Diana de Lys - Alexandre Dumas - E-Book

Diana de Lys E-Book

Dumas Alexandre

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Beschreibung

mehrbuch-Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten. Die wunderschöne Marquise Diana de Lys lebt in einer eintönigen Ehe mit ihrem Mann, für den sie nichts empfindet. Sie sucht nach einer Zerstreuung und findet sie bei den jungen Baron Maximilian von Ternon.

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Diana de Lys

Alexandre Dumas 

Inhaltsverzeichnis
Über den Autoren
Inhalt
Impressum

Über den Autoren

Alexandre Dumas der Jüngere, auch Dumas fils, (* 27. Juli 1824 in Paris; † 27. November 1895 in Marly-le-Roi) war ein französischer Romanschriftsteller und dramatischer Dichter. Er war der uneheliche Sohn von Alexandre Dumas dem Älteren und Marie-Catherine Labay, einer Näherin. 

Inhalt

I.

Gewiß ist dein Leser schon einmal im Leben eine jener von dem Bewußtsein ihrer Schönheit erfüllten Frauen begegnet, die in ihrem stolzen Selbstgefühle dem Bilde gleichen, das man sich von einer Königin zu machen gewohnt ist. Denn unsere Phantasie vervollständigt gern die Majestät des Ranges durch die Majestät der Schönheit. Wenn Frauen dieser Art in einen Salon treten, so ruft man unwillkürlich seinem Nachbar zu:

»Sehen Sie, welch' schönes Weib!« —

Der Nachbar, sehr oft nur ein gewöhnlicher Mensch, entwertet auch gewöhnlich:

»In der That, ein Kopf, des Studiums würdig.«

Ein Kopf, des Studiums werth! Das heißt: eine griechische Nase, große lebendige Augen, ein regelmäßiges Profil, ein halbgeöffneter Mund mit gebogenen Lippen, weiße Zähne, ein Hals, schlank wie eine Marmorstatue; alles Dies ruhig, kalt, unempfindlich, ohne Seele, ohne Leidenschaft,. ohne Feuer, und wohl geeignet in Wahrheit zum Modell für eine Malerstudie in Collegien und Pensionsanstalten für junge Damen.

Der Leser hat außer einem solchen wunderschönen Antlitz gewiß einen eben so vollkommenen Körper zu bewundern Gelegenheit gehabt, und sich gesagt: Diese Frau ist schön, so schön, als nur ein Weib sein kann; woher kommt es, daß diese Schönheit mich kalt läßt, obschon sie offenbar allen Anforderungen an weibliche Schönheit entspricht?

Woran es ihr fehlt? ich will es Dir sagen: sie hat noch nie geliebt, noch nie geschmachtet. Warum hat das schöne Weib noch nicht geliebt? Weil die Schönheit Egoistin ist, sich selbst genügt, und empfängt und nicht zurückgibt; weil die vollkommen schöne Frau kein anderes Verlangen kennt, als das der Anerkennung ihrer Reize, und keinem Einzigen diese Schönheit zu eigen geben will, auf welche dieser eifersüchtig sein und sie den Blicken Anderer auszusetzen verhindern würde. Weil sie den Weihrauch der Bewunderung allem Andern vorsieht, welcher ihren Eintritt in ein Theater oder in einen Ballsaal begleitet; weil ihre stolze Haltung einem nähern vertraulichen Umgange entgegenstrebt, der sie zwänge, von ihrer Höhe herabzusteigen, endlich, weil sie überhaupt nicht zu lieben versteht.

Die Marquise Diana de Lys, die Heldin dieser Erzählung, war eine dieser Frauen. In der Stunde, wo wir ihre Bekanntschaft machen, saß sie am Fenster eines schönen Zimmers des Hotels, welches sie auf dem Quai Voltaire inne hatte, ein Buch lag auf ihrem Schooße. Ihre Gedanken zu errathen, dürfte eine schwere Ausgabe sein, ihr selbst waren sie vielleicht nicht klar.

Es war in der Mitte Septembers, Abends 8 Uhr.

Die Marquise hatte sich eben in Betrachtungen versenkt, deren Gegenstand wir nicht kennen, als ein Bedienter die Thür des Zimmers öffnete und Madame Delaunay anmeldete.

Ihm folgte auf dem Fuße eine liebenswürdige Dame von dreißig Jahren, blond, mit braunen Augen, einer unendlichen Anmuth, mit einer einfachen Eleganz gekleidet, zu welcher eine Rente von zwölftausend Livres berechtigt, während ihre ganze Erscheinung den sanften Abglanz eines gleichmäßigen und behaglichen ehelichen Verhältnisses widerspiegelt.

»Ach! Du bist es, Marcelline,« sagte die Marquise zu der jungen Frau. »Wie schön ist es, daß Du zu mir kommst. Ich langweile mich entsetzlich!«

»Wo ist denn der Marquis?« frug Madame Delaunay.

»Weiß ich es?«

»Du weißt es nicht, Diana? — Liebst Du Deinen Mann nicht?«

»Ich? Ja, ich liebe meinen Mann,« sagte die Marquise mit einem Tone, welcher ihre Worte Lügen strafte.

»Ich bringe Dir hier etwas,« sprach Marcelline, indem sie der Marquise einen Brief überreichte.

Die Marquise hielt einige Augenblicke das Papier, ohne es zu öffnen, in den Händen.

»Weißt Du, daß dieser Maximilian aus einer sehr alten Familie stammt,« sagte sie, indem sie das Siegel mit eben solcher Gleichgültigkeit erbrach, als wenn sie eine Note der Modehändlerin hätte schnell überblicken wollen.

»Kennst Du ihn ihn?«

»Nein.«

»Es ist ein lieber Mensch und macht mir schon seit Einem Jahre den Hof. Wir wollen sehen was er schreibt.«

Die Marquise durchflog den Brief.

Während dieser Zeit hatte Marcelline das Buch von Dianens Schooße genommen, und blätterte darin.

»Er ist traurig, er ist unglücklich,« sagte die Marquise, indem sie das Billet wieder zusammenfaltete.

»Warum?«

»Weil ich ihm auf seinen ersten Brief nicht geantwortet habe.«

»Und Du willst auf diesen antworten?«

»Es ist wohl nöthig. Er wünscht eine Unterredung mit mir.«

»Und Du willst sie ihm gestatten?«

»Ich langweile mich so sehr.«

»Aber denke, daß Du damit ein klares Unrecht begehst.«

»Ah! liebe Freundin, was die Welt verdammt, ist darum nicht immer ein Verbrechen. Wenn ich von einem Manne geliebt würde, wie Du von dem Deinigen, würde ich. ein Unrecht begehen, indem ich das thue, was ich beabsichtige, aber mein Mann liebt mich nicht. Er hat sein Vermögen aufgezehrt und sein Herz abgestumpft. Er hat mich geheirathet, weil ich zwei Millionen Mitgift hatte, und mein Vater hat mich ihm gegeben, weil er einen berühmten Namen trügt. Meine Tage folgen sich auseinander mit der Regelmäßigkeit einer Wanduhr. Ich besitze Alles, was Andere leidenschaftlich begehren, aber ich langweile mich bis zum Tode. Ich bin schön; was nützt mir aber diese Schönheit, wenn sie Niemand bewundert, wenn ich Niemand liebe!«

»Und zum ersten Versuch hast Du diesen jungen Menschen auserkoren, welcher Dir hier schreibt?« frug Marcelline mit tugendhaftem Erstaunen.

Die Marquise nickte mit dem Kopfe.

»Und glaubst Du, daß er Dich liebt?«

. »Wie sollte er nicht!«

»Bedenke, was Du thun willst,« entgegnete Madame Delaunay.

»Wenn ich viel bedächte, würde ich es sicherlich nicht thun.«

Und Diana stand plötzlich auf, öffnete ein Schreibpult von Rosenholz und begann zu schreiben.

»Wenn es irgend eine schwierige Aufgabe gibt, so ist es die Abfassung eines solchen Briefes.«

»Warum?« frug Marcelline mit der Naivität, welche sie bei Besprechung eines solchen ihrem reinen Wesen unbegreiflichen Thema entwickelte.

»Weil, wenn man zu viel sagt, man sich bloßstellt, und wenn man nicht genug sagt, man Gefahr läuft, nicht verstanden zu werden.«

»In der That, es ist schwierig,« sagte Marcelline; »ich bin sehr glücklich, daß ich diese Schwierigkeiten nicht zu bekämpfen habe.«

»Das wird vielleicht noch kommen.«

»Gewiß nicht,« entgegnete Madame Delaunay, und man fühlte, daß diese Verneinung aus dem Herzen kam.

Die Marquise nahm die Feder, und ihre Hand bewegte sich ziemlich rasch auf dem Papiere.

Während dieser Zeit betrachtete Marcelline, ans Fenster sich lehnend, die auf der Straße Vorübergehenden.

»Ich bin fertig,« sagte endlich Diana, vom Schreibtisch sich erhebend.

»Darf man lesen?«

»Ja, Du magst mir sagen, ob es so recht ist.«

»Sie beklagen sich über mein Schweigen,« las die Marquise; »Sie sollten aber wohl einsehen, daß eine Frau auf einen ersten Brief nicht leicht antwortet, besonders wenn dieser Brief Dinge enthält, wie der Ihrige. Ich will glauben, daß Sie mich lieben, aber ungeachtet all des Vergnügens, welches Ihr Besuch mir verursachen würde, scheint es mir unmöglich, daß wir uns anderswo treffen könnten, als in meinem Hause, wo ich Ihnen jedoch eben so wenig die erbetene Audienz gestatten kann, indem meine Thür allen denen offen sieht, welche anklopfen. Sollten Sie aber einen Ausweg finden, so werde ich Ihrem Verlangen gern nachkommen.«

»Wie findest Du dies?« frug die Marquise.

»Ganz gut für das, was es sein soll.«

»Nun, dann habe ich es nur zuzusiegeln.«

Diana siegelte den Brief und schrieb die Adresse, während Marcelline sich zum Fortgehen anschickte.

»Warum gehst Du schon?«

»Mein Mann erwartet mich.«

»Sieh, hierin liegt der ganze Unterschied Deiner und meiner Lage. Gehst Du aus, so erwartet Dich Dein Mann; ist mein Mann aber auswärts, so erwarte ich ihn nicht. Willst Du, daß ich anspannen lasse?«

»Nein, ich will zu Fuß gehen. Wann sehe ich Dich?«

»Morgen Abend. Es wird dann ohne Zweifel die Antwort angelangt sein.«

»Du hast wohl die Güte, den Brief durch einen Deiner Leute bestellen zu lassen?«

Marcelline nahm den Brief schweigend an sich und ging.

Die Marquise blieb einige Augenblicke an ihrem Fenster, klingelte sodann ihrer Kammerjungfer, nahm das Buch, in welchem sie zu lesen begonnen hatte, und ging in ihr Schlafzimmer zurück.

Sie besorgte ihre Nachttoilette und verriegelte ihre Thür.

Als sie allein war, näherte sie sich dem Spiegel, lächelte stolz auf ihre Schönheit, setzte sodann den Leuchter auf einen Nachttisch, warf ihre Sammetpantoffeln von sich, sprang fröhlich in ihr Bett und begann zu lesen.

Anfangs waren ihre Augen fest auf das offene Buch gerichtet; aber sei es, daß das Buch nicht interessant genug war, sei es, daß ein fremder Gedanke sie beherrschte, sie wendete nicht eine Seite um, und bald verloren mit einem Male die Charaktere Gestalt und Bedeutung, und verwirrten sich in den Wogen ihres Blickes. Hierauf legte die Marquise ihr Köpfchen zurück und stützte ihn auf ihren Arm, weiß und rund, wie der Handgriff einer Alabasterurne, süße Träume bemächtigten sich ihrer Seele, und einige Augenblicke später fiel das Buch auf den Teppich, ohne daß sie es bemerkte.

Während dieser Zeit war Madame Delaunay bei sich zurückgekehrt, nachdem sie selbst den Brief ihrer Freundin auf die Post besorgt hatte.

Madame Delaunay war mit Diana in Einer Pension erzogen, und unter beiden hatte sich jene Freundschaft der ersten Jugend erzeugt und bewahrt, welche die Welt ungeachtet ihrer wechselnden Gewohnheiten und Anforderungen nicht verschwinden läßt. So kam es denn, daß an dem Tage, wo die Marquise Briefe zu empfangen hatte, die des Schleiers des Geheimnisses bedurften, sie zur zuverlässigen Freundschaft Marcellinens ihre Zuflucht nahm. Sie hatte ihr Anfangs gesagt, daß diese Briefe von einer Verwandten kämen, welche ihr Mann nicht liebte, dann aber hatte sie ihr endlich die Wahrheit gestanden, daß sie dem jungen Baron von Ternon die Erlaubniß gegeben, ihr schriftlich den Hof zu machen. War es bei dieser Gelegenheit das erste Mal, daß Madame Delaunay sich dazu verstand? Ja, und wir können eben so bestimmt versichern, daß die Marquise niemals an eine Andere sich gewendet hatte, und daß Maximilian der erste Mann war, dem sie erlaubte, ihr in solcher Weise zu schreiben.

»Die Marquise war also noch sehr jung!« werden die Skeptiker sagen.

Die Marquise war achtundzwanzig Jahre alt; sie war schön, reich, eine Brünette, ohne alle Beschäftigung und verheirathet.

Ihr Vermögen rührte von ihrem Vater her, ihr Mangel an Selbstbeschäftigung von ihrer Erziehung, ihre Langweile von ihrer Verheirathung. Die Marquise hatte alle Annehmlichkeiten des Luxus genossen, alle Zerstreuungen der Welt, alle Vergnügungen, die man für Geld sich verschaffen kann.

Viele Männer hatten ihr den Hof gemacht, denn ihr Mann schien sehr gleichgültig gegen sie, und sie hatte Augen, welche gegen eine solche Gleichgültigkeit mit aller Macht der Schönheit zu protestieren schienen. Aber wir wiederholen es, sei es aus Kälte des Herzens, sei es aus physischer Trägheit, die Marquise hatte noch Niemand erhört.

Wie kam es denn, daß sie Maximilian erhört hatte?

War er denn ein so ausgezeichneter Mensch, oder fühlte sie sich zu ihm von einer unwiderstehlichen Liebe hingezogen? Nichts von alle dem. Die Marquise war, wie wir eben sagten, nur achtundzwanzig Jahre alt, und erschrak vor dem Gedanken, dreißig zu werden, ohne Jemand geliebt zu haben. Maximilian war also nicht der Gegenstand einer besondern überlegten Bevorzugung, er war nur bestimmt, eine Vergessenheitsstunde der Marquise wieder gut zu machen. Diana hatte in ihrer Umgebung einen Geliebten gesucht, und der Baron hatte sich unter allen ihren Anbetern als derjenige gezeigt, welcher die gewünschten Eigenschaften am besten in sich vereinigte.

Er war jung, sie konnte also glauben, daß er für Ideen schwärmte, und daß er sie liebte, wie man im Alter von zwanzig Jahren liebte; sie war schön, und fürchtete keine Nebenbuhlerinnen; endlich war er von einem Vater und einer Mutter überwacht, denen er wie ein Kind gehorchte. Sie setzte also seine Freiheit nicht mehr in Gefahr, als eben nöthig war. Diese Liebe konnte also eine recht angenehme Zerstreuung für sie sein, und die Marquise stellte es sich auch nicht anders vor.

Wie dem auch sei, Maximilian, welcher in den Salons mit Madame de Lys oft zusammengekommen war, hatte ihr den Hof mit jener zarten Schüchternheit gemacht, welche Frauen so wohl gefällt, und fand sich, obschon sie ihn scheinbar lächelnd angehört hatte, nicht entmuthigt. Das aufmunternde Stillschweigen folgte dem Lächeln, verstohlene Blicke der Gleichgültigkeit, verdächtige Vertraulichkeit den verstohlenen Blicken, ja, endlich hatte die Marquise den jungen Mann errathen lassen, daß sie schriftlich Alles entgegennehmen würde, was er ihr nicht zu sagen wagte, und was sie nicht anhören durfte.

Hierauf hatte sie Madame Delaunay mit der Rolle, welche sie ihr bei dieser Intrigue zugedacht hatte, betraut. Denn sie wünschte das Verhältniß so geheim als möglich zu halten, und suchte deshalb auf jede Weise zu hindern, daß der Zufall, welcher nur Thorheiten begeht, einen Brief Maximilians in die Hände des Marquis überlieferte.

Madame Delaunay war weder reich noch Marquise, aber sie war, wie erwähnt, liebenswürdig und von ihrem Manne geliebt, welchen sie von dieser geheimen Correspondenz in Kenntniß gesetzt hatte, und welchen obschon er sich anfangs widersetzen wollte, doch endlich, seiner Gewohnheit gemäß, Allem beizustimmen, was seine Frau verlangte, eingewilligt hatte.

»Es ist eine gute Freundin von mir,« sagte Marcelline zu ihrem Manne, indem sie von Dianen sprach; »sie ist unverständig, und wenn ich ihre Briefe nicht besorgte, so würde sie diese von einem Andern empfangen, welcher sie compromittiren könnte. Uebrigens sind Briefes etwas sehr Ungefährliches.«

Wir haben nicht nöthig zu sagen, daß Maximilian mit Ungeduld die Antwort der Marquise erwartete. Er schlief die ganze Nacht nicht und stand zeitig am folgenden Morgen auf, wo er mit Wahrscheinlichkeit einen Brief von Dianen empfangen mußte.

.Er ließ sein Pferd satteln und begab sich auf einen Spazierritt in den Wald, um seine Ungeduld zu beschwichtigen, ein nicht sehr befremdender Umstand, da Maximilian erst zwanzig Jahre alt war.

Um elf Uhr war er zurück, und da immer noch kein Brief angekommen war, befand er sich in einer ziemlich schlechten Laune.

»Ist man oben beim Frühstück?« fragte er den Bedienten welcher ihm öffnete.

»Nein, Herr Baron.«

»Ist mein Vater aufgestanden?«

»Seit Einer Stunde.«

Maximilian durchschritt das Vorzimmer und klopfte an eine Thür, welche sich der, durch welche er eingetreten war, gegenüber befand.

Es war die Thür, welche in’s Zimmer seines Vaters führte.

»Herein,« rief eine Stimme. »Guten Tag, Maximilian,« sagte der Graf, ein langer Mann von ungefähr fünfzig Jahren, trocken. »Woher kommst Du?«

»Aus dem Wald.«

»Hast Du dort Jemand getroffen?«

»Niemand.«

»Bei welcher Stunde hast Du Dich gestern Abend schlafen gelegt?«

»Um elf Uhr.«

»Hast Du diesen Morgen schon Deine Mutter gesehen?« fragte der Graf.

»Noch nicht.«

»So geh und begrüße sie.«

Die Unterhaltung zwischen Vater und Sohn war kurz und einfach. Wenn Letzterer früh in das Zimmer seines Vaters ging, so gehorchte er mehr einer beschwerlichen Pflicht, als einem innern Drängen.

Die Gräfin war eine Frau von vierzig Jahren, groß, schmächtig, von aufrechter, stolzer Haltung, trocken, ein wahrer Reflex der Person des Grafen.

»Du warst schon ausgegangen?« frug Madame von Ternon ihren Sohn, als sie seine Stiefeln mit Staub bedeckt sah. »Warst Du allein?«

»Nein, Mutter, Florentin folgte mir.«

»Wo warst Du?«

»Im Walde.«

»Zu welcher Stunde bist Du gestern Abend zurückgekehrt?«

»Um elf Uhr.«

Man konnte dieses Gespräch für ein Echo der Fragen halten, welche der Graf seinem Sohne vorgelegt hatte.

Hierauf setzte man sich zum Frühstück, dann aber zog sich Jedes auf sein Zimmer zurück, und eben, als der Baron sich in das seinige begeben wollte, überreichte ihm der Hausverwalter einen Brief.

Er war von Diana.

Maximilian entsiegelte hastig den Brief und las ihn in Einem Zuge, wie ein von der Hitze erschlaffter Mensch ein Glas Wasser in Einem Zuge austrinkt.

Der Inhalt des Briefes, welcher wohl einen Louis werth war, veranlaßte es denn auch, daß der Portier um zwanzig Franken reicher wieder herunter stieg.

Als Maximilian das Billet der Marquise gelesen und wieder gelesen hatte. sagte er bei sich, indem er sich auf sein Bett setzte:

»Offenbar nimmt sie eine Bestellung an. Aber sie will mich weder bei sich, noch bei mir, noch anderswo sehen; es ist nöthig, daß ich einen Ort ausfindig mache, wo sie nichts zu fürchten hat. In meinem Hotel geht es unmöglich, wegen der Spionerie der Bedienten; dort wäre es nothwendig, daß ich meinen Namen nenne, und mein Vater könnte es erfahren. Das Beste wäre, wenn einer meiner Freunde mir sein Zimmer liehe; aber alle meine Freunde sind neugierig und unbesonnen, die Einen immer mehr als die Andern.

»Jetzt,« rief er plötzlich, »fällt mir etwas ein.«

Er kleidete sich in Eile an, stieg herab, sprang in ein Cabriolet und sagte zum Kutscher.

»Märtyrerstraße, Nr. 67.«

Maximilian befand sich bald in der Straße Rivoli, und eine Viertelstunde nachher vor dem Hause, welches er bezeichnet hatte, er durchschritt einen kleinen Garten. nachdem er dem Portier den Namen der Person, welche er besuchen wollte, genannt hatte, und klingelte an der Thür eines Malerateliers.

Er hörte Schritte, und ein junger Mensch von ungefähr 25 Jahren, mit einer Sammtweste und eleganten Pantalons bekleidet, öffnete ihm. Dieser junge Mensch war groß, hatte schwarze Augen und eben solches Haar, weiße Zähne, eine loyale, wohlwollende und distinguirte Miene.

In der einen Hand hielt er eine Palette und einen Malerstock, in der andern eine Cigarre.

»Du!« rief er, als er Maximilian sah.

»Ich selbst.«

»Was Teufel willst Du hier?« frug der Maler Aubry, indem er die Thür schloß und seinen Freund in das Atelier führte.

»Ich will Dich um einen Dienst Ersuchen.«

»Sprich, lieber Freund, und setze Dich, wenn Du einen Stuhl frei findest.

Maximilian folgte seinem Freunde durch die enge Straße, welche die Gestelle und Gemälde aller Art und Größe in dem Atelier bildeten Dieser Saal war eine Welt; es wäre ein Tag nöthig, um die Specialitäten kennen zu lernen, welche mir nicht einmal anzuzeigen versuchen wollen. Man hätte, wenn man die Zeichnungen im Hintergrunde sah, die Coulissen eines großen Theaters zu sehen geglaubt. Schärpen und Kostüme waren auf Körben, Entwürfe von allen bekannten Künstlern an den Wänden, mitten unter den Wappen aller Länder aufgehangen. Halbkreisförmige Platten trugen Statuen und Gliedermänner.

Namen und Adressen von Modellen waren mit Kreide ans das Ofenrohr geschrieben, sowie auf das Mauerwerk von grauer Farbe; ein Piano war geöffnet und überdeckt von Zeichnungen, Albums und Musikalien.

Aubry setze sich wieder vor das Gemälde, an welchem er gearbeitet. als der Baron eintrat, und dessen erster Farbenschmelz der ein wenig durch die großen Vorhänge verhüllten Sonne freundlich entgegenschimmerte.

»Höre ich Dich?« frug Maximilian, und setzte sich auf einen breiten Divan. dem Fenster gegenüber.

»Keineswegs.«

»Ist Niemand hier?« fuhr Maximilian fort, indem er den Hintergrund des Ateliers durchforschte.

»Niemand.«

»Damit handelt es sich.«

»Nun, was wünschest Du?«

Indem er dies sagte, setzte sich der Maler wieder an die Arbeit.

»Stelle Dir vor, daß es eine Person giebt,« sagte Maximilian, »mit welcher ich sehr gern zusammen kommen möchte. Unglücklicherweise kann ich sie nicht bei sich sprechen oder sehen, und da ich dies auch nicht bei mir zu Hause kann, so bin ich in einer sehr schlimmen Lage.«

»Diese Person ist eine Frau?«

»Natürlich.«

»Aber hat sie Dir erlaubt, sie irgendwo zu treffen?«

»Freilich.«

»Nun so mag sie doch zu Dir kommen.«

»Nein, das ist wie gesagt auch nicht statthaft; mein Vater und meine Mutter sind mir zu sehr auf dem Nacken. Es ist mir ein Ort nöthig, wo weder der Eine noch der Andere der Interessenten bekannt ist.«

»Miethe ein Zimmer in einem Hotel.«

»Die Bedienten sind zu neugierig, und da diese Person der großen Welt angehört, ja der sehr vornehmen Welt, so will ich sie nicht compromittiren.«

»Das ist recht, wie willst Du es aber denn machend?«

»Ich habe an Dich gedacht.«

»An mich?«

»Ja.«

»Dein Zimmer kann der Ort unseres Rendez-vous werden.«

»Wird sie hierher kommen?«

»Warum nicht?«

»In das abscheuliche Atelier eines schlechten Malers?«

»Warum nicht?«

»Sie liebt Dich also wohl?« sagte Aubry lächelnd.

»Warum nicht?«

»Ich wiederhole es, mein Zimmer ist eine zu schlechte Liebeshütte.«