Detektiv wider Willen - Carlo di Professore - E-Book

Detektiv wider Willen E-Book

Carlo di Professore

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  • Herausgeber: epubli
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2017
Beschreibung

Der 28-jährige Pascal Arnstein ist Inhaber des Architekturbüros Arnstein&Partner. Auf dem Klassentreffen trifft er nach zehn Jahren seine Jugendliebe Alexandra wieder. Während Alexandra eine gescheiterte Ehe, aus der ihre beiden Kinder Michaela und René entstammen, hinter sich gebracht hat, war Pascal nach seinem Architekturstudium beruflich sehr erfolgreich. Vor allem nach dem tragischen Tod seiner größten Liebe vor eineinhalb Jahren versuchte er seinen Schmerz in Arbeit zu ertränken, was ihm einen geschäftlichen Höhenflug bescherte. So blicken Alexandra wie auch Pascal seit geraumer Zeit auf eine in puncto Liebesleben entbehrungsreiche Zeit zurück und ihre Liebe zueinander entflammte trotz der langen Trennung von Neuem. Pascal ist sofort bereit seiner Liebsten in ihrer finanziell sehr angespannten Situation zur Seite zu stehen und ihr alle Probleme aus dem Weg zu räumen. Dazu gehört aber auch, dass er sich um die Sorgen ihrer 19-jährigen besten Freundin Nicole kümmern soll, die nach dem Tode ihres Vaters völlig mittellos dasteht. Daher ist es nur zu verständlich, dass sich das junge Mädchen in den Mann, der ihr so liebevoll Aufmerksamkeit schenkt, bis über beide Ohren verliebt. Langsam entspinnt sich zwischen den Dreien eine zärtliche Dreiecksbeziehung, bei der Pascal die Aufgabe zufällt dafür zu sorgen, dass keinerlei Gefühle verletzt werden. Geschickt stellt er beide Frauen zufrieden und verhindert Eifersucht unter den Freundinnen. So schwebt Pascal rasch auch in Sachen Liebe auf Wolke 7. Durch dieses Glücksgefühl angespornt wird er aber übermütig und legt sich weitere Sexpartnerinnen zu. Auch zwischen der 18-jährigen Andrea, der Freundin seines Mitarbeiters David, und Pascal entwickeln sich erotische Spannungen, wobei er die sexuelle Unerfahrenheit des Mädchens schamlos ausnützt. Selbst beim zufälligen Zusammentreffen mit der Reisebüroangestellten Anja ergreift Pascal sofort die Gelegenheit, um wild mit dem Fräulein zu flirten.

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Bibliografische Information der DeutschenNationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diesePublikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internetüber http://dnb.dbb.de abrufbar

© 2017 Carlo di Professore

Herstellung und Verlag:

epubli

ISBN: 978-3-7450-0926-2

Detektiv wider Willen

Der Mordanschlag

Seite

Freitag, 10. Juni 2005

Samstag, 11. Juni 2005

Sonntag, 12. Juni 2005

Montag, 13. Juni 2005

Dienstag, 14. Juni 2005

Mittwoch, 15. Juni 2005

Donnerstag, 16. Juni 2005

Freitag, 17. Juni 2005

Samstag, 18. Juni 2005

Sonntag, 19. Juni 2005

Montag, 20. Juni 2005

Dienstag, 21. Juni 2005

Mittwoch, 22. Juni 2005

Donnerstag, 23. Juni 2005

Freitag, 24. Juni 2005

Samstag, 25. Juni 2005

Sonntag, 26. Juni 2005

Montag, 27. Juni 2005

Dienstag, 28. Juni 2005

Übereinstimmungen mit Orten und Lokalitäten sowie Personen öffentlichen Rechts sind nicht ganz ungewollt. Darüber hinausgehende Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen und tatsächlichen Begebenheiten sind aber rein zufällig und nicht absichtlich.

Freitag, 10. Juni 2005

Es war ein selten unfreundlicher Sommertag. Der Himmel schien aufgebrochen zu sein, denn es schüttete wie aus Kübeln. Die Erde war völlig unfähig, diese Mengen an Wasser in derlei Geschwindigkeit aufnehmen zu können. Auch die Kanalisationen schienen für derartige Ergüsse viel zu klein dimensioniert. Innerhalb kürzester Zeit verwandelten sich kurz geschnittene Wiesen in großflächige Seen, aus denen kein Grashalm mehr herausragte. Die geordneten Anlagen einer Gärtnerei zur Aufzucht von Jungpflanzen erinnerten eher an eine Reisplantage in Südostasien. Es war so richtig ein Wetter, bei dem man - wie der Volksmund sagt - keinen Hund vor die Tür jagt. Und dennoch gab es Menschen, die gerade jetzt hektisch unterwegs waren. Einige unter ihnen versuchten noch rasch ihr empfindlichstes Hab und Gut ins Trockene zu bringen, andere waren auf dem Weg nach Hause. So konnte man auf den Straßen noch jede Menge Verkehr beobachten und es pflügte sich auch ein ziemlich altes BMW 323 i Cabrio seinen Weg durch die unzähligen Pfützen der Afritzer Bundesstraße Richtung Villach. An die erlaubte Höchstgeschwindigkeit war bei diesem Wetter auf Grund der Aquaplaninggefahr lange nicht zu denken. Die Tachonadel bewegte sich ganz langsam zwischen 40 und 50 km/h hin und her. Ein Blick auf die leuchtenden Ziffern der Digitaluhr im Armaturenbrett zeigte, dass es gerade erst 17:34 Uhr war und dennoch war an ein Fahren ohne Licht nicht zu denken, denn die dicken, dunklen Wolken ließen nicht den geringsten Sonnenstrahl durch und so war es nahezu stockdunkel. Die Insassen eines Fahrzeuges waren immer nur für den Moment eines Augenblicks erkennbar, wenn sie gerade vom Lichtkegel eines entgegenkommenden Fahrzeuges erfasst wurden.

Nun sah man auch, dass der Fahrer des BMW allein unterwegs war. Seine Augenbrauen hatte er weit nach unten gezogen, sein Blick war voll konzentriert und auf die Straße fixiert, damit ihm ja keine Pfütze entging. Ab und zu schweiften seine Augen für einen kurzen Moment nach rechts und links und versuchten zu erspähen, ob sich ein Reh in den Feldern neben der Straße bewegte. Gerade tauchten im Lichtkegel zwei Verkehrsschilder auf. Das eine wies auf eine Schleudergefahr in der nächsten Rechts-Links-Kombination im Straßenverlauf hin und das zweite kündigte erneut die Gefahr eines Wildwechsels zwischen den Wäldern etwas abseits der Straße an. Der Fahrer reduzierte die Geschwindigkeit nochmals ein wenig und fasste den ohnehin schon ordentlichen Griff um das Lenkrad noch etwas fester. Er blickte in immer kürzeren Abständen auf die Uhr: schon 17:36 Uhr. Er schien es eilig gehabt zu haben, doch die Straßenverhältnisse ließen keine Eile zu. Seine Haare waren nass. Ab und zu fiel sogar ein Tropfen aus seinen Haaren auf seine Hose oder er quälte sich langsam an der Wange entlang zum Hals.

Der Fahrer hatte gerade erst wenige Minuten zuvor in Feld am See an einer Tankstelle gehalten und den Tank wieder vollgemacht. Die wenigen Meter von der Zapfsäule bis zum Shop und zurück hatten völlig ausgereicht, um ihn trotz der raschen Schritte ordentlich nass zu machen. Den schwarzen Kaffee, den er im angeschlossenen Café bestellt hatte, hatte er schnell getrunken, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. Er war ohnehin schon spät dran. Die gute Fahrt, die ihm der Mann an der Kasse der Tankstelle noch gewünscht hatte, konnte er bei diesem Wetter nur allzu gut gebrauchen.

Der Mann am Steuer war Pascal Arnstein, 28 Jahre alt, Inhaber des Architekturbüros Arnstein&Partner. Er war gerade auf dem Weg zurück in sein Büro in Klagenfurt. Es war Freitag und normalerweise war an einem Freitag um diese Zeit schon längst Dienstschluss. Doch an diesem Tage war alles anders. Im Büro war noch jede Menge los.

So alt der BMW auch war, sein Verdeck war dicht und das gesamte Auto noch ganz gut in Schuss. Aber das Highlight war sicher der nagelneue CD-Player im Kompaktformat mit aufklappbarem Display für das Navigationssystem. Dieses benötigte Pascal im Moment aber nicht, denn den Weg nach Hause kannte er bereits im Schlaf. Er war ihn in den letzten Wochen oft genug gefahren.

Nun kam Pascal gerade an die Kreuzung mit der Ossiacher Bundesstraße und fuhr bis zur Haltelinie vor. Normalerweise wäre er rechts abgebogen und hätte den Weg über die Südautobahn gewählt, aber heute war eben alles anders. Weil er bezweifelte, dass er auf der Autobahn bei diesem Wetter erheblich schneller fahren könnte als auf der Bundesstraße, entschied er sich den Blinker nach links einzuschalten und den deutlich kürzeren Weg am Ossiachersee entlang über Feldkirchen zu wählen. Drei Fahrzeuge musste er passieren lassen, ehe er seine Fahrt fortsetzen konnte. Der Straßenbelag schien hier etwas besser zu sein und so nahm der Wagen rasch eine Reisegeschwindigkeit von 80 km/h auf.

Die Digitaluhr sprang gerade auf 17:41 und Pascal drückte die Kurzwahltaste seines Handys. Sofort schaltete der CD-Player in den Bluetooth-Modus und die ohnehin kaum hörbare Hintergrundmusik schaltete sich komplett ab, ehe ein regelmäßiges Tut-tut aus den Lautsprechern erschallte. Das Klingeln schien unaufhörlich voranzuschreiten und Pascal spielte in Windeseile durch, welche Gründe es haben könnte, dass niemand an den Apparat ging. Hatte er den falschen Knopf gedrückt? War vielleicht gar keiner mehr im Büro? Doch just in dem Moment, wo er eigentlich erwartete, dass sich der Anrufbeantworter einschalten würde, da meldete sich doch noch eine Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Architekturbüro Arnstein&Partner, guten Abend. Weber am Apparat.«

»Hallo Bernhard! Ich bin’s«, antwortete Pascal und fuhr fort mit den Worten: »Tut mir leid. Eigentlich wollte ich bis 17 Uhr zurück sein, aber jetzt werde ich es nicht einmal bis 18 Uhr schaffen. Ich denke, dass es 18:20 Uhr sein wird, bis ich im Büro bin.«

»Kein Problem«, erwiderte Bernhard Weber. »Ich habe mir schon gedacht, dass es später wird. Leitner hat mich aus Radenthein angerufen und gesagt, dass sie die Arbeiten für diese Woche beenden, weil ein schlimmes Unwetter im Anzug ist und dass du die Baustelle erst vor wenigen Minuten verlassen hast.«

Bernhard und Pascal kannten sich schon von der Schulzeit her. Sie waren acht Jahre lang in dieselbe Klasse gegangen. Zwei Jahre lang drückten sie sogar dieselbe Schulbank. Zehn Jahre war es nun her, dass sie gemeinsam maturierten. Danach verloren sie sich aus den Augen und nach Ableistung des Präsenzdienstes trafen sie sich auf dem Universitätsgelände wieder. Beide hatten sich für das Studium der Architektur entschieden und beide hatten sich dafür Wien ausgesucht. Fast im Gleichschritt besuchte man annähernd dieselben Vorlesungen. Ab dem zweiten Studienjahr teilte man sich sogar die Studentenbude. Sie legten auch am selben Tag ihre Abschlussprüfung ab und erhielten gemeinsam die Sponsionsurkunden aus den Händen des Rektors. Zusammen wollte man den Schritt in die Selbständigkeit wagen und gemeinsam das Architekturbüro Arnstein&Weber aufmachen. Doch im letzten Moment bekam Bernhard Weber kalte Füße und zog eine sichere Anstellung dem Risiko der Selbständigkeit vor. So gründete Pascal das Architekturbüro eben alleine und nannte es Arnstein&Partner, um den Anschein von mehr Kompetenz zu erwecken, wenngleich er zu Beginn Arnstein, Partner und Sekretärin in Personalunion war.

»Habt ihr es inzwischen geschafft, die Unterlagen für die Stadt fertig zu machen?« erkundigte sich Pascal.

»Du hast ja keine Ahnung, was heute alles los war«, versuchte Bernhard zu erklären. »Nicht nur, dass der Computer heute schon zweimal im ungünstigsten Moment den Dienst versagte, hat Verena auch noch die richtige CD mit den wichtigsten Daten verlegt gehabt und es dauerte fast zwei Stunden, bis sie diese wieder fand.«

Verena war der gute Geist im Architekturbüro - das Mädchen für alles. Sie hatte eigentlich die Funktion der Sekretärin, doch sie war weit mehr. Sie versprühte so viel Fröhlichkeit im Büro, dass das Arbeitsklima einfach bestens war. Selbst die Klienten regten sich niemals auf, wenn die beiden Chefs einmal etwas später von einem Außentermin zurückkamen und sie warten mussten. Verena servierte ihnen dann Kaffee und Kuchen und wusste immer das richtige Thema anzuschlagen. Auf diese Weise verging die Zeit des Wartens wie im Flug. Auch war sie absolut kompetent und konnte den Klienten selbst in Detailfragen stets weiterhelfen. Kein Wunder, dass sie sich so gut auskannte, denn auch sie hatte mit Pascal und Bernhard ab der dritten Klasse Gymnasium zusammen die Schule besucht. Unmittelbar nach der Matura hatte sie sogar ein Jahr vor den beiden Freunden das Architekturstudium begonnen. Weil sie sich in Wien aber ihr Studium selbst verdienen musste, arbeitete sie nebenbei in einem Kino an der Kasse. Dies hatte aber natürlich zur Folge, dass sie nicht alle ihre Prüfungen im gewünschten Zeitrahmen ablegen konnte. So trat sie auch erst gemeinsam mit Pascal und Bernhard zur ersten Studienabschnittsprüfung an und leider war diese Prüfung auch nicht von Erfolg gekrönt. Doch der eigentliche Grund, warum sie daraufhin ihr Studium abbrach, war, dass sie im zweiten Monat schwanger war. Und die Entscheidung zwischen Familie oder Karriere fiel ihr nach diesem Misserfolg nicht schwer.

»Das heißt also nein?« hakte Pascal nach. »Nicht fertig?«

»Doch, fast!« erwiderte Bernhard. »Bis du da bist, ist alles auf CD gebrannt. Dauert höchstens noch ein paar Minuten!«

»Aber gedruckt sind die Unterlagen noch nicht?«

»Nein!«

»Gut, macht nichts. Ist der Kleine noch da?« erkundigte sich Pascal.

»Ja! Der war uns bis jetzt eine große Hilfe«, bestätigte Bernhard.

»Gut, dann könnt ihr beide gehen, wenn die CDs fertig sind. Aber sagt dem Kleinen, dass er auf mich warten soll!« Damit beendete Pascal das Gespräch und drückte den Knopf am Handy. Sofort begann der CD-Player wieder leise Musik zu spielen. Pascal bemerkte erst jetzt, dass die Tachonadel wie von selbst auf 100 km/h geklettert war. Der Regen hatte auch deutlich nachgelassen.

In der Zwischenzeit war man im Büro auch nicht untätig. Im Gegenteil, man versuchte in den verbleibenden Minuten bis zu Pascals Eintreffen noch so viel wie möglich zu erledigen. Doch wenn einmal der Wurm drin ist, dann zumeist ordentlich. Jetzt gab zu guter Letzt auch noch der Drucker den Geist auf. Und der Fehler war gleich gröberer Art. Keinesfalls ohne einen sachkundigen Techniker zu beheben. Ein solcher war aber sicher nicht vor Montag aufzutreiben. Etwas hilflos erwartete man Pascal, der auch schon im nächsten Moment durch die Tür trat.

»Was, ihr seid noch da? Ich hatte doch gesagt, dass ihr gehen könnt«, wunderte sich Pascal.

Daraufhin Verena mit einem schelmischen Lächeln um den Mund: »Wir wollten schon mit dem Ausdruck beginnen, aber dieses Mistding von Drucker muss ja gerade heute den Geist aufgeben.«

Pascal begann auch zu lächeln, zwinkerte Verena zu und sagte: »Der Wille zählt fürs Werk. Jetzt aber ab mit euch beiden, ihr habt heute noch etwas vor.«

»Du aber auch«, warf Bernhard ein. »Und es ist ja auch kein Unglück, wenn wir einmal eine Ausschreibung versäumen. Wir kommen ja sowieso nicht zum Zug!«

»Ich weiß auch, dass wir dieses Mal wieder durch die Finger schauen werden, aber es geht ums Prinzip«, betonte Pascal. »Ich will mir niemals den Vorwurf machen: Hätten wir damals teilgenommen, vielleicht hätten wir gewonnen.«

»Ja, aber wie willst du dies ohne Drucker hinbekommen?« wollte Bernhard wissen.

»Lass das nur meine Sorge sein. Hauptsache ihr beeilt euch. Ihr müsst ja beide noch zuerst nach Hause und wenn ich tatsächlich ein wenig zu spät bin, werdet ihr mich sicher entschuldigen!«

»Aber du kommst heute Abend sicher? Versprochen ist versprochen!« fragte Verena noch während sie Pascal mit schief geneigtem Kopf und leicht zugekniffenem rechten Auge anlächelte.

»Jaaa!« wurde Pascal etwas lauter. Bernhard holte sein Jackett von der Garderobe und verließ mit einem freundlichen Augenbrauen Hochziehen wortlos den Raum. Verena erhob sich von ihrem Bürosessel, schob die oberste Schublade zurück und eilte Bernhard nach. Er musste sie mitnehmen, da sie selbst nicht mit ihrem Auto zur Arbeit gekommen war. Im Vorübergehen streifte sie noch Pascal über die Schulter als Zeichen des Grußes.

Die ganze Zeit über saß David Horner, den alle nur den „Kleinen“ nannten, wenn sie über ihn sprachen, auf der Bank im Empfangsbüro. Dort, wo die Klienten Platz nahmen, wenn sie etwas warten mussten. An jenem Tisch, an dem sie mit Kaffee und Kuchen verwöhnt wurden, auf dem die Fachzeitschriften für moderne Architektur lagen. David hatte darin bis jetzt gelangweilt geblättert.

Jetzt, da die beiden allein waren, legte er die Zeitschriften zurück, blickte seinen Chef interessiert an und erwartete, dass dieser ihm einen Auftrag erteilen würde. Und tatsächlich sprach Pascal ihn sofort an: »Das wird glaube ich ein langer Abend für uns beide.«

Natürlich wusste Pascal, dass David nicht gerade begeistert sein würde, dass er Überstunden machen musste, aber er spürte, dass da noch etwas war, das dem Kleinen zu schaffen machte und er fragte ihn frisch drauflos mit einem fragenden Lächeln auf den Lippen: »Was ist?«

Etwas zögernd kam dann: »Ich müsste meiner Freundin Bescheid sagen, dass ich heute nicht kann.«

»Das tut mir natürlich leid, aber ruf sie ruhig an«, forderte Pascal ihn auf.

»Geht nicht, sie hat ihr Handy verloren«, entgegnete David. »Ich lauf nur schnell runter und sag ihr Bescheid!«

»Sie steht doch nicht etwa bei diesem Wetter unten auf der Straße?« bohrte Pascal nach mit einem Blick, der verriet, dass er jetzt nur kein „Ja“ als Antwort hören wollte.

»Doch. Ich glaub schon.«

»Und seit wann?« wollte Pascal wissen.

»Seit 18 Uhr?« war sich David selbst nicht ganz sicher.

»Dann lauf schnell runter und hol sie rauf!« herrschte Pascal den Kleinen eindringlich an.

Sofort verließ dieser den Raum und ließ die Bürotür etwas unsanft hinter sich ins Schloss fallen. Pascal hingegen schickte sich sofort an keine Zeit zu verlieren, nahm die fertigen CDs von Verenas Schreibtisch und ging in sein Arbeitszimmer. Die acht Disketten waren perfekt und unverwechselbar beschriftet. Schnell setzte er sich hinter seinen Schreibtisch und schaltete den Computer ein. Er schob die erste CD ein, sprang sofort wieder auf und eilte zum Aktenschrank. In einer Lade, wo einiges Büromaterial lag, suchte er unter Radiergummis, Bleistiften und Heftklammern nach einem USB-Stick. Und tatsächlich, da war er. Schnell wieder zurück an den Schreibtisch und den Stick in den Adapter des Computers gesteckt. Inzwischen war der Computer hochgefahren. Mit einigen flotten Bewegungen der Maus und nach ein paar Klicks kopierte der Computer schon die ersten Dateien auf den USB-Stick.

In dem Moment klingelte es an der Tür. Schnell rannte Pascal hin, um sie zu öffnen. Vor der Tür stand der Kleine und ein nasses Häufchen Elend hinter ihm. Pascal öffnete nun die Tür weit und David trat ein. Pascal forderte das junge Fräulein auf, auch einzutreten. Mit einem kräftigen »Grüß Gott« tat sie dies dann auch. Sie hinterließ eine deutlich sichtbare nasse Spur am Boden. Als sie bemerkte, dass auch Pascal die Spur aufgefallen war, blickte sie ihn schuldbewusst an und stammelte: »Entschuldigung!«

Pascal lächelte sie an und erwiderte: »Das ist doch nicht deine Schuld. Aber wenn wir nicht wollen, dass du morgen mit einer Lungenentzündung im Krankenhaus liegst, dann musst du so schnell wie möglich raus aus den nassen Klamotten!«

David wusste nicht was er tun sollte und stand ziemlich verloren herum. Pascal hingegen eilte in die lange Abstellkammer, die als Archiv diente. Dort befand sich auch ein Schrank, in dem einige weiße Arbeitskittel feinsäuberlich zusammengefaltet lagen. Pascal holte einen nach dem anderen heraus und blickte auf die Größenetiketten. XL, XXL, XL, M, L und S. Natürlich war wieder einmal der Letzte der Richtige. Rasch warf er die Übrigen in den Schrank zurück. Von Ordnung war jetzt aber keine Rede mehr. Zumindest hatte er nun den Richtigen in Händen. Schnell zurück ins Empfangsbüro drückte er den Arbeitskittel dem jungen Fräulein in die Hand und schon war er in seinem Arbeitszimmer verschwunden. Er öffnete die letzte Tür seines Aktenschrankes. Erst jetzt sah man, dass sich dahinter ein Kleiderschrank befand. In diesem hingen ein gebügelter grauer Anzug und ein dunkles Hemd. Schnell öffnete Pascal eine Lade, in der einige noch original verpackte Herren-Boxershorts und mehrere Paar Socken waren. Auch eine helle Krawatte lag daneben. Pascal holte das einzige weiße Paar Socken hervor und eilte wieder zurück. Nachdem er Davids Freundin auch die Socken in die Hand gedrückt hatte, setzte er sich hinter Verenas Schreibtisch und öffnete die unterste Schublade. Aus ihr holte er ein Paar medizinische Pantoffel mit federnder Sohle heraus, die Verena eigentlich nur selten trug. Auch diese übergab er dem Mädchen mit den Worten: »Die letzte Tür.« Dabei deutete er mit dem Finger in Richtung des Fensters, wo gleich daneben eine Tür zu sehen war. »Das ist das Badezimmer«, erklärte er. »Dort kannst du dich umziehen!«

Dann legte er den Arm um Davids Schulter und zog ihn mit sich in sein Arbeitszimmer. »Wir beginnen inzwischen gleich mit der Arbeit«, redete er auf den Kleinen ein.

Vor dem Schreibtisch ließ er ihn wieder los und David blieb wie angewurzelt stehen in Erwartung, dass der Chef ihm jetzt einen Auftrag erteilen würde. Pascal setzte sich an seinen Schreibtisch, holte den USB-Stick aus dem Adapter und legte ihn unmittelbar vor David auf den Tisch. Dieser zog die Augenbrauen ganz nach oben und mit einem fragenden Blick sah er seinen Chef an. Er wollte ihn fragen, was er damit tun sollte. Ein klarer Auftrag wäre ihm lieber gewesen, aber Pascal stieß sich mit den Händen vom Schreibtisch ab und schoss auf den Rollen seines Arbeitssessels nach hinten. Gekonnt vollführte er dabei eine Drehung um 180 Grad und fing sich mit den Händen an der Aktenwand ab. Ohne sich zu erheben öffnete er eine Schublade in Augenhöhe. Er blickte hinein, holte einen Kopfhörer heraus und legte ihn rasch wieder zurück. Danach kramte er ein wenig in der Lade, ehe er wieder etwas herausholte, was David sofort als MP-3 Player erkannte. Lade geschlossen, schnell wieder vom Aktenschrank abgestoßen und nach einer neuerlichen Drehung saß Pascal wieder vor seinem Computer. Er zog die Schutzkappe ab und steckte den Player in den USB-Adapter. Sein Blick war auf den Bildschirm des Computers fixiert, seine Hand schob die Maus in raschen Bewegungen über den Tisch, als er wieder das Wort an David richtete: »Wie heißt deine Freundin eigentlich?«

Doch ehe David antworten konnte, schallte es wie aus der Pistole geschossen: »Andrea Pöschl!« Das Mädchen war soeben im Türrahmen zum Büro erschienen. In den Händen hielt sie feinsäuberlich zusammengefaltet ihre Wäsche wie ein Tablett.

David war froh, dass Andrea es ihm abgenommen hatte, sich vorzustellen, denn er hatte es nicht so mit dem Reden. Er war fleißig, er liebte klare Anweisungen und Aufträge, die er stets zur Zufriedenheit erledigte. Wenn aber Unterlagen zu einem Klienten oder einem Amt gebracht werden mussten und er womöglich auch noch etwas mündlich auszurichten hatte, begann sein Puls zu rasen und es wurde ihm heiß und kalt zugleich.

Pascal sprang sofort auf und ging auf Andrea zu mit den Worten: »Andrea also! Ich darf dich doch Andrea nennen, oder?« lächelte er sie fragend an.

Andrea nickte stumm.

Pascal nahm ihr die Wäsche aus den Händen und eilte damit zum Badezimmer. »Die müssen wir jetzt rasch trocken bekommen«, sagte er noch. Im Badezimmer befand sich neben einem Waschbecken und einer Duschkabine eine Kombinationswaschmaschine, die auch die Funktion zum Wäsche Trocknen hatte. Mit einer Hand öffnete er das Bullauge und legte die Wäsche genau so gefaltet, wie er sie übernommen hatte, in den Innenraum. Er schloss das Gerät und drehte an dem Rad für die einzelnen Programme. Sofort begannen ein rotes und ein orangefarbenes Licht am Wäschetrockner zu leuchten und Pascal ging wieder zurück zu den beiden in sein Arbeitszimmer. Andrea und David standen noch genau an denselben Positionen, als er den Raum verlassen hatte. Es hatte den Anschein, als hätten sie es nicht gewagt, sich zu bewegen.

Jetzt erst betrachtete er Andrea etwas genauer. Sie war ein hübsches selbstbewusstes Persönchen, das trotz ihrer doch etwas lustigen Bekleidung keinesfalls ängstlich wirkte. Der noch immer etwas zu große Arbeitskittel, die weißen Herrensocken und die eher einem Sportgerät ähnelnden Gesundheitspantoffel mit den Spiralfedern unter der Ferse - ein köstlicher Anblick. Und dennoch nicht der Funke einer Unsicherheit. Dagegen glich David einem Häufchen Elend, obwohl er perfekt gekleidet war. So machte es ihm unheimlich zu schaffen, dass er nicht wusste, was als Nächstes von ihm verlangt werden würde.

Pascal trat an den Schreibtisch heran und griff nach dem USB-Stick. Er nahm ihn auf und richtete erneut das Wort an Andrea: »Willst du uns helfen?« fragte er.

»Ja, gerne«, kam es sofort zurück.

Pascal verließ den Raum und sagte: »Na, dann kommt mal mit.«

Während Andrea gleich mit den Gesundheitsschuhen hinter Pascal her klapperte, war David unsicher, ob auch er gemeint war. Eigentlich hatte er ein „Kommt“ gehört und nicht „Komm.“ Das musste auch ihn betreffen. Aber er war sich unsicher. Er ging zumindest einmal bis zur Tür und lugte den beiden hinterher, wie sie an den Kopierer, der gegenüber der Badezimmertür neben dem Fenster stand, herangetreten waren. Auch der Kopierer hatte einen USB-Stecker und Pascal schob den Stick hinein.

Behutsam erklärte er Andrea, welche Tasten sie zu bedienen hatte und dass von allen dreißig Dokumenten jeweils sieben Kopien anzufertigen waren. »Leider ist das Gerät schon so alt, dass es nicht selbständig sortieren kann«, sagte er zu Andrea. »Darum bitte ich dich, genau darauf zu achten, dass dir beim Sortieren kein Fehler passiert! Wir brauchen genau sieben geordnete Dokumentenstapel.«

»Das werde ich gerade noch hinbekommen«, antwortete Andrea schnippisch.

Dieses Auftreten gefiel Pascal und er ging lächelnd mit einem leichten Kopfschütteln zurück in sein Büro. Zu David, der noch immer in der Tür stand, sagte er: »Und du hilfst ihr dabei!« und nach einer kurzen Pause: »Und später habe ich noch einen Spezialauftrag für dich!«

Der letzte Satz richtete David wieder etwas auf, denn im Augenblick davor war er doch ziemlich am Boden zerstört gewesen. Der Chef hatte Andrea mit einer Aufgabe betraut und ihn hatte er nur gebeten ihr zu helfen. Dabei war er es doch, der schon seit neun Monaten hier arbeitete. Hatte der Chef so wenig Vertrauen in seine Arbeit? Dachte man, er wäre zu blöd dafür? Aber der Spezialauftrag, das war schon etwas! Doch im selben Moment packte ihn schon wieder die Angst. Was hatte das zu bedeuten? Was musste er tun? Hoffentlich verlangte man von ihm nichts, was er sich nicht selbst zutraute. Auf jeden Fall ging er zügig zu Andrea hin und zeigte ihr gleich, dass er sich hier auskannte. Flink öffnete er das Papierfach des Kopierers. Mit einem prüfenden Blick schätzte er, wie viele Blatt Papier noch im Kopierer waren. Dann fragte er Andrea: »Wie viele Kopien müssen wir machen?« Es klang fast so, als hätte er das Wort „wir“ etwas stärker betont als die Übrigen.

»Vorerst einmal 210«, hatte Andrea die Antwort schnell parat.

David biss sich leicht auf die Unterlippe, legte seine Stirn in Falten und ging zielstrebig auf das Archiv zu ohne zu vergessen, dass er dabei auch noch Wissen vermittelnd ein langsames Nicken mit dem Kopf folgen lassen musste. Dies hatte er bei Herrn Weber schon manchmal beobachtet und es hatte ihm unheimlich imponiert. David verschwand im Archiv und kam kurz darauf mit einem Paket Kopierpapier wieder. Er war etwas enttäuscht, dass Andrea ihn dabei gar nicht beobachtet hatte, denn ihr Blick war nur auf den Kopierer gerichtet. Aber anscheinend konnte Andrea ihre Aufmerksamkeit mehreren Dingen gleichzeitig widmen.

»Solltest du die Tür nicht wieder schließen?« fragte sie David, ohne ihren Blick vom Kopierer zu nehmen.

»Alles zu seiner Zeit«, erwiderte David, legte das Paket am kleinen Tischchen neben dem Kopierer ab und verschwand abermals im Archiv. Als er wiederkam, hatte er ein weiteres Paket Kopierpapier unterm Arm und schloss diesmal die Tür zum Archiv hinter sich. In Wirklichkeit waren die Pakete gerade einmal so schwer, dass er sicherlich auch sieben bis acht auf einmal tragen hätte können. Er legte dieses Paket auf das andere und sagte: »Vielleicht sind es ja doch ein bisschen mehr als nur 210!« Diese Zahl hatte er nämlich von seinem Chef nicht gehört. Daher konnte er sich auch nicht erklären, wie Andrea ausgerechnet auf diese Zahl gekommen war.

Andrea wiederum bemerkte in seiner Aussage sofort den Unterton, dass David ihr Wissen in Frage stellte und blieb ihm auch nichts schuldig. Ganz beiläufig ließ sie den Satz fallen: »Ganz schön schwer so ein Paket!«

David konnte sich keinen Reim auf diesen Satz machen, runzelte seine Stirn und überlegte, ob Andrea damit seine Kraft bewunderte. Hatte sie in der Zwischenzeit versucht das Paket anzuheben? Doch dieses Grübeln hatte jäh ein Ende: Ein lauter Signalton im Kopierer deutete eine Fehlfunktion an. David schob seine Freundin sanft aber doch bestimmt beiseite und blickte auf das Kontrollfeld. Andrea hatte schon längst gesehen, dass da die Worte „Kein Papier“ blinkten. David jedoch starrte noch ein paar Sekunden länger hin und sagte dann: »Wahrscheinlich ist das Papier zu Ende.«

Andrea stand hinter ihm und stammelte mit breitem Grinsen ein »So, so?«

David öffnete die Tür am Kopierer und zog die Papierlade heraus. Tatsächlich, sie war leer. Er trat einen Schritt zur Seite, damit Andrea das leere Papierfach gut sehen konnte. Rasch holte er eines der beiden Pakete. Geschickt hatte er mit einem Zug die Schutzhülle abgezogen und etwa die Hälfte des Stapels von 500 Blatt in das leere Papierfach eingelegt ohne zu vergessen, dass er diesen Stapel zuerst mit jeder Kante nach oben noch zweimal auf den Tisch klopfen musste. Er schloss das Papierfach und die Frontplatte des Kopierers. Während er am Kontrollfeld nachsah, was nun zu tun sei, griff Andrea unter seinen Armen durch und drückte auf den grünen Copy-Knopf. Sofort startete das Gerät mit einem leichten Rattern den nächsten Druckvorgang.

Pascal war inzwischen damit beschäftigt seinen MP3-Player neu zu formatieren und einzelne Dokumente auf den Player zu laden. Als er damit fertig war rief er David zu sich ins Büro. Dieser erschien auch sogleich in der Tür und eilte zum Schreibtisch. Pascal reichte ihm den MP3-Player und listete auf: »Du nimmst jetzt diesen Player, ziehst dich an und gehst hinunter. Warte im Hauseingang. Ich rufe jetzt ein Taxi. Das wird in etwa fünf Minuten da sein. Wenn das Taxi vor dem Haus hält, dann steigst du ein und der Fahrer bringt dich zum Copy-Shop in der Theatergasse. Dort steigst du aus und gehst in den Copy-Shop. Der Taxifahrer wird auf dich warten, bis du fertig bist.« Pascal griff mit der rechten Hand nach hinten in seine Hosentasche und holte seine Brieftasche hervor. Er klappte sie auf und zog eine scheckkartengroße rote Karte hervor, auf der deutlich die Worte „Copy-Shop“ zu lesen waren. Auch diese Karte streckte er David mit den Worten entgegen: »Den Player und die Karte gibst du dem Fräulein an der Kasse. Ich werde sie anrufen und ihr genau sagen, welche Kopien sie anfertigen soll. Du wartest einfach bis du den Player, die Karte und einen Umschlag mit den Kopien von ihr bekommst und fährst mit dem Taxi wieder hierher!« Pascal griff noch einmal in die Brieftasche und holte einen Fünfzigeuroschein hervor. »Vergiss nicht, das Taxi zu bezahlen«, erinnerte er David noch und streckte ihm den Geldschein entgegen.

›Na, das war wieder einmal ein klarer Auftrag‹, dachte David und verließ ohne ein Wort das Büro.

Pascal griff rasch zum Hörer und wählte die Nummer der Taxizentrale. Schnell war der Auftrag erklärt und das Fräulein am anderen Ende verabschiedete sich mit den Worten: »Ist schon unterwegs!«

Nun noch schnell der Anruf im Copy-Shop. »Jedes Dokument in siebenfacher Ausfertigung auf Größe A1, Transparentpapier. Bitte auch falten auf Größe A4 mit Heftrand. Eigentlich so wie immer. Vielen Dank.« Die Leiterin des Shops kannte die üblichen Wünsche und verstand sofort. Pascal legte den Hörer auf, erhob sich aus seinem Sessel und verließ den Raum. Er näherte sich dem Kopierer und fragte Andrea: »Auf welcher Seite bist du schon?«

»Seite 21«, antwortete sie flott.

»Sehr gut. Und hast du schon alle geordnet?«

»Bis zur Seite 20 ja!«

»Perfekt«, rief Pascal erfreut. »Die Seiten 1 und 14 bis 18 müssen nämlich laminiert werden.«

»Die sieben geordneten Pakete liegen am Schreibtisch.« Mit diesen Worten zwängte sich Andrea an Pascal vorbei und ging zu Verenas Schreibtisch. Sie ergriff den obersten Pack eines Papierstapels, die alle immer wieder um 90° gedreht übereinander lagen und reichte Pascal die Blätter. Er nahm nur das oberste Blatt, legte es auf den Tisch und verschwand im Archiv. Man hörte, dass einige Türen geöffnet und wieder geschlossen wurden. Auch Laden wurden zum Teil etwas unsanft zurückgeschoben. Darunter schob sich noch vollkommen unverständliches Gemurmel, das man keinesfalls als freundlich einstufen konnte. Doch als Pascal aus dem Archiv zurückkam, lächelte er schon wieder und sagte: »Ordnung ist alles!« Er hatte in einer Hand ein Laminiergerät und in der anderen ein gelbes Paket mit Laminierfolien. Er stellte beides auf den Tisch und steckte sofort das Kabel des Laminiergerätes in die letzte freie Steckdose am Tisch. Das rote Licht am Gerät begann zu leuchten und Pascal trat um den Tisch herum. Er nahm eine Folie aus der Box und schob das erste Blatt zwischen die beiden Hälften. Während er versuchte, das Blatt genau in der Mitte auszurichten, wechselte die Kontrollleuchte seine Farbe von Rot auf Grün.

Andrea hatte das Ganze bis jetzt nur beobachtet, doch plötzlich trat sie ganz frech nach vorne und zwängte sich zwischen Pascal und Schreibtisch. Mit den Worten: »Darf ich das machen?« nahm sie ihm die Folie aus der Hand und schob sie vorsichtig in den Schlitz des Gerätes. Während die Folie mit einem leichten Surren langsam eingezogen wurde, trat Pascal erschrocken einen Schritt zurück und betrachtete das kleine Persönchen verblüfft von hinten. Mit einem Lächeln auf den Lippen bewegte er den Kopf langsam nach rechts und links. Andrea erwartete mit ihren Händen die fertige Folie an der Rückseite des Gerätes. Sie hielt sie prüfend gegen das Licht, drehte sich um und überreichte Pascal die Folie.

»Passt das so?« fragte sie keck.

»Ja!« lautete Pascals knappe Antwort.

Eigentlich war er jetzt überflüssig, denn die Arbeit erledigte sich fast schon von selbst. So trat er einen weiteren Schritt zurück und beobachtete das eifrige Treiben nur noch aus der Distanz. Eine Folie nach der anderen war fertig und Andrea ordnete die Blätter und tauschte einen Stapel mit dem nächsten. Schnell hatte sie die entsprechenden Blätter wieder aussortiert, als ein leiser Piepston vom Kopierer her ertönte. Andrea legte die Blätter beiseite und eilte zum Kopierer. Ein, zwei Tasten gedrückt und das Gerät begann wieder zu arbeiten. Während Andrea wieder zum Schreibtisch zurückeilte, musterte Pascal sie noch einmal etwas genauer. So eine Kombination von hübsch aber auch intelligent hatte er selten gesehen. Außerdem war sie auch noch sympathisch.

»Welche Schule gehst du?« fragte er, um die Stille, die nur vom Surren der einzelnen Geräte erfüllt war, zu unterbrechen.

»Ingeborg Bachmann Gymnasium«, antwortete Andrea, ohne dabei ihre Arbeit zu unterbrechen.

»Welche Klasse?«

»6 a.«

»Und bist du eine gute Schülerin?« war er immer neugieriger geworden.

»Geht so«, überlegte sie laut. »In einigen Gegenständen bin ich ganz gut, in anderen wieder etwas faul.«

»Kann ich fast nicht glauben, wenn ich sehe, welchen Eifer du hier an den Tag legst.«

»Das ist etwas Handwerkliches«, erwiderte Andrea. »Das macht Spaß. Wenn ich dagegen an die vielen Formeln in Chemie denke, ist der Eifer schnell verflogen.«

In den folgenden Momenten war es aber wieder still und Pascal betrachtete ihre hübsche Silhouette. Dabei fiel ihm auf, dass sich durch den weißen Arbeitskittel keine exakten Konturen ableiten ließen. Sie konnte schlank, aber auch pummelig sein. Darauf hatte er, als sie völlig durchnässt das Büro betrat, überhaupt nicht geachtet. Und so sehr er sich auch bemühte, er konnte auch keine Konturen eines Büstenhalters oder eines Höschens erkennen. Diese müssten doch wenigstens ansatzweise auszumachen sein. Aber da war einfach nichts zu erahnen.

»Wie alt bist du?« Mit dieser Frage versuchte Pascal seine Gedanken wieder in eine andere Richtung zu lenken.

»Nächste Woche werde ich sechzehn!« gab sie als Antwort.

»Am 17. Juni also?« überlegte Pascal.

»Nein am 16.« widersprach sie. »Warum? Wollen sie mir etwas schenken?«

Diese kecke Frage brachte Pascal etwas aus der Fassung. Er, der sonst eigentlich nie um eine passende Antwort verlegen war, musste hier durchschnaufen. Aber nach kurzer Pause gab er zurück: »Nein, aber ich habe überlegt, ob man nicht eine dicke Party schmeißen sollte. Man wird schließlich nicht jeden Tag sechzehn. Ein ganz besonderer Geburtstag.«

Postwendend kam Andreas Ablehnung: »Das wird aber kaum gehen, denn nächstes Wochenende bin ich total ausgebucht. Da jagt ein Fest das andere.«

»Ist mir auch recht, denn ich wollte ohnehin nur David beauftragen die eine oder andere Runde in meinem Auftrag zu übernehmen. Ich hoffe, er ist zu den Feiern eingeladen?« Toucher! Damit stand es 1:1. Hier war Pascal an jemanden geraten, der es in punkto Schlagfertigkeit mit ihm durchaus aufnehmen konnte.

Ebenfalls etwas zeitverzögert sagte Andrea: »Bei meiner Geburtstagsfeier ist David sicher dabei. Jedoch am Mädchenabend sind Jungs verboten!«

»Dann sollte ich vielleicht doch besser am Mädchenabend die Getränkerechnung übernehmen«, hakte Pascal nach.

Dem ließ Andrea nur ein nachdenkliches »Vielleicht?« folgen.

Mit den Worten: »Ich sehe mal nach, ob die Wäsche schon trocken ist« machte Pascal sich auf ins Bad zu gehen, um dem doch etwas emotional geführten Zwiegespräch eine Ruhepause zu gönnen.

In der Zwischenzeit war David mit dem Taxi in den Copy-Shop gefahren. Dort hatte man ihn bereits erwartet und gebeten Platz zu nehmen. Sogar einen Kaffee hatte man ihm angeboten und er dankend angenommen. Obwohl der Kaffee ziemlich stark war und das Fräulein anscheinend auf den Zucker vergessen hatte, grinste er über das ganze Gesicht, während er dieses eklige Gesöff in sich hineinschlürfte. Nach etwas mehr als zwanzig Minuten übergab ihm das Fräulein ein durchsichtiges Kuvert, in dem man schon von außen den MP3-Player, die Copy-Shop Karte, eine Rechnung und unzählige Pläne erkennen konnte. Dann bedankte sich das Fräulein noch bei David dafür, dass er so geduldig gewartet hatte. Gleich darauf verließ David wieder den Shop, stieg ins Taxi und fuhr zurück.

Das Trockenprogramm war abgeschlossen und Pascal öffnete die Trommel, um die Wäsche herauszunehmen. Sofort waren ihm der oben auf liegende BH und der grelle String ins Auge gesprungen. Beides hatte er beim Beladen des Wäschetrockners einfach nicht gesehen. Pascal konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Danach legte er die Wäsche auf der Waschmaschine ab und kehrte ins Büro zurück. Dabei blickte er auf die Uhr und sah, dass der große Zeiger schon an der Zwölf vorbei war. Ein Blick auf den Stundenzeiger brachte Gewissheit: Es war bereits nach 20 Uhr. Und um 20 Uhr begann die Maturafeier. Er war wieder einmal zu spät.

Auf den Tag genau heute vor zehn Jahren hatten alle gemeinsam die mündliche Matura abgelegt. War das ein großer Augenblick, als der alte Studienrat Steiner damals verkündete, dass alle dreißig Schüler der 8 a,b die Prüfung bestanden hatten. Als das extra für diesen Fall vorbereitete Leintuch mit allen Unterschriften am Fahnenmast gehisst wurde …

Ein lauter Pieps des Kopierers riss Pascal aus seinen Träumen und während er zum Kopierer starrte, sagte er zu Andrea: »Die Wäsche ist schon fast fertig.«

»Die Unterlagen auch«, antwortete Andrea. »Das waren die letzten Dokumente.«

Pascal hatte gelogen, denn eigentlich war die Wäsche ja schon fertig, aber irgendwie wollte er die Chance noch aufrechterhalten, sich davon überzeugen zu können, ob Andrea unter ihrem Arbeitskittel tatsächlich nackt war. Andrea holte die letzten Blätter aus dem Kopierer und fügte sie den fertigen Stapeln hinzu. Pascal holte ein Bindegerät aus dem Archiv und stellte es auf dem Schreibtisch ab. Andrea fasste den ersten Stapel fest an und hielt ihn Pascal entgegen. Er aber übernahm ihn nicht, sondern ergriff Andreas Hände, führte sie vorsichtig zum Bindegerät und ließ ihre Hände wieder los. Nun drehte er an einem Hebel und mehrere Messer fraßen sich in den Stapel an Dokumenten. Jetzt verstand Andrea, dass dies wohl eine Arbeit war, die eine Person allein nur schwer ausführen konnte, wenn es perfekt sein sollte. Ihr war es zuerst doch etwas befremdend vorgekommen, als Pascal sie an den Händen erfasst hatte. Während der ganzen Zeit, in der sie gemeinsam auch die weiteren Stapel fertigstellten, standen sie sich gegenüber und Pascal versuchte mehrmals durch einen Blick in ihren Ausschnitt Gewissheit zu erhalten. Es war jedoch unmöglich. Der oberste Knopf gab einfach keinen Einblick frei. Daher beschloss er sofort, dass er neue Arbeitskleidung anschaffen würde. In dem Moment, wo der letzte Stapel gebunden war, klingelte es an der Tür. Pascal eilte hinüber und öffnete.

David trat ein und überreichte sofort die Unterlagen. Auch drückte er seinem Chef das Restgeld von der Taxifahrt in die Hand.

Pascal nahm alles mit den Worten: »Das hast du gut gemacht!« entgegen und verschwand in seinem Büro, um kurz darauf mit den Großkopien wiederzukehren. »In jedes dieser sechs Kuverts kommt eine Dokumentenmappe, eine CD und zwei dieser Großkopien«, sagte er zu Andrea.

Sie fragte sofort nach, ob die Kuverts zugeklebt oder nur eingeschlagen werden sollten?

»Nur einschlagen!« forderte Pascal und zu David: »Du könntest bitte alle Geräte ausschalten.«

»Ja«, antwortete David und ging als Erstes zum Kopierer.

Nachdem Andrea die sechs Kuverts verschlossen hatte, erkundigte sie sich: »Und was ist mit der siebenten Mappe?«

»Die bleibt bei uns«, antwortete Pascal. »Lass sie einfach liegen.« Dann hielt er Andrea ein noch größeres Kuvert entgegen und bat sie die anderen sechs Kuverts darin zu verstauen. Danach klebte er dieses zu und mit einem fast stöhnenden Seufzer kam ein: »Fertig!« über seine Lippen. »Ohne euch beide und eure großartige Hilfe hätte ich es niemals geschafft, doch noch rechtzeitig fertig zu werden. Nochmals vielen Dank!«

David sah man an, dass er stolz über dieses Lob war und er grinste über das ganze Gesicht. Andrea hingegen sah man an, dass sie ziemlich erschöpft war und ihr Lächeln war doch etwas gequält.

»Die Wäsche ist jetzt sicher trocken«, sagte Pascal, worauf Andrea im Badezimmer verschwand. Nun rief Pascal den Kleinen zu sich, holte die Brieftasche aus der Hose und griff hinein. Er holte einen 50 Euro Schein hervor und drückte ihn David mit den Worten: »Ich möchte, dass ihr euch einen schönen Abend macht!« in die Hand. Danach ging Pascal in sein Arbeitszimmer, schaltete seinen Computer aus, räumte noch die letzten Utensilien vom Schreibtisch und schloss sämtliche Laden und Türen des Aktenschrankes. Danach ging er zurück ins Empfangsbüro. Andrea war inzwischen aus dem Bad zurückgekommen und sah in ihrer eigenen Wäsche wieder ganz ordentlich aus.

»Ich habe die anderen Sachen auf die Waschmaschine gelegt!« sagte sie.

»Sehr gut«, lobte Pascal. »Ich möchte mich noch einmal ganz herzlich bei dir bedanken, Andrea. Ohne dich hätten wir es sicher nicht mehr rechtzeitig geschafft!« Und nach einem Blick auf die Uhr fuhr er fort: »Es bleiben gerade noch mal zwanzig Minuten, um die Post rechtzeitig wegzuschicken, denn um 21 Uhr schließt das letzte Postamt.«

Andrea lächelte freundlich zurück, ohne etwas zu sagen.

Abschließend merkte Pascal noch an: »Wenn du einmal auf der Suche nach einem Job sein solltest, dann melde dich bei mir. Jemanden wie dich würde ich jederzeit als Mitarbeiter bei mir aufnehmen. So und jetzt wünsche ich euch beiden noch einen wunderschönen Abend.«

Fast gleichzeitig war ein »Danke« von David und Andrea zu hören und die beiden gingen auf die Ausgangstür zu. Eigentlich wollte Pascal noch eine Bemerkung wegen Andreas Geburtstag nächste Woche fallen lassen, doch das verkniff er sich im selben Moment wieder. Er sah gerade noch, dass David etwas aus der Hosentasche holte und es Andrea leicht verdeckt zeigte. Pascal war sich sicher, dass es der Geldschein war, den er David gegeben hatte und dachte bei sich: ›Der Kleine ist schon ein ganz toller Bursche und wenn man sich die beiden von hinten ansieht, passen sie ganz gut zusammen.‹ Als sich die Tür hinter ihnen schloss, lächelte Pascal, weil er sich sicher war, dass der doch in sehr einfachen Bahnen denkende David in dieser Beziehung wohl kaum den Ton angeben würde.

Doch plötzlich durchfuhr es Pascal, dass er es ja eilig hatte. Ganz schnell lief er in sein Büro zurück, holte den Anzug aus dem Schrank und zog sich in Windeseile um. Schnell noch das Aktenkuvert unter den Arm, Licht gelöscht und er verließ keine fünf Minuten nach den beiden auch das Büro.

Im Nordwesten der Stadt, unmittelbar neben dem Wörthersee, liegt das Kreuzbergl, der Hausberg der Klagenfurter. Er ist nur wenig mehr als 100 Meter hoch und ein beliebtes Ausflugsziel. Neben den unzähligen Parks entlang des Ringes ist das Kreuzbergl die grüne Lunge der Stadt. An den drei terrassenförmig angelegten Teichen führen zahlreiche Wanderwege vorbei, die von den Bewohnern das ganze Jahr hindurch eifrig frequentiert werden. Auf der Spielwiese tummeln sich am Vormittag Schulklassen der nahe gelegenen Schulen, um ab und zu dem Turnunterricht in den muffigen Turnsälen zu entfliehen und die sportlichen Aktivitäten in frischer Waldluft zu erleben. Doch auch nachmittags ist die Wiese mit Leben erfüllt. Während Mütter ihre Kinderwagen langsam über die Wege hin- und herschieben und sich dabei mit anderen Müttern über allerlei Wichtiges unterhalten, tummeln sich die schon etwas größeren Kinder auf der Rutsche, der Schaukel und dem Ringelspiel oder laufen auf der Wiese einem Ball hinterher. Daneben flattern Enten über den mittleren der drei Teiche und lassen sich mit lautem Geschnatter auf dem mit Seerosen übersäten Wasser nieder. Gleich unter der Spielwiese befindet sich der Botanische Garten der Stadt. Eine Vielzahl exotischer Pflanzen, teilweise in Gewächshäusern, teils auch im Freigelände, bietet im Spätfrühling ein ungewöhnliches Zusammenspiel verschiedener Düfte und einen selten bunten Anblick einer Blütenpracht. Biologielehrer nützen dann die Möglichkeit ihren Schülern auch einmal die Natur in ihrer ganzen Schönheit zeigen zu können. Wenige Meter weiter steht die Kreuzberglkirche. Sie ist eine beliebte Hochzeitskirche. Ihr Kreuzweg führt schlangenförmig an 14 gemauerten Kreuzwegstationen vorbei, steil nach oben bis zum Kirchenportal. Der Blick von hier auf die Stadt hinunter ist sagenhaft schön. Am Ende der schier unendlich lang erscheinenden und vollkommen geraden Radetzkystraße sieht man den Stadtpfarrturm. Er ist mit 88 Metern Höhe schon seit mehr als hundert Jahren das höchste Bauwerk der Stadt. Und das wird er mit Sicherheit auch noch lange bleiben, denn es bestehen keinerlei Bestrebungen nach monumentalen Bauten mehr. Im Gegenteil: Nach einigen Bausünden in den Sechziger Jahren geht die Anzahl der Stockwerke für Neubauten wieder deutlich zurück.

Hoch über der Kreuzberglkirche ist die Sternwarte der Stadt. Von ihr ragt nur die Beobachtungskuppel über die Baumwipfel empor. Der Rest des Gebäudes mitsamt seinem mächtigen Turm ist derart von hohen Bäumen umfasst, dass man das Gebäude erst erblickt, wenn man unmittelbar davor steht. Von all dem war aber jetzt nichts zu sehen, denn es war schon 21 Uhr und die Wolkendecke so dicht, dass kein Stern und auch nicht der Mond den Himmel erhellten. Und so thronte das Kreuzbergl als dunkler Fleck über der Stadt. Nur die hell angestrahlte Kreuzberglkirche mit ihren Kreuzwegstationen war gut zu erkennen. Und dahinter, noch etwas oberhalb der Kirche ließen sich im Schein der Terrassenbeleuchtung die Umrisse des Schweizerhauses erahnen. Das Schweizerhaus war ein beliebtes Ausflugsziel und ob seiner guten Küche weithin bekannt. So fand man hier auch den würdigen Rahmen zur Abhaltung der 10-Jahresfeier. Man hatte den Festsaal reserviert und es war tatsächlich ein reges Treiben in dem großen Raum. An einer langen Tafel saßen zahlreiche Personen, von denen man auf den ersten Blick sagen konnte, dass sie alle ungefähr im selben Alter waren. Am Ende der Tafel stand auf einem Podest, welches bei anderen Veranstaltungen als Bühne dienen konnte, ein langer Tisch quer zur übrigen Tafel. An diesem Tisch saßen sechs Männer und eine Frau deutlich älteren Jahrgangs. Darüber hinaus sausten noch einige Kellner und Kellnerinnen um die Tische und brachten allerlei Getränke und Speisen oder waren gerade dabei die Gläser wieder fortzuschaffen. Im Moment war es sogar verhältnismäßig ruhig. Noch vor wenigen Minuten konnte man bei dem lauten Geschnatter kaum sein eigenes Wort verstehen. Es schien als müsste jeder gerade mit der Person ein Gespräch führen, die am weitesten entfernt von ihm saß und ein jeder versuchte den anderen dabei noch zu übertönen. Doch jetzt war gerade so genannte Gefräßige Stille eingekehrt. Derzeit hörte man hauptsächlich ein Löffelkonzert. Jede Art von Besteck schien mehr oder weniger rhythmisch auf Porzellan einzuhämmern. Da und dort noch ein Sessel zurechtgerückt, das Zusammenprosten zweier oder mehrerer Gläser. Das war es dann aber schon. Wenn man auf die Tische blickte, dann stimmte das Sprichwort, dass Geschmäcker eben verschieden sind. Da saß eine Brettljause neben gebackenen Champignons, eine Gulaschsuppe zwischen einem Wiener Schnitzel und einem griechischen Salat. Ja selbst eine Sachertorte mit Schlag unterhielt sich mit einem sauren Wurstsalat. Es war kaum vorstellbar, dass die Speisekarte des Hauses noch weitere Gerichte beinhalten konnte. Da sah es am Tisch auf der Bühne schon ganz anders aus. Hier hielten sich vier Wiener Schnitzel und drei Naturschnitzel mit dreimal Kartoffeln und viermal Reis annähernd die Waage. Es war unverkennbar eine Klassenfeier, wo zwei Generationen und Lebenseinstellungen, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten, aufeinander trafen ohne Konflikt zu erzeugen aber auch ohne die geringste Chance auf Annäherung. Da hatte der Oberstudienrat auf der Bühne aber schon gar nichts gemeinsam mit dem jungen aufstrebenden Englischlehrer am Anfang der Tafel. Aber selbst der junge Assistenzarzt links vom Tisch konnte mit dem stellvertretenden Postamtsleiter gegenüber von ihm nicht wirklich etwas anfangen. Und als schön langsam alle mit ihrem Essen fertig waren und das Geschirr geräumt wurde begann man wieder Gespräche zu führen und man unterhielt sich hauptsächlich über die Schulzeit. Die Vergangenheit war die einzige Gemeinsamkeit, die man hatte. In der Gegenwart war man sich doch sehr fremd geworden. Dennoch versuchte jeder äußerst höflich mit seinem Gegenüber umzugehen. Eine richtige Stimmung schien aber nicht aufzukommen. Der eine oder andere blickte auch schon mal auf die Uhr. Dabei war der Abend gerade erst einmal eineinhalb Stunden alt. Eigentlich hatte jeder erwartet, dass es genauso wie bei den vielen feuchtfröhlichen Feiern vor zehn Jahren auch diesmal bis weit nach Mitternacht gehen würde. Doch danach sah es im Moment gar nicht aus. Manch einer grübelte schon, wie er seinen vorzeitigen Abgang inszenieren konnte. Was sollte man als Grund angeben? Hatten die Kinder einen unruhigen Schlaf? War die Mutter krank zu Hause? Ein Termin, bei dem man morgen schon sehr früh raus musste? Dies alles sollte sich aber rasch ändern.

Die Uhr zeigte gerade 21:15, als Pascal am Schweizerhaus eintraf. Er hatte zuvor die Postsendung eingeschrieben aufgegeben und danach noch kurz an einem Bankomaten gehalten, um die Barschaft in seiner Brieftasche wieder etwas aufzufüllen. Im Eingangsbereich traf er Peter Berghof, den langjährigen Klassensprecher, der soeben von der Toilette gekommen war.

Dieser überfiel Pascal gleich mit einer Umarmung und rief erfreut: »Bin ich froh, dass du noch gekommen bist. Jetzt sind wir komplett. Es sind doch tatsächlich alle gekommen, ohne Ausnahme. Nur du hast uns noch gefehlt!«

»Aber Verena wird ja wohl ausgerichtet haben, dass es bei mir später wird, oder?« erwiderte Pascal und versuchte sich aus der Umklammerung zu lösen.

Doch Peter legte seinen Arm um Pascals Schulter und schob ihn Richtung Festsaal. »Du musst mir helfen etwas Stimmung in die Bude zu bringen!« forderte Peter.

Pascal wusste nicht, wie ihm geschah. Er überlegte schon, ob er sich nicht bei einem der Gäste an der Bar festhalten sollte, um nicht wie in einem reißenden Strom mitgezogen zu werden. Doch er wollte den alten Freund keinesfalls beleidigen und so ließ er es geschehen, dass er in den Festsaal gedrückt wurde.

Mit einem übertriebenen »Ta-Raaa« kündigte Peter den Ehrengast an. »Der letzte Mohikaner ist eingetroffen!« rief er laut. Es war unverkennbar, dass Peter einige Jahre als Animateur gearbeitet hatte, ehe er die Leitung eines Reisebüros übernahm.

Pascal hatte sich schon beim ersten Laut erschrocken und es war ihm auch dieser künstliche Humor vollkommen zuwider. Aber er machte wieder einmal gute Miene zum bösen Spiel. Mit leicht zugekniffenen Augen, die verrieten, dass er einen weiteren Fanfarenton befürchtete, blickte er in die Runde. Eines hatte Peter zumindest erreicht: Sämtliche Augen waren auf Pascal gerichtet und er sah, wie Helmut Krassnig von seinem Stuhl aufsprang und auf ihn zutrat.

Als dieser ihn in seine Arme schloss, hatte wenigstens das Schieben von hinten aufgehört. »Mensch, habe ich dich lange nicht gesehen!« rief Helmut.

»Ich freue mich auch, dich zu sehen«, erwiderte Pascal in extra langsam gesprochenen Worten. Jetzt musterte er die ganze Tafel und bereute es, dass er nicht pünktlich gewesen war. Er wusste, dass er wohl kaum umhin kommen würde, jetzt jeden einzeln zu begrüßen. Kurz überlegte er, an welcher Ecke er beginnen sollte und so entschied er sich für Klaus Tragbauer. Klaus war ein Cousin zweiten Grades, den er in den vergangenen Jahren des Öfteren bei Familienfeiern getroffen hatte. Zuletzt vor vier Wochen beim Begräbnis der Großmutter von Klaus. Pascal war auch zur Hochzeit von Klaus und seiner Julia eingeladen. Klaus war aufgestanden und drückte seinen Cousin auf beiden Seiten an die Wange.

»Tut mir leid, dass ich nach Omas Begräbnis so schnell aufbrechen musste!« entschuldigte sich Pascal.

»Wir sind auch nicht viel länger geblieben als du«, antwortete Klaus. »Den Kindern hat es schon zu lange gedauert.«

Pascal drückte seinem Cousin noch einmal die beiden Oberarme und schickte sich an, die Begrüßungszeremonie fortzusetzen. Neben Klaus saß Bernhard Weber. Ihm legte Pascal nur kurz die rechte Hand auf die Schulter. Ein freundlicher Augenkontakt reichte, denn man hatte sich ja vor etwas mehr als drei Stunden zuletzt gesehen. Daneben Verena Hofer. Auch sie hatte er noch vor Kurzem gesehen, doch ihr drückte er ein kleines Busserl auf die Wange. Danach drehte Verena ihren Kopf zu Pascal und lächelte ihn an. Worte waren hier unnötig. Als Nächstes kam Renate an die Reihe. Während der Schulzeit hieß sie Maier. Ob sie inzwischen geheiratet hatte, wusste Pascal nicht. Sie stand auf und wollte in der Herzlichkeit der Begrüßung keinesfalls hinter den anderen zurückstehen und drückte Pascal einen festen Schmatz auf die Wange. »Ich hoffe, dass nicht wieder zehn Jahre vergehen müssen, bis wir uns wiedersehen!« forderte sie noch. Dann ließ sie Pascal wieder los.

So ging das nun von einem zum anderen. Jeder verwickelte Pascal in ein kurzes Gespräch und es schien, als wollte jeder, egal ob männlich oder weiblich, die Übrigen in seiner innigen Begrüßung übertreffen. Selbst Andrea, die Lebensgefährtin von Peter Berghof, ohne die Peter vermutlich keinen Ausgang erhalten hätte, drückte Pascal an ihre mehr als üppige Brust, obwohl sie sich im Leben noch nie zuvor gesehen hatten. Pascal wusste nicht, wie ihm geschah. Sofort schoss ihm durch den Kopf, was Jesus am Ölberg zu seinem Vater gesagt hatte: ›Herr, lass diesen Kelch an mir vorüberziehen!‹ Doch es war unmöglich, den Begrüßungsreigen hier abzubrechen. Er wollte niemanden brüskieren und so setzte er seinen Weg geduldig fort. Auch Helmut, der ihn ja schon beim Betreten des Festsaales umarmt hatte, stand jetzt noch einmal auf und drückte ihn erneut. Es kam Pascal fast wie ein Déjà-vu vor, als dieser auch noch den Satz: »Mensch, habe ich dich lange nicht gesehen« wiederholte. Pascal vermied es darauf zu antworten und hoffte nur, nicht in einer Zeitschleife gefangen zu sein. In Bruchteilen einer Sekunde ließ er den Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ vor seinem geistigen Auge ablaufen und während er in Gedanken durchspielte, dass er, sollte Helmut denselben Satz ein drittes Mal wiederholen, ein Jucken in der rechten Faust verspüren würde, stand er plötzlich vor Alex.

Sie hieß eigentlich Alexandra Ebner und war während der Schulzeit Pascals großer Schwarm. Dies hatte er allerdings stets verbergen können. Niemand ahnte etwas davon. Es hätte auch wenig Sinn gehabt, denn Alex war immer schon die Hübscheste von allen an der Schule und war eigentlich ab Ende der vierten Klasse immer in festen Händen. Nicht immer in denselben Händen. Nein, nein! Sie wechselte ihre Partnerschaften recht oft. Mehrmals kam sie mit ihren Problemen zu Pascal, wenn einmal eine Beziehung in die Brüche gegangen war. Dann weinte sie sich oft an seiner Schulter aus. Mehr hatte sie eigentlich nie in ihm gesehen. Er war immer nur ein guter Freund, den man stets um Hilfe bitten konnte. Und nun stand sie nach zehn Jahren plötzlich wieder vor ihm. Gerade ihre Begrüßung war etwas kühl. Gerne hätte er auch von ihr ein Küsschen erhalten, doch sie erfasste seine Hände und hielt ihn so geschickt auf Distanz.

»Hallo Alex!« sagte Pascal mit einem Lächeln, das ehrliche Freude über das Wiedersehen ausdrückte.

»Schön dich zu sehen«, antwortete Alex und »ich hoffe, wir finden heute Abend noch Zeit uns etwas länger zu unterhalten«, fuhr sie fort. Dann ließ sie seine Hände wieder los.

Die folgenden drei Mitschüler begrüßte Pascal wie im Schlaf. Eigentlich konnte er sich weder erinnern, wen er gerade umarmt noch welche Worte man gewechselt hatte. Seine Gedanken waren noch immer bei Alex. Warum wollte sie ihn sprechen? War gerade wieder eine Beziehung in die Brüche gegangen? Ja, sie sah eigentlich nicht glücklich aus. Sicher, sie war noch immer bildhübsch, doch unter ihrer Schminke konnte sie vielleicht ganz blass sein. Auf jeden Fall spürte er, dass es ihr nicht gut ging. Auch war sie ihm etwas klein und gebrechlich erschienen. Vielleicht hatte er sie zum ersten Mal seit langem ohne Stöckelschuhe gesehen. Er war in der Zwischenzeit nicht mehr gewachsen. Dessen war er sich sicher. Hoffentlich konnte er ihr bei ihren Problemen helfen.

Die zwei Stufen hinauf zur Bühne rissen ihn jedoch wieder aus seinen Gedanken und er stand vor dem Lehrertisch. Professor Vogel, der alte Turnlehrer war der Erste. Mit einem flotten »Grüß Gott, Herr Professor« wandte sich Pascal an ihn. Dieser drehte seinen Oberkörper im Sitzen zu Pascal, streckte ihm seine Hand entgegen und ließ ein langsames »Servus, Herr Arnstein!« folgen. Pascal ergriff die ausgestreckte Hand und schüttelte sie, während er ein deutliches Kopfnicken vollführte.

»Ärgerst jetzt wohl keine Lehrer mehr?« fragte der Professor in Anspielung an einen Streich, weil Pascal in der achten Klasse einmal die Sportgeräte mit seinem eigenen Fahrradschloss versperrte, um das Geräteturnen für diesen Tag ausfallen zu lassen.

»Und sie jagen jetzt nur noch ihre Enkel um den Sportplatz!« gab Pascal zurück, weil er wusste, dass der Professor schon in Pension war und um darauf hinzuweisen, dass es Professor Vogels Spezialität war, die Schüler vor jeder Turnstunde erst fünfmal um den Sportplatz laufen zu lassen.

Man ließ die Hände wieder los und Pascal ging zu Professor Walther, dem alten Klassenvorstand. Dieser war schnell aufgestanden und reichte Pascal die Hand. Noch ehe Pascal etwas sagen konnte, fragte ihn der Professor: »Hallo Pascal! Wie geht es dir denn?« und fasste mit der linken Hand Pascals Oberarm.

»Sehr gut, Herr Professor! Und Ihnen?«

»Doch auch gut.«

»Haben Sie nach uns jemals wieder so eine brave Klasse gehabt?« scherzte Pascal.

»So brav nicht mehr«, antwortete der Professor, wobei deutlich zu hören war, dass die Betonung auf dem Wort „so“ lag.

Der Professor trat etwas beiseite, um es Pascal zu erleichtern Frau Professor Grossmann zu begrüßen. Diese hatte ihren Sessel etwas gedreht, um Pascal besser sehen zu können. Schon während der Schulzeit war zu bemerken, dass es ihr schwer fiel den Kopf zu drehen. Sie drehte zumeist den ganzen Körper.

Pascal nahm ihre Hand und zog sie zu seinem Gesicht mit den Worten: »Küss die Hand, Frau Oberstudienrat!«

Dies war wie Balsam auf ihre müden Knochen. Keiner hatte sie so begrüßt. Pascal wusste, wie sehr sie auf Titel und Ehrungen stand und er hatte vor zwei Jahren einen Bau zu beaufsichtigen, der unmittelbar an ihr Grundstück anschloss. Zweimal hatte er sie im Garten gesehen, jedoch vermieden, sie anzusprechen. Damals hatte er auch gesehen, dass auf der Klingel stand: Oberstudienrat Grossmann.

Ein breites Grinsen überzog nun ihr Gesicht und sie antwortete: »Servus Pascal! So höflich kenne ich dich ja gar nicht.«

»Ehre, wem Ehre gebührt!« Er wusste ganz genau, was sie hören wollte und so ließ sie seine Hand auch nicht so schnell wieder los.

»Was machst du jetzt? Beruflich meine ich«, fragte sie.

»Architekt.«

»Soso. Interessant. Und bist du verheiratet?« wollte Frau Grossmann wissen.

»Zum Glück nicht«, antwortete er mit einem verschmitzten Lächeln.

»Zum Glück für wen?« war sie sehr neugierig.

»Natürlich zum Glück für die Frau, die meine Launen ertragen müsste!« grinste er.

»Na, na. So schlimm wird es schon nicht sein«, meinte sie.

»Wer weiß?« sagte Pascal mit weit aufgerissenen Augen.

Erst jetzt ließ Frau Oberstudienrat Pascals Hand los und brachte ihren Stuhl wieder in die rechte Position. Während Professor Walther Platz nahm, begrüßte Pascal noch Direktor Greif, Professor Lorber, Professor Weilguny und Professor Haas. Jetzt war aber bald Schluss. Pascal wollte keine Hände mehr schütteln. Zwei Stufen runter von der Bühne und da saßen noch vier Mädchen. Danach war die Tortur endlich vorbei.

Zuerst die beiden Streber, Eva und Hanni. Bussi rechts, Bussi links und noch einmal Bussi rechts und Bussi links. Und zu guter Letzt noch Melanie Gruber und Annabelle Gruber, nicht miteinander verwandt und auch vollkommen unterschiedlich. Eine blond, die andere dunkel. Die eine totale Schnatterbüchse, die andere zurückhaltend und still. Beide waren aufgesprungen und auf Pascal zugegangen. Übliche Begrüßung und Melanie sagte: »Ich habe noch einen Platz neben mir für dich freigehalten!«

Tatsächlich. Darüber hatte sich Pascal bis jetzt gar keine Gedanken gemacht, wo er sich hinsetzen würde. Und dieser Platz war auch ganz okay. Zwischen den beiden Gruber-Mädels, das war auszuhalten. Mit ihnen hatte er sich auch während der Schulzeit gut verstanden.

»Das ist aber nett von dir!« So bedankte sich Pascal bei Melanie und atmete tief durch, als er sich setzte.

Noch einmal ließ er seinen Blick über die Tafel schweifen. Einige leere Teller verrieten, dass wohl alle schon gespeist hatten. Viele fast geleerte Gläser ließen erwarten, dass das Personal bald wiederkehren würde. Er hatte Durst, aber der Hunger war fast noch größer. Jetzt fiel ihm auf, dass Alex ihm genau gegenüber saß. Er strahlte sie mit einem breiten Lächeln an, während er versuchte zu erkennen, ob er recht hatte, dass es ihr nicht besonders gut ging. Doch da war nicht wirklich etwas zu erkennen und so blieb nur das Gefühl, dass irgendetwas nicht in Ordnung war.

Während Melanie begann Pascal in ein Gespräch zu verwickeln, bemerkte er noch, dass zwei Kellnerinnen den Raum betraten. Es sollte also bald etwas zu essen geben. Während er sich mit Melanie unterhielt oder sollte man besser sagen, dass er einfach nur ihre unzähligen Fragen beantwortete, waren seine Gedanken eigentlich mit vielen anderen Dingen beschäftigt. Zuerst überlegte er, was er bestellen würde, denn der Hunger war groß. Das Schweizer Haus hatte zum Glück bis 23:30 Uhr warme Küche. Das letzte Mal, als er hier war, hatte er eine Hausplatte bestellt. Diese war eigentlich für zwei Personen. Damals war er auch mit seiner Mutter hier. Dieses Mal war er allein, aber er hatte schließlich seit Mittag nichts mehr gegessen und die heiße Leberkäsesemmel war ja auch nicht gerade üppig gewesen. Parallel dazu konnte er die Andeutung, dass Alex noch etwas mit ihm zu bereden hatte, nicht vergessen. Hätte man ihn jetzt gefragt, worüber er sich gerade mit Melanie unterhalten hatte, er hätte es nicht mehr gewusst. Die Kellnerin fragte Melanie, ob sie noch etwas zu trinken wollte.

»Eine rote Mischung noch«, verlangte Melanie.

Nun drehte Pascal sich zur Kellnerin um. Als diese an ihn herantrat, fragte er sie: »Gibt es noch etwas Warmes zu essen?«

»Natürlich. Soll ich ihnen die Speisekarte bringen?« wollte die Kellnerin wissen.

»Nicht nötig«, behauptete Pascal. »Ich hätte gern eine Hausplatte.«

Die Kellnerin notierte es auf ihrem Block. »Und zu trinken?« fragte sie weiter.

Pascal blickte über die Schulter zum Tisch und sah, dass Alex vor einem leeren Weinglas saß. Sie hatte auch dankend abgelehnt, als die Kellnerin sie gefragt hatte, ob sie noch einen Wunsch hätte. Der letzte Tropfen im Glas verriet, dass sie wohl Rotwein getrunken hatte. Sich wieder zur Kellnerin drehend bestellte er: »Ein Viertel von einem guten roten Südtiroler und einen Apfelsaft gespritzt auf einen halben Liter.«

»Grauvernatsch oder Kalterer See?« fragte die Kellnerin noch einmal nach.

»Grauvernatsch!«

Mit einem äußerst höflichen »Danke« ging die Kellnerin wieder weiter.

Melanie hatte schon darauf gewartet und stellte ihre nächste Frage: »Und was machst du beruflich?«