend’ beseitigen. Da man aber von jeher kein Fest des Volkes ersatzlos streichen konnte, so wurde aus dem Fest der Wintersonnwende das Fest Christi Geburt.

Da Jesus für die Christen das Licht ist, passt das ja auch wieder. Ich denke, wir haben es der Einführung des Gregorianischen Kalenders um 1582 zu verdanken, dass die beiden Ereignisse nicht mehr am selben Tag stattfinden.“

„Wenn ich aber jetzt Wintersonnwend’ und Weihnachten feiern will?“, fragte Brigitta herausfordernd. „Dann machen wir zwei das zusammen. Und wir erzählen es keiner Menschenseele. Das wird nämlich unser großes Geheimnis.“ Die letzten Worte wisperte Oma dem kleinen Mädchen ins Ohr. „Au ja Omi, das machen wir!“

Glücklich ging Brigitta an diesem Abend ins Bett. Ihre Oma Tina hatte versprochen, mit ihr allein die Wintersonnenwende in ihrem Wohnzimmer zu feiern. Das würde sicherlich ein wunderschönes Fest werden. Sie träumte von vielen Kerzen in einer dunklen Nacht und auch von der großen Göttin, ihrem Gemahl und dem Jesuskind und der heiligen Familie. Diese saßen ganz einträchtig zusammen und freuten sich an den Festen der Menschen.

„Also ist die Mistel nicht eine relativ neue Mode, die von England kommt?“, fragte Lucienne. Ruth lächelte, „Nein. Schon für die Kelten war die Mistel eine Himmelsgabe. Die Druiden sollen sie angeblich mit goldenen Sicheln geschnitten haben und die Mistel durfte niemals den Boden berühren. Beim späteren englischen Brauch war die goldene Sichel nicht mehr notwendig, aber die Regel, dass die Pflanze nicht auf dem Boden aufkommen durfte, wurde beibehalten. In Herrschaftshäusern wurden unter jedem Türstock Misteln aufgehängt und Männer durften jede Frau, die sie darunter antrafen, straflos küssen. Nach jedem Kuss wurde der meist weißbeerigen Mistel eine Beere abgepflückt. Wenn keine Beere mehr da war, war Schluss mit der Küsserei.

Schade ist, dass die Pflanze jetzt so in Mode ist, dass sie in manchen Teilen Europas schon fast ausgerottet ist. Sie braucht nämlich unheimlich lange, um nachzuwachsen. Die Misteln, die überwiegend zum Verkauf stehen, sind schon 30 Jahre alt und älter. Von der Keimung bis zur ersten Verzweigung vergehen sage und schreibe fünf Jahre.“

„Das ist ja der Hammer! Ich werde sicher keine Mistel mehr kaufen. Mir gefallen die in der Natur sowieso viel besser. Es sieht einfach herrlich aus im Winter, wenn man nackte Bäume sieht, an denen Misteln büschelweise hängen.“

„Schade, dass nicht mehr Menschen so denken. Aber man kann auch versuchen, Misteln selbst zu züchten. Man muss dazu eine der klebrigen Beeren an den Stamm eines geeigneten Laubbaumes (z. B. Birken, Pappeln, Ahorn- oder Apfelbäume) drücken und warten, was passiert.

Weißt du eigentlich, dass sogar die Wurzeln der Mistel grün sind? So etwas kennt man nur von dieser Pflanze. Sie ist auch kein Parasit, sondern ein Halbschmarotzer, der den Wirtsbaum nur um Wasser anzapft. Und außerdem soll sie Heilkräfte enthalten, weshalb sie auch oft mit Druiden und Priestern in Verbindung gebracht wird. Eine Krebsmedizin wird heutzutage auch aus den Misteln hergestellt.

Die anglosächsische Bezeichnung für Winter Solstice oder Wintersonnenwende ist Yul, was wiederum vom nordischen iul kommt, welches Rad bedeutet. Das Rad der Natur, der heilige Kreis. Dies war der Tag, an dem der oberste Druide einen Mistelzweig von der Eiche schnitt und auf einen Umhang fallen ließ.“

„Lass uns nach Hause gehen. Mir schwirrt schon der Kopf. Ich muss mich erst an die neue Art von Lektionen gewöhnen. Aber es hat mir unheimlich Spaß gemacht.“ Lucienne sah glücklich aus, und Ruth war es fürs Erste zufrieden und brachte ihre Freundin nach Hause.

25. DEZEMBER–06. JANUAR: RAUHNÄCHTE ODER RAUNÄCHTE

„Was weißt du über die Raunächte?“, fragte Ruth ihre Freundin in der Nacht zum 26. Dezember. „Meine Mutter hat mal das Wort erwähnt. Ich habe aber keine Ahnung, was es bedeutet“, antwortete Lucienne und freute sich schon auf ihr nächstes Abenteuer im Tal der Träume. Und kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, stand sie schon mit Ruth an einer Weggabelung und es wurde dunkel um sie.

Die schwärzeste und doch die hellste Zeit des Jahres war immer noch nicht vorbei. Gerade war die alte Mathilde aus der Kirche gekommen, in der sie eine feierlich gestaltete Christmette erlebt hatte. Nun wollte sie die letzte friedliche Nacht vor den Nächten der Wilden Jagd genießen und wanderte im Licht des Mondes, unzähliger funkelnder Sterne und ihrer kleinen Laterne wieder zu ihrem Häuschen zurück. Nichts beeinträchtigte den Schein der Himmelskörper und immer wieder hielt die alte Frau in ihrem Schritt inne und hob staunend die Augen zum Firmament. Sie seufzte glücklich. Diese Nacht war so friedvoll und so ganz anders, als die nächsten Nächte sein würden.

Die schaurigen Jäger um die Freya, Frigga, Perht, Holda, Werra, Perchta oder Berchta, die etwas abgemildert irgendwann zu Frau Holle wurde, jagten ihr wirklich Angst ein. Obwohl Mathilde eine gläubige Christin war, saßen die alten Bräuche noch tief. Sie wusste auch genau, warum am heiligen Abend mit Einbruch der Dunkelheit regelmäßig bis zur Mitternachtsmesse das Schreckenläuten erklang. Das lag an der besonderen Macht, die Hexen und Geister in dieser Zeit nach dem alten Glauben hatten. Doch Mathilde mochte nicht glauben, dass in so einer wundervollen und heiligen Nacht etwas Schreckliches passieren könnte.

Ihre Urgroßmutter war noch eine heimliche Anhängerin des alten Glaubens gewesen. Sie betete noch zu Frigga, der weißen Frau – der Hüterin der Tugenden. Ihr Tag war der 6. Januar, in dessen Nacht der Sturm wehte, der Gutes bringen sollte.

In den zwölf Nächten zwischen dem Weihnachtstag und dem Dreikönigstag konnte man, wenn man wachsam war, den Odin, Wodan oder Schimmelreiter beobachten, wie er mit seiner wilden Jagd durch die Lüfte zog. Er drang durch ungenügend geschlossene Türen und Fenster und jagte den Bauern großen Schrecken ein.

Mathilde wusste, Wodan, oder auch Wotan genannt, war ein alter, germanischer Pferdegott gewesen. Er jagte mit seinem achtbeinigen Schimmel Sleipnir (der Schlüpfrige, rasch Gleitende) und zwei Raben Hugin (Gedanke) und Munin (Erinnerung) über den Himmel. Bei der Jagd halfen ihm zwei Wölfe: Geri (gierig) und Freki (gefräßig).

Wenn die Menschen nicht so ängstlich gewesen wären, dann hätten sie versunkene Schlösser und Schätze emporsteigen sehen können. Es ging auch das Gerücht um, dass Zwerge unterwegs wären oder Hexen sich in fremde Tiergestalten verwandelten.

In dieser Zeit blieb man als junges Mädchen besser zu Hause und spann für die Aussteuer. Zur Geselligkeit traf sich die ganze Dorfjugend reihum in den Katen und Gutshäusern, um viele Tage lang zu spinnen und den Erzählungen der Alten zu lauschen.

Man erfuhr viel von allerlei Liebesorakeln und wurde aufgeklärt über die Bräuche der Ahnen. In diesem Punkt war eine Wandlung auch nicht mit dem Christentum gekommen, das die alten Riten für schlecht und Frigga sowie Wodan zu Teufeln erklärte.

Mathilde lächelte, während sie ihre Schuhe vom Schnee säuberte, bevor sie eintrat in ihr Reich. Ganz so dumm waren die Priester doch nicht. Da sie genau wussten, dass Bräuche wie Geschwüre im Leben der armen Leute waren, wurden diese nur einem anderen, vermeintlich guten – selbstverständlich christlichen – Zweck zugeführt.

So dachte zwar auch jetzt immer noch jeder bei den Raunächten an Winterstürme, und dem einen oder anderen lief in der Nacht ein kalter Schauer über den Rücken. Doch nun wurden diese Nächte mit der Christnacht feierlich eröffnet. Die katholische Weihnacht ging nun bis zum 6. Januar, an dem die Heiligen Drei Könige dem Herrscher der Juden ihre Gaben darbrachten.

Dazwischen lag ein wichtiger Termin, den die Menschen Julius Caesar zu verdanken haben. „Der Schlawiner hat doch wirklich alles durcheinandergebracht, als er den Jahresanfang vom 1. März auf den 1. Januar legte.“ Mathilde brummelte vor sich hin. „Warum er dann nicht auch die Monatsnamen geändert hat, ist mir ein Rätsel. Da heißt September eigentlich sieben und ist aber der neunte Monat. Außerdem kommt Dezember von lateinisch zehn. Da sind mir doch die alten deutschen Monatsnamen viel lieber, die die Wochen beschreiben, wie Wonnemond, Heumond, Nebelmond und so weiter.“

Mathilde sann weiter über die Zeit zwischen den Jahren nach. „Als junges Mädchen war ich immer bei den Pferdeumritten am Stephanstag, dem 26. Dezember, dabei. Mein Wallach war der schönste von allen. Und zu Hause wurden Wein und Hafer geweiht. Da gab es ein Schlemmen! Außerdem war es eine friedliche Zeit. Alle Fehden mussten ruhen, und es wurde kein Gericht gehalten.“

Ihr Gesicht bekam einen traurigen Ausdruck. Ein alter Brauch gefiel ihr nicht so gut. Denn zwischen Weihnachten und Neujahr durfte nicht ausgemistet oder gedroschen werden, sonst kriegt man es mit Hexen zu tun. „Wir haben es hier wie im Himmel und die armen Viecher müssen im eigenen Mist stehen“, schimpfte sie vor sich hin. Und schon wurde sie wieder besser gelaunt. „Aber ich will ja Glück im neuen Jahr haben. Also brauche ich weder mich noch meine Kleider zu waschen. Das Wasser ist eh viel zu kalt und alles braucht so lang am Ofen, um zu trocknen.“

Ach, und nicht lange, da würde die Arbeiterei wieder weitergehen. Also sollte man die Zeit einfach nur genießen. Obwohl das Silvesterschießen die Saaten der Pflanzen wecken und böse Geister vertreiben sollte, konnte Mathilde den Krach nicht leiden.

Und dann kam noch der Frau-Holle-Tag am 6. Januar. Na, eigentlich die Erscheinung des Herrn. Mathilde ertappte sich dabei, immer noch die alten Namen zu verwenden. Wie in der heiligen Nacht soll man die Tiere in menschlicher Manier sprechen hören. „Alles Unfug. Nichts sagen sie. Aber dass das um Mitternacht geschöpfte Wasser Heilkraft hat, das will ich nicht bestreiten.“

Die drei Weisen schicken außerdem Träume, so sagte man.

„Ja“, dachte Mathilde, „in meinem Alter hat man nicht mehr viel mehr zu erwarten, als sich in kalten Nächten an angenehmen Träumen zu freuen.“

Ruth machte auf dem Rückweg noch einmal Halt. „Das frühere Julfest dauerte zwölf Nächte und begann wahrscheinlich mit der Sonnenwende. Es gibt ja immer noch den Brauch mit dem Julscheit aus meist Eichenholz, das die ganze Nacht über brennen und mit dessen Feuer am nächsten Morgen das Herdfeuer als Symbol der Neugeburt des Lichts neu entfacht werden soll. In vielen Gegenden wurde dieser Brauch auf die Christnacht transferiert.

Idealerweise soll das Julfeuer nicht ausgehen bis zum Ende der Raunächte. Man kann aber auch eine Kerze verwenden, wenn man keinen Kamin hat.

Die Rauhnächte, Raunächte oder auch Rauchnächte haben ihren Ursprung im Wort Rauch, das von Fell oder Pelz kommt. Die Spukgestalten, die in diesen Nächten ihr Unwesen trieben, waren in Felle gekleidet.

Es gibt verschiedene Anschauungen über die Länge der Raunächte. Sie enden laut heutiger Anschauung meist am 6. Januar. Allerdings beginnen sie bei manchen Quellen am 25. Dezember und bei anderen am 21. Dezember (so zum Beispiel früher in Bayern). Sie dauern zwölf Nächte, wobei bei der zweiten Variante die Festtage, wie Heilige Nacht, Thomasnacht und Nacht zum Dreikönigstag sowie die Sonntage ausgenommen werden. Was natürlich dann rechnerisch auch wieder nicht jedes Jahr stimmen kann, wenn Festtage auf einen Sonntag fallen.

Es gibt da außerdem einen Wetterglauben zu den Raunächten. Wenn die Sonne scheint, bedeutet das an den betreffenden Tagen Folgendes:

Glückliches Jahr

Teuerung

Uneinigkeit

Fieberträume

Reichlich Obst

Früchteüberfluss

Gute Viehweide und Teuerung

Viele Fische und Vögel

Gute Kaufmannsgeschäfte