Deutsche Kolonisten in Dänemark und Russland - Jakob Maul - E-Book

Deutsche Kolonisten in Dänemark und Russland E-Book

Jakob Maul

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Beschreibung

Nach einem schweren Anfang erlebten die deutschen Kolonien in Russland auch blühende Jahre, die leider nicht lange anhielten. Nachdem die deutschen Kolonisten ihre wirtschaftlichen und politischen Aufgaben erfüllt hatten, begannen antideutsche Ressentiments in der russischen Gesellschaft zu wachsen. Hinzu kam ein steigender Landmangel, der die Übersiedlung nach Sibirien und Zentralasien sowie gleichzeitig die Massenauswanderung aus Russland nach Nord- und Südamerika verursachte. Dieser 60-jährige Zeitraum und die Massenauswanderung der deutschen Bevölkerung zurück nach Deutschland nach dem Zusammenbruch der UdSSR sowie die politischen, ökonomischen und anderen globalen Ursachen für diese einzigartige und massenhafte Emigration werden in diesem Buch ausführlich untersucht und beschrieben. Am Ende des Buches präsentiert der Autor das Leben der deutschen Kolonisten und ihrer Nachkommen in Russland im Spiegel seiner eigenen Familiengeschichte, die 1760 mit der Auswanderung nach Dänemark aus der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt begann und insgesamt 233 Jahre im Ausland andauerte. In dieser Zeit gehörten die Mitglieder der Familie dem Heiligen Römischen Reich der Deutschen an, erlangten dann dänische, russische, sowjetische und kasachische Bürgerschaft, um nach der Rückkehr nach Vaterland die deutsche Staatsangehörigkeit anzunehmen. Ein ähnliches Schicksal erlebten auch die meisten anderen Familien der deutschen Kolonisten.

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Über den Autor

Prof. Dr. Jakob Maul wurde in Kasachstan geboren, wohin seine Eltern während des Zweiten Weltkriegs aus einer ehemals deutschen Kolonie im Wolgagebiet deportiert wurden. Er lebt und arbeitet seit 1993 in Deutschland.

Inhalt

Vorwort

Kapitel 1. Bevölkerungstheorie in Europa im 18. Jahrhundert

1.1. Das Migrationssystem

1.2. Die Bevölkerungspolitik

1.3. Die Auswanderungswellen aus Deutschland im 18. Jahrhundert

Kapitel 2. Auswanderung nach Dänemark

2.1. Der Dänische Heide- und Moorkolonisation Projekt

2.2. Der Weg nach Jütland

2.3. Die Vereidigung und das enttäuschende „nordischen Paradies”

2.4. Kolonistendesertion und Projektdesaster

Kapitel 3. Globale Ursachen und Motive der Massenemigration

3.1. Politische Motive

3.2. Ökonomische Motiven

3.3. Religiöse Motiven

3.4. Persönliche Motive

3.5. Globale Ursachen der Massenemigration

Kapitel 4. Russische Kolonisationsprojekte im 18.Jahrhundert

4.1. Kolonisationspolitik und Manifeste Katharinas der Großen

4.2. Aggressive Anwerbung

4.3. Die Zusammensetzung der ersten Wolgakolonisten

4.4. Der lange Weg nach Russland

Kapitel 5. Das deutsche Kolonistenleben in Russland

5.1. Der schwierige Anfang

5.2. Die Zeit des Pugatschew-Aufstandes und der Normannenüberfälle

5.3. Fluchtversuche aus Russland

5.4. Eingeständnis von Problemen

Kapitel 6. Die Kolonisierung Russlands unter Zeit von Alexander I

6.1. Besonderheiten der Kolonisation

6.2. Kolonien im Gouvernement Sankt Petersburg

6.3. Schwarzmeerdeutsche Kolonien

6.4. Bessarabiendeutschen Kolonien

6.5. Wolhynien und die Kaukasusdeutschen Kolonien

Kapitel 7. Vom wirtschaftlichen Erfolg zu Wachsenden Problemen

7.1. Die Blütejahre der deutschen Kolonien in Russland

7.2. Das Problem der Landknappheit

7.3. Die Übersiedlung nach Sibirien und Mittelasien

Kapitel 8. Die Zerstörung des deutschen Volkstums in Russland

8.1. Antideutsche Hysterie

8.2. Die Auswanderung aus dem Russischen Reich und der UdSSR

8.3. Jahre des Massenterrors, der Repressionen und Deportationen

8.4. Der Exodus. Der lange Weg in die Heimat

Kapitel 9. Die Wolgadeutschen im Spiegel einer Familiengeschichte

9.1. Auf der Suche nach meinen Vorfahren

9.2. Meine Großeltern und Eltern an der Wolga

9.3. Deportation und Leben in Kasachstan

9.4. Mein Lebensweg in Kasachstan

9.5. Wieder zu Hause in Deutschland

Epilog

Literaturverzeichnis

Vorwort

Der Anstoß zum Schreiben dieses Buches war der Abschluss meiner langjährigen Suche nach meinen Vorfahren und insbesondere nach Informationen über die Kolonistenvergangenheit meiner Vorfahren in Dänemark vor ihrer Auswanderung nach Russland. Gleichzeitig konnte ich eine lange geplante Aktualisierung der Statistiken und des Textes meines vor sieben Jahren erschienenen Buches "Die deutschen Auswanderer im 18./19. Die Teile dieses Buches, die sich mit der Theorie des Problems und mit dem russischen Kolonisationsprojekt befassen, sind in überarbeiteter und zusammengefasster Form in das vorliegende Buch übernommen worden.

Die Informationen über die dänische Vergangenheit meiner Vorfahren als Kolonisten veranlassten mich, die Geschichte der deutschen Auswanderung nach Dänemark unter die Lupe zu nehmen. Es stellte sich schnell heraus, dass diese Ereignisse recht gut erforscht und in zwei grundlegenden Büchern ausführlich beschrieben sind. Das erste, ein Lebenswerk von Otto Clausen, heißt „Chronik der Heide- und Moorkolonisation im Herzogtum Schleswig (1760-1765)“ und beeindruckt den Leser auf Anhieb mit 895 fein gedruckten Seiten. Das Buch beschreibt detailliert die gesamte Geschichte und Auswanderung der deutschen Kolonisten nach Dänemark im 18. Jahrhundert. Das Ganze basiert auf jahrzehntelangen Recherchen von hunderten von Dokumenten aus allen verfügbaren Quellen, bekannten Veröffentlichungen und Forschungen zu diesem Thema.

Das zweite Buch „Die Einwanderung deutscher Kolonisten nach Dänemark und ihre weitere Auswanderung nach Russland in den Jahren 1759-1766“ wurde von Dr. Alexander Eichhorn, einem deutschen Autor aus Kasachstan, und Dr. Jacob Eichhorn und Mary Eichhorn aus den USA herausgegeben. Das Buch, das in deutscher und englischer Sprache erschienen ist, stellt eine wichtige Neuerscheinung in der Literatur über die Geschichte der deutschen Kolonisten dar. Unter anderen wichtigen Informationen über die dänische Heidekolonisation sind die Transportlisten nach Jütland und dem Herzogtum Schleswig mit Tausenden von Namen der deutschen Kolonisten aufgeführt. Zum ersten Mal werden auch die Namen der Kolonisten veröffentlicht, die weiter nach Russland ausgewandert sind, was das Buch besonders bei den sogenannten Russlanddeutschen begehrt macht.

Alle anderen Veröffentlichungen, meist kleinere und im Internet, bauen in der einen oder anderen Weise auf den Informationen dieser beiden Bücher auf. Auch ich bin den oben genannten Autoren für ihre Forschungen und Veröffentlichungen dankbar, die ich bei der Beschreibung der Geschichte der deutschen Kolonisten in Dänemark immer wieder zitieren werde.

Damals war Deutschland noch kein einheitlicher Staat. Mehrere hundert selbständige Fürstentümer, die zwar ein zusammenhängendes Gebiet in Mitteleuropa einnahmen, aber nur lose miteinander verbunden waren, gehörten zum „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“. Der gerade zu Ende gegangene Siebenjährige Krieg und der zuvor in Europa gewütete Dreißigjährige Krieg hatten zu einer abrupten Verarmung der Menschen, zu einer Erschöpfung ihrer Lebenskräfte und zu einem Gefühl der Ausweg- und Perspektivlosigkeit in weiten Teilen der Bevölkerung geführt. Vor diesem Hintergrund bildete sich in Europa zunehmend ein stabiles Wanderungssystem mit festen Wanderungstraditionen der Bevölkerung heraus. Sie wanderten sowohl im eigenen Land als auch über die Landesgrenzen hinaus und legten auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben weite Strecken zurück.

In diesem Buch wird der lange und gefährliche Weg der deutschen Kolonisten ins ferne Dänemark und Russland beschrieben. Hunger, Kälte und zahlreiche Krankheiten prägten die Reise. Die Hartnäckigkeit und Besessenheit vieler tausend Menschen, die monate-, manchmal jahrelang unterwegs waren, dabei Kinder, Angehörige und Nahestehende verloren und doch das ersehnte Land erreichten, auf dem sie sich den Beginn eines neuen Lebens erträumten, löst schlichtweg Begeisterung aus. Das Buch untersucht und beschreibt die globalen Ursachen der Massenauswanderung der deutschen Kolonisten. Diese sind:

Die politische und wirtschaftliche Schwäche der zahlreichen, voneinander getrennten deutschen Staaten und Fürstentümer, die eine gemeinschaftlich organisierte Sicherung der Außengrenzen und einheitliche Auswanderungs- und Zollgesetze nicht ermöglichten.

Fehlen von Kolonialbesitz auf deutscher Seite, was die Möglichkeiten einschränkte, diesen für die Umsiedlung der eigenen „überschüssigen“ Bevölkerung zu nutzen.

Vergleichsweise später Beginn der industriellen Revolution im Land, wodurch die Option, der schnell wachsenden Landbevölkerung Arbeitsplätze in den verschiedenen Industriezweigen bereitzustellen, nicht gegeben war.

Dabei gehen wir davon aus, dass die von uns formulierten globalen Ursachen der Massenemigration das Wirken und die Bedeutung der Ursachen zweiten Grades, zu denen die verschiedenen politischen, religiösen, wirtschaftlichen und persönlichen Auswanderungsmotive gehören, wesentlich bestimmt haben.

Die Ansiedlung von Deutschen in Russland dauerte etwa 100 Jahre. In dieser Zeit entstanden deutsche Siedlungen in den wilden Steppen des Wolgagebietes, bei St. Petersburg und Woronesch, im Schwarzmeergebiet, in Bessarabien, am Don, im Nordkaukasus und im Kaukasusvorland, am Ural, in Sibirien, Kasachstan und Mittelasien. Die deutschen Siedlungen hießen damals Kolonien, ihre Bewohner Kolonisten. Durch ihren langen und unermüdlichen Einsatz verwandelten sie die einst öden Steppengebiete und wenig oder gar nicht erschlossenen Landstriche in wirtschaftlich entwickelte Regionen mit blühenden Siedlungen und trugen insgesamt wesentlich zur allgemeinen Entwicklung Russlands bei, das ihnen zur Heimat geworden war.

Zu Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, einhundert Jahre nach der Ankunft der ersten Kolonisten, zogen jedoch erstmals dunkle Gewitterwolken am Himmel der deutschen Bevölkerung auf. Das rasante Bevölkerungswachstum führte zu akutem Landmangel. Die Machthaber wollten nichts mehr davon wissen, dass sie die deutschen Kolonisten, die ihnen hunderte von Jahren treue und ergebene Untertanen gewesen waren, einst eingeladen hatten. Nun, da die deutschen Kolonisten die ihnen übertragene Aufgabe erfüllt und die einst öden Landstriche in blühende Ländereien verwandelt hatten, begannen die Machthaber und Teile der politischen Elite in ihren Gesellschaften antideutsche Ressentiments zu schüren. Gegenüber den deutschen Siedlern, deren wachsender Wohlstand und Erfolge in der landwirtschaftlichen und industriellen Produktion im deutschen Einflussbereich Neid und wahllose Anklagen hervorriefen, setzte sich zunehmend eine ablehnende Haltung durch.

Im Zuge der Reformen Alexanders II. wurde den Deutschen 1871 ihr privilegierter Sonderstatus als Kolonisten entzogen und ab 1874 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Damit wurden die wichtigsten Privilegien aus der Zeit Katharinas II. aufgehoben, die sie ihren Vorfahren als dauerhaftes Geschenk gemacht hatte. Zudem hatten die nachfolgenden Zaren Pawel I., Alexander I. und Nikolaus I. diese Privilegien durch wiederholte Zarenerlasse bestätigt.

Es bedarf keines Beweises, dass es gerade diese Vergünstigungen und Privilegien der herrschenden Monarchen waren, die einst den Ausschlag für die Übersiedlung der deutschen Bauern nach Russland gegeben hatten. Das Buch schildert diese Zeit ausführlich und zeigt überzeugend, dass nicht alle Kolonisten bereit waren, den Verlust ihrer Privilegien einfach hinzunehmen, und viele von ihnen Russland den Rücken kehrten. Sie ließen nicht nur ihre zivilisierte Heimat und ihr Land zurück, sondern auch die Gräber ihrer Vorfahren, die ein Jahrhundert zuvor auf der Suche nach einem besseren Schicksal und einer neuen Heimat nach Russland gekommen waren.

Die Deutschen, die in Russland blieben und nun den russischen Bauern gleichgestellt waren, setzten ihre ehrliche Arbeit fort, trugen erfolgreich zur Entwicklung der Landwirtschaft, der Viehzucht, der industriellen Produktion, der Bildung und der Kultur bei und glaubten weiterhin an eine bessere Zukunft. Die dynamische und erfolgreiche Entwicklung der deutschen Kolonien als integraler Bestandteil der russischen Gesamtwirtschaft rief jedoch bei einem Teil der Gesellschaft eine tief verwurzelte ablehnende Haltung gegenüber den deutschen Kolonisten hervor. Die Tatsache, dass das vereinigte Deutschland 1871 auf der Weltbühne erschien, spielte dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle, da Russland nun in Deutschland seinen politischen und wirtschaftlichen Hauptgegner in Europa sah.

Die nationalistische und chauvinistische Presse bemühte sich, den Neid auf die sichtbaren Erfolge der deutschen Minderheit zu schüren und Gründe für die Konfiszierung ihres umfangreichen Grundbesitzes und anderer Besitztümer zu finden. Die sich ständig verschärfenden antideutschen Ressentiments entluden sich zu Beginn und während des Ersten Weltkrieges in einer antideutschen Hysterie, in Pogromen und im Kampf der zaristischen Machthaber gegen den "deutschen Einfluss". In dieser Zeit setzte auch die Massenauswanderung der Russlanddeutschen ein. Die wichtigsten Etappen dieser Auswanderung und ihre quantitative Bewertung anhand des vorhandenen statistischen Materials werden in diesem Buch ausführlich dargestellt.

Zum ersten, aber bei weitem nicht zum letzten Mal waren die Beziehungen zwischen den beiden Ländern die Hauptursache für die wesentliche Verschlechterung der Lage der Kolonisten und der übrigen Deutschen in Russland. Nach der Revolution von 1917 und dem Sturz der Zarenherrschaft kam die neue Sowjetmacht, die auf revolutionäre Veränderungen in Deutschland und in der ganzen Welt hoffte, den deutschen Kolonisten zunächst entgegen und errichtete 1918 das Autonome Gebiet der Wolgadeutschen. Dieses wurde 1923 zur Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen. Dieser Umstand bewahrte die Kolonisten an der Wolga und in anderen Regionen Russlands jedoch nicht vor Erschütterungen, die ihre gewohnte Lebensweise endgültig zerstörten. Bereits in den dreißiger Jahren wurden alle Kolonisten wie die russischen Bauern in Kolchosen zwangsweise zusammengefasst, und danach brach über sie wie über das ganze Land eine Welle von Repressionen hinweg.

Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges brachte für die deutsche Volksgruppe neues Leid in einem bis dahin nicht gekanntes Ausmaß und mit einer beispiellosen Unrechtssituation. Der Faschismus in Deutschland brachte unbeschreibliche Armut, Trauer und Tod über viele Völker Russlands. Insbesondere die wahllose Schuldzuweisung an die deutsche Minderheit für die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands hatte tragische Folgen. Die Nachkommen der deutschen Kolonisten und die anderen deutschen Bevölkerungsgruppen lebten hunderte von Jahren fern von Deutschland und konnten unmöglich an der Machtergreifung und den Verbrechen des NS-Regimes beteiligt gewesen sein. Massive Gewaltanwendung, Diskriminierung und Völkermord an der deutschen Bevölkerung haben dunkle Kapitel in der russischen Geschichtsschreibung hinterlassen und sind im genetischen Gedächtnis der ethnischen deutschen Minderheiten verankert.

Nach dem Zweiten Weltkrieg begann in den 1970er Jahren in der Sowjetunion eine Bewegung für die freie Ausreise der Russlanddeutschen in ihre historische Heimat. Trotz administrativer und strafrechtlicher Verfolgung hielt diese Bewegung bis zum Beginn demokratischer Reformen im Land an. Diese Reformen ermöglichten die Auswanderung, wenn eine Familienzusammenführung nachgewiesen werden konnte. Dieser historische und schicksalhafte Moment in der Geschichte der Russlanddeutschen ist eng mit dem Namen M. S. Gorbatschow und seinem Kurs der Liberalisierung und Demokratisierung des öffentlichen Lebens der Völker der UdSSR verbunden. Damit begann die Massenausreise der Russlanddeutschen nach Deutschland. Jahr für Jahr verließen Hunderttausende Russland, ließen erneut Haus und Hof zurück, um in ihrer historischen Heimat einen Neuanfang zu wagen.

Weder die leeren Versprechungen der russischen Machthaber, alle Probleme der Russlanddeutschen zu lösen, noch die Zusicherungen der deutschen Regierung, die Tore blieben für immer offen und es gebe keinen Grund zur Eile, konnten die Massenauswanderung der Russlanddeutschen aufhalten.

Am Ende seines Buches hielt es der Autor für notwendig, ein Kapitel zu schreiben, das die Geschichte der deutschen Kolonisten und ihrer Nachkommen in Russland im Spiegel seiner eigenen Familiengeschichte ausführlich darstellt. Er hofft, dass darüber hinaus einige seiner Seiten anderen Nachkommen deutscher Kolonisten in Russland bei der Suche nach ihren Vorfahren nützlich sein werden. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass bei der Erstellung des Buches umfangreiche Archivmaterialien und statistische Daten verwendet wurden. Zahlreiche historische Quellen, Bücher und Artikel unterschiedlichen Erscheinungsdatums wurden studiert und sind teilweise im umfangreichen Literaturverzeichnis mit 155 Quellen aufgeführt.

Das Buch enthält zudem 13 Abbildungen als Illustrationen, die vom Autor anhand kartografischer Materialien und literarischer Quellen aus dem 18. und 19. Jahrhundert selbst erstellt wurden. Sie dienen dem besseren Verständnis der von den deutschen Kolonisten eingeschlagenen Wege und ihrer kompakten Siedlungen.

Möge der Leser viele neue und interessante Informationen auf dem Weg durch die einzigartige Geschichte der deutschen Kolonisten entdecken, die von großen Risiken, erstaunlichem Wagemut, harter Arbeit, verdienten Erfolgen und tragischen Ereignissen geprägt ist.

Jakob Maul

Kapitel 1

Bevölkerungstheorie in Europa im 18. Jahrhundert

1.1 Das Migrationssystem

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts etablierte sich in Europa ein stabiles Migrationssystem mit festen Traditionen. Auf der Suche nach Arbeit und einem besseren Leben wechselten die Menschen ihren Wohnort innerhalb und außerhalb der nationalen Grenzen. Besonders aktiv waren die Menschen aus den verschiedenen deutschen Staaten und Fürstentümern. Deutschland war damals noch kein einheitlicher Staat, sondern bestand aus Hunderten von unabhängigen Fürstentümern im „Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation“. Viele Menschen zogen aus überbevölkerten Gebieten in dünne besiedelte Regionen.

Statistische Daten zu den Migrationsprozessen des 18. Jahrhunderts sind nicht genau überliefert. Historische Auswertungen, wie sie Klaus J. Bade in seinem Buch „Europa in Bewegung“ vornimmt, basieren auf der Auswertung von Fragebögen, die noch in napoleonischer Zeit von Präfekten für den französischen Innenminister Graf de Montalivet ausgefüllt wurden. Sie zeigen etwa 20 Migrationssysteme in Europa, von denen sieben große Systeme jährlich mehr als 300.000 Menschen auf der Suche nach Arbeit über 250 bis 300 Kilometer weit wandern ließen, teilweise sogar über Staatsgrenzen hinweg1.

Ähnliche Wanderungsbewegungen gab es auch bei den Kaufleuten, die weite Strecken zurücklegten, um Absatzmärkte für ihre Waren zu finden. Die deutschen Fürstentümer spielten dabei eine wichtige Rolle. Der wachsende Bedarf an Arbeitskräften in den Industriezentren führte zu massiven Wanderungsbewegungen aus ländlichen Gebieten in die Städte und aus Agrarstaaten in die aufstrebenden Industrieregionen. Die Migration betraf auch Länder mit begrenzten Ressourcen, die Menschen in weniger dicht besiedelte Gebiete zogen. Im 18. und 19. Jahrhundert entwickelten sich in Deutschland und anderen europäischen Staaten Bedingungen, unter denen ein erheblicher Teil der Bevölkerung an verschiedenen Formen der Binnenmigration teilnahm und sich so auf die Emigration in andere Länder vorbereitete.

1.2 Die Bevölkerungspolitik

Bereits im 17. und 18. Jahrhundert entwickelte sich die Bevölkerungstheorie und fand breite Anerkennung, was zur Umsetzung einer Peuplierungspolitik führte. Diese bevölkerungspolitischen Maßnahmen zielten darauf ab, dünn besiedelte Gebiete durch Anwerbung von Ausländern, denen Privilegien und Freiheiten versprochen wurden, zu bevölkern. Die Populationskonzepte bildeten die Grundlage für die reale Bevölkerungspolitik vieler Monarchen europäischer Staaten. Diese Monarchen orientierten sich am Beispiel des preußischen Königs Friedrich II. (der Große), der in der Nachfolge seiner Vorgänger eine aktive Bevölkerungspolitik (Peuplierungspolitik) betrieb. Er gewährte den Ansiedlern zahlreiche Privilegien, um Ausländer, insbesondere Deutsche, ins Land zu holen. Dies stand in direktem Zusammenhang mit den erheblichen Bevölkerungsverlusten durch die zahlreichen europäischen Kriege, die mit religiöser Verfolgung, Hungersnöten, Seuchen und unmenschlichen Lebensbedingungen für die einfache Bevölkerung einhergingen.

Eine wichtige Facette der Bevölkerungspolitik Friedrichs II. waren zahlreiche landwirtschaftliche Projekte, insbesondere die größte landwirtschaftliche Erschließung bisher ungeeigneter Gebiete. Ein Projekt war die Trockenlegung der Sümpfe im Oderbruch. Bereits sein Vater Friedrich Wilhelm I. hatte mit der Trockenlegung begonnen, konnte die schwierigen Maßnahmen aber nicht zu Ende führen. 1740 beauftragte Friedrich II. den anerkannten Fachmann Simon Leonard von Haerlem mit einem neuen Gutachten und Konzept zur Trockenlegung der Sümpfe.

Die 1747 begonnenen Arbeiten umfassten die Absperrung von Oderarmen, den Bau von Deichen und eines neuen Kanals, um das Flussbett zu verkürzen und die Fließgeschwindigkeit zu erhöhen. Trotz Verzögerungen durch den Widerstand der Bevölkerung wurden die Arbeiten 1753 abgeschlossen. Das Projekt ermöglichte die Trockenlegung von rund 69.000 Hektar Sumpfgebiet und die Ansiedlung von rund 7.000 Kolonisten in 50 neuen Siedlungen. Nach Abschluss des Projekts sprach Friedrich II. die berühmten Worte: „Hier habe ich in Frieden eine Provinz erobert“. Auf dem urbar gemachten Land siedelten sich Umsiedler aus verschiedenen Regionen an. Während seiner Regierungszeit (1740-1786) wurden etwa 100.000 Hektar Sumpfgebiete und ungenutztes Land urbar gemacht.2

In dieser Zeit kamen etwa 284.000 Übersiedler nach Preußen, von denen sich 208.600 in Dörfern und 75.000 in Städten niederließen. Sie stellten 7,5 % der Gesamtbevölkerung Preußens, die 1740 bei 2,24 Millionen und 1786 bei 6 Millionen lag.3 Insgesamt wanderten von 1640 bis zum Ende der Regierungszeit Friedrichs II. mehr als 500.000 Kolonisten nach Preußen ein, was etwa einem Zehntel der damaligen Bevölkerung entsprach.4 Im 18. Jahrhundert folgten andere Länder Ost- und Südosteuropas dem Beispiel Preußens und begannen eine aktive Bevölkerungspolitik. Auch die andere Monarchen Europas und Russlands nutzten die Notlage tausender deutscher Bürger und lockten sie mit großen Versprechungen zur Einwanderung in ihre Länder.

1.3 Die Auswanderungswellen aus Deutschland im 18. Jahrhundert

Die Auswanderung aus den deutschen Ländern begann im 17. Jahrhundert und erreichte ihren Höhepunkt im 18. Südost- und Osteuropa waren zunächst die Hauptziele, gefolgt von Nordamerika. Schätzungen zufolge wanderten zwischen 400.000 und 500.000 Menschen nach Südost- und Osteuropa und 100.000 nach Nordamerika aus.5

Ab dem 19. Jahrhundert änderte sich das Muster und die Auswanderung konzentrierte sich vor allem auf überseeische Ziele, insbesondere in die USA. Über einen Zeitraum von hundert Jahren wanderten schätzungsweise 52 Millionen Menschen aus Europa aus, wobei Nordamerika das Hauptziel war. Davon ließen sich 37 Millionen in Nordamerika, elf Millionen in Südamerika und 3,5 Millionen in Australien und Neuseeland nieder.6

Die deutsche Auswanderung nach Übersee dauerte etwa zwei Jahrhunderte und spiegelte soziale, wirtschaftliche, politische und andere Herausforderungen des deutschen Staates wider. Bis 1820 waren etwa 150.000 Deutsche nach Amerika ausgewandert, danach stieg ihre Zahl sprunghaft an, und von 1850 bis 1890 stellten die deutschen Auswanderer bereits die größte nationale Gruppe der gesamten europäischen Auswanderung nach Amerika.

Insgesamt machten sich zwischen 1820 und 1928 5,9 Millionen Deutsche auf den Weg über den großen Teich. Davon ließen sich 89,8 % oder 5,3 Millionen in den USA, 200.000 in Brasilien, 145.000 in Kanada und 120.000 in Argentinien nieder.7

Zurück zum 18. Jahrhundert. Wie bereits erwähnt, zogen in dieser Zeit die meisten deutschen Kolonisten nach Ost- und Südosteuropa, um sich im damaligen Ungarn und Russland niederzulassen. Vor der großen Auswanderungswelle nach Russland gab es jedoch eine kleinere Auswanderungsbewegung nach Dänemark, die von 1759 bis 1765 dauerte. Genau in dieser Auswanderungswelle nach Dänemark befanden sich meine Vorfahren als Kolonisten, bevor sie später nach Russland auswanderten und sich dort an der Wolga niederließen. In den folgenden Kapiteln dieses Buches werden wir die Auswanderung der deutschen Kolonisten vor allem in diese beiden Länder ausführlich behandeln.

Kapitel 2

Auswanderung nach Dänemark

2.1 Der Dänische Heide- und Moorkolonisation Projekt

Viele Bürger zogen in großer Zahl aus überbevölkerten Gebieten in dünne besiedelte Regionen. Sowohl hochqualifizierte Handwerker als auch einfache Arbeiter waren auf der Suche nach einem besseren Leben und Freiheit. Armut zwang sie, ihre Heimat zu verlassen und im europäischen und außereuropäischen Ausland Arbeit zu suchen. Auch aus Hessen-Darmstadt gab es mehrere Auswanderungswellen, zunächst nach Pennsylvania, als die englische Königin Anne 1709 jedem Auswanderer freie Überfahrt und großzügige Landzuweisungen versprach. Später lockten die Hessen-Darmstädter und Tausende andere Deutsche die Herrscher der Donaumonarchie und die russische Zarin Katharina II. mit großen Versprechungen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewann die große Auswanderungswelle nach Nordamerika an Bedeutung. Im Vergleich zu diesen gut erforschten und beschriebenen Auswanderungswellen ist die Auswanderung von 1760-1762 nach Dänemark weniger bekannt.

Auch diese Auswanderungswelle begann mit einer Einladung und großen Versprechungen des dänischen Königs Friedrich V. (1723-1766), der etwa eine Million Hektar Heideland in Jütland und Schleswig-Holstein in fruchtbares Ackerland umwandeln wollte. Dies war nicht der erste Versuch. Bereits 1723, 1739 und 1751 waren derartige Pläne der dänischen Regierung zur Trockenlegung der Moore und Sümpfe in diesem Gebiet gescheitert, weil niemand auf die Aufrufe und Versprechungen seines Großvaters, seines Vaters und von Frederik V. selbst reagierte. So folgte 1751 nur ein einziger Kolonist aus der Pfalz seinem Aufruf, der bald wieder abreiste.8

Die Qualifikation der Bauern und der schlechte Zustand der dänischen Landwirtschaft waren dafür mitverantwortlich. Doch diesmal sollte das für einen dänischen Bauern kaum nutzbare Land durch das Wissen und den Fleiß der deutschen Bauern kolonisiert werden. Um Deutsche zur Ansiedlung in den großen Heidegebieten Jütlands und Schleswig-Holsteins zu bewegen, versprach der dänische Staat jeder Kolonistenfamilie ein Pachtgrundstück mit Haus, Vieh und Ackergerät, 20 Jahre Steuerfreiheit, Reisegeld und Tagegeld bis zur ersten ausreichenden Ernte.

Nach einem Gutachten von Johann Heinrich Gottlieb von Justi (1717-1771) erhielt der dänische Gesandte in Frankfurt am Main, Johan Frederik Moritz (1715-1771), den Auftrag, deutsche Kolonisten anzuwerben. Er machte sich an die Arbeit und verdiente als erster an dem Projekt. Für jeden angeworbenen Kolonisten erhielt er vier Reichstaler.

Aus diesem Grund wurde fast jeder bei der Anwerbung akzeptiert, was zur Folge hatte, dass ein Teil der zukünftigen Kolonisten keine Ahnung von der Landwirtschaft hatte. Durch die erfolgreiche Arbeit des Werbers und die Verbreitung von Werbeblättern unter der Bevölkerung waren innerhalb kurzer Zeit Tausende von Bürgern aus der Pfalz, Baden, Württemberg und Hessen bereit, nach Dänemark auszuwandern.

Es gab mehrere Gründe für die Bereitschaft der deutschen Bürger, ihre Heimat zu verlassen. Zum einen waren es die schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse in der Heimat: Armut, Hunger und Not. Auch fehlende Perspektiven, die eigene Situation zu verbessern und im eigenen Land Eigentum zu erwerben, spielten eine Rolle. In vielerlei Hinsicht hingen all diese wirtschaftlichen Probleme mit dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) zusammen. Der zweite Grund für die Auswanderungsbereitschaft waren die verlockenden Versprechungen des dänischen Königs, die sich mit den Bestrebungen der deutschen Bevölkerung in dieser Zeit deckten. Ein weiterer wichtiger Faktor war die relative Nähe des Siedlungsgebietes zu anderen Kolonisationszielen, die einen langen Aufenthalt auf dem Weg überflüssig machte. Nach dem Buch von Dr. Alexander Eichhorn, Dr. Jacob Eich-horn und Mary Eichhorn wanderten zwischen 1759 und 1762 fast 5000 Deutsche auf den Ruf des dänischen Königs hin als Kolonisten nach Jütland und Schleswig-Holstein aus.9 Ich werde in meiner Darstellung der Geschichte der Besiedlung der dänischen Heide zunehmend von den Menschen sprechen, die Hessen-Darmstadt verließen, darunter auch meine Vorfahren, die zu den ersten Kolonisten gehörten.

In meiner Erzählung über die Geschichte der Besiedlung der dänischen Heide werde ich zunehmend von den Menschen sprechen, die Hessen-Darmstadt verließen, darunter auch meine Vorfahren, die zu den ersten Kolonisten gehörten, die nach Jütland kamen. Später, wenn ich meinen Stammbaum beschreibe, werde ich ausführlich über meine Vorfahren berichten. Jetzt werde ich nur ihre Namen auflisten und kurz ihre Geschichte und ihren Herkunftsort beschreiben.

Die Geschichte unserer Familie, die mit der Besiedlung und Erschließung von Land in Dänemark und später in Russland verbunden ist, beginnt mit Andreas Maul. Er wurde am 27. Januar 1705 in Klein-Bieberau geboren und einen Tag später in der evangelischen Kirche in Nieder Modau, 12 Kilometer südöstlich von Darmstadt, getauft. Am 4. Februar 1734 heiratete er in derselben Kirche Anna Margaretha Glaser, die Tochter von Michael Glaser. Bevor er nach Dänemark ging, arbeitete er als Tagelöhner und lebte in Ernsthofen, das zur Landgrafschaft Hessen-Darmstadt gehörte. Andreas und seine Frau hatten sechs Kinder, die alle in Neunkirchen, einem Ortsteil von Modautal, getauft wurden: Philipp Ludwig am 7. November 1734, Maria Catharina am 12. Oktober 1736, Johann Georg am 5. Juli 1739, Johann Michael am 5. September 1742, Maria Catharina am 25. Juli 1745 und Johann Philipp am 16. März 1749.10 Andreas verließ seine Heimat mit den Kindern in Richtung Dänemark, ohne seine Frau Anna Margareta, die 1759 starb.

2.2 Der Weg nach Jütland

Die Reise war zu dieser Zeit gefährlich, da der Siebenjährige Krieg noch tobte und die Auswanderergruppen versuchten, den Kriegstruppen zu entkommen. Die Route führte zunächst nach Frankfurt und von dort nach Altona. Die Stadt gehörte seit 1640 zum dänischen Hochland und ist heute ein Stadtteil von Hamburg. Nach einer kurzen Rast machten sich die Kolonisten mit ihren Familien wieder auf den Weg zu ihrem Zielort in Jütland oder Herzogtum Schleswig. Die gesamte Reiseroute von Andreas und anderen Kolonisten aus dem hessischen Darmstadt erstreckte sich über etwa 900 Kilometer, wie in Abbildung 1 zu sehen ist. Die Route verlief größtenteils entlang des Landweges zwischen Norddeutschland und Dänemark, der damals als Viehtrieb genutzt wurde und den Namen "Ochsenweg" trug. Dieser Weg war unbefestigt, im Sommer staubig und sandig, im Winter sumpfig, unbefestigt und schwer passierbar. Von Hamburg aus führte ein Weg durch Holstein nach Rendsburg. Im Herzogtum Schleswig führte sie an den Städten Schleswig, Flensburg und Hadersleben vorbei nach Kolding.

Alle erwachsenen Auswanderer mussten den holprigen Weg zu Fuß zurücklegen, nur die kleinen Kinder durften mit ihrem Gepäck auf dem Wagen mitfahren. Die Reise dauerte etwa 6-7 Wochen11, während der die Kolonisten und ihre Familien unter freiem Himmel dem unbeständigen Wetter ausgesetzt waren. Sie lebten in ständiger Angst, während der beschwerlichen Reise in ein Kriegsgebiet zu geraten oder zu erkranken. In dem bereits erwähnten Buch finden wir Andreas und seine Familie auf der Transportliste der Kolonisten A4, die vom 10. bis 24. April 1760 nach Altona kamen. Von dort reisten sie in zwei Kolonnen nach Jütland und erreichten am 1. Mai 1760 Fridericia, Jütland, wo sie sich in der Kolonie "Friderichshoi", Amt Hald, niederließen.

Abb.1: Die gesamte Route von Andreas Maul und anderen Kolonisten aus Darmstadt nach Jütland. (Die Karte wurde vom Autor erstellt und gezeichnet).

Andreas' Cousin Maul Johann Philipp wanderte ebenfalls aus, zusammen mit seiner Frau Anne Margaretha und fünf Kindern, die auf der Transportliste A6 standen. Er war damals 45 Jahre alt. In der Transportkolonne von Andreas Maul befanden sich insgesamt 448 Personen, davon 102 Männer, 105 Frauen, 200 Kinder, 21 ledige Männer und 21 ledige Frauen. Insgesamt machten sich zwischen dem 15. Oktober 1759 und dem 19. Januar 1761 298 deutsche Familien mit 1.106 Mitgliedern auf den Weg nach Jütland12.

2.3 Die Vereidigung und das enttäuschende „nordischen Paradies”

Nach der Ankunft am Wohnort erfolgte die Annahme der neuen Staatsbürgerschaft in einer feierlichen Zeremonie, bei der alle Familienoberhäupter den Treueeid auf König Friedrich V. leisteten.

Alle Kolonisten, einschließlich der Ehefrauen und Kinder, wurden dänische Staatsbürger mit allen Rechten und Pflichten der Staatsbürgerschaft. Dazu gehörte auch der Verlust des Rechts, das Land ohne behördliche Genehmigung zu verlassen.

Die nach Jütland gekommenen Siedler wurden vor allem südwestlich von Viborg angesiedelt. Hier auf der Heide entstanden mehrere kleine Siedlungen mit 3-4 Höfen sowie die beiden größeren Dörfer Frederiks Heide und Frederikshöj mit insgesamt 60 Familien13. Ein wesentlich kleinerer Teil der Kolonisten wurde in der zweiten Siedlung westlich von Vejle Randböl-Heide angesiedelt. Die ersten Kolonisten im Herzogtum Schleswig trafen ein Jahr später ein, das Siedlungsgebiet umfasste die Ämter Gottorf, Flensburg und Tondern. Im Amt Gottorf waren 21 Kolonien, im Amt Flensburg 19 Kolonien und im Amt Tondern sieben Kolonien verzeichnet. Insgesamt kamen vom 15. Oktober 1759 bis zum 19. Januar 1761 17 Kolonistenzüge nach Jütland und vom 17. März 1761 bis zum 25. September 1762 32 Kolonistenzüge nach Schleswig14.

Die Freude über die Ankunft in der neuen Heimat und die gute Laune der Kolonisten waren jedoch schnell verflogen. Die harte Realität entsprach nicht den Versprechungen und Erzählungen der Werber, die sie dazu bewogen hatten, Kolonisten zu werden und ihre Heimat zu verlassen. Für die ankommenden Siedler war kein Land vorbereitet und vermessen, keine Häuser gebaut. Sie mussten in Lehmhütten (Abb. 2.) oder in zugewiesenen Schafställen leben und auf den Bau ihrer Häuser warten. Diese primitiven und ungesunden Wohnverhältnisse schockierten sie, und mehrere von ihnen verlangten aus Protest ihre Rückkehr. Die schlechten Lebensbedingungen der Kolonisten in Jütland musste auch Moritz nach seiner Inspektionsreise in seinem Bericht anerkennen. Er schrieb, dass die Kolonisten noch keinen Besitz hätten, dass die Hütten aus Torf seien und dass „einige darin gestorben sind, andere krank darniederliegen“15.

Die dänische Regierung reagierte auf die Unzufriedenheit der Kolonisten und schlug am 24. Juni 1760 Maßnahmen zur Behebung der kritischen Situation vor. Dazu gehörte der schnelle Bau von Häusern für die Kolonisten, die Bereitstellung von Pfarrern entsprechend ihrer Konfession, die Zuteilung von Land und Weideland, die Organisation der Ausbildung der Kinder in Schulen und finanzielle Unterstützung bis zur vollständigen Erschließung des Landes. Trotz allem ging das Leben weiter, und es gab auch positive Entwicklungen für die deutschen Kolonisten. Bis Ende Dezember 1760 waren in Jütland für 244 Familien von insgesamt 287 Ankömmlingen Koloniestandorte zugewiesen worden.

Abb.2: Erdhütte der deutschen Kolonisten in Dänemark (Zeichnung des Autors, basierend auf einem Foto aus dem Buch von Manfred Göbel „Über Schleswig nach Wolga“. GENDI-Verlag 2022, S. 23.)

Bis zum Ende des Jahres konnten viele von ihnen in die neu errichteten Heuser einziehen. Die übrigen Familien wurden in den umliegenden Dörfern untergebracht.16 Ähnlich erging es allen deutschen Kolonisten, die in den Jahren 1761-1765 nach Jütland und ins Herzogtum Schleswig kamen. Viele von ihnen mussten mehrere Monate, oft sogar mehrere Jahre als Reservekolonisten auf eine eigene Ansiedlung warten. Alle Reservekolonisten, die sich um eine neue oder frei gewordene Stelle bewerben wollten, mussten sich zuvor einer Prüfung unterziehen. Nur wer diese bestand, konnte eine Kolonistenstelle erhalten.

1737 hingen dunkle Wolken über dem dänischen Kolonisationsprojekt. Die finanzielle Lage des dänischen Staates war angespannt, da die Militärausgaben wegen der drohenden Gefahr eines Krieges mit Russland stiegen. Unter anderem wurde beschlossen, auch bei den Kolonisten zu sparen und ihre Unterstützung um ein Drittel zu kürzen. Es wurde beschlossen, faule, unwillige und für die Landwirtschaft ungeeignete Arbeiter aus dem Kolonistenstatus zu entlassen und auswandern zu lassen. Eine allgemeine Überprüfung der jü-tischen und schleswigschen Kolonisten wurde durchgeführt. Nach der Überprüfung im April 1763 wurden 112 Kolonisten in Jütland für ungeeignet befunden. Diese Liste wurde im Juni 1763 auf 68 Familien reduziert. Ähnliche Verhältnisse wurden bei der Generalrevision der Kolonien im Herzogtum Schleswig festgestellt. Im Amt Gottorf wurden nach der Überprüfung im Februar 1763 von 288 angesiedelten Kolonistenfamilien 54 als untauglich befunden und entlassen, im Amt Flensburg waren es am 6. Juni 1763 nur noch 68 Familien.

Flensburg werden am 6. Juni 24 und später noch einmal 73 Reservekolonisten entlassen, im Amt Tondern werden am 10. Juni 1763 von 190 Reservekolonisten 66 entlassen17. Aufgrund der Überprüfung mussten nicht nur Reservekolonisten, sondern auch etablierte Kolonisten gehen, was bei denen, die bleiben durften, Unsicherheit auslöste. Keiner war mehr sicher, denn bei der nächsten Überprüfung konnte auch er als ungeeignet eingestuft werden. Ständige Reibereien mit den Einheimischen, die befürchteten, die deutschen Siedler würden ihnen ihre Einnahmequellen wegnehmen, trugen zur Unruhe unter den Kolonisten bei.

2.4 Kolonistendesertion und Projektdesaster

Viele Siedler verließen verzweifelt ihre Siedlungen. Sehr oft verkauften sie trotz Verbots ihre Ochsen und Kühe und das gesamte Hofinventar, um ihre Flucht zu finanzieren. Am 26. März 1765 genehmigte der dänische König neue Sparmaßnahmen. Sie sahen die Kürzung der Tagegelder und die genehmigte Ausreise "arbeitsunwilliger" Ansiedler und Reservisten vor. Diese Entscheidung löste eine große Desertionswelle aus. Im Januar 1765 blieben in den jütischen Kolonien von 145 Familien nur noch 64 übrig, in den schleswigschen Kolonien von 567 Familien nur noch 241.17 Zur Flucht animierten die Kolonisten auch Werbezettel aus Russland, die bessere Bedingungen und ein freies, sattes Leben versprachen. Nach Eichhorn waren Ende 1767 in den Wolgakolonien 455 Familien ehemaliger jütischer und schleswigscher Kolonisten registriert, das waren 7,3 % aller an der Wolga angekommenen Auswanderer. Zusammen mit den dänischen Kolonisten, die sich in Russland in der Nähe von St. Petersburg, Woronesch, Tschernigow und Livland niederließen, ergab sich eine Gesamtzahl von 604 Familien oder 50% aller aus Deutschland nach Jütland und dem Herzogtum Schleswig ausgewanderten Familien18.

Und so endete das große Projekt in einem Desaster. Dem dänischen Staat war es wieder nicht gelungen, die Heideflächen in Jütland und Schleswig-Holstein in fruchtbares Ackerland umzuwandeln und zu besiedeln. Die Kultivierung der Heide- und Moorflä-chen erwies sich als äußerst schwieriges Problem, das erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts gelöst wurde, als ausreichend Mineraldünger und Dampfpflüge zur Verfügung standen, die die notwendigen großen Meliorationsarbeiten ermöglichten.

Wie bereits erwähnt, kamen Andreas und sein Cousin mit ihren Familien nach Jütland in die Kolonie Friedrichshoi. Andreas gehörte zu den ersten 34 Kolonisten, die hier eine Ansiedlung erhielten. Im Dezember 1761 lebten 59 Kolonisten mit ihren Familien in Friedrichshoi, von denen nur eine Familie katholisch war, alle anderen waren evangelisch-lutherischen Glaubens. Zu meinen Vorfahren, die als selbständige Kolonisten registriert waren, gehörten Andreas Maul mit Familie, sein ältester Sohn Philip Ludewig Maul mit Frau und drei Kindern, sein zweiter Sohn Johann Georg Maul, der im Juni 1761 Anna Margaretha Heuser in Dänemark heiratete und unser direkter Vorfahre wurde (der Nachweis wird in Kapitel 9 geführt). Es scheint, dass Andreas auch in Dänemark wieder geheiratet hat, denn im Dezember 1762 erscheinen eine Frau, zwei Söhne und eine Tochter in seiner Familienbeschreibung.

Die große Desertionswelle hatte auch die Kolonie Friedrichshoi nicht verschont. Im Dezember 1766 gab es nur noch 16 Höfe mit Kolonisten aus Deutschland. Unter den ausgewanderten Kolonisten befanden sich auch meine Vorfahren. Ob sie mit Erlaubnis ausreisten oder wie die meisten Kolonisten desertierten, wissen wir heute nicht mehr, aber es scheint, dass sie in Dänemark fleißig waren. Dafür spricht auch ein Artikel über die Kartoffeldeutschen in Wikipedia, in dem es heißt, dass die deutschen Kolonisten in Dänemark "Kartoffeldeutsche" genannt wurden, weil sie die Kartoffel als Nahrungsmittel einführten.

Zuvor galt die Kartoffel bei der dänischen Bevölkerung nur als Viehfutter. Anlässlich des 225-jährigen Jubiläums wurde 1984 in Frederiks ein Gedenkstein für die ersten Einwanderer aufgestellt (Abb. 3), der die Anerkennung der Leistungen der deutschen Siedler bei der Trockenlegung von Feuchtgebieten und ihre Rolle bei der Einführung des Kartoffelanbaus in Dänemark symbolisiert. Auf dem Stein stehen die Namen von 28 Familien (Kartoffeldeutsche). Wie wir sehen können, ist unter den Namen auf dem Stein auch der Name Maul eingetragen und auf dem Bild deutlich zu erkennen18. Wir wissen nicht, ob auf dem Stein Andreas mit seinen Söhnen oder sein Vetter oder alle zusammen verewigt sind. Wir wissen aber, dass sie alle zu dieser Zeit als deutsche Kolonisten hier gearbeitet haben und dass es keine anderen Kolonisten mit dem Namen Maul in Dänemark gab.

Abb. 3: Erinnerungsstein an die deutschen Kolonisten in Dänemark (https://de.wikipedia.org/wiki/Kartoffeldeutsche).

Das weitere Schicksal von Maul, Andreas ist nicht ganz sicher. Wir gehen davon aus, dass Andreas, ebenso wie seine drei Söhne, nach Russland an die Wolga gegangen ist, da er am 26. April 1763 das letzte Mal in seiner dänischen Kolonie erwähnt wird. 20 Diese Annahme stützt sich allerdings nur auf eine einzige Quelle im Internet, nämlich die Datenbank der Auswanderer nach Russland bei FamilySearch. 21 Nach dieser Datenbank verließen vier Einwohner aus Nieder Modau ihren Heimatort in Richtung Russland an die Wolga, darunter auch Andreas Maul, der am 27.01.1705 nach Schilling an der Wolga auswanderte. Im Gegensatz zu seinen Söhnen taucht er jedoch in keiner bekannten Volkszählung in der Kolonie Schilling an der Wolga auf. Möglicherweise war er zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben.

Da die erste Liste der in Schilling angekommenen Kolonisten endgültig verloren gegangen ist, lässt sich heute nicht mehr genau feststellen, ob Andreas tatsächlich nach Schilling gekommen ist. Dagegen ist sein Cousin Maul Johann Philipp noch 1766 in der Kolonie Friedrichshoi verzeichnet und möglicherweise in Dänemark geblieben.

Kapitel 3

Globale Ursachen und Motive der Massenemigration

Den Autoren des bereits mehrfach zitierten Buches ist es gelungen, eine Liste der nach Russland ausgewanderten dänischen Kolonisten zu erstellen. 22 Sie verglichen die Namen, die in den deutschen Kolonien an der Wolga und in den ehemaligen dänischen Kolonien registriert waren. Dabei stützten sie sich auf veröffentlichte Arbeiten von Igor Pleve23, der American Historical Society of Germans from Russia24 und Brent Alan Mai25. Es ist anzumerken, dass diese Autoren eine enorme Arbeit geleistet haben, die vielen so genannten Russlanddeutschen bei der Suche nach ihren entfernten Vorfahren helfen wird. Die Liste umfasst 603 Familien, die laut Eichhorn 50 % aller dänischen Kolonisten ausmachen, die sich später in den russischen Kolonien, vor allem an der Wolga, niederließen.

Meiner Meinung nach kann die Liste nicht vollständig sein, wenn man die Situation meiner Vorfahren betrachtet. Auf dieser Liste ist nur ein Sohn von Andreas, Johann Georg Maul, in der Kolonie Schilling an der Wolga registriert. Es ist jedoch bekannt, dass Andreas' Sohn Johann Ludwig mit seiner Frau, seinen Kindern und seinen Brüdern Johann Georg, Johann Michael und Johann Philipp nach Russland auswanderte und sich in der wolgadeutschen Kolonie Schilling niederließ. In der Volkszählung von 1798 ist Johann Ludwig in Schilling unter der Haushaltsnummer Sg16, Johann Georg unter der Haushaltsnummer Sg52, Johann Michael unter der Haushaltsnummer Sg12 und Johann Philipp unter der Haushaltsnummer Sg10 verzeichnet26.

Die ganze Geschichte der weiteren Auswanderung der dänischen Kolonisten nach Russland ist erklärungsbedürftig. Einerseits überrascht ihre Bereitschaft, nach Russland zu gehen, nachdem sie in Dänemark schlechte Erfahrungen mit der Trockenlegung von Mooren und Sümpfen gemacht hatten und von dort desertierten. Andererseits zog die Hälfte von ihnen trotzdem wieder ins Ausland. Aus heutiger Sicht könnte man sagen: "Erstaunlich, wie viele Generationen in dieselbe Falle tappen".

Ein eindeutiger Beweis dafür, dass es eine neue und noch schlimmere Falle war, ist das spätere Leben mehrerer deutscher Generationen in Russland. Bevor wir uns der Auswanderung nach Russland zuwenden, wollen wir daher zunächst die Ursachen der deutschen Auswanderung im Allgemeinen betrachten. Es sei darauf hingewiesen, dass diese Fragen in zahlreichen Publikationen zu diesem Thema mehrfach behandelt wurden, oft ohne genaue Quellenangabe. Es ist heute äußerst schwierig festzustellen, wer diese Fragen wann zuerst aufgeworfen hat. Wir beginnen unsere Untersuchung mit der weit verbreiteten und logischen Systematisierung der Auswanderungsgründe, wie sie Karl Stumpp in seinem Buch "Die Auswanderung aus Deutschland nach Russland in den Jahren 1763 bis 1862"27 beschreibt. Stumpp fasst die wesentlichen Motive der Massenauswanderung in vier Gruppen zusammen: politische, wirtschaftliche, religiöse und persönliche Gründe, die getrennt voneinander betrachtet werden müssen.

3.1 Politische Motiven

Zu den politischen Ursachen der Auswanderung zählen die Zwangsrekrutierung von Soldaten, die hohen Steuern und Abgaben in Kriegszeiten sowie die Raubzüge und Kontributionen als schreckliche Folgen der zahlreichen Kriege, die die deutschen Staaten und Fürstentümer heimsuchten.

Nach dem Siebenjährigen Krieg führten die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen in Form von überhöhten Abgaben und Steuern zusammen mit sinkenden Ernteerträgen zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise. Die unangemessenen Abgaben an die Landesherren, die durch die Ausplünderung der Untergebenen finanziert wurden, verschärften die Depression der Bevölkerung.

Zu den politischen Ursachen gehörte auch die Auswanderung der Mennoniten aus Westpreußen, die einsetzte, nachdem König Friedrich Wilhelm II. 1787 die von seinem Vorgänger Friedrich II. (dem Großen) gewährten Privilegien der Mennoniten einschränkte, indem er ihnen untersagte, neuen Grundbesitz zu erwerben. Es ist daher nicht verwunderlich, dass viele Bewohner der deutschen Länder in der Auswanderung einen Ausweg aus dieser schwierigen Situation sahen.

3.2 Ökonomische Motiven

Nach einem starken Rückgang infolge zahlreicher Kriege und Seuchen erreichte die Bevölkerung Mitte des 18. Jahrhunderts wieder den Stand vom Beginn des 17. Jahrhunderts und lag 1750 bei 23 Millionen, stieg 1790 auf 25 Millionen und 1816 bereits auf 29,6 Millionen Menschen. Das Bevölkerungswachstum ging einher mit einer Verknappung der landwirtschaftlich nutzbaren Flächen, einer stetigen Zunahme der Zahl der Betriebe und einer Verkleinerung ihrer Flächen. Die Bauern, deren Grundbesitz ständig schrumpfte, waren nicht in der Lage, genügend landwirtschaftliche Produkte zu erzeugen, um ihre Familien zu ernähren, geschweige denn, einen Teil davon zu verkaufen, um die zahlreichen und unangemessenen Abgaben und Steuern aufzubringen.28

Um die Problematik des zunehmenden Drucks einer rasch wachsenden Bevölkerung auf die verfügbaren landwirtschaftlichen Flächen und die daraus resultierenden Abwanderungsprozesse zu verstehen, soll das Beispiel der Diözese Würzburg näher betrachtet werden. In der Region Würzburg musste eine Familie bereits 1730 fünf bis acht Hektar Land auf guten Böden bewirtschaften, um sich selbst zu ernähren und die zahlreichen Steuern und Abgaben zu bezahlen28. Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, verfügten die deutschen Bauern im Fürstentum bereits 1730 nicht über genügend Nutzfläche, um ihren Familien eine normale Existenz zu ermöglichen. In den folgenden Jahren verschlechterte sich ihre Lage weiter dramatisch. Mitte des 18. Jahrhunderts verfügten die Bauern nur noch über die Hälfte der Fläche, die für ein Leben ohne Hungersnot notwendig gewesen wäre.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts war es noch weniger. Wie in anderen Ländern auch, mussten die Bauern zahlreiche Abgaben für den Unterhalt des Bischofs und seines Hofes leisten sowie ein Zehntel ihrer Feldfrüchte, Wein, Kartoffeln, Heu, Tabak, Fleisch, Milch und andere Lebensmittel abliefern. Außerdem mussten sie zwischen acht und 156 Tage im Jahr unentgeltlich für ihren Grundherrn arbeiten. Zum bäuerlichen Frondienst gehörten Arbeiten wie das Bestellen und Ernten der Felder, der Hausbau, die Teilnahme am Treiben des Wildes bei der Jagd und vieles mehr.

Таbelle 1.